L 9 U 619/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 3445/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 619/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Zur Rechtswidrigkeit eines Haftungsbescheids gegenüber einem Hauptunternehmer des Baugewerbes gem. § 150 Abs 3 S 1 Alt 1 SGB VII iVm § 28e Abs 3a S 1 Alt 1 SGB IV, wenn dieser sich gem. § 28e Abs 3b S 2 iVm § 28e Abs 3f S 1 SGB IV durch Vorlage einer qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigung des zuständigen Unfallversicherungsträgers exkulpieren konnte.
2. Der Nachweis nach § 28e Abs 3b, Abs 3f SGB IV hängt nicht davon ab, dass der Unternehmer über die Vorlage der Unbedenklichkeitsbescheinigung hinaus nachweist, dass er die Vereinbarkeit der von der Beklagten erfassten und veranlagten Unternehmensteile mit dem auszuführenden Auftrag sowie der gemeldeten Arbeitsentgelte mit dem Volumen des Auftrags geprüft hat. Der Gesetzeswortlaut sieht eine solche Einschränkung nicht vor. Nach dem eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Vorschriften lässt bereits die Vorlage der qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigung die Haftung entfallen.

Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Februar 2022 und der Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Oktober 2021 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 24.506,98 € festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten im Streit ist ein gegenüber der Klägerin ergangener Haftungsbescheid für Beiträge der Nachunternehmerin S1 GmbH zur gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe von insgesamt 24.506,98 €.

Die Klägerin ist ein Unternehmen des Baugewerbes. Sie beauftragte das Unternehmen S1 GmbH als Auftragnehmerin/Nachunternehmerin mit der Ausführung verschiedener Bauleistungen, die im Zeitraum von Juni 2017 bis Februar 2018 ausgeführt wurden.

Im Einzelnen handelt es sich um folgende Bauvorhaben:
1. Bauvorhaben Messe F1 beauftragt durch schriftlichen Nachunternehmervertrag vom 13.02.2017, Nettoauftragswert 608.824,07 € (ohne spätere Preisnachlässe zunächst vereinbart: 676.471,19 €), Ausführungszeitraum Juni bis Oktober 2017
2. Bauvorhaben F5 V1
- Gebäude F3 + F4, beauftragt durch schriftlichen Nachunternehmervertrag vom 09.06.2017, Nettoauftragswert 284.116,42 € (ohne spätere Preisnachlässe zunächst vereinbart: 296.009,69 €), Ausführungszeitraum Juni 2017 bis Februar 2018
- Gebäude A3 + B3, beauftragt durch schriftlichen Nachunternehmervertrag vom 09.06.2017, Nettoauftragswert 284.116,42 € (ohne spätere Preisnachlässe zunächst vereinbart: 296.009,69 €), Ausführungszeitraum August 2017 bis Februar 2018
- Gebäude F1 + F2, mündlich beauftragt im Juni 2017 ohne schriftliche Fixierung des Vertrages, Nettoauftragssumme 2.749,95 €, Ausführungszeitraum 28.06. bis 30.08.2017
- Gebäude A2 + B2, mündlich beauftragt im Juni 2017 ohne schriftliche Fixierung des Vertrages, Nettoauftragssumme 4.816,05 €, Ausführungszeitraum 28.06. bis 30.08.2017
- Gebäude F1 + F2, mündlich beauftragt im November 2017 ohne schriftliche Fixierung des Vertrages, Nettoauftragssumme 1.396,80 €, Ausführungszeitraum 11.11. bis 20.12.2017.

Die Auftragnehmerin führte die Aufträge durch, befand sich aber in der Folgezeit bei der Ausführung aller Bauvorhaben – bis auf die letztgenannten drei Verträge – in Verzug. Bei den Bauvorhaben F5 F3 + F4 und F5 A3 + B3 kam es nicht zur Fertigstellung der Bauvorhaben durch die Nachunternehmerin, worauf die Klägerin beide Nachunternehmerverträge mit Schreiben vom 06.03.2018 außerordentlich kündigte.

Die Beklagte erließ gegen die Auftragnehmerin unter dem 25.04.2018 einen Beitragsbescheid für das Jahr 2017 über 39.202,21 €. Diese kam ihrer Zahlungsverpflichtung gegenüber der Beklagten aber nicht nach. Der Geschäftsbetrieb der Auftragnehmerin wurde zum 31.05.2018 eingestellt. Mit Beschluss vom 01.08.2018 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Auftragnehmerin eröffnet (Amtsgericht E1, Az. 11 IN 262/18).

Mit Schreiben vom 29.01.2021 informierte die Beklagte die Klägerin über ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen einer Beitragshaftung als Auftraggeberin aufgrund rückständiger Beiträge der insolventen Auftragnehmerin und forderte diese zur Vorlage der zwischen ihr und der Auftragnehmerin vorhandenen Vertragsunterlagen, der Abschlags- und Schlussrechnungen sowie Unterlagen zur Auftragsvergabe sowie einem lückenlosen Nachweis der Präqualifikation bzw. qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigungen auf. Mit E-Mail vom 22.03.2021 übersandte die Klägerin der Beklagten die Verhandlungsprotokolle, Vertragsunterlagen und Rechnungen der Auftragnehmerin, getrennt nach den einzelnen Bauvorhaben (Bauvorhaben Messe F1 Bauvorhaben F5 V1 F3/F4, A3/B3, F1/F2 sowie A1/B2). Des Weiteren legte die Klägerin von der Einzugsstelle der Beklagten auf die Auftragnehmerin ausgestellte Unbedenklichkeitsbescheinigungen vor:

Ausstellungsdatum:    Gültig bis:        Arbeitsentgelte für die aktuellen Vorschüsse:
12.01.2017                  15.03.2017   131.701,00 € (Hochbau) 38.608,00 € (Büroteil)
13.03.2017                 15.05.2017      82.614,00 € (Hochbau) 34.441,00 € (Büroteil)
15.05.2017                 15.07.2017     82.614,00 € (Hochbau) 34.441,00 € (Büroteil)
19.07.2017                  15.09.2017      82.614,00 € (Hochbau) 34.441,00 € (Büroteil)
18.09.2017                  15.11.2017      82.614,00 € (Hochbau) 34.441,00 € (Büroteil)
15.11.2017                  15.01.2018      82.614,00 € (Hochbau) 34.441,00 € (Büroteil)
10.01.2018                  15.03.2018      82.614,00 € (Hochbau) 34.441,00 € (Büroteil)

In den Unbedenklichkeitsbescheinigungen wird der Auftragnehmerin bescheinigt, dass sie Mitglied der Berufsgenossenschaft ist und ihre Zahlungsverpflichtungen zur gesetzlichen Unfallversicherung bis zum heutigen Tag erfüllt hat.
Es folgt der Hinweis, dass der Auftraggeber grundsätzlich aus dem Auftragsverhältnis zum Auftragnehmer für dessen nicht gezahlte Unfallversicherungsbeiträge gemäß § 150 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) haftet und Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Beklagten nur dann von einer Inanspruchnahme befreien, wenn
1. die Gültigkeitszeiträume der Bescheinigungen den Bauzeitraum vollständig erfassen und
2. das Verhältnis der obigen Arbeitsentgelte zu der Anzahl der auf der Baustelle eingesetzten Beschäftigten plausibel ist und
3. der Auftragnehmer mit den obigen Unternehmensteilen die übernommenen Arbeiten ausführen kann.

Die Klägerin machte hiergegen geltend, eine Beitragshaftung nach § 150 Abs. 3 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 3a Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) scheide aus, da sie sich sowohl für die Zeitpunkte der Vertragsabschlüsse als auch für die Ausführungszeiträume lückenlos die Zuverlässigkeit der Nachunternehmerin durch qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigungen habe bescheinigen lassen. Mit Schreiben vom 30.03.2021 bat die Beklagte um Übersendung der fehlenden letzten Seiten der 17. Abschlagsrechnung zu dem Bauvorhaben F1 Messe und teilte mit, dass die vorgelegten Unbedenklichkeitsbescheinigungen nach ihrem Dafürhalten nicht auskömmlich seien. Die angeforderte vollständige Abschlagsrechnung vom 14.10.2015 (richtig: 2017) wurde von der Klägerin mit Schreiben vom 26.04.2021 vorgelegt. Die Nachunternehmerin habe nach der 17. Abschlagsrechnung keine weiteren Rechnungen zu diesem Bauvorhaben gestellt; insbesondere sei keine Schlussrechnung gestellt worden. Zugleich wurde eine Aufstellung der von der Klägerin an die Nachunternehmerin für das Bauvorhaben Messe F1 geleisteten Zahlungen in Höhe von insgesamt 603.120,70 € vorgelegt; weitere Zahlungen seien nicht geleistet worden. Die Klägerin wies zudem darauf hin, dass neben den bereits vorgelegten Unbedenklichkeitsbescheinigungen weitere, auf die Auftragnehmerin ausgestellte Bescheinigungen verschiedener Krankenkassen, der S2 sowie des Finanzamtes vorlägen. Eine Auskömmlichkeit der bescheinigten Lohnsummen und damit der Nachweis der Exkulpation sei zu bejahen. Insbesondere könne ohne gesetzliche Grundlage keine Überprüfung des Auftragnehmers durch den Auftraggeber gefordert werden, ob dieser den zu vergebenden Auftrag überhaupt ausführen könne. Die Klägerin verwies insoweit auf Entscheidungen des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 06.07.2016 (L 17 U 301/15) und vom 19.04.2016 (L 15 U 302/15).

Nach Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 07.05.2021 erhob die Beklagte von dieser mit Bescheid vom 15.07.2021 aufgrund eines unbezahlten Beitragsrückstandes der S1 GmbH für das Jahr 2017 in Höhe von 33.590,49 € eine Forderung in Höhe von 24.506,98 € als Haftungsbeitrag für das Jahr 2017. Gemäß § 28e Abs. 3d SGB IV gelte die Haftung nach § 28e Abs. 3a SGB IV ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 275.000,00 €. Anhand der Unterlagen stehe fest, dass die Bagatellgrenze bei allen Bauvorhaben überschritten sei. Die Klägerin habe sich auch bisher nicht exkulpieren können, da nicht nachgewiesen worden sei, dass der Auftragnehmer ausreichend präqualifiziert gewesen sei. Die eingereichten Unbedenklichkeitsbescheinigungen seien hinsichtlich der darin enthaltenen Entgelte nicht auskömmlich. Die der Haftung unterliegende Auftragssumme sei den vorgelegten Unterlagen entnommen worden. Da über die bei der Ausführung der o.a. Aufträge angefallenen Arbeitsentgelte keine detaillierten Angaben gemacht worden seien, seien die Arbeitsentgelte unter Berücksichtigung des Materialanteils in Höhe von 1/2 der Netto-Auftragssumme geschätzt worden. Nach den der Beklagten vorliegenden Unterlagen ergäben sich aus dem Netto-Auftragsvolumen von 1.084.198,38 € beitragspflichtige Arbeitsentgelte für 2017 in Höhe von 542.099 €. Die Entgelte seien auf die von der Auftragnehmerin selbst gemeldeten Entgelte gekürzt worden. Hieraus ergebe sich ein Haftungsbetrag von 39.543,15 €, der sich um einen Haftungsanteil Anderer auf 24.506,98 € verringere.

Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2021 zurück. Gemäß § 28e Abs. 3b SGB IV entfalle die Haftung nach Abs. 3a nur dann, wenn der Unternehmer nachweise, dass er ohne eigenes Verschulden davon habe ausgehen können, der Nachunternehmer werde seine Zahlungspflichten erfüllen. Für den Nachweis gemäß § 28e Abs. 3f SGB IV habe der Nachunternehmer dabei gemäß § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII eine qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigung des zuständigen Unfallversicherungsträgers vorzulegen. Diese weise insbesondere Angaben über die eingetragenen Unternehmensteile, die dazugehörigen Lohnsummen und zur ordnungsgemäßen Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge aus. Es sei für eine Exkulpation unbedingt erforderlich, dass sich der Auftraggeber bereits zum Zeitpunkt der Auswahl des Nachunternehmers von dessen Zuverlässigkeit überzeugt habe. Um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden, reiche es nicht aus, irgendwann die qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigung zu fordern und zu erhalten, sondern es sei erforderlich (?) sich diese eben zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe und grundsätzlich bezogen auf die gesamte Dauer der Arbeitsausführungen vorlegen zu lassen (SG Leipzig, Beschluss vom 18.11.2010 - S 23 U 162/10 ER -). Bei einem Abgleich der in den Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausgewiesenen Entgelten für Hochbauarbeiten in Höhe von zunächst 131.701,00 € und später nur 82.614,00 € mit den auf den Baustellen für die Aufträge notwendigen Beschäftigten (vgl. Nr. 2 in der Unbedenklichkeitsbescheinigung) sei es augenscheinlich, dass das in der Unbedenklichkeitsbescheinigung genannte Entgelt nicht annähernd für die Ausführung der beauftragten Bauleistungen habe ausreichend sein können. Bereits kurz nach Ausstellung der ersten Unbedenklichkeitsbescheinigung am 12.01.2017 habe die Klägerin die Auftragnehmerin mit Bauleistungen im Wert von 676.471,19 € beauftragt, was Arbeitsentgelten in Höhe von rund 338.235,00 € entspreche. Noch während der Ausführungszeit dieses Auftrages sei zumindest ein weiterer Auftrag an die Auftragnehmerin mit einem Volumen von weiteren 296.009,69 € erteilt worden, was Arbeitsentgelten in Höhe von zusätzlich ca. 148.004,00 € entspreche. Im Rahmen der gebotenen Kontrolle sei von der Klägerin zu prüfen gewesen, ob die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung korrekt entrichtet worden seien, also ob das in der Unbedenklichkeitsbescheinigung genannte Arbeitsentgelt zu den vergebenen Aufträgen passe. Somit hätte bereits nach Vorlage der Bescheinigungen bei Durchführung der geforderten Überprüfung des Nachunternehmers auffallen müssen, dass die von der Beklagten zur Vorschussberechnung zugrunde gelegten Entgelte keinesfalls auskömmlich seien, um die für die vergebenen Aufträge anfallenden Beiträge abzudecken. Es handele sich hier auch nicht nur um eine geringe Überschreitung. Gerade auf eine entsprechende Überprüfung komme es an, da sonst die Einholung der Unbedenklichkeitsbescheinigungen keinen Sinn mache. Allein daraus hätte die Klägerin erkennen können und müssen, dass mit den der Beklagten gemeldeten Entgelten aktuell vom Nachunternehmer deutlich zu wenig Beitragsvorschüsse geleistet worden seien. Insofern sei durch die Klägerin keine gebotene Prüfung erfolgt. Aus diesem Grunde könnten die Unbedenklichkeitsbescheinigungen keine Berücksichtigung bei der Exkulpation finden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.06.2018 - L 16 U 25/16 -). Weiterhin sei anzumerken, dass die Unbedenklichkeitsbescheinigungen unter Pkt. 2 einen Passus enthielten, welcher die Befreiung von einer Inanspruchnahme im Rahmen der Beitragshaftung als Auftraggeber ausdrücklich nur dann möglich mache, wenn das Verhältnis der bescheinigten Arbeitsentgelte plausibel zur Anzahl der auf der Baustelle eingesetzten Arbeitnehmer des Auftragnehmers sei. Die Missachtung dieses ausdrücklichen Bestandteiles der Unbedenklichkeitsbescheinigungen sei ebenfalls nicht mit der von Ihnen aufzuwendenden Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmannes bei der Auswahl des Auftragnehmers in Einklang zu bringen. Das zitierte Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 06.07.2016 (a.a.O.) sei auf den hiesigen Fall nicht zu übertragen. Bei der Auftragnehmerin habe es sich zu den Zeitpunkten der Auftragsvergaben keineswegs um ein neu gegründetes Unternehmen gehandelt, so dass eine korrekte Meldung der Jahreslohnsummen jederzeit möglich gewesen sei. Ebenso wenig sei die Übertragung der weiteren Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 19.04.2016 (a.a.O.) wegen unterschiedlicher Sachverhalte möglich. Die weiteren Bescheinigungen des Finanzamtes, der S2  und der Krankenkassen seien nicht zur Exkulpation von der Beitragshaftung geeignet, da die Möglichkeiten des Exkulpationsnachweises in den Abs. 3b und 3f des § 28e SGB IV abschließend aufgezählt seien. Demnach sei im Rahmen der Exkulpation gemäß § 28e Abs. 3f SGB IV die Einholung von Unbedenklichkeitsbescheinigungen der zuständigen Einzugsstelle, damit hier der Beklagten, gefordert. Eine weitere Exkulpationsmöglichkeit sei gesetzlich nicht vorgesehen und somit auch nicht zulässig. Insbesondere könne aus den vorstehend benannten Unterlagen nicht geschlossen werden, dass der Auftragnehmer seine Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Beklagten erfülle. Sie verhielten sich vielmehr über steuerliche oder andere versicherungsrechtliche bzw. meldepflichtige Sachverhalte (vgl. LSG Sachsen, Urteil vom 22.03.2012 - L 2 U 163/10 -). Im Ergebnis habe die Klägerin den Nachweis der Exkulpation in gebotenem Umfang nicht erbringen können, insbesondere da die in den Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausgewiesenen Arbeitsentgelte nicht auskömmlich für die beauftragten Bauleistungen gewesen seien.

Dagegen hat die Klägerin am 17.11.2021 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe sich die Klägerin in Bezug auf die Beiträge der Schuldnerin zur gesetzlichen Unfallversicherung für den gesamten Zeitraum zwischen der ersten Auftragserteilung am 13.02.2017 und den zuletzt im Auftrag der Klägerin im Februar 2018 von der Schuldnerin ausgeführten Arbeiten durch die lückenlose Vorlage der von der Beklagten für den Zeitraum vom 12.01.2017 bis 15.03.2018 ausgestellten, qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausreichend exkulpiert im Sinne von § 150 Abs. 3 Satz 1 2. Alt., Satz 2 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 3f SGB IV. Die von der Klägerin vorgelegten Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Beklagten erfüllten die in § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII normierten Voraussetzungen. Sofern die Beklagte im Widerspruchsbescheid davon spreche, dass die Klägerin im Rahmen der gebotenen Kontrolle hätte prüfen müssen, ob „das in der Unbedenklichkeitsbescheinigung genannte Arbeitsentgelt zu den vergebenen Aufträgen passt“, schaffe sie Exkulpationsvoraussetzungen, die die gesetzlichen Eingriffsnormen der Beitragshaftung für Auftraggeber im Baugewerbe nicht kennen. Weder in § 28e Abs. 3f SGB IV noch in § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII finde sich auch nur ein Anhaltspunkt dahingehend, dass der Auftraggeber das in der Unbedenklichkeitsbescheinigung genannte Arbeitsentgelt in irgendeiner Art und Weise mit dem von ihm zu vergebenen Auftrag überprüfen müsse, um sich im Zweifelsfall durch Vorlage der Unbedenklichkeitsbescheinigung exkulpieren zu können. Die von der Beklagten geforderte Kontrolle verstoße gegen den aus Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) herrührenden Vorbehalt des Gesetzes, da die Forderung nach einer solchen Kontrolle nicht von einem die Beklagte hierzu ermächtigenden Gesetz gedeckt sei. Auch in der von der Beklagten genannten Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 14/8221) sei eine Pflicht des Auftraggebers zur Überprüfung der in der Unbedenklichkeitsbescheinigung enthaltenen Arbeitsentgelte mit dem von ihm zu vergebenden Auftrag nicht erwähnt. Die Beklagte könne nicht eigenmächtig die von dem Gesetzgeber abschließend geregelten Möglichkeiten der Exkulpation dadurch aushöhlen, indem sie selbst weitere Voraussetzungen festlege, die für eine erfolgreiche Exkulpation der Klägerin erforderlich seien.
Schließlich spreche auch der Vergleich mit der von dem Gesetzgeber in § 28e Abs. 3b Satz 2 SGB IV primär normierten Exkulpationsmöglichkeit über den Nachweis der Präqualifikation des Nachunternehmers nach § 6a VOB/A gegen eine Pflicht des Auftraggebers zur Überprüfung der in der Unbedenklichkeitsbescheinigung enthaltenen Arbeitsentgelte mit dem von ihm zu vergebenden Auftrag. Bei einer Abfrage über die öffentlich einzusehende PQ-Liste würden dem Auftraggeber keinerlei Angaben zu den bei dem Nachunternehmer gemeldeten Arbeitnehmern (?) an die Hand gegeben. Bei der von dem Gesetzgeber primär festgelegten Kontrollmöglichkeit des Nachunternehmers seien überhaupt keinerlei Angaben zu dessen Unternehmen(?) enthalten. Sofern also der Auftraggeber einen präqualifizierten Nachunternehmer beauftrage, lägen die Voraussetzungen einer Exkulpation ohne jegliche Angaben zu den bei diesem gemeldeten Arbeitnehmern, geschweige denn einer Überprüfung der Angaben mit dem in Frage kommenden Auftrag vor. Ungeachtet dessen würde sich vorliegend die Frage stellen, wie der Auftraggeber dies überhaupt anhand der Angaben auf der Unbedenklichkeitsbescheinigung überprüfen solle. Vergegenwärtige man sich den Inhalt der Unbedenklichkeitsbescheinigungen im Hinblick auf die darin enthaltenen Lohnsummen, falle sofort auf, dass die Beklagte noch nicht einmal Angaben dazu mache, ob es sich hierbei um einen Monats- oder einen Jahreswert handele. Auch könne der Auftraggeber anhand der angegebenen Lohnanteile nicht überprüfen, ob der Nachunternehmer vielleicht nur mit wenigen Arbeitnehmern, hingegen mit einer größeren Anzahl von Gesellschaftern arbeite – eine Konstellation, die im Baugewerbe häufig anzutreffen sei. Die von der Klägerin beauftragten Angebote der Schuldnerin seien zudem auskömmlich im Hinblick auf die darin enthaltenen Lohnkosten sowie Sozialversicherungsbeiträge gewesen, da es sich bei den einzelnen Preisen der Schuldnerin um markt- und ortsübliche Preise gehandelt habe. Die Klägerin habe daher keinerlei Veranlassung gehabt, an der Auskömmlichkeit der Preise der Auftragnehmerin im Hinblick auf die Löhne und die darin enthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu zweifeln. Sofern die Beklagte davon spreche, dass „es augenscheinlich (ist), dass das in den Unbedenklichkeitsbescheinigungen genannte Entgelt nicht annähernd für die Ausführung der beauftragten Bauleistungen ausreichend sein konnte“, stelle sich die Frage, in welchen Fällen der Unternehmer bei dem Vergleich zwischen den Lohnsummen und dem Volumen des Auftrags zu dem Ergebnis gelangen solle, dass sein Nachunternehmer zuverlässig oder unzuverlässig sei bzw. dieser im Hinblick auf die in den Lohnsummen enthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ausreichend kalkuliert habe. Es sei unklar, wo die Grenze dessen liege, was die Beklagte noch akzeptieren würde und wo sie zu dem Ergebnis gelange, die Unstimmigkeit der dem Unternehmer vorliegenden Informationen sei offensichtlich. Da der Gesetzgeber der Beklagten keinen Ermessensspielraum bezüglich der Voraussetzungen einer erfolgreichen Exkulpation des Unternehmers eingeräumt habe, verstoße eine derartige Handhabung zweifelsohne gegen den in Art. 20 Abs. 3 GG enthaltenen Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der Einwand der Klägerin betreffend die Unmöglichkeit der Zuordnung der gemeldeten Arbeitsentgelte zu einzelnen Monaten oder einem ganzen Jahr gehe ins Leere. Ausweislich der Unbedenklichkeitsbescheinigung handele es sich um die Arbeitsentgelte, welche den aktuellen Vorschüssen zugrunde lägen. Schon aus der Formulierung könne entnommen werden, dass es sich nicht um Nachweise für einzelne Monate handeln könne, sondern dass die Vorschüsse des aktuellen Beitragsjahres zur Gänze erfasst seien. Der Klägerin als langjährigem Mitglied der Beklagten müsse zudem das System der nachträglichen Bedarfsdeckung und der Vorschusserhebung sowie auch das Verfahren zur Erteilung von Unbedenklichkeitsbescheinigungen bekannt sein. Mangelnde Einsicht in eben diese seit Jahren praktizierten und in den Veröffentlichungen der Beklagten an die Mitglieder publizierten Verfahren erscheine vor diesem Hintergrund wenig plausibel. Ebenso dürfte die Klägerin als Auftraggeberin jedenfalls über die Vorgänge zu den von ihr betriebenen Baustellen hinreichend informiert sein, so dass der Einwand der Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse betreffend die Anzahl der eingesetzten Mitarbeiter der Auftragnehmer nicht überzeuge. Vorliegend sei die gebotene Überprüfung der Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers dem Anschein nach nicht erfolgt und jedenfalls nicht nachgewiesen. Die von der Beklagten vertretene Auffassung werde auch durch die einschlägige Rechtsprechung, die bereits im Widerspruchsbescheid zitiert worden sei, gestützt. Dem von der Klägerin bemühten Vergleich mit der Exkulpationsmöglichkeit nach § 28e Abs. 3b Satz 2 SGB IV sei nicht zu folgen. Bei dem Verfahren der Präqualifikation handele es sich um eine der Auftragserteilung vorgelagerte Prüfung der Fachkunde, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit durch eine damit beauftragte externe Institution. Die Präqualifikation erleichtere dem Auftraggeber den erfolgreichen Nachweis der Exkulpationsvoraussetzungen, ohne von diesem eigene Prüfschritte zu verlangen. Dieses Verfahren sei vom Gesetzgeber im Rahmen der Exkulpation favorisiert worden und sollte gerade eine Vereinfachung für den Auftraggeber darstellen. Gleichwohl prüfe eine zertifizierte Stelle gerade auch die Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers. Darüber hinaus sei der Auftraggeber zu keiner weiteren Prüfung verpflichtet. Dieser solle und könne sich im Rahmen der gewünschten Verfahrensvereinfachung auf die im Rahmen der Präqualifikation getroffenen Feststellungen verlassen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 07.02.2022 abgewiesen. Der Bescheid vom 15.07.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2021 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Nach § 150 Abs. 3 Satz 1 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 3b SGB IV entfalle die Haftung nach Absatz 3a, wenn der Unternehmer nachweise, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer oder ein von ihm beauftragter Verleiher seine Zahlungspflicht erfüllt. Der Unternehmer müsse bei der Auswahl des Nachunternehmers die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmannes angewandt haben und beispielsweise das Angebot eines Nachunternehmers darauf prüfen, ob bei den Lohnkosten Sozialversicherungsbeiträge zutreffend einkalkuliert sind (Wehrhahn in Kasseler Kommentar, 116. EL September 2021, SGB IV § 28e Rn. 31 unter Hinweis auf BT-Drs. 14/8221, 15). Die vom Gesetzgeber konkret geforderten Sorgfaltspflichten deuteten hierbei darauf hin, dass der Gesetzgeber ein hohes Maß an „im Verkehr erforderlicher Sorgfalt“ (vgl. § 276 Abs. 2 BGB) im Hinblick auf diese Pflicht verlange (Wehrhahn in Kasseler Kommentar, a.a.O., Rn. 33). Entgegen der Auffassung der Klägerin sei es daher nicht ausreichend, sich die Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorlegen zu lassen. Da in den Unbedenklichkeitsbescheinigungen nicht nur die ordnungsgemäße Erfüllung der bisherigen Beitragspflichten bezeugt werde, sondern auch Angaben zu den Unternehmensteilen und Lohnsummen enthalten seien, könne der Generalunternehmer beurteilen, ob das Verhältnis der ausgewiesenen Arbeitsentgelte zu der Anzahl der auf der Baustelle eingesetzten Arbeitnehmer plausibel ist und der Nachunternehmer mit den ausgewiesenen Unternehmensteilen die übernommenen Arbeiten ausführen kann. Sei dies nicht der Fall, könne sich der Auftraggeber nicht exkulpieren (Höller in Hauck/Noftz, § 150 SGB VII, Rn. 20d). Dem Bauunternehmer obliege es daher, die Unbedenklichkeitsbescheinigungen entsprechend zu prüfen (siehe LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 19.06.2018 - L 16 U 25/16 - juris Rn. 35 ff.). Die Beweislast für das Nichtvorliegen der Haftung trage der Hauptunternehmer (BT-Drs. 14/8221, 15; Wehrhahn in Kasseler Kommentar, a.a.O., Rn. 34).
Ausgehend von diesen Grundsätzen könne sich die Klägerin nicht von der Haftung exkulpieren. Die Klägerin habe die Auftragnehmerin im Jahr 2017 mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt. Bei den Bauvorhaben sei auch die Wertgrenze in Höhe von 275.000,00 € überschritten. Unstreitig habe die Klägerin eine Prüfung der Angebote der Auftragnehmerin nicht im Sinne der o.g. Präqualifikation gemäß § 28e Abs. 3b Satz 2 SGB IV durchgeführt. Auch könne sich die Klägerin nicht durch die vorgelegten Unbedenklichkeitsbescheinigungen exkulpieren. Die Beklagte weise zu Recht darauf hin, dass die vorgelegten Unbedenklichkeitsbescheinigungen Entgelte für Hochbauarbeiten in Höhe von zunächst 131.701,00 € und später 82.614,00 € aufweisen. Bereits kurz nach dem Zeitpunkt der Ausstellung der ersten Unbedenklichkeitsbescheinigung am 12.01.2017 habe die Klägerin die Auftragnehmerin mit Bauleistungen im Wert von 676.471,19 € beauftragt (Bauvorhaben Messe F1) und bereits im Juni 2017, noch während der Ausführungszeit des ersten Auftrags, einen weiteren Auftrag mit einem Volumen von 296.009,69 € erteilt (Bauvorhaben F5 V1, F3 / F4 und A3 / B3). Dies entspreche Arbeitsentgelten in Höhe von ca. 338.235,00 € und ca. 148.004,00 €, d.h. insgesamt 486.239,00 €. Aufgrund dieser offensichtlichen Diskrepanz zwischen Auftragsvolumen und ausgewiesenen Entgelten hätte es sich der Klägerin geradezu aufdrängen müssen, dass die in den Unbedenklichkeitsbescheinigungen genannten Arbeitsentgelte in keinem Fall auskömmlich waren, die erteilten Aufträge abzuarbeiten. Unter diesen Umständen habe nach Auffassung des Gerichts ein Vertrauen in die ordnungsgemäße Beitragsabführung durch Vorlage der Unbedenklichkeitsbescheinigungen nicht entstehen und die Klägerin sich nicht darauf berufen können, ohne eigenes Verschulden davon ausgegangen zu sein, dass die Auftragnehmerin ihre Zahlungspflichten erfüllt habe. Auch seien die von der Klägerin weiter vorgelegten Bescheinigungen des Finanzamtes, der S2 und der Krankenkassen nicht zur Exkulpation geeignet. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28e Abs. 3f Satz 1 SGB IV i.V.m. § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII sei die Einholung von Unbedenklichkeitsbescheinigungen des zuständigen Unfallversicherungsträgers und damit der Beklagten gefordert. Eine weitere Exkulpationsmöglichkeit sei nicht vorgesehen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.08.2019 - L 6 U 3728/18 -, juris Rn. 71).

Gegen den ihr am 08.02.2022 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 01.03.2022 beim LSG Baden-Württemberg eingelegte Berufung.
Das SG habe zu Unrecht die Klage abgewiesen und rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen der Exkulpation des Auftraggebers durch die Vorlage von qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigungen ohne jeglichen Ansatz in den hierzu geltenden Vorschriften (vgl. § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 3f SGB IV) verschärft und (unter anderem) eine Überprüfung zwischen den in den qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigungen des Berufungsbeklagten enthaltenen Lohnsummen mit dem Volumen der Aufträge gefordert. Es fehle an der zwingend erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für die von der Beklagten geforderte Prüfung ihrer qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigungen durch die Klägerin. Weder aus dem Wortlaut des § 28e Abs. 3f SGB IV noch aus dem des § 150 Abs. 3 SGB VII ergebe sich die von der Berufungsbeklagten geforderte Pflicht des Unternehmers zur Überprüfung der in den qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigungen enthaltenen Angaben zu den Lohnsummen des Nachunternehmers mit dem (jeweiligen) Auftragsvolumen.
Da das SG seine Entscheidung im Wesentlichen darauf stütze, dass es sich vorliegend um die Möglichkeit zur Exkulpation nach den Regelungen des § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII handele und dort von den Angaben zu den „Lohnsummen des Nachunternehmers“ als Bestandteil der qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigungen die Rede ist, sollte auch ein Blick in die zu dieser, speziellen Vorschrift ergangenen Kommentierung vorgenommen werden. Danach hänge der Nachweis nach § 28e Abs. 3 f. SGB IV nicht davon ab, dass der Unternehmer über die Vorlage der qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigung hinaus nachweise, dass er entsprechende Prüfungen vorgenommen hat. Die Vorlage einer qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigung des zuständigen Unfallversicherungsträgers als solche lasse die Haftung entfallen (vgl. Spellbrink in Kasseler Kommentar, 117. EL Dezember 2021, SGB VII § 150 Rn. 18). Neben den bereits in dem Verfahren vor dem SG genannten Entscheidungen des LSG Nordrhein-Westfalen vom 19.04.2016 und vom 06.07.2016 (a.a.O.), auf die das SG in seiner Entscheidungsbegründung nicht eingehe, teile auch das SG Köln (Urteil vom 10.08.2018 - S 18 U 428/16 -, Rn. 17) diese Auffassung und führe dazu aus,
der Gesetzeswortlaut sehe eine solche Einschränkung nicht vor. Auch nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes, das im Interesse der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Schwarzarbeit (vgl. BR-Drucks. 166/09, 15) als Möglichkeiten für eine haftungsrechtliche Entlastung des Generalunternehmers die Präqualifikation des Auftragnehmers gemäß § 28e Abs. 3b Satz 2 SGB IV oder die qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigung des Unfallversicherungsträgers vorsehe, ergebe sich keine über den Wortlaut hinausgehende Einschränkung in dem Sinne, dass der Nachweis gemäß § 28e Abs. 3f SGB IV daran geknüpft sei, dass dem Auftraggeber gerade zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe eine gültige Unbedenklichkeitsbescheinigung vorgelegen habe.
Vorliegend nehme die Berufungsbeklagte – ohne hierzu gesetzlich ermächtigt zu sein – durch die Aufnahme einer Art von Nebenbestimmungen in ihren qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigungen erhebliche Verschärfungen für eine erfolgreiche Exkulpation des Unternehmers nach § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 3f SGB IV vor.
Keine dieser von der Berufungsbeklagten eigenmächtig aufgestellten Voraussetzungen sei den gesetzlichen Vorschriften zur Exkulpation nach § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 3f SGB IV zu entnehmen. Die Beklagte habe sich bei ihrem Handeln im Rahmen der Eingriffsverwaltung strikt an den Inhalt der von dem Gesetzgeber erlassenen Vorschriften zu halten. Die Grenzen ihrer Eingriffsmöglichkeiten würden durch den Wortlaut dieser Vorschriften bestimmt. Der Beklagten komme ausweislich des eindeutigen Wortlauts der Vorschriften zur Exkulpation nach § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 3f SGB IV auch kein Ermessen bei der Frage zu, ob sich der Unternehmer erfolgreich exkulpiert habe.
Die Berufungsbeklagte und mit ihr das SG begründeten die fehlende Exkulpation der Berufungsklägerin mit den Ausführungen in der Gesetzesbegründung in der BT-Drs. 14/8221, dort insbesondere auf Seite 15.
Diese Ausführungen bezögen sich allerdings nicht auf die verfahrensentscheidende Norm des § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 3f SGB IV bzw. die dort normierte Exkulpationsmöglichkeit. Diese sei in der jetzigen Form vielmehr erst im Jahre 2009 von dem Gesetzgeber erlassen worden. In der diesbezüglichen Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 16/12596) werde die von der Berufungsbeklagten geforderte Prüfpflicht mit keinem Wort erwähnt. Selbst wenn man aber mit der Beklagten auf den unbestimmten Rechtsbegriff der „Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmannes“ aus der Gesetzesbegründung zu der allgemeinen Einführung der Generalunternehmerhaftung aus dem Jahre 2002 abstellen wollte, sei nicht ansatzweise nachvollziehbar, dass die übrigen, von der Berufungsklägerin vorgelegten Unbedenklichkeitsbescheinigungen und sonstigen Bescheinigungen anderer Stellen im Rahmen der Exkulpation der Berufungsklägerin keine Berücksichtigung finden sollten. Auch insoweit sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin unstreitig mit der Schuldnerin durchgehend markt- und ortsübliche Preise, in denen Lohnkosten mit Sozialversicherungsbeiträgen auskömmlich enthalten waren, vereinbart habe.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Februar 2022 und den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Oktober 2021 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die ergangene Entscheidung für zutreffend.

Die Auffassung der Klägerin, wonach keine Prüfpflicht des Auftraggebers hinsichtlich der Plausibilität der in den Unbedenklichkeitsbescheinigungen angegebenen Lohnsummen des Subunternehmers bestehen solle, werde weiterhin entgegengetreten. Zu verweisen sei darauf, dass gesetzlich ausdrücklich eine Exkulpation nicht mittels einer einfachen, sondern nur mittels einer qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigung möglich sei, §§ 28e Abs. 3f Satz 1 SGB IV, 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII. Diese habe in der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere auch Angaben über die eingetragenen Unternehmensteile und diesen konkret zugehörigen Lohnsummen des Nachunternehmers zu enthalten, wie ausdrücklich gesetzlich statuiert sei. Bei Wegfall einer Prüfpflicht bezüglich der Plausibilität zu den Lohnsummen würde das Gebot der Vorlage gerade dieser qualifizierten
Unbedenklichkeitsbescheinigungen ad absurdum geführt. Nur auf diese Weise sei es dem Unternehmer möglich, im Sinne der amtlichen Gesetzesbegründung zur Einführung der Hauptunternehmerhaftung zu prüfen, ob in den Lohnkosten (wozu die Unfallversicherungsbeiträge zählen) bei der Vertragsgestaltung und -ausführung die realistisch anzusetzenden Sozialversicherungsbeiträge (hier: Unfallversicherungsbeiträge) einkalkuliert sind (vgl. Amtliche Gesetzesbegründung in: BT-Drs. 14/8221, 15). Zu beachten sei ferner, dass die entsprechenden Vorschriften im Lichte des im Gesetz nach wie vor enthaltenen Leitbildes von § 28e Abs. 3b Satz 1 SGB IV auszulegen seien, wonach die Haftung nur entfällt, wenn der Unternehmer nachweist, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, der Nachunternehmer habe seine Zahlungspflicht erfüllt. Im Sinne des Gesetzgebers, wonach Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung effektiv entgegenzutreten ist (vgl. BT-Drs., ebd.), sei es dabei mit dem SG Freiburg auch angemessen, ein hohes Maß an im Verkehr erforderlicher Sorgfalt zu verlangen (vgl. § 276 Abs. 2 BGB, s. Wehrhahn in: Kasseler Kommentar, SGB IV, § 28e Rn. 33). Dies entspreche auch der Rechtsprechung (vgl. SG Landshut, Urteil vom 23.02.2016 - S 13 U 63/15 -, juris; SG Freiburg, Beschluss vom 23.08.2018 - S 3 U 3582/18 ER -; SG Würzburg, Gerichtsbescheid vom 06.02.2020 - S 5 U 66/18 -). Dies spiegele sich auch in der ausdrücklichen Erklärung in den qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Beklagten wieder, wonach eine Befreiung von der Inanspruchnahme unmissverständlich nur dann durch die Unbedenklichkeitsbescheinigungen erfolgt, wenn das Verhältnis der konkret benannten Arbeitsentgelte zu der Anzahl der auf der Baustelle eingesetzten Beschäftigten plausibel ist. Im Übrigen seien auch die weiteren unter Nr. 1 und Nr. 3 in die Unbedenklichkeitsbescheinigungen aufgenommenen Zusatzklauseln zur Überzeugung der Beklagten im Einklang mit Recht und Gesetz. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich zur Exkulpation gerade keine einfache, sondern eine qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigung vorgesehen. Das zwingende Erfordernis der zusätzlichen Angaben ergebe nur Sinn, wenn diese Angaben auch die Prüfung der Zuverlässigkeit des Subunternehmers ermöglichen sollten. Ein rein formalistisches Verständnis des Erfordernisses einer qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigung würde den oben dargelegten gesetzgeberischen Willen unterlaufen. Es sei gesetzgeberisch in den §§ 28e Abs. 3b Satz 2 und 28e Abs. 3f SGB IV, § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII bestimmt, dass die Exkulpation nur auf diesen Wegen erfolge. Schon deshalb spielten die anderen, klägerseits benannten Aspekte und Hinweise auf andere Bescheinigungen keine Rolle. Dies entspreche auch der Aussage des LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 29.08.2019 (L 6 U 3728/18).

Auf Nachfrage des Senats hat die Beklagte ergänzend mitgeteilt, der Unbedenklichkeitsbescheinigung vom 12.01.2017 hätten die durch die Auftragnehmerin mit Schreiben vom 01.02.2016 gemeldeten Entgelte für das Jahr 2015 in Höhe von 131.701 € zugrunde gelegen. Ab der Bescheinigung vom 13.03.2017 sei auf die durch Schreiben der Auftragnehmerin vom 10.02.2017 gemeldeten Entgelte für das Jahr 2016 in Höhe von 82.614 € abgestellt worden. Mit Schreiben vom 31.01.2018 habe die Auftragsnehmerin für 2017 Entgelte in Höhe von 472.329 € gemeldet, was dem gegen die Klägerin ergangenen Haftungsbescheid zugrunde gelegt worden sei.

Auf Nachfrage des Gerichts, mit wievielen Personen und an wievielen Tagen (Manntagen) die Auftragnehmerin auf den Baustellen der Klägerin tätig war, hat diese angegeben, dies könne nicht mehr beantwortet werden; der damalige für das Bauvorhaben zuständige Bauleiter sei seit Anfang 2019 nicht mehr bei der Klägerin beschäftigt. Die Klägerin könne auch keine Angaben darüber machen, ob es sich bei den von der Auftragnehmerin eingesetzten Personen um eigene Arbeitnehmer oder um Arbeitnehmer von weiteren, von der Auftragnehmerin beauftragten Nachunternehmern gehandelt habe.

Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Fa.  S1 ist zwischenzeitlich abgeschlossen. Die Gesellschaft ist durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen (Amtsgericht E1 - 11 IN 262/18 -) aufgelöst (Eintragung im Handelsregister B vom 15.08.2018). Durch Beschluss des Amtsgerichts E1 vom 04.08.2022 wurde das Insolvenzverfahren nach Abhalten des Schlusstermins im schriftlichen Verfahren und Vollzug der Schlussverteilung aufgehoben. Die Beklagte hatte als eine der Insolvenzgläubiger Forderungen in Höhe von 47.001,15 € angemeldet, wovon bei der Schlussverteilung 7.347,73 € am 29.06.2022 an sie ausgezahlt wurden, was einer Quote von 15,63 % entspricht. Nach Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung und der von ihm vorgelegten Berechnung entfallen hiervon 3.831,18 € auf die streitige Forderung, weshalb diese um diesen Betrag auf 20.675,80 € reduziert werde.


Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Haftungsbescheid
der Beklagten vom 15.07.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2021. Hiergegen wendet sich die Klägerin zulässigerweise mit der (reinen) Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG). Die Klage ist auch begründet. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide ist § 150 Abs. 3 Satz 1 Alternative 1 SGB VII (in der vom 01.10.2009 bis 22.11.2019 geltenden Fassung <a.F.>) i.V.m. § 28e Abs. 3a Satz 1 Alternative 1 SGB IV (in der vom 01.04.2012 bis 31.03.2017 sowie vom 01.04.2017 bis 22.11.2019 unverändert geltenden Fassung <a.F.>). Danach haftet ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 101 Abs. 2 SGB III beauftragt, für die Erfüllung der Zahlungspflichten des Unternehmers wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Eine Haftung nach § 28e Abs. 3a SGB IV nach den genannten Fassungen kommt aber erst ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 275.000,- € in Betracht, § 28e Abs. 3d Satz 1 SGB IV (a.F.).

Die Klägerin gehört zu den Unternehmen des Baugewerbes und hat die Fa. S1 GmbH als Nachunternehmerin im Rahmen mehrerer Werkverträge damit beauftragt, Bauleistungen im Sinne des § 101 Abs. 2 SGB III zu erbringen. Nach den festgestellten Auftragssummen besteht auch kein Zweifel daran, dass der Gesamtwert dieser von der Auftraggeberin an die Auftragnehmerin vergebenen Bauleistungen, bezogen auf die beiden Bauvorhaben Messe F1 und F5 V1 jeweils den Grenzwert des § 28e Abs. 3d Satz 1 SGB IV i.H.v. 275.000,00 € erreichte und überschritt. Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung insoweit der Wert der vom Hauptunternehmer an Subunternehmer fremdvergebenen Aufträge über Bauleistungen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.08.2019, a.a.O., Rn. 59). Hiervon ausgehend liegen nach den Feststellungen des Senats sowohl der Nachunternehmervertrag vom 13.02.2017 für das Bauvorhaben Messe F1 mit einem vereinbarten Nettoauftragsvolumen von 676.471,19 € als auch die Nachunternehmerverträge betreffend das Bauvorhaben F5, darunter die beiden unter dem 29.06.2017 geschlossenen Verträge über die Gebäude F3 und F4 bzw. A3 und B3 mit einem Auftragsvolumen von jeweils 296.009,69 € oberhalb dieses Betrages. Damit ist die Wertgrenze bei beiden Bauvorhaben überschritten – und erst Recht dann, wenn die Auftragssummen zusammengefasst werden.

Das SG hat zu Unrecht entschieden, dass die Voraussetzungen der gesetzlichen Beitragshaftung erfüllt sind und die Klägerin sich nicht exkulpieren kann. Nach der mit Einführung der Unternehmerhaftung zum 01.08.2002 geschaffenen Bestimmung des § 28e Abs. 3b Satz 1 SGB IV entfällt die Haftung nach Abs. 3a, wenn der Unternehmer nachweist, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer seine Zahlungspflicht erfüllt (sogenannte Exkulpation). Der Nachweis ist vom Hauptunternehmer zu erbringen, dass er bei der Auswahl des Nachunternehmens die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmanns aufgewandt hat. Die Beweislast für das Nichtvorliegen der Haftung trägt der Hauptunternehmer (BT-Drs. 14/8221, 15; Wehrhahn, a.a.O., § 28e Rn. 34). Allerdings war nach Einführung der Unternehmerhaftung bis zur Neufassung der Vorschriften (oder konkreter: des § 28e SGB IV?) gesetzlich nicht näher bestimmt, auf welche Weise der Unternehmer sich exkulpieren kann. Nach der mit Wirkung vom 01.10.2009 eingefügten Bestimmung des § 28e Abs. 3b Satz 2 SGB IV (i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch vom 15. Juli 2009, BGBl I 1939) ist ein Verschulden des Unternehmers ausgeschlossen, soweit und solange er Fachkunde, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Nachunternehmers (oder des von ihm beauftragten Verleihers) durch eine Präqualifikation nachweist, die die Eignungsvoraussetzungen nach § 8 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. März 2006 (BAnz. Nr. 94a vom 18. Mai 2006) erfüllt. Nach Abs. 3f Satz 1 der Bestimmung kann der Unternehmer den Nachweis nach Absatz 3b Satz 2 anstelle der Präqualifikation auch durch Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung der zuständigen Einzugsstelle für den Nachunternehmer oder den von diesem beauftragten Verleiher erbringen. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung enthält Angaben über die ordnungsgemäße Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und die Zahl der gemeldeten Beschäftigten (Satz 2). Diese Regelungen werden in der gesetzlichen Unfallversicherung durch § 150 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative, Satz 2 SGB VII (in der ab 01.10.2009 bis 21.11.2019 geltenden und daher hier maßgeblichen Fassung) dahingehend modifiziert, dass der Nachunternehmer oder der von diesem beauftragte Verleiher für den Nachweis nach § 28e Abs. 3f SGB IV eine qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigung des zuständigen Unfallversicherungsträgers vorzulegen hat; diese enthält insbesondere Angaben über die bei dem Unfallversicherungsträger eingetragenen Unternehmensbestandteile und diesen zugehörige Lohnsummen des Nachunternehmers oder des von diesem beauftragten Verleihers sowie die ordnungsgemäße Zahlung der Beiträge (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.06.2019 - L 3 U 194/16 - juris, Rn. 35).

Ausgehend hiervon ist zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass die Klägerin für den hier streitigen Leistungszeitraum der Durchführung des Bauvorhabens ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass die Nachunternehmerin ihre Zahlungspflicht gegenüber der Beklagten erfüllt. Die Klägerin war bereits vor der ersten Auftragsvergabe am 13.02.2017 im Besitz einer gültigen Unbedenklichkeitsbescheinigung der Beklagten vom 12.01.2017, welche befristet bis zum 15.03.2017 ausgestellt worden war. Insoweit spielt es keine Rolle, ob es ausreichend ist, wenn erst zu Beginn der Auftragsausführung eine solche Unbedenklichkeitsbescheinigung vorliegt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 06.07.2016, a.a.O.), oder ob dies bereits für den Zeitpunkt der Auftragsvergabe zu fordern ist (vgl. LSG Thüringen, Urteil vom 04.07.2019 - L 1 U 1334/18 - juris Rn. 33). Dem schlossen sich weitere sechs Unbedenklichkeitsbescheinigungen an, die nahezu lückenlos (nur unterbrochen durch zwei Wochenenden) den gesamten Zeitraum bis zur Beendigung des Auftragsverhältnisses bzw. der Bauarbeiten im Februar 2018 erfassten bzw. darüber hinausreichten – und damit sogar über die im maßgeblichen Zeitraum geltenden gesetzlichen Vorgaben hinausgingen. Denn im hier maßgeblichen Zeitraum war die Exkulpation nach § 28e Abs. 3f Satz 1 SGB IV an die Vorlage „einer Unbedenklichkeitsbescheinigung“ geknüpft; die Vorlage von „lückenlosen Unbedenklichkeitsbescheinigungen“ wurde erst mit Wirkung zum 01.07.2020 in 28e Abs. 3f Satz 1 SGB IV eingefügt. Diese insgesamt sieben Unbedenklichkeitsbescheinigungen sind auch qualifiziert im Sinne von § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII, da sie die dort formulierten Mindestangaben (über die bei dem Unfallversicherungsträger eingetragenen Unternehmensteile, diesen zugehörigen Lohnsummen des Nachunternehmers sowie die ordnungsgemäße Zahlung der Beiträge) enthalten.

Hiernach ist eine Exkulpation der Klägerin zu bejahen. Wie ausgeführt kann der Unternehmer nach § 28e Abs. 3f SGB IV in der ab dem 01.10.2009 geltenden Fassung den Nachweis nach Abs. 3b Satz 2 anstelle der Präqualifikation auch durch Vorlage einer qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigung im Sinne von § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII erbringen. Die qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigung des zuständigen Unfallversicherungsträgers ermöglicht es ihm, das Unternehmen des Auftragnehmers hinsichtlich der dort genannten Angaben zu prüfen, nämlich der Mitgliedschaft bei der Beklagten und der ordnungsgemäßen Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen aus den in früheren Zeiträumen angegebenen Lohnsummen. Der Nachweis nach § 28e Abs. 3b Satz 2, Abs. 3f SGB IV hängt aber nicht davon ab, dass der Unternehmer über die Vorlage der Unbedenklichkeitsbescheinigung hinaus nachweist, dass er die Vereinbarkeit der von der Beklagten erfassten und veranlagten Unternehmensteile mit dem auszuführenden Auftrag sowie der gemeldeten Arbeitsentgelte mit dem Volumen des Auftrags geprüft hat. Der Gesetzeswortlaut sieht eine solche Einschränkung nicht vor.
Nach dem eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Vorschriften lässt bereits die Vorlage der qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigung die Haftung entfallen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 06.07.2016 und vom 19.04.2016, a.a.O.; SG Köln, Urteil vom 10.08.2018 - S 18 U 428/16 -; Spellbrink in Kasseler BeckOGK, EL. 101 Sept. 2018, § 150 Rn. 18).

Auch den Gesetzesmaterialien lässt sich eine materielle Prüfpflicht des Auftraggebers, die im Falle ihrer Verletzung eine Haftung für nicht gezahlte Beiträge des Nachunternehmers begründen könnte, nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen. Mit dem zum 01.08.2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23.07.2002, BGBl 2787, 3760) sollte die illegale Beschäftigung (Schwarzarbeit) bekämpft, die Funktionalität und finanzielle Stabilität der Sozialversicherung gewährleistet und gewerbliche Unternehmer sollten verfassungsgemäß belastet werden (BT-Drucksache 14/8221 zu Nr. 4 § 28e S. 15 ff). Ziel der Regelung ist es, den Hauptunternehmer zu veranlassen, dafür zu sorgen, dass der Nachunternehmer seinen sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflichten nachkommt. Er soll, um einer eigenen Inanspruchnahme vorzubeugen, solche Nachunternehmer auswählen, die die Gewähr bieten, dass sie ihre Beschäftigten nicht illegal beschäftigen. Nach der Gesetzesbegründung bei Einführung der Generalunternehmerhaftung zum 01.08.2002 gehört zum Prüfungsumfang eines ordentlichen Kaufmanns die Überprüfung des Angebots des Nachunternehmers darauf, ob bei den Lohnkosten Sozialversicherungsbeiträge zutreffend einkalkuliert waren oder auch, ob der Nachunternehmer seiner Steuerpflicht ausreichend nachkommt (BT-Drs. 14/8221, 15). Diese gesetzgeberische Intention hat ihren normativen Niederschlag in der Bestimmung des § 28e Abs. 3a SGB IV und der generalklauselartigen Exkulpationsbestimmung des Abs. 3b Satz 1 gefunden. Letztere Vorschrift hat allerdings
ab dem 01.10.2009 ihre Ausgestaltung und Ergänzung durch zwei weitere, nach dem Gesetzeswortlaut gleichwertige Entlastungsmöglichkeiten gefunden, nämlich den Nachweis einer Präqualifikation des Nachunternehmers nach Abs. 3b Satz 2 und die Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung nach Abs. 3f Satz 1 und 2. Zwar sollte die Entlastung durch eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Unfallversicherungsträgers (§ 28e Abs. 3f Satz 1 und 2 SGB IV i. V. m. § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB VII) nach der Intention des Gesetzes nur noch übergangsweise zur Exkulpation verwendet werden können, bis die Präqualifikation breite Anwendung findet (BT-Drs. 16/12596, 10). Durch diese Beschränkung, die zugleich mit einer eindeutigen Regelung einhergeht, sollte Rechtssicherheit hergestellt werden. Gleichwohl existieren beide Rechtsinstitute nebeneinander – bis zum heutigen Tag – weiter und begründen damit bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen gleichermaßen eine spezielle Exkulpationsmöglichkeit jenseits der generalklauselartigen Bestimmung des § 28e Abs. 3b Satz 1 SGB IV. Für den Nachweis der Präqualifikation stellt dies schon der Wortlaut des § 28e Abs. 3b Satz 2 SGB IV klar, wonach ein Verschulden in diesem Falle „ausgeschlossen“ ist. Indem § 28e Abs. 3f Satz 1 SGV IV für den „Nachweis nach Abs. 3b Satz 2“ lediglich die „Vorlage“ einer Unbedenklichkeitsbescheinigung verlangt, bestimmt und begrenzt er gewissermaßen spezialgesetzlich den sanktionsbewehrten Pflichtenkreis eines Generalunternehmers dahingehend, dass sich dieser - wie hier - über den gesamten Zeitraum der Baumaßnahmen qualifizierte, von der Beklagten selbst ausgestellte, eine bis dato ordnungsgemäße Entrichtung von Beitragsvorschüssen bestätigende Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorlegen lassen muss, ohne dass von ihm nach der gesetzlichen Regelung aber eine weitere inhaltliche Prüfung verlangt wird. Eine Prüfpflicht des Hauptunternehmers in Bezug auf die letztlich prognostische Frage, ob sein Nachunternehmer nicht nur, wie in den Unbedenklichkeitsbescheinigungen bestätigt, bislang zuverlässig seine Unfallversicherungsbeiträge bzw. -vorschüsse bezahlt hat, sondern dies voraussichtlich auch in Zukunft tun wird – und zwar auch aus den in Rede stehenden höheren Auftragssummen, bedürfte schon mit Blick auf die möglichen weitreichenden haftungsrechtlichen Folgen für den Hauptunternehmer einer eindeutigen gesetzlichen Bestimmung. Entsprechendes gilt, soweit man vom Generalunternehmer verlangen wollte, bei auffälligen Differenzen zwischen den bescheinigten Lohnsummen und dem aktuellen Auftragsvolumen auf die Vorlage angepasster Unbedenklichkeitsbescheinigungen zu dringen bzw. die Auftragsvergabe davon abhängig zu machen (so Thüringer LSG, Urteil vom 04.07.2019, a.a.O., Rn. 33).

Etwas anderes folgt auch nicht aus einem Vergleich mit dem Pflichtenkreis des Unternehmers bei der Exkulpation durch eine Präqualifikation. Zwar tritt in diesem Fall nach § 28e Abs. 3b Satz 2 SGB IV eine Exkulpation nur dann ein, „soweit und solange“ der Unternehmer Fachkunde, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Nachunternehmers oder des von diesem beauftragten Verleihers durch eine Präqualifikation nachweist. Soweit aus der Formulierung „solange“ hergeleitet wird, dass die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Nachunternehmers nicht nur einmalig, sondern über einen andauernden Zeitraum nachzuweisen sind, nämlich jeweils für die Dauer der Eintragung im entsprechenden Verzeichnis (SG Berlin, Beschluss vom 16.03.2017 - S 163 U 15/17 ER - juris Rn. 37 m.w.N.), ist dies zutreffend. Allerdings begründet dies nicht die Schlussfolgerung, der Generalunternehmer habe bei Vorlage von Unbedenklichkeitsbescheinigungen eine inhaltliche Prüfpflicht. Denn insoweit ist zu bedenken, dass die Präqualifikation von einer externen Präqualifikationsstelle festgestellt wird und sich der Generalunternehmer hierauf verlassen darf, ohne eigene Prüfung. Dass eine solche weitergehende Überprüfungspflicht des Generalunternehmers bei Vorlage von Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Berufsgenossenschaft über die –auch erst seit 01.07.2020 geltende – Pflicht zur Vorlage lückenloser Unbedenklichkeitsbescheinigungen hinaus bestehen sollte, lässt sich den gesetzlichen Regelungen nicht entnehmen.

Begründet somit bereits die Vorlage qualifizierter Unbedenklichkeitsbescheinigungen eine Exkulpation der Klägerin, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Regelung in § 28e Abs. 3b Satz 1 SGB IV seit der Einführung der beiden gesetzlich vorgesehenen Exkulpationsmöglichkeiten auch andere Möglichkeiten des Nachweises fehlenden Verschuldens eröffnet (vgl. zum Meinungsstand LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.06.2019 - L 3 U 194/16 - juris Rn. 40 m.w.N.), wie sie im vorliegenden Fall durch die Vorlage weiterer, die ordnungsgemäße Beitrags- und Steuerentrichtung bestätigender Bescheinigungen mehrerer Krankenkassen und des Finanzamts in Betracht kommen könnten.

Soweit in Rechtsprechung und Literatur demgegenüber ausgeführt wird, der Hauptunternehmer sei zwar zu keiner tieferen Prüfung der Zuverlässigkeit seines Nachunternehmers verpflichtet, könne und müsse aber jedenfalls eine Plausibilitätsprüfung dahingehend vornehmen, ob das Verhältnis der ausgewiesenen Arbeitsentgelte zu der Höhe der vereinbarten Auftragssummen bzw. der Anzahl der auf der Baustelle eingesetzten Arbeitnehmer plausibel ist und der Nachunternehmer mit den ausgewiesenen Unternehmensteilen die übernommenen Arbeiten ausführen kann, ansonsten könne er sich nicht exkulpieren (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.06.2022 – L 10 U 1400/20 - juris Rn. 33; LSG Thüringen, Urteil vom 04.07.2018 - L 1 U 1334/18 - juris Rn. 32; SG Berlin, a.a.O.; Kranig in Hauck/Noftz SGB VII, 3. Ergänzungslieferung 2022, § 150 Rn. 20d), vermag sich der erkennende Senat dem auch mit Blick auf den aus dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Vorbehalt des Gesetzes.

In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aus grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) einerseits sowie dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) andererseits die Verpflichtung des Gesetzgebers abgeleitet, in allen grundlegenden normativen Bereichen die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen (vgl. BVerfGE 49, 89 <126>; 77, 170 <230 f.>; 98, 218 <251>; 136, 69 <114 Rn. 102>) und nicht anderen Normgebern oder der Exekutive zu überlassen (vgl. BVerfGE 150, 1 <96 ff. Rn. 190 ff.>; st. Rspr.).
Welche Angelegenheiten wegen ihrer grundlegenden Bedeutung gesetzgeberischer Regelung vorbehalten sind, lässt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Sachbereich und die Wirkintensität der in Rede stehenden Regelung ermitteln. Die verfassungsrechtlichen Wertungsmaßstäbe sind dabei primär die tragenden Prinzipien des Grundgesetzes. Dazu zählen insbesondere die vom Grundgesetz verbürgten Grundrechte (vgl. BVerfGE 49, 89 <127>). Sind Grundrechte betroffen, besteht regelmäßig die Notwendigkeit eines Parlamentsgesetzes.

Werden grundrechtsrelevante Sachverhalte normativ geregelt, ist der Gesetzgeber nach dem im Rechtsstaatsprinzip gründenden Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze gehalten, Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (vgl. BVerfGE 49, 168 <181>; 59, 104 <114>; 78, 205 <212>; 103, 332 <384>; 134, 141 <184 Rn. 126>; 149, 293 <323 Rn. 77>, 159, 40-90 <Rn. 81> m.w.N.). Regierung und Verwaltung sollen im Gesetz hinreichend klare, steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und die Gerichte in die Lage versetzt werden, eine wirksame Rechtskontrolle vornehmen zu können (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 10.11.2020 - 1 BvR 3214/15 -, Rn. 86, juris). Die Entscheidung über die Grenzen der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger darf nicht einseitig in das Ermessen der Verwaltung gestellt sein (vgl. BVerfGE 78, 214 <226> m.w.N.; 113, 348 <376>; 149, 293 <323 Rn. 77>). Das Bestimmtheitsgebot steht insoweit in enger Beziehung zum Parlamentsvorbehalt (vgl. BVerfGE 56, 1 <13>; 120, 378 <408>; 150, 1 <99 ff. Rn. 198 ff.>). Welcher Grad an Bestimmtheit geboten ist, lässt sich nicht generell und abstrakt festlegen, sondern hängt von der Eigenart des Regelungsgegenstands und dem Zweck der betreffenden Norm ab (vgl. BVerfGE 89, 69 <84>; 103, 111 <135>; 123, 39 <78>; 131, 316 <343>). Die Notwendigkeit der Auslegung einer gesetzlichen Begriffsbestimmung nimmt ihr für sich genommen noch nicht die Bestimmtheit und Normenklarheit, die Demokratie und Rechtsstaat von einem Gesetz fordern (vgl. BVerfGE 21, 73 <79>; 78, 205 <212>; 83, 130 <145>; 131, 316 <343>; 149, 293 <324 Rn. 78>; 150, 1 <96 ff. Rn. 190 ff.>). Dem Bestimmtheitserfordernis ist vielmehr genügt, wenn von der Norm aufgeworfene Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können (vgl. BVerfGE 83, 130 <145>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 10.11.2020 - 1 BvR 3214/15 -, Rn. 86). Für den Bereich der Eingriffsverwaltung hat das BVerfG festgestellt, dass die Anforderungen an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit umso strenger sind, je intensiver der Grundrechtseingriff ist, den eine Norm rechtfertigen soll (vgl. BVerfGE 59, 104 <114>; 134, 33 <81 Rn. 111>; 149, 293 <323 f. Rn. 77>; 150, 1 <98 Rn. 196>; jeweils m.w.N.). Für die näheren Anforderungen kann schließlich auch der jeweilige Kreis der Normanwenderinnen und -anwender sowie der Normbetroffenen von Bedeutung sein (vgl. BVerfGE 48, 48 <57>; 126, 170 <196>; 128, 282 <318>; 149, 293 <324 Rn. 77>; 150, 1 <98 Rn. 196 f.>).

Hiernach bedarf jedes hoheitliche Handeln einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage. Auch der Beklagten als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist ein Handeln in Form des Erlasses eines (belastenden) Verwaltungsaktes nach § 31 SGB X nur erlaubt, wenn und soweit eine gesetzliche Grundlage hierfür besteht (Art. 20 Abs. 3 GG). So ist ihr auch der Erlass von Beitrags- und Gebührenbescheiden und – wie hier – eines Haftungsbescheids wegen nichtbezahlter Beiträge eines anderen Unternehmers nur erlaubt, wenn und soweit eine gesetzliche Grundlage besteht (vgl. entsprechend
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 17.11.2022 - 20 B 21.1387 - zur Erhebung von Kommunalabgaben). Damit bedürfte eine über die Vorlage von qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigungen hinausgehende eigene Prüfpflicht des Hauptunternehmers in Bezug auf den Abgleich der dort ausgewiesenen Arbeitsentgelte mit den nunmehr vereinbarten Auftragssummen und die daraus folgende sozialversicherungsrechtliche Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Nachunternehmers, deren Verletzung seine Exkulpation nach § 28e Abs. 3b Satz 2, Abs. 3f Satz 1 SGB IV i.V.m. § 150 Abs. 3 SGB VII ausschließt und die Beitragshaftung begründet, als Maßnahme der Eingriffsverwaltung mit Grundrechtsbezug (Art. 12 GG, Art. 2 Abs. 1 GG) einer klaren und hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Eine solche besteht aber bis zum heutigen Zeitpunkt nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen. Die Rechtsfrage, ob die Exkulpation des Hauptunternehmers nach § 28e Abs. 3b Satz 2, Abs. 3f Satz 1 SGB IV i.V.m. § 150 SGB VII davon abhängt, dass er über die Vorlage qualifizierter Unbedenklichkeitsbescheinigungen hinaus nachweist, eine inhaltliche Prüfung in Bezug auf die darin über den Nachunternehmer enthaltenen Angaben vorgenommen zu haben, ist über den Einzelfall hinaus von Bedeutung und höchstrichterlich bislang nicht geklärt.

Die endgültige Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).




 

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