L 4 R 3023/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 799/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 3023/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Ablehnung der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt, weil diese Tätigkeit zum Zeitpunkt der Entscheidung der Rechtsanwaltskammer nicht mehr ausgeübt wurde, hat für den Rentenversicherungsträger und die Sozialgerichte bindende Tatbestandswirkung.
2. Die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofes, wonach die streitige Tätigkeit den gesetzlichen Anforderungen an eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt grundsätzlich erfüllte, stellt keine den Rentenversicherungsträger oder die Sozialgerichte bindende Zulassungsentscheidung dar. Die Tatbestandswirkung der – hier negativen – Zulassungsentscheidung der Rechtsanwaltskammer entfällt nicht, nur weil die Zulassung aus anderen Gründen als dem Inhalt der Tätigkeit abgelehnt wurde.

Landessozialgericht Baden-Württemberg

L 4 R 3023/20


Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. August 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) für seine Tätigkeit bei der C1 AG (C AG) als Syndikusrechtsanwalt ab dem 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2016.

Der 1973 geborene Kläger ist seit dem 5. September 2006 als zugelassener Rechtsanwalt Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer S1 und dem folgend Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg, dem Beigeladenen zu 1.

Aufgrund des Anstellungsvertrages vom 18. September 2014 war der Kläger ab dem 1. Januar 2015 bei der C AG, deren Rechtsnachfolgerin die Beigeladene zu 2 ist, als „International Category Manager“ im Bereich „P1“ tätig. Inhalt der Tätigkeit war die Durchführung und Unterstützung des Beschaffungswesens für die „category IT, Communication & Services“ auf internationaler Ebene und die Konzeption der Beschaffungsstrategie unter Berücksichtigung neuer Technologien und Markttrends. Zu den Hauptaufgaben gehörten die gruppenweite Planung, Führung und Durchführung internationaler Beschaffungsprojekte in Absprache mit der C IT-Abteilungsorganisation von zentralen und lokalen Abteilungen/Geschäftsbereichen, die kontinuierliche Analyse aller relevanten Beschaffungsmärkte, Ausarbeitung und Aushandlung von Handelsverträgen mit Lieferanten (z.B. Rahmenverträge, Werk- und Dienstleistungsverträge, Outsourcing-Verträge, Lizenzverträge und Software-Entwicklungsverträge), die Ermittlung gruppenweiter Kostensenkungs- und Optimierungspotenziale, die Festlegung strategischer Kosteneinsparungsmechanismen und Durchführungsregelungen, die Ausführung interner und externer Benchmarks innerhalb der zugewiesenen Themen und die Bewertung der Lieferantenleistungen (vorgelegtes job profile März 2014).

Den am 23. Januar 2015 gestellten Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI für diese Beschäftigung ab dem 1. Januar 2015 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Februar 2015 ab, da der Kläger nicht als Rechtsanwalt für seine Arbeitgeberin tätig werde. Personen, die – wie der Kläger – als ständige Rechtsberater in einem Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stünden (Syndikusanwälte), seien in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwälte tätig und könnten nicht von der Versicherungspflicht befreit werden.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruches führte der Kläger aus, die beratende Tätigkeit als Syndikus, die Teil seiner Tätigkeit für die C AG sei, sei Anwaltstätigkeit und erfülle damit die Voraussetzungen des gesetzlichen Befreiungstatbestandes. Die Ausarbeitung und Aushandlung von Handelsverträgen mit Lieferanten, die Teil seiner Tätigkeit als International Category Manager sei, stelle eine typische rechtsanwaltliche Tätigkeit dar. Die Frage, für wen die rechtsberatende Tätigkeit ausgeübt werde, betreffe Modalitäten, die mit dem Inhalt der Tätigkeit nichts zu tun hätten. Vielmehr fielen diese Modalitäten unter die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Grundgesetz (GG). Eine abweichende Behandlung im Vergleich zu Rechtsanwälten, die aufgrund eines Mandatsvertrages rechtsberatend tätig würden, verletzte den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Des Weiteren stelle die Ablehnung einen Eingriff in das Eigentumsrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG dar, da die Beiträge, die in der bisherigen Syndikustätigkeit bei den vorherigen Arbeitgebern an das Versorgungswerk gezahlt worden seien, mangels Überleitungsabkommen nicht in die Rentenversicherung übertragen werden könnten. Damit reduziere sich der zukünftige Rentenanspruch mangels anrechenbarer Zeiten erheblich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2015 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI könne nur für die Beschäftigung erfolgen, wegen der die Beschäftigten Pflichtmitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und zugleich Pflichtmitglied einer berufsständischen Kammer seien. Das Bundessozialgericht (BSG) habe mit seinen drei Entscheidungen vom 3. April 2014 (B 5 RE 13/14 R, 9/14 R und 3/14 R) klargestellt, dass abhängig beschäftigte Rechtsanwälte bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern (Syndikusanwälte) nicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden könnten, da diese Tätigkeit nicht zum Feld der anwaltlichen Berufstätigkeit im Sinne der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) gehöre. Unabhängiges Organ der Rechtspflege und damit Rechtsanwalt sei der Syndikus nur in seiner freiberuflichen Tätigkeit außerhalb seines Dienstverhältnisses.
 
Hiergegen erhob der Kläger am 2. Juli 2015 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG; S 9 R 3643/15). Das Verfahren wurde zunächst im Hinblick auf eine anstehende gesetzliche Neuregelung ruhend gestellt.

Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I, S. 2517) zum 1. Januar 2016 traf der Kläger mit der C AG eine „Ergänzungsvereinbarung zum Anstellungsvertrag vom 18.09.2014“ vom 31. März 2016, wonach der Anstellungsvertrag entsprechend dem angehängten Formular der Rechtsanwaltskammer S1 („Ergänzungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag betreffend die Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin/Syndikusrechtsanwalt“; unterschrieben am 20./24. März 2016), das rechtswirksamer Bestandteil der Ergänzungsvereinbarung vom 31. März 2016 sei (im Folgenden einheitlich Ergänzungsvereinbarung), rückwirkend zum 1. Januar 2015 geändert und ergänzt werde. Danach werde der Kläger (Funktionsbezeichnung: „International Category Manager/Syndikusanwalt“) in der Organisationseinheit P1 als Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt) beschäftigt. Der „Tätigkeitsbeschreibung“ zufolge verantwortete der Kläger als Warengruppenmanager (Category Manager) für IT und Telekommunikation den Einkauf von Hardware, Software, IT-Dienstleistungen einschließlich IT-Outsourcing sowie Telekommunikationsleistungen im Bereich Mobilfunk, Festnetz und Datenanbindungen auf internationaler Ebene. Die dargestellten Aufgaben entsprachen denen im job profile März 2014. Die einzelnen Aufgaben und Tätigkeiten wurden unter Zuordnung zu den Merkmalen des Tatbestandes des § 46 Abs. 4 BRAO (in der ab 1. Januar 2016 geltenden Fassung) näher erläutert. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 67/69 der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Am 31. März 2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI sowie die Erstattung zu Unrecht gezahlter Pflichtbeiträge an die berufsständische Versorgungseinrichtung nach § 286f SGB VI für die seit 1. Januar 2015 ausgeübte Beschäftigung als International Category Manager bei der C AG.

Zeitgleich beantragte er bei der Rechtsanwaltskammer S1 die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt für diese Beschäftigung bei bestehender Zulassung als Rechtsanwalt.

Zum 31. Dezember 2016 beendete der Kläger seine Beschäftigung bei der C AG.

Nach Anhörung auch der Beklagten, die der beantragten Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nicht zustimmte, lehnte die Rechtsanwaltskammer S1 die Zulassung des Klägers als Syndikusrechtsanwalt für die Tätigkeit bei der C AG mit Bescheid vom 28. April 2017 ab, da im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung die Beschäftigung tatsächlich nicht mehr ausgeübt worden sei.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Juli 2017 den Antrag vom 31. März 2016 „auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1“ SGB VI ab. Der Kläger sei nicht aufgrund seiner Beschäftigung Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer, weil die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt bestandskräftig abgelehnt worden sei.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruches trug der Kläger vor, den Ablehnungsbescheid der Rechtsanwaltskammer angefochten zu haben, so dass dieser nicht bestandskräftig geworden sei.

Nachdem die Rechtsanwaltskammer S1 den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2017 als unbegründet zurückgewiesen hatte, erhob dieser dagegen Klage beim Anwaltsgerichtshof Baden-Württemberg (AGH; AGH 35/2017 I). Die Beklagte wurde zu diesem Verfahren notwendig beigeladen. Mit Urteil vom 29. Juni 2019 wies der AGH die Klage hinsichtlich des Hauptantrags auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide und Verpflichtung zur Zulassung des Klägers als Syndikusrechtsanwalt für die Zeit vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2016 ab. Auf den Hilfsantrag des Klägers wurde jedoch festgestellt:
„dass die Tätigkeit des Klägers während des Zeitraums seiner Beschäftigung bei der [C AG] vom 01.01.2015 bis zum 31.12.2016 seit Eingang des Antrags auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt bei der Beklagten am 31.03.2016 nach den dem Arbeitsverhältnis zugrunde gelegten vertraglichen Vereinbarungen, nämlich dem Anstellungsvertrag mit der [C AG] vom 18.09.2014 und der unwiderruflichen Freistellungserklärung der [C AG] für die Tätigkeit als Rechtsanwalt vom 10.10.2014 sowie der auf den 01.01.2015 rückwirkenden Ergänzungsvereinbarung vom 31.03.2016 zum Anstellungsvertrag vom 18.09.2014 nebst „Ergänzungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag betreffend die Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt“ vom 20./24.03 2016 und der tatsächlichen Handhabung dieser Vereinbarungen den gesetzlichen Anforderungen an eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt der [C AG] für die vorstehend genannten Tätigkeiten und Aufgaben nach § 46 Abs. 2 Satz 1, 3, 4 und 5 BRAO genügt hat.“
Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, der Kläger habe im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Zulassungsantrag keine Tätigkeit ausgeübt, die eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt hätte rechtfertigen können, und eine solche auch nicht wiederaufgenommen. Aus Wortlaut und Systematik des Gesetzes sowie der Gesetzesbegründung ergebe sich eindeutig, dass als Syndikusrechtsanwalt nur derjenige zugelassen werden könne, dessen zum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung tatsächlich ausgeübte Tätigkeit den gesetzlichen Zulassungskriterien entspreche (Verweis auf Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 29. Januar 2018 - AnwZ (Brfg) 12/17 – juris, Rn. 11). Die Tätigkeit für die C AG sei jedoch bereits beendet. Die Frage, ob die Entscheidung über den Zulassungsantrag früher hätte ergehen können, sei nicht entscheidungserheblich. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei begründet. Der Kläger habe die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für seine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt der C AG während seiner Tätigkeit für diese Gesellschaft in der Zeit vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2016 nachgewiesen. Die ausführliche Organisations- und Tätigkeitsbeschreibung in der „Ergänzungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag“ vom 20./24. März 2016 zur Ergänzungsvereinbarung im Schreiben der C AG vom 31. März 2016 belege eine Vielzahl anwaltlicher Tätigkeiten, die dem Kläger als Category Manager IT/TK übertragen gewesen seien. Diese Tätigkeiten entsprächen dem Katalog der gesetzlichen Anforderungen nach § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO. Der rechtliche Schwerpunkt habe im Verhältnis zur Gesamttätigkeit des Klägers rund 60 % eingenommen. Das Arbeitsverhältnis sei danach durch die Tätigkeitsmerkmale des § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO geprägt gewesen. Der Antrag des Klägers vom 31. März 2016 habe das festgestellte Rechtsverhältnis in Gestalt eines subjektiven Rechts auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt der C AG für die in der Zeit vom 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2016 vertraglich zu erbringende und erbrachte Tätigkeit begründet, das mit der Beendigung dieses Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 2016 erloschen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2019 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 4. Juli 2017 als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen einer Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung als Syndikusrechtsanwalt lägen für die Beschäftigung bei der C AG nicht vor, da der Kläger mangels Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nicht aufgrund dieser Beschäftigung Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer gewesen sei. Da das Beschäftigungsverhältnis bereits beendet sei, könne auch keine Zulassung mehr erfolgen.

Nach Wiederanruf des ruhenden Klageverfahren S 9 R 3643/15 wurde dieses unter dem Aktenzeichen S 9 R 1088/19 weitergeführt. Mit Urteil vom 11. August 2020 wies das SG diese Klage ab. Das Berufungsverfahren ist beim Senat anhängig (L 4 R 3024/20).

Gegen den Bescheid vom 4. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2019 erhob der Kläger am 18. Februar 2019 beim SG die vorliegende Klage. Zur Begründung führte der Kläger unter Verweis auf das Urteil des AGH aus, die Voraussetzungen der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt für die Beschäftigung bei der C AG im Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2016 hätten vorgelegen. Er habe die Zulassung allein wegen der langen Bearbeitungsdauer der Rechtsanwaltskammer nicht erhalten. Hätte diese rechtzeitig entschieden, hätte er somit als Syndikusrechtsanwalt zugelassen und in der Folge für diese Beschäftigung von der Rentenversicherungspflicht befreit werden müssen. Nach § 231 Abs. 4b SGB VI wäre dann auch die Rückwirkung der Befreiung auf den 1. Januar 2015 eingetreten. Mangels tatsächlicher Zulassung wäre zwar nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI i.V.m. § 231 Abs. 4b SGB VI der Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht zunächst nicht gegeben. Allerdings müssten diese Normen teleologisch und verfassungskonform ausgelegt werden. Andernfalls liege eine unzulässige Ungleichbehandlung im Vergleich zu Syndikusrechtsanwälten vor, die rechtzeitig zugelassen worden seien. Die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht sei daher auch dann zu erteilen, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen des § 46a BRAO festgestellt und allein die Behördenentscheidung nicht rechtzeitig ergangen sei. Überdies könne der Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt auch nach der Rechtsprechung des BGH nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung Elternzeit in Anspruch genommen habe, sofern die zuletzt ausgeübte Tätigkeit den Anforderungen des §§ 46 Abs. 2 bis 5 BRAO entspreche. Zuletzt begehrte der Kläger nach dem in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellten Antrag, den Bescheid vom 4. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI für seine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt bei der C AG ab dem 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2016 zu befreien.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die für eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vorausgesetzte Zulassung als Syndikusrechtsanwalt für die zu befreiende Tätigkeit durch die
Rechtsanwaltskammer liege nicht vor.

Mit Urteil vom 11. August 2020 wies das SG die Klage ab. Der Bescheid vom 4. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2019 sei rechtmäßig. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Die nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für die Befreiung erforderlichen Pflichtmitgliedschaften in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und Kammer setze nach §§ 46 Abs. 2 Satz 2, 46a BRAO in aktueller Fassung eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt voraus. Eine solche Zulassung liege zugunsten des Klägers aufgrund der Ablehnungsentscheidung der Rechtsanwaltskammer S1 durch Bescheid vom 28. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. August 2017 nicht vor. Diese Entscheidung habe der AGH in seinem Urteil vom 20. Juli 2018 bestätigt. Diese Entscheidungen seien für den Rentenversicherungsträger und die Sozialgerichte verbindlich. Die fehlende Zulassung könne auch nicht im Rahmen einer teleologischen, verfassungskonformen Auslegung fingiert werden. Durch die gesetzliche Anordnung der Bindungswirkung sollten abweichende berufsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Beurteilungen, ob eine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt und damit eine Pflichtmitgliedschaft in dem berufsrechtlichen Versorgungswerk vorlägen, verhindert werden. Diese Bindung diene der Rechtssicherheit der betroffenen Syndikusrechtsanwälte und ihrer Arbeitgeber und vermeide die Gefahr einer doppelten Beitragszahlung in zwei Rentenversicherungssysteme. Erst mit der Erteilung der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt stelle die Rechtsanwaltskammer nach den Regeln des Berufsrechts für den Träger der Rentenversicherung verbindlich das Vorliegen einer Tätigkeit fest, die zur Mitgliedschaft in einem Versorgungswerk führe. Die streng formale Bedingung einer Zulassung als Syndikusrechtsanwalt für die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht begegne daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zu einer doppelten Beitragszahlung in zwei Rentenversicherungssysteme sei es vorliegend nicht gekommen. Der Kläger habe lediglich die Mindestbeiträge aufgrund seiner Zulassung als Rechtsanwalt entrichtet. Für ihn seien aber mangels Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nicht im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b SGB VI einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze nach den Vorgaben der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg zu zahlen.

Gegen dieses ihm am 24. August 2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24. September 2020 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur deren Begründung hat er über sein bisheriges Vorbringen hinaus ausgeführt, mit der Neuregelung zum 1. Januar 2016 habe der Gesetzgeber berufsrechtlich durch die Regelungen für Syndikusrechtsanwälte die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte als einem Organ der Rechtspflege gegen denkbare Gefährdungen zu sichern beabsichtigt. Mit den Änderungen im SGB VI habe nach der Begründung des Gesetzentwurfes erreicht werden sollen, dass die berufsrechtlichen Regelungen sowohl für die Zukunft als auch mit Wirkung für die Vergangenheit – im Zusammenwirken mit den Befreiungsvorschriften im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung – den bis zu den Entscheidungen des BSG vom 3. April 2014 bestehenden Status quo weitestgehend wiederherstellen können. Divergierende Entscheidungen über die Zulassung und die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht sollten reduziert werden. Vor dem Hintergrund des Willens des historischen Gesetzgebers sei die Voraussetzung der tatsächlichen Zulassung als Syndikusrechtsanwalt im Falle einer verspäteten Entscheidung der Rechtsanwaltskammer über die Zulassung teleologisch zu reduzieren. Im Ergebnis müsse es in solchen Fällen ausreichen, dass die Tätigkeit den rechtlichen Anforderungen der Zulassung nach § 46 Abs. 2 S. 1, 3, 4 BRAO genüge. Andernfalls könnten Syndikusrechtsanwälte vor der Zulassungsentscheidung von ihrem Kündigungsrecht keinen Gebrauch machen, weil sie anderenfalls ihr durchgehendes Vorsorgeprofil nicht erhalten könnten. Das würde die Entscheidungs- und Berufsfreiheit erheblich einschränken. Die Bindung an die tatsächliche Zulassung sei auch in anderen Fällen durchbrochen. So sei eine Befreiung gemäß § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI rückwirkend ab dem Beginn der Beschäftigung oder nach Satz 4 auch darüber hinaus zu gewähren, auch wenn insoweit keine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt vorliege. Hilfsweise bestehe ein Anspruch nach § 6 Abs. 1 SGB VI in Verbindung mit § 231 Abs.4b Satz 4 SGB VI analog, indem letzterer auch auf Fälle nach dem 1. April 2014 angewendet werde.

Der Kläger beantragt schriftlich (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. August 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2019 zu verpflichten, ihn von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für seine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt bei der C1 AG ab dem 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2016 zu befreien.

Die Beklagte beantragt schriftlich,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Grundlegende Voraussetzung einer Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für Rechtsanwälte bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern sei zunächst eine entsprechende Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt gemäß § 46a BRAO in der ab 1. Januar 2016 geltenden Fassung gerade für die zu befreiende Beschäftigung. Eine solche habe der Kläger nicht (mehr) erwirken können. Die Unmöglichkeit einer solchen Zulassung liege in der Risikosphäre des jeweiligen Antragstellers. Etwaige Hindernisse gingen zu seinen Lasten. Die diesbezüglichen Gründe seien nach dem Wortlaut des Gesetzes ohne Belang (Verweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3. Juli 2019 - L 16 R 549/18 – juris, Rn. 17; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. März 2019 - L 2 R 3561/18 – juris, Rn. 29 f.). Eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI sei nicht streitgegenständlich; einer Klageänderung oder -erweiterung werde nicht zugestimmt.

Die mit Beschluss vom 24. Januar 2023 Beigeladenen haben keine Anträge gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG; denn die Klage betrifft weder eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung noch einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt.

2. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Klägers auf Verpflichtung der Beklagten, ihn von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für seine Tätigkeit bei der C AG als Syndikusrechtsanwalt ab dem 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2016 zu befreien. Dies ergibt sich aus seinem zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellten und in der Berufungsschrift wiederholten Antrag. Streitbefangen ist der mit der am 18. Februar 2019 erhobenen Klage angefochtene Bescheid vom 4. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2019 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI abgelehnt hat.

Diese Bescheide sind nicht, insbesondere nicht nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens S 9 R 3643/15 bzw. S 9 R 1088/19 und damit auch nicht des Berufungsverfahrens L 4 R 3024/20 geworden. Der Bescheid vom 4. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2019 änderte die im Bescheid vom 4. Februar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Juni 2015 getroffene Regelung nicht ab und ersetzte diese auch nicht. Letztere trafen eine Regelung über die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für eine Tätigkeit als angestellter Unternehmensanwalt (Syndikusanwalt) bei der C AG. Dagegen regeln die vorliegend angefochtenen Bescheide die Ablehnung der Befreiung von der Versicherungspflicht für eine Beschäftigung als Syndikusrechtsanwalt nach neuem Berufsrecht i.S.d. ab 1. Januar 2016 geltenden §§ 46 Abs. 2, 46a BRAO. Sie knüpfen damit an einen in wesentlichen Teilen anderen Lebenssachverhalt an als der Bescheid vom 4. Februar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Juni 2015, nämlich den zum 1. Januar 2016 neu eingeführten Status gerade als Syndikusrechtsanwalt und die hierfür erforderliche gesonderte Zulassung nach § 46a BRAO. Eine Identität der Regelungsgegenstände beider Bescheide liegt aufgrund der unterschiedlichen Statusbezogenheit nicht vor (BSG, Urteil vom 28. Juni 2018 – B 5 RE 2/17 R – juris, Rn. 16 ff.; Beschluss vom 22. März 2018 – B 5 RE 12/17 B – juris, Rn. 21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Juli 2017 – L 7 R 3495/15 – juris, Rn. 29; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 3. März 2021 – L 5 R 1764/19 – juris, Rn. 25). Der Kläger hat die Klage im Verfahren S 9 R 3643/15 bzw. S 9 R 1088/19 auch nicht erweitert. Vielmehr hat er den Bescheid vom 4. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2019 mit der vorliegenden Klage gesondert angefochten.

3. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Soweit der Kläger die Befreiung von der Versicherungspflicht für die Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt bereits für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2015 begehrt, ist die Klage bereits unzulässig (dazu a). Für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2016 ist sie unbegründet. Der Bescheid vom 4. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für seine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt bei der C AG in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2016 (dazu b).

a) Soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Befreiung von der Versicherungspflicht aufgrund einer ab 1. Januar 2016 ausgeübten Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt bereits für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2015 begehrt, ist die Klage bereits unzulässig. Denn eine in einem gerichtlichen Verfahren anfechtbare Entscheidung der Beklagten zu dieser Frage liegt bislang nicht vor, insbesondere wurde hierüber nicht im vorliegend angefochtenen Bescheid vom 4. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2019 entschieden. Eine Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 114 SGG zur Herbeiführung einer solchen Entscheidung kam nicht und kommt erst recht nicht im Berufungsrechtszug in Betracht. Zwar vertritt das BSG in ständiger Rechtsprechung, dass das Gericht einem Kläger durch Aussetzung die Möglichkeit geben muss, ein Vorverfahren nachzuholen. Jedoch gilt dies nicht, wenn es an einem Verwaltungsverfahren überhaupt fehlt (LSG Hamburg, Urteil vom 18. November 2014 – L 3 R 8/12 – juris, Rn. 20; Baden-Württemberg, Urteil vom 26. März 2015 – L 7 R 4143/14 – juris, Rn. 21 m.w.N.).

Zwar hatte der Kläger am 31. März 2016 nicht nur die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, sondern auch die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI sowie die Erstattung zu Unrecht gezahlter Pflichtbeiträge an die berufsständische Versorgungseinrichtung nach § 286f SGB VI für die seit 1. Januar 2015 ausgeübte Beschäftigung als International Category Manager bei der C AG beantragt. Die Beklagte hat jedoch nicht über alle gestellten Anträge entschieden. Vielmehr lehnte sie mit Bescheid vom 4. Juli 2017 ausdrücklich lediglich den Antrag „auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1“ SGB VI ab. Allein hierauf bezieht sich auch die Begründung, der Kläger sei nicht aufgrund seiner Beschäftigung Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer, weil die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt bestandskräftig abgelehnt worden sei. Eine weitergehende Regelung wurde auch im Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2019 nicht getroffen. Die in den angefochtenen Bescheiden geregelte Ablehnung der Befreiung von der Versicherungspflicht für eine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt entfaltete keine Regelungswirkung für die Zeit vor dem 1. Januar 2016. Denn der Status des Syndikusrechtsanwalts wurde erst durch die Neuregelung des §§ 46 Abs. 2, 46a bis 46c BRAO durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21. Dezember 2015 mit Wirkung zum 1. Januar 2016 ohne Rückwirkung neu geschaffen. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der Tätigkeit, die ab dem 1. Januar 2016 als Syndikusrechtsanwalt erfolgt, kommt nur auf Grundlage des § 231 Abs. 4b SGB VI in Betracht. Die Regelungsinhalte von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 231 Abs 4b SGB VI sind jedoch entsprechend ihrer unterschiedlichen Funktion zu trennen (BSG, Urteil vom 23. September 2020 – B 5 RE 3/19 R – juris, Rn. 31). Dass es sich bei der Entscheidung nach § 231 Abs. 4b SGB VI um ein eigenständiges Verwaltungsverfahren handelt, zeigt sich bereits an der ausdrücklich gesetzlich geregelten Notwendigkeit eines – von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI – gesonderten Antrags (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 3. März 2021 – L 5 R 1764/19 – juris, Rn. 33).

b) Für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2016 ist die Klage unbegründet. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für seine Beschäftigung als International Category Manager bei der C AG gerade als Syndikusrechtsanwalt.

 

aa) Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI (in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung – RVOrgG – vom 9. Dezember 2004, BGBl. I, S. 3242) werden von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn

      

a)    

am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,

        

b)    

für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und

        

c)    

aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.


Diese Regelung gibt aber versicherungspflichtig Beschäftigten, die gleichzeitig verkammerte Mitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind, einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nur für die „Beschäftigung, wegen der“ sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind. Dabei ist unter „derselben Beschäftigung“ im Sinne der Norm die „von der Beschäftigung erfasste Erwerbstätigkeit“ zu verstehen (BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 5 RE 13/14 R – juris, Rn. 28).

Hieran hat sich durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21. Dezember 2015 nichts geändert. Vielmehr knüpft der Gesetzgeber nach der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfes (BT-Drucks. 18/5201) ausdrücklich an diese Rechtsprechung des BSG an. Ein Ziel dieses Gesetzes war demnach die bisherige Praxis der Deutschen Rentenversicherung Bund zur Befreiung angestellter Rechtsanwälte von der Rentenversicherungspflicht gesetzlich weitestgehend fortzuschreiben und den Gleichlauf zwischen berufsrechtlicher Zulassungsentscheidung und der Entscheidung über die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu erreichen (BT-Drucks. 18/5201, S. 13). Dabei wurde unter ausdrücklicher Inbezugnahme der Urteile des BSG vom 3. April 2014 (B 5 RE 13/14 R; B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R) berücksichtigt, dass das Rentenversicherungsrecht in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI den Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht außer an Vorgaben betreffend die Art der berufsständischen Versorgungseinrichtungen, die Gleichartigkeit der Beitragserhebung sowie die Gleichwertigkeit des Versicherungsschutzes zudem an einen kausalen Zusammenhang der abhängigen Beschäftigung für die Mitgliedschaft in berufsständischen Versorgungswerken knüpfe. Demgemäß würden versicherungspflichtige Beschäftigte, die gleichzeitig Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung seien, von der gesetzlichen Rentenversicherung nur für diejenige „Beschäftigung befreit, wegen der“ sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) seien (a.a.O., S. 16). Der Begriff des Syndikusrechtsanwalts als besondere Form der Ausübung des einheitlichen Berufs des Rechtsanwalts werde auf Basis des in den §§ 1 bis 3 BRAO zugrunde gelegten Berufsbilds des Rechtsanwalts tätigkeitsbezogen definiert, um ihn von anderen juristischen Dienstleistungen im Angestelltenverhältnis (insbesondere als angestellter Unternehmensjurist, der nicht anwaltlich tätig ist) abzugrenzen und berufsrechtlich klarzustellen, dass die Zulassung eines Syndikusrechtsanwalts zur Rechtsanwaltskammer sich auf die jeweils von ihm ausgeübte Syndikustätigkeit bezieht und er im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BRAO „wegen“ dieser Syndikustätigkeit Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung ist (a.a.O., S. 19). Das Verständnis der Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, wie in den angeführten Urteilen des BSG dargelegt, sollte mithin keine Änderung erfahren, sondern wurde den berufsrechtlichen Neuregelungen gerade zugrunde gelegt. So wird ausdrücklich bestätigt, dass eine rein sozialrechtliche Lösung nicht zielführend sei. Diese berücksichtige nicht hinreichend die Ausgangslage, wonach zunächst im jeweiligen Berufsrecht geklärt werden müsse, ob und unter welchen spezifischen Voraussetzungen die Tätigkeit eines freien Berufs auch im Anstellungsverhältnis ausgeübt würden und die Mitgliedschaft in der entsprechenden Kammer begründet werden könne und welche Voraussetzungen hierfür jeweils vorliegen müssten (a.a.O., S. 22).

bb) Der Kläger unterlag aufgrund seiner Tätigkeit als International Category Manager für die C AG im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2016 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund abhängiger Beschäftigung nach § 1 Satz 1 SGB VI i.V.m. § 7 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). 

Dies entnimmt der Senat den Regelungen im Anstellungsvertrag vom 18. September 2014. Dieser sah u.a. ein Direktionsrecht der C AG gegenüber dem Kläger, ein festes monatliches Entgelt in Höhe von 7.200,00 € brutto und die Anwendbarkeit des Manteltarifvertrags für den Groß- und Außenhandel Baden-Württemberg sowie weitere arbeitnehmertypische Regelungen (z.B. Urlaub) ausdrücklich vor. Anderes ergibt sich auch nicht aus der Ergänzungsvereinbarung von März 2016. Die dort geregelte „fachliche Unabhängigkeit“ beinhaltete lediglich, dass der Kläger keinen allgemeinen oder konkreten Weisungen in „fachlichen Angelegenheiten“ unterlag. Das allgemeine Direktionsrecht und die Eingliederung in die betriebliche Ordnung der C AG blieb hiervon unberührt. Weder der Kläger noch einer der anderen Beteiligten hat Abweichendes geltend gemacht.
 
cc) Der Kläger war im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2016 aber nicht aufgrund gerade dieser Beschäftigung im Sinne der „von der Beschäftigung erfassten Erwerbstätigkeit“ Pflichtmitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung seiner Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung), hier des Beigeladenen zu 1, und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer, hier der Rechtsanwaltskammer S1.

(1) § 5 der Satzung des Beigeladenen zu 1 (Mitgliedschaft kraft Gesetzes) bestimmt für den hier maßgeblichen Zeitraum in Abs. 2: „Mitglied des Versorgungswerkes wird, wer nach dem 01.01.1985 bis zum 04.05.2018 als natürliche Person Mitglied einer Rechtsanwaltskammer in Baden-Württemberg wird und zu diesem Zeitpunkt das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.“ Mitglied der Rechtsanwaltskammer wird der Syndikusrechtsanwalt nach § 12 Abs. 3 BRAO i.V.m. § 46a Abs. 1, 4 BRAO mit Zulassung als Syndikusrechtsanwalt. Abweichend von § 12 Abs. 3 BRAO wird der Syndikusrechtsanwalt (unbeschadet des § 12 Abs. 1, 2 Nr. 1 und Abs. 4 BRAO) mit der Zulassung rückwirkend zu dem Zeitpunkt Mitglied der Rechtsanwaltskammer, zu dem der Antrag auf Zulassung dort eingegangen ist, sofern nicht die Tätigkeit, für die die Zulassung erfolgt, erst nach der Antragstellung begonnen hat; in diesem Fall wird die Mitgliedschaft erst mit dem Zeitpunkt des Beginns der Tätigkeit begründet (§ 46a Abs. 4 Nr. 2 BRAO in der zum 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Fassung durch Art. 1 Nr. 10 Buchst. b Gesetz zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 12. Mai 2017, BGBl. I, S. 1121).

Über die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt entscheidet nach § 46a Abs. 2 Satz 1 BRAO (in der ab 1. Januar 2016 geltenden Fassung) die örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer nach Anhörung des Trägers der Rentenversicherung. Nach Abs. 2 Satz 4 ist der Träger der Rentenversicherung bei seiner Entscheidung über die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 SGB VI an die bestandskräftige Entscheidung der Rechtsanwaltskammer nach Satz 1 gebunden. Die Zulassung des Syndikusrechtsanwalts entfaltet rechtsgestaltende Wirkung und ist für die Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer konstitutiv. In der Folge ist mit der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt die Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer und der berufsständischen Versorgung verbunden (BT-Drucks. 18/5201, S. 19, 20). Die mit der Anwaltszulassung verbundenen besonderen Rechte und Pflichten entstehen erst ab dem Zeitpunkt, zu dem die Zulassungsentscheidung dem Syndikusrechtsanwalt bekannt gegeben worden ist. Somit darf erst nach der Zulassung die Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt aufgenommen werden. § 46a Abs. 4 Nr. 2 BRAO sieht für den Übergangszeitraum zwischen der Aufnahme einer neuen oder geänderten Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt und dem Wirksamwerden der Zulassungsentscheidung eine Rückwirkung allein bezogen auf die Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer vor. Damit ist grundsätzlich im Rahmen des jeweiligen Satzungsrechts auch eine Beitragspflicht verbunden, die sich insbesondere mit Blick auf die daran gekoppelten sozial- und versorgungsrechtlichen Folgewirkungen für den Betroffenen als nutzbringend erweist (vgl. hierzu amtliche Begründung des Gesetzentwurfs zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe, BT-Drucks. 18/9521 zu § 46a Abs. 4 Nr. 2 BRAO, S. 112 f.). Mit der in § 46a Abs. 2 Satz 4 BRAO angeordneten Bindung hat der Gesetzgeber bestimmt, dass die Rechtswirkung eines (formell und materiell) bestandskräftigen Zulassungsverwaltungsakts der Rechtsanwaltskammer nach § 46a Abs. 2 Satz 1 BRAO „auch von dem Träger der Rentenversicherung und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in der Weise zu beachten sind, dass die dort getroffenen Regelungen auch ihnen gegenüber als verbindlich anzusehen sind (sog. Tatbestandswirkung). Verbindliche Wirkung hat auch eine gerichtliche Entscheidung, die im Rechtsbehelfsverfahren nach § 112a BRAO ergeht“ (BT-Drucks. 18/5201, S. 32/33).

Die tätigkeitsbezogene Zulassung als Syndikusrechtsanwalt „ordnet die Tätigkeit als Unterfall einer im Sinne der BRAO anwaltlichen zu und rechtfertigt gleichzeitig die Unterstellung unter die damit verbundenen Pflichten. Der im Rahmen seiner Zulassung tätige jeweilige Syndikusrechtsanwalt ist damit wegen der Beschäftigung als Syndikusrechtsanwalt auf Grund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung). Das nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB VI für eine Befreiung notwendige (aber nicht hinreichende) Tatbestandselement, wonach Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie auf Grund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, deckt sich inhaltlich für die Syndikusrechtsanwälte mit den neu strukturierten berufsrechtlichen Anforderungen für den Erhalt und die Weiterführung einer Zulassung als Syndikusrechtsanwalt. Zwar bleibt der sozialversicherungsrechtliche Tatbestand eigenständig von den Trägern der Rentenversicherung zu prüfen. Mit der erteilten Zulassung als Syndikusrechtsanwalt bescheinigt die zuständige fachkundige Rechtsanwaltskammer nach den Regeln des Berufsrechts, auf welche der sozialversicherungsrechtliche Tatbestand des § 6 SGB VI Bezug nimmt, grundsätzlich das Vorliegen einer Tätigkeit, die zur Mitgliedschaft im Versorgungswerk führt“ (BT-Drucks. 18/5201, S. 32; ebenso S. 20/21). Durch die angeordnete Bindungswirkung der Zulassung wird vermieden, dass die berufsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Frage, ob eine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt eine Pflichtmitgliedschaft in dem berufsrechtlichen Versorgungswerk begründet, voneinander abweichen. Diese Bindung dient der Rechtssicherheit der betroffenen Syndikusrechtsanwälte und ihrer Arbeitgeber. Die Gefahr einer doppelten Beitragszahlung in zwei Rentenversicherungssysteme wird vermieden (BT-Drucks. 18/5201, S. 20/21).

Maßgeblich für die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung sind mithin die rechtsgestaltende Wirkung der Zulassung (als Syndikusrechtsanwalt) sowie die Deckungsgleichheit der neu strukturierten berufsrechtlichen Anforderungen für den Erhalt einer streng an die jeweilige (abhängige) Tätigkeit anknüpfenden Zulassung als Syndikusrechtsanwalt und dem sozialrechtlichen Tatbestandsmerkmal des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI einer Tätigkeit, die zur Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer und dem Versorgungswerk führt („wegen der“). Die ausdrücklich vorgesehene Tatbestandswirkung bzw. Drittbindungswirkung (BT-Drucks. 18/5201, S. 32) hat ein Abweichungsverbot zur Folge. Dieses bezieht sich auf alle Entscheidungselemente und Sachverhaltsbewertungen, die für die konstitutive Zulassungsentscheidung in gleicher Weise von Bedeutung sind wie für die Befreiungsentscheidung, die also für den Erlass beider Verwaltungsakte deckungsgleich zur Anwendung gebracht werden müssen (allgemein zur Drittbindungswirkung, BSG, Urteile vom 31. Mai 2006 – B 6 KA 13/05 R – juris, Rn. 71 und vom 31. August 2005 – B 6 KA 68/04 R – juris, Rn. 11 m.w.N.). Der beklagte Rentenversicherungsträger darf daher – ebenso wenig wie der Senat als Gericht der Sozialgerichtsbarkeit – von der bestandskräftigen Entscheidung der Rechtsanwaltskammer über die Erteilung oder Ablehnung der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt oder einer entsprechenden gerichtlichen Entscheidung im Verfahren nach § 112a BRAO abweichen, soweit die Prüfung des Tatbestandsmerkmals der für die Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer und dem Versorgungswerk kausalen Tätigkeit betroffen ist.

(2) Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Vorgaben erfüllte der Kläger im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2016 nicht die Befreiungsvoraussetzung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, dass er wegen der Beschäftigung für die C AG als Syndikusrechtsanwalt auch Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer und des Beigeladenen zu 1 war. 

(a) Der Kläger wurde für seine Tätigkeit bei der C AG zu keinem Zeitpunkt als Syndikusrechtsanwalt zugelassen. Vielmehr liegt eine ausdrückliche Ablehnung einer solchen Zulassung durch den Bescheid der Rechtsanwaltskammer S1 vom 28. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2017 vor. Diese Ablehnung wurde bestandskräftig. Denn der AGH wies die Klage mit Urteil vom 29. Juni 2019 hinsichtlich des Hauptantrags auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide und Verpflichtung zur Zulassung des Klägers als Syndikusrechtsanwalt für die Zeit vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2016 ab. Damit steht, wie oben ausgeführt, nach § 46a Abs. 2 Satz 4 BRAO für die Beklagte und damit auch für den Senat bindend fest, dass eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt für die hier streitbefangene Tätigkeit nicht vorliegt. Zwar wurde die Ablehnung der Zulassung damit im Ergebnis nicht darauf gestützt, dass die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit nicht die inhaltlichen Voraussetzungen der Tätigkeit eines Syndikusrechtsanwalts erfülle. Tragend war vielmehr der tatsächliche Umstand, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Tätigkeit bereits aufgegeben worden war, also nicht mehr aktuell ausgeübt wurde. Dennoch wurde die – ablehnende – Regelung des angefochtenen Bescheides aufrechterhalten. Der Ablehnungsbescheid hatte sich durch die Aufgabe der Tätigkeit demnach auch nicht erledigt. Die Ablehnung der Zulassung steht somit bestandskräftig der Bewertung der Tätigkeit als die eines Syndikusrechtsanwalts entgegen. Denn eine solche erforderte, wie oben ausgeführt, wegen deren konstitutiver und statusbegründender Wirkung gerade eine positive Zulassungsentscheidung. Dem Senat ist es aufgrund der Tatbestandswirkung der Zulassungsentscheidung verwehrt, die Rechtmäßigkeit dieser Ablehnung zu prüfen. Bereits deshalb ist der Hinweis des Klägers, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehe zumindest die Elternzeit der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nicht entgegen, vorliegend nicht relevant.

(b) Die notwendige – positive – Zulassungsentscheidung wurde durch die im Urteil des AGH vom 29. Juni 2019 getroffene Feststellung nicht ersetzt. Unabhängig davon, dass dieser Feststellung nicht die konstitutive Wirkung einer Zulassung zukommt, deckt sich die tatsächlich getroffene Feststellung gerade nicht mit dem relevanten Tatbestandsmerkmal des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Wie ausgeführt, gründet die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung der Zulassung auf der Deckungsgleichheit der neu strukturierten berufsrechtlichen Anforderungen für den Erhalt einer streng an die jeweilige (abhängige) Tätigkeit anknüpfenden Zulassung als Syndikusrechtsanwalt und dem sozialrechtlichen Tatbestandsmerkmal des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI einer Tätigkeit, die zur Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer und dem Versorgungswerk führt („wegen der“). Die Möglichkeit, sich von der Rentenversicherungspflicht zu befreien, enthält der Syndikusrechtsanwalt gerade deswegen, weil er aufgrund seiner Zulassung durch gesetzliche Anordnung (automatisch) Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer und damit auch Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte wird, so dass eine „Doppelversicherung“ aufgrund derselben Tätigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung und im Versorgungswerk besteht. Von dieser „Doppelversicherung“ soll sich der Syndikusrechtsanwalt befreien können – durch entsprechenden Antrag nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Nur bei dem „im Rahmen seiner Zulassung“ (BT-Drucks. 18/5201, S. 32) tätigen Syndikusrechtsanwalt besteht damit die Möglichkeit einer solchen „Doppelversicherung“. Es ist also gerade nicht ausreichend, dass die Tätigkeit den Vorgaben einer gesetzlich zulässigen Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 bis 5 BRAO genügt. Hierauf aber ist die Feststellung im Urteil des AGH vom 29. Juni 2019 sowohl nach dem Tenor („dass die Tätigkeit des Klägers … den gesetzlichen Anforderungen an eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt der [C AG] für die vorstehend genannten Tätigkeiten und Aufgaben nach § 46 Abs. 2 Satz 1, 3, 4 und 5 BRAO genügt hat“) als auch nach den Entscheidungsgründen beschränkt. Die maßgebliche – einer positiven Zulassungsentscheidung immanente – Feststellung der dadurch begründeten Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer und dem Versorgungswerk wurde nicht getroffen.

(c) Die Tatbestandswirkung der – hier negativen – Zulassungsentscheidung entfällt nicht, nur weil die Zulassung aus anderen Gründen als dem Inhalt der Tätigkeit abgelehnt wurde. Das Gesetz sieht in § 46a Abs. 2 Satz 4 BRAO eine uneingeschränkte Tatbestandswirkung vor, ohne eine Differenzierung nach den Gründen der Entscheidung über die Zulassung vorzunehmen. Dies ist bei einer Ablehnung der Zulassung schon deshalb folgerichtig, weil ohne die Zulassung – unabhängig von den Gründen hierfür – schon keine die Befreiungsmöglichkeit überhaupt erst rechtfertigende „Doppelversicherung“ entstehen kann. Nichts anderes ergibt sich – entgegen der Auffassung des Klägers – des Weiteren aus der gesetzlich in § 46a Abs. 4 Nr. 2 BRAO angeordneten teilweisen Rückwirkung der Zulassungsentscheidung. Die Regelung führt dazu, dass eine erteilte Zulassung auf den Zeitpunkt des Antrags auf Zulassung zurückwirkt, allerdings beschränkt auf den Zeitpunkt der Begründung der Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer. Ziel der Regelung ist es, für den Übergangszeitraum zwischen der Aufnahme einer neuen oder geänderten Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt und dem Wirksamwerden der Zulassungsentscheidung durch die Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer auch bereits zu diesem Zeitpunkt eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte – mit der Folge der Befreiungsmöglichkeit nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu diesem Zeitpunkt – zu schaffen. Damit soll einer „aus Sicht der Betroffenen in aller Regel überflüssig erscheinenden temporären Beitragszahlung zur Rentenversicherung vorgebeugt werden. Dies erfolgt auch mit Rücksicht darauf, dass Betroffene – selbst bei frühzeitiger Antragstellung – die Dauer des Zulassungsverfahrens weder vorhersehen noch beeinflussen können und Tätigkeitsänderungen in der beruflichen Praxis mitunter kurzfristig erfolgen“ (BT-Drucks. 18/9521, S. 112 f.). Nach Wortlaut und Zweck der Regelung wird aber auch insoweit die tatsächliche Zulassung vorausgesetzt, auch wenn sie erst später ergehen kann. Eine solche rückwirkende, gegebenenfalls nach § 46a Abs. 4 Nr. 2 BRAO auf die Pflichtmitgliedschaft in der
Rechtsanwaltskammer gerade wegen der Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt (mit der Folge der Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk) beschränkte Zulassung hat der AGH im Urteil vom 29. Juni 2019 weder ausgesprochen noch festgestellt. Somit verbleibt es bei der den Senat bindenden berufsrechtlichen Entscheidung, dass eine Zulassung (vollständig) abgelehnt wurde.

Des Weiteren kann zwar auch nach gesetzgeberischer Vorstellung die Bindungswirkung der Zulassung für die sozialrechtliche Beurteilung gelöst werden, aber nur in dem Sinne, dass trotz bestehender tatsächlicher Zulassung als Syndikusrechtsanwalt das Tatbestandsmerkmal des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI verneint werden kann, nicht aber dass dieses trotz fehlender Zulassung angenommen werden könnte. So wird im Allgemeinen Teil der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks. 18/5201, S. 20, entsprechend auch S. 32) ausgeführt, die Bindungswirkung „gilt jedenfalls, solange die der Zulassung zugrunde liegende Tätigkeit im Wesentlichen unverändert fortgeführt wird, d. h. bei einer Änderung der Tätigkeit endet die erteilte Befreiung kraft Gesetzes, auch wenn zunächst noch eine wirksame Zulassung als Syndikusanwalt bis zur Rücknahme oder einem Widerruf der Zulassung besteht“. Auf eine erstmalige, überhaupt erst statusbegründende Zulassung als Syndikusrechtsanwalt wird nicht verzichtet. Gleiches gilt im Übrigen auch für den gesamten Tatbestand des § 231 Abs. 4b SGB VI. Denn dessen Anwendungsbereich ist nur eröffnet, wenn eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI unter Berücksichtigung der BRAO in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung erteilt wurde, was gerade eine Zulassung nach § 46a BRAO voraussetzt. Für die vom Kläger angeführte analoge Anwendung des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI ist daher kein Raum.

(d) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ablehnung der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht bei nicht erteilter Zulassung als Syndikusrechtsanwalt bestehen nicht, auch dann nicht, wenn die Zulassung an einer langen Bearbeitungsdauer durch die zuständige Rechtsanwaltskammer scheitert. Eine den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzende ungerechtfertigte Ungleichbehandlung im Vergleich zu zugelassenen Syndikusrechtsanwälten liegt nicht vor.

Art. 3 Abs. 1 GG enthält das Gebot, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (Bundesverfassungsgericht [BVerfG
], Beschluss vom 10. Dezember 1985 – 2 BvL 18/83 – juris, Rn. 51). Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders und nachteilig behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“ (BVerfG, Urteil vom 3. April 2001 – 1 BvR 1681/94 – juris, Rn. 63) und „sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt“ (BVerfG, Beschluss vom 15. März 2000 – 1 BvL 16/96 – juris, Rn. 72). Differenzierungen bedürfen somit stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2021 – 1 BvR 2237/14 – juris, Rn. 110).

Tatsächlich werden zugelassene Syndikusrechtsanwälte im Vergleich zu nicht als Syndikusrechtsanwalt zugelassenen Beschäftigten abweichend behandelt, ohne dass es auf den Grund der Nichtzulassung ankommt. Denn nur einem zugelassenen Syndikusrechtsanwalt steht der Befreiungsanspruch des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu. Die tatsächlich erfolgte Zulassung als Syndikusrechtsanwalt stellt jedoch einen sachlichen Grund für diese unterschiedliche Behandlung dar. Denn, wie oben ausgeführt, besteht nur bei einem tatsächlich zugelassenen Syndikusrechtsanwalt die „Doppelversicherung“ bezüglich seiner konkreten Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt, deren Abwendung das Befreiungsrecht dient. Bei fehlender Zulassung fehlt es an dieser, unabhängig von den Gründen der Nichtzulassung.

Verfassungsrechtliche Bedenken, die sich gegebenenfalls bei der Anwendung der berufsrechtlichen Regelungen ergeben könnten, sind vorliegend aufgrund der gesetzlich angeordneten Bindungswirkung der Entscheidung über die Zulassung nicht relevant. Diese sind vor den Gerichten geltend zu machen, die für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Zulassungsentscheidung berufen sind. Dem Senat ist es als Gericht der Sozialgerichtsbarkeit verwehrt, darüber zu entscheiden, ob wegen der Bedeutung für die Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer und im Versorgungswerk eine rückwirkende Zulassung als Syndikusrechtsanwalt auch bei bereits beendeter Beschäftigung in Betracht kommt (so z.B. AGH, Urteil vom 3. November 2017 – AGH 21/2017 II – juris, Rn. 39; a.A. Anwaltsgerichtshof Schleswig, Urteil vom 21. Juni 2021 – 2 AGH 4/18 – juris, Rn. 32; ebenso Huff, NJW 2018, 560), gegebenenfalls zumindest beschränkt auf die Rechtsfolge der Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer und dem folgend im Versorgungswerk.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1, Abs. 4 SGG. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da sie in erster Instanz noch nicht beigeladen waren und im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt haben (vgl. § 154 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung). Dementsprechend ist auch nicht angemessen, ihre außergerichtlichen Kosten dem Kläger aufzuerlegen (vgl. BSG, Urteil vom 14. November 2002 – B 13 RJ 19/01 R – juris, Rn. 44).

5. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.

 

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