L 1 VE 4/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 12 VE 5/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 VE 4/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 V 4/23 BH
Datum
Kategorie
Urteil


Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 11. November 2020 wird zurückgewiesen. 

Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Gesundheitsstörungen der Klägerin als Impfschaden zu entschädigen sind.

Die 1973 geborene Klägerin beendete 2001 ein Slawistik-Studium (mit Abschluss: Magister) und im Juni 2005 ein Jura-Studium (ohne Abschluss) und arbeitete zunächst von Mai 2006 bis April 2008 als Sprachwissenschaftlerin in der Verwaltung und als Dozentin - jeweils mit befristeten Verträgen. Im Anschluss bezog sie Arbeitslosengeld I; seit Juni 2009 bezieht sie Arbeitslosengeld II und seit Mai 2012 daneben eine Erwerbsminderungsrente. Nachfolgend war sie jeweils kurzzeitig bzw. geringfügig im Rahmen von Aushilfsjobs (Hausaufgabenbetreuung, Sportbetreuung/Basketball, Ehrenamt) tätig. Einen Antrag der Klägerin auf Umschulung in einen Heilberuf hat die DRV Hessen bestandskräftig abgelehnt. 

Ein Grad der Behinderung -GdB- von 20 mit der Funktionsbeeinträchtigung „Somatoforme Störungen“ ist seit Januar 2012 festgestellt. 

Die Klägerin wurde ausweislich ihres Impfbuches am 26. November 2009 durch den Internisten C. mit dem Impfstoff Pandemrix® der Fa. H. (Chargen-Nr. Lot: A81CA117A) gegen Influenza A (H1N1, sog. „Schweinegrippe“) geimpft. Dieser Impfstoff enthielt als Konservierungsmittel 5 Mikrogramm Thiomersal, einen ethylquecksilberhaltigen Zusatz und als Adjuvans (Wirkstoffverstärker) Sqalen (10,69 Milligramm). 

Am 1. Dezember 2009 suchte die Klägerin den Arzt Herrn C. wegen folgender Beschwerden auf: Herzklopfen, Herzrasen, kalte Finger, Schwäche, leichte Ermüdbarkeit; nach der Impfung sei es zu Fieber und Übelkeit gekommen. Eine weitere Vorstellung erfolgte am 8. Dezember 2009. Die internistischen Untersuchungsbefunde waren unauffällig; Herr C. vermerkte „Verdacht auf Somatisierungsstörung“ (Bl. 47 der Verwaltungsakte).

Noch im Dezember 2009 hat die Klägerin das Universitätsklinikum Frankfurt am Main aufgesucht; hierzu liegen folgende Unterlagen vor:

02.12.2009: 
Internistische Notaufnahme; Laboranalyse, Blutgasanalyse: unauffällig; Messprotokoll (u.a. Bl. 1184 der Gerichtsakte); ein Arztbrief liegt nicht vor
09.12.2009/19.12.2009:
Abteilung „Medizinische Notaufnahme“, ambulante Behandlung im Zeitraum: 09.12.2009 (Behandlungstag); 19.12.2009 (Entlassungstag); Vorstellung wg. Schwindel, Kopfdruckgefühl, Unruhezustände, Konzentrationsprobleme; keine wegweisenden Befunde, kein Hinweis auf fokale Neurologie (Bl. 142f. der Verwaltungsakte) 
19.12.2009:
Blutgasanalyse: ohne Befund (Bl. 975 der Gerichtsakte) 
20.12.2009:
Laboruntersuchung (u.a. Bl. 976 der Gerichtsakte) 
29.12.2009:
Karteieintrag vom 29.12.2009: Klinisch-neurologisch unauffällig; ambulante Abklärung CCT, LP abgelehnt; cMRT empfohlen (Bl. 971 der Gerichtsakte)

In den nachfolgenden Jahren suchte die Klägerin wegen zahlreicher unterschiedlicher Beschwerden verschiedene Ärzte und Kliniken auf; die Klägerin wurde wegen unterschiedlicher Verdachtsdiagnosen untersucht: Raynaud-Syndrom, Sjögren-Syndrom, makrophagische Myofaszitis, Multiple Sklerose, rheumatische Erkrankung u.a.:

            - Es folgt eine Tabelle, die aus technischen Gründen nicht dargestellt werden kann (vorhanden unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de).

Die Diagnostik auf augenärztlichem, HNO-ärztlichem, neurologischem, rheumatologischem, internistischem, gastroenterologischem, nephrologischem, endokrinologischem, gynäkologischem und hämatologischem Gebiet ergab keine gesicherte Diagnose. Wegen des unspezifischen Beschwerdebildes wurde von verschiedenen Ärzten und Kliniken der Verdacht auf das Vorliegen einer Somatisierungsstörung geäußert.

Außerdem befand sich die Klägerin in der Zeit vom 7. Mai 2010 bis 7. November 2011 in der Behandlung bei der Psychiaterin Dr. D.; in einem Befundbericht an das Versorgungsamt vom 30. Juli 2012 schrieb die Ärztin: „Bei fortbestehender Einschränkung von Krankheits- und Behandlungseinsicht ist zu befürchten, dass die oben beschriebene Symptomatik i. S. einer hypochondrischen Störung in Verbindung mit einer leichten kognitiven Störung weiter fortbestehen wird“ (Bl. 158 der Gerichtsakte).

Die Klägerin stellte am 9. November 2011 einen Antrag auf Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz -IfSG- und machte als Folgen der Impfung vom 26. November 2009 folgende Gesundheitsstörungen geltend: Nierenbeschwerden, Müdigkeit und Erschöpfung, Leistungsabfall, Störung der Konzentration und der Aufmerksamkeit, trockener Husten, Kurzatmigkeit (sportliche Betätigung nicht mehr möglich), Gliederschmerzen, geschwollene Hände und Füße, Empfindlichkeit gegen Kälte und Licht, Trockenheit der Schleimhäute an Mund und Augen sowie Sehstörungen. Sie legte einzelne Seiten eines Allergieausweises in Kopie vor; danach bestehe eine Allergie gegen Thiomersal und Phenylquecksilberacetat (Quecksilberallergie), deren Unverträglichkeit sich ausweislich ihres Allergiepasses als „allergisches Kontaktekzem“ äußere (handschriftlich vermerkt: „Duplikat vom 5. Juni 2000“, kein Arztstempel) sowie eine Allergie gegen Nickel (2. Juni 2010). Eine Allergie gegen Quecksilberethyl wurde nachfolgend durch eine Blutuntersuchung am 1. September 2012 bestätigt (Bl. 349 der Gerichtsakte).
Die Hausärztin und Ärztin für Allgemeinmedizin Dipl. med. G. stellte in ihrem Bericht vom 23. November 2011 an die Beklagte fest: Die Klägerin habe gleich nach der Impfung unter zahlreichen Symptomen gelitten: Herzstolpern, Benommenheit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Müdigkeit, gerötete Augen, Leistungsknick, trockene Schleimhäute, kalte Extremitäten, Zyklusunregelmäßigkeiten, Einschlafstörungen, Schmerzen im rechten Oberbauch, Belastungsdyspnoe, Gangunsicherheit mit Fallneigung nach rechts, Konzentrationsstörungen, zeitweise Sehstörungen, Kraftminderung in den Händen mit fehlendem Faustschluss. Trotz intensivster Diagnostik in verschiedenen Kliniken und Spezialambulanzen habe bisher keine eindeutige Diagnose gestellt werden können (Bl. 74 der Verwaltungsakte). Am 30. Oktober 2011 hatte die Hausärztin gegenüber dem Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit folgende bei der Klägerin vorliegende Diagnose angeführt: Schwindel, Konzentrationsstörung, fragliche Sehstörung, Somatisierungsstörung. Sie habe der Klägerin eine stationäre psychologische Behandlung empfohlen, dies werde derzeit von der Patientin abgelehnt (Bl. 505 ff. der Gerichtsakte).

Der Beklagte nahm zahlreiche Arztbefunde zu den Akten (vgl. auch oben), u. a. die Krankenkartei von Dr. C., Befunde des Klinikums der Johann Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt aus 12/2009, des Universitätsklinikums Heidelberg aus 2010 und 2011 (Verdacht auf Somatisierungsstörung), der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg (Neurozentrum Rheumatologie Frauenklinik) aus 2010, des Bundeswehrkrankenhauses Berlin aus 2010, des Helios Klinikums Erfurt aus 2010, Neurologie (V.a. Somatisierungsstörung, Ausschluss MS), des Universitätsklinikums Jena aus 2011, des Universitätsaugenklinikums München, der Capioklinik A-Stadt sowie den kardiologischen Befund der Dr. E. aus 2011. Ferner holte der Beklagte Fachinformationen vom Hersteller des Impfstoffs Pandemrix® sowie eine Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) vom 19. Dezember 2011 ein. Dort hieß es, dass kein Verdachtsfall gemeldet sei und auch ansonsten mit der von der Klägerin geschilderten Beschwerdekombination kein weiterer Verdachtsfall im Zusammenhang mit einer Grippeschutzimpfung (Pandemrix®) gemeldet worden sei. Generell seien dem PEI auch von Allergikern keine gesundheitlichen Störungen nach Impfung bekannt geworden.

Der medizinische Berater des Beklagten Dr. K. gelangte in seiner Stellungnahme vom 12. April 2012 zu dem Ergebnis, dass ein Kausalzusammenhang zwischen Impfung und den geklagten Beschwerden unwahrscheinlich sei, denn weder sei eine Akutreaktion unmittelbar nach der Impfung zu belegen noch sei für die geklagte Symptomatik in der Folge ein organpathologisches Korrelat nachzuweisen. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 10. Mai 2012 eine Beschädigtenversorgung nach dem IfSG ab. Der für die Begutachtung beauftragte Sachverständige Dr. K. habe einen Kausalzusammenhang zwischen der angeschuldigten Impfung und der Gesundheitsstörung mit der im Versorgungsrecht erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht gefunden. Den Widerspruch der Klägerin vom 31. Mai 2012 wies der Beklagte Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2013 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 15. Januar 2013 Klage zum Sozialgericht -SG- Frankfurt am Main erhoben.

Während des Klageverfahrens hat sich die Klägerin weiteren Untersuchungen unterzogen:

        - Es folgt eine Tabelle, die aus technischen Gründen nicht dargestellt werden kann (vorhanden unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de).

In der Zeit vom 19. November 2013 bis 7. Januar 2014 hat die Klägerin eine neurologische Rehabilitationsmaßnahme in der Rehaklinik M., C-Stadt durchgeführt. Im Entlassungsbericht heißt es u.a. „… diese Tatsachen, gemeinsam mit der für funktionelle Störungen durchaus typischen Beschwerdesymptomatik in Bezug Arbeitsunfähigkeit, das geistige Leistungsvermögen sowie der Gesamteindruck sprechen dafür, dass das Krankheitsbild vorwiegend oder ausschließlich psychosomatischer Genese ist. Die Patientin selbst wehrt dies ab ...“ (Bl. 78 der Akte der DRV Hessen/Kopie).
Die Klägerin hat zur Klagebegründung vorgetragen: Sie leide infolge der Impfung mit dem Impfstoff Pandremix® unter einem Impfschaden mit verschiedenen Symptomen. Andere Ursachen für ihre Gesundheitsstörungen als die streitgegenständliche Impfung seien nicht zu erkennen. Der dem Impfstoff beigefügte Konservierungsstoff habe eine Quecksilbervergiftung mit vielfältigen gesundheitlichen Schädigungen hervorgerufen. Weder eine Somatisierungsstörung noch eine psychiatrische Erkrankung seien belegt und damit auch nicht ursächlich für ihre Leiden. Dies habe auch der Nervenarzt Dr. L., D-Stadt ausdrücklich bestätigt. Hierzu hat die Klägerin dessen Schreiben vom 22. Januar 2013 sowie den Befund zu einer testpsychologischen Untersuchung vom 21. Januar 2013 durch Dipl.-Psych. F. (Befundbericht vom 25. Januar 2013) vorgelegt. Weiter hat die Klägerin ein Attest der Fachärztin für Allgemeinmedizin/ Umweltmedizin J. vom 1. August 2013 sowie eine Ärztliche Stellungnahme von Dr. N., Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin, vom 3. Januar 2014 zu den Wirkungen der Schweinegrippeimpfung vorgelegt. Dr. N. hat bei der Klägerin einen Impfschaden bejaht, weil es bei der Impfung zu einer Quecksilbervergiftung gekommen sei. Die Hausärztin Dr. G. hat in ihrem Schreiben vom 26. April 2015 ausgeführt, dass ihre Diagnose einer Somatisierungsstörung revidiert werden müsse, da die Schweinegrippeimpfung bei bestehender Quecksilberallergie eine Quecksilbervergiftung ausgelöst habe und die geklagten multiplen Beschwerden hierauf zurückzuführen seien. Der Beklagte hat verschiedene Publikationen zu Thiomersal und Impfungen vorgelegt. Sein beratender Arzt Dr. K. hat in seiner Äußerung vom 6. Oktober 2014 weiterhin einen kausalen Zusammenhang zwischen der Impfung und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen verneint, da bei fehlenden eindeutigen Befunden sowie fehlender eindeutiger Diagnose dieser Kausalzusammenhang nicht hergestellt werden könne.

Das Gericht hat sodann Beweis erhoben durch die Einholung eines fachneurologischen Gutachtens der PD Dr. P., Universitätsklinik Mainz, welches am 1. Februar 2016 bei Gericht einging. Die Sachverständige ist nach Auswertung der medizinischen Unterlagen und Untersuchung der Klägerin zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der angeschuldigten Impfung und den geklagten Gesundheitsstörungen nicht vorliege. Es liege keine über das normale Maß hinausgehende Impfreaktion vor. Ein auffälliger organischer Befund sei im Hinblick auf die Organsysteme Leber und Niere erstmals ab August 2010 dokumentiert, so dass ca. 7 Monate nach der Impfung noch Normalbefunde vorgelegen hätten. Die Niere und Leber seien zuletzt unauffällig kontrolliert worden. Bezüglich der neurokognitiven Störungen liege erstmals ein auffälliger Befund vom 31. Januar 2013 vor, der sich auf einen Vorbefund vom 16. Juli 2012 beziehe. Es hätten sich pathologische Untersuchungsergebnisse ergeben, die jedoch inkonstant gewesen seien. Hirnorganische Ursachen als Erklärung der kognitiven Auffälligkeiten hätten aufgrund diverser fachspezifischer Untersuchungen ausgeschlossen werden können. Es läge ein Raynaud-Syndrom (krampfhafte Verengung der Blutgefäße in den Händen) und eine Sicca-Symtomatik (Augentrockenheit) vor. Es bestehe der Verdacht auf ein Sjögren-Syndrom und ein Verdacht auf eine autoimmune Schilddrüsenerkrankung. Ferner bestehe der Verdacht auf ein Zervixmyom, eine Myopie und ein Astigmatismus, eine Beinvarikosis und eine Neurodermatitis. Auffällig sei eine Aggravationstendenz. In Zusammenschau der Ergebnisse und der vorliegenden Unterlagen bestehe der Verdacht auf eine Somatisierungsstörung.

Die Klägerin hat gegen dieses Gutachten zahlreiche Einwendungen vorgebracht, insoweit wir Bezug genommen auf Bl. 207-221 und 230-237 der Gerichtsakte, und hat ein Attest des Dr. L. vom 18. März 2016 (Bl. 238 der Gerichtsakte) vorgelegt, worin das Vorliegen einer gesicherten Quecksilbervergiftung erneut bestätigt wird; danach seien die kognitiven Defizite allein hirnorganisch bedingt. Es bestünden ausdrücklich keine psychogenen Krankheiten. 

Unter dem 6. Juni 2016 hat die Sachverständige PD Dr. P. ausführlich zu den Kritikpunkten der Klägerin Stellung genommen (Bl. 239-242 der Gerichtsakte) und ergänzend die Äußerung des Neuropsychologen Q. vom 15. Juni 2016 sowie die dem Gutachten zugrundeliegenden Untersuchungs- und Testergebnisse vom 15. Juli 2015 und 19. August 2015 vorgelegt, die ebenfalls Grundlage des Gutachtens gewesen sind.

Die Klägerin hat weiterhin zahlreiche Einwendungen gegen das Gutachten vorgebracht (Bl. 260-286, 290-350, 351-378, 381-394, 407-412, 428-456, 461-464 der Gerichtsakte) und u. a. vorgetragen, dass dieses nicht dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entspreche. Hierzu hat sie neben zahlreichen Fachinformationen und Veröffentlichungen zu Thiomersal u.a. einen Bericht des Paul-Ehrlich-Instituts aus 2009 zu Verdachtsfallberichten im Zusammenhang mit Impfstoffen gegen die Neue A/H1N1 Influenza (Schweinegrippe) in Deutschland vorgelegt sowie den neuropsychologischen Befundbericht der Dr. T., Krankenhaus der O., D-Stadt, vom 25. Juni 2015, den Laborbefund des medizinischen Labors E-Stadt vom 19. April 2016 und Bescheinigungen von Dr. N. vom 7. Oktober 2015 und Frau Dr. G. 16. Juni 2015, die erneut bestätigen, dass die Gesundheitsstörungen auf die Quecksilbervergiftung zurückzuführen seien. Schließlich hat die Klägerin unter dem 21. Dezember 2016 geltend gemacht, dass das Gerichtsgutachten nicht berücksichtigungsfähig sei, aus den Akten herauszunehmen und sinnvollerweise Dr. R., F-Stadt mit einem Gutachten zu beauftragen sei, weil dieser sich intensiv mit Impfschäden befasse. Beispielhaft hat sie hierzu ein Gutachten des Dr. R. aus 2012 für das Sozialgericht Dresden vorgelegt (Bl. 431-451 der Gerichtsakte). Die Klägerin hat auf eine weitere Stellungnahme des Dr. N. vom 23. Mai 2017 (Bl. 463-464 der Gerichtsakte) verwiesen, worin von diesem ausgeführt wird, dass der Sachverhalt der Thiomersal-Allergie ausreiche, um den Impfschaden durch die Schweinegrippeimpfung bei der Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu beweisen. Unabhängig davon sei mittlerweile anerkannt, dass durch den Schweinegrippeimpfstoff eine Narkolepsie verursacht werde. Das bedeute, dass vorliegend das Thema Toxizität unerheblich sei, denn es liege eine Allergie auf den Stoff vor. Die Allergie sei keine Vergiftungsreaktion, sondern eine Reaktion des Immunsystems auf die Noxe. 

Mit Schriftsatz vom 24. Juli 2017, ergänzt durch die Schriftsätze vom 22. September 2017, 27. Oktober 2017 und 19. Dezember 2017 hat die Klägerin beantragt, die Sachverständige PD Dr. P. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Diesen Antrag hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 30. Januar 2018 abgelehnt. Insoweit wird Bezug genommen auf Bl. 575ff der Gerichtsakten.
Sodann hat PD Dr. P. unter dem 20. März 2018 ausführlich zu den weiteren Kritikpunkten der Klägerin Stellung genommen und ausgeführt, dass sie an ihrer bisherigen Auffassung festhalte. Wegen der Begründung im Einzelnen wird Bezug genommen auf Bl. 592-602 ff. Gerichtsakten.

Die Klägerin ist mit diesen Ausführungen weiterhin nicht einverstanden gewesen (Bl. 619 -645 der Gerichtsakten) und hat hierzu (erneut) die Unterlagen des Universitätsklinikums Frankfurt aus Dezember 2009 sowie Veröffentlichungen zur Narkolepsie vorgelegt.

Das Sozialgericht hat die Schwerbehindertenakte der Klägerin sowie die Rentenakten der DRV Hessen beigezogen. Das Gericht hat außerdem die medizinischen Unterlagen des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit beigezogen mit Gutachten aus den Jahren 2011, 2013, 2016 und 2017. Anlass für die Begutachtung war jeweils der Mehrbedarf bei Ernährung. Das Gericht hat ferner ein Vorerkrankungsverzeichnis der zuständigen Krankenkasse AOK Hessen beigezogen, woraus sich u.a. Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Dysthymia in 2008 (2 Wochen) und im März 2009 (fast 4 Wochen) ergeben, festgestellt jeweils durch die Hausärztin Dr. G. Hierzu hat die Ärztin auf Anfrage des Sozialgerichts am 24. Februar 2019 mitgeteilt, dass die Diagnose "depressive Verstimmung V.a." am 30. Mai 2009 auf Grund wiederholter Infekte der oberen Luftwege und am 4. März 2009 nach ausführlicher Diagnostik bei anhaltenden Gastroenteritiden geäußert worden sei. Insbesondere die Diagnostik der anhaltenden Magen-Darm-Beschwerden habe keine pathologischen Befunde erbracht. Die Klägerin habe niedergeschlagen gewirkt. Sie habe nie eine antidepressive Therapie erhalten, da sich relativ schnell eine Verbesserung des Gesamtbildes eingestellt habe.

Das Gericht hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens bei Prof. Dr. med. S., Erem. Direktor des Instituts für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum Frankfurt am Main. Der Sachverständige ist aufgrund einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 10. August 2018 in seinem Gutachten vom 11. April 2019 zu dem Ergebnis gelangt, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und dem geklagten Beschwerdebild nicht wahrscheinlich sei. Es habe keine außergewöhnliche Impfreaktion gegeben. Eine Narkolepsie habe ausweislich der zur Verfügung stehenden ärztlichen Befundberichte bei der Klägerin nicht vorgelegen. Das eigene Gutachten stehe in Übereinstimmung mit dem von PD Dr. P. erstatteten Gutachten. Abweichungen gebe es zu den von Dr. N. erstatteten Gutachten, da dieser den Zusammenhang zwischen wissenschaftlich bewiesenen Impfkomplikationen bei der hier zur Frage stehenden Impfung und den bei der Klägerin festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht herstelle. Auch die erhobenen Laborbefunde seien kein Beweis dafür, dass es zu einer impfbedingten, „toxischen" Schädigung gekommen wäre. Insbesondere liegt keine „Quecksilbervergiftung" vor, da dieses angesichts der im Thiomersal vorhandenen geringsten Quecksilbermengen nicht zu einer Vergiftung führen könne. Durch den vorgelegten Allergiepass sei belegt, dass die Klägerin schon vor der Impfung eine allergische Reaktion auf Thiomersal gezeigt habe, sonst wäre entsprechendes auch nicht durch den Allergiepass von 2000 bestätigt; durch die Blutuntersuchung eines Labors in E-Stadt werde nichts anderes bestätigt. Wegen des Inhalts des Gutachtens im Einzelnen wird auf Bl. 726 ff der Gerichtsakten Bezug genommen. 

Die Klägerin ist auch mit diesem Gutachten nicht einverstanden gewesen und hat dem Sachverständigen u.a. vorgehalten, dass er von einer zu niedrigen Menge Thiomersal im Impfstoff ausgegangen sei. Außerdem seien sehr wohl Schädigungsfolgen aufgetreten, nämlich genau die, die auch in dem Beipackzettel des Impfstoffes aufgeführt seien. Hier stehe auch, dass bei bekannter Allergie gegen Thiomersal die Impfung nur mit Vorsichtsmaßnahmen durchgeführt werden dürfe, weil dann natürlich noch heftigere Nebenwirkungen zu erwarten seien. Dies hätte vom impfenden Arzt zuvor eruiert werden müssen und die heftige Impfreaktion nicht kategorisch als „nicht impfbedingt“ ausschließen dürfen. Entsprechendes habe Dr. N. bestätigt; hierzu hat die Klägerin dessen Äußerung vom 4. Juli 2019 vorgelegt. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf Bl. 806-811, 814-821 der Gerichtsakten Bezug genommen. 

Der Gerichtssachverständige Prof. Dr. S. hat sodann in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 1. November 2009 eingeräumt, dass im Gutachten die Quecksilbereinheit (nur) versehentlich falsch getippt worden sei, er aber im Ergebnis bei seiner Auffassung bleibe, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und den geklagten Gesundheitsstörungen anzunehmen sei. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf Bl. 842-846 der Gerichtsakten Bezug genommen.

Auf die weitere Stellungnahme des Dr. N. vom 23. Januar 2020, dass Prof. Dr. S. die Impfstoffdosis verharmlose (Bl. 871-875 der Gerichtsakte), hat der gerichtliche Sachverständige unter dem 13. März 2020 ergänzend ausführlich Stellung genommen und weiterhin an dem Ergebnis seines Gutachtens festgehalten (Bl. 884-888 der Gerichtsakten).

In ihren von der Klägerin vorgelegten Bescheinigungen vom 8. Januar 2020 und 8. Juli 2020 hat die Hausärztin Dr. G. mitgeteilt, dass vor der Impfung bei der Klägerin keine psychische oder psychiatrische Erkrankung und auch keine Migräne oder Nickelallergie vorgelegen habe. Dr. L. hat in seinem Schreiben vom 29. Januar 2020 erneut die Quecksilbervergiftung bestätigt und Rechtsanwältin U. hat in einem außergerichtlichen Schreiben an die Klägerin vom 8. Januar 2020 die Einholung eines toxikologischen Gutachtens empfohlen, da sich der Gerichtssachverständige durch zahlreiche Fehler selbst disqualifiziert habe.

Der Beklagte hat nach wie vor keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem geklagten Beschwerdebild gesehen und hat hierzu eine ausführliche beratungsärztliche Stellungnahme von Frau Dr. W. vom 21. April 2020 vorgelegt. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf Bl. 902-922 der Gerichtsakten Bezug genommen.

Auf Anfrage des Gerichts hat die Klägerin unter dem 24. Juli 2020 die Schädigungsfolgen konkretisiert und (nunmehr auch) darauf hingewiesen, dass bisher die Wirkung von Squalene sowie das Zusammenwirken von den Inhaltsstoffen Thiomersal und Squalene nirgends erfasst sei (Bl. 927 ff. der Gerichtsakte). Hierzu hat sie ein außergerichtliches Schreiben der Rechtsanwältin U. vom 2. Juli 2019 sowie eine Stellungnahme des Dr. N. vom 27. Juni 2020 vorgelegt. In einer von ihr persönlich verfassten Stellungnahme aus August 2020 hat die Klägerin ausführlich dargelegt, dass sie die beratungsärztliche Äußerung der Dr. W. für komplett falsch halte. Sämtliche medizinischen Unterlagen seien falsch bewertet und auch die dreigliedrige Kausalkette bei Impfschäden sei falsch beurteilt worden. Zumindest sei eine weitere Begutachtung durch einen qualifizierten Impfsachverständigen erforderlich.

Hierzu hat der Beklagte eine weitere Stellungnahme seiner beratenden Ärztin Dr. W. vom 26. Oktober 2020 vorgelegt. Hier wird im Einzelnen ausgeführt, dass weder eine Allergie gegen Thiomersal noch eine außergewöhnliche Impfreaktion noch eine diagnostisch gesicherte Erkrankung nachweisbar gewesen seien. Dies hätte selbst die Hausärztin Dr. G. im Oktober 2011 festgestellt und der Klägerin eine psychosomatische Behandlung empfohlen. Jedenfalls lägen keine entschädigungspflichtigen Schädigungsfolgen vor, die ursächlich auf die Impfung zurückzuführen seien.

Die Klägerin hat im Kammertermin am 11. November 2020 weitere ärztliche Bescheinigungen von Dr. G. vom 10. November 2020 und von Dr. L. vom 28. Oktober 2020 vorgelegt.

Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat die Klage mit Urteil vom 11. November 2020 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig; die Klägerin habe keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung. Das Gericht folge insoweit der zutreffenden Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Ergänzend sei anzumerken: Die schon von dem Beklagten auf Grund der ihm vorliegenden medizinischen Unterlagen festgestellte mangelnde Kausalität zwischen der angeschuldigten Impfung und dem Beschwerdebild der Klägerin habe sich durch die während des Klageverfahrens durchgeführte weitere Beweiserhebung erhärtet. In Übereinstimmung mit der Einschätzung des Beklagten hätten auch die Gerichtsgutachter PD Dr. med. P. und Prof. Dr. med. S. bestätigt, dass kein Anhalt für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung am 26. November 2009 und den von der Klägerin beschriebenen Symptomen bestehe. Die Gutachten beruhten auf Auswertung aller vorliegenden medizinischen Unterlagen. Sie seien in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Nachvollziehbar hätten die Sachverständigen übereinstimmend dargelegt, dass alle verfügbaren bei der Klägerin erhobenen Daten mit aller Wahrscheinlichkeit gegen einen solchen ursächlichen Zusammenhang sprächen. So habe zur Überzeugung der Kammer weder eine außergewöhnliche Impfreaktion (Primärschaden) noch ein Impfschaden, d. h ein pathologisch gesichertes Krankheitsbild festgestellt werden können, welches ursächlich auf den Primärschaden zurückzuführen sei. Bei einer Impfkomplikation handele es sich um eine schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkung mit einer über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehenden meldepflichtigen gesundheitlichen Schädigung. Dazu würden bei dem hier verwendeten Impfstoff Pandemrix® die Krankheitsbilder der Narkolepsie oder des Guillain-Barre-Syndroms gehören, welche aber bei der Klägerin unstreitig nicht vorlägen. Unter den Sachverständigen und der beratenden Ärztin Dr. W. bestehe Einigkeit, dass das nach der Impfung geklagte Beschwerdebild mit Fieber, Übelkeit, kalten Händen, leichter Ermüdbarkeit und Herzklopfen unspezifische Reaktionen auf die Impfung darstellten. Trotz der Allergie gegen Thiomersal sei es bei der Klägerin nicht einmal nachweislich zu einer Reaktion an der Injektionsstelle gekommen. Auch die weiteren zahlreichen Untersuchungen in den Kliniken ließen keinen Hinweis auf eine Impfkomplikation zu. So habe sich bei den umfangreichen Untersuchungen im Bundeswehrkrankenhaus Berlin kein Nachweis von Autoantikörpern, ebenso kein Hinweis für eine akut entzündliche und/oder rheumatische Erkrankungen gefunden, es sei lediglich eine leichte Verfettung der Leber festgestellt worden. Nach den Untersuchungen in der Capioklinik habe auch keine Raynaud-Symptomatik und auch keine Kollagenose oder Gefäßentzündung (Vaskulitis) festgestellt werden können. Die wegen der Augentrockenheit und des Fremdkörpergefühls in den Augen durchgeführten Tests seien unauffällig geblieben. Auch habe sich bei den im Dezember 2009 im Klinikum Frankfurt durchgeführten Untersuchungen keine Hinweise auf eine „fokale Neurologie“, d.h. keine Hinweise auf kleinere umschriebenen Läsionen des zentralen Nervensystems ergeben. Weder Dr. C. noch die Ärzte im Universitätsklinikum Frankfurt, die die Klägerin ja mehrfach im Dezember 2009 untersucht hätten, hätten sich angesichts der dort festgestellten Symptome veranlasst gesehen, von einer außergewöhnlichen Impfreaktion auszugehen. Ebensowenig ließen sich die von der Klägerin in der Folgezeit geklagten Beschwerden einer gesicherten Diagnose zuordnen, so dass man keine organische Ursache für das Beschwerdebild gefunden habe. So hätten die im Speziallabor in der Universitätsklinik Heidelberg durchgeführten Laboruntersuchungen im Hinblick auf das Sjögren-Syndrom Normalwerte ergeben, so dass diese Diagnose nicht habe bestätigt werden können. Weiterhin sei im Jahre 2010 in der rheumatologischen Ambulanz Freiburg aufgrund der Laborbefunde eine Immunsuppressivtherapie wegen des fehlenden Nachweises einer Grunderkrankung abgelehnt worden. Eine Multiple Sklerose und eine makrophagische Myofaszitis seien ebenfalls ausgeschlossen worden (Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Helios Klinikum Erfurt). Das Vorliegen einer Bluterkrankung sei im Universitätsklinikum Heidelberg ausgeschlossen worden, auch eine gynäkologische Erkrankung habe nach Befunden der Frauenklinik Heidelberg im Juli 2011 nicht vorgelegen. Damit habe weder ein Primärschaden noch ein Impfschaden im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden können. Diese Nichterweislichkeit gehe zu Lasten der Klägerin. Dagegen seien die Äußerungen des Dr. N. und des Dr. L., die die Klägerin offenbar erstmals im Jahre 2012, mithin mehr als ein Jahr nach der Impfung, gesehen hätten, nicht geeignet, dieses Ergebnis in Zweifel zu ziehen. Ihren Äußerungen sei nicht zu entnehmen, dass sie eine (unabdingbar erforderliche) Impfkomplikation festgestellt hätten. Bei Annahme einer Quecksilbervergiftung hätte zur Überzeugung der Kammer zumindest eine unmittelbare Quecksilbervergiftungssymptomatik festgestellt werden müssen. Diese habe indes nicht vorgelegen, wie sich aus den überzeugenden Ausführungen des Gerichtssachverständigen ergebe. Außerdem gehe selbst Dr. N. in seiner Stellungnahme vom 23. Mai 2017 nicht mehr von einer Quecksilbervergiftung aus, denn er räume ein, dass in diesem Impfschadensfall das Thema Toxizität unerheblich sei, da eine Allergie auf den Stoff vorliege. Ungeachtet der gegenteiligen, objektivierten Befunde der diversen Spezialkliniken, in denen sich gerade keine Hinweise auf eine allergische Impfkomplikation gefunden hätten, sähen Dr. N. und Dr. L. weiterhin einen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem von der Klägerin geklagten Beschwerdebild. Sie bezögen sich dabei insbesondere auf den Beipackzettel, worin die bei der Klägerin vorliegenden Symptome als mögliche Nebenwirkungen des Impfstoffs genannt seien. Die Beschreibung möglicher Nebenwirkungen erfolge aber aus Haftungsgründen des Impfherstellers, ohne dass hieraus ein hinreichender wissenschaftlicher Beleg für den Ursachenzusammenhang ableitbar sei. Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass an der Qualifikation zur Beurteilung von potenziellen Impfschäden durch Prof. Dr. med. S. nicht die geringsten Zweifel bestünden. Die gesamten Ausführungen des Sachverständigen belegen eine ausnehmend große Fachkenntnis zur Beurteilung von potenziellen Auswirkungen von Impfungen. Seine Ausführungen seien Ausdruck einer unzweifelhaft vorliegenden Kompetenz zur Beurteilung potenzieller Impfschäden unabhängig davon, auf welchem Gebiet sich die Erkrankung manifestiert habe. Angesichts dieser Sach- und Rechtslage bestehe keine Veranlassung, ein allergisch-toxikologisches Gutachten einzuholen. Da bereits eine zeitnahe Impfkomplikation nicht nachzuweisen sei und sich später trotz intensivster Diagnostik auch kein gesicherter Impfschaden gefunden habe, könne auch durch ein allergisch-toxikologisches Gutachten ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und dem geklagten Beschwerdebild nicht hergestellt werden. Auch sei dem Vertagungsantrag nicht zu folgen. Die Äußerung der Dr. W. sei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 6. November 2020 zugeleitet, also hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit fünf Tagen hinreichend Zeit, seiner Mandantin diese Äußerung zur Kenntnis zu geben oder sie über den Inhalt zu informieren.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 13. Januar 2021 zugestellte Urteil am 11. Februar 2021 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht -LSG- erhoben. Zur Berufungsbegründung legt die Klägerin weitere Atteste des Dr. L. vom 27. April 2022 (Bl. 1362 ff der Gerichtsakte) und der Dr. G. vom 2. Mai 2022 (Bl. 1364 ff der Gerichtsakte) vor und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag (Bl. 1164-1291, 1344, 1353-1360, 1369-1394 der Gerichtsakte). Sie ist der Auffassung, dass sowohl der Primärschaden als auch der Impfschaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - teilweise sogar bis auf Zellebene - nachgewiesen sei. Nach wie vor lägen die Notfallprotokolle des Universitätsklinikums Frankfurt am Main vom 2. Dezember 2009, 9. Dezember 2009, 19. Dezember 2009 und 20. Dezember 2009 nicht bzw. nicht vollständig vor; Dr. Z. habe am 9. Dezember 2009 die Diagnose von Dr. V. vom 2. Dezember 2009: „Bluthochdruck, hypererge Impfreaktion bei bekannter Thiomersal-Allergie“ bzw. „mittelschwere Impfreaktion“ bestätigt (u.a.: Bl. 1169 mit handschriftlich von der Klägerin kommentierten Befunden/Berichten; Bl. 1180-1186, 1373 der Gerichtsakte). Das Universitätsklinikum Frankfurt am Main habe insoweit gegen seine Dokumentationspflicht verstoßen. Ihre Allergie gegen Thiomersal sei unzureichend berücksichtigt worden; diese Allergie reiche aus, einen Impfschaden hervorzurufen - unabhängig von der Menge dieses Stoffes.

Darüber hinaus beanstandet die Klägerin u.a.:
- Sozialgericht gebe Sachverhalt unzutreffend wieder, u.a. Impfung durch italienische Krankenschwester, nicht durch Arzt 
- falsche Bezeichnungen, Behandlungsdaten, teilw. falsches Geburtsdatum
- Urteil bagatellisiere Gesundheitsstörungen und „psychiatrisiere“ die Klägerin, hirnorganische Schädigung sei belegt
- aufgrund ihrer Allergie gegen Thiomersal hätte die Klägerin nicht geimpft werden dürfen.
- es sei wissenschaftlich anerkannt, dass Impfstoffe oder Bestandteile u.a. Autoimmunität induzieren und systemische, allergische, neurotoxische oder allergisch-toxische bzw. immuntoxikologische Reaktionen hervorrufen können
- erstes Gutachten durch eine Assistenzärzten erstellt, nicht durch PD Dr. P.
- Prof. Dr. S. nicht qualifiziert, ihr gegenüber habe er außerdem bestätigt, dass sie einen Impfschaden habe, 
- die Hinweise von Rechtsanwältin U. und Dr. N., dass Prof. S. als Impfgutachter unbekannt sei, seien außer Betracht gelassen worden
- Gericht wisse nicht, ob sie eine Reaktion an der Einstichstelle habe
- es stehe nicht fest, ob sie unter Narkolepsie oder dem Guillan-Barré-Syndrom leide; dies hätte untersucht werden müssen
- als Erstschaden sei ein Raynaud-Syndrom festzustellen.
- dass das Raynaud-Syndrom auch auf die Impfung zurückzuführen sei, hätte im Rahmen eines angiologischen Gutachtens geprüft werden müssen
- es werde ein Antrag auf Beweislastumkehr gestellt
- Daten zu Geburt und Impfung teilweise unzutreffend
- falsche Bezeichnung als „Grippeschutzimpfung“
- impfende Person unzutreffend benannt
- falsche Behandlungsdaten, falsche Befunddaten, Weglassen gesicherter Diagnosen
- unzutreffende Feststellung, dass Laboruntersuchungen unauffällig seien
- Feststellung, dass keine Thiomersal-Allergie vorliege
- fehlerhafte Anfrage bei PEI
- falsche Angaben zur Rehabilitationsmaßnahme 
- falsche Angaben zu Unterlagen der DRV
- es fehle im Urteil, dass Dr. D. GdB-Feststellung angeregt habe
- fehlende Beachtung neuropsychologischer Befunde vor dem Hintergrund der bestehenden hirnorganischen Schädigung
- zahlreiche sprachliche Fehler, Rechtschreibfehler, Tippfehler, Ausdrucksfehler
- falsche Wiedergabe der Angaben der Klägerin

Die Klägerin regt außerdem die Einholung eines immunologisch-toxikologisches Gutachten an (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 12. September 2022, Bl. 1424 der Gerichtsakte). Den Vortrag in den Schriftsätzen ihres erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 11. Februar 2021 (Berufung), 25. Februar 2021 (Berufungsbegründung) macht sich die Klägerin ausdrücklich nicht zu eigen (Schriftsätze vom 28. Februar 2021, Bl. 1154 der Gerichtsakte und vom 14. März 2021, Bl. 1302 ff. der Gerichtsakte). Den PKH-Antrag der sich mit Schriftsatz vom 3. Mai 2021 legitimierenden Prozessbevollmächtigten hat diese mit Schriftsatz vom 28. Januar 2022 im Zusammenhang mit der Mandatsniederlegung zurückgenommen (Bl. 1329 der Gerichtsakte). Der sich mit Schriftsatz vom 7. Juli 2022 legitimierende Prozessbevollmächtigte hat keinen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt.

Die Klägerin beantragt (Bl. 1422 der Gerichtsakte),

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 11. November 2021 sowie den en Bescheid vom 10. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, aufgrund des durch die Impfung am 26. November 2009 erlittenen Schadens Versorgungsleistungen nach dem Infektionsschutzgesetz i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz in gesetzlichem Umfang zu erbringen unter Anerkennung der folgenden Gesundheitsstörungen: Encephalopathie, Migräne, psychovegetatives Erschöpfungssyndrom, rezidivierendes Kopfschmerzsyndrom, Hinweise auf Thiomersalallergie, Wirkungen von Squalene, funktionelle Konzentrations-, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörung, verminderte Dauerbelastbarkeit, Raynaud-Syndrom, Sjögren-Syndrom, Trockenheit von Schleimhäuten, Augen, Mund, rheumatische Erkrankungen, Sehstörung, Gangstörung, Myalgien, Autoimmunität, vorübergehend bestehende depressive Symptomatik, Hashimoto Thyreoiditis, Asteorognosie sowie Wortfindungsstörungen, Schluckstörungen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verweist auf die angefochtenen Bescheide und die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils.

Das Gericht hat die Klägerin mit gerichtlicher Verfügung vom 9. März 2022 (zugestellt: PZU 12. März 2022) unter Fristsetzung bis 6. April 2022 (Verlängerung am 5. April 2022 bis 25. April 2022/PZU 9. April 2022; Verlängerung am 17. Mai 2022 bis 31. Mai 2022, Kl. bestätigt Erhalt am 1. Juni 2022) auf die Möglichkeit der Einholung eines Gutachtens unter Benennung eines Sachverständigen auf Antrag (§ 109 SGG) hingewiesen. Eine Antragstellung ist nicht erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten und dem Vorbringen im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten, auf die Auszüge der Rentenakten der DRV Hessen und der Schwerbehindertenakten des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales (vorgelegt durch das Sozialgericht –SG- Frankfurt am Main), die Gegenstand der Beratung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Die Entscheidung konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung ergehen, da sich die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 15. Februar 2023; Schriftsatz des Beklagten vom 15. Juli 2021), §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat die Klage mit Urteil vom 11. November 2020 zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 10. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Entschädigungsanspruch nach dem Infektionsschutzgesetz -IfSG-. Die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen sind nicht ursächlich auf die Impfung gegen Influenza A (H1N1, sog. „Schweinegrippe“) mit dem Impfstoff Pandemrix® am 26. November 2009 zurückzuführen.

Grundlage für die Anerkennung einer Erkrankung als Impfschaden sind die §§ 60, 61 IfSG. Die einschlägigen Regelungen lauten wie folgt: Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes -BVG-, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG). Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 61 Satz 1 IfSG). Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 anerkannt werden (§ 61 Satz 2 IfSG; sog. „Kann-Versorgung“).

Beim Robert Koch-Institut wird eine Ständige Impfkommission eingerichtet (§ 20 Abs. 2 Satz 1 IfSG). Die Kommission gibt Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen und zur Durchführung anderer Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe übertragbarer Krankheiten und entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (§ 20 Abs. 2 Satz 3 IfSG). Die in Frage stehenden Schutzimpfungen mit Pandemrix® gegen Neue Influenza A (H1N1, Schweinegrippe) war von der zuständigen Landesbehörde (Hessisches Ministerium für Soziales und Integration) empfohlen worden (Staatsanzeiger -StAnz.- Nr. 43 vom 19. Oktober 2009, S. 2312), so dass die Voraussetzung einer „öffentlichen Empfehlung“ zu bejahen ist.

Der Senat kann aber nicht feststellen, dass die Klägerin durch die Impfung eine (dauerhafte) Gesundheitsschädigung erlitten hat. Die Voraussetzungen für die Feststellung des erforderlichen Ursachenzusammenhangs liegen nicht vor, weder nach § 61 Satz 1 IfSG noch nach § 61 Satz 2 IfSG im Sinne einer „Kann-Versorgung“.

Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG genügt nach § 61 Satz 1 IfSG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- hat dazu folgende Maßstäbe entwickelt: Es müssen der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (BSG Urteil vom 7. April 2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 36, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Dezember 2012, L 6 VJ 1702/12, juris Rn. 26). Zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein (aber auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung) geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist (BSG Urteil vom 7. April 2011, Az.: B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 37). Die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sog. Vollbeweis - feststehen; allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge reicht der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus (siehe § 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus. Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind (BSG Urteil vom 7. April 2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 38). Alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, sind auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten (BSG Urteil vom 7. April 2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 42). 

Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung waren im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden AHP anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts handelte es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales -BMAS-) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog antizipierte Sachverständigengutachten. Die AHP waren in den Bereichen des sozialen Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht generell anzuwenden und wirkten dadurch wie eine Rechtsnorm ("normähnlich"). Für den Fall, dass sie nicht mehr den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergaben, waren sie allerdings nicht anwendbar. Dann hatten Verwaltung und Gerichte auf andere Weise den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu ermitteln. Die AHP enthielten seit 1983 unter den Nr. 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt hatten (vgl. BSG Urteil vom 7. April 2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 39). Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als "Impfschaden" bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr. 57 AHP 1983 bis 2005 sind allerdings Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden (Rundschreiben des BMAS vom 12. Dezember 2006 - IV.c.6-48064-3; vgl. auch Nr. 57 AHP 2008):

„Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete STIKO entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar.

Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr. 11 IfSG und Nr. 56 Abs. 1 AHP) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kann-Versorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60 f IfSG durchzuführen. Siehe dazu auch Nr. 35 bis 52 (Seite 145 bis 169) der AHP.“ (vgl. auch BSG Urteil vom 7.4.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 40)

Die seit dem 1. Januar 2009 an die Stelle der AHP getretene Versorgungsmedizinverordnung -VersMedV- ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung, die indes, sofern sie Verstöße gegen höherrangige, etwa gesetzliche Vorschriften aufweist, jedenfalls durch die Gerichte nicht angewendet werden darf. Anders als die AHP 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern, sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen (BSG Urteil vom 7. April 2011, Az.: B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 41; hierzu auch Roos, Der Impfschadensprozess - Risiken und Nebenwirkungen, ZFSH SGB 2020, 210, 215; kritisch Meßling in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Auflage 2012, § 61 IfSG Rn. 13).

Ausgehend von diesen Maßstäben fehlt es vorliegend bereits am Nachweis einer Impfkomplikation.

Für die Frage, ob bei der Klägerin eine „unübliche“ Impfkomplikation vorliegt, ist nach Vorstehendem auf die Abgrenzung der STIKO zwischen einer üblichen Impfreaktion und dem Verdacht auf eine mögliche Impfkomplikation zurückzugreifen (zuletzt: Epidemiologisches Bulletin Nr. 4/2023, Seite 36f). Danach wird unter einer Impfkomplikation eine über das übliche Maß hinausgehende gesundheitliche Schädigung verstanden. Um eine Impfkomplikation von einer üblichen Impfreaktion, die nicht meldepflichtig ist, abzugrenzen, hat die STIKO, wie nach § 20 Abs. 2 IfSG gefordert, Merkmale für übliche Impfreaktionen definiert. Übliche und damit nicht meldepflichtige Impfreaktionen sind das übliche Ausmaß nicht überschreitende, vorübergehende Lokal- und Allgemeinreaktionen, die als Ausdruck der Auseinandersetzung des Organismus mit dem Impfstoff anzusehen sind. Die STIKO hat die folgenden Kriterien für übliche Impfreaktionen entwickelt:

- Für die Dauer von 1 bis 3 Tagen (gelegentlich länger) anhaltende Rötung, Schwellung oder Schmerzhaftigkeit an der Injektionsstelle.

- Für die Dauer von 1 bis 3 Tagen Fieber (39,5Grad C (bei rektaler Messung), Kopf- und Gliederschmerzen, Mattigkeit, Unwohlsein, Übelkeit, Unruhe, Schwellung der regionären Lymphknoten.

- Im gleichen Sinn zu deutende Symptome einer „Impfkrankheit“ 1 - 3 Wochen nach Verabreichung von attenuierten Lebendimpfstoffen: z.B. eine leichte Parotisschwellung, kurzzeitige Arthralgien oder ein flüchtiges Exanthem nach der Masern-, Mumps-, Röteln- oder Varizellenimpfung oder milde gastrointestinale Beschwerden, z.B. nach der oralen Rotavirus- oder Typhus-Impfung.

- Ausgenommen von der Meldepflicht sind auch Krankheitserscheinungen, denen offensichtlich eine andere Ursache als die Impfung zugrunde liegt. Alle anderen Impfreaktionen sollten gemeldet werden.

Nach Auffassung des Senats ist bei der Klägerin schon eine über das übliche Maß hinausgehende gesundheitliche Schädigung im Sinne einer Impfkomplikation nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen. 

Die von der Klägerin gegenüber Herrn C. am 1. Dezember 2009 und am 8. Dezember 2009 geschilderten und von diesem entsprechend dokumentierten Beschwerden „Herzklopfen, Herzrasen, kalte Finger, Schwäche, leichte Ermüdbarkeit; nach der Impfung sei es zu Fieber und Übelkeit gekommen; unauffällige internistische Untersuchungsbefunde, Blutdruck 120/80“ (Bl. 47 ff. der Verwaltungsakte) stellen übliche Impfreaktionen im Sinne der Kriterien der STIKO dar. 

Eine „unübliche“ Impfreaktion ist auch nicht vor dem Hintergrund der ambulanten Aufenthalte im Universitätsklinikum Frankfurt am Main im Dezember 2009 belegt. Die Klägerin trägt vor, am 2. Dezember 2009, 9. Dezember 2009, 19. Dezember 2009 und 20. Dezember 2009 (notfallmäßig) dort behandelt worden zu sein; dort seien „Bluthochdruck“, eine „hypererge Impfreaktion bei bekannter Thiomersal-Allergie“ bzw. eine „mittelschwere Impfreaktion“ bestätigt worden (Vortrag u.a.: Bl. 1169 mit handschriftlich von der Klägerin kommentierten Befunden/Berichten Bl. 1180-1186, 1373 der Gerichtsakte). Die dem Gericht vorliegenden Unterlagen des Universitätsklinikums Frankfurt am Main dokumentieren die von der Klägerin behaupteten Befunde nicht. Im Behandlungsbericht der Klinik vom 19. Dezember 2009 heißt es: „Vorstellung der Patientin in der Notaufnahme bei leichtem Schwindel, Kopfdruckgefühl, Unruhezuständen, Schwierigkeiten sich zu konzentrieren, … Blutuntersuchung seien ohne auffälligen Befund gewesen … Bei Vorstellung …. hämodynamisch (RR 140/100mmg), respiratorisch stabil, … kein wegweisender Befund, kein Hinweis auf fokale Neurologie, EKG normfrequenter Sinusrhythmus, …“. Entgegen den Ausführungen der Klägerin bestätigen die Unterlagen der Universitätsklinik Frankfurt am Main, d.h. Blutuntersuchung am 20. Dezember 2009 (Bl. 1180 der Gerichtsakte), Karteieintrag Dr. AX. vom 29. Dezember 2009 (Bl. 1182 der Gerichtsakte), Messprotokoll/Blut vom 2. Dezember 2009 (Bl. 1184 der Gerichtsakte) und EKG-Aufzeichnung vom 2. Dezember 2009 (Bl. 1185 der Gerichtsakte) auch keine „mittelschwere Impfreaktion“; die Klägerin selbst hat insoweit handschriftliche Anmerkungen angebracht (vgl. Bl. 951 ff. der Gerichtsakte). Ob die Universitätsklinik Frankfurt am Main die Behandlungen vollständig dokumentiert hat, ist vorliegend nicht zu überprüfen. Die Klinik hat mehrfach - auch auf Nachfrage des Sozialgerichts - mitgeteilt, dass weitere Unterlagen nicht vorliegen (Bl. 141 der Verwaltungsakte; Bl. 951 ffd. und Bl. 1375 der Gerichtsakte). Die AOK Plus hat der Klägerin mit Schreiben vom 31. August 2012 (Bl. 1373 der Gerichtsakte) die Abrechnungsdaten übermittelt; diese Daten korrespondieren mit den vorliegenden Berichten und Befundunterlagen.

Auch die erstinstanzlich beauftragen Sachverständigen PD Dr. P. und Prof. Dr. S. verneinen nach Auswertung aller vorliegenden medizinischen Unterlagen eine das übliche Ausmaß überschreitende Impfreaktion im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, § 153 Abs. 2 SGG.

Darüber hinaus fehlt es nach Auffassung des Senats zudem an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Ursächlichkeit der Impfung für die von der Klägerin geltend gemachten dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen „Encephalopathie, Migräne, psychovegetatives Erschöpfungssyndrom, rezidivierendes Kopfschmerzsyndrom, funktionelle Konzentrations-, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörung, verminderte Dauerbelastbarkeit, Raynaud-Syndrom, Sjögren-Syndrom, Trockenheit von Schleimhäuten, Augen, Mund, rheumatische Erkrankungen, Sehstörung, Gangstörung, Myalgien, Autoimmunität, vorübergehend bestehende depressive Symptomatik, Hashimoto Thyreoiditis, Asteorognosie sowie Wortfindungsstörungen, Schluckstörungen“.

Das Sozialgericht Frankfurt am Main weist - unter Bezugnahme auf die eingeholten Gutachten der PD Dr. P. und Prod. Dr. S. - im Urteil vom 11. November 2020 zutreffend darauf hin, dass in den zahlreichen Untersuchungen die Diagnosen Raynaud-Syndrom, Sjögren-Syndrom, akut entzündliche/ rheumatische Erkrankungen, Läsionen des zentralen Nervensysthems, Multiple Sklerose nicht bestätigt wurden. Die von der Klägerin geklagten Beschwerden konnten einer gesicherten Diagnose nicht zugeordnet werden. Bei der Klägerin liegt auch weder eine Narkolepsie noch ein Guillan-Barré-Syndrom vor. Wenn die Klägerin in der Berufungsinstanz geltend macht, dass sie im Hinblick auf diese Krankheitsbilder nicht untersucht und begutachtet worden sei, kann sie damit nicht gehört werden. Zu keinem Zeitpunkt wurden von den behandelnden Ärzten entsprechende Diagnosen bzw. ein entsprechender Verdacht geäußert. Die Nichterweislichkeit einer Impfkomplikation geht zu Lasten der Klägerin; für eine „Beweislastumkehr“ -wie von der Klägerin geltend gemacht-, gibt es keine Rechtsgrundlage. Der Senat hält zudem die erstinstanzlich eingeholten Gutachten für überzeugend und hat keine Zweifel an der Fachkompetenz der beauftragten Sachverständigen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG ergänzend Bezug auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils. Sie sind überzeugend und würdigen die fallentscheidenden Aspekte vollständig.

Ergänzend ist anzumerken:

Die von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen sind auch nicht auf eine „Quecksilbervergiftung“ infolge des im Impfstoff enthaltenen Konservierungsmittels Thiomersal bzw. des darin enthaltenden Ethylquecksilbers zurückzuführen. Die geringe Menge an Ethylquecksilber im Impfstoff ist nicht geeignet, Vergiftungen und damit neurologische Schäden herzurufen (vgl. Urteil des Senats vom 19. Mai 2015, L 1 VE 9/09). Dies bestätigt im Übrigen auch der die Klägerin behandelnde Umweltmediziner Dr. N. in seiner Stellungnahme vom 23. Mai 2017 (Bl. 463 der Gerichtsakte) sowie ausdrücklich Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 1. November 2009 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13. März 2020.

Etwas anderes ergibt sich nach Auffassung des Senats auch nicht aus dem Vortrag der Klägerin, sie sei gegen Thiomersal allergisch, was eine Reaktion ihres Immunsystems auf diese Noxe und damit die verschiedenen Gesundheitsstörungen verursacht habe. Auch insoweit gilt, dass bereits eine über das übliche Maß hinausgehende Impfreaktion - auch nicht in Form einer allergischen Reaktion - nicht bewiesen ist; auf die entsprechenden Ausführungen zuvor wird verwiesen. Bei dieser Sach- und Rechtslage und insbesondere aufgrund der bereits vorliegenden Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen der Sachverständigen PD Dr. P. und Prof. Dr. S. ist die klägerseits angeregte Einholung eines immunologisch-toxikologischen Gutachtens nicht erforderlich.

Sofern die Klägerin mit anwaltlichem Schriftsatz vom 24. Juni 2020 unter Verweis auf ein außergerichtliches Schreiben von Rechtsanwältin U. vom 2. Juli 2019 auf den Zusatzstoff Squalene und die Nichterfassung des Zusammenwirkens von Thiomersal und Squalene verweist, ergeben sich auch hieraus keine Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen des Senats - es fehlt auch insoweit am Nachweis einer über das übliche Maß hinausgehenden Impfreaktion.

Aus der Tatsache des „Nichtauffindens“ einer Ursache für die von der Klägerin geklagten vielfältigen Gesundheitsstörungen bei den bisher durchgeführten zahlreichen Untersuchungen kann - entgegen der Auffassung der Klägerin und des Dr. L. - nicht geschlossen werden, dass die Gesundheitsstörungen der Klägerin auf die Impfung zurückzuführen sind, denn es fehlt an der Wahrscheinlichkeit der kausalen Verursachung. 

Bei dieser Sachlage liegen auch die Voraussetzungen für einen Anspruch nach der so genannten Kann-Versorgung gemäß § 61 Satz 2 IfSG nicht vor. Eine Versorgung ist nach diesen Vorschriften mit Zustimmung des zuständigen Ministeriums zu gewähren, wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Für die Kann-Versorgung wird nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen u.a. vorausgesetzt, dass ein ursächlicher Einfluss der im Einzelfall vorliegenden Umstände in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird (vgl. Teil C 4. B bb). Dabei reicht allein die theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs nicht aus. Die Frage der Kausalitätsvoraussetzung stellt sich vielmehr für die Kann-Versorgung ebenso wie für einen Rechtsanspruch. Zwischen beiden bestehen bezüglich der Kausalität lediglich graduelle Unterschiede. Darüber hinaus müssen alle Umstände gegeben sein, die sonst einen Versorgungsanspruch begründen. Auf die konkrete Feststellung des Verursachungsfaktors kann nicht verzichtet werden. Es genügt insbesondere nicht die Ungewissheit darüber, welche Umstände konkret und im Einzelnen für die Krankheit kausal waren, denn sonst würde es an der Bestimmung der haftungsausfüllenden Kausalität und somit an der Grundvoraussetzung für den Versorgungsanspruch selbst fehlen (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 1981, 9 RVi 5/80 m.w.N., juris, Rn. 27). Fehlt es somit schon am Nachweis einer unmittelbaren Impfkomplikation oder ist die Wahrscheinlichkeit der Kausalität schon aus anderen Gründen zu verneinen, so liegen die Voraussetzungen der Kann-Versorgung nach § 61 S. 2 IfSG nicht bloß deshalb vor, weil daneben auch die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft ungewiss ist (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 27. Juni 2007, L 4 VJ 37/04, juris, Rn. 30 und Urteil vom 19. März 2015, L 1 VE 9/09). Vielmehr ist erforderlich, dass durch eine nachvollziehbare wissenschaftliche Lehrmeinung Erkenntnisse vorliegen, die für einen generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang sprechen, somit also die "gute Möglichkeit" des Zusammenhangs besteht, die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so weit zur allgemeinen Lehrmeinung verdichtet hat, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden kann (BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995, 9 RV 17/94; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 1. Februar 2011, L 6 (7) VJ 42/03; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25. September 2012, L 7 VJ 3/08). Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Senats im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die von der Klägerin geklagten Beschwerden konnten keiner gesicherten Diagnose zugeordnet werden.

Die Berufung war daher zurückzuweisen. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
 

Rechtskraft
Aus
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