L 10 U 3956/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 2719/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 3956/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 10.11.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer kieferorthopädischen Heilbehandlung.

Die 1993 geborene Klägerin war Schülerin der Realschule G, als sie am 03.09.2007 gegen 13.00 Uhr auf dem Nachhauseweg von der Schule mit ihrem Fahrrad gegen einen Pkw prallte, mit ihrer rechten Gesichtshälfte auf der Frontscheibe des Fahrzeugs aufschlug und mit ihrer Hüfte am Fahrradlenker hängenblieb.

Die D-Ärzte H und P diagnostizierten am selben Tag eine Prellung des rechten Kiefergelenks und Unterkiefers sowie eine Zerrung der linken Hüfte. Auf Grund des klinischen Befunds (Kiefergelenk frei beweglich, aber schmerzhaft, Druckschmerz am Kinn ohne sichtbare Prellmarken, linkes Hüftgelenk frei beweglich) wurde eine Röntgendiagnostik nicht für erforderlich und die Klägerin für „arbeitsfähig“ erachtet. In ihrem Nachschaubericht vom 05.09.2007 wiesen die D-Ärzte darauf hin, dass die in Ansehung der von der Klägerin geklagten Kopfschmerzen stattgehabte neurologische Untersuchung einen unauffälligen Befund ergeben habe. Sie bescheinigten „Arbeitsunfähigkeit“ bis zum 07.09.2007 und empfahlen eine weitere neurologische Abklärung. In ihrem Befundbericht vom 11.09.2007 teilten E und S mit, dass die Klägerin schon früher häufig Kopfschmerzen gehabt habe, seit mindestens zwei Jahren episodisch, vor dem Unfall fast jeden Tag. Der klinische Befund ergab im Wesentlichen lediglich eine endgradige Einschränkung der Halswirbelsäulenbeweglichkeit mit Druckschmerzhaftigkeit. Namentlich die Sensibilität im Gesicht war bei der Untersuchung vollkommen regelrecht und die Elektroenzephalographie (EEG) zeigte keinen pathologischen Befund. Die Fachärzte diagnostizierten einen unfallbedingt verstärkten cervikogenen Kopfschmerz ohne Anhalt für einen Spannungskopfschmerz oder eine sonstige spezifische Kopfschmerzform. Eine weitergehende neurologische Diagnostik hielten sie nicht für erforderlich.

Am 08.02.2019 meldete sich die Mutter der Klägerin bei der Beklagten und gab an, dass ihre Tochter „seit dem Unfall“ Kopfschmerzen habe. Im MRT sei „jetzt“ ein kleiner knöcherner Ausriss festgestellt worden und der Kiefer sei „seitdem“ verschoben. In ihrem Schreiben vom 20.03.2019 ergänzte die Klägerin u.a., dass sie ihren Mund nicht mehr richtig öffnen und kaum Nahrung aufnehmen könne. Auch ihre Nacken- und Kopfschmerzen seien Folge ihrer Kieferschäden. Sie legte das „Ärztliche Attest“ des H1 vom 15.03.2019 (S. 14 VerwA: hausärztliche Behandlung seit Anfang Februar 2011, Diagnosen: Brustwirbelsäulensyndrom, Migräne), den Bericht des W vom 31.10.2018 (S. 15 f. VerwA: MRT der Kiefergelenke am 30.10.2018) sowie das Schreiben des W1 vom 09.03.2019 (S. 17 VerwA: Behandlungsbeginn am 05.02.2019, Diagnose: craniomandibuläre Dysfunktion - CMD -) nebst „Kostenvoranschlag“ (S. 18 f. VerwA: Gesamtbetrag 3.000,27 €) vor.
Die Beklagte holte sodann Auskünfte bei den behandelnden Ärzten der Klägerin ein, u.a. das Schreiben des K an die Klägerin vom 04.04.2019 (S. 31 VerwA) sowie dessen Patientenakte (Zeitraum vom 17.10.2011 bis 04.04.2019, S. 42 ff. VerwA), das Schreiben des W1 vom 09.05.2019 (S. 47 VerwA) und den Befundbericht des Facharztes B vom 16.04.2019 (S. 32 ff. VerwA) nebst dessen Karteikartenauszügen (S. 35 ff. VerwA). B, der die Klägerin von Ende Februar 2012 bis Anfang Mai 2015 behandelte, wies darauf hin, dass die Klägerin ihm gegenüber zu keinem Zeitpunkt ein Unfallereignis erwähnt habe und dass er bei ihr in somatischer Hinsicht lediglich Verspannungen im Nackenbereich mit zervikalen Druckpunkten befundet habe (EEG ohne pathologischen Befund). Seit dem 7. Lebensjahr leide sie an Kopfschmerzen in Gestalt einer gewöhnlichen Migräne in Kombination mit einem beidseitigen Spannungskopfschmerz (Bedarfsmedikation: Sumatriptan) bei wohl bekannter Willebrand-Jürgens-Thrombopathie. Bei ihr bestünden zudem mittelgradige psychische Funktionsstörungen, weswegen die Klägerin regelmäßig Amitriptylin (= trizyklisches Antidepressivum) einnehmen solle. Die MRT des Kopfes vom 17.06.2013 hatte keinen pathologischen Befund ergeben (s. Radiologiebericht vom 18.06.2013, S. 39 VerwA).

Für die Beklagte wertete B1 die aktenkundigen Unterlagen einschließlich des Bildmaterials aus. Er führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 16.06.2019 (S. 54 ff. VerwA) aus, dass das Unfallereignis nicht hinreichend wahrscheinlich geeignet gewesen sei, eine CMD herbeizuführen, zumal die Klägerin bereits vor dem angeschuldigten Ereignis regelmäßig an Kopfschmerzen gelitten habe. Eine CMD habe ohnehin multifaktorielle Ursachen, z.B. interokklusale Interferenzen zwischen Ober- und Unterkiefer, Stress, Einnahme von Medikamenten, psychische Störungen.

Mit Bescheid vom 11.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.08.2019 lehnte es die Beklagte ab, die Kosten der kieferorthopädischen Behandlung gemäß Behandlungsplan vom 09.03.2019 zu übernehmen. Zur Begründung führte sie gestützt auf die Stellungnahme des B1 im Wesentlichen aus, dass sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis am 03.09.2007 und den erstmals ca. 11 Jahre danach dokumentierten Veränderungen und Einschränkungen im Kieferbereich nicht herstellen lasse. Entsprechende Brückensymptome in dem dazwischenliegenden Zeitraum seien schon nicht dokumentiert, ebenso wenig wie strukturelle Schädigungen zeitnah nach dem Unfall.

Hiergegen hat die Klägerin am 23.09.2019 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben, mit der sie ihr Begehren auf Gewährung einer kieferorthopädischen Heilbehandlung weiterverfolgt hat. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht (s. im Einzelnen B. 62 ff. SG-Akte), dass die bei ihr vorliegende CMD, welche eine funktionstherapeutische kieferorthopädische Behandlung zur Vermeidung von Folgeschäden erfordere, unfallbedingt sei. Sie habe bei dem Unfall eine „schwere“ Kieferprellung erlitten und in Folge verstärkte Kopf- und ständige Kieferschmerzen. Nach dem Ereignis habe sie „einige Wochen“ kaum „normale“ Nahrung zu sich nehmen und den Mund nicht richtig öffnen können. Es könne nicht zu ihren Lasten gehen, dass die sie seinerzeit behandelnden Orthopäden und Neurologen keinen Unfallursachenzusammenhang hergestellt hätten, zumal eine MRT des Kieferbereichs unterlassen worden sei. W1 habe dargelegt, dass der Unfall sehr wohl geeignet gewesen sei, die Kieferverletzung bzw. die CMD hervorzurufen, zumal ihre Beschwerden im Bereich des Kiefers auch rechtsseitig seien, dort, wo sie dereinst aufgeschlagen sei.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10.11.2020 abgewiesen. Die Klägerin habe wegen ihrer Kiefergelenksbeschwerden keinen Anspruch auf Heilbehandlung. Zwar komme die unfallbedingte Prellung des rechten Kiefergelenks und Unterkiefers auf der Grundlage der beratungsärztlichen Stellungnahme des B1 grundsätzlich als Mitursache der CMD in Betracht. Allerdings habe der Beratungsarzt in Ansehung der bei der Klägerin seit Kindesjahren bestehenden Kopfschmerzsymptomatik mit entsprechender Medikamenteneinnahme und der bei ihr bestehenden psychischen Funktionsstörung konkurrierende Ursachen beschrieben. Eine weitere Abgrenzung sei mangels dokumentierter ärztlicher Befunde indes nicht möglich, nachdem die Klägerin seit Herbst 2007 lediglich in Behandlung bei ihrem Hausarzt H1 sowie - seit 2011 - bei K gewesen sei. Die Nichterweislichkeit gehe zu ihren Lasten.

Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 16.11.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14.12.2020 Berufung eingelegt. Sie hat geltend gemacht, dass seinerzeit eine MRT hätte angefertigt werden müssen, dann hätte man gesehen, dass die Kiefergelenksscheibe „herausgesprungen“ gewesen sei. Das bei ihr bestehende rechtsbetonte Cervikalsyndrom sei wahrscheinlich durch die Kieferfehlstellung verursacht, nachdem ihre Kieferschmerzen auch nur auf der verunfallten Seite aufträten. W1 habe eine sehr verkrümmte Kiefergelenksscheibe beschrieben, was ein Indiz für eine länger zurückliegende Verletzung sei. Nur ein „heftiger“ Aufschlag führe im Übrigen zu einem Herausspringen des Kiefergelenks. Einen anderen Unfall habe es nicht gegeben und sie habe vor dem Ereignis vom 03.09.2007 auch keinerlei Kieferbeschwerden gehabt. Zudem habe sie nach dem Unfall „im Wesentlichen immer“ über Kiefergelenksschmerzen geklagt, die Ärzte hätten dies indes auf die Kopfschmerzen reduziert. Auch nach B1 sei schließlich „nicht ausgeschlossen“, dass der Aufprall die CMD verursacht habe. Die von ihm aufgeführten anderen Ursachen lägen bei der Klägerin nicht vor. Von einer Vorschädigung könne keine Rede sein, die Angaben der Neurologen zu den Kopfschmerzen vor dem Unfall seien „nicht nachvollziehbar“ und diese seien im Übrigen ja auch mit Paracetamol behandelt worden. Die vom B genannten Medikamente habe die Klägerin nie eingenommen. Tatsächlich habe sie vor dem Unfall auch „nur manchmal, aber nicht häufig“ Kopfschmerzen gehabt, ohne dass eine Behandlungsbedürftigkeit bestanden habe. Ohnehin sei die Klägerin jahrelang „falsch“ behandelt, nicht ausreichend untersucht und nicht ernst genommen worden und die Ärzte seien nicht in der Lage gewesen, eine „richtige“ Diagnose zu stellen. Ihr könnten auch nicht einfach psychische Probleme unterstellt werden.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 10.11.2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.08.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Unfalls vom 03.09.2007 eine kieferorthopädische Heilbehandlung entsprechend dem Behandlungsplan des W1 vom 30.04.2019 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.


Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten
vom 11.07.2019 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 28.08.2019, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, der Klägerin wegen der Folgen des Unfalls vom 03.09.2007 eine kieferorthopädische Heilbehandlung entsprechend dem Behandlungsplan des W1 vom 30.04.2019 zu gewähren, weil sie bereits die Eingangs(tatbestands)voraussetzung des erhobenen Anspruchs (vgl. § 26 Abs. 2 Nr. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs - SGB VII -: „durch den Versicherungsfall verursacht“) verneint hat.

Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs Anspruch u.a. auf Heilbehandlung. Dabei hat der Unfallversicherungsträger mit allen geeigneten Mitteln möglichst frühzeitig den „durch den Versicherungsfall verursachten“ Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern (§ 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Leistungen zur Heilbehandlung, die insbesondere die ärztliche (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII) bzw. die zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz (§ 27 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII) sowie die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII) umfassen (zur ärztlichen und zahnärztlichen Behandlung s. im Einzelnen noch § 28 SGB VII), werden grundsätzlich als Dienst- und Sachleistungen zur Verfügung gestellt (§ 26 Abs. 4 Satz 2 SGB VII). Die Unfallversicherungsträger bestimmen im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung sowie die Einrichtungen, die diese Leistungen erbringen, nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 26 Abs. 5 Satz 1 SGB VII).

Unter Zugrundelegung dessen unterliegt mithin die Entscheidung über die Voraussetzungen einer Leistung zur Heilbehandlung, das „Ob“ der Leistung, der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, während das „Wie“ der Leistung im pflichtgemäßen Ermessen (§ 39 Abs. 1 Satz 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch - SGB I -) des Unfallversicherungsträgers steht (vgl. nur Bundessozialgericht - BSG - 31.01.2012, B 2 U 1/11 R, in juris, Rn. 27; Stähler in jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 26 Rn. 18, 37, Stand 15.01.2022; Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, § 26 Rn. 67, 69 ff. m.w.N., Stand Sept. 2020). Der Versicherte hat mithin lediglich hinsichtlich des „Ob“ einer Heilbehandlungsleistung einen gebundenen Anspruch, nicht hingegen - vom Ausnahmefall einer sog. Ermessensreduktion auf Null (dazu noch sogleich) abgesehen - auf eine konkrete Leistung („Wie“ der Leistungserbringung). Die Entscheidung über Letzteres liegt vielmehr grundsätzlich im pflichtgemäßen (Auswahl-)Ermessen des Unfallversicherungsträgers, sodass ihm bezüglich Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung ein von den Gerichten zu beachtender eigener Entscheidungsspielraum (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG) verbleibt (s. zu allem die vorangegangenen Nachweise).

Vorliegend begehrt die Klägerin von der Beklagten eine ganz bestimmte, konkrete Leistung der Heilbehandlung, nämlich eine kieferorthopädische Behandlung entsprechend dem Behandlungsplan des W1 vom 30.04.2019. Diese Behandlung unterfällt dem Grunde nach dem Leistungskatalog des § 27 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB VII, wobei dahinstehen kann, ob es sich dabei um eine ärztliche oder zahnärztliche Behandlung handelt (vgl. dazu Fahlbusch in jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 28 Rn. 36 f. m.w.N., Stand 15.06.2020), denn beides ist jedenfalls unfallgesetzlich umfasst (§ 28 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) und die Heilbehandlungsleistungen sind in § 27 Abs. 1 SGB VII ohnehin nicht abschließend aufgeführt („insbesondere“), weswegen es unschädlich ist, dass eine kieferorthopädische bzw. -chirurgische Behandlung dort nicht explizit genannt ist.

Mit diesem Begehren kann die Klägerin - bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen - in der Sache nur dann Erfolg haben, wenn auf Rechtsfolgenseite eine Ermessensreduktion auf Null gerade im Hinblick auf diese konkrete Leistung gegeben ist (vgl. nur BSG a.a.O.), denn sie verlangt nicht „irgendeine“ Leistung zur Heilbehandlung, sondern eine ganz bestimmte. Eine solche kann sie nur - eben weil ein gebundener Anspruch lediglich hinsichtlich des „Ob“ einer Leistung zur Heilbehandlung besteht, nicht jedoch hinsichtlich des „Wie“, also der Auswahl der konkreten Leistung, die im Ermessen der Beklagten steht (s.o.) - beanspruchen, wenn eine Ermessensreduktion auf Null vorliegt, mithin wenn der Ermessensspielraum der Beklagten auf Grund der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls derart eingeschränkt ist, dass diese rechtmäßig nur eine einzige Entscheidung, nämlich vorliegend die Gewährung der von der Klägerin begehrten kieferorthopädischen Behandlung entsprechend dem Behandlungsplan des W1 vom 30.04.2019, treffen dürfte.

In Ansehung dessen verfolgt die Klägerin ihr Begehren statthaft - und auch ansonsten zulässig - mit der kombinierten Anfechtungs- und („unechten“) Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4, § 56 SGG), gerichtet darauf, dass ihr die Beklagte die kieferorthopädische Behandlung entsprechend dem Behandlungsplan des W1 vom 30.04.2019 als Naturalleistung (§ 26 Abs. 5 SGB VII; vgl. nur BSG a.a.O.) gewährt.

Diese Klage hat das SG zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 11.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.08.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung einer kieferorthopädischen Heilbehandlung entsprechend dem Behandlungsplan des W1 vom 30.04.2019 wegen der Folgen des Unfalls vom 03.09.2007.

Rechtsgrundlage für den erhobenen Anspruch ist - wie schon dargelegt - § 26 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 und 5 SGB VII i.V.m. § 27 Abs. 1 Nr. 2, 3 und § 28 SGB VII. Tatbestandliche Voraussetzung ist dabei u.a. ein Versicherungsfall - Arbeitsunfall oder Berufskrankheit (§ 7 Abs. 1 SGB VII) -, der einen Gesundheitsschaden verursacht hat (§ 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII; s. dazu nur Stähler in jurisPK-SGB VII, a.a.O. Rn. 18; Keller in Hauck/Noftz, a.a.O., § 26 Rn. 1, 43a, 68, § 27 Rn. 3a, Stand Sept. 2022).

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII), wobei namentlich auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit umfasst ist (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich (BSG 30.01.2007, B 2 U 8/06 R, in juris), dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen auf Grund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.

Vorliegend erlitt die Klägerin am 03.09.2007 einen Unfall i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII, als sie auf dem unmittelbaren Heimweg von der Schule mit einem Pkw zusammenstieß und sich auf Grund dieser Einwirkung in Gestalt des Aufpralls auf die Frontscheibe
als Gesundheits(erst)schaden jedenfalls eine Prellung des rechten Kiefergelenks und Unterkiefers sowie eine Zerrung des linken Hüftgelenks - dies stützt der Senat auf den D-Arztbericht vom 03.09.2007 - zuzog. Als Schülerin der Realschule G, einer allgemeinbildenden Schule, gehörte sie auch zum versicherten Personenkreis der gesetzlichen Schülerunfallversicherung (§ 2 Abs. 1 Nr. 8 lit. b Alt. 1 SGB VII; vgl. BSG 26.01.1988, 2 RU 2/87, in juris, Rn. 12), wobei nicht nur der Schulbesuch als solcher, sondern eben auch der (unmittelbare) Weg von und zur Schule versichert ist (sog. Wegeunfallversicherungsschutz, § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII; s. dazu nur BSG 23.01.2018, B 2 U 8/16 R, in juris, Rn. 11 ff. m.w.N.). Dass sich mithin am 03.09.2007 ein Arbeits- respektive Schülerwegeunfall ereignete, hat auch die Beklagte nicht in Zweifel gezogen.

Damit allein lässt sich der erhobene Anspruch hingegen nicht begründen. Denn wie dargelegt, muss der Gesundheitsschaden, derentwegen eine Heilbehandlung begehrt wird, durch den Versicherungsfall verursacht sein.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Gesundheitsschaden geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können; sie müssen daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen (vgl. u.a. BSG 20.12.2016, B 2 U 16/15 R, in juris). Nur hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung sowie der schädigenden Einwirkung und dem Gesundheitsschaden genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, a.a.O.; vgl. auch BSG 30.04.1985, 2 RU 43/84, in juris, mit weiteren Ausführungen zur Begründung); hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG 02.11.1999, B 2 U 47/98 R, und 02.05.2001, B 2 U 16/00 R, beide in juris). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG 28.06.1988, 2/9b RU 28/87, in juris).

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG 12.04.2005, B 2 U 27/04 R, in juris). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob neben der versicherten Ursache weitere Ursachen im naturwissenschaftlichen Sinn (erste Stufe) zum Gesundheitsschaden beitrugen. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung.

Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG 27.06.1991, 2 RU 31/90, in juris).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann sich der Senat - wie auch schon das SG - nicht davon überzeugen, dass die erstmals in der MRT der Kiefergelenke vom 30.10.2018 dokumentierte Discusluxation Grad III rechts (links: unauffällig, Grad 0) bei beidseits condylärer Degeneration mit cranioventraler Abflachung sowie beginnender ventraler Osteophytenbildung, geringem peridiscalen Erguss links, hypermobiler Subluxation beider Condylen (bei maximal möglicher Mundöffnung) und geringem Überlastungserguss C1/2 bei beidseitiger Hypertrophie des Musculus temporalis/Musculus masseter, die W1 in seinem Arztbrief vom 09.03.2019 und seiner Auskunft (gegenüber der Beklagten) vom 09.05.2019 zusammenfassend als CMD bezeichnet hat, auch nur mit Wahrscheinlichkeit mit dem angeschuldigten Ereignis in einem Ursachenzusammenhang steht.

Zutreffend und mit der aktuellen medizinischen Literatur (s. nur Fanghänel/Behr et al., Pschyrembel online, Stichwort „Kraniomandibuläre Dysfunktion“, Stand April 2020; Ridder, Craniomandibuläre Dysfunktion, 4. Aufl. 2019, Kap. 2.1.4 m.w.N.) in Übereinstimmung hat B1 in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, dargelegt, dass es sich bei der CMD - als Sammelbezeichnung (vgl. dazu nur Fanghänel/Behr et al., a.a.O.; Deutsche Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie [DGFDT] et al., Wissenschaftliche Mitteilung „Therapie craniomandibulärer Dysfunktionen - CMD“, Stand 01.05.2022, S. 1) für die hier bei der Klägerin bildgebend nachgewiesenen Kaumuskulatur- bzw. Kiefergelenksanomalien, derentwegen sie die kieferorthopädische Behandlung begehrt - um eine Erkrankung mit multifaktoriellen Ursachen handelt. Neben einer traumatischen Ursache (Ridder, a.a.O.: persistierender Muskelspasmus nach schwerer Gewalteinwirkung; Fanghänel/Behr et al., a.a.O.) kommen eine ganze Reihe von Erkrankungsursachen in Betracht, namentlich die von B1 aufgeführten (Stressbelastung, psychische Funktionsstörungen, Medikamentenauswirkungen) sowie z.B. nicht passgenaue Füllungen/Kronen/Brücken/Prothetik,
Bruxismus, Körperfehlhaltung und ständige Fehlbelastungen, Schlaf- und Angststörungen, Komorbiditäten mit einer Schmerzchronifizierung/Schmerzerkrankung und eine genetische Präposition (s. zu allem nur Fanghänel/Behr et al., a.a.O.; Ridder, a.a.O.; DGFDT, a.a.O.).

Vorliegend erachtet der Senat eine unfallbedingte, traumatische Ursache nicht als wahrscheinlich. Zwar hat die Klägerin bei dem Unfall eine Prellung im Bereich des rechten Kiefergelenks und des Unterkiefers erlitten. Indes sind zu keinem Zeitpunkt strukturelle, traumaassoziierte Schäden in diesem Körperareal klinisch befundet worden. Bei der ersten D-ärztlichen Untersuchung am Unfalltag ist das Kiefergelenk der Klägerin vielmehr frei beweglich gewesen und es haben sich auch keine äußeren Verletzungsanzeichen gezeigt, nicht einmal eine Prellmarke, ebenso wenig wie neurologische Ausfallerscheinungen. Auch bei der anschließenden Untersuchung durch E und S hat sich im Bereich des Kiefers und des Gesichts ein vollkommen unauffälliger Befund ergeben, die Klägerin hat ausweislich des ärztlichen Berichts auch keinerlei Beschwerden im Kieferbereich geäußert. Keiner der zeitnah nach dem Unfall mit der Behandlung der Klägerin befassten Ärzte hat denn auch auf Grundlage der objektiv-klinischen Befunde eine Veranlassung für weitere apparative Untersuchungen, namentlich die Durchführung einer MRT, gesehen. Eine weitere ärztliche Behandlung über Anfang September 2007 hinaus im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall ist ebenfalls nicht dokumentiert und von der Klägerin nicht einmal auch nur konkret behauptet worden. Die von ihr benannten Ärzte H1 und K behandeln sie erst seit dem Jahr 2011, also mehr als drei Jahre nach dem Unfall. Gegenüber B, der die Klägerin erstmals Anfang 2012 behandelt hat, hat sie den Unfall nicht einmal auch nur erwähnt - auch in den Patientenunterlagen des K ist nichts Entsprechendes vermerkt -, geschweige denn über Kieferbeschwerden berichtet, was der Senat seiner Auskunft gegenüber der Beklagten nebst seinen Karteikartenauszügen entnimmt. Dass B1 in Ansehung und nach Würdigung all dessen eine unfallbedingte, traumatische Verursachung verneint hat, überzeugt den Senat in jeder Hinsicht.

Die MRT der Kiefergelenke von Ende Oktober 2018 - mehr als 11 Jahre nach dem angeschuldigten Ereignis -, aus der die Klägerin eine traumatische Ursache der Discusluxation rechts herleiten will, steht nicht einmal mehr in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis. Sie ändert ohnehin nichts daran, dass weder unfallnah traumatische, strukturelle Schäden im Kieferbereich noch traumaassoziierte Brückensymptome im Zeitraum nach dem Unfall (s.o.) dokumentiert sind. Der Umstand, dass K der Klägerin erstmals Mitte Oktober 2011 wegen Kiefergelenksbeschwerden eine Schiene verordnet hat, hilft schon deshalb nicht weiter, weil dies in Ansehung der vorstehenden Ausführungen gerade nichts über deren Ursächlichkeit aussagt. Soweit K in seinem Schreiben an die Klägerin vom 04.04.2019 angegeben hat, der Unfall von 2007 habe „höchstwahrscheinlich“ die Kiefergelenksbeschwerden verursacht, hat er damit ohnehin allein die Meinung der Kläger wiedergegeben („Patientin teilt uns mit, dass…“), die indes von vornherein nicht geeignet ist, fehlende ärztliche Befunde für eine traumatische Schädigung zu ersetzen.

Auch die nur pauschale Behauptung des W1 (Schreiben an die Klägerin vom 09.03.2019), die CMD-Beschwerden resultierten aus dem Autounfall, beruht ersichtlich allein auf den Angaben der Klägerin („Anamnese: Kiefergelenksbeschwerden und Kopfschmerzen seit ihrem Autounfall vor 10 Jahren“) und lässt ohnehin jeden Bezug zu den unfallmedizinischen Maßstäben respektive zur Kausalitätsbeurteilung vermissen. Eine traumatische Verursachung hat auch er jedenfalls nicht sachlich-inhaltlich begründet, weswegen B1 zu Recht einen Unfallursachenzusammenhang als nicht nachvollziehbar qualifiziert hat. Nur am Rande merkt der Senat insoweit noch an, dass W1 in seiner Auskunft gegenüber der Beklagten vom 09.05.2019 auch nicht mehr wiederholt hat, dass die CMD-Beschwerden auf dem Unfall beruhten; hier hat er nur noch die Meinung der Klägerin in der Anamnese wiedergegeben.

Aus dem „Ärztlichen Attest“ des Hausarztes Haag vom 15.03.2019 ergibt sich ebenfalls nichts, was eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte, zumal dort lediglich die Diagnosen eines Brustwirbelsäulensyndroms und einer Migräne genannt sind. Ohnehin ist beim Allgemeinmediziner H1 schon eine besondere Kompetenz auf kieferchirurgischem/-orthopädischem Fachgebiet nicht erkennbar.

Soweit die Klägerin gemeint hat, es hätte unfallnah eine MRT der Kiefergelenke durchgeführt werden müssen, ändert dies zum einen nichts daran, dass eine solche MRT gerade nicht durchgeführt worden ist - entsprechend der obigen Ausführungen hat es dazu auch keinen Anlass gegeben -, zum anderen verkennt die Klägerin bereits, dass aus einem nicht erhobenen Befund nicht im Umkehrschluss ein auffälliger abgeleitet oder einfach unterstellt werden kann. Deswegen geht auch ihre - ohnehin nur pauschale und erstmals über ein Jahrzehnt nach dem Unfall aufgestellte - Behauptung, die Ärzte hätte ihre Klagen über Kieferbeschwerden nicht dokumentiert bzw. ihre Beschwerden auf die Kopfschmerzen reduziert und sie „falsch“ behandelt, ins Leere. Sie ist unabhängig davon in Ansehung des Umstands, dass eine (zahn-)ärztliche Behandlung wegen Kieferbeschwerden erst mehr als vier Jahre nach dem Unfall dokumentiert ist, nicht glaubhaft. Auch ihre weitere Behauptung, nach dem Ereignis „einige Wochen“ kaum „normale“ Nahrung zu sich genommen zu haben und den Mund nicht richtig habe öffnen können, findet keine Stütze in den ärztlichen Befunden und ist auch nicht mit dem Umstand in Einklang zu bringen, dass nach dem 06.09.2007 jahrelang keine weiteren ärztlichen Behandlungen dokumentiert sind. Schließlich ist ihre Behauptung, sie habe beim Unfall eine „schwere“ Kieferprellung erlitten, im Hinblick auf die dokumentierten klinischen Befunde (s.o.) schlicht unzutreffend.

Soweit die Klägerin weiter gemeint hat, dass ihr Kiefer seit dem Unfall „verschoben“ sei und dass nur ein „heftiger“ Aufschlag zu einem „Herausspringen“ des Kiefergelenks führe, ist dies schon deshalb nicht weiterführend, weil sie dabei zu Grunde legt, was erst zu begründen wäre und in Ansehung der obigen Ausführungen gerade nicht überzeugend begründet werden kann.

Soweit die Klägerin ferner gemeint hat, der Unfall sei geeignet gewesen, die mehr als 11 Jahre später im MRT objektivierte Discusluxation Grad III hervorzurufen, verkennt sie bereits, dass es auf die grundsätzliche Eignung („kann“)
eines konkreten Ergebnisablaufs, eine bestimmte Schädigung zu verursachen, nicht entscheidend ankommt, weil die grundsätzliche Eignung eines konkreten Ereignisablaufs, eine bestimmte Schädigung zu verursachen, eben gerade noch nicht gleichzeitig besagt, dass ein möglicher Schaden auch tatsächlich eingetreten ist (vgl. Senatsurteil vom 21.02.2013, L 10 U 176/11, in juris, Rn. 31). Wie bereits dargelegt, liegen bei der Klägerin Hinweise auf eine unfallbedingte traumatische Kiefergelenksschädigung gerade nicht vor und daran ändert es auch nichts, dass sich die Discusluxation Grad III auf der dereinst verunfallten Körperseite befindet, zumal die weiteren im Radiologiebericht des W beschriebenen Veränderungen gerade beidseits bzw. auch auf der linken Seite imponieren. Ungeachtet dessen findet die Auffassung der Klägerin, ihre „sehr verkrümmte Kiefergelenksscheibe“ sei ein „Indiz“ für eine länger zurückliegende Verletzung, weder im Radiologiebericht noch in den Schreiben des W1 eine Stütze und macht einen Unfallursachenzusammenhang in Ansehung der obigen Ausführungen ohnehin nicht wahrscheinlich.

Soweit die Klägerin des Weiteren gemeint hat, dass sie keinen anderen Unfall und vor dem Ereignis vom 03.09.2007 auch keinerlei Kieferbeschwerden gehabt habe, führt auch dies nicht weiter. Denn - wie ebenfalls schon oben dargelegt - kann ein ursächlicher Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinn nicht rein zeitlich begründet werden, sondern muss sachlich-inhaltlich nachvollziehbar sein. Insbesondere gibt es auch keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache und einem rein zeitlichen Zusammenhang die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSG
09.05.2006, B 2 U 1/05 R, in juris). Deswegen ist auch der Versuch der Klägerin, die von B1 - ohnehin nur beispielhaft aufgeführten - Alternativursachen mit pauschalen, teilweise (auch in sich) widersprüchlichen und nicht mit den ärztlichen Befunden in Einklang zu bringenden, Behauptungen zu relativieren bzw. wegzudiskutieren, nicht geeignet, dem Senat die Überzeugung von einem auch nur wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang zu vermitteln. Ebenso wenig genügt entsprechend den obigen Ausführungen, dass ein Ursachenzusammenhang nur möglich ist bzw. nicht ausgeschlossen werden kann, wobei die Behauptung der Klägerin, B1 habe einen Ursachenzusammenhang „nicht ausgeschlossen“, wiederum unzutreffend ist. 

In Ansehung all dessen ist mithin schon mangels objektivierter struktureller Schädigung der Kiefergelenke und des zeitlichen Ablaufs ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Schülerwegeunfall am 03.09.2007 und der in der MRT von Ende Oktober 2018 dokumentierten Discusluxation Grad III nicht herstellbar, sodass bereits aus diesem Grund eine kieferorthopädische Heilbehandlung zu Lasten der Beklagten entsprechend dem Behandlungsplan des W1 nicht in Betracht kommt.

Das übrige Rechtsmittelvorbringen, auch zu den Kopfschmerzen als angebliche Folge der Discusluxation rechts, geht schon am eigentlichen Kern des erhobenen Anspruchs auf kieferorthopädische Behandlung entsprechend dem vorgelegten Behandlungsplan (Neutralokklusion mit normalem Overjet und Overbite sowie Attritions- und Schlifffacetten, s. den entsprechenden Hinweis des B1) vorbei. Unabhängig davon ist hinsichtlich des Kopfschmerzsyndroms auch eine Ermessensreduktion auf Null (s.o.) nicht erkennbar. Nach der aktuellen medizinischen Lehrmeinung der maßgeblichen Fachgesellschaften (DGFDT, a.a.O., S. 3, 6, 9 m.w.N.) besteht keine ausreichende Evidenz, die eine Empfehlung rechtfertigt, in systematischer Weise eine CMD rein kieferorthopädisch zu verhindern oder zu therapieren und zwar losgelöst von der Art der verwendeten Apparatur. Namentlich bei (Kopf-)Schmerzpatienten ist danach zuvörderst eine entsprechende schmerztherapeutische, psychosomatische und neurologische Behandlung, einschließlich einer medikamentösen Therapie, angezeigt. Indes steht die Klägerin ersichtlich seit Juni 2017 nicht mehr in neurologischer Behandlung (s. Auskunft der Neurologin da Abos y Padilla gegenüber der Beklagten vom 11.04.2019, S. 28 VerwA) und nach eigener Angabe hat die Klägerin die ihr neurologischerseits ärztlich verordneten Medikamente nie eingenommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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