S 7 KR 1570/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 1570/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

I. Der Bescheid vom 16.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2022 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zur Erstattung der Anschaffungskosten eines Elektrorollstuhls Paravan PR 50 den Differenzbetrag von 7.145,31 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 4 Prozent hieraus ab dem 01.09.2022 zu zahlen.

III. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.


T a t b e s t a n d:

Streitgegenstand ist die Erstattung der Mehrkosten in Höhe von 7.145,31 Euro für den selbst beschafften Elektrorollstuhl Paravan PR 50 mit Hubvorrichtung. Die Beklagte übernahm die Kosten für einen Elektrorollstuhl ohne Hubvorrichtung.

Die 1979 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie ist seit ihrer Geburt körperlich behindert und rollstuhlpflichtig. Sie leidet unter multiplen angeborenen Gelenkkontrakturen und kann ihre Extremitäten nur sehr eingeschränkt aktiv bewegen. Allerdings gelingt ihr die Steuerung eines Elektrorollstuhls mittels Joystick. Seit dem 01.01. 2017 wurde Pflegegrad 4 festgestellt, seit dem 01.04.2023 wurde Pflegegrad 5 festgestellt. Zuerkannt wurden ferner ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen aG, G, B, H und RF.

Der Allgemeinmediziner S. verordnete der Klägerin am 19.04.2021 einen Elektrorollstuhl Paravan PR 50 mit Hubvorrichtung. Mit dem Bescheid vom 16.06.2021 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für den beantragten Elektrorollstuhl Paravan 50 mit Hubvorrichtung ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der beantragte Elektrorollstuhl eine unwirtschaftliche Versorgung darstelle und das Maß des Notwendigen überschreite. Die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl mit elektrischer Sitz- und Rückverstellung werde als ausreichend und zweckmäßig erachtet. Eine medizinische Notwendigkeit für einen Hublift bestehe nicht. Daher sei eine Kostenübernahme nicht möglich.

Gegen den Bescheid vom 16.06.2021 erhob die Klägerin Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, dass der Hublift Transfers in und aus dem Rollstuhl ermöglichen würde. Auch das eigenständige Wohnen würde erleichtert, da die Klägerin ihre Arme nicht mehr einsetzen könne, um zu trinken oder zu essen. Da die Arme funktionslos seien, müsse sie entsprechende Aktivitäten mit dem Mund ausführen. Hierfür könne die Klägerin sich mit dem Hublift auf die erforderliche Höhe bringen. Aufgrund dessen sei der Hublift notwendig für das Öffnen von Türen, das Trinken, die Nahrungsaufnahme und die Nutzung von Gegenständen.

Mit dem Bescheid vom 13.04.2022 bewilligte die Beklagte die Kostenübernahme bis zu einem Betrag von 10.335,66 Euro. Am 17.07.2022 beschaffte sich die Klägerin den Elektrorollstuhl Paravan PR 50 mit Hubvorrichtung und trug den Differenzbetrag in Höhe von 7.145,31 Euro selbst.

Mit dem Widerspruchsbescheid vom 25.10.2022 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 16.06.2021 zurück. Zur Begründung führt sie aus, dass eine sozialmedizinische Beurteilung aufgrund der fehlenden Vorlage von Befundberichten nicht möglich gewesen sei.

Mit dem Schriftsatz vom 08.12.2022 hat die Klägerin die Klage erhoben; sie begehrt die Erstattung der Mehrkosten in Höhe von 7.145,31 Euro für einen Elektrorollstuhl Paravan PR 50 mit Hubvorrichtung.

Mit der Beweisanordnung vom 17.03.2023 hat das Gericht H. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens auf sozialmedizinischen Fachgebiet beauftragt. Der Sachverständige führt in seinem Gutachten vom 18.04.2023 nach häuslicher Untersuchung der Klägerin am 18.04.2023 aus, dass der Transfer vom Elektrorollstuhl in das Bett mittels des integrierten Hublifts sowie einem Rutschbrett bei Unterstützung durch eine Pflegeperson erfolge. Alternative Hilfsmittel könnten nicht eingesetzt werden. Ein Personenlift oder ein anderes Hilfsmittel seien nicht einsetzbar, weil die Klägerin aufgrund der massiven Versteifung der Gelenke beim Lifttransfer unzumutbare Schmerzen erleiden würde. Ein Behinderungsausgleich gelinge allerdings im Bereich des Transfers nicht, da die Klägerin noch stets auf die Hilfestellung einer Pflegeperson angewiesen sei.
Hinsichtlich der Nutzung von Gegenständen mit dem Mund könne mit Hilfe des Hublifts eine Selbstständigkeit erreicht werden, da die Klägerin mit Hilfe des Hublifts selbstständig trinken, essen und schreiben könne. Die Liftfunktion werde bei der Nahrungsaufnahme eingesetzt, indem die Sitzhöhe angepasst werde, um mit dem Mund einen Becher aufzunehmen oder zu essen. Die Anpassung der Sitzhöhe erfolge auch, um einen Stift oder einen Touch-Stift aufzunehmen und ein Smartphone zu bedienen.
Mit dem Beschluss vom 19.05.2023 hat das Gericht die Pflegekasse beigeladen.

Die Klägerin trägt vor, dass die Hubvorrichtung bei diversen Transfers zum Bett, zur Toilette etc. benötigt werde. Ohne die Hubvorrichtung würden die Transfers noch weiter erschwert, was den persönlichen Bedürfnissen im Alltag nicht gerecht werde. Noch sehr viel deutlicher werde die Notwendigkeit der Hubvorrichtung bei vielen alltäglichen Verrichtungen, wie dem Öffnen von Türen, dem Trinken sowie dem Nutzen von Gegenständen. Dies sei der Klägerin mit den Händen nicht möglich. Sie kompensiere dies dadurch, dass sie Gegenstände mit dem Kinn oder dem Mund benutze. Hierzu müsse die Klägerin den Rollstuhl mit Hilfe der Hubvorrichtung auf die entsprechende Höhe einstellen.
Gerade weil die Klägerin die ihr verbliebenen Möglichkeiten ausschöpfe, indem sie Gegenstände mit dem Kinn oder dem Mund nutze, sei hierzu die Hubvorrichtung notwendig. Wegen der unterschiedlichen Höhen in der Wohnumgebung müsse die Klägerin den Rollstuhl entsprechend der erforderlichen Höhe einstellen können. Auch die Benutzung von Türklinken erfordere ein Absenken des Rollstuhls auf die passende Höhe; die Benutzung gehöre zum selbständigen Wohnen und dürfe der Klägerin nicht vorenthalten werden. Insgesamt werde die Hubvorrichtung zur Lebensgestaltung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt.
Eine weitere Funktion der Hubvorrichtung liege in der Entlastung der steifen Kniegelenke. Die Klägerin müsse die Knie im Tagesverlauf hoch lagern, weil eine permanent gleichartige Lagerung für Beschwerden und Schmerzen sorge.
Die Lebenswirklichkeit sei nicht barrierefrei oder behinderungsfreundlich ausgestaltet. Dies zeige sich vorliegend in der häuslichen Umgebung und generell an Orten, die den alltäglichen Verrichtungen dienten und welche auch die Klägerin aufsuchen müsse. Auch dort sollte sie möglichst ohne die Hilfestellung Dritter auskommen können. Die Hubvorrichtung erleichtere der Klägerin den Alltag. Die Klägerin gestalte ihren Alltag selbständig und möchte bei diesen Verrichtungen möglichst unabhängig von der Hilfe Dritter sein. Durch einen auf ihre Bedürfnisse angepassten Elektrorollstuhl sei eine weitgehend eigenständige Mobilität im Rahmen der Grundbedürfnisse gewährleistet.
Mit dem Sachverständigengutachten bestehe nur zum Teil Einverständnis. Es gehe der Klägerin nicht darum, ihren Greifraum zu erweitern, sondern zum Handlungsspielraum eines Nichtbehinderten aufzuschließen. Das begehrte Hilfsmittel diene dem Behinderungsausgleich in der Krankenversicherung, habe jedoch auch Vorteile hinsichtlich der Pflege der Klägerin. Schwerpunkt sei jedoch der Behinderungsausgleich. Dabei sei die Hubvorrichtung nur eine Teilfunktion. Durch einen auf die Bedürfnisse der Klägerin angepassten Elektrorollstuhl sei eine eigenständigere Mobilität gewährleistet.
Die Beklagte trägt vor, dass die Klägerin den Haushalt so zu gestalten habe, dass dieser ihren Bedürfnissen entsprechend nutzbar sei. Ein Elektrorollstuhl diene nicht zum Ausgleich wohnlicher Hürden, so dass die Nutzung in der Wohnung nicht von einer Hubliftfunktion abhängig zu machen sei. Der hohe Pflegegrad beinhalte eine umfangreiche Unterstützung, insbesondere bei Toilettengängen und im Haushalt. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass bei diesen Beeinträchtigungen durch die Hubvorrichtung eine Unabhängigkeit von Fremdhilfe erreichbar sei. Aufgrund der Funktionsdefizite bliebe somit von der Klägerin das Erreichen größerer Selbstständigkeit nachzuweisen.

Die Beigeladene trägt vor, dass Elektrofahrzeuge der Produktgruppe 18 grundsätzlich der Selbständigkeit des Nutzers dienen würden und daher in der Zuständigkeit des Trägers der Krankenversicherung fallen würden. Mit der Versorgung durch den Elektrorollstuhl ist unstrittig die selbständige Mobilität als Hauptkriterium sichergestellt - hierzu zählt jedoch nicht die begehrte Hubliftfunktion. Funktion des Rollstuhls sei ein Behinderungsausgleich gemäß SGB V; die Hubliftfunktion bewirke eine Pflegeerleichterung im Sinne des SGB XI. Der Hublift, der mit dem Elektrorollstuhl untrennbar verbunden sei, stelle ein sogenanntes doppelfunktionales Hilfsmittel gemäß der Richtlinie zur Festlegung der doppelfunktionalen Hilfsmittel des GKV-Spitzenverbandes in der Fassung vom 24.06.2020 dar.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2022 zu verurteilen, an die Klägerin 7.145,31 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 4 Prozent ab dem 01.09.2022 bis zum Ablauf des Kalendermonates vor der Zahlung der streitgegenständlichen Erstattungsforderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Die Klage hat Erfolg.

Streitgegenstand ist die Erstattung der Mehrkosten in Höhe von 7.145,31 Euro für den selbst beschafften Elektrorollstuhl Paravan PR 50 mit Hubvorrichtung.

Die Klage ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhoben worden. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und unechte Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 und Abs. 4 SGG) statthaft. Die Klagebefugnis der Klägerin (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG) ergibt sich aus einer möglichen Verletzung des Anspruchs auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 SGB V. Das Widerspruchsverfahren wurde gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG durchgeführt.

Die Klage ist begründet. Der Bescheid vom 16.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Es besteht ein Anspruch gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V auf Erstattung der Mehrkosten in Höhe von 7.145,31 Euro für den selbst beschafften Elektrorollstuhl Paravan PR 50 mit Hubvorrichtung.

Der Erstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V setzt voraus, dass der Versicherte einen primären Leistungsanspruch hat. Entsprechend dem gesetzlich verankerten Sachleistungsprinzip gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V haben die Krankenkassen die Versicherungsleistungen grundsätzlich als Natural- und nicht als Barleistungen zu erbringen. Zur Erfüllung dieses Anspruchs bedient sich die Krankenkasse so genannter Leistungserbringer (z. B. Ärzten, Krankenhäusern, Apotheken und Physiotherapeuten). Mit der unmittelbaren Verschaffungspflicht der Krankenkassen und der damit verbundenen Einrichtung eines komplexen Naturalleistungssystems bezweckt der Gesetzgeber auch die Garantie einer bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Leistungserbringung in hoher Qualität. Durch die Kostenerstattung wird eine Lücke in dem durch das Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung garantierten Versicherungsschutz geschlossen. Dem Versicherten wird die Kostenlast dann abgenommen, wenn er ausnahmsweise eine notwendige Leistung selbst beschaffen und bezahlen muss (Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 13 SGB V, Stand: 22.06.2020, Rn. 23 ff.).

1. Der Beschaffungsweg wurde eingehalten. Der Anspruch auf Erstattung setzt in der Fallvariante des § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V voraus, dass die Krankenkasse eine vom Versicherten beantragte Leistung vor der Selbstbeschaffung abgelehnt hat. Der Ablehnungsbescheid erging am 16.06.2021, die Lieferung des Hilfsmittels erfolgte am 17.07. 2022, folglich hat die Klägerin sich das begehrte Hilfsmittel erst beschafft, nachdem die Beklagte ihren Antrag abgelehnt hatte.

2. Es besteht ein Leistungsanspruch auf Versorgung mit dem Elektrorollstuhls Paravan PR 50 mit Hubvorrichtung als Hilfsmittel gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V.

Versicherte haben gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

a) Der Elektrorollstuhl Paravan PR 50 ist zum mittelbaren Behinderungsausgleich erforderlich und für die Klägerin individuell geeignet.

Im vorliegenden Fall geht es nicht um den unmittelbaren, sondern den mittelbaren Ausgleich der Behinderung, weil durch das begehrte Hilfsmittel keine Körperfunktion ermöglicht wird, sondern die Folgen der Beeinträchtigungen der Klägerin ausgeglichen werden sollen.

Hilfen ist dann die Eigenschaft als Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich zuzuerkennen, wenn damit allgemeine Grundbedürfnisse befriedigt werden sollen. Das bedeutet nicht ein vollständiges Gleichziehen mit Gesunden, sondern nur ein Basisbedürfnis (BSG 16.9.2004 - BeckRS 2005, 40161). Nach ständiger Rechtsprechung fallen hierunter nicht nur die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege und das selbständige Wohnen (BSG 23.7.2002 - B 3 KR 3/02 R, BeckRS 2002, 41485; BSG 26.3.2003 - B 3 KR 26/02, BeckRS 2003, 41025), sondern auch die Schaffung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG 29.9.1997 - 8 RKn 27/96, BeckRS 1997, 30001196 - Therapietandem; Krauskopf/ Wagner, 117. EL Dez. 2022, SGB V § 33 Rn. 16). Bei der Anwendung des § 33 SGB V kommt es auch unter Berücksichtigung der Zielsetzung des SGB IX darauf an, ob der Einsatz des Hilfsmittels zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse erforderlich ist (BSG 10.11.1977 - 3 RK 7/77, BSGE 45, 133, 134). Das ist nicht der Fall, wenn allenfalls eine unwesentliche Funktionsbeeinträchtigung vorliegt und die Funktion durch das begehrte Hilfsmittel nicht weiter verbessert oder ausgeglichen werden kann, dann ist es nicht erforderlich (BSG 30.09. 2015 - B 3 KR 14/14 R, BeckRS 2016, 65213; Krauskopf/Wagner, 117. EL Dez. 2022, SGB V § 33 Rn. 18).

Zur Überzeugung der Kammer ist nachgewiesen, dass der im Rollstuhl integrierte Hublift dem Ausgleich von Einschränkungen der Mobilität dient, denn mit dem Hublift werden die Transfers in und aus dem Rollstuhl erleichtert. Innerhalb der Wohnung werden auf diese Weise Transfers in das Bett, auf das Sofa und zur Toilette bewerkstelligt. Die Überzeugung des Gerichts stützt sich auf das Gutachten des Sachverständigen H. vom 18.04.2023 und den Vortrag der Klägerin. Darüber hinaus ist nachgewiesen, dass der im Rollstuhl integrierte Hublift dem Ausgleich von Einschränkungen hinsichtlich des selbständigen Wohnens dient. Diesbezüglich folgt die Kammer nicht der Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen, dass die Versorgung nicht erforderlich sei, weil ein Elektrorollstuhl nicht zum Ausgleich wohnlicher Hürden diene. Da die Arme aufgrund der schwerwiegenden Erkrankung dauerhaft weitgehend funktionslos sind, ist die Klägerin darauf angewiesen, Gegenstände mit dem Mund oder dem Kinn zu benutzen. Dies gilt insbesondere für Lichtschalter oder Türklinken, aber ebenso für die Bedienung des Smartphones mit einem Stift. Dabei bietet der Hublift der Klägerin eine wichtige Hilfe, um sich auf die erforderliche Höhe zu bringen. Der Sachverständige bestätigte diesbezüglich den Vortrag der Klägerin. Ferner ist nachgewiesen, dass der im Rollstuhl integrierte Hublift dem Ausgleich von Einschränkungen der Nahrungsaufnahme dient. Der Sachverständige legte dar, dass die Liftfunktion eingesetzt wird, um mit dem Mund einen Trinkbecher aufzunehmen oder zu essen.

b) Das streitgegenständliche Hilfsmittel bietet einen wesentlichen Gebrauchsvorteil.

Die Erforderlichkeit im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V setzt voraus, dass das Hilfsmittel im Einzelfall geeignet ist und kein kostengünstigeres und zumindest gleichermaßen geeignetes Hilfsmittel zur Verfügung steht. Es ist danach abzugrenzen, ob durch die angestrebte Verbesserung ein wesentlicher Gebrauchsvorteil im Vergleich zu einer kostengünstigeren Alternative oder der bestehenden Versorgung bewirkt wird (BSGE105, 170). Grundvoraussetzung ist dabei, dass das Hilfsmittel die Behinderung nicht nur unwesentlich ausgleicht, sondern vielmehr wesentliche Gebrauchsvorteile zu erwarten sind (BSG SozR4 - 2500 § 33 Nr. 30 Rn. 13; BeckOGK/Nolte, 1.3.2021, SGB V § 33 Rn. 18).

Bei der Hilfsmittelversorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung kommt es nicht auf die konkreten Wohnverhältnisse des einzelnen Versicherten an, sondern auf einen generellen, an durchschnittlichen Wohn- und Lebensverhältnissen orientierten Maßstab. Besonderheiten der Wohnung und des Umfeldes, die anderswo - etwa nach einem Umzug - regelmäßig so nicht vorhanden sind und einem allgemeinen Wohnstandard nicht entsprechen, sind bei der Hilfsmittelversorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung nicht zu berücksichtigen. Der Versicherte muss das Hilfsmittel also nicht nur gerade wegen der Besonderheiten seiner konkreten Wohnverhältnisse, sondern in gleicher Weise auch in einer anderen Wohnung und deren Umfeld benötigen. Mit anderen Worten: Ein anderer Versicherter mit den gleichen körperlichen Behinderungen müsste auf das Hilfsmittel in dessen Wohn- und Lebenssituation ebenfalls angewiesen sein. Fehlt es daran, ist ein Anspruch nach § 33 SGB V in der Regel ausgeschlossen. Es kann sich dann nur um eine Form der Hilfe zur Anpassung an die konkrete Wohnsituation handeln, für die nicht die Krankenkassen, sondern der Versicherte selbst - im Rahmen seiner Eigenverantwortung - oder andere Sozialleistungsträger (z. B. Pflegekassen, Sozialhilfeträger, Unfallversicherungsträger) zuständig sein können (BSG Urt. 7.10.2010 - B 3 KR 13/09 R, BeckRS 2011, 69283 Rn. 24).

Nachgewiesen ist, dass die Klägerin hinsichtlich ihrer Mobilität innerhalb der Wohnung auf den integrierten Hublift angewiesen ist, da andernfalls Transfers in den Rollstuhl oder aus dem Rollstuhl nicht möglich wären. Auch der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat diesen Gebrauchsvorteil als Sicherung der Mobilität im Innenbereich anerkannt. Denn gemäß der Fortschreibung der Produktgruppe 18 "Kranken-/ Behindertenfahrzeuge" des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V vom 13.11.2018 dient die Produktgruppe 18.99.06.1 Elektrorollstühle mit motorisch betriebener Hubvorrichtung der Sicherung der Mobilität im Innen- und Außenbereich (Erreichen des Nahbereichs und Erledigung von Alltagsgeschäften).

Ferner ist erwiesen, dass die Klägerin hinsichtlich von alltäglichen Verrichtung im Bereich des selbständigen Wohnens auf den integrierten Hublift angewiesen ist, weil ihr damit die Nutzung von Lichtschaltern, Türklinken, elektronischer Kommunikationsmittel mittels der Aufnahme eines Stifts und anderen Gebrauchsgegenständen ermöglicht wird. Auch dieser Gebrauchsvorteil wurde vom Spitzenverband bereits anerkannt. Auch nach der Fortschreibung der Produktgruppe 18 "Kranken-/ Behindertenfahrzeuge" des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V vom 13.11.2018 gemäß der Bekanntmachung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen dient die Produktgruppe 18.99.06.1 Elektrorollstühle mit motorisch betriebener Hubvorrichtung der Ermöglichung weiterer selbstständig durchzuführender alltagsrelevanter Aktivitäten durch die Hubvorrichtung (über Rollstuhlarmlehnen-Niveau liegende beziehungsweise angebrachte Gegenstände/ Verrichtungen, beispielsweise Lichtschalter, Türklinken, Schränke, Regale usw.). Zudem erleichtert das streitgegenständliche Hilfsmittel der Klägerin das Essen und Trinken erheblich.

Soweit die Beklagte annimmt, dass die Klägerin den Hublift nicht benötigen würde, wenn die häusliche Wohnung barrierefrei gestaltet würde, teilt die Kammer diese Einschätzung nicht. Weder aus dem Vortrag der Beklagten noch aus dem Sachverständigengutachten geht hervor, dass kostengünstigere Alternativen bestehen würden, mit denen die Klägerin ihre Grundbedürfnisse in gleicher Weise erfüllen könnte. Ausgangspunkt ist insoweit, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf durchschnittliche Wohn- und Lebensverhältnisse abzustellen ist. Somit kann nicht vorausgesetzt werden, dass bei durchschnittlichen Wohnverhältnissen Lichtschalter oder Türklinken so angebracht wäre, dass die Klägerin diese - ohne Anpassung der Sitzhöhe - mit dem Mund bedienen könnte. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass Bett, Sofa oder Toilette sich in optimaler Höhe für einen Transfer vom Rollstuhl befänden. Dasselbe gilt für das Vorhandensein eines erhöhten Esstisches, der Essen und Trinken ohne Zuhilfenahme der Hände ermöglicht. Die Wirtschaftlichkeit des Hublifts entfällt somit nicht deswegen, weil eine barrierefreie Gestaltung der häuslichen Wohnung möglich wäre.

Die Kammer ist in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Ansicht, dass der Nutzen des Hublifts auch insoweit zu berücksichtigen ist, als dessen Gebrauchsvorteil über die bloße Fortbewegung innerhalb der Wohnung hinausgeht. Soweit die Beklagte argumentiert, dass ein Elektrorollstuhl nicht zum Ausgleich wohnlicher Hürden diene und die Nutzung des Elektrorollstuhls in der Wohnung nicht von einer Hubliftfunktion abhängig zu machen sei, kann dem nicht gefolgt werden. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind nicht nur solche Hilfsmittel zu gewähren, die unmittelbar am Körper ausgleichend wirken, es genügt vielmehr, wenn das Hilfsmittel die beeinträchtigten Körperfunktionen ermöglicht, ersetzt, erleichtert oder ergänzt (BSG 26.3.1980 - 3 RK 96/78, BSGE 50, 68; BSG 14.01.1981 - 3 S 4/80, BeckRS 1981, 3709). Dabei muss das Hilfsmittel nicht unbedingt der Wirkungsweise der beeinträchtigten Körperfunktion entsprechen. Die Leistungspflicht der Krankenkasse kann sich auf solche Hilfsmittel erstrecken, die die beeinträchtigte Körperfunktion auf andere Weise ersetzen oder ergänzen (BSG 13.2.1975 - 3 RK 35/74, BeckRS 1975, 30702679; Krauskopf/ Wagner, 117. EL Dez. 2022, SGB V § 33 Rn. 12).

Das Gericht folgt nicht der Rechtsauffassung der Beklagten und des Sachverständigen, dass die Versorgung nicht erforderlich sei, weil die Klägerin mit dem Hublift keine Selbständigkeit im Sinne der Unabhängigkeit von einer Pflegeperson erreiche. Die Erforderlichkeit kann nicht mit Blick auf die mögliche Hilfeleistung Anderer, insbesondere Angehöriger verneint werden. Innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es keinen generellen Vorrang der Hilfe durch Angehörige, Ausnahmen hat der Gesetzgeber nur in §§ 37 Abs. 3, 38 Abs. 3 SGB V normiert. Das BSG hat klargestellt, dass die Möglichkeit, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen, den Versorgungsanspruch nach § 33 SGB V nicht ausschließt (BSG BeckRS 2009, 73668) und weiter darauf hingewiesen, da es wesentliches Ziel der Hilfsmittelversorgung sei, den behinderten Menschen von der Hilfe Dritter unabhängiger zu machen, stehe schon diese Zielsetzung einem Verweis auf die Hilfe Dritter entgegen (BSG BeckRS 2011, 71122 - Barcodelesegerät; BeckOK SozR/ Knispel, 68. Ed. 1.3.2023, SGB V § 33).

Dem Verweis des behinderten Menschen auf die Hilfe Dritter steht bereits die Zielsetzung der Hilfsmittelversorgung entgegen. Wesentliches Ziel der Hilfsmittelversorgung ist es, den behinderten Menschen von der Hilfe anderer weitgehend bzw deutlich unabhängiger zu machen (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 27 RdNr 18). Daher kann der für die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausschlaggebende funktionelle Gebrauchsvorteil eines Hilfsmittels auch darin liegen, dass sich der behinderte Mensch durch das Hilfsmittel ein bis dahin nur mit fremder Hilfe wahrnehmbares allgemeines Grundbedürfnis (teilweise) erschließen kann und somit befähigt wird, ein selbständigeres Leben zu führen (BSG Urt. v. 10.3.2011 - B 3 KR 9/10 R, BeckRS 2011, 71122 Rn. 22 - Barcode- Lesegerät). Demnach ist zur Überzeugung der Kammer erwiesen, dass der Elektrorollstuhl mit Hublift der Klägerin erhebliche Gebrauchsvorteile hinsichtlich der Mobilität, des selbstständigen Wohnens, der Nahrungsaufnahme und der Nutzung von Gegenständen verschafft.

c) Es steht keine kostengünstigere Alternative zur Verfügung.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zu prüfen, ob das Grundbedürfnis auch durch ein weniger aufwändiges Mittel oder kostengünstigere Maßnahmen gleich gut befriedigt werden kann (BSG BeckRS 1995, 30756490; BeckOK SozR/Knispel, 69. Ed. 1.6. 2023, SGB V § 33 Rn. 24). Gemäß der Untersuchung des Sachverständigen ist nachgewiesen, dass die Klägerin hinsichtlich von Transfers in und aus dem Rollstuhl auf den integrierten Hublift zwingend angewiesen ist, da alternative Hilfsmittel aufgrund ausgeprägten Kontrakturen der Gelenke nicht einsetzbar sind und beim Lifttransfer unzumutbare Schmerzen erleiden würde. Demnach ist die Forderung der Beklagten, auf andere Weise eine barrierefreie Gestaltung des Haushalts sicherzustellen, nicht umsetzbar. Ein Transfer aus dem Rollstuhl innerhalb der eigenen Wohnung wäre andernfalls unmöglich.

3. Der Anspruch ist nicht wegen einer Zuständigkeit der Pflegekasse für die Gewährung des Hilfsmittels ausgeschlossen.

Wie bereits dargelegt, ist die Beklagte verpflichtet, die Kosten für das streitgegenständliche Hilfsmittel zu erstatten. Zudem ist anzumerken, dass eine Ablehnung unter Verweis auf die Zuständigkeit der Pflegekasse nicht zulässig ist. Bei der Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt es auch dann, wenn ein Hilfsmittel zugleich der Erleichterung der Pflege und dem Ausgleich einer Behinderung bzw. der Aufrechterhaltung lebenswichtiger Grundbedürfnisse dient (BSG, Urt. v. 25. 01.1995, 3/1 RK 63/93, SozR 3-2500 § 33 Nr. 13; Udsching/Schütze/Lungstras, 5. Aufl. 2018, SGB XI § 40 Rn. 24, 25). Die beklagte Krankenkasse müsste als angegangener Träger auch über eine Bewilligung von Pflegehilfsmitteln entscheiden. Für Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel, die sowohl den in § 23 und § 33 SGB V als auch den in § 40 Abs. 1 SGB XI genannten Zwecken dienen können, prüft der Leistungsträger, bei dem die Leistung beantragt wird, ob ein Anspruch gegenüber der Krankenkasse oder der Pflegekasse besteht und entscheidet über die Bewilligung der Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel (§ 40 Abs. 5 Satz 1 SGB XI). Danach hat der angegangene Leistungsträger - also der Träger, bei dem die Versorgung mit Hilfsmitteln bzw. Pflegehilfsmitteln beantragt wird - sowohl die für die Krankenversicherung als auch die für Pflegeversicherung geltenden Rechtsvorschriften (also auch die für den jeweils anderen Träger geltenden Regelungen) zu prüfen und sodann über die Bewilligung der Hilfsmittel bzw. Pflegehilfsmittel abschließend zu entscheiden. Auf eine genaue Zuordnung zu dem jeweiligen Leistungsträger kommt es dabei nicht mehr an (vgl. BT-Drs. 17/6906 S. 101; BeckOGK/Leitherer, 1.3.2021, SGB XI § 40 Rn. 44, 45).

Falls ein Anspruch auf Hilfsmittelversorgung gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht bestünde, wäre die Beklagte gegebenenfalls verpflichtet, die Mehrkosten für die Versorgung mit dem Ausstattungsmerkmal Hublift gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI zu übernehmen. Nach Ansicht des Gerichts reicht es aus, dass eine Erforderlichkeit für das doppelfunktionale Hilfsmittel insgesamt besteht, auch wenn sich diese aus der Kombination von zwei unterschiedlichen gesetzlichen Ansprüchen ergibt, einerseits auf den Behinderungsausgleich (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und andererseits auf die Erleichterung der Pflege (§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI) gerichtet. Dies sollte jedenfalls dann gelten, wenn alternative Pflegehilfsmittel zum Transfer aus und in den Rollstuhl nicht einsetzbar sind.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
Saved