S 4 R 110/22

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 4 R 110/22
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 100/23
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze

Rentenanpassungsmitteilungen beschränken sich inhaltlich auf die jährliche wertmäßige Fortschreibung eines bereits zuerkannten Rentenstammrechts.


Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine Rentenanpassungsmitteilung und begehrt die rentensteigernde Berücksichtigung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Der 1957 geborene Kläger bezog zunächst seit dem 01.09.1995 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Mit nichtstreitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 08.02.2023 bezieht der Kläger wegen Erreichens der Regelaltersgrenze nunmehr seit dem 01.04.2023 eine Regelaltersrente mit monatlichen Rentenzahlbetrag in Höhe von 1.144,79 Euro.

Wie bereits in den Jahren 2009, 2011, 2015, 2017, 2019 und 2020 hat der Kläger gegenüber der Beklagten eine höhere Erwerbsunfähigkeitsrente bzw. nunmehr Regelaltersrente geltend gemacht und legte mit Schreiben vom 12.06.2022 gegen die Rentenanpassungsmitteilung zum 01.07.2022 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, dass er den damaligen Rentenantrag auf Veranlassung des Arbeitsamtes Korbach und nicht aus eigenem Antrieb gestellt habe, weshalb ihm die Rente ohne finanzielle Verluste ausgezahlt werden müsse. Seine Rente sei von Anfang an falsch berechnet worden, weil er gerade keine „Privatrente mit finanziellen Verlusten“ beantragt habe. Diese Privatrente sei in seinem Fall mit der „Rente auf Behördenwunsch“ vertauscht worden. Die Beklagte habe dennoch bislang noch keine entsprechende Rentenumrechnung vorgenommen. Zutreffend wäre es, wenn ihm eine Rente auf der Grundlage seines letzten vollmonatlichen Gehalts (Juli 1992) gezahlt werde. Im Übrigen müsse auch sein Weihnachts- und Urlaubsgeld, auf das er Beiträge entrichtet habe, bei der Berechnung der Rentenhöhe anerkannt werden.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2022 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Rentenanpassung zum 01.07.2022 rechtlich nicht zu beanstanden sei.

Mit Schreiben vom 03.08.2022, welches die Beklagte als Klageerhebung wertete und mit Schriftsatz vom 15.08.2022 dem Sozialgericht Marburg am 16.08.2022 vorlegte, erhob der Kläger Klage gegen den Widerspruchsbescheid.

Mit gerichtlichen Hinweis vom 24.10.2022 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass er mit seinem eigentlichen Klagebegehren, die rentensteigernde Berücksichtigung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld unter Umwandlung in eine Rente ohne finanzielle Verluste, aufgrund des eingeschränkten Regelungsgehalts der Rentenanpassungsmitteilung nicht durchdringen könne.

Der Kläger trägt vor, dass er die Umrechnung seiner Rente von einer „Privatrente mit finanziellen Verlusten“ zu einer „Behördenwunschrente ohne finanziellen Verluste“ verlange. Die in der Rentenanpassungsmitteilung ausgewiesenen Zahlen belegten, dass die Rente, obwohl er sie damals auf Aufforderung des Arbeitsamtes Korbach beantragen musste, von Anfang an falsch berechnet worden sei. 

Der Kläger beantragt sinngemäß, 

die Rentenanpassungsmitteilung zum 01.07.2022 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 29.07.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ und unter „Umrechnung“ in eine „Behördenwunschrente ohne finanzielle Verluste“ zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, 

die Klage abzuweisen. 

Die Beklagte verteidigt ihre Bescheide und verweist ergänzend auf das zuletzt vor Sozialgericht Marburg geführte Verfahren zwischen den Beteiligten. 

Das Gericht hat die Beteiligten mit Verfügung vom 24.10.2022 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden. Die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt. Das Gericht hat die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Die Klage ist unzulässig.

Für die erhobene Klage fehlt es dem Kläger bereits an der nach § 54 Abs. 1 S. 2 SGG erforderlichen Beschwer durch die Rentenanpassungsmitteilung zum 01.07.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 29.07.2022. Denn aus seinem Vorbringen und dem Sachstand ergibt sich nicht einmal die Möglichkeit, dass er durch die Rentenanpassungsmitteilung in seinen Rechten hätte verletzt sein können. Der Klagebefugnis fehlt es nur dann, wenn dem Kläger das geltend gemachte Recht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen kann, also die Möglichkeit einer Verletzung seiner subjektiven Rechte nicht möglich erscheint (BSG, Urt. v. 07.02.2007 – B 6 KA 8/06 R = SozR 4-1500 § 54 Nr. 10; Urt. v. 11.05.1999 – B 11 AL 69/98 R = SozR 3-1500 § 75 Nr. 31). Eine solche Fallgestaltung liegt hier vor. 

Die Grundsätze der Rentenhöhe und Rentenanpassung sind in § 63 ff. Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) geregelt. Nach § 63 Abs. 6 SGB VI ergibt sich der Monatsbetrag einer Rente, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte mit dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert vervielfältigt werden. Mithin sind die vier Berechnungsgrößen zu multiplizieren (mathematisch als Rentenformel dargestellt: monatliche Rentenhöhe = Summe der Entgeltpunkte x Zugangsfaktor x aktueller Rentenwert x Rentenartfaktor). Der aktuelle Rentenwert ist eine der vier maßgebenden Berechnungsgrößen und wird nach § 63 Abs. 7 SGB VI entsprechend der Entwicklung des Durchschnittsentgelts unter Berücksichtigung der Veränderung des Beitragssatzes zur allgemeinen Rentenversicherung jährlich angepasst. Der Regelungsgehalt von Rentenanpassungsmitteilungen beschränkt sich darauf, in Ausführung der jeweiligen Rentenanpassungsgesetze den Änderungen des aktuellen Rentenwerts zum 01.07. eines jeden Jahres Rechnung zu tragen (vgl. BSG, Beschl. v. 27.05.2021 – B 5 R 8/21 BH, juris Rn. 8; v. 17.03.2020 – B 5 R 2/20 BH, juris Rn. 5; v. 17.10.2017 – B 13 R 11/15 BH, juris. Rn. 6 und B 13 R 13/15 BH, juris Rn. 6; grundlegend, Urt. v. 23.03.1999 – B 4 RA 41/98 R = SozR 3-1300 § 31 Nr. 13). Eine Anpassungsmitteilung betrifft nur die Berechnung des Rentenzahlbetrags auf Grund des geänderten aktuellen Rentenwerts (§ 68 SGB VI) und lässt die weiteren Berechnungsfaktoren der Rente nach § 64 SGB VI unberührt (vgl. BSG, Beschl. v. 16.06.2021 – B 13 R 17/20 BH, juris Rn. 5 m. w. N.). Rentenanpassungsmitteilungen enthalten daher nur eine Regelung zur wertmäßigen Fortschreibung des bereits zuerkannten Werts des Rechts auf Rente durch Feststellung des Veränderungsfaktors einer der Berechnungsgrößen und stellen damit einen selbstständig anfechtbaren Verwaltungsakt dar (vgl. BSG, Urt. v. 10.04.2003 – B 4 RA 41/02 R = SozR 4-2600 § 260 Nr. 1; v. 31.07.2002 – B 4 RA 120/00 R, juris Rn. 13 f.; v. 23.03.1999 – B 4 RA 41/98 R = SozR 3-1300 § 31 Nr. 13; LSG Hessen, Urt. v. 06.07.2018 – L 5 R 86/17, juris Rn. 20; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 14.12.2021 – L 9 R 1792/17, juris Rn. 21). Sie enthalten aber keine Regelung hinsichtlich der drei weiteren Berechnungsgrößen für die Höhe der Rente, also den Wert des Rechts auf Rente, sondern lediglich die Änderung der Bestimmungsgröße des aktuellen Rentenwerts auf die zum 01.07. jeden Jahres erfolgende Anpassung. Regelungsgehalt der Rentenanpassungsmitteilung zum 01.07.2022 ist daher vorliegend der Grad der Rentenanpassung, d.h. die Erhöhung des Rentenwerts von 34,19 Euro auf 36,02 Euro ab 01.07.2022. Die Rentenanpassungsmitteilung stellt damit, soweit sie diese Regelung enthält, einen Verwaltungsakt i. S. d. § 31 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) dar und ist grundsätzlich als solcher mit der Anfechtungsklage angreifbar. Allerdings greift diese Regelung nicht in die bereits zuerkannten Rechte des Klägers ein, sondern setzt allein die jährliche Rentenanpassung zugunsten des Klägers um (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 15.11.2022 – L 9 R 1353/22, juris Rn. 25).

Nach dem Inhalt seines Vorbringens im Klageverfahren möchte der Kläger vorliegend keinen höheren oder abweichenden Grad der Rentenanpassung zum 01.07.2022 erreichen. Vielmehr möchte er – trotz des gerichtlichen Hinweises – eine Erhöhung des Rentenstammrechts durch die Berücksichtigung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld unter Umrechnung in eine Rente ohne finanzielle Verluste. Da der Rentenanpassungsmitteilung zum 01.07.2022 kein weitergehender Regelungsgehalt zukommt und sie über ihren eigentlichen Regelungsgehalt der Rentenanpassung hinaus nicht anfechtbar ist, kann der Kläger schon allein aus diesem Grund im vorliegenden Verfahren nicht mit seinem Begehren durchdringen. Sowohl die Frage der Berücksichtigung von Weihnachts- und Urlaubsgeld als auch das Begehren einer Rente ohne finanzielle Verluste betreffen nicht die wertmäßige Fortschreibung der Rente durch die Rentenanpassung, sondern sie betreffen den bereits zuerkannten Wert des Rechts auf Rente an sich, der vorliegend nicht Regelungsgegenstand und damit nicht überprüfbar ist (LSG Hessen, Urt. v. 21.02.2022 – L 5 R 59/21; vgl. Urt. v. 07.11.2016 – L 5 R 84/16, juris Rn. 23). Daneben sind auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Rechenwerk der Beklagten in der Rentenanpassungsmitteilung zum 01.07.2022 unzutreffend sein könnte, weder vom Kläger dargetan worden noch sonst erkennbar.

Aus diesen Gründen ist die an die Rentenanpassungsmitteilung anknüpfende Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bzw. Anfechtungs- und Leistungsklage, die auf Feststellung eines höheren Rentenstammrechts zielt, unzulässig, da der Kläger nicht wie erforderlich gemäß § 54 Abs. 1 S. 2 SGG als Voraussetzung einer zulässigen Klage behaupten kann, durch den angegriffenen Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung gerade hinsichtlich des von ihm geltend gemachten Rechtsschutzbegehrens beschwert zu sein (LSG Hessen, Urt. v. 27.03.2015 – L 2 R 386/14 m. w. N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 143, 144 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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