S 15 KR 306/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 15 KR 306/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 71/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 39/22 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid


1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).

Die 1950 geborene Klägerin, die zwei Kinder hat, war zuletzt ab dem Jahr 2001 als Pflichtversicherte/freiwillig Versicherte bei einer gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Sie beantragte Altersrente ab dem 25.07.2013. Mit Schreiben vom 29.07.2013 informierte die Beklagte die Klägerin darüber, dass sie die Voraussetzungen für eine Pflichtversicherung in der KVdR nicht erfülle, es verbleibe bei einer freiwilligen Versicherung. 

Mit Schreiben vom 07.08.2017 beantragte die Klägerin die Aufnahme in die KVdR. 

Mit Bescheid vom 18.08.2017 lehnte die Beklagte die Aufnahme der Klägerin in die KVdR ab, es fehle, auch unter Berücksichtigung der beiden Kinder, an den notwendigen Vorversicherungszeiten. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 12.09.2017 Widerspruch ein. Die zweite Hälfte ihres Berufslebens beginne am 01.01.2001 und unter Berücksichtigung der beiden Kinder habe sie die Vorversicherungszeiten erfüllt. Mit Schreiben vom 15.09.2017 erläuterte die Beklagte der Klägerin ihre Entscheidung. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2018 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die unter dem 24.07.2018 zum Sozialgericht Gießen erhobene Klage. 

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die die Vorversicherungszeiten für die Aufnahme in die KVdR erfülle.  

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt, 
den Bescheid der Beklagten vom 18.08.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2018 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin ab 01.08.2017 pflichtversichertes Mitglied der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner ist.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen. 

Sie verweist auf ihr Vorbringen im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid. 

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2021 hat die Klägerin angegeben, dass sie nach der Geburt ihrer Kinder gezwungen gewesen wäre, die gesetzliche Krankenversicherung zu verlassen. Die mündliche Verhandlung wurde vertagt und der Klägerin die Möglichkeit gegeben, einen entsprechenden Nachweis zu erbringen. Ein entsprechender Nachweis wurde nicht erbracht. 

Das Gericht hat mit Schreiben vom 28.10.2021 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gem. § 105 SGG angehört.

Zum Sach- und Streitstand im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Klägerin bei der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 SGG über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, denn die Sache weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. 

Die Beteiligten sind vorher zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört worden und haben nichts vorgetragen, was einer Entscheidung gemäß § 105 SGG entgegenstehen würde.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 18.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der Versicherungspflicht in der KVdR gemäß § 5 Abs. 1 Nr.11 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die von der Klägerin beantragte und von der Beklagten mit Bescheid vom 18.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2018 abgelehnte Feststellung der Versicherungspflicht in der KVdR. Darüber und über die Höhe des Versicherungsbeitrages ab 7/2017 hat die Beklagte eine verbindliche Regelung getroffen. Die Klägerin hat jedoch nur die Ablehnung der Aufnahme in die KVdR angegriffen und die Beklagte auch nur hierüber im Widerspruchsverfahren entschieden. Dies wird auch dadurch deutlich, dass im Widerspruchsbescheid nur Ausführungen zur KVdR gemacht werden und bei der Sachverhaltsschilderung angegeben wird. 

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1 Satz 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig, da die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die Feststellung der Erfüllung der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zur KVdR begehrt wird (vgl auch BSG, 12.01.2011, B 12 KR 11/09 R).

Für die Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Feststellung der Mitgliedschaft in der KVdR ist die (sachliche) Zuständigkeit der Beklagten gegeben. Zwar tritt der Sozialversicherungsschutz grundsätzlich kraft Gesetzes ein, sobald die Tatbestandsvoraussetzungen der Versicherungspflicht erfüllt sind, und er endet dementsprechend auch, sobald kein Versicherungstatbestand mehr vorliegt. Einer Umsetzung durch Verwaltungsakt, der jeweils nur deklaratorische Bedeutung hätte und nur das umschreibt, was ohnehin im Gesetzt steht, bedarf es im Regelfall nicht. Es kommt weder auf die Kenntnis des Betroffenen noch die des Beitragszahlungspflichtigen noch die des leistungspflichtigen Versicherungsträgers an. Der Gesetzgeber konnte im Interesse eines effektiven Verwaltungsvollzugs auf die Umsetzung durch Verwaltungsakt verzichten, weil die Versicherungspflicht an einzelne, leicht erkennbare Merkmale anknüpft und so den Belangen der Massenverwaltung Rechnung getragen wird. Diese grundsätzliche Regelung hindert die Verwaltung aber nicht, auf der Ebene des Verwaltungsverfahrensrechts Mitgliedschaft und Versicherungspflicht sowie die Rechte und Pflichten aus der Mitgliedschaft durch Verwaltungsakt festzustellen, auch wenn sie dazu nicht verpflichtet ist. Der Versicherungsträger kann aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit von seiner Wahlmöglichkeit Gebrauch machen und auf der Ebene des Verwaltungsverfahrensrechts mit einem förmlichen Bescheid durch Verwaltungsakt mit Dauerwirkung die Versicherungs- und Beitragspflicht (zB in der KVdR) feststellen. Zur Beendigung der Mitgliedschaft und für das Erlöschen der Versicherungspflicht muss er dann aber die damit geschaffene Rechtsposition (die einen Vertrauenstatbestand darstellt) durch einen Verwaltungsakt - gestützt auf § 48 SGB X - zurücknehmen (BSG 27.08.1998 - B 10 KR 5/97 R). Eine Entscheidung durch förmlichen Verwaltungsakt kommt auch dann in Betracht, wenn ein Versicherter dies ausdrücklich beantragt.

Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V (i.d.F. vom 04.04.2017) sind versicherungspflichtig Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 versichert waren. 

Die Rahmenfrist des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V umfasst das gesamte Erwerbsleben von der erstmaligen Aufnahme einer entgeltlichen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit bis zum Rentenantrag. Der Tag der Aufnahme der Erwerbstätigkeit ist mitzurechnen; der Tag der Rentenantragstellung bleibt unberücksichtigt (Krauskopf/Vossen, 110. EL März 2021, SGB V § 5 Rn. 69). Dieser Tag ist für das Ende der Rahmenfrist auch dann maßgebend, wenn über den Zeitpunkt der Rentenantragstellung hinaus eine nach § 5 Abs. 8 SGB V vorrangige Versicherung bestand, zwischen Rentenantragstellung und Rentenbeginn weitere anrechenbare Versicherungszeiten in Form einer Pflichtversicherung wegen abhängiger Beschäftigung zurückgelegt werden und daher Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V erst zu einem späteren Zeitpunkt eintritt (BSG 04.06.2009 - B 12 KR 26/07 R). Es kommt daher nicht darauf an, ob die Klägerin nach Rentenantragstellung noch einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist.

Die Voraussetzungen dieser sog. 9/10-Belegung erfüllt die Klägerin nicht. In der maßgeblichen Rahmenfrist vom 01.04.1966 (erstmalige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit) bis zum 24.07.2013 (Tag vor Rentenantragstellung) war die Klägerin nicht zu 9/10 des Zeitraums (= 21 Jahre, 7 Monate und 14 Tage von rund 23 Jahren) der zweiten Hälfte des Zeitraums (= 29.11.1989 bis 27.07.2013) gesetzlich krankenversichert. Vielmehr war sie lediglich in der Zeit vom 01.01.2001 bis zum 25.07.2013, also 12 Jahre, 6 Monate, 25 Tage, gesetzlich krankenversichert. Die Kammer schließt sich insoweit der Berechnung der Beklagten im Widerspruchsbescheid an (§ 136 Abs. 3 SGG) und sieht von einer weiteren Darstellung ab.

Für die Klägerin ließe sich daher nur dann etwas Anderes herleiten, wenn sie von der zum 01.08.2017 (durch Gesetz vom 04.04.2017, BGBl. I, S. 778) eingeführten Regelung des § 5 Abs. 2 S. 3 SGB V profitieren würde: Nach dieser Regelung wird auf die nach Abs.1 Nr. 11 erforderliche Mitgliedszeit für jedes Kind, Stiefkind oder Pflegekind (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I -) pauschal eine Zeit von drei Jahren angerechnet.

Bei Bestandsfällen, in denen der Rentenantrag, wie hier bereits vor dem 01.08.2017, gestellt wurde, bzw. bereits Rente bezogen wird, wird davon ausgegangen, dass die Versicherungspflicht auch erst zum 01.08.2017 eintritt, jedoch auf die ursprüngliche zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung maßgebliche Rahmenfrist abzustellen ist (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09. Mai 2019 – L 5 KR 658/18).

Zu den guten zwölf Jahren, in denen die Klägerin pflichtversichert oder freiwillig versichert war, kommen aufgrund der Kindererziehungszeiten für zwei Kinder weitere sechs Jahre. In der Summe war die Klägerin daher in der zweiten Hälfte ihrer Erwerbstätigkeit 18 Jahre, 3 Monate und 25 Tage bei einer gesetzlichen Krangenversicherung versichert. Sie erfüllt die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB daher nicht.  

Anhaltspunkte für den von der Klägerin angegeben Zwang des Wechsels in die private Krankenversicherung nach der Geburt des ersten Kinders, ergeben sich aus den Regelungen der RVO nicht. Die Klägerin hat auch keinen entsprechenden Nachweis gebracht, dass sie zum Wechsel der Krankenversicherung aufgefordert wurde. Ein Verstoß gegen Artikel 3 des Grundgesetzes ist hier nicht erkennbar.  

Nach alledem war die Klage abzuweisen. 

Einer Beiladung des Rentenversicherungsträgers bedurfte es nicht, da keine Änderung des Versicherungsstatus der Klägerin erfolgte. 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 SGG und dem Ausgang des Verfahrens. 
 

Rechtskraft
Aus
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