L 21 AS 175/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
21
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 87 AS 411/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 21 AS 175/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 154/22 BH
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 24.06.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten um höhere Leistungen nach dem SGB II.

 

Der am 00.00.1962 geborene Kläger stand zunächst im Bezug von Leistungen nach dem SGB II durch das Jobcenter Y.. Nach einem Umzug nach E. im Februar 2016 wurden ihm Leistungen nach dem SGB II durch den Beklagten gewährt. Der Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 07.07.2016 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 730,82 € monatlich für den Zeitraum August 2016 bis Januar 2017. Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2016 gewährte der Beklagte wegen einer Erhöhung der Regelleistung ab 2017 für Januar 2017 Leistungen in Höhe von insgesamt 735,82 €. Mit Änderungsbescheid vom 11.01.2017 gewährte der Beklagte wegen einer Mieterhöhung für Januar 2017 Leistungen in Höhe von 737,09 €. Seit 2021 bezieht der Kläger Leistungen nach dem SGB XII.

 

Am 05.09.2016 beantragte der Kläger monatlich weitere 17,50 € für „kommunikative Teilhabe“.

 

Am 25.01.2017 hat der Kläger wegen dieses Antrags Klage beim Sozialgericht Dortmund erhoben.

 

Mit Bescheid vom 31.01.2017 hat der Beklagte den Antrag des Klägers vom 05.09.2016 abgelehnt. Die Leistungen nach dem SGB II würden pauschal in Höhe der Regelleistung erbracht. Eine Rechtsgrundlage für die begehrten weiteren 17,50 € sei nicht ersichtlich. Der Kläger hat am 27.02.2017 Widerspruch eingelegt, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2017 zurückgewiesen und Ende April 2017 an das Sozialgericht übersandt hat. Auf die Frage des Sozialgerichts an den Kläger, ob er die Klage nunmehr gegen den Widerspruchsbescheid richten wolle, hat dieser unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid Anfang Mai 2017 weiter vorgetragen.

 

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht zuletzt sinngemäß beantragt, ihm monatlich weitere 17,50 € und darüber hinaus weitere Beträge an alle Mütter und Kinder auszuzahlen. Wegen der genauen Formulierung der erstinstanzlich gestellten Anträge des Klägers wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 24.06.2021 Bezug genommen.

 

Der Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Das Sozialgericht hat mit Beschlüssen vom 18.05.2017, 03.01.2017, 07.12.2018 und 18.12.2020 Anträge des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Eine Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss vom 07.12.2018 hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 19.02.2019 (L 21 AS 127/19 B) zurückgewiesen.

 

Das Sozialgericht hat dem Kläger am 13.02.2020 Akteneinsicht gewährt, den Kläger in einem Erörterungstermin am 25.08.2020 angehört und die Klage mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 24.06.2021 abgewiesen. Soweit der Kläger nicht nur höhere Leistungen nach dem SGB II für sich beantrage, sei die Klage mangels Klagebefugnis unzulässig. Soweit die Klage auf höhere Leistungen nach dem SGB II gerichtet sei, sei sie unbegründet. Der Kläger habe insbesondere keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf in beantragter Höhe nach § 21 Abs. 6 SGB II. Im Übrigen sei eine Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich.

 

Der Kläger hat gegen das vom Sozialgericht am 15.09.2021 versandte Urteil am 05.10.2021 Berufung eingelegt und sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.

 

Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 05.08.2022 einen Schriftsatz mit diversen Anträgen vorgelegt. Wegen der genauen Formulierung dieser Anträge wird auf diesen Schriftsatz, der dem Protokoll zum Termin als Anlage beigefügt ist, Bezug genommen.

 

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

 

Der zunächst befasste Senat (L 7 AS 1504/21) hat den Kläger mit am 18.01.2022 zugestelltem Schreiben zum Betreiben des Verfahrens aufgefordert, worauf der Kläger am 30.01.2022 per E-Mail und am 07.02.2022 postalisch reagiert hat.

 

Nach Abgabe des Verfahrens an den erkennenden Senat ist das Verfahren am 28.06.2022 zur mündlichen Verhandlung am 05.08.2022 geladen worden. Der Vorsitzende des erkennenden Senats hat einen Verlegungsantrag des Klägers vom 08.07.2022 am 20.07.2022 abgelehnt. Der erkennende Senat hat mit Beschluss ebenfalls vom 20.07.2022 einen PKH-Antrag des Klägers vom 19.07.2022 abgelehnt. Bei der Ladung des Klägers zum Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist den Beteiligten das Erscheinen freigestellt worden. Zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 05.08.2022 ist nur der Kläger erschienen, der neben dem Schriftsatz mit den Anträgen weitere Unterlagen vorgelegt hat, auf die ebenfalls Bezug genommen wird.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die zulässige Berufung des Klägers ist in der Sache nicht begründet.

 

1. Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 05.08.2022 durch Urteil entscheiden können. Im Vorfeld des Termins ist eine Verlegung mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes im Sinne von § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO nicht geboten gewesen. Der Senatsvorsitzende hat den Verlegungsantrag des Klägers am 20.07.2022 abgelehnt. Der Kläger hat im gesamten Verfahren einschließlich des Berufungsverfahrens ausreichend Gelegenheit zum Vortrag gehabt und diese Gelegenheit auch umfänglich genutzt. Die Gerichtsakten umfassen rund 1.100 Seiten. Der Senat ist angesichts dessen auch nicht verpflichtet gewesen, das persönliche Erscheinen des Klägers anzuordnen (BSG vom 13.11.2017 – B 13 R 152/17 B, Rn. 11 m.w.N.).

 

Der Vorsitzende hat die nur mit dem Kläger geführte mündliche Verhandlung vor dem Senat am 05.08.2022 nach 45minütiger Dauer ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) schließen können. Zwar war dem Kläger Gelegenheit zum Vortrag zu geben. Beteiligte haben aber lediglich einen Anspruch auf sachgemäßen Vortrag (Schmidt, a.a.O., § 112 Rn. 7a). Unter Berücksichtigung sowohl des schriftsätzlichen Vorbringens des Klägers als auch seiner Ausführungen im Termin zur mündlichen Verhandlung, insbesondere des von ihm verlesenen und schriftsätzlich überreichten Textes „Kürzeste Definition ArtArtParasitismus“, dem der Senat keine sinnhaften Ausführungen mit Sachbezug hat entnehmen können, ist ein weiterer Vortrag mit Sachbezug nicht zu erwarten gewesen. Der Kläger hat den Sitzungssaal aus eigenem Endschluss vor Abschluss der mündlichen Verhandlung verlassen.

 

Das Verfahren ist nicht bereits nach § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG erledigt gewesen, da der Kläger auf die Betreibensaufforderung vom 13.01.2022 innerhalb von drei Monaten reagiert hat.

 

2. Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht und statthaft. Die Statthaftigkeit ergibt sich aus dem Klageantrag zu 2) (entsprechend des Sitzungsprotokolls des SG Dortmund vom 24.06.2021, Seite 3 f.), der zum Teil unbeziffert ist und zum Teil – soweit darin die Auszahlung von Leistungen an Dritte begehrt wird – einen Betrag von 750 € überschreitet (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

 

3. Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist im Hinblick auf den Klageantrag zu 2) unzulässig und im Hinblick auf den Klageantrag zu 1) (ebenfalls entsprechend des Sitzungsprotokolls des SG Dortmund vom 24.06.2021, Seite 3) unbegründet, wobei der Kläger in erster und zweiter Instanz inhaltsgleiche (Sach-) Anträge gestellt hat.

 

Wegen der Unzulässigkeit des Klageantrags zu 2) wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Sozialgerichts vom 24.06.2021 Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Der Senat kann dem Berufungsvorbringen des Klägers hierzu keine relevanten Einwände entnehmen.

 

Im Hinblick auf den auslegungsbedürftigen Klageantrag zu 1) ist Streitgegenstand ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X bezogen auf den Bewilligungsbescheid vom 07.07.2016 und den Leistungszeitraum August 2016 bis Januar 2017. Als der Kläger am 05.09.2016 erstmals die hier streitigen weiteren Leistungen geltend machte, bezog er Leistungen nach dem SGB II aufgrund des zwischenzeitlich bestandskräftig gewordenen Bescheids vom 07.07.2016. Nur auf diesen Bescheid konnte sich sein Antrag demnach beziehen (vgl. BSG vom 14.02.2013 – B 14 AS 48/12 R, Rn. 10 a.Dortmund; BSG vom 18.11.2014 – B 4 AS 4/14 R, Rn. 11; BSG vom 04.06.2014 – B 14 AS 30/13 R, Rn. 11 ff.). Dabei wollte der Kläger ersichtlich keine geänderten Verhältnisse geltend machen. In diesen Streitgegenstand sind außerdem die den mit Bescheid vom 07.07.2016 geregelten Leistungszeitraum betreffenden Änderungsbescheide vom 26.11.2016 und 11.01.2017 einzubeziehen (vgl. BSG vom 18.11.2014 – B 4 AS 4/14 R, Rn. 10-11 und BSG vom 14.02.2013 – B 14 AS 48/12 R, Rn. 10). Statthafte Klageart ist insofern die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl. BSG vom 29.03.2022 – B 4 AS 2/21 R, Rn. 13). Diese ist zunächst mangels anfechtbaren Bescheides und abgeschlossenen Vorverfahrens unzulässig gewesen, nach Erlass des Bescheides vom 31.01.2017 und Durchführung des Vorverfahrens aber zulässig geworden (Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 2020, § 54 Rn. 8 f.; Schmidt, a.a.O., § 78 Rn. 2 ff.).      

 

Im Hinblick auf den als Überprüfungsantrag ausgelegten Klageantrag zu 1) ist der Kläger durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da diese rechtmäßig sind. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Rücknahme des Bescheides vom 07.07.2016 in Gestalt der späteren Änderungsbescheide und Zahlung weiterer 17,50 € monatlich.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

 

Der Beklagte hat das Recht bei Erlass des Bescheides vom 07.07.2016 nicht unrichtig angewandt.

 

Der Beklagte hat dem Kläger u.a. den seinerzeit gültigen Regelbedarf im Sinne von § 20 SGB II gewährt. An dessen Verfassungsmäßigkeit bestehen keine Zweifel. Das BVerfG hat bereits die ab 2011 gültigen Regelsätze für verfassungskonform befunden (BVerfG vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a., Rn. 86 ff.; hierzu Blüggel, in: jurisPR-SozR 22/2014 Anm. 1). Auch die Regelsätze in den hier betroffenen Jahren 2016 und 2017 sind verfassungsgemäß (LSG NRW vom 20.11.2020 – L 21 AS 56/20, Rn. 31 ff., juris; vgl. auch BSG vom 26.11.2019 – B 14 AS 315/18, Rn. 5).

 

Ein Mehrbedarf insbesondere nach § 21 Abs. 6 SGB II, bei dem es sich nicht um einen vom Regelbedarf abtrennbaren Streitgegenstand handelt (BSG vom 26.01.2022 – B 4 AS 3/21 R, Rn. 11 m.w.N.), stand dem Kläger nicht zu. Gemäß § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung bis zum 31.12.2020 (Geltungszeitraumprinzip) wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Einen solchen Bedarf hat der Kläger weder glaubhaft gemacht noch ist er sonst ersichtlich. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des Urteils des Sozialgerichts vom 24.06.2021 Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Auch insoweit kann der Senat dem Berufungsvorbringen des Klägers keine relevanten Einwände entnehmen.

 

Den vom Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 05.08.2022 gestellten weiteren Anträgen brauchte der Senat nicht nachzugehen. Anders als der Kläger meint, handelt es sich schon nicht um prozessordnungsgemäße Beweisanträge. Selbst bei Herabsetzung der Anforderungen an Beweisanträge nicht vertretener Kläger (hierzu Leitherer, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 2020, § 160 Rn. 18a) ist nicht ersichtlich, zum Beweis welcher Tatsachen welche der nach der Prozessordnung in Betracht kommenden Beweismittel benannt werden. Der Senat hat sich weder im Hinblick auf die vermeintlichen Beweisanträge noch sonst zu einer weiteren Sachaufklärung gedrängt sehen müssen.

 

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

5. Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.

 

 

Rechtskraft
Aus
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