L 11 KR 264/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 1718/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 264/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 11/23 AR
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 15. März 2021 wird zurückgewiesen.

Die auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Einsicht in die Versichertenakte der Klägerin gerichtete Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenübernahme einer privatärztlichen ambulanten Behandlung.

Die Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Mit Schreiben vom 17. Mai 2020, eingegangen am 15. Juni 2020, beantragte sie bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine privatärztliche ambulante Behandlung bei einem Facharzt für Umweltmedizin. Daraufhin informierte die Beklagte die Klägerin über die Möglichkeiten im Rahmen einer vertragsärztlichen Behandlung und benannte mehrere Vertragsärzte in S. und G. mit der Zusatzbezeichnung „Umweltmedizin“ (Schreiben vom 25. Juni 2020, 1. Juli 2020). Die Klägerin bestand nachfolgend auf einer Kostenübernahme einer Behandlung durch einen „Facharzt für Umweltmedizin (Privatpraxis)“ (Schreiben vom 6. Juli 2020).

Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 14. Juli 2020 ab. Im Falle einer Erkrankung erhalte sie alle notwendigen Behandlungen bei Vertragsärzten, wobei die Kosten dafür über die Versicherungskarte im Wege des sogenannten Sachleistungsprinzips abzurechnen seien. Für ärztliche Leistungen, die nicht über die Versichertenkarte abgerechnet werden könnten, müsse der Antrag für diese Leistungen vor Inanspruchnahme bei der Krankenkasse eingereicht werden. Selbstbeschaffte ärztliche Leistungen ohne vorherige Einbindung der Beklagten im Rahmen einer Kostenerstattung seien nicht möglich.

Dagegen legte die Klägerin am 28. Juli 2020 Widerspruch ein. Sie verwies darauf, dass nur „dieser Facharzt“ Erfahrung habe, wenn man durch Tonerstaub erkrankt sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass nur Ärzte in Anspruch genommen werden könnten, die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen seien (§ 76 Abs. 1 SGB V). Es bestehe grundsätzlich kein Anspruch auf Kostenübernahme für Behandlungen bei Ärzten, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligt seien.

Dagegen hat die Klägerin am 21. Oktober 2020 Klage erhoben, mit der sie die Kostenübernahme einer Behandlung bei einem „(aus gegebenem Anlass: Privatpraxis)“ Facharzt für Umweltmedizin begehrt. Fachärzte mit Kassenzulassung hätten sie abgelehnt und nicht behandelt. Die von der Beklagten benannten Ärzte hätten keine Erfahrungen und keine Kenntnis, wenn man an bzw. durch Toner erkrankt sei. Sie müsse daher einen Facharzt für Umweltmedizin (Privatpraxis) zwingend aufsuchen. Diesen Arzt für Umweltmedizin (Privatpraxis) müsse sie zunächst aufsuchen und dann müsse sich dieser mit Fachärzten für Dermatologie und Onkologie schnellstmöglich in Verbindung setzen. Der Widerspruchsbescheid sei nicht korrekt, weil die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) überhaupt nicht eingeschaltet bzw. informiert habe. Die Beklagte könne ihre Situation bzw. die toxische Einwirkung von Toner überhaupt nicht beurteilen, da keine Befunde berücksichtigt worden seien.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2020 zu verurteilen, die Kosten einer Behandlung bei einem Facharzt für Umweltmedizin (Privatpraxis) zu übernehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.

Das Gericht hat den Beteiligten mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die Streitsache ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (Verfügung vom 14. Dezember 2020).

Mit Gerichtsbescheid vom 15. März 2021 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage zulässig, aber nicht begründet sei. Die Klägerin sei durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 SGG, denn die Bescheide seien rechtmäßig. Zu Recht habe die Beklagte die Kostenübernahme einer ambulanten privatärztlichen Behandlung abgelehnt. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Kostenübernahme/-erstattung einer privatärztlichen Behandlung. Gemäß § 76 Abs. 1 SGB V dürften im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nur die Ärzte in Anspruch genommen werden, die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen bzw. ermächtigt seien. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dürften die gesetzlichen Krankenkassen keine Kostenerstattung für Behandlungen bei Ärzten vornehmen, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligt sind (BSG, Urteil vom 25.09.2000, Az. B 1 KR 5/99 R). Andere Ärzte dürften nur in Notfällen, d.h. wenn eine Behandlung durch einen Vertragsarzt objektiv nicht möglich sei, in Anspruch genommen werden (§ 76 Abs. 1 S. 3 SGB V). Ein derartiger Notfall liege nicht vor. Die Beklagte habe der Klägerin konkret eine Reihe von Vertragsärzten mit der Zusatzbezeichnung „Umweltmedizin“ benannt, die in erreichbarer Nähe zum Wohnort der Klägerin ambulante Behandlungen zu Vertragsbedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung anböten. Es bestehe demnach die Möglichkeit einer adäquaten ärztlichen Behandlung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. Vor diesem Hintergrund sei eine Kostenübernahme privatärztlicher Behandlungen durch einen (von der Klägerin nicht näher benannten) Facharzt für Umweltmedizin (Privatpraxis) nicht möglich.

Gegen diesen am 17. März 2021 (Klägerin) bzw. 19. März 2021 (Beklagte) zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 12. April 2021 Berufung eingelegt. Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und führt ergänzend aus, dass sie mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht einverstanden gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 15. März 2021 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2020 zu verurteilen, ihr die Kosten einer Behandlung bei einem Facharzt für Umweltmedizin (Privatpraxis) zu gewähren;

die Beklagte zu verurteilen, ihr Einsicht in ihre Versichertenakte zu gewähren.

Die Beklagte nimmt auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Verfügung vom 30. Juni 2021 hat der Senat der Klägerin die Verwaltungsakte der Beklagten in Kopie zugeleitet. Hierauf hat die Klägerin eingewandt, dass die Versichertenakte unvollständig sei und die Beklagte ihr eine weitergehende Akteneinsicht verweigere. Ergebnislos hat der Senat die Klägerin mit Verfügung vom 4. Oktober 2021 aufgefordert, mitzuteilen, welche konkreten verfahrensbezogenen Aktenbestandteile fehlen.

Die Klägerin hat am 20. April 2022 Einsicht in die Gerichts- und verfahrensbezogenen Verwaltungsakten der Beklagten in den Räumen des SG Köln genommen. Dabei hat die Klägerin vermerken lassen, dass die Unterlagen unvollständig seien.

Der Senat hat die Beteiligten zu einer Übertragung der Berufung auf den zuständigen Berichterstatter zur gemeinsamen Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern angehört (Verfügung vom 30. Juni 2021). Die Übertragung ist durch Beschluss vom 30. August 2021 erfolgt, der den Beteiligten am 8. September 2021 zugestellt worden ist.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe:

I. Die Entscheidung konnte trotz Ausbleibens einer Vertreterin/eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung ergehen, weil die Beklagte ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war.

II. Über die Berufung der Klägerin kann der Senat gemäß § 153 Abs. 5 SGG in der Besetzung mit dem Berichterstatter und zwei ehrenamtlichen Richtern entscheiden. Es liegt ein Fall des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG vor, weil das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Der Senat hat die Übertragung - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - nach pflichtgemäßem Ermessen beschlossen. Es handelt sich um ein tatsächlich und rechtlich einfach gelagertes Verfahren, das keine Fragen aufwirft, die einer Mitwirkung der vollen Richterbank des Senats (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGG) bedürfen (zu diesem Ermessenskriterium u.a. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, 2020, § 153 Rdnr. 25a; Senat, Urteil vom 22. Mai 2019, L 11 KR 649/18).

III. Die Berufung der Klägerin ist zunächst zulässig. Sie ist nach dem § 143 SGG form- und fristgerecht erhoben worden (§ 151 Abs. 1, 3, 64 Abs. 1, 3, 63 SGG) und auch gemäß §§ 143, 144 SGG ohne gerichtliche Zulassung statthaft.

IV. Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

1. Die erstmals im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 13. Januar 2022 erhobene Klage auf Gewährung von Akteneinsicht in die dort über die Klägerin seit 1998 geführten Vorgänge („Hiermit beantrage ich bei Gericht eine gerichtliche Verfügung, damit ich die Akteneinsicht bei der DAK-Gesundheit in meine DAK-Gesundheit Versichertenakte erhalte“) ist als unzulässig abzuweisen. Bei dieser Klageerweiterung handelt es sich um eine Klageänderung im Sinne von § 99 Abs. 1 SGG, weil sie mit einer Änderung des Klagegrundes einhergeht und daher kein Fall einer Privilegierung nach § 99 Abs. 3 SGG vorliegt. Denn die Klägerin stützt ihre Forderung auf einen anderen Lebenssachverhalt und nicht wie die auf die Gewährung einer Behandlung bei einem Facharzt für Umweltmedizin (Privatpraxis) betreffenden Bescheide der Beklagten. Eine solche Klageänderung ist zwar gemäß § 153 Abs. 1 SGG grundsätzlich auch im Berufungsverfahren möglich (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 99 Rn. 12). Hier fehlt es indes am Vorliegen der dafür in § 99 Abs. 1 SGG aufgestellten Voraussetzungen. Denn die Beklagte hat nicht in die Änderung der Klage eingewilligt und der Senat hält sie auch nicht für sachdienlich. Bei seiner diesbezüglichen Ermessensentscheidung hat er sich davon leiten lassen, dass die von der Klägerin geltend gemachte Sachleistung (medizinische Behandlung) in keinerlei innerem Zusammenhang mit der nun geltend gemachten Akteneinsicht steht. Im Übrigen würde die Klageänderung dazu führen, dass der Rechtsstreit insoweit auf eine völlig neue Grundlage gestellt wird. Hinzu kommt, dass das Verfahren entscheidungsreif ist und für die geänderte Klage die bisherigen Ergebnisse nicht verwertet werden könnten. Hinsichtlich der Klageerweiterung entscheidet der Senat erstinstanzlich auf Klage hin (vgl. Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 9. Oktober 1997 – L 5b J 31/96).

Zulässiger Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist demnach allein die Abänderung des auf die kombinierte Anfechtungs-, und Leistungsklage der Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG ergangenen Gerichtsbescheides des SG Köln vom 15. März 2021, des Bescheides vom 14. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2020 und der Antrag der Klägerin auf Verurteilung der Beklagten, ihr die Kosten einer Behandlung bei einem Facharzt für Umweltmedizin (Privatpraxis) zu gewähren.

2. Die Klägerin kann eine Aufhebung des Bescheides vom 14. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2020 nicht verlangen. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, ihr die Kosten einer Behandlung bei einem Facharzt für Umweltmedizin (Privatpraxis) zu gewähren.

Gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 5 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit (§§ 27 bis 52 SGB V). Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V besteht ein Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V). Wie das SG zutreffend dargestellt hat, ist die Gewährung einer ambulanten Untersuchung im Rahmen einer privatärztlichen Behandlung von dieser Anspruchsgrundlage nicht erfasst. Auf die zutreffenden Ausführungen des SG in der angegriffenen Entscheidung wird zur Vermeidung von Wiederholungen zur Begründung verwiesen. Insoweit sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, vgl. § 153 Abs. 2 SGG.

3. Die Berufung ist auch nicht im Sinne einer Aufhebung des angegriffenen Gerichtsbescheids und einer Zurückverweisung der Sache an das SG begründet. Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

Hier ist bereits kein Verfahrensfehler ersichtlich. Soweit die Klägerin geltend macht, sie sei mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht einverstanden gewesen, rechtfertigt dieser Vortrag nicht eine Aufhebung des Gerichtsbescheids i.S.d. § 159 SGG. Die Klägerin wurde vorher angehört (§ 105 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Entscheidung durch Gerichtsbescheid bedarf - anders als ein Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) - nicht der Zustimmung der Beteiligten (vgl. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 105 SGG >Stand: 07.12.2021<, Rn. 40).

Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass dem Recht der Klägerin auf Akteneinsicht in die verfahrensbezogenen Verwaltungsakten (§ 120 Abs. 1 Satz 1 SGG) Rechnung getragen wurde, in dem ihr die dem Senat übermittelte Verwaltungsakte in Kopie zugeleitet wurde und am 20. April 2022 Einsicht in die Gerichts- und Verwaltungsakten gewährt wurde. Anhaltspunkte, dass die übersandten Verwaltungsunterlagen nicht alle das Verfahren betreffenden Unterlagen beinhalten (vgl. zum Umfang des Akteneinsichtsrechts MKLS/Keller, 13. Aufl. 2020, SGG § 120 Rn. 3), liegen nicht vor und wurden auch von der Klägerin – trotz ausdrücklicher Nachfrage durch den Senat mit Verfügung vom 4. Oktober 2021 - nicht substantiiert geltend gemacht.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

VI. Gründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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