L 9 U 41/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 3389/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 41/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27. November 2018 und der Bescheid der Beklagten vom 8. April 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26. Juni 2015 werden aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 v.H. der Vollrente ab 1. Juni 2012 zu bezahlen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen einer als Berufskrankheit (BK) nach Ziffer 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV, im Folgenden: BK 2301) anerkannten Lärmschwerhörigkeit streitig.

Der 1952 geborene Kläger war von 1976 bis 2016 bei einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten als Maschinenbediener an Biege- und Stanzautomaten beschäftigt und dabei nach den Feststellungen des Präventionsdienstes der Beklagten gehörschädigendem Lärm (in der Zeit vom 20.04.1976 bis 31.12.2000 Lärmexpositionspegel von 93 dB(A), vom 01.01.2001 bis 21.01.2011 von 95 dB(A)) ausgesetzt. Mit Bescheid vom 28.03.2011 erkannte die Beklagte beim Kläger eine BK 2301 an. Ein Anspruch auf Rente wegen der BK bestehe nicht, da sie keine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zur Folge habe. Grundlage hierfür war ein Gutachten des T vom 17.02.2011, in dem dieser ausgeführt hatte, die Dauer und Intensität der Lärmarbeitszeit seien geeignet, einen Innenohrschaden zu bewirken. Zur Bewertung der MdE sei im Wesentlichen das Tonaudiogramm herangezogen worden, da aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse des Klägers das Sprachaudiogramm nicht zu verwerten sei. In der Plausibilitätsprüfung bestehe rechts eine Differenz von 20 dB und links von 15 dB. Mit einem Hörverlust links von 30 % und rechts von 45 % schätze er die MdE auf 20 v.H. T1 führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 05.03.2011 aus, die Bewertung des Tonschwellenaudiogramms nach der Tabelle von Röser 1980 durch T sei nicht völlig konsequent. Bei Heranziehung des deutlich besseren Knochenleitungshörverlaufs rechts bei fehlender Ausmessung der Luftleitung bei 1 kHz ergebe sich auch rechts nur eine geringgradige Schwerhörigkeit mit einem Hörverlust von 30 %. Das Ausmaß der Schwerhörigkeit sei beidseits als geringgradig einzustufen; hiervon ausgehend schätze er die berufsbedingte MdE auf 15 v.H. Der Staatliche Gewerbearzt stimmte in seiner Stellungnahme vom 18.05.2011 den Ausführungen von  T1 zu.

Unter dem 22.09.2014 übersandte das Betriebsarztzentrum L GmbH der Beklagten Befunde mit der Bitte um Neubewertung der MdE, da sich hieraus eine deutliche Befundverschlechterung ergebe. Aktenkundig wurden ferner ein Anpassbericht des Hörgeräte-Akustikers Z Hörgeräte – L1 -, der u.a. ein Tonaudiogramm vom 16.05.2012 enthielt. Nach einer von ihr veranlassten Kontrolluntersuchung bei L2 am 09.02.2015 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 08.04.2015 fest, dass weiterhin kein Anspruch auf Rente bestehe. Zur Begründung führte sie aus, bereits die Ergebnisse der arbeitsmedizinischen Voruntersuchungen vom 05.08.2013 und 22.09.2014 zeigten lärmuntypische Hörkurvenverläufe mit massiven Hörverlusten im Tief- und Mitteltonbereich, die Tonaudiogramme von T vom 19.09.2013 und 23.09.2013 stünden damit nicht in Einklang. In der Gesamtschau zeige sich im Vergleich zur damaligen gutachterlichen Untersuchung durch T am 14.02.2011 eine lärmuntypische sprunghafte Zunahme des Hörverlustes beidseits. Bei der Untersuchung durch L2 hätten sich pantonale Hörkurvenverläufe beidseits gezeigt, d.h. die Schwerhörigkeit umfasse alle Frequenzbereiche. Das Ausmaß der Schwerhörigkeit entspreche aktuell einer hochgradigen bis an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit, wie sie mit der beruflichen Lärmeinwirkung nicht plausibel zu erklären sei. Eine solche massive Zunahme des Hörverlustes in relativ kurzer Zeit mit erheblicher Beteiligung des lärmuntypischen Tief- und Mitteltonbereichs sei für die Entwicklung einer Lärmschwerhörigkeit nicht typisch und somit nicht wesentlich auf die Berufstätigkeit des Klägers zurückzuführen. Eine Verschlimmerung des beruflich bedingten Hörschadens sei ausgeschlossen. Eine MdE in rentenberechtigendem Grade liege damit weiterhin nicht vor.

Den dagegen mit Schreiben vom 07.05.2015 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2015 zurück. Selbst wenn nicht völlig auszuschließen sei, dass durch die potentiell gehörschädigenden Einflüsse am Arbeitsplatz eine weitere geringe Zunahme der Innenohrhochtonschwerhörigkeit gegenüber der letzten maßgeblichen Feststellung eingetreten sein könnte, so wäre eine mögliche berufsbedingte Schadenszunahme jedoch nicht von den eindeutigen außerberuflichen Hörverlusten abzugrenzen. Daher könne eine Neufeststellung der Erkrankungsfolgen nach den zur Begutachtung und Bewertung von Lärmschwerhörigkeit allgemein anerkannten Beurteilungskriterien der Königsteiner Empfehlungen nicht vorgenommen werden.

Hiergegen hat der Kläger am 27.07.2015 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und vorgetragen, die Schwerhörigkeit und insbesondere die zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung der Schwerhörigkeit sei ganz allein berufsbedingt. Sie sei darauf zurückzuführen, dass sein Arbeitgeber für den Gehörschutz nichts Konkretes veranlasse. Es sei davon auszugehen, dass eine erhebliche Verschlechterung der Hörfähigkeit allein durch die berufsbedingten Lärmquellen festzustellen sei. Diese führe zu einer MdE von mindestens 20 v.H., so dass ein Rentenanspruch bestehe.

Im Rahmen der Beweisaufnahme hat das SG Gutachten bei D sowie auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei R eingeholt.

D hat in seinem Gutachten vom 15.02.2016 ausgeführt, aufgrund der Entwicklung der Hörminderung des Klägers bis zum Jahr 2010 könne ein geringfügiger Ursachenanteil der BK an dem Gesamtausmaß der jetzt bestehenden Schwerhörigkeit nicht ausgeschlossen werden. Es sei ein individueller Beurteilungsschallpegel von 90 dB(A) während der gesamten Berufstätigkeit bestätigt und bis zum Jahr 2010 sei auch die Entwicklung der Schwerhörigkeit als insgesamt mit der Annahme einer lärmbedingten Genese vereinbar zu betrachten. Werte man das Tonaudiogramm vom 27.09.2010 entsprechend der Tabelle nach Röser 1980 unter Berücksichtigung der Knochenleitungswerte aus, so ergebe sich ein MdE-Schätzwert von unter 10 v.H. Schließe man sich den Auswertungskriterien der beratungsärztlichen Stellungnahme von T1 an, so könne sich sogar ein MdE-Schätzwert von 15 v.H. ergeben. Eine rentenberechtigende MdE von mindestens 20 v.H. sei allerdings bis zu diesem Zeitpunkt nach immerhin 34 Jahren beruflicher Lärmexposition nicht erreicht. Die nach 2010 eingetretene Hörverschlechterung und insbesondere die anschließend vor zwei oder drei Jahren einsetzende erhebliche Verschlechterung beider Ohren, die zwischenzeitlich zu einer praktischen Ertaubung des linken Ohres geführt habe, sei nicht mit der Annahme einer beruflich bedingten Beeinträchtigung erklärbar, da die gleichmäßig auf beide Ohren einwirkende Lärmexposition keine unterschiedlich schädigende Wirkung auf beide Ohren erklären könne. Weiterhin könne als gesichert gelten, dass durch Lärmeinwirkung allein grundsätzlich keine Schwerhörigkeitsgrade im Sinne einer praktischen Ertaubung erreicht werden könnten und dass Lärmschwerhörigkeit immer einen gleichmäßigen Verlauf aufweisen müsse, der im vorliegenden Fall nicht gegeben sei. Die zwischenzeitlich erreichte Schwerhörigkeit beiderseits müsse somit als weit überwiegend lärmunabhängig verursacht gelten; eine MdE rentenberechtigenden Grades bestehe aufgrund der berufsbedingten Lärmeinwirkung nicht.

R hat in seinem Gutachten vom 06.10.2017 und in einer ergänzenden Stellungnahme vom 10.04.2018 ausgeführt, der Kläger habe durchgehend in lärmgefährdeten Bereichen gearbeitet, die laut Feststellung der Beklagten mit einem Lärmexpositionspegel von 93 dB(A) in den Jahren von 1976 bis 2000 sowie 95 dB(A) in den Jahren 2001 bis 2011 (und vermutlich bis zum Berufsende 2016 fortbestehend) Expositionspegel von deutlich über 80 dB(A) aufwiesen. Es bestehe eine Schwerhörigkeit beidseits, die sich langsam über Jahre entwickelt habe und die tonaudiometrisch in den allermeisten Audiogrammen, die seit dem Jahr 1978 regelmäßig angefertigt worden seien, typische Zeichen einer sich allmählich verschlechternden Lärmschwerhörigkeit zeigten. Es bestehe aufgrund der als BK 2301 anerkannten Gesundheitsstörung eine MdE. Bis 2013 seien die im Tonaudiogramm zu sehenden Höreinbußen annähernd symmetrisch gewesen. Erstmals sei auf der linken Seite subjektiv eine funktionelle Surditas bei der Messung am 18.03.2015 angegeben worden. Dies sei durch D am 15.02.2016 und in der eigenen gutachterlichen Untersuchung bestätigt worden. Diese Asymmetrie und die Surditas links seien nicht als lärmbedingt einzuschätzen. Jedoch werde die sich langsam über die Jahre entwickelnde symmetrische Schwerhörigkeit als lärmbedingt eingeschätzt. Da der Kläger jahrzehntelang vergleichsweise hohen Lärmpegeln ausgesetzt gewesen sei, sei auch die allmähliche Mitbeteiligung des Tieftonbereichs beidseits als lärmbedingt einzuschätzen, wie dies auch in der graphischen Darstellung von Pfeiffer 1985 abzulesen sei. Insofern sei die MdE-Bewertung von zunächst 20 v.H. ab 2010 und von 30 v.H. ab 2013 als korrekt anzunehmen.

Mit Urteil vom 27.11.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Die – näher dargelegten – Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente seien nicht erfüllt. Die Folgen der anerkannten BK bedingten keine MdE um mindestens 20 v.H. Bei der Beurteilung der MdE könne die seit 2011 eingetretene Verschlimmerung nicht berücksichtigt werden, weil sie nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit rechtlich wesentlich auf die Lärmeinwirkung am Arbeitsplatz ursächlich zurückzuführen sei. Das SG folge insoweit der Einschätzung des Sachverständigen D, der – in Übereinstimmung mit R und in Einklang mit den übrigen aktenkundigen Befunden – eine beiderseits pantonal ausgeprägte Schallempfindungsschwerhörigkeit mit deutlicher Betonung der linken Seite festgestellt habe. Die Einschätzung von D, wonach diese mit Wahrscheinlichkeit weit überwiegend lärmunabhängig verursacht worden sei und eine MdE rentenberechtigenden Grades aufgrund der berufsbedingten Lärmeinwirkung nicht bestehe, sei überzeugend. Eine berufliche Ursache sei mit dem Befundverlauf, der asymmetrischen Entwicklung und der inzwischen an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr nicht vereinbar. Schließlich seien mögliche andere Ursachen der Verschlechterung des Gehörs seit 2011 in Form einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, einer Bluthochdruckerkrankung und einer Fettstoffwechselstörung des Klägers nachgewiesen. Die Einschätzung des R habe demgegenüber nicht zu überzeugen vermocht. R habe D lediglich insoweit zugestimmt, als die funktionelle Taubheit links nicht als lärmbedingt einzuschätzen sei, während die symmetrische Zunahme der Schwerhörigkeit, insbesondere auch die allmähliche Mitbeteiligung des Tieftonbereichs, Folgen der Lärmeinwirkung seien. Dies habe er im Wesentlichen allein mit der unstreitig ganz erheblichen und jahrzehntelangen Lärmeinwirkung am Arbeitsplatz des Klägers begründet, ohne die differenzierten Argumente des D gegen eine Lärmursache (Befundverlauf, Asymmetrie und Ausmaß des Gehörschadens sowie alternative, lärmunabhängige Ursachen) zu entkräften.

Gegen das ihm am 03.12.2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.12.2018 Berufung eingelegt. Obwohl R im Rahmen seiner Beurteilung davon ausgehe, dass eine arbeitsplatzbedingte Schwerhörigkeit mit voller Kausalität festzustellen sei, weiche das SG von diesen Feststellungen ab, mit dem Argument, hier würde eine fachlich unzulängliche Aussage ohne die entsprechenden Prüfungen in den Raum gestellt. Dies sei wenig nachvollziehbar, da die Ausführungen des Sachverständigen R umfänglich und nachvollziehbar seien. Die Exploration durch R sei wissenschaftlich lückenlos und auch nachvollziehbar. Die Arbeitsplatzsituation sei wie folgt zu beschreiben: er habe praktisch an einem Band gearbeitet, bei dem drei Stanzautomaten vor ihm und rechts vor ihm positioniert gewesen seien. Die Arbeiten beinhalteten auch die Beobachtung des Produktionsablaufs, zu der er sich mit dem Kopf immer nach rechts abwenden musste, d. h. die Gehörbelastung auf dem linken Ohr sei wesentlich größer gewesen als auf dem rechten. Es sei festzustellen, dass der Kläger an seinem früheren Arbeitsplatz den Kopf Blick nach geradeaus und rechts drehend zum Arbeitsplatz positioniert gehabt habe. Durch die Rechtsdrehung sei das linke Ohr unmittelbar mit den recht lauten Stanzmaschinen im Bereich des Bandes belastet worden, so dass auch eine stärkere Lärmbelastung des linken Ohres nachvollziehbar sei. Im Ergebnis komme man somit zu den Ausführungen des R, d.h. von einer lärmbedingten Schwerhörigkeit, verstärkt auf dem linken Ohr, sei daher auszugehen. Auch die frühere Arbeitgeberin des Klägers habe sich um die Lärmbelästigung bei den Mitarbeitern gesorgt, was sich darin zeige, dass regelmäßig Untersuchungen von der BG und von der Arbeitgeberseite durchgeführt worden seien. Die Einschätzung des D, wonach eine MdE von 15 v.H. möglich sei, sei zynisch. Weiter bleibe zu berücksichtigen, dass R festgestellt habe, dass bis zu den von T im September 2013 angefertigten Audiogrammen die Schwerhörigkeit beidseits annähernd symmetrisch dokumentiert sei. Auch hieraus zeige sich, dass von einer beidseits schwerwiegenden Hörstörung auszugehen sei, die alleine durch die Lärmemission im Arbeitsbetrieb hervorgerufen worden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27. November 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 8. April 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26. Juni 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf den Inhalt der Akte und das erstinstanzliche Urteil. Zu der im Berufungsverfahren vorgetragenen Beschreibung des Produktionsverlaufs trägt die Beklagte unter Hinweis auf die unfallmedizinische Fachliteratur vor, eine einseitige Lärmbelastung als Ursache für einen asymmetrischen Hörbefund sei selten und nur plausibel, wenn die Lärmquelle immer sehr nahe am Ohr gewesen sei. Ein solcher Arbeitsplatz dürfte beim Kläger nicht anzunehmen sein. Bei Arbeiten mit handgeführten Werkzeugen (Schlagbohrmaschinen, Naglern, Bolzensetzern) werde der Lärm in aller Regel von einer punktförmigen Schallquelle in Kopfnähe (Entfernung ca. 50 cm) erzeugt. In diesen Fällen sei zu erwarten, dass die interauralen Pegeldifferenzen wegen des größeren Abstands des abgewandten Ohres zur Schallquelle größer seien als in einem freien Schallfeld. Daraus ergebe sich, dass eine ggf. vorhandene Seitendifferenz bei Lärmbelastung mit zunehmendem Abstand von der Lärmquelle abnehmen müsse. Im diffusen Schallfeld sei die interaurale Pegeldifferenz daher gleich Null. Asymmetrische Hörschäden aufgrund seitendifferenter Lärmbelastung setzten auch seitendifferente Tages-Lärmexpositionspegel über die Acht-Stunden-Schicht voraus. Diese könnten nur auftreten, wenn der Kopf über den wesentlichen Teil der Arbeitszeit in ungefähr demselben Winkel zur Schalleinfallsrichtung gehalten werde, und wenn zeitweise auftretende, zusätzliche, gerichtete Schalleinwirkungen die Seitendifferenz nicht aufheben. Diese Bedingungen erfüllten erwartungsgemäß nur sehr wenige Beschäftigte. Auch bei Arbeitsplätzen an feststehenden Maschinen (Drehmaschine, mechanische Pressen, Ständerbohrmaschinen, Baustellenkreissäge) sei zu berücksichtigen, dass es sich um Schallquellen mit größeren Abmessungen handle, die sich zum Teil aus mehreren Einzelstrahlern zusammensetzten und daher diffusen Lärm abstrahlten. Deshalb sei in derartigen Fällen mit verhältnismäßig geringen Seitendifferenzen (um 0 dB) zu rechnen. Schließlich werde darauf hingewiesen, dass das Hörvermögen des Klägers bis 2011 auf dem linken Ohr besser als rechts gewesen sei. 2015 habe sich dann eine pantonale Schwerhörigkeit von 70 bis 95 dB rechts sowie eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit bzw. praktische Ertaubung auf der linken Seite gezeigt. Dies sei nicht mit einer beruflich bedingten Beeinträchtigung erklärbar.

Der Senat hat Z1 mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers hat er in seinem Gutachten vom 08.12.2021 ausgeführt, bei dem Kläger bestehe eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits. Unzweifelhaft lasse sich eine Teil-MdE von 15 v.H. als überwiegend berufslärmbedingt abgrenzen. Diese sei nicht überwiegend in Bezug auf die Gesamt-MdE von 30 v.H. Der jetzige Gesamthörverlust, umgerechnet in eine MdE, ergebe auf der Grundlage des Tonschwellenaudiogramms eine MdE von 30 v.H. Es stelle sich die Frage, ob nach 2011 der Anteil der nichtberufslärmbedingten schicksalshaften Erkrankung in einem Ausmaß zugenommen habe, dass die nicht berufslärmbedingte Ursache den überwiegenden Anteil der gesamten Schwerhörigkeit verursacht habe. Wenn die MdE heute 30 v.H. betrage und die MdE 2011 für die berufsbedingte Lärmeinwirkung 15 v.H. betragen habe, dann seien diese 15 v.H. exakt die Hälfte und damit eben nicht überwiegend. Es sei davon auszugehen, dass auch in den Jahren bis 2011 nicht berufslärmbedingte nichtüberwiegende Anteile der zunehmenden Schwerhörigkeit mitursächlich gewesen seien. Dementsprechend sinke der Anteil des Lärms an der heutigen Gesamtschwerhörigkeit auf weniger als die Hälfte. In der Verschlimmerung seit 2011 fänden sich auch nichtüberwiegende Anteile von Lärm als Ursache. Die jeweils nicht überwiegenden Ursachen-Anteile werde man als gleich einschätzen, so dass im Ergebnis bei Betrachtung der heutigen Schwerhörigkeit die MdE von 30 v.H. zur Hälfte auf den Berufslärm zurückzuführen und damit eben nicht überwiegend sei. Andererseits lasse sich ärztlich unzweifelhaft eine Teil-MdE von 15 v.H. als überwiegend berufslärmbedingt abgrenzen.

Der Kläger hat gegen das Gutachten des Z1 Einwände vorgebracht. Insoweit wird auf den Schriftsatz des Klägervertreters vom 08.06.2022 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.


Gegenstand des Rechtsstreits ist nach der Anerkennung der Lärmschwerhörigkeit des Klägers als BK 2301 mit Bescheid vom 28.03.2011 der zulässigerweise mit einer Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) verfolgte Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente. Den Antrag, festzustellen, dass die Lärmschwerhörigkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Lärmeinwirkung am Arbeitsplatz zurückzuführen ist, hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht weiterverfolgt.

Das SG hat die auf die Gewährung einer Verletztenrente gerichtete Klage mit Urteil vom 27.11.2018 zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 08.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger steht als Folge der anerkannten BK 2301 ab dem 01.06.2012 eine Verletztenrente nach einer MdE um 25 v.H. zu.

Anspruchsgrundlage für die Gewährung einer Verletztenrente ist § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (Stützrententatbestand). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Die MdE richtet sich gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 R -, Juris): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Für die Bewertung einer unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Bemessung der MdE wird vom BSG in ständiger Rechtsprechung als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG, Urteile vom 05.09.2006 - B 2 U 25/05 R -, vom 02.05.2001 - B 2 U 24/00 R -, Juris). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG, Urteile vom 14.11.1984 - 9b RU 38/84 -, vom 30.06.1998 - B 2 U 41/97 R -, Juris). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG, Urteil vom 02.05.2001 - B 2 U 24/00 R -, Juris). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 R -, Juris). Die Erfahrungswerte bilden in der Regel die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, die aber nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind (BSG, Urteile vom 26.06.1985 - 2 RU 60/84 -, vom 26.11.1987 - 2 RU 22/87 -, vom 30.06.1998 - B 2 U 41/97 R -, vom 18.03.2003 - B 2 U 31/02 R - vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 -, Juris). Die Feststellung der Höhe der MdE als tatsächliche Feststellung erfordert stets die Würdigung der hierfür notwendigen Beweismittel im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG (BSG, Urteile vom 13.09.2005 - B 2 U 4/04 -, vom 02.05.2001 - B 2 U 24/00 R -, und vom 18.03.2003 - B 2 U 31/02 R-, Juris).

Für die Bewertung der MdE aufgrund der mit Bescheid vom 28.03.2011 bestandskräftig anerkannten BK 2301 ist das lärmbedingte Ausmaß der Innenohrschwerhörigkeit maßgebend.

Bei der Beurteilung des Schweregrades einer durch beruflichen Lärm verursachten Schwerhörigkeit und auch für die Ermittlung der hierdurch bedingten MdE ist es gerichtliche Praxis und auch Praxis des Senats, die Grundsätze und Tabellen heranzuziehen, wie sie in der „Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit (BK 2301)“ – Königsteiner Empfehlung – (in der Fassung des Updates 2020) niedergelegt sind. Auch die am Verfahren beteiligten Sachverständigen und der von der Beklagten hinzugezogene Beratungsarzt haben sich an diesen Empfehlungen orientiert.

Voraussetzung für die Anerkennung eines Gehörschadens im Einzelfall ist der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und einer arbeitsbedingten Lärmeinwirkung (Einwirkungskausalität) sowie der ursächliche Zusammenhang zwischen der Lärmeinwirkung und dem Gehörschaden (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. hierzu und zum Folgenden Königsteiner Empfehlung, S. 27 ff., 4.2). Ein Zusammenhang zwischen der arbeitsbedingten Lärmexposition und der Schwerhörigkeit ist als wahrscheinlich anzusehen, wenn mehr Gesichtspunkte dafür als dagegensprechen. Grundsätzlich sind bei der MdE-Einschätzung abgrenzbare Anteile der Schwerhörigkeit nur dann außer Betracht zu lassen, wenn sie nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine arbeitsbedingte Lärmeinwirkung zurückgeführt werden können. Dies ist beispielsweise bei Schallleitungsstörungen, wannenförmiger Tieftonschwerhörigkeit oder einer mit der arbeitsbedingten Lärmexposition nicht kohärenten Entwicklung der Hörminderung der Fall. Ist die Abgrenzung von nicht arbeitsbedingten Anteilen einer Schwerhörigkeit nicht sicher möglich, ist die gesamte Schwerhörigkeit der BK 2301 zuzuordnen oder zu verwerfen. Für die Annahme des Ursachenzusammenhangs spricht im Wesentlichen, wenn sich die Hörstörung während der Lärmexposition entwickelt hat, es sich um eine reine Innenohrschwerhörigkeit (Hörstörung der Sinneszellen des Innenohres) mit Betonung des Hörverlustes in den hohen Frequenzen (c5-Senke) handelt und das Ausmaß und die Entwicklung der Hörstörung in adäquatem Verhältnis zur Lärmeinwirkung stehen.

Der Senat stellt zunächst fest, dass bei dem Kläger beidseits eine Innenohrschwerhörigkeit vorliegt. Dies ist sämtlichen vorliegenden Gutachten und Befundberichten zu entnehmen und zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Darüber hinaus wird auf Grundlage der Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten festgestellt, dass der Kläger während seiner versicherten Berufstätigkeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII) von 1976 bis 2016 gehörschädigendem Lärm ausgesetzt war. Aus der Dosisberechnung BK 2301 der Arbeitsplatzbegutachterin H vom 21.01.2011 ergibt sich in der Zeit vom 20.04.1976 bis 31.12.2000 ein Lärmexpositionspegel von 93 dB(A) und in der Zeit vom 01.01.2001 bis 21.01.2011 von 95 dB(A). Ausgehend davon, dass sich der Arbeitsplatz des Klägers bis zum Berufsende 2016 nicht verändert hat, steht für den Senat fest, dass der Kläger auch in der Zeit von 2011 bis zum Ende der Berufstätigkeit 2016 Lärm von 95 dB(A) ausgesetzt und damit potentiell gehörschädigend tätig war (vgl. hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., Seite 347).

Das lärmbedingte Ausmaß der Innenohrschwerhörigkeit rechtfertigt zur Überzeugung des Senats ab dem 16.05.2012 eine MdE von 25 v.H., so dass ein Anspruch auf Verletztenrente ab dem 01.06.2012 (§ 73 Abs. 1 SGB VII in analoger Anwendung) besteht.

Der Senat ist unter Berücksichtigung der eingeholten Gutachten, nach Auswertung der vorliegenden Tonaudiogramme und unter Berücksichtigung o.g. Grundsätze zu der Überzeugung gelangt, dass das Ausmaß der gesamten Schwerhörigkeit des Klägers bis Mai 2012 noch als lärmbedingt anzusehen ist, jedenfalls ab August 2013 aber ein abgrenzbarer, nicht mehr als lärmbedingter Anteil der Schwerhörigkeit festgestellt werden kann.

Unter Berücksichtigung der genannten Grundsätze ist Z1 in Übereinstimmung mit D und T1 für den Senat überzeugend zu der Einschätzung gelangt, dass sich die Schwerhörigkeit mindestens bis zum Jahr 2011 in der Weise entwickelte, dass die Annahme einer beiderseits geringgradigen lärmbedingten Schwerhörigkeit als hinreichend gesichert anzunehmen war. Die genannten Kriterien können grundsätzlich nach übereinstimmender Einschätzung aller Sachverständigen bis zu diesem Zeitpunkt als erfüllt angesehen werden. Dazu gehören die Nachweise äußerer Haarzellenschäden in Form eines objektiven Metz-Recruitments, einer objektiven Reduktion otoakustischer Emissionen, einer Rechts-Links-Symmetrie und eines fehlenden auffälligen Tieftonverlustes. T1 führt in seiner Stellungnahme vom 05.03.2011 nach Auswertung der seit 1978 vorliegenden Tonschwellenaudiogramme aus, dass zunächst eine klassische c5-Senke, die sich in der Folge verbreitert und vertieft hat, bestand, recht bald allerdings eine Rechtsbetonung erkennbar war. Das Ausmaß der Rechtsbetonung bewegte sich 2011 aber nach seiner Einschätzung noch in einer Dimension, die gerade eben noch mit den Differenzen, wie sie auch bei rein lärmbedingter Schwerhörigkeit vorkommen, zu erklären ist. Da auch im Rahmen der Begutachtung durch T tonschwellenaudiometrisch, belegt durch das Metz-Recruitment, die fehlenden otoakustischen Emissionen im Hochtonbereich bei normaler BERA und den Carhard-Test von einem Haarzellschaden auszugehen war, gelangt T1 im Ergebnis für den Senat nachvollziehbar und überzeugend und letztlich in Übereinstimmung mit Z1 und D zu der Einschätzung, dass die zum damaligen Zeitpunkt (2011) festzustellende Gesamtschwerhörigkeit als lärmbedingt einzustufen ist.

Auf der Grundlage der im Jahr 2011 durchgeführten Hörprüfungen war die MdE mit 15 v.H. zu bewerten. Hinsichtlich der Höhe der MdE im Jahr 2011 schließt sich der Senat nach eigener Auswertung der vorliegenden Tonaudiogramme der Einschätzung von Z1 und T1 an. Zur quantitativen Bewertung der Schwerhörigkeit ist zwar grundsätzlich vorrangig das Sprachaudiogramm heranzuziehen; wenn die sprachaudiometrische Untersuchung keine verlässlichen Werte ergeben hat, z.B. weil die versicherte Person – wie der Kläger – nur über geringe Deutschkenntnisse verfügt oder weil bei einem Aktengutachten ein verlässliches Sprachaudiogramm nicht vorliegt, kann der prozentuale Hörverlust auch aus dem Tonaudiogramm nach der Drei-Frequenz-Tabelle (nach Röser, 1980, modifiziert nach Brusis, 2017 – vgl. Königsteiner Empfehlung Ziff. 4.3.2) ermittelt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass für die Feststellung des Grades der Schwerhörigkeit bei Vorliegen einer relevanten Schallleitungskomponente (Mittelohrschwerhörigkeit) nur über die Knochenleitung gemessene Hörschwellen, in denen die reine Innenohrhörleistung zum Ausdruck kommt, zugrunde gelegt werden dürfen. Ist der Hörverlust bei 4 kHz größer als bei 3 kHz, ist beim Ablesen des Hörverlustes aus dem Tonaudiogramm der bei 4 kHz gemessene Wert, anderenfalls ist der Wert bei 3 kHz zugrunde zu legen (Königsteiner Empfehlung, Update 2020, S. 29 ff. 4.3 ff.; Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, Hrsg. Feldmann/Brusis, 8. Aufl., 2019, S. 154). Unter Zugrundelegung der Drei-Frequenz-Tabelle (Röser, 1980; modifiziert nach Brusis, 2017) und des links bei 4 kHz gemessenen Wertes, der schlechter ist als diejenigen bei 3 kHz, ergibt sich bei Auswertung des Tonaudiogramms des T vom 14.02.2011 links ein prozentualer Hörverlust von 30 % (1 kHz 30 dB, 2 +4 kHz (45 dB + 60 dB) = 105 dB), rechts von 35 % (1 kHz 30 dB, 2 + 3 kHz (60 dB + 70 dB) = 130 dB). Hinsichtlich der Auswertung des Tonschwellenaudiogramms vom 14.02.2011 folgt der Senat den Einwänden des T1, wonach zu berücksichtigen ist, dass die Werte bei der Knochenleitungsmessung auf dem rechten Ohr zumindest bei 1 kHz und bei 1,5 kHz um 10 bzw. 15 dB besser waren als bei der Luftleitungsmessung, wobei der Luftleitungsmesspunkt für 1 kHz nicht eingetragen ist, so dass es laut T1 naheliegend scheint, dass dieser Wert im Zuge einer Kurvenglättung extrapoliert wurde. Dadurch wird, wie T1 ausführt, die Seitendifferenz zwischen rechts und links einerseits geringer, was die alleinige Lärmgenese der Schwerhörigkeit untermauert, andererseits muss dies bei der Bewertung des Ausmaßes der Schwerhörigkeit nach der der Drei-Frequenz-Tabelle (Röser, 1980; modifiziert nach Brusis 2017) berücksichtigt werden. T1 führt auch überzeugend aus, dass das Vorgehen von T, der bei seiner Auswertung zum Teil die Luftleitungskurve und nicht die Knochenleitungskurve als Bezug herangezogen hat, nicht konsequent ist. Bei durchgehender Heranziehung der Knochenleitungskurve als Bezug ist der Hörverlust bei 1 Hz mit 30 dB und in der Summe bei 2 und 3 kHz mit 130 dB festzustellen, woraus sich nach der Drei-Frequenz Tabelle (Röser, 1980; modifiziert nach Brusis 2017) auch rechts lediglich ein prozentualer Hörverlust von 35 % statt – wie durch T angenommen – von 45 % errechnet. Ein prozentualer Hörverlust links von 30 % und rechts von 35 % entspricht beidseits einer geringgradigen Schwerhörigkeit, was nach der Tabelle 3 der Königsteiner Empfehlung (Update 2020, Seite 36, Tabelle zur Ermittlung von MdE/GdB/GdS aus den Schwerhörigkeitsgraden beider Ohren - Feldmann, 1995) eine MdE von lediglich 15 v.H. und damit keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente rechtfertigt. Zu dieser MdE-Bewertung sind für den Senat überzeugend auch T1 und Z1 gelangt. Damit war die Ablehnung der Gewährung einer Rente im – bestandskräftigen – Bescheid vom 28.03.2011 nicht zu beanstanden.

Soweit sich nach Einschätzung aller gehörten Sachverständigen die Schwerhörigkeit bei weiterbestehender und gleichbleibender beruflicher Lärmexposition nach 2011 deutlich verschlechtert hat, vermochte der Senat einen abgrenzbaren, lärmunabhängigen Anteil der bestehenden Schwerhörigkeit lediglich für die Zeit ab September 2013 feststellen.

In einem durch T im September 2013 angefertigten Tonaudiogramm ist rechts ein prozentualer Hörverlust von 75 % und links von 55 % (jeweils nach der Drei-Frequenz-Tabelle - Röser, 1980; modifiziert nach Brusis, 2017) dokumentiert, was nach Tabelle 3 der Königsteiner Empfehlung (Feldmann, 1995) rechts einer bereits hochgradigen, links einer mittelgradigen Schwerhörigkeit entspricht. D hat bei der Auswertung des von ihm erstellten Tonaudiogramms vom 09.02.2016 rechts einen prozentualen Hörverlust von 45 % und links von 100 % (jeweils nach der Drei-Frequenz-Tabelle - Röser, 1980; modifiziert nach Brusis 2017) ermittelt, was nach der Tabelle 3 der Königsteiner Empfehlung (Feldmann, 1995) rechts einer mittelgradigen Schwerhörigkeit und links einer Taubheit entspricht. Zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Z1 am 13.10.2021 zeigte sich in der Tonschwellenaudiometrie beidseits eine Schallempfindungsschwerhörigkeit links ausgeprägter als rechts mit einem Hörverlust rechts von 50 % und links von 80 % (jeweils nach der Drei-Frequenz-Tabelle - Röser, 1980; modifiziert nach Brusis 2017), was links einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit und rechts einer mittel- bis hochgradigen Schwerhörigkeit entspricht.

Das so festgestellte Hörvermögen lässt sich in Übereinstimmung mit D und Z1 – und letztlich auch R – dargelegt, nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die arbeitsbedingte Lärmexposition zurückführen.

Dabei ist nicht entscheidend, dass sich auch zum Zeitpunkt der zuletzt durchgeführten gutachterlichen Untersuchung durch Z1 am 13.10.2021 noch die Nachweise äußerer Haarzellschäden in Form von objektivem Merz-Recruitment und objektiver Reduktion otoakustischer Emissionen feststellen ließen, was für eine lärmbedingte Schädigung spricht. Die jedenfalls seit September 2013 vorliegenden Tonaudiogramme zeigen aber, wie Z1 – insoweit in Übereinstimmung mit D und auch
R – überzeugend darlegt, eine Qualität und ein Ausmaß des Hörverlustes, der zu dem Schluss führt, dass die insoweit festzustellende Verschlimmerung der Lärmschwerhörigkeit überwiegend – und abgrenzbar – nicht auf die berufliche Lärmeinwirkung zurückzuführen ist.

Wie Z1 und D überzeugend darlegen, spricht gegen eine lärmbedingte Zunahme der Schädigung zunächst die in den Audiogrammen seit 2013 festzustellende fehlende Symmetrie der Schwerhörigkeit. Nach der sozialmedizinischen Fachliteratur (vgl. auch zum Folgenden: Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, Hrsg. Feldmann/Brusis, a.a.O., Seite 295 ff.) kann zwar nicht allein mit Hinweis auf die typischerweise zu erwartende Symmetrie der Hörbefunde gefolgert werden, dass auf dem schlechteren Ohr ein nicht lärmbedingter Mitwirkungsfaktor vorgelegen haben müsse, so dass nur eine dem besseren Ohr entsprechende beidseitige Hörschädigung als berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit anzuerkennen wäre. Die hiermit unterstellte nicht lärmbedingte Ätiologie muss vielmehr im Sinne eines Vollbeweises, also zweifelsfrei, nachgewiesen sein, wenn der hierdurch verursachte Anteil der Schwerhörigkeit von dem berufsbedingten Anteil abgegrenzt werden soll. Eine einseitige Lärmbelastung als Ursache für einen asymmetrischen Hörbefund ist selten und nur plausibel, wenn die Lärmquelle immer sehr nahe an einem Ohr war. Dies war bei dem Kläger nicht der Fall. Nach der Arbeitsplatzbeschreibung des Klägers im Berufungsverfahren arbeitete er an einem Band, bei dem drei Stanzautomaten vor ihm und rechts von ihm positioniert waren. Die Arbeiten beinhalteten auch die Beobachtung des Produktionsablaufs, zu der er sich mit dem Kopf immer nach rechts wenden musste, so dass die Gehörbelastung auf dem linken Ohr wesentlich größer gewesen sei als auf dem rechten. Eine einseitige Lärmbelastung, die die zwischenzeitlich unterschiedliche Ausprägung der Lärmbelastung erklären würde, ist damit nach der unfallmedizinischen Fachliteratur nicht gegeben. Für die Entwicklung von Gehörschäden durch Lärmeinwirkung ist der Tages-Lärmexpositionspegel als der längerfristig typische, auf die Acht-Stunden-Schicht bezogene Mittelungspegel maßgebend. Asymmetrische Hörschäden aufgrund seitendifferenter Lärmbelastungen setzen auch seitendifferente Tages-Lärmexpositionspegel über die Acht-Stunden-Schicht voraus. Diese können jedoch nur dann auftreten, wenn der Kopf über den wesentlichen Teil der Arbeitszeit in ungefähr demselben Winkel zu Schalleinfallsrichtung gehalten wird und wenn zeitweise auftretende, zusätzliche, gerichtete Schalleinwirkungen die Seitendifferenz nicht aufheben. Diese Bedingungen erfüllen nur sehr wenige Beschäftigte. Etwas häufiger treten dagegen tägliche gerichtete Kurzzeitexpositionen (z.B. Kontroll- oder Wartungsarbeiten in der Nähe einer Schallquelle) von Beschäftigten auf, die während der restlichen Arbeitszeit symmetrisch in diffusen Schallfeldern belastet werden (Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, Hrsg. Feldmann/Brusis, a.a.O., Seite. 296). Nach seiner eigenen Arbeitsplatzbeschreibung war der Kläger nicht über die ganze Schicht hinweg einem seitendifferenten Lärmpegel ausgesetzt, sondern lediglich kurzzeitig, wenn er den Produktionsablauf beobachtet hat. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass das Hörvermögen auf dem linken – nach der Arbeitsplatzbeschreibung verstärkt der Lärmquelle zugewandten – Ohr bis 2011 besser als rechts war. Erstmals im Tonaudiogramm vom 12.05.2012 ist rechts und links ein übereinstimmender Hörverlust feststellbar, anschließend ist eine deutliche Verschlechterung des Hörvermögens links dokumentiert. Die asymmetrische Entwicklung der Schwerhörigkeit ist daher auch für den Senat nicht mit einer seitendifferenten Lärmbelastung erklärbar. Da eine seitendifferente Lärmschwerhörigkeit durch seitendifferente Lärmbelastung aber ohnehin ein sehr seltenes Ereignis ist, wird bei einer Seitendifferenz in der Regel eine seitenungleiche Lärmempfindlichkeit der beiden Ohren auf anatomischer Grundlage postuliert (Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, Hrsg. Feldmann/Brusis, a.a.O., Seite. 295). Z1 weist in Übereinstimmung mit der unfallmedizinischen Fachliteratur, wonach der Seitenunterschied nie einen Schwerhörigkeitsgrad von 20 % überschreiten sollte (Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, Hrsg. Feldmann/Brusis, a.a.O., Seite 299), darauf hin, dass bereits aufgrund der großen Hörverlustdifferenz von 30 % zu schließen ist, dass der überwiegende Teil der vorliegenden Verschlimmerung der Schwerhörigkeit schicksalsbedingt und damit unabhängig vom Lärm des Arbeitsplatzes ist.

Hinzu kommt, dass die links vorliegende Innenohrschwerhörigkeit nicht nur den Mittel- und Hochfrequenzbereich, sondern auch den Tieffrequenzbereich umfasst. Dieser Tieffrequenzhörverlust ist, wie Z1 in Übereinstimmung mit D ausführt, untypisch für einen Lärmschaden. Ein Lärmschaden beginnt nach den Angaben des Sachverständigen Z1 typischerweise bei 4 kHz, also im Hochtonbereich, und breitet sich dann zu höheren und tieferen Tönen aus, umfasst jedoch typischerweise nicht die Frequenzen bis 1 kHz. Die tiefen Töne sind jedoch beim Kläger am linken Ohr in großem Maße mitbetroffen. Zwar können leichte Hörverluste im tiefen und mittleren Frequenzbereich ebenfalls lärmbedingt sein. Sie sind jedoch erst nach jahre- bzw. jahrzehntelanger und erheblicher Lärmbelastung denkbar (Königsteiner Empfehlung, Update 2020, Seite 28). Gegen einen beruflichen Zusammenhang der Verschlechterung spricht darüber hinaus die starke Ausprägung der Hörstörung des Klägers, die links praktisch einer Taubheit gleichkommt und rechts inzwischen als mittel- bis hochgradig anzusehen ist. Eine solche Hörstörung steht nach dem aktuellen medizinischen Wissens- und Meinungsstand der Annahme eines rechtlich wesentlichen Zusammenhangs mit Lärmeinwirkungen entgegen. Danach erreicht eine Lärmschwerhörigkeit im Regelfall nicht das Ausmaß der Mittelgradigkeit, sie überschreitet jedenfalls im Regelfall die Mittel- bis Hochgradigkeit nicht. Eine hochgradige Innenohrschwerhörigkeit allein durch Lärmeinwirkung ist nahezu ausgeschlossen. Übereinstimmung besteht, dass Ertaubung auch nach vielen Jahren sehr hoher Lärmbelastung durch eine chronische Lärmeinwirkung nicht entsteht (vgl. hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 343 f.). Daher wird bezüglich der linksseitig aufgetretenen praktischen Ertaubung eine lärmbedingte Verursachung der Verschlechterung durch alle Sachverständigen (auch durch R) ausgeschlossen.

Eine berufliche Ursache der Verschlechterung ist darüber hinaus nach den überzeugenden Ausführungen von D auch mit dem Befundverlauf nicht vereinbar. Während es bis 2011 nach 35 Jahren erheblicher beruflicher Lärmexposition lediglich zu einem relativ geringfügigen und über die Jahre stabilen Hörverlust gekommen war, trat anschließend innerhalb von nur zwei bis drei Jahren eine beiderseitige dramatische Hörverschlechterung ein. Nach Einschätzung des Sachverständigen D unterscheidet sich die nach 2010 einsetzende Verschlechterung beider Ohren und insbesondere die zwischenzeitlich linksseitig aufgetretene praktische Verschlechterung in so auffälliger Weise von dem bis dahin beobachteten Verlauf einer sich seit 1978 (so auch die Einschätzung von R) langsam entwickelnden Schwerhörigkeit, dass mit hoher Zuverlässigkeit eine lärmbedingte Verursachung der sich bei den jeweiligen Begutachtungen zeigenden Hörstörung ausgeschlossen werden kann. Diese Einschätzung ist für den Senat nachvollziehbar und überzeugend, insbesondere, da sie sich mit der unfallmedizinischen Fachliteratur deckt, wonach sich Hörverluste bei – wie hier im Wesentlichen – gleichbleibender Lärmbelastung in den ersten Jahren schneller und später langsamer entwickeln (Königsteiner Empfehlung, Update 2020, Seite 28). Nach längerer Lärmbelastung (bis über Jahre) kommt es zu einer Erschöpfung des Innenohrstoffwechsels, die zu bleibendem Haarzell- bzw. Sinneszellschaden führen kann. Bei weiterer Lärmbelastung kann es zu bleibenden Hörverlusten im Hochtonbereich kommen, die nach ungeschützter Lärmbelastung bis zu einem Sättigungsgrad zunehmen und dann – wie ausgeführt – meist „nur“ zu geringgradiger, auf die hohen Frequenzen beschränkter – Schwerhörigkeit führt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 343 f.). Im Falle des Klägers war die Entwicklung hingegen seit 2010 – bei gleichbleibender Lärmbelastung – deutlich beschleunigt, eine Sättigung gerade nicht festzustellen.

Nach einer umfangreichen Auswertung der zur Entwicklung der Lärmschwerhörigkeit vorliegenden Fachliteratur gelangt Z1 für den Senat überzeugend zu dem Schluss, dass zwar ein Teil der heute nachweisbaren Schallempfindungsschwerhörigkeit auf die Lärmexposition zurückzuführen ist, der überwiegende Teil der Verschlimmerung, die abgrenzbar festzustellen ist, jedoch lärmunabhängig entstanden ist. Diese Einschätzung steht in Übereinstimmung mit derjenigen von D und letztlich auch derjenigen von R.

Im Hinblick darauf, dass grundsätzlich nur die Anteile der Schwerhörigkeit, die abgrenzbar nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine Lärmeinwirkung zurückgeführt werden können (vgl. Königsteiner Empfehlung Update 2020, 4.2 Seite 29), bei der MdE-Einschätzung außer Betracht zu lassen sind, ist der Senat aber zu der Überzeugung gelangt, dass jedenfalls bis zum Jahr 2013, als im Tonaudiogramm vom 23.08.2013 – wie alle Gutachter und auch R ausführen – eine Asymmetrie und eine nicht mehr lärmbedingte Kurve des Tonaudiogramms festzustellen waren, die festzustellende Hörminderung als lärmbedingt anzusehen ist. In den davor erstellten aktenkundigen Tonaudiogrammen lassen sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht auf eine Lärmeinwirkung zurückführbare Anteile abgrenzen. Dies gilt zunächst für das Tonaudiogramm vom 14.02.2011, das letztlich Grundlage für die Anerkennung der Schwerhörigkeit des Klägers als BK 2301 war. Insoweit sind alle gehörten Sachverständigen zu der Einschätzung gelangt, dass noch keine abgrenzbaren nicht lärmbedingten Anteile der Schwerhörigkeit festzustellen sind, vielmehr die Voraussetzungen für die Anerkennung der Gesamtschwerhörigkeit als Lärmschwerhörigkeit vorliegen. Dies gilt zur Überzeugung des Senats auch für das Tonaudiogramm, dass die Hörgeräte-Akustiker Zickenheiner Hörgeräte am 16.05.2012 im Rahmen einer Hörgeräteanpassung erstellt haben. Zu diesem Zeitpunkt sind die lärmtypischen Anzeichen einer Schwerhörigkeit noch festzustellen. Der Senat ist insoweit – im Ergebnis wie R – zu der Überzeugung gelangt, dass ein entsprechend abgrenzbarer, nicht auf lärmbedingte Einflüsse beruhender Anteil der Schwerhörigkeit erst für die Zeit ab August 2013 festzustellen ist, das Audiogramm vom 16.05.2012, das im Rahmen der Hörgeräteanpassung angefertigt wurde, aber den Kriterien einer lärmbedingten Schwerhörigkeit noch entspricht. Bei dem im Rahmen der Anpassung eines Hörgerätes am 16.05.2012 (Bl.112 der Verwaltungsakte) durchgeführten Tonaudiogramm ergibt sich im Unterschied zu den genannten Audiogrammen seit 2013 unter Zugrundelegung der Drei-Frequenz-Tabelle (Röser, 1980; modifiziert nach Brusis, 2017) links ein prozentualer Hörverlust von 45 % (1 kHz 35 dB, 2 + 3 kHz (50 dB + 70 dB) = 120 dB), rechts ebenfalls von 45 % (1 kHz 40 dB, 2 + 3 kHz (60 dB + 75 dB) = 135 dB) (vgl. auch Auswertung des Sachbearbeiters Marquart vom 21.01.2015, Bl. 139 der Verwaltungsakte). Ein prozentualer Hörverlust von 45 % entspricht beidseits einer lediglich knapp mittelgradigen Schwerhörigkeit, was nach der Tabelle 4 der Königsteiner Empfehlung (Update 2020, Seite 37, Tabelle zur Ermittlung von MdE und Schwerhörigkeitsgrad bei symmetrischen Hörschäden in Abhängigkeit vom prozentualen Hörverlust, Brusis und Mehrtens, 1981) eine MdE von 25 v.H. rechtfertigt.

Der Hörverlust beider Ohren ist zu diesem Zeitpunkt noch symmetrisch, es zeigt sich ein – noch – typischer Kurvenverlauf mit einer inzwischen noch verbreiterten Senke und ohne die später festzustellenden Hörverluste im Tieftonbereich. Der Sachbearbeiter M war bei Auswertung des Tonaudiogramms ebenfalls noch zu der Einschätzung gelangt, dass der Kurvenverlauf beidseits als lärmtypisch angesehen werden kann. Das Audiogramm ist in seinem Verlauf noch vergleichbar mit demjenigen vom 14.02.2011. Der Senat verkennt nicht, dass – wie die Gutachter letztlich übereinstimmend darlegen – die Verschlimmerung seit 2010 deutlich beschleunigt war im Vergleich zu der Entwicklung seit 1978 dokumentierten Entwicklung. Im Vergleich zu Februar 2011 bewegte sich die Zunahme allerdings von einer geringgradigen zu einer knapp mittelgradigen Schwerhörigkeit, was keiner massiven Verschlechterung entspricht. Im Ergebnis ist der Senat daher in Übereinstimmung mit R zu der Überzeugung gelangt, dass die Schwerhörigkeit bis zum Audiogramm im August 2013 als lärmbedingt angesehen werden kann, jedenfalls keine abgrenzbaren Anteile der Schwerhörigkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als nicht lärmbedingt abgegrenzt werden können. Diese Einschätzung steht letztlich auch in Übereinstimmung mit der von D vertretenen Auffassung. D führte (nach Untersuchung im Februar 2016) aus, die nach 2010 eingetretenen Hörverschlechterung und „insbesondere die vor zwei oder drei Jahren einsetzende erhebliche Verschlechterung beider Ohren“ sei nicht mit der Annahme einer beruflich bedingten Beeinträchtigung erklärbar. Ausgehend von einer Begutachtung im Februar 2016 dürfte von ihm damit nicht der gesamte Verlauf als untypisch angesehen worden sein, wenn er konkret nur auf eine Verschlechterung in den letzten zwei bis drei Jahren verweist, was sich sehr gut mit dem im September 2013 erstellten Audiogramm vereinbaren lässt. Dies stimmt letztlich auch mit der Einschätzung von R überein, wonach ab 2013 keine berufsbedingte Verschlechterung angenommen werden kann. Für einen anderen, lärmunabhängigen Kausalzusammenhang sieht der Senat zum Zeitpunkt der Erstellung des Tonaudiogrammes vom 16.05.2012 keine hinreichenden Anhaltspunkte. Sollte man von einem Mitwirken einer lärmunabhängigen Genese bereits zu diesem Zeitpunkt ausgehen wollen (etwa aufgrund des von D geschilderten Befundverlaufes) ist aufgrund der oben bereits dargelegten Gründe, wonach das Audiogramm im Wesentlichen eine lärmtypische Hörschädigung abbildet, ein die Schwerhörigkeit wesentlich verursachender Beitrag nicht festzustellen, weswegen die gesamte Hörstörung noch als durch den Lärm verursacht anzusehen ist. Insoweit ist gerade nicht erkennbar und von den Sachverständigen dargelegt, dass bereits zu diesem Zeitpunkt schädigungsunabhängige Faktoren die Lärmeinwirkung an Bedeutung völlig zurückdrängen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 372).
Nachdem jedenfalls die Verschlechterung der Schwerhörigkeit nach Mai 2012 (und insbesondere das Tonaudiogramm aus September 2013, das aufgrund des sich nachfolgend nicht bestätigten massiven Hörverlustes rechts der Beurteilung ohnehin nur begrenzt zugrunde gelegt werden kann) nicht mit einer berufslärmbedingten Ursache hinreichend wahrscheinlich erklärt werden kann, ist eine höhere MdE als 25 v.H. nicht begründet.

Der Kläger hat daher ab dem 01.06.2012, dem Ersten des Monats, der auf den Eintritt der MdE am 16.05.2012 folgt (vgl. zur analogen Anwendung des § 73 Abs. 1 SGG bei einem Rentenbeginn mit der Verschlimmerung ohne vorherigen Anspruch auf Verletztengeld, Ricke in Kassler Kommentar, 118. EL März 2022, SGB VII § 72 Rdnr. 3), Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE von 25 v.H. der Vollrente.

Der Berufung war in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang stattzugeben.

Die Kostenfolge beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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