S 23 R 1/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 23 R 1/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 332/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 181/22 B
Datum
Kategorie
Urteil


Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. 


Tatbestand

Mit der Klage wehrt sich der Kläger gegen den Rücknahmebescheid der Beklagten vom 16. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2015, mit dem der Rentenbescheid vom 13. November 2002 hinsichtlich der Rentenhöhe ab 1. Januar 2003 zurückgenommen und die Erstattung in Höhe von 25.628,46 € zurückgefordert wurden. 

Der 1937 geborene Kläger war mit 1999 verstorbenen Frau E. A., geboren G., verheiratet. Er beantragte am 6. Juli 1999 die Gewährung einer Witwerrente bei der damals zuständigen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Dabei füllte er die Ziff. 8 der Anlage zum Antrag „Angaben zum Einkommen des Antragstellers im letzten Kalenderjahr vor Beginn der Rente“ nicht aus. Unterhalb der vorgesehenen Tabelle hieß es unter anderem: 

„Bei Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit (Gewerbebetrieb, selbständige Arbeit oder Land- und Forstwirtschaft) bitte Einkommenssteuerbescheid oder eine Bescheinigung des Steuerberaters beifügen.“ 

Vor der Unterschriftszeile hieß es sodann unter anderem: 

„Ich versichere, dass ich sämtliche Angaben in diesem Vordruck und den dazugehörigen Anlagen nach bestem Wissen gemacht habe. Mir ist bekannt, dass wissentlich falsche Angaben zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen können. 

Ich verpflichte mich, die BfA unverzüglich zu benachrichtigen, wenn
-    sich eine Änderung in der Höhe meines Einkommens ergibt oder
-    […]“

Der Antrag wurde vom Kläger unterschrieben. 

Mit Schreiben vom 9. August 1999 bat die Beklagte um Vervollständigung der Angaben unter Ziff. 8. Aus einem Aktenvermerk vom 18. August 1999 ging hervor, dass sich die Stadtverwaltung auf die Nachfrage der Beklagten mit der Anfrage meldete, warum der Kläger Ziff. 8 der Anlage ausfüllen müsse, wenn er keinerlei Einkommen habe. Daraufhin teilte die Beklagte mit, dass das Ausfüllen der Ziff. 8 in diesem Fall nicht erforderlich sei. Mit Bescheid vom 7. September 1999 bewilligte sie die große Witwerrente, wobei der Bescheid der Verwaltungsakte nicht zu entnehmen war. Nachdem bekannt wurde, dass der Kläger seit Juni 1999 Mitglied der Krankenversicherung der Rentner ist, berechnete die Beklagte die Rente neu, wobei auch dieser Bescheid der Verwaltungsakte nicht zu entnehmen war.

Aus einem Aktenvermerk zum Telefonat mit der Krankenversicherung des Klägers, DAK A-Stadt, vom 7. Dezember 2001 ging hervor, dass die Mitgliedschaft des Klägers in der Krankenversicherung der Rentner erst seit dem 1. Januar 2002 bestünde, weil er zum 31. Dezember 2001 seine selbständige Tätigkeit aufgegeben habe. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 13. März 2002 mit, dass nach Rücksprache mit der Krankenversicherung und dem Gegendezernat innerhalb der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bekannt wurde, dass er seine selbständige Tätigkeit zum 31. Dezember 2001 aufgegeben habe, und bat um Vorlage der Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 1998, 1999, 2000 und 2001. Nachdem die Unterlagen vorgelegt wurden, aus denen hervorging, dass jedes Jahr Einkommen erzielt wurde, berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 13. November 2002 die Witwenrente für die Zeit ab 1. Januar 2003 neu und bewilligte monatlich 209,30 €, wobei sie davon ausging, dass ab Juli 2002 lediglich die Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 1.111,33 € anzurechnen ist. Unter „Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten“ hieß es unter anderem: 

„Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können (auch wenn sie im Ausland erzielt werden) Einfluss auf die Rentenhöhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns den Bezug, das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen, das sind 
-    Arbeitsentgelt,
-    Arbeitseinkommen (Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit), 
-    Vergleichbares Einkommen, 
oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen.

[…]

Die Meldung von Veränderungen erübrigt sich bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit oder bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Der Bezug eines bisher noch nicht mitgeteilten Einkommens oder der spätere Hinzutritt von Einkommen ist immer mitzuteilen.“
Unter „Hinweise“ ging aus dem Bescheid unter anderen hervor: 

„Trifft eine Witwenrente oder Witwerrente mit Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten zusammen, so ist auf die Rente Einkommen in Höhe von 40% des Betrages anzurechnen, um den das monatliche Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteigt.“ 

Ferner teilte sie mit, dass der Rentenbescheid vom 7. September 1999 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung für die Zukunft ab 1. Januar 2003 nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) aufgehoben werde. Die Aufhebung für die Vergangenheit werde noch geprüft. Nach Anhörung hob sie mit Bescheid vom 3. Januar 2003 den Rentenbescheid vom 7. September 1999 mit Wirkung ab 1. Juli 2001 auf und forderte die im Zeitraum vom 1. Juli 2001 bis 31. Dezember 2002 entstandene Überzahlung in Höhe von 1.066,83 € zurück, die der Kläger beglich. 

Erst ca. elf Jahre später teilte der Kläger mit Schreiben vom 4. Dezember 2014 mit, dass seine Tätigkeit am 4. September 2014 zum 31. Dezember 2014 gekündigt worden sei, was zu einer Verringerung des abrechenbaren Einkommens führe, weshalb die Witwerrente zu überprüfen sei. 

Mit Schreiben vom 3. Dezember 2014 teilte die Beklagte mit, dass sie seit 2002 lediglich die Versichertenrente auf die Witwerrente anrechne, weil seinerzeit die Aufgabe der selbständigen Tätigkeit zum 31. Dezember 2001 mitgeteilt worden sei. Er wurde um Angaben zur Art und Dauer der Tätigkeit gebeten. Telefonisch teilte der Kläger am 10. Dezember 2014 mit, dass es sich bei der Tätigkeit um selbständige Tätigkeit handelte. Er habe seit 2002 Einkommen erzielt und werde die Steuerbescheide nachreichen. Mit Schreiben vom 17. Dezember 2014 und 13. Januar 2015 überreichte die Steuerberatungsgesellschaft H.-Treuhand GmbH die Einkommenssteuerbescheide des Klägers für die Kalenderjahre 1999 bis 2013. Daraus ergaben sich folgende Einnahmen aus Gewerbebetrieb: 

Bescheid des Finanzamts Groß-Gerau vom:                        Jahr:        Höhe der Einnahmen:
10. Januar 2005                  2003             9.124,00 €
3. März 2006                  2004           12.263,00 €
25. Januar 2007                  2005           27.839,00 €
21. Februar 2008                  2006           18.463,00 €
10. Juli 2009                  2007           33.031,00 €
16. März 2010                   2008           24.634,00 €
25. Januar 2011                  2009             8.278,00 €
23. Februar 2012                  2010           22.460,00 €
6. Februar 2013                  2011           23.485,00 €
13. Februar 2014                  2012             5.652,00 €
5. Januar 2015                  2013           21.168,00 €


Mit Anhörungsschreiben vom 3. Dezember 2014 teilte die Beklagte mit, dass sie beabsichtige, den Bescheid vom 13. November 2002 mit Wirkung ab 1. Januar 2003 nach § 45 SGB X zurückzunehmen und die Erstattung der Überzahlung für den Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis 31. Dezember 2014 in Höhe von 25.628,46 € zu fordern. Der Kläger habe bereits im Rentenantrag vom 6. Juli 1999 und auch bei ihren Ermittlungen ab 13. März 2002 unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht. Er hätte aufgrund der ihm gegebenen Informationen die Fehlerhaftigkeit des Bescheides kennen müssen. Er erhielt Gelegenheit, sich zum Sachverhalt zu äußern. Bei der Vorsprache in der Beratungsstelle er am 18. März 2015 mit, nicht gegen Mitwirkungspflichten verstoßen zu haben. Die Witwerrente sei 2003 neu berechnet worden. Den geforderten Betrag in Höhe von 1.066,83 € habe er zurückgezahlt und sei davon ausgegangen, dass ab diesem Zeitpunkt alles richtig sei, zumal auch ein neuer Rentenbescheid erlassen wurde. Er als Laie könne die Berechnung der Beklagten nicht nachvollziehen. Er beantragte die Niederschlagung der Erstattungsforderung. 

Mit streitgegenständlichen Bescheid vom 16. April 2015 berechnete die Beklagte die große Witwerrente für die Zeit ab 1. Januar 2003 neu. Sie bewilligte für die Zeit ab dem 1. Juni 2015 laufend eine Rente in Höhe von 264,19 €. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Mai 2015 machte sie eine Überzahlung in Höhe von 25.628,46 € geltend. Dem Bescheid war eine Anlage beigelegt, aus der die Berechnung der Rente und der Überzahlung hervorging. In der beigefügten Anlage 10 mit der Bezeichnung „Bescheidaufhebung und deren Begründung“ führte die Beklagte aus, dass der Rentenbescheid vom 13. November 2002 hinsichtlich der Rentenhöhe nach § 45 SGB X ab 1. Januar 2003 zurückgenommen werde. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides berufen und die Fristen des § 45 Abs. 2 bzw. Abs. 4 SGB X seien nicht abgelaufen. Im Rentenantrag vom 6. Juli 1999 habe er kein Einkommen angegeben. Im Rahmen der Vorsprache bei der Stadtverwaltung vom 18. August 1999 habe er Unverständnis über die nochmalige Nachfrage nach Einkommen geäußert, weil er kein Einkommen erziele. Mit Schreiben vom 13. März 2003 sei er darüber informiert worden, dass nach Aussage der Krankenkasse Arbeitseinkommen bis 31. Dezember 2001 erzielt worden sei. Das Schreiben sei hinsichtlich weiterer Einkünfte 2002 unkommentiert geblieben. Da sämtliche Rentenbescheide eindeutige Hinweise zu den Mitteilungspflichten und den Rechtsfolgen enthalten, könne er sich auf ein Nichtwissen nicht berufen. Er werde darauf hingewiesen, dass selbstverständlich für jeden Sozialleistungsbezieher die Obliegenheit bestehe, an ihn adressierte Bescheide vollständig zu lesen. Wer als Begünstigter eines Verwaltungsaktes individuell herausgehobene und/oder eindeutig formulierte Bescheidhinweise ignoriere, müsse sich gegebenenfalls die grob fahrlässige Unkenntnis einer Rechtswidrigkeit vorhalten lassen, die eine damit begünstigende Regelung verursache. Auf das Vertrauen könne er sich nicht berufen, weil er im Rentenantrag vom 6. April 1999 unrichtige beziehungsweise unvollständige Angaben hinsichtlich des Arbeitseinkommens gemacht habe. Im Wege des Ermessens halte die Beklagte die Bescheidrücknahme für gerechtfertigt, weil das Eintreten einer sozialen Härte weder behauptet wurde, noch nach Aktenlage erkennbar sei. 

Hiergegen legte der Kläger am 30. April 2015 Widerspruch ein, der von seinem Prozessbevollmächtigten am 11. Mai 2015 damit begründet wurde, dass auch im Sozialrecht Verjährungsvorschriften gölten. Die geltend gemachte Forderung sei verjährt und verwirkt. Der Kläger habe alle Mitwirkungspflichten erfüllt. Die Beklagte hätte den Kläger darüber informieren müssen, dass eine Forderung „gegen ihn auflaufe“, ohne dass er dies merke. In einer weiteren Begründung vom 10. August 2015 führte der Prozessbevollmächtigte aus, dass der Kläger nicht vorsätzlich Einnahmen verschwiegen habe. Bereits am 22. November 2002 hätte die Beklagte eine Änderung veranlasst. Zu diesem Zeitpunkt sei ihr bereits bekannt gewesen, dass der Kläger neben der Rente auch Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erziele. Daraufhin sei eine Erstattungsforderung in Höhe von 1.066,83 € geltend gemacht worden, sodass der Kläger davon ausgegangen sei, dass auch in den nachfolgenden Jahren eine Anfrage seitens der Beklagten erfolgen werde. In einer weiteren Begründung vom 14. Oktober 2015 führte er aus, dass der Kläger bei der Rentenantragstellung sich von einem fachkundigen Berater der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Beistand holte und den Antrag so ausfüllte, wie dieser es ihm empfohlen habe. Irgendeine Täuschungshandlung sei darin nicht zu erkennen. Die Anweisungen des Beraters habe sich die Beklagte gemäß § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anzurechnen. Auch die Meldung der Krankenversicherung vom 1. Oktober 2001 sei in Abstimmung mit dem Rentenberater erfolgt. Hierbei sei angegeben worden, dass der Kläger als Kaufmann tätig sei. Die Beklagte habe durch die Meldung der Krankenversicherung Kenntnis vom Arbeitseinkommen gehabt und hätte im Nachfolgenden entsprechend nachfragen müssen. Soweit die Information im System der Beklagten untergegangen sei, begründe dies ein Organisationsmangel, der nicht zu Lasten des Klägers gehen könne. Es sei denkbar, dass der Kläger, wenn er die Höhe Anrechnungsbeträge gekannt hätte, seine Tätigkeit als Kaufmann „zurückgefahren“ hätte. Der streitgegenständliche Bescheid sei nicht transparent, weil aus ihm nicht hervorgehe, woher die Beklagte die jeweiligen, angeblichen jährlichen Einkommenszahlen entnehme. Die Ermessensausübung sei unzutreffend. Ferner sei die Rückforderung ausgeschlossen, weil der Kläger nicht mehr bereichert sei. 

Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wederholte sie im Wesentlichen die Ausführungen aus der Anlage 10 zum Ausgangsbescheid und führte ergänzend aus, dass die Aussage, der Kläger sei seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen, schlichtweg falsch sei. Vielmehr seien Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit verschwiegen worden. Die Verjährungsfristen im Sozialrecht beträfen Beitragsansprüche, keine zu Unrecht erhaltenen Leistungen. Ihre Ermessensausübung ergänzte sie dahingehend, dass bei ihrer Ausübung Umstände, wie Verschulden des Rentenversicherungsträgers, Lebensalter des Betroffenen, soziale Verhältnisse und der Familienstand sowie entgangene und nachträglich nicht mehr erzielbare Sozialleistungen berücksichtigt würden. Die Aufzählung sei nicht abschließend. In erster Linie werde es auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen ankommen. Nach Prüfung des gesamten Vorgangs seien keine Gründe erkennbar, die der Rückforderung entgegenstehen könnten. Schlechte wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen seien kein im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigender Grund. Die Tatsache, dass ein Betroffener möglicherweise nicht in der Lage sei, einen überzahlten Betrag erstatten zu können, ist nicht bereits bei der Bescheidrücknahme, sondern erst bei der Durchsetzung der Erstattungsforderung zu berücksichtigen. Möglichen Härten und Unzumutbarkeiten sei erst im Durchsetzungsverfahren Rechnung zu tragen. 

Hiergegen hat der Kläger am 4. Januar 2016 Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben. 

Er wiederholt im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. 

Der Kläger beantragt, 
den Bescheid der Beklagten vom 16. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2015 aufzuheben. 

Die Beklagte beantragt, 
die Klage abzuweisen. 

Sie nimmt auf die Ausführungen im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid Bezug. 

Während des laufenden Klageverfahrens ist der Kläger an Demenz erkrankt. Sein Sohn, M. A., wurde zum Betreuer bestimmt. Er hat mitgeteilt, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, sich zu dem Sachverhalt zu äußern und/oder einer mündlichen Verhandlung zu folgen. 

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichts- sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. 


Entscheidungsgründe

Die als isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage ist zulässig, aber unbegründet. Nach Überzeugung der Kammer ist der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 16. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2015 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. 

1) Die Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme des Rentenbescheides vom 13. November 2002 ist der § 45 Abs. 1, 2 Nr. 2 und 3, Abs. 3 SGB X. Der Rentenbescheid vom 13. November 2002 war anfänglich rechtswidrig. Zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Bescheides, bei dem es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelte, ging die Beklagte aufgrund der Meldung, dass die selbständige Tätigkeit des Klägers zum 31. Dezember 2001 aufgegeben wurde, davon aus, dass kein Einkommen aus ihr erzielt werde. Tatsächlich erzielte der Kläger auch in den Jahren 2003 bis 2014 Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit. Die Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, die anfänglich rechtswidrig waren, sind im Unterschied zu § 48 SGB X nach §§ 44, 45 SGB X zurückzunehmen. 

2) Der streitgegenständliche Bescheid ist formell rechtmäßig. Der Kläger wurde ordnungsgemäß mit Anhörungsschreiben vom 3. Dezember 2014 zur beabsichtigten Rücknahme und Erstattungsforderung im Sinne des § 24 SGB X angehört. Der Bescheid ist auch hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 SGB X. Die Begründung der Rücknahme sowie die Berechnung der Überzahlung ergab sich aus der Anlage zum Bescheid vom 16. April 2015. 

3) Der Bescheid vom 16. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2015 ist auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt. 

Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Nach Satz 3 kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit 

(1)    er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,

(2)    der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder

(3)    er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Diese Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage sind vorliegend erfüllt. Insbesondere kann sich der Kläger nicht auf Vertrauen im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X berufen, weil nach Überzeugung der Kammer die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X erfüllt sind. 

a) Der Rentenbescheid vom 13. November 2002 beruhte auf der unrichtigen Angabe des Klägers, dass er seit dem 31. Dezember 2001 kein Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit erziele. Die Angabe erfolgte nach Überzeugung der Kammer zumindest grob fahrlässig. Diese Auffassung stützt die Kammer auf die Würdigung der Gesamtumstände des konkreten Einzelfalls. Obwohl die persönliche Befragung des Klägers aufgrund seiner Demenzerkrankung nicht mehr möglich war, waren die sich aus der Verwaltungsakte ergebenden Anhaltspunkte nach Auffassung der Kammer ausreichend und führten letztlich zur vorstehend ausgeführten Überzeugung. Hierzu im Einzelnen: 

Bereits bei der Beantragung der Witwerrente am 6. Juli 1999 machte der Kläger keine Angaben hinsichtlich des Erwerbseinkommens. Auf ausdrückliche Nachfrage der Beklagten meldete sich die Stadtverwaltung und erklärte, dass keinerlei Einkommen erzielt werde, weshalb die Angaben unterblieben seien. Bereits zu diesem Zeitpunkt übte der Kläger jedoch seine selbständige Tätigkeit aus, aus der er Erwerbseinkommen erzielte. Sowohl die Ausübung der Tätigkeit als auch die Höhe des Einkommens hat er insoweit verschwiegen. 

Soweit er sich darauf beruft, sich bei der Rentenantragstellung von einem fachkundigen Berater der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Beistand geholt und den Antrag so ausgefüllt zu haben, wie dieser es ihm empfohlen habe, so hat er selbst mit seiner Unterschrift die Richtigkeit der Angaben bestätigt. Es wurde zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, der Berater hätte ihm dazu geraten, etwaige Einkünfte zu verschweigen. Vielmehr lag die Annahme nahe, dass der Berater die Angaben im Antrag wiedergab, die auch ihm gegenüber geäußert wurden. Es ist zwar die Aufgabe der Berater, bei der Antragstellung behilflich zu sein. Der Inhalt der Angaben, das heißt die jeweils individuellen Verhältnisse, sind jedoch von den Antragstellern beizubringen. Unabhängig davon erklärt die Tatsache, dass der Kläger sich bei der Antragsstellung beraten ließ, nicht, aus welchem Grund sich dann die Stadtverwaltung auf seinen Wunsch bei der Beklagten meldete und erfragte, aus welchen Gründen Angaben zum Einkommen nachzuholen seien, wenn doch kein Einkommen erzielt werde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte dem Kläger auffallen müssen, dass Angaben zum Einkommen zu machen sind. 

Ebenso wenig kann der Argumentation gefolgt werden, dass der Kläger davon ausgegangen sei, dass nach der Neuberechnung der Witwerrente mit Bescheid vom 13. November 2002 ab dem 1. Januar 2003 das Einkommen richtig berücksichtig werde. Zum einen ging aus dem Schreiben vom 13. März 2002 eindeutig hervor, dass die Beklagte davon ausgehe, dass nach Mitteilung der Krankenversicherung die selbständige Tätigkeit zum 31. Dezember 2001 aufgegeben wurde. Eine Richtigstellung dieser Annahme nahm der Kläger nicht vor. Zum anderen enthielten die Bescheide stets die unmissverständlichen Hinweise, dass Angaben zu Einkommensverhältnissen zu machen sind und dass das Einkommen Auswirkungen auf die Berechnung der Witwerrente habe. Selbst wenn der Kläger diese Hinweise weder gelesen noch – selbst bei Annahme der angesichts seines kaufmännischen Berufs unrealistischen Tatsache – nicht verstanden hätte, so hat er spätestens im Jahr 2002 die Erfahrung gemacht, dass ein erzieltes und nicht angegebenes Einkommen zu einer Aufhebung und Geltendmachung von Erstattungsansprüchen führt. Ferner hätte ihm einleuchten müssen, dass bei schwankenden Erlösen aus der selbständigen Tätigkeit der errechnete Rentenbetrag nicht gleichbleiben kann, sodass insoweit Angaben erforderlich gewesen wären. Darüber hinaus ging aus dem Rentenbescheid vom 13. November 2002 eindeutig hervor, dass allein die Versichertenrente als Einkommen berücksichtigt wurde. 

Auch die Argumentation dahingehend, dass er davon ausgegangen sei, dass die Beklagte selbst regelmäßig bei ihm nachfragen werde, entbehrt jeder Grundlage. Soweit vorgetragen wird, dass der Kläger bei Kenntnis der Auswirkungen seiner selbständigen Tätigkeit auf die Höhe der Witwerrente diese Tätigkeit „zurückgefahren“ hätte, sei darauf hingewiesen, dass es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum handelt, was bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Rahmen des § 45 SGB X keine Berücksichtigung findet. 

Auf die Demenzerkrankung kann sich der Kläger ebenfalls nicht berufen. Es sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass diese im Jahre 2002, indem falsche Angaben gemacht wurden, bereits so weit fortgeschritten war, dass er aufgrund dieser Erkrankung unrichtige Angaben machte. Vielmehr übte er noch elf weitere Jahre eine kaufmännische Tätigkeit aus, was gegen die Annahme der krankheitsbedingten geistigen Einschränkungen spricht. 

Die Kammer ist davon überzeugt, dass die fehlende Angabe des Einkommens grob fahrlässig erfolgte. Der Kläger hat nach den vorstehenden Ausführungen die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, indem er die zahlreichen Hinweise auf seine Mitteilungspflichten ignorierte sowie die offensichtlich unzutreffende Annahme bezüglich der Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit, die auf seinen eigenen Angaben basierte, nicht richtigstellte. 

b) Darüber hinaus ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Hierfür spricht die Tatsache, dass der Kläger mit der 2002 erfolgten teilweisen Rücknahme des Rentenbescheides aus 1999 die Erfahrung gemacht hat, dass das Einkommen sich auf die Rentenleistung auswirkt. Gleichwohl nahm er es hin, dass die Beklagte davon ausging, dass er die selbständige Tätigkeit zum 31. Dezember 2001 aufgab und ab dem 1. Januar 2003 Rente ohne Einkommenszurechnung gewährte. Auf den vorstehenden Ausführungen wird insoweit ergänzend Bezug genommen. 

Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass er die Leistungen verbraucht habe und somit "entreichert" sei. Bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X ist bei der Rücknahmeentscheidung der Verbrauch der erhaltenen Leistungen nicht relevant (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010, Az.: B 14 AS 76/08 R, juris-Rn. 21; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 09. März 2017 – L 4 AS 61/14 –, juris-Rn. 46). Er kann jedoch im Rahmen der Ermessensausübung Berücksichtigung finden, wobei vorliegend kein konkretes Vorbringen erfolgte (vgl. Ausführungen unter e)).

c) Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Rücknahme des Verwaltungsaktes auch nicht „verjährt“. Eine Rücknahme des Rentenbescheides vom 13. November 2002 war auch über die zehn Jahre des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X hinaus möglich. 

Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach § 45 Abs. 2 SGB X nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Die zwei Jahre wären vorliegend abgelaufen. Allerdings kann gemäß § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn  

(1)    die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 SGB X gegeben sind oder 

(2)    der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde. 

Nach § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X kann in den Fällen des Satzes 3 ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde.

Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X erfüllt. Bei dem teilweise zurückgenommenen Rentenbescheid vom 13. November 2002 handelte es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Sinne des § 45 Abs. 2 SGB X. Er hatte eine laufende Geldleistung – die Witwerrente – zum Gegenstand. Diese Geldleistung wurde bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme an den Kläger gezahlt. Auch liegt – wie vorstehend ausgeführt – ein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X vor. 

d) Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist nicht abgelaufen. Entgegen der Ausführungen des Klägers im Vorverfahren sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die auf die Kenntnis der Beklagten vom erzielten Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit schließen lassen. Soweit er die Auffassung vertritt, dass sie bereits 2002 Kenntnis von der Tätigkeit erhalten habe, sei darauf hinzuweisen, dass die Krankenversicherung der Beklagten mitteilte, dass diese Tätigkeit zum 31. Dezember 2001 eingestellt wurde und gerade nicht mehr ausgeübt werde. Diese Annahme der Beklagten spiegelte sich auch im daraufhin erlassenen Rentenbescheid vom 13. November 2002 wieder, bei dem sie lediglich von der Versichertenrente als Einkommen ausging. 

e) Die streitgegenständliche Rücknahmeentscheidung erfolgte ermessensfehlerfrei. 
Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 SGB X eröffnet der Beklagtem auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessen. Die Ermessensentscheidung ist gerichtlich nur auf Ermessensfehler (Ermessensnichtgebrauch, Ermessensfehlgebrauch, Ermessensüberschreitung) überprüfbar. Insbesondere ist dabei zu prüfen, ob die Beklagte für die zur Ausschöpfung ihres Ermessensspielraums notwendige Interessenabwägung alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen (öffentlichen und privaten) Abwägungsbelange ermittelt, in diese Abwägung eingestellt, mit dem ihnen zukommenden objektiven Gewicht bewertet und bei widerstreitenden (öffentlichen und privaten) Belangen einen angemessenen Ausgleich hergestellt hat. Dabei steht es der Behörde – in den gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens – grundsätzlich frei zu entscheiden, auf welche der abwägungsrelevanten Umstände sie die zu treffende Ermessensentscheidung im Ergebnis stützen möchte (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 R 14/11 R –, SozR 4-1300 § 45 Nr 15, Rn. 30).

Vorliegend übte die Beklagte im Ausgangsbescheid ihr Ermessen für die Rücknahme mit der Begründung aus, dass das Eintreten einer sozialen Härte weder behauptet wurde noch aus dem Akteninhalt erkennbar sei. Im Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2015 ergänzte sie die Ermessenserwägungen dahingehend, dass sie in erster Linie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers berücksichtigt habe. Im Nachgang hieß es sodann, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse erst im Rahmen der Durchsetzung der Forderung relevant und bei Ermessensausübung keine Berücksichtigung finden können. Insoweit ist der aufgestellte Prüfungsmaßstab widersprüchlich, weil nicht klar ist, ob nun die wirtschaftlichen Verhältnisse im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt wurden oder aber erst bei der Durchsetzung der Forderung vorzubringen wären. Allerdings dürfte diese Unklarheit nicht zur Fehlerhaftigkeit der Ermessensentscheidung führen. Tatsächlich wurden seitens des Klägers keinerlei Gründe vorgetragen, die in die Ermessensausübung hätten miteingestellt werden müssen. Dabei erhielt er hierzu mit Schreiben vom 3. Dezember 2014 Gelegenheit, indem die Beklagte ihn zur beabsichtigten Rücknahme anhörte und um Mitteilung von Gründen sowie Vorlage von Nachweisen bat, die gegen die beabsichtigte Entscheidung sprechen würden. Auch die Entreicherung wurde lediglich pauschal vorgetragen, ohne dass konkrete Luxusaufwendungen benannt worden wären. 

4. Die Erstattungsforderung folgt aus § 50 Abs. 1 SGB X. Hinsichtlich der Höhe der berechneten Rückforderung bestehen keine Bedenken. Insoweit wird auf die Anlage zum streitgegenständlichen Bescheid vom 16. April 2015 verwiesen. 

Nach alledem war die Klage abzuweisen. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens. 

Das Rechtsmittel der Berufung folgt aus §§ 143 ff. SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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