S 26 AS 370/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 26 AS 370/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 41/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 42/23 AR
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid


1.    Die Klage wird abgewiesen.

2.    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Auszahlung der Kosten der Unterkunft an die Stadt A-Stadt.

Die 1953 geborene Klägerin bezog bis April 2019 Leistungen von dem Beklagten. 

Aufgrund einer Einweisungsverfügung der Stadt A-Stadt – Amt für Wohnungshilfen und Soziales – Obdachlosenhilfe – vom 15. September 2016 wurde die Klägerin ab dem 18. August 2016 bis auf weiteres in die als Notunterkunft zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten in der A-Straße, A-Stadt eingewiesen, da anderenfalls Obdachlosigkeit drohte. Für die monatliche Nutzungsentschädigung wurde für die Unterkunft ein Nutzungsentgelt festgesetzt, bestehend aus einer Grundmiete in Höhe von 270,00 €, Betriebskosten in Höhe von 110,00 € und Heizkosten in Höhe von 141,00 €, d.h. Kosten in Höhe von 521,00 € Zusätzlich wurden Kosten für Strom in Höhe von 75,00 € festgesetzt. 

Die Kosten der Unterkunft in Höhe von 521,00 € wurden daraufhin von dem Beklagten u.a. mit Bescheid vom 26. September 2016 (Zeitraum bis September 2017) bei der Bedarfsberechnung berücksichtigt und bis einschließlich Dezember 2016 an die Klägerin ausgezahlt. Die Klägerin hatte aber nur einen Teil der Kosten an die Stadt A-Stadt gezahlt. Insbesondere nutzte sie einen Teil der gewährten Unterkunftsleistungen, um einen Vertrag mit den Stadtwerken A-Stadt zur Lieferung von Gas/Heizung in Höhe von 38,00 € zu bedienen. Die Klägerin hatte einen bereits vor Einweisung in der Notunterkunft mit den Stadtwerken A-Stadt bestehenden Vertrag bezüglich ihrer alten Wohnung auf die neue Unterkunft umgemeldet. An die Stadt A-Stadt überwies die Klägerin monatlich 380,00 € für die Notunterkunft.

Mit Schreiben vom 8. Dezember 2016 teilte die Stadt A-Stadt mit, dass Mietrückstände in Höhe von 961,56 € bestehen würden und bat um Abzweigung ihrer Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Die Beklagte zahlte daraufhin ab 1. Januar 2017 diese Leistungen (521,00 €) direkt an die Stadt A-Stadt aus. Hierüber wurde die Klägerin mit Änderungsbescheid vom 12. Dezember 2016 betreffend den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 30. September 2017 informiert. 

Die Klägerin legte dagegen mit Schreiben vom 28. Dezember 2016 Widerspruch ein. 

Dieser wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2017 zurückgewiesen. Nach § 22 Abs. 7 SGB II sollen die Leistungen an den Vermieter gezahlt werden, wenn Mietrückstände bestehen. Dies sei vorliegend der Fall gewesen. Entsprechend sei die Klägerin über den Wechsel der Mietauszahlung informiert worden. 

Dagegen richtet sich die zum 1. April 2017 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhobene Klage. Die Klägerin weist den Vorwurf zurück, dass die Leistungen nicht zweckentsprechend verwendet würden. Es sei weder von Mietrückständen noch von Rückständen für Gasabschlagszahlungen/ Heizkosten auszugehen. Die Klägerin sei seit Jahren Vertragspartnerin bei den Stadtwerken und sonst bei niemanden. Sie zahle angemessene Abschlagszahlungen in Höhe von 38,00 € direkt an die Stadtwerke. Die unangemessenen Abschlagszahlungen in Höhe von 141,00 € seien von der Stadtverwaltung festgesetzt worden, aber nicht an die Stadtwerke gezahlt worden. Was mit den 141,00 € geschehe sei der Klägerin nicht bekannt. Der Klägerin drohe die Abstellung der Gaszufuhr, wenn sie die Abschlagszahlungen nicht leiste.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die Mietzahlungen, Nebenkosten, Gasabschlagszahlungen an die Klägerin auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf die Begründung im Widerspruchsbescheid. 

Nachdem bereits am 25. Juli 2019 ein Erörterungstermin in dem Verfahren stattgefunden hat, wies das Gericht schließlich mit Schreiben vom 3. November 2021 darauf hin, dass die Auszahlung der Unterkunftskosten an die Stadt A-Stadt im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu beanstanden war. Zugleich wurden die Beteiligten zur Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Das Gericht kann gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden vorliegend zu dieser Möglichkeit angehört.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 15. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2017 mit dem die Änderung der Auszahlung der Kosten der Unterkunft an die Stadt A-Stadt als Empfangsberechtigten des Nutzungsentgelts für die Unterbringung in der Notunterkunft geregelt wurde. In dem Eingriff in das Verfügungsrecht des Hilfebedürftigen über die ihm gewährten Leistungen ist ein Verwaltungsakt zu sehen (LSG Hamburg, Beschluss vom 09. Juni 2005 - L 5 B 71/05 ER AS). Die Entscheidung ist für jeden Bewilligungszeitraum zu treffen. Vorliegend hatte der Beklagte die Entscheidung für den restlichen Bewilligungszeitraum vom 1. Januar 2017 bis 30. September 2017 getroffen. Damit wendet sich die Klägerin letztlich nicht gegen die Höhe der bewilligten Leistungen, über die der angegriffene Bescheid im Übrigen auch keine ändernde eigenständige Regelung trifft, sondern lediglich bereits geregelte Umstände wiederholt. Vielmehr ist nach verständiger Auslegung davon auszugehen, dass die Klägerin die Aufhebung des Bescheides vom 15. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2017 und Auszahlung der Unterkunftskosten direkt an die Klägerin begehrt.

Die so verstandene form- und fristgerecht erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 SGG) ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid vom 15. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2017 ist nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen für die Direktauszahlung der Unterkunftskosten an die Stadt A-Stadt ab Januar 2017 vorlagen.

Rechtsgrundlage für die Auszahlung der Unterkunftskosten an die Stadt A-Stadt ist § 22 Abs. 7 Satz 2 SGB II. Danach sollen die Bedarfe für Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Dies ist nach Satz 3 Nr. 1 insbesondere der Fall, wenn Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen. Der kommunale Träger hat nach § 22 Abs. 7 Satz 4 SGB II die leistungsberechtigte Person über eine Zahlung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte schriftlich zu unterrichten.

Eine Direktauszahlung kommt danach an Dritte nur in Betracht, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Leistungsempfänger die ihm gewährten Mittel nicht zweckentsprechend verwendet. Eine zweckentsprechende Verwendung ist nicht sichergestellt, wenn aufgrund eines mehrmaligen entsprechenden Geschehens die Gefahr weiterer zweckwidriger Mittelverwendung besteht (Piepenstock in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 22 (Stand: 17.06.2021), Rn 262). Die in Satz 3 benannten Regelbeispiele tragen dem Grundrecht der Leistungsberechtigten auf informationelle Selbstbestimmung und deren Schutz vor Wohnungslosigkeit sowie dem öffentlichen Interesse an der Vermeidung von hieraus resultierenden Doppelzahlungen aus Steuermitteln Rechnung. Dies rechtfertigt eine Direktzahlung an Vermieter und andere Empfangsberechtigte, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass die Transferleistungen zu den Wohnkosten nicht zweckentsprechend verwendet werden und daraus resultierend Wohnungslosigkeit der Betroffenen droht (Piepenstock, a.a.O. Rn 264). 

Die Gefahr eines nicht zweckentsprechenden Einsatzes der bewilligten Kosten der Unterkunft ist vorliegend – nicht zuletzt auch aufgrund der eigenen Angaben der Klägerin– belegt worden. So räumt die Klägerin ein, dass sie es nicht einsehe, die Heizkosten an die Stadt A-Stadt zu zahlen, da davon auszugehen sei, dass diese nicht Vertragspartner der Stadtwerke A-Stadt sei. Diese Argumentation überzeugt nicht. Schließlich muss der Hauseigentümer nicht zwingend Vertragspartner der Stadt A-Stadt sein. Aufgrund der auf dem Markt zahlreich vorhandenen Gasversorger kann der Eigentümer auch Kunde eines anderen Gaslieferanten sein. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass die Stadt A-Stadt die Mittel für die Wohnung in voller Höhe unmittelbar an den Hauseigentümer weiterleitet. Entgegenstehende Anhaltspunkte können der Akte nicht entnommen werden. 

Im Übrigen sind in der Zeit von Mitte August bis Anfang Dezember Rückstände für das Nutzungsentgelt in Höhe von 961,56 € angefallen, so dass bereits im Januar 2017 ein Rückstand in Höhe von 1.101,00 € drohte. Dieser Rückstand in Höhe von mehr als dem doppelten Betrag des Nutzungsentgelts (521,00 €) würde unter normalen Umständen zur fristlosen Kündigung der Unterkunft berechtigen (§ 543 Abs. 2 Nr. 3b BGB). Damit würde erneut Wohnungslosigkeit drohen. Aber selbst wenn die Stadt A-Stadt gegenüber dem Hauseigentümer die Kostenlast zur Vermeidung einer weiteren Obdachlosigkeit zunächst übernehmen würde, führt dies zu einer nicht bezweckten doppelten Belastung aus Steuermitteln, da einerseits der Beklagte zwar die zweckgebundenen Mittel zur Sicherstellung der Unterkunft gegenüber der Klägerin erbringen würde und andererseits die Stadt A-Stadt die nicht von der Kläger zweckentsprechend eingesetzten Unterkunftskosten zunächst selbst ausgleichen müsste. Nach alledem ist es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte die Auszahlung der Unterkunftskosten direkt an die Stadt A-Stadt verfügte. 

Im Übrigen kann der Beklagte der Klägerin vorliegend hinsichtlich des geltend gemachten Auszahlungsanspruchs für den Zeitraum vom Januar 2017 bis September 2017 den Einwand der Erfüllung entgegenhalten, so dass das Rechtsschutzziel - (erneute) Auszahlung der bewilligten Leistungen an die Klägerin – vorliegend nicht mehr erreicht werden kann. Der Anspruch auf Auszahlung der ursprünglich mit Bescheid vom 26. September 2016 bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist durch Erfüllung erloschen ist (§ 362 BGB entsprechend). Die von der Klägerin geltend gemachten Unterkunftskosten wurden von der Stadt A-Stadt nach Einweisung in Form eines Nutzungsentgelts in Höhe von 521,00 € festgesetzt. Diesen Betrag schuldet die Klägerin der Stadt A-Stadt zur Nutzung der Notunterkunft und eben dieser Betrag ist im Bescheid vom 26. September 2016 als Kosten der Unterkunft anerkannt worden. Die Höhe der von dem Beklagten bewilligten Leistungen im Bescheid vom 26. September 2016 wurden nicht angegriffen. Indem der Beklagte die Kosten der Unterkunft in Höhe von 521,00 € direkt an die Stadt A-Stadt entrichtet hat, wurden die Leistungen mit schuldbefreiender Wirkung für die Klägerin geleistet. Ein erneuter Anspruch auf Auszahlung dieser Leistungen an die Klägerin besteht nicht.

Soweit im Erörterungstermin am 25. Juli 2019 zwischen den Beteiligten diesbezüglich diskutiert wurde, warum von der Stadt A-Stadt Heizkosten in Höhe von 141,00 € als Nutzungsentgelt festgesetzt wurden, ist die vorliegend nicht entscheidungsrelevant. Für eine anderweitige Annahme hätte sich die Klägerin vielmehr direkt gegen den Einweisungsbescheid vom 15. September 2016 wenden müssen, insbesondere Widerspruch einlegen müssen. Der Bescheid der Stadt A-Stadt vom 15. September 2016 dürfte spätestens Ende Oktober 2016 bestandskräftig und damit für alle Beteiligten bindend geworden sein. Es steht insbesondere dem Sozialgericht nicht zu, eine Überprüfung dieses Festsetzungsbescheides vorzunehmen. Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, hatte die Stadt A-Stadt die Festsetzung nicht nachträglich reduziert, so dass auch die 141,00 € Heizkosten in voller Höhe zum Nutzungsentgelt und den Kosten der Unterkunft gehören. 

Des Weiteren war die Frage, warum es der Klägerin möglich war, parallel zur Stadt A-Stadt, einen eigenen Gasliefervertrag mit den Stadtwerken zu schließen, nicht vom Beklagten oder dem Sozialgericht zu klären. Hierbei handelt es sich offenkundig um einen zusätzlichen schuldrechtlichen Vertrag zwischen der Klägerin und den Stadtwerken, der entsprechend von der Klägerin zu erfüllen ist. Eine weitere Klärung der Vertragslage hätte entweder mit den Stadtwerken bzw. direkt mit der Stadt A-Stadt, die die Wohnung einschließlich Heizung zur Verfügung gestellt hat, erfolgen müssen. Der Vertrag kann aber nicht dazu führen, dass der Beklagte höhere Kosten der Unterkunft als bereits bewilligt zu erbringen hatte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch bei Kündigung des eigenen Gasliefervertrags der Klägerin gegenüber den Stadtwerken A-Stadt nicht die Einstellung der Gaslieferung für die Wohnung und damit der Heizung drohte. Denn ausweislich des Einweisungsbescheides und der Nutzungsentgeltfestsetzung schuldet die Stadt A-Stadt der Klägerin die Zurverfügungstellung des Wohnraums einschließlich der Versorgung mit Gas/Heizung und Strom.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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