S 23 U 151/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 23 U 151/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 50/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 4/23 B
Datum
Kategorie
Urteil


Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes, des Versicherten, der im Steinkohlenbergbau tätig gewesen ist, die Feststellung der BK 4111 sowie die diesbezügliche Rentengewährung sowie aus eigenem Recht die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen.

Ausgangspunkt des Rechtsstreits ist die BK 4101. Zum besseren Verständnis des entscheidungserheblichen Sachverhalts enthält daher der nachfolgende Tatbestand auch die Prozessgeschichte zu jener BK.

Mit bestandskräftigem Bescheid der Bergbau-BG, Rechtsvorgängerin der Beklagten, vom 12.07.1994 war die Erkrankung des verstorbenen Versicherten als Berufskrankheit nach Nr. 4101 (Quarzstaublungenerkrankung; Silikose) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anerkannt, ein Rentenanspruch mangels rentenberechtigender MdE jedoch abgelehnt worden. Diesbezüglich hatte vor dem Sozialgericht Gießen ein Rechtsstreit stattgefunden, in dem die Klage nach Vorlage des für den Kläger negativen internistischen Gutachtens des Prof. F. (vom 11.07.1995) zurückgenommen worden war.

Auf Antrag des Klägers hatte in Bezug auf die BK 4101 im Jahr 1997 ein erneutes Verwaltungsverfahren stattgefunden, das mit bestandskräftigem Bescheid vom 14.10.1997 geendet hatte, in dem der Rentenanspruch weiterhin abgelehnt wurde. Dasselbe war in den Jahren 1999 (bestandskräftiger Bescheid vom 28.03.2000) und 2004 (Bescheid vom 16.07.2004) geschehen. Nach Widerspruch des Versicherten gegen letztgenannten Bescheid war von der Bergbau-BG auch das Vorliegen der BK 4111 („chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlenbergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren [(mg/m hoch 3) x Jahre]“ geprüft worden. Bei Dr. H. war ein internistisch-pneumologisches Gutachten (vom 22.07.2005) eingeholt worden, das zum Ergebnis gekommen war, dass eine BK 4111 aufgrund des von 1942 bis 1964 konkurrierend betriebenen Nikotinkonsums nicht eindeutig nachzuweisen sei und die MdE bezüglich der BK 4101 weiterhin nicht rentenberechtigend sei. Unter dem 30.09.2005 hatte die Bergbau-BG dem Kläger einen weiteren Bescheid über Ablehnung einer Rente infolge der BK 4101 erteilt. Eine Bescheidung in Bezug auf die BK 4111 erfolgte nicht.

Im Jahr 2009 war von der Bergbau-BG von Amts wegen eine Nachuntersuchung bezüglich der BK 4101 eingeleitet worden. In diesem Zusammenhang hatte Dr. M., Arzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde – Allergologie, Umweltmedizin, unter dem 01.03.2011 ein internistisch-pneumologisches Gutachten erstattet. 

Der Sachverständige hatte aufklärend mitgeteilt, dass das Beschwerdebild des Klägers – das keine Veränderungen zu den Vorbefunden zeige – vor dem Hintergrund der „in den letzten Jahren durchgeführten Studien“ sowie der Bochumer Empfehlung (für die Begutachtung von Quarzstaublungenerkrankungen) aus dem Jahr 2009 anders als zuvor einzuschätzen sei, da nun nachgewiesen worden sei, dass die radiologische Beurteilung mittels konventioneller Röntgenbilder die funktionelle Einschränkung bei einer Staublunge nicht abbilde. Der Streuungsgrad im Röntgenbild korreliere nicht mit der Schwere einer Lungenfunktionseinschränkung. Auch bei einem Streuungsgrad von I/I würden deutliche bronchial obstruktive Ventilationsstörungen verursacht, die auf eine Steinstaublungen-Exposition zurückzuführen seien. [Anm. d. Verf.: Für das Vorliegen einer Silikose sprechen kleine rundliche Schatten vom Typ p, q oder r im Röntgenbild des Thorax mit einer gewissen Reichlichkeit und gleichmäßigen Verteilung im Sinne eines Streuungsgrades nach ILO 2000 von 1/1 oder höher; Bochumer Empfehlung, Stand Juni 2011, Seite 23, Ziffer 1.5 erster Absatz. Die Bochumer Empfehlung wurde im Jahr 2009 auf der Grundlage der im Jahr 2008 verabschiedeten AWMF-Leitlinie „Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101 (Silikose)“ erarbeitet. Anlass für die Erarbeitung der Leitlinie war, dass die bislang bei geringgradig gestreuten Silikosen angewandte Begutachtungspraxis, die auf der sog. „Moerser Konvention“ beruhte, sich nicht mit der aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Datenlage deckte. „Zwischen Beschwerdebild und Gasaustausch und den Befunden im Röntgenbild, insbesondere den einzelnen Streuungskategorien nach der ILO-Klassifikation, bestehen keine klaren, ausreichend belastbaren Korrelationen. Deshalb ist nunmehr bereits ab einem Streuungsgrad 1/1 nach der ILO-Klassifikation (geringgradig gestreute Silikose) zu prüfen, ob Funktionseinschränkungen feststellbar und auf eine Quarzstaublungenerkrankung zurückzuführen sind.“ Bochumer Empfehlung aa0, Seite 9, erster und zweiter Absatz].

Aufgrund seiner Begutachtung hatte Dr. M. diagnostisch silikotische Lungenveränderungen nach der ILO-Klassifikation mit einem Streuungsgrad von 2/1 vor (sowie Typ q) im Sinne einer Quarzstaublungenerkrankung festgestellt. Neben der Silikose liege eine COPD (Abkürzung für Chronic Obstructive Pulmonary Disease = chronische obstruktive Erkrankung der Atemwege auf dem Boden einer chronisch-obstruktiven Bronchitis mit und ohne Lungenemphysem; vgl. Reichenhaller Empfehlung der DGUV, November 2012, Ziffer 3.1.3) sowie der Verdacht auf pulmonale Hypertonie vor. Diesbezüglich hatte der Sachverständige ausgeführt:

Aufgrund der Anamnese sei eine chronische Bronchitis anzunehmen. Klinisch wie auch funktionsanalytisch hätten sich schon erstmalig bei den Untersuchungen von Dr. E. (22.02.1995) Hinweise auf eine chronische Bronchitis und eine Lungenüberblähung gezeigt. Die Lungenfunktionsprüfung durch Dr. W. vom 22.03.1994 zeige Hinweise auf eine obstruktive Ventilationsstörung. Die gutachterliche Untersuchung des Klägers durch Prof. F. (s. o.) habe die anamnestischen Bezüge einer chronischen Bronchitis bestätigt. Prof. F. habe in seinem Gutachten zudem ein leichtgradiges Lungenemphysem beschrieben. Zum selben Befund sei auch der Sachverständige Dr. H. (s. o.) gekommen. Auch habe er eine nicht obstruktive Bronchitis beschrieben.

Aufgrund eigener Untersuchung des Versicherten durch den Sachverständigen M. hätten sich betreffend die Lungenfunktion unter Berücksichtigung des Alters und des Broca-Indexes und einer wohl altersbedingten wechselnden Mitarbeit des Versicherten in Ruhe am 14.01.2011 und am 18.02.2011 eine leichtgradige, peripher betonte Obstruktion mit deutlicher Überblähung und dadurch bedingter Pseudorestriktion gezeigt. Eine eindeutige restriktive Ventilationsstörung habe bei normaler totaler Lungenkapazität direkt nicht gesehen werden können. Broncholyse mit Salbutamol habe keine Veränderungen der obstruktiven Ventilationsparameter ergeben. Auch die Überblähungsparameter hätten sich nicht zurückgebildet. Nach fahrradergometrischer Belastung sei es nicht zu einer Verstärkung der Obstruktionsparameter gekommen. Mittels CO Diffusionsmessung habe sich eine mäßiggradig eingeschränkte Diffusionskapazität gezeigt, die jedoch auf die Volumen-Einheit bezogen wieder normal sei. Ein Vergleich zwischen fremdgas-ermittelter FRC und bodyplethysmographisch ermitteltem ITGV habe eine deutliche Differenz im Sinne von gefangener Luft (trapped air) gezeigt. Das konstant erhöhte Residualvolumen müsse somit weiterhin als Ausdruck einer fixierten Überblähung im Sinne eines Lungenemphysems gedeutet werden.

Im Ruhe-EKG habe sich kein Hinweis auf eine Druckerhöhung im kleinen Kreislauf ergeben. Auffällig sei jedoch in Ruhe und unter Belastung (Ergo-Spiro-Oxymetrie) eine vorhandene, am Ende der Belastung sich verstärkende Extrasystolie. Unter Belastung sei es zu einem deutlichen Abfall der Sauerstoffwerte gekommen. Es habe sich somit eine belastungsbedingte Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit gezeigt, wobei nicht entschieden werden könne, inwieweit es primär eine kardiale oder pulmonale Einschränkung gewesen sei.

Zur Kausalität hatte der Sachverständige ausgeführt:
Die Funktionsstörungen könnten mit Wahrscheinlichkeit [so die von der Beklagten formulierte Beweisfrage; Anm. d.Verf.] auf die Quarzstaub-Lungenerkrankung zurückgeführt werden. Ob die in Vorbefunden beschriebene leichtgradige pulmonale Hypertonie Folge der Silikose sei, könne aufgrund der durchgeführten Untersuchungen (bei denen BNP-Werte und D-Dimer-Werte erhoben wurden) und der vorliegenden Befunde, nicht entschieden werden. Diese Frage könne nur durch eine Rechtsherzkatheter-Untersuchung entschieden werden, auf die jedoch wegen des Alters und der fehlenden Duldungspflicht dieser Untersuchung verzichtet worden sei. 

Der Sachverständige M. hatte vom 22.02.1995 (Untersuchung durch Dr. E., s. o.) bis zum Tag vor der Untersuchung des Versicherten bei Dr. H. (11.11.2004) eine MdE von 20 v. H. sowie ab diesem Datum eine MdE von 30 v. H. eingeschätzt, da Dr. H. eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität festgestellt habe, die mit Wahrscheinlichkeit auf die feinstaubinduzierte Lungenerkrankung zurückzuführen sei. Ab Untersuchungstag beim ihm (Sachverständigen M.) am 18.02.2011 sei eine MdE von 40 v. H. einzuschätzen, da aufgrund seiner Belastungsuntersuchung nunmehr auch von einer latenten respiratorischen Partialinsuffizienz auszugehen sei.

Im Gutachten hatte der Sachverständige des Weiteren geäußert, dass bei dem Kläger auch eine BK 4111 vorliege, die sich mit der BK 4101 überlappe.

Aufgrund der ablehnenden Stellungnahme des Beratungsarztes der Beklagten Dr. L. vom 24.03.2011 hatte der Sachverständige M. unter dem 13.04.2011 eine ergänzende Stellungnahme abgegeben, wonach eine belastungs-induzierte respiratorische Partialinsuffizienz durch die erhobenen Werte nachgewiesen sei. Der Sachverständige hatte diesbezüglich die von ihm eingeschätzte MdE von 40 v. H. bekräftigt. Hierzu hatte der Beratungsarzt eine weitere Stellungnahme (vom 24.05.2011) vorgelegt. Am 20.10.2011 hatte deshalb eine weitere gutachtliche Untersuchung des Klägers bei Dr. M. stattgefunden, in der geklärt werden sollte, ob rezidivierende Lungenembolien stattgefunden hätten, die differentialdiagnostisch eine Erklärung der von Dr. M. anlässlich seines Gutachtens vom 01.03.2011 gefundenen respiratorischen Partialinsuffizienz unter Belastung sein könnten. Der Sachverständige hatte hierzu in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21.10.2011 nach Untersuchung des Klägers mitgeteilt, dass ein Angio-CT zur Klärung rezidivierender Lungenembolien aus medizinischen Gründen nicht möglich sei. Unabhängig davon halte er rezidivierende Lungenembolien zur Erklärung der latenten respiratorischen Partialinsuffizienz nicht für wahrscheinlich, sondern weiterhin die Silikose primär hierfür verantwortlich.

Aufgrund der weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. L. vom 08.11.2011 hatte die Beklagte bei Prof. P. eine Stellungnahme zu dem Gutachten sowie den ergänzenden gutachtlichen Stellungnahmen des Dr. M. eingeholt, der am 08.12.2011 eine Wiederholung der Ergo-Spiro-Oxymetrie empfohlen hatte, mit der wiederum Dr. M. beauftragt worden war. Diesbezüglich hatte Dr. M. in der Stellungnahme vom 28.02.2012 mitgeteilt, dass sich aus der am Vortag erneut durchgeführten Untersuchung keine neuen Anhaltspunkte ergäben, die eine Änderung der vorbefundlichen Bewertung bedingten. Unter einer geringeren Belastung habe sich bei in Ruhe ausreichenden O2-Werten unter Belastung eine signifikante Reduktion der O2-Spannung ergeben, wobei nach Ende der Belastung der Ausgangswert noch nicht vollständig erreicht worden sei. Nach einer weiteren diagnostischen Untersuchung des Versicherten (HR-CT des Thorax vom 24.04.2012) hatte die Beklagte bei Prof. N., Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil, eine gutachtliche Stellungnahme nach Aktenlage (insbesondere zur Schlüssigkeit des Gutachtens des Dr. M.) erstellen lassen.

Unter dem 16.07.2012 hatte Prof. N. in Auswertung der von Dr. M. erhobenen Messdaten der Ganzkörperplethysmographie, Spirometrie, Diffusionsmessung, Blutgasanalyse, und der Spiroergometrie zusammenfassend ausgeführt, dass im Rahmen des M.´schen Gutachtens weder eine Ventilationsstörung mit gutachterlich ausreichender Sicherheit festgestellt worden sei, noch sei die körperliche Leistungsfähigkeit des Versicherten alterskorrigiert signifikant eingeschränkt. Die von Dr. M. vorgebrachte Argumentationskette, wonach eine Silikose-bedingte Belastungshypoxämie eine MdE von 40 v. H. begründe, sei insofern nicht schlüssig. Es sei vielmehr festzustellen, dass die Silikose weder zu einer relevanten Ventilationsstörung noch zu einer Diffusionsstörung geführt habe, noch eine Belastungshypoxämie oder eine pulmonale Hypertonie begründen könne. Soweit Dr. M. in diesem Zusammenhang auf ein EKG von Prof. R. (Bericht vom 11.02.2008) verwiesen habe, in dem eine pulmonale Hypertonie festgestellt worden sei, werde dort allerdings auch eine beginnende diastolische Relaxationsstörung und eine Hypertrophie des Ventrikelseptums auf 12 mm berichtet, so dass eine pulmonale Hypertonie in diesem Zusammenhang mit höchster Wahrscheinlichkeit auf eine diastolische Funktionsstörung des linken Ventrikels bei hypertensiver Herzerkrankung und Wandhypertrophie des linken Ventrikels zurückzuführen sei. Letztere begründe auch zwanglos die unter Belastung beschriebene geringgradige Hypoxämie. An der gutachterlichen Beurteilung des Dr. M. bestünden daher begründete Zweifel. Entgegen dem Sachverständigengutachten des Dr. M. hatte Prof. N. die der BK 4101 zuzuordnende MdE mit 10 v. H. ab der Begutachtung des Versicherten bei Dr. M. am 14.01.2011 eingeschätzt.

Dr. M. hatte zur gutachtlichen Stellungnahme des Prof. N. unter dem 30.07.2012 Stellung genommen. Hierin hatte er darauf verwiesen, dass es lungenfunktionsanalytische Vergleichswerte für die Altersgruppe des Versicherten nicht gebe, dass bei dem Versicherten gleichwohl eine langjährige chronische Bronchitis bestehe und dass es eine Vermutung sei, die pulmonale Hypertonie auf eine diastolische Funktionsstörung des linken Ventrikels zurückzuführen. Auf die CT des Thorax (s. o.) sei Prof. N. gar nicht eingegangen. Nach Anschauung des Dr. M. sei hier ein Emphysem zu sehen, wobei die Untersuchung eingeschränkt gewesen sei durch die zwischenzeitlich erfolgte Implantation eines Herzschrittmachers mit entsprechenden Störphänomenen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass sich beim Versicherten die BKen 4101 und 4111 überlappten, wobei die Silikose in der Regel für fibrotische Veränderungen im Sinne einer Restriktion verantwortlich sei, während die chronische Bronchitis mit Emphysem bei Bergarbeitern mehr die obstruktive Funktionsbeschränkung begünstige. Für die Bildung der MdE und damit für die Höhe einer Rente seien daher sowohl die Funktionseinschränkungen zu berücksichtigen, die als typische Folge der Fibrosierung anzusehen seien, als auch jene, die sich aus dem komplexen Krankheitsbild bei chronischer obstruktiver Bronchitis und Emphysem herausbilden könnten. Er bleibe daher bei seiner MdE-Einschätzung.

Unter dem 20.08.2012 hatte die Beklagte dem Kläger einen Bescheid erteilt, in dem sie den Anspruch auf Rentengewährung infolge der BK 4101 weiterhin abgelehnt hatte. Zur Begründung hatte sie ausgeführt, dass sie dem Gutachten des Dr. M. sowie seinen ergänzenden Stellungnahmen nicht folgen könne. Vielmehr schließe sie sich den gutachtlichen Äußerungen des Prof. N. an.

Gegen den Bescheid vom 20.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.11.2012 ist beim erkennenden Gericht unter dem Aktenzeichen S 23 U 207/12 ein auf Rentengewährung gerichtetes Klageverfahren geführt worden, das im selben Termin wie das vorliegende Verfahren (durch Klageabweisung) erledigt worden ist. In jenem Rechtsstreit hatte das erkennende Gericht im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Prof. T., Komm. Leiter des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin am Universitätsklinikum Gießen, der dieses unter dem 27.08.2014 vorgelegt hatte. Es geht auf die Auswertung der Verwaltungs- und Gerichtsakten, die arbeitsmedizinisch-fachinternistische ambulante Untersuchung vom 19.08.2014 sowie die vom Versicherten mitgebrachten Befunde sowie die vom Sachverständigen angefertigten Röntgen- und CT-Aufnahmen zurück. Prof. T. hatte sich den Begutachtungen und Stellungnahmen von Prof. F. vom 11.07.1995, Herrn Dr. H. vom 11.11.2004 sowie Herrn Prof. N. vom 16.07.2012 betreffend die Einschätzung des medizinisch-funktionellen Anteils der MdE der BK 4101 angeschlossen und die MdE somit auf unter 20 v. H. eingeschätzt. Bei seiner gutachtlichen Untersuchung des Klägers sei aufgrund des hohen Alters des Klägers von 90 Jahren und bei Vorliegen multipler konkurrierender Erkrankungen eine Belastungsuntersuchung nicht durchführbar gewesen. Auch die Durchführung der Lungenfunktionsanalyse habe sich schwierig gestaltet, da der Versicherte während der Untersuchung mehrfach eingeschlafen sei. In Ruhe sei weder eine Diffusions- noch eine Gasaustauschstörung festgestellt worden. Es habe sich eine mitarbeitsbedingte Einschränkung der Vitalkapazität und des Atemgrenzwertes ergeben. Die lungenfunktionsanalytisch gemessene Überblähung habe CT-morphologisch kein Korrelat. Es sei kein Emphysem nachgewiesen. Daher sei dieser lungenfunktionsanalytische Befund auf eine mangelnde Ausatmung mit eingeschränkter Vitalkapazität zurückzuführen. Die Flussminderung in den kleinen Atemwegen könne auf einen ehemaligen Rauchkonsum mit kumulativ 22 Packungsjahren zurückgeführt werden. Eine auf die silikotischen Granulome zurückführbare funktionelle Einschränkung sei bei regelrechter Diffusionskapazität und regelrechter Blutgasanalyse nicht nachweisbar. Der erhöhte pulmonale Druck werde als Folge der chronischen (Links-)Herzinsuffizienz angesehen. 

In seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 20.04.2015 hatte sich der Sachverständige T. dahingehend geäußert, dass ihm bei der Beurteilung im Gutachten vom 27.08.2014 die Staubbelastungsdosis von kumulativ 150,2 mg Feinstaubjahren entgangen sei. Diese sei bei einer 18jährigen Tätigkeit unter Tage ausreichend, um eine Flussminderung der kleinen Atemwege zu verursachen. Die berufliche Feinstaubexposition stelle somit eine wesentliche Teilursächlichkeit für die Flussminderung der kleinen Atemwege dar, so dass sich eine wesentliche Änderung in der Kausalzusammenhangsbeurteilung ergebe. Da arbeitstechnisch die Voraussetzungen der BK 4111 mit Sicherheit gegeben seien, sei eine BK 4111 wahrscheinlich zu machen. Dies gründe sich auch auf die Angabe, dass eine chronische Bronchitis seit mindestens 1995 bestehe. Es sei daher von einer rentenberechtigenden MdE hinsichtlich der BK 4111 auszugehen. Schwierig gestalte sich aber die Einschätzung der MdE bei Vorliegen sowohl der BK 4101 als auch der BK 4111. Maßgeblich für die Verursachung einer chronischen Bronchitis, von Lungenfunktionsstörungen mit restriktiver und/oder obstruktiver Komponente, einem Lungenemphysem mit radiologisch nachweisbaren intrapulmonalen silikotischen Läsionen durch langjährige Einwirkung von Stäuben mit kristallinen Kieselsäuren seien die Diffusionskapazität sowie die Spiro-Ergometrie mit Blutgasanalyse. Die Diffusionskapazität sei im Falle des Versicherten regelrecht gewesen. Auch eine Gasaustauschstörung habe nicht nachgewiesen werden können. CT-morphologisch habe kein zentrilobuläres Emphysem und auch keine zentrale obstruktive Ventilationsstörung bestanden. Daher seien Rückwirkungen der Silikose auf das Herz nicht zu erwarten. Aufgrund dessen hatte Prof. T. den medizinisch-funktionellen Anteil der MdE bezüglich der BK 4101 weiterhin auf unter 20 v. H. eingeschätzt.

Der Ehemann der Klägerin ist 2016 gestorben.

Vor dem Hintergrund der ergänzenden Stellungnahme des Prof. T. vom 20.04.2015 und einem rechtlichen Hinweis der Kammervorsitzenden in dem Rechtsstreit S 23 U 207/12 fand ab Ende August 2015 ein Feststellungsverfahren betreffend die BK 4111 bei der Beklagten statt. Diesbezüglich erteilte die Beklagte der Ehefrau des am 25.02.2016 verstorbenen Klägers unter dem 11.05.2016 einen Bescheid, in dem sie feststellte, dass bei deren verstorbenem Ehemann zu Lebzeiten keine BK 4111 bestanden habe und dieser daher auch nicht an den Folgen der BK 4111 verstorben sei. Ansprüche auf Hinterbliebenenleistungen bestünden nicht. Zur Begründung bezog sich die Beklagte unter Bejahung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 4111 auf das von ihr bei Prof. Q. eingeholte arbeitsmedizinische Zusammenhangsgutachten nach Aktenlage vom 11.03.2016. Prof. Q. war hierin zu dem Ergebnis gelangt, dass das Vorliegen einer chronischen Bronchitis seit mindestens 1995 gesichert sei, eine obstruktive Ventilationsstörung sich jedoch in den Messungen von 1995 bis 2012 nicht gezeigt habe und der sichere Nachweis auch in der Messung 2014 nicht erbracht worden sei. Ebenso wenig bestehe ein Lungenemphysem. Für die wiederholt gezeigte leichte Lungenüberblähung habe sich morphologisch im Jahr 2014 kein Korrelat im Sinne eines Emphysems gefunden. Eine Gasaustauschstörung sei nicht nachgewiesen und die Diffusionsmesswerte hätten normgerechte Werte gezeigt. Damit seien die medizinischen Voraussetzungen der BK 4111 nicht erfüllt. 

Gegen diese Entscheidung legte der Klägervertreter Widerspruch ein, den er bezüglich der Hinterbliebenenleistungen damit begründete, dass in jedem Fall eine Lebenszeitverkürzung um ein Jahr infolge der Berufskrankheiten BK 4111 eingetreten sei.

Gegen den Bescheid vom 11.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.08.2016, der den Widerspruch der Klägerin mit derselben Begründung wie im Ausgangsbescheid ablehnte, hat die Klägerin am 12.09.2016 Klage erhoben.

Die Klägervertreterin beruft sich auf das Sachverständigengutachten des Dr. M. inklusive dessen ergänzenden Stellungnahmen sowie auf die Stellungnahme des Sachverständigen Prof. T. nach Aktenlage vom 20.12.2016 (s. u.).

Die Klägervertreterin beantragt, 
unter Abänderung des Bescheids vom 11.5.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.8.2016 die Beklagte zu verurteilen, eine Berufskrankheit Nr. 4111 anzuerkennen, und der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin nach dem verstorbenen Versicherten Verletztenrente nach einer MdE von 30 vom 100 ab dem 11.11.2004, nach einer MdE von 40 vom 100 ab dem 1.3.2011 und nach einer MdE von 50 vom 100 ab dem 19.8.2014 zu gewähren sowie der Klägerin aus Anlass des Todes des verstorbenen Versicherten am 25.2.2016 Hinterbliebenenleistungen zu gewähren im Sinne der Gewährung eines Sterbegeldes und im Sinne der Gewährung von Witwenrente.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält ihre Rechtsauffassung für zutreffend.

Das Gericht hat im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichts- und Verwaltungsakten des Rechtsstreits S 23 U 207/12 zu dem Rechtsstreit beigezogen. 

Das Gericht hat zudem bei Prof. T. eine gutachterliche Stellungnahme nach Aktenlage eingeholt. In seiner diesbezüglichen Stellungnahme vom 20.12.2016 führt Prof. T. aus, dass eine umfassende lungenfunktionsanalytische Begutachtung bei Dr. H. am 11.11.2004 erfolgt sei. Hier sei eine obstruktive Ventilationsstörung mit Flussminderung der kleinen und großen Atemwege im Vollbeweis gesichert worden. Auch im weiteren Krankheitsverlauf sei eine periphere obstruktive Ventilationsstörung feststellbar gewesen. Die Parameter einer Lungenüberblähung seien lungenfunktionsanalytisch eindeutig pathologisch. Als Folge hiervon habe auch eine beginnende Diffusionsstörung bestanden. Zwar sei es richtig, dass sich röntgenologisch inklusive CT kein Hinweis für ein Emphysem ergeben habe, hierbei sei jedoch zu bedenken, dass sich ausschließlich histologisch durch ein Mikroskop detektierbare Lungenemphyseme einer Bildgebung auch mittels hochauflösender CT-Untersuchung entziehen könnten. Zur Anerkennung einer BK 4111 sei jedoch der histologische oder radiologische Nachweis eines Lungenemphysems nicht erforderlich, vielmehr komme der lungenfunktionsanalytischen Untersuchung die entscheidende Bedeutung zu (diesbezüglich verweist der Sachverständige auf die wissenschaftliche Begründung für die BK 4111, Bekanntmachung des BMA vom 01.08.1995, BArbBl. 10/1995, S. 39 sowie auf das Merkblatt zur BK 4111, Bekanntmachung des BMA vom 01.12.1997 – Iva 4-45206, BArblBl 12/197, S. 35). Die BK 4111 liege spätestens seit dem Gutachten des Dr. H. vom 22.07.2005 vor. Trotz des Rauchkonsums des Versicherten von kumulativ etwa 22 Packungsjahren sei die ermittelte Staubdosis von mehr als 150 Feinstaubjahren wesentlich teilursächlich für die Erkrankung. Hierzu beruft sich Prof. T. neben seinen Ausführungen in der gutachterlichen Stellungnahme vom 20.04.2015 (im Rechtsstreit S 23 U 207/12, s.o.) auf die Bekanntmachung des BMAS vom 01.10.2006, IVa 4-45222-4111/26, BArbBl. 12-2006, S. 149), wonach sich unter Berücksichtigung des Raucherstatus mit einer Unsicherheit der Messwerte von 5 % bei Nichtrauchern ein unterer Grenzwert der Ermittlungsdosis für das Erkrankungsrisiko von 86 Feinstaubjahren und für Raucher ein Grenzwert von 100 Feinstaubjahren ergebe, den der Versicherte mit 150,2 Feinstaubjahren deutlich überschreite. Schwierig gestalte sich allerdings weiterhin die Einschätzung der MdE beim Vorliegen sowohl der BK 4101 als auch der BK 4111. Auf diesbezügliche Abgrenzungsschwierigkeiten habe bereits Dr. M. in seinem Gutachten vom 01.03.2011 (s. o.) hingewiesen. Da sich anlässlich seiner (des Sachverständigen T.) Begutachtung die Durchführung der Lungenfunktionsanalyse schwierig gestaltet habe, seien die Voruntersuchungen von Dr. M. und von Dr. H. der Einschätzung zugrunde zu legen. Prof. T. schließe sich dem gestaffelten MdE-Vorschlag des Dr. M. an. Vor dem Hintergrund der am 19.08.2014 feststellbaren Rechtsherzbelastung mit einem cor pulmonale (hierunter versteht man eine Vergrößerung und Schwächung der rechten Herzkammer aufgrund einer Druckerhöhung innerhalb der nachgelagerten Lungenarterien mit der Folge eingeschränkter Belastbarkeit; Internetrecherche der Kammervorsitzenden vom 09.01.2018 unter https://www.mdgp.de/wichtige-lungenerkrankungen/cor-pulmonale/), für die konkurrierende Ursachen nicht nachweisbar seien, sei der medizinisch-funktionelle Anteil der MdE ab diesem Zeitpunkt auf 50 v. H. einzuschätzen. 

Die Beklagte hat zu dieser ergänzenden Stellungnahme des Prof. T. eine beratungsärztliche Stellungnahme des Prof. P. vom 07.02.2017 vorgelegt. Angesichts der Variabilität der Befunde (fragliche pulmonale Hypertonie bzw. Lungenüberblähung aufgrund eines bildgebend nicht darstellbaren Lungenemphysems bei einem normalen CO-Transferkoeffizienten; starke Schwankung der Einsekundenkapazität, Frage der Verwertbarkeit der Spirometrie und des Quotienten RV%TLC) führte Prof. P. aus, dass die Argumentation des Prof. T. sowohl zur BK 4111 als auch zur BK 4101 wegen Widersprüchlichkeiten nicht überzeuge. Mit einer offensichtlichen Linksherzinsuffizienz, die zum Tode des Versicherten geführt habe, liege ein bk-unabhängiges Leiden vor, das dessen Beschwerden erklären könne. Die Anerkennung der BK 4111 sei ohnehin ausgeschlossen, wenn die Latenz zwischen Abkehr von der beruflichen Tätigkeit und dem Beginn von Brückensymptomen mehr als 20 Jahre betrage. 

Daraufhin hat das erkennende Gericht von Amts wegen bei Prof. T. eine weitere Stellungnahme angefordert, die am 10.10.2017 abgegeben wurde. 

Die Beklagte hat zuletzt ein als „beratungsärztliche Stellungnahme BK 4101, 4111“ überschriebenes Schriftstück des Dr. K. vom 15.12.2017 vorgelegt. Hierin wird ausgeführt, dass bei dem Versicherten weder eine chronisch obstruktive Bronchitis noch ein Lungenemphysem vorgelegen habe. Es bedeute eine nicht akzeptable Überstrapazierung der Untersuchungsmethode „Lungenfunktion“, wenn bei bekannt unzureichender Kooperation der Vollbeweis der Erkrankung aus einer oder mehreren Lungenfunktionsbefunden abgeleitet werde. Denn es habe bei dem Versicherten eine erhebliche Limitierung der Verwertbarkeit der Lungenfunktion insgesamt vorgelegen, so dass verlässliche Aussagen mit dieser Untersuchungsmethode nicht hätten gewonnen werden können. Bereits 1995 werde in dem Arztbericht des Dr. E. (vom 22.02.1995) explizit festgehalten, dass die Messung der Lungenfunktion sich schwierig gestaltet habe. Der Patient sei teilweise nicht in der Lage gewesen, die Spirometriemanöver exakt auszuführen. Es habe sich teilweise eine exspiratorische Pressatmung mit entsprechender Verminderung der 1-Sekundenkapazität gezeigt, auch sei keine optimale maximale Inspiration erzielbar gewesen. Es gebe keinen Grund, so Dr. K., anzunehmen, dass sich die Kooperation des Versicherten im Laufe der letzten 20 Jahre verbessert habe, eher sei das Gegenteil anzunehmen. Bis auf die Messung der Lungenfunktion aus dem Jahr 2004 mit Prüfung der unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität genüge keine der durchgeführten Messungen den Qualitätsanforderungen (starke Schwankungen der Messwerte einzelner Parameter, keine Reproduzierbarkeit von Auffälligkeiten, Flussvolumenkurven ohne ausreichende Mitarbeit bzw. mit inakzeptablen Schwankungen der Messwerte). Hinzu komme, dass sämtliche der in Rede stehenden Messwerte ab einem Alter von 70 Jahren wegen der insoweit nicht validierten Sollwerte EGKS hoch spekulativ seien. Aus den ohnehin nicht verlässlichen spirometrischen Parametern könne die Diagnose einer obstruktiven Ventilationsstörung nicht gewonnen werden. Aus den Daten der Bodyplethysmografie könne abgeleitet werden, dass bei dem Versicherten eine wechselhaft ausgeprägte, reversible, obstruktive Ventilationsstörung bestanden haben könne bei einer unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität. Derartige Befunde fänden sich vorrangig bei Personen mit Asthma, könnten jedoch auch im Rahmen einer Linksherzinsuffizienz (vorliegend) oder auch in fortgeschrittenem Lebensalter ohne zwingend pathologisches Korrelat auftreten. Eine dauerhafte, irreversible, obstruktive Ventilationsstörung, die den Tatbestand der BK 4111 erfülle, liege damit nicht im Vollbeweis vor. Dies führe dazu, dass die im Vollbeweis gesicherte und unstreitig vorliegende Silikose nicht mit einer MdE einhergehe, da keine dauerhafte obstruktive Ventilationsstörung und keine pulmonale Gasaustauschstörung gesichert sei, und dass der Tatbestand der BK 4111 mangels einer vollbeweislich gesicherten dauerhaft vorhandenen obstruktiven Ventilationsstörung im Sinne einer COPD nicht erfüllt sei.

Was die Diagnose Lungenemphysem anbetreffe, so sei diese weder radiologisch, noch durch die Lungenfunktionsprüfungen (s. o.), noch durch die Bodyplethysmografie nachweisbar, da in der Gesamtschau der von 2004 bis 2014 gemessenen Werte ein Normalbefund mit gelegentlich dokumentierter Lungenüberblähung vorliege.
Die in den Jahren 2004 und 2011 durchgeführten Spiroergometrien ließen eine kardiale Limitierung der körperlichen Belastbarkeit erkennen, Hinweise auf eine pulmonale Limitierung der körperlichen Belastbarkeit (insbesondere durch eine obstruktive Ventilationsstörung) ließen sich nicht erkennen. 

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung war.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, soweit sie auf die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus eigenem Recht, als auch auf die Feststellung des Versicherungsfalls aus abgeleitetem Recht (§§ 56, 59 Satz 2 SGG) gerichtet ist. Es handelt sich hierbei um eine objektive Klagehäufung bei kombinierter Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (letztere in Bezug auf die Feststellung der BK 4111) sowie Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG). Das Feststellungsinteresse der Klägerin ergibt sich daraus, dass mit der begehrten Feststellung des Versicherungsfalls die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen verknüpft ist (vgl. diesbezüglich BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 – B 2 U 21/08 R –, SozR 4-2700 § 63 Nr 6, Rn. 15).

Soweit die Klage auf die rückwirkende Gewährung einer Lebzeitenrente gerichtet ist, ist sie ebenfalls aus abgeleitetem Recht (§§ 56, 59 Satz 2 SGG) zulässig, obwohl die Beklagte in ihrer angefochtenen Entscheidung hierzu keine (explizite) Regelung getroffen hat. Denn es wäre bloße Förmelei, diesbezüglich auf ein weiteres sozialgerichtliches Vorverfahren zu bestehen: die Beklagte würde den Rentenanspruch schon deshalb ablehnen, weil nach ihrer Entscheidung keine BK 4111 vorliegt.

Die zulässige Klage führte indes in der Sache nicht zum Erfolg.

Die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass die Erkrankung ihres Ehemanns zu Lebzeiten eine BK 4111 (§ 9 SGB VII) war und damit auch keinen Anspruch auf rückwirkende Gewährung einer diesbezüglichen Rente (§ 56 SGB VII), weil schon die Erkrankung nicht im Vollbeweis nachgewiesen ist.

Zunächst ist aus gegebenem Anlass zu betonen, dass die hier streitige BK 4111 von der BK 4101 abgegrenzt werden muss, da es sich trotz möglicher kausaler Wechselbeziehungen dennoch um eigenständige Berufskrankheiten handelt. Nur wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für beide Versicherungsfälle vorliegen, sind beide anzuerkennen und die MdE ist gemeinsam integrativ zu bilden, vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, Seite 1073 Ziffer 17.5.9). 

Eine BK 4111 lag bei dem Versicherten nicht vor. Hierzu wäre eine chronisch-obstruktive Bronchitis oder ein Lungenemphysem (vgl. Merkblatt zur BK 4111, Bek. des BMA vom 01.12.1997 – IVa 4-45206, BArbBl. 12/1997, S. 35) vollbeweislich nachzuweisen gewesen, was nicht gelungen ist. Damit kann auch kein BK-bedingtes cor pulmonale nachgewiesen werden, das sich in fortgeschrittenen Fällen aus einer chronischen obstruktiven Bronchitis mit einem Lungenemphysem entwickeln kann (vgl. Merkblatt aa0 sowie Schönberger/Mehrtens/Valentin, aa0, Seite 1072). Das Gericht schließt sich insoweit (zu den Einschränkungen s. u.) aus eigener Überzeugung den Feststellungen des Prof. T. in seinem Gutachten vom 27.08.2014 sowie seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20.04.2015 an, die dieser in dem Rechtsstreit S 23 U 207/12 erstattet hat (s. Tatbestand). Zwar bezogen sich die dortigen medizinischen Aussagen des Prof. T. auftragsgemäß auf die BK 4101 und nicht auf die BK 4111, jedoch sind bei beiden BKen dieselben Funktionsbeeinträchtigungen relevant. Der Unterschied ist, dass zur Feststellung der BK 4111 eine chronische obstruktive Bronchitis im Vollbeweis vorliegen muss.

Prof. T. hat anhand seiner Untersuchungen des Versicherten in dem Gutachten vom 27.08.2014 sowie seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20.04.2015 weder eine Diffusions- noch eine Gasaustauschstörung festgestellt, sondern eine mitarbeitsbedingte Einschränkung der Vitalkapazität und des Atemgrenzwertes. Die lungenfunktionsanalytisch gemessene Überblähung (als Zeichen einer chronischen obstruktiven Bronchitis) habe CT-morphologisch kein Korrelat gehabt. Es sei kein Lungenemphysem und auch keine zentrale obstruktive Ventilationsstörung nachgewiesen. Den erhöhten pulmonalen Druck sah der Sachverständige daher auch nicht als Rückwirkung einer chronischen obstruktiven Bronchitis mit Lungenemphysem auf das Herz (cor pulmonale), sondern als BK-unabhängige Folge der chronischen (Links-)Herzinsuffizienz an.

Soweit der Sachverständige T. in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 20.04.2015 (s. o.) ausgeführt hatte, dass eine BK 4111 wahrscheinlich zu machen sei, bezog sich dies zunächst auf die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK („Staubbelastungsdosis von kumulativ 150,2 mg Feinstaubjahren“). Aus der Annahme, dass eine chronische Bronchitis seit mindestens 1995 bestehe, leitete der Sachverständige sodann die Rentenberechtigung ab, hierbei offenbar in medizinischer Hinsicht verkennend, dass nach seinen eigenen medizinischen Befunden das Erkrankungsbild der BK 4111 gar nicht erfüllt war mangels obstruktiver Ventilationsstörung und mangels Lungenemphysems. Der gutachtlichen Stellungnahme vom 20.04.2015 kann daher, soweit hierin das Vorliegen der BK 4111 mitsamt Rentenberechtigung bejaht wird, seitens des erkennenden Gerichts nicht gefolgt werden.

Soweit der Sachverständige T. in seiner späteren, im hiesigen Verfahren erstatteten, gutachterlichen Stellungnahme vom 20.12.2016 die bestehende Aktenlage dahingehend ausgewertet hat, dass bei dem Versicherten – entgegen seinem vorherigen Gutachten vom 27.08.2014 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20.04.2015 – eine obstruktive Ventilationsstörung, eine Lungenüberblähung sowie eine beginnende Diffusionsstörung bestanden habe und ein Lungenemphysem nachgewiesen sei, kann dies nur verwundern bzw. gerichtlicherseits nicht nachvollzogen werden. Zur Begründung dient dem Sachverständigen hierbei die Überlegung, dass wegen der schwierigen Gestaltung der bei ihm durchgeführten Lungenfunktionsanalyse nicht seine Messwerte, sondern die Messwerte der Voruntersuchungen von Dr. M. und von Dr. H. zugrunde zu legen seien. Allerdings hatte Dr. M. bei seinen Untersuchungen vom 14.01.2011 und vom 18.02.2011 nur eine leichtgradige, peripher betonte Obstruktion bei normaler Diffusionskapazität gesehen und in der Krankengeschichte fand sich keine obstruktive Ventilationsstörung (im Jahr 1995 waren sowohl durch den behandelnden Arzt Dr. E. als auch durch den Sachverständigen Prof. F. und im Jahr 2005 durch den Sachverständigen Dr. H. keine obstruktiven Bronchitiden nachgewiesen worden, was Dr. M. selbst ausführt), womit die von Dr. M. gestellte Diagnose einer chronischen obstruktiven Atemwegserkrankung (COPD) nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts nicht vollbeweislich nachgewiesen ist (denn hierfür wäre die zweifelsfreie Feststellung einer obstruktiven Ventilationsstörung erforderlich gewesen; vgl. Ziffer 4.4 der Reichenhaller Empfehlung, die sich zwar auf die BKen 1315, 4301 und 4302 bezieht, aber den medizinischen Erkenntnisstand zur COPD und zur Begutachtung beinhaltet und insoweit hier anwendbar ist). Dr. M. hatte zudem offen gelassen, inwieweit der in der Ergo-Spiro-Oxymetrie zutage getretenen belastungsbedingten Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit des Versicherten eine primär kardiale (mithin nicht BK-relevante) oder eine pulmonale Einschränkung zugrunde liegt. Und Dr. H. hatte (s. o.) bei seiner Untersuchung des Versicherten am 11.11.2004 (für sein Gutachten vom 22.07.2005) lungenfunktionsanalytisch ebenfalls keine (fixierte) Obstruktion festgestellt. Auch sei die Belastungsuntersuchung beendet worden, weil der Versicherte die Belastungsgrenze erreicht habe und nicht, weil Dyspnoe oder Erschöpfung ihn zum Abbruch gezwungen hätten (Gutachten H., aa0, Seite 14, 2. Absatz von oben).

Die T.´sche Stellungnahme vom 20.12.2016 kann daher seine vorherigen, anlässlich des Gutachtens vom 27.08.2014 erhobenen, Befunde (s. o.) und deren Bewertung nicht in Zweifel ziehen, zumal diese sich auf einer Linie bewegen mit den Feststellungen der Sachverständigen F., H. und N. Auch Prof. Q. hat in seinem Gutachten vom 11.03.2016 unter Auswertung des Akteninhalts bestätigt, dass bei dem Versicherten keine obstruktive Ventilationsstörung und kein Lungenemphysem nachgewiesen ist, was er mit der Auswertung weiterer Messungen aus dem Jahr 2014 untermauert hat.

Auch mit dem Gutachten des Dr. M. vom 11.03.2011 (sowie seine ergänzenden gutachtlichen Stellungnahmen) konnte das Vorliegen einer BK 4111 nicht nachgewiesen werden, wie sich zwanglos aus dem oben Ausgeführten ergibt.

Was das von der Beklagten als „beratungsärztliche Stellungnahme BK 4101, 4111“ überschriebene Schriftstück des Dr. K. vom 15.12.2017 anbelangt, bezüglich dessen von der Klägervertreterin sinngemäß ein Antrag auf Löschung aus der Gerichtsakte wegen Verstoßes gegen § 200 Abs. 2 SGB VII gestellt worden ist, war dem nicht zu entsprechen. 

Soweit die genannte Vorschrift von der Stellungnahme des Dr. K. überhaupt berührt sein kann (was zweifelhaft ist, da Dr. K. mit der Beklagten einen Beratungsvertrag abgeschlossen hat; vgl. richtungsweisend das BSG-Urteil vom 5.2.2008, B 2 U 8/07 R, juris), steht nach der Rechtsüberzeugung der erkennenden Kammer der Rechtsnachfolgerin des Versicherten kein aus dieser Vorschrift abgeleitetes Widerspruchsrecht zu, da selbiges als höchstpersönliches Recht nur dem Betroffenen zusteht (vgl. die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 13.07.2009, L 2 U 176/08, und vom 15.08.2011, L 2 U 153/10; beide juris). Zum Zeitpunkt der Einholung der o. g. Stellungnahme war der Versicherte aber bereits verstorben. Die Stellungnahme des Dr. K. durfte daher auch im vorliegenden Rechtsstreit verwertet werden (allerdings merkt das erkennende Gericht an, dass es sie zur Entscheidungsfindung nicht benötigt hat).

Mangels Vorliegens der BK 4111 bei dem verstorbenen Versicherten konnte diese weder zu Gunsten der Klägerin festgestellt noch ein Rentenanspruch hieran geknüpft werden.

Selbstredend hat die Klägerin damit auch keinen Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, weil dies voraussetzen würde, dass der Tod infolge des Versicherungsfalls eingetreten ist (§ 63 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Mangels Versicherungsfalls konnte der Tod auch nicht dessen Folge sein. 

An dieser Entscheidung hindert auch nicht, dass es sich bei dem Anspruch nach § 63 SGB VII um einen eigener Rechtsanspruch des/der Hinterbliebenen handelt, was zur Folge hat, dass die Anspruchsvoraussetzungen ohne Bindung an bestands- oder rechtskräftige Entscheidungen gegenüber dem Verstorbenen (neu) zu prüfen sind (vgl. BSG vom 7.2.2006 - B 2 U 31/04 R - SozR 4-2700 § 63 Nr 3 RdNr 18, 19; vgl auch BSG vom 25.7.2001 - B 8 KN 1/00 U R - BSGE 88, 226 = SozR 3-2700 § 63 Nr 1, sowie Sacher in Lauterbach, Unfallversicherung, Sozialgesetzbuch VII, 4. Aufl., Stand Mai 2005 § 63 RdNr 10 und Klieve in jurisPK-SGB VII § 63 RdNr 17). Diese Trennung ist im vorliegenden Fall irrelevant, weil der Versicherte selbst bezüglich der BK 4111 von der Beklagten nie beschieden wurde, sondern die erstmalige, die hier streitgegenständliche, Bescheidung nach dem Tod des Versicherten gegenüber seiner Ehefrau, der Klägerin, erfolgte.

Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben und war insgesamt abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 143, 144 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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