L 5 AS 283/22

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 5 AS 1124/20 WA
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 283/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die KdU-Richtlinie des Landkreises Salzlandkreis auf der Grundlage des Berichts Dezember 2016 in der Auswertung des Korrekturberichts Februar 2022 beruht auf einem schlüssigen Konzept. Der Senat hält insoweit an seiner Rechtsprechung fest (Urteil vom 11.08.2022, L 5 AS 592/21).


2. Ein Guthaben aus einer Betriebskostenabrechnung ist im Folgemonat des Zuflusses auf die Kosten der Unterkunft und Heizung anzurechnen (§ 22 Abs 3 SGB II). 3. Dabei erfolgt die Anrechnung auf die im Folgemonat vom Leistungsträger berücksichtigten Kosten. Die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.12.2013, B 14 AS 83/12 R) zur Anrechnung auf die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung ist nach der Änderung des § 22 Abs 3 SGB II ab dem 01.08.2016 nicht mehr anwendbar.

 

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. April 2022 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

 

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

 

Tatbestand:

 

Der Beklagte und Berufungskläger (im Weiteren: Beklagter) wendet sich mit seiner Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Magdeburg. In diesem ist er verurteilt worden, an den Kläger und Berufungsbeklagten (im Weiteren: Kläger) für die Monate August 2017 bis Januar 2018 höhere Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu zahlen.

 

Der 1959 geborene Kläger bewohnt seit Mai 2008 eine 48,14 m² große Mietwohnung in der H-Straße in S. Die Gebäudefläche beträgt ca. 1.394 m². Für die Wohnung fielen im streitigen Zeitraum Kosten i.H.v. 358,64 €/Monat (Grundmiete i.H.v. 255,14 €/Monat, Betriebskosten i.H.v. 52,95 €/Monat und Heizkosten einschließlich Warmwasserkosten i.H.v. 50,55 €/Monat) zzgl. Abfallgebühren im September und Dezember 2017 an. Die Wohnung wird mit Erdgas beheizt.

 

Der Kläger bezog seit Januar 2011 Grundsicherungsleistungen vom Beklagten. Dieser wies erstmals mit dem Bewilligungsbescheid vom 2. Februar 2011 darauf hin, dass die Kosten der Unterkunft (KdU) unangemessen seien und nur noch für einen Übergangszeitraum von 6 Monaten gewährt würden. Ab August 2011 berücksichtigte der Beklagte nur noch die nach seiner Auffassung angemessenen KdU. Nachfolgend teilte der Beklagte in den Bescheiden vom 19. September 2013, 26. Juli 2014, 29. Juni und 25. Juli 2015 sowie 23. Januar und 25. Juli 2016 die jeweils gültigen Angemessenheitswerte für die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) mit. Zusätzlich hörte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 14. Februar 2017 zu den nach seiner Auffassung unangemessenen Unterkunftskosten an. Die derzeit bewohnte Unterkunft sei hinsichtlich der Kaltmiete i.H.v. 33,33 €/Monat unangemessen. Eine Übernahme der bisherigen Kosten komme nur bis zum 30. Juni 2017 in Betracht.

 

Der Kläger reichte beim Beklagten die Betriebs- und Heizkostenabrechnung vom 11. Juli 2017 für das Jahr 2016 ein. Diese wies ein Guthaben von 145,58 € aus, wobei auf die Heizkosten 126,09 € entfielen. Der Vermieter überwies den Betrag im August 2917.

 

Der Kläger beantragte am 17. Juli 2017 die Fortzahlung der Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 27. Juli 2017 bewilligte der Beklagte vorläufige Leistungen für den Zeitraum von August 2017 bis Januar 2018. Er berücksichtigte dabei die tatsächlichen Heizkosten i.H.v. 50,55 €/Monat. Von der Bruttokaltmiete i.H.v. 308,09 €/Monat bewilligte der Beklagte 274,50 €/Monat. Er gewährte zudem im September und Dezember 2017 die Abfallgebühren und rechnete im September 2017 das auf die Heizkosten entfallende Guthaben aus der Abrechnung vom 11. Juli 2017 i.H.v. 125,09 € an.

 

Hiergegen erhob der Kläger am 22. August 2017 Widerspruch und machte die vollständige Übernahme der KdU geltend. Das vom Beklagten angewandte Konzept sei nicht schlüssig, so dass die Werte nach § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) anzuwenden seien.

 

Mit dem Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Anspruch auf höhere KdU bestehe nicht. Die Heizkosten seien in voller Höhe übernommen worden. Die Unterkunftskosten könnten nur bis zur Angemessenheitsgrenze von 274,50 €/Monat gewährt werden. Hierauf sei der Kläger bereits in mehreren Schreiben, zuletzt am 14. Februar 2017, hingewiesen worden.

 

Mit der am 20. November 2017 beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren, die KdU in voller Höhe zu erhalten, weiterverfolgt. Er hat angeführt, dass die Begrenzung der KdU nicht auf einem schlüssigen Konzept seitens des Beklagten beruhe. Zudem sei ein Umzug unwirtschaftlich, da in einer anderen Wohnung des Vergleichsraums höhere Kosten anfallen könnten, die der Beklagte übernehmen müsste. Das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung dürfe zudem im September 2017 nicht angerechnet werden, da zuvor eine Kürzung der KdU erfolgt sei.

 

Der Beklagte hat mit Änderungsbescheid vom 23. Dezember 2017 höhere Leistungen für Januar 2018 aufgrund der Anpassung des Regelbedarfs bewilligt. Die KdUH hat er unverändert berücksichtigt.

 

Nach zwischenzeitlichem Ruhen des Verfahrens hat der Beklagte mit Schreiben vom 28. Oktober 2020 mitgeteilt, dass nach dem im Mai 2020 nachgebesserten Konzept die maximal angemessenen KdU 272,50 €/Monat zuzüglich Abfallgebühren betragen würden. Dem Kläger seien bereits höhere Leistungen bewilligt worden.

 

Das SG hat mit Urteil vom 22. April 2022 den Beklagten verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum von August 2017 bis Januar 2018 weitere KdU i.H.v. 33,59 €/Monat zu gewähren. Es hat zudem die Berufung zugelassen. Die Begrenzung der Unterkunftskosten beruhe nicht auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Die Repräsentativität und Validität der Daten sei nicht gegeben. Es seien überproportional viele Mietwerte aus SGB II-Datensätzen berücksichtigt worden (ca. 38 %). Demnach würden Wohnungen mit eher einfachem Standard die Mietwerterhebung dominieren. Der tatsächliche Wohnungsbestand werde nicht realitätsgerecht abgebildet. Ob daneben eine Gewichtung entsprechend der Vermieterstruktur nach Groß- und Kleinvermietern vorzunehmen sei, könne dahinstehen. Das durchgeführte iterative Verfahren könne die Schlüssigkeit des Konzepts nicht herstellen. Es sei nicht nachvollziehbar dargelegt, dass auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich zum ermittelten Betrag ausreichend Wohnungen angemietet werden konnten. Daher sei auf die Werte der Wohngeldtabelle nach § 12 WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlags abzustellen. Die angefallenen KdU lägen darunter und seien daher als angemessen vom Beklagten zu tragen. Gegen die Anrechnung des Betriebskostenguthabens i.H.v. 125,09 € im September 2017 bestünden keine Bedenken. Der Beklagte habe nach § 22 Abs. 3 SGB II die Beträge unberücksichtigt gelassen, die auf Zahlungen des Klägers aus eigenen Mitteln beruht hätten.

 

Gegen das am 9. Mai 2022 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 24. Mai 2022 Berufung eingelegt. Er hat auf den Korrekturbericht vom Februar 2022 verwiesen. Danach seien bei Gewichtung der Daten nach Vermietertypen und ohne die Heranziehung der SGB II-Datensätze im Vergleichsraum Staßfurt KdU i.H.v. 272,50 €/Monat für einen Ein-Personen-Haushalt angemessen. Dem Kläger seien bereits höhere Leistungen gewährt worden.

 

Der Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. April 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er verweist auf das nach seiner Auffassung zutreffende Urteil des SG. Eine repräsentative Datenerhebung sei nicht erfolgt. Ein unschlüssiges Konzept könne nicht nachträglich schlüssig gemacht werden.

 

Der Kläger hat sich mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2022 und der Beklagte mit Schriftsatz vom 7. November 2022 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

 

1.

 

Die Berufung des Beklagten ist form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden. Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen. Der Senat ist nach § 144 Abs. 3 SGG daran gebunden.

 

Streitig ist der Bescheid vom 27. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Oktober 2017 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 23. Dezember 2017 für den Zeitraum von August 2017 bis Januar 2018. Der Beklagte hatte zunächst vorläufige Leistungen bewilligt. Da keine endgültige Festsetzung von Amts wegen erfolgt ist und auch kein Antrag hierauf seitens des Klägers gestellt wurde, ist zwischenzeitlich die Fiktion nach § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II eingetreten. Damit hat der Senat über die Höhe der dem Kläger endgültig zustehenden Leistungen zu befinden.

 

2.

 

Die Berufung des Beklagten ist begründet. Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf höhere KdUH als vom Beklagten bereits bewilligt worden sind.

 

a.

 

Der Kläger war Berechtigter i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB II. Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze von § 7a SGB II noch nicht erreicht, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, war erwerbsfähig und hilfebedürftig.

 

b.

 

Der Kläger hatte Anspruch auf Leistungen nach § 19 Abs. 1 SGB II. Er verfügte über kein anrechenbares Einkommen oder Vermögen.

 

Neben dem Regelbedarf hatte der Kläger daher auch Anspruch auf die KdUH. Der Beklagte hat die Heizkosten in tatsächlicher Höhe, eine Bruttokaltmiete in Höhe von 274,50 €/Monat und die Abfallgebühren bewilligt. Zudem hat der das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung vom 11. Juli 2017 für das Jahr 2016 teilweise i.H.v. 125,09 € im September 2017 nach § 22 Abs. 3 SGB II auf die KdUH angerechnet.

 

c.

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Berücksichtigung der tatsächlichen Bruttokaltmiete i.H.v. 308,09 €/Monat.

 

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II haben Leistungsberechtigte Anspruch auf Leistungen für die KdU und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, sind sie gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II als Bedarf der Hilfebedürftigen solange zu berücksichtigen, wie es diesen nicht möglich oder zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate.

 

Der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit i.S.v. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist unter Zugrundelegung der sog. Produkttheorie zu ermitteln. Dabei ist die Prüfung der Bedarfe für Unterkunft und der für die Heizung grundsätzlich getrennt vorzunehmen. Dies gilt ungeachtet der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Kostensenkungsaufforderungen (§ 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II) und der ab 1. Oktober 2016 eingeführten Gesamtangemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 10 SGB II (dazu und zum folgenden: BSG, Urteil vom 30. Januar 2019, B 14 AS 11/18 R; Urteil vom 3. September 2020, B 14 AS 40/19 R, juris).

 

Bei der Prüfung der Angemessenheit der KdU sind in einem ersten Schritt die abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Bruttokaltmiete festzulegen. Dabei muss das Produkt aus Wohnfläche und -standard eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete ("Referenzmiete") ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009, B 4 AS 30/08 R, juris, Rn.13). Der Quadratmeterpreis sowie die angemessene Wohnungsgröße ergeben die angemessene Miete. In einem zweiten Schritt ist die konkrete (=subjektive) Angemessenheit im Vergleich mit den tatsächlichen Aufwendungen, insbesondere auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit notwendiger Einsparungen einschließlich eines Umzugs, zu prüfen. Abschließend ist zu klären, ob die Leistungsberechtigten eine abstrakt angemessene Wohnung hätten anmieten können (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 17. September 2020, B 4 AS 22/20 R, juris, Rn. 23).

 

aa.

 

Die für eine Absenkung der KdU vorgeschriebene Kostensenkungsaufforderung war bereits im Jahr 2011 erfolgt. Zudem hatte der Beklagte auch in den weiteren Bescheiden (z.B. vom 19. September 2013, 26. Juli 2014, 29. Juni, 25. Juli 2015, 23. Januar und 25. Juli 2016) auf die Unangemessenheit der KdU hingewiesen und fortlaufend die nach seiner Auffassung angemessenen Kosten bewilligt. Zuletzt hatte der Beklagte mit Schreiben vom 14. Februar 2017 auf die seiner Auffassung nach unangemessenen Unterkunftskosten hingewiesen. Er hatte eine Übergangsfrist (bis zur weiteren Absenkung) bis zum 30. Juni 2017 eingeräumt. Der Kläger hatte daher die Möglichkeit, mit dem Beklagten in einen Dialog über die für ihn angemessenen KdU einzutreten.

 

bb.

 

Im Übrigen wird hinsichtlich der Schlüssigkeit des Konzepts des Beklagten für die Zeit ab Januar 2017 (Bericht vom Dezember 2016) in der Fassung der Nachbesserungen vom Mai 2020 und Februar 2022 vollumfänglich auf das Urteil des Senats vom 11. August 2022 (L 5 AS 592/21, juris) verwiesen. Ein SGB II-Datensatz ist im Korrekturbericht aus Februar 2022 unberücksichtigt geblieben. Die Kritik des SG hat sich insoweit erledigt.

 

Soweit der Kläger eingewandt hat, ein unschlüssiges Konzept könne nicht nachträglich schlüssig gemacht werden, entspricht dies nicht der ständigen Rechtsprechung des BSG. Dieses hat vielmehr ausdrücklich eine Neubewertung der bereits erhobenen Daten und Erkenntnisse zugelassen und insoweit kein unzulässiges Nachschieben von Gründen angenommen (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 65/09 R, juris, Rn. 28; Urteil vom 30. Januar 2019, B 14 AS 11/18 R, juris, Rn. 33). Auch eine nachträgliche Gewichtung bereits vorhandener Daten nach Vermietertypen statt einer Nacherhebung von Daten hat das BSG ausdrücklich zur Behebung von Mängeln bei der Repräsentativität und Validität der Datenerhebung für zulässig erachtet (BSG, Urteil vom 3. September 2020, B 14 AS 34/19 R, juris, Rn. 33; Urteil vom 5. August 2021, B 4 AS 82/20 R, juris, Rn. 40).

 

Aufgrund der zwischenzeitlich durchgeführten Gewichtung der Daten nach Vermietertypen hat sich für den Vergleichsraum St. eine Bruttokaltmiete von 272,50 €/Monat ergeben, die noch unter dem vom Beklagten bewilligten Betrag i.H.v. 274,50 €/Monat liegt.

 

cc.

 

Ein Fall einer vorübergehenden oder dauerhaften subjektiven Unzumutbarkeit eines Umzugs oder einer Kostensenkung lässt sich nicht feststellen. Dies würde zwar nicht zur Angemessenheit der tatsächlichen Mietkosten führen, könnte jedoch eine Verlängerung der Frist für eine Kostensenkung erforderlich machen (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009, B 4 AS 30/08 R, juris, Rn. 32). Die Darlegungslast liegt beim Leistungsberechtigten. Ein entsprechender nachvollziehbarer und belegter Sachvortrag ist nicht erfolgt.

 

Eine Unzumutbarkeit im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II ist sich auch nicht unter Berücksichtigung von Wirtschaftlichkeitserwägungen erkennbar. Zum einen ist bereits fraglich, ob aufgrund der Übernahme der tatsächlichen Heizkosten ein Wohnungswechsel nicht zu einer Kostensenkung (niedrigere Bruttowarmkosten) in einer alternativ zu beziehenden Wohnung geführt hätte (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juli 2021, B 14 AS 31/20 R, juris, Rn. 51).

 

Doch auch bei Berücksichtigung der maximalen Heizkosten aus dem bei Erlass der letzten Behördenentscheidung veröffentlichten Bundesweiten Heizspiegels 2017 (Heizmittel Erdgas, Gebäudefläche über 1.000 m², 16,20 € × 50 m² : 12 = 67,50 €) und des Angemessenheitswerts für die Bruttokaltmiete von 272,50 €/Monat wäre eine Kostensenkung durch Umzug zumutbar gewesen. Die Bruttowarmmiete des Klägers i.H.v. 358,64 €/Monat lag über der Gesamtangemessenheitsgrenze. Dabei ist auf den gleichen Vergleichsraum und das genutzte Heizmittel abzustellen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13. Juli 2022, L 4 AS 149/18, juris, Rn. 89 ff.). Umzugskosten können zudem nicht pauschal und fiktiv berücksichtigt werden, da diese naturgemäß nicht beziffert werden können. Es ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig, ob überhaupt und in welcher Höhe solche Kosten zusätzlich anfallen.

 

Soweit der Kläger darauf abstellt, dass für die Frage der Unzumutbarkeit des Umzugs auch die Erzielung von Guthaben aus den Heiz- und Betriebskostenabrechnungen der Vorjahre zu berücksichtigen sei, folgt dem der Senat nicht. Zum einen ist im Zeitpunkt der Kostensenkungsaufforderung, eines möglichen Umzugs und der Bewilligungsentscheidung regelmäßig nicht absehbar, ob und in welcher Höhe ein Guthaben für den laufenden bzw. zukünftigen Abrechnungszeitraum anfällt. Zum anderen sieht § 22 Abs. 3 SGB II in der Fassung ab August 2016 die vollständige oder teilweise Nichtanrechnung eines Guthabens bei vorheriger Begrenzung der KdUH vor. Ein wirtschaftlicher Nachteil folgte daher für den Kläger bei Erwirtschaftung eines Guthabens nicht (mehr).

 

Demgemäß kommt es auch nicht darauf an, ob sich der Kläger ergänzend auf die Regelung in § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II (Absehen von einer Kostensenkungsaufforderung bei Unwirtschaftlichkeit) berufen kann.

 

d.

 

Ein Anspruch auf höhere KdUH ergibt sich auch nicht im September 2017 aufgrund der erfolgten Anrechnung des Guthabens aus der Betriebs- und Heizkostenabrechnung.

 

Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach § 22 Abs. 3 SGB II Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift mindern. Der Beklagte hatte in der Verwaltungsakte eine Auszahlung des Guthabens von 145,58 € aus der Abrechnung vom 11. Juli 2017 im August 2017 (nach Sichtung der Kontoauszüge) vermerkt. Die Anrechnung im September 2017 ist daher grundsätzlich nicht zu beanstanden.

 

Der Beklagte hatte auch zu Recht das Guthaben nicht vollständig berücksichtigt. Nach der gesetzlichen Regelung ab 1. August 2016 sind Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, außer Acht zu lassen. Dies betrifft vorliegend jedoch nicht das Guthaben i.H.v. 126,09 €, das allein auf die Heizkosten entfällt. Diese hatte der Beklagte in voller Höhe im Abrechnungszeitraum berücksichtigt und gezahlt.

 

Die nur i.H.v. 125,09 € erfolgte Anrechnung ist für den Kläger vorteilhaft.

 

Sie ist nicht deshalb rechtswidrig, da diese durch den Beklagten auf die bereits abgesenkten und nicht die tatsächlichen KdUH bezogen worden ist. Soweit das BSG zur Vorgängervorschrift in § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II sowie der Regelung in § 22 Abs. 3 SGB II vor der Änderung zum 1. August 2016 eine andere Auffassung vertreten hat (Urteil vom 12. Dezember 2013, B 14 AS 83/12 R, juris, Rn. 13 ff.), kann dieser für den streitigen Zeitraum nicht mehr gefolgt werden.

 

Das BSG hat sich bei seiner Entscheidung einerseits vom Wortlaut „… mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung …“ leiten lassen. Unter Aufwendungen seien die tatsächlichen und nicht die vom Leistungsträger als angemessen erachteten Bedarfe für die KdUH zu verstehen (BSG, a.a.O., juris, Rn. 13). Dieses Wortlautargument ist jedoch nicht zwingend, da beide Auslegungen (tatsächliche oder angemessene Aufwendungen) im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II möglich sind. Der zusätzliche Verweis auf die Verwaltungspraktikabilität greift zumindest für Leistungszeiträume nach August 2016 nicht mehr. Vielmehr verlangt der Gesetzgeber nunmehr sowohl bei der Berechnung der zu übernehmenden Nachzahlung als auch der Anrechnung eines Guthabens aus einer Betriebs- und Heizkostenabrechnung eine detaillierte Prüfung. So sind insbesondere von den Leistungsträgern im Abrechnungszeitraum nicht getragene KdUH – wie auch im vorliegenden Fall – von einem Guthaben in Abzug zu bringen. Aus diesem Grund kann auch infolge der Neuregelung ab August 2016 in § 22 Abs. 3 SGB II der Regelungszweck nicht mehr für die Auslegung des BSG herangezogen werden. Dieses hat die Anrechnung eines Guthabens auf die tatsächlichen KdUH als Ausgleich dafür angesehen, dass die partielle Übernahme der Vorauszahlungen auf die Betriebskosten im Abrechnungszeitraum ansonsten unbeachtlich wäre (BSG, a.a.O., juris, Rn. 15). Dieses Argument ist dadurch entfallen, dass der Gesetzgeber nunmehr eine ausdrückliche Regelung zur Anrechnung eines Guthabens bei nicht vollständiger Übernahme der KdUH im Abrechnungszeitraum geschaffen hat. Damit wird sichergestellt, dass dem Leistungsempfänger tatsächlich im Rahmen einer Korrektur der Guthabensanrechnung der ihm wirtschaftlich zuzuordnende Teil der Erstattung verbleibt. Eine (zusätzliche) Bevorteilung des Leistungsempfängers in Form einer Anrechnung des Guthabens auf die tatsächlichen KdUH ist nicht (mehr) erforderlich bzw. geboten. Diese würde vielmehr dazu führen, dass im Anrechnungsmonat im Ergebnis von angemessenen KdUH ausgegangen werden würde, obwohl dem Vermieter gleichwohl insgesamt unangemessene KdUH geschuldet werden. Die getrennte Betrachtung von KdU und Heizkosten bei Nachzahlungen und Guthaben im Rahmen des § 22 Abs. 3 SGB II verhindert eine unzulässige Vermischung (ständige Rechtsprechung seit BSG, Urteil vom 2. Juni 2009, B 14 AS 36/08 R, juris, Rn. 18), die anderenfalls bei der Anrechnung eines Guthabens auf die tatsächlichen Aufwendungen für die KdUH erfolgen würde.

 

3.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt Entscheidung in der Sache.

 

Die Revision war zuzulassen. Bisher ist nicht höchstrichterlich geklärt, ob an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anrechnung eines Guthabens aus einer Betriebs- und Heizkostenabrechnung auf die tatsächlichen KdUH im Anrechnungsmonat auch nach der Neuregelung in § 22 Abs. 3 SGB II ab 1. August 2016 festzuhalten ist. Diese Frage ist auch weiterhin klärungsbedürftig, da § 22 Abs. 3 SGB II nach dem Zwölften Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz) ab 1. Januar 2023 unverändert weiter gilt.

 

Rechtskraft
Aus
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