L 9 SO 338/22 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 22 SO 289/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 338/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.09.2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwalt B., U., beigeordnet.

 

Gründe:

I.

 

Die Antragstellerin begehrt Leistungen nach dem SGB XII im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

 

Die 1939 geborene und seit 2015 an Demenz erkrankte Antragstellerin ist kroatische Staatsangehörige. Sie lebte viele Jahre in P. in Bosnien-Herzegowina, war dort krankenversichert und bezog eine monatliche Rente iHv ca. 190 €, die auf ihrem in P. geführten Konto eingeht. Ihr Sohn lebt in Deutschland; dieser bezieht Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Nach dem Tod ihrer Schwester, mit der sie in einem gemeinsamen Haushalt lebte, nahm der Sohn die Antragstellerin Ende Oktober 2019 mit nach Deutschland. Anfang 2020 verschlechterte sich die gesundheitliche Situation der Antragstellerin. Mittlerweile befindet sich die Antragstellerin im Endstadium einer Multiinfarktdemenz. Sie ist für weite Strecken transportunfähig, weil sie intensiv pflegebedürftig und die Selbstfürsorge vollständig aufgehoben ist.

 

Am 17.02.2021 beantragte die Antragstellerin unter Hinweis auf ihre Demenzerkrankung und Pflegebedürftigkeit bei der Antragsgegnerin „finanzielle Unterstützung“. Die kroatische Rente iHv ca. 190 € monatlich habe seit November 2019 nicht vom Konto abgehoben werden können. Krankenversicherungsschutz bestehe nicht.

 

Mit Bescheid vom 31.05.2021 bewilligte die Antragsgegnerin eine „Abschlagszahlung“ iHv 3.650,08 € und forderte weitere Nachweise über die Krankenversicherung, den Rentenbezug sowie die Kontoauszüge. Mit Bescheid vom 18.10.2021 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Gem. § 23 Abs. 3 SGB XII erhielten EU-Bürger Leistungen (Grundsicherung und Hilfe zur Pflege) nur, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhielten. Die Antragstellerin halte sich erst zwei Jahre im Bundesgebiet auf. Den Widerspruch der Antragstellerin wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2022 zurück. Dem geltend gemachten Anspruch auf Grundsicherung und auf Hilfe zur Pflege stehe gem. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII das fehlende Aufenthaltsrecht der Antragstellerin entgegen. Die generelle Freizügigkeitsvermutung zugunsten von EU-Bürgern reiche hierfür nicht aus. Die Antragstellerin könne zumutbar auf die Inanspruchnahme von Leistungen in Kroatien verwiesen werden. Die Antragstellerin könne einen Antrag auf Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII stellen.

 

Gegen den Widerspruchsbescheid erhob die Antragstellerin am 03.03.2022 bei dem Sozialgericht Düsseldorf Klage (S 22 SO 71/22).

 

Am 06.09.2022 beantragte die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Düsseldorf, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung von Härtefallleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII, hiervon 190 € monatlich als Darlehen, zu verpflichten. Sie sei nicht reisefähig und ihr sei es nicht zumutbar, auf Leistungen in Kroatien verwiesen zu werden. Ihr Sohn könne mit seinen Grundsicherungsleistungen das Überleben von zwei Personen nicht sicherstellen. Außerdem sei sie in Deutschland nicht krankenversichert. Bisher habe sie Hilfe von ihrem Sohn und von dessen Nachbarn erhalten.

 

Die Antragsgegnerin sieht einen Anordnungsanspruch nicht als gegeben, weil die Antragstellerin nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII von den Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ausgeschlossen sei. Die Antragstellerin sei nicht materiell freizügigkeitsberechtigt und verfüge weder über einen Krankenversicherungsschutz noch über ausreichende Existenzmittel. Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 - 6 SGB XII stünden ihr ebenfalls nicht zu, weil ihr der Ausreisewille fehle (Bezugnahme auf LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 06.10.2021 – L 12 AS 1004/20). Auch sei der geltend gemachte Bedarf nicht zeitlich befristet.

 

Mit Beschluss vom 28.09.2022 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, „ab 06.09.2022 zunächst für die Dauer von sechs Monaten - vorläufig und darlehensweise - an die Antragstellerin Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 iVm § 23 Abs. 3 Satz 5 Nr. 1 – 3 SGB XII zu zahlen“ und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Zwar falle die Antragstellerin möglicherweise unter den Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, da sie nicht materiell freizügigkeitsberechtigt sei. Aufgrund der demenzbedingten Transportunfähigkeit sei von einem Härtefall iSd § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII auszugehen. Dies gebiete eine Leistungsbewilligung über einen Monat hinaus. Angesichts des Gesundheitszustandes und der fehlenden Transportfähigkeit komme es auf einen Ausreisewillen nicht an. Ermittlungen hinsichtlich anzurechnenden Einkommens und des Krankenversicherungsschutzes blieben dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. 

 

Gegen den ihr am 04.10.2022 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 20.10.2022 Beschwerde eingelegt. Die Bewilligung von Überbrückungsleistungen setze eine Ausreisebereitschaft voraus. Diese sei anzuzweifeln, da der Sohn der Antragstellerin bereits im Jahre 2020 im Rahmen einer erstmaligen Antragstellung mitgeteilt habe, die demenzkranke Antragstellerin nach dem Tod seiner Schwester aufgrund einer fehlenden Pflegealternative in P. nach Deutschland mitgenommen zu haben.

 

Die Antragstellerin hält den Beschluss des Sozialgerichts für zutreffend. Ein Ausreisewille sei für den Leistungsanspruch nicht erforderlich, da es ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich und zumutbar sei, auszureisen.

 

Mit Beschluss vom 08.11.2022, auf dessen Begründung verwiesen wird, hat der Senat den Antrag der Antragsgegnerin auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts abgelehnt.

 

II.

 

1. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet.

 

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens im einstweiligen Rechtsschutz ist die vom Sozialgericht ausgesprochene Verpflichtung der Antragsgegnerin, der Antragstellerin darlehensweise „Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 iVm § 23 Abs. 3 Satz 5 Nr. 1 – 3 SGB XII zu zahlen“. Dieser Ausspruch ist nicht eindeutig und deshalb auslegungsbedürftig. § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII ist die Anspruchsgrundlage für die dort genannten „Überbrückungsleistungen“. § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII enthält in Härtefällen die Rechtsgrundlage für die Erbringung „anderer Leistungen im Sinne von Absatz 1“. Dies sind die in § 23 Abs. 1 SGB XII genannten Leistungen, also u.a. Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit und Hilfe zur Pflege. Dem Tenor des angefochtenen Beschlusses ist damit nicht eindeutig zu entnehmen, ob die Antragsgegnerin (nur) zur Erbringung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII oder darüber hinaus zur Erbringung von Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit und Hilfe zur Pflege verpflichtet worden ist.

 

Die Auslegung des Beschlusses des Sozialgerichts im Lichte der Entscheidungsgründe ergibt indes, dass das Sozialgericht die Antragsgegnerin nur zur einer Verlängerung des Leistungsanspruchs nach § 23 Abs. 3 Satz 6 Alt. 2 SGB XII, nicht auch zu dessen Erweiterung nach § 23 Abs. 3 Satz 6 Alt. 1 SGB XII verpflichtet hat. Aus Seite 6 des Beschlusses wird deutlich, dass das Sozialgericht nur zur Erbringung „eingeschränkter Hilfe“ verpflichten wollte, diese also den Umfang der Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII nicht übersteigen sollten. Da nur die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt hat, ist die (naheliegende) Frage, ob der Antragstellerin auch erweiterte Leistungen (insbesondere Hilfe bei Krankheit und Hilfe zur Pflege) in Anwendung von § 23 Abs. 3 Satz 6 Alt. 1 SGB XII zustehen, nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

 

Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zurecht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin jedenfalls Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII für zunächst sechs Monate zu erbringen.

 

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Es besteht zwischen beiden eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt.

 

Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Nicht ausreichend für die Begründung eines Aufenthaltsrechts ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland gem. § 2 Abs. 5 FreizüG/EU ein gültiger Pass genügt (BSG Urteil vom 21.03.2019 - B 14 AS 31/18 R mwN). Der Wortlaut der Vorschrift ist zwar offen und lässt auch eine abweichende Interpretation zu (dazu BVerfG Beschluss vom 26.02.2020 - 1 BvL 1/20, in diesem Sinne LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 10.03.2021 - L 20 SO 419/20 B ER). Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und ihren systematischen Zusammenhängen folgt jedoch, dass nur ein materielles Aufenthaltsrecht einem Leistungsausschluss entgegensteht (dazu ausführlich Urteil des Senates vom 07.04.2022 – L 9 SO 295/20). Ein materielles Aufenthaltsrecht der Antragstellerin ist nicht ersichtlich, denn als nicht erwerbstätige Unionsbürgerin hätte sie ein solches gem. § 4 FreizügG/EU nur, wenn sie über ausreichende Existenzmittel verfügen würde. Das ist hier, unabhängig von der Frage, ob ihre Krankenversicherung auch für ihren Aufenthalt in Deutschland greift, nicht der Fall.

 

Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII werden hilfebedürftigen Ausländern, die einem Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII unterfallen, bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen. Die Überbrückungsleistungen umfassen gem. § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege (Nr. 1), Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe, einschließlich der Bedarfe nach § 25 Absatz 4 und § 30 Absatz 7 (Nr. 2) und die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzuständen erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln sowie sonstiger zur Genesung zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen (Nr. 3). Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 gem. § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist.

 

Bei der Antragstellerin besteht eine besondere Härte und die Besonderheiten ihres Einzelfalles lassen eine Leistungserbringung über einen längeren Zeitraum hinaus geboten erscheinen.

 

Der unbestimmte Rechtsbegriff der „besonderen Härte“ iSd § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII ist verfassungskonform auszulegen (vgl. BVerfG Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 2/11). Die Auffangvorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII dient gerade dazu, einen mit dem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht zu vereinbarenden vollständigen Ausschluss von Hilfeleistungen (dazu Deckers in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl. § 23 Rn. 76; Siefert in JurisPK SGB XII § 23 Rn. 108) zu vermeiden. Wenn die Verweigerung von Leistungen zu einem nicht verfassungsgemäßen Ergebnis führen würde, können weitere ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch nicht gefordert werden (so auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 28.03.2018 – L 7 AS 115/18 B ER).

 

Nach Aktenlage stellt die Verweigerung existenzsichernder Leistungen vorliegend eine besondere Härte dar. Eine besondere Härte zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht für alle vom Leistungsausschluss betroffenen Personen typisch ist, also über die mit dem reduzierten Leistungsumfang typischerweise verbundenen Härten in der Person des Leistungsberechtigten individuelle Besonderheiten hinzutreten (Siefert in JurisPK SGB XII § 23 Rn. 106 mwN). Die bei der Antragstellerin bestehende schwere Demenz mit intensiver Pflegebedürftigkeit und daraus folgender Notwendigkeit einer Betreuung und Unterstützung durch den in Deutschland lebenden Sohn sowie Transportunfähigkeit bedingen derzeit eine besondere Härte. Es ist der Antragstellerin offensichtlich weder möglich noch zumutbar, ohne familiäre Betreuung nach Kroatien zurückzukehren. Die Antragsgegnerin hat mit ihrer Beschwerde auch keine Wege aufgezeigt, wie das zu bewerkstelligen sein sollte.

 

Der Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII setzt nicht immer voraus, dass ein Ausreisewille feststellbar ist (wie hier LSG Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 16.01.2019 – L 7 AS 1085/18 B mwN, vom 30.05.2019 – L 20 AY 15/19 B ER und vom 05. Mai 2021 – L 9 SO 56/21 B ER; aA LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 06.10.2021 – L 12 AS 1004/20; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 07.11.2019 – L 7 SO 934/19, kritisch dazu Siefert in: jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 23 SGB XII Rn. 100.1). Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber Unionsbürger gerade dann leistungslos lassen wollte, wenn die den Leistungsausschluss begründende Rückkehroption in das Herkunftsland sich gerade nicht verwirklichen lässt und die Verweigerung von Leistungen sich als unzumutbare besondere Härte darstellt (Beschluss des Senats vom 07.04.2022 – L 9 SO 295/20; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 28.03.2018 - L 7 AS 115/18 B ER; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 20.06.2017 – L 15 SO 104/17 B ER).

 

Der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs steht der Rentenbezug in Kroatien nicht entgegen, da die Antragstellerin glaubhaft vorgetragen hat, dass ihr diese Zahlungen zur Zeit nicht zugänglich sind und sie damit nicht als bereite Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen. Es ist nicht zulässig, einen Betroffenen auf fiktive, nicht aktuell zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehende, nicht „bereite“ Mittel zu verweisen (BSG Urteil vom 29.08.2019 – B 14 AS 42/18 R). Zwar handelt es sich bei Geldbeträgen, die sich auf einem Konto befinden, das dem Hilfebedürftigen gehört oder auf das er Zugriff hat, grundsätzlich um bereite Mittel. Dies gilt jedoch nicht, wenn es sich um ein ausländisches Konto handelt und ein Transfer des Geldes nach Deutschland, um damit hier seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, nicht möglich ist. Abschließende Feststellungen hierzu sind – ebenso wie zu der Frage, ob verwertbares Vermögen vorhanden ist und wie weit eine evtl. Krankenversicherungsschutz der Antragstellerin reicht, dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

 

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

4. Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114 ff, 119 ZPO.

 

5. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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