L 4 SO 92/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 28 SO 5/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 92/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 13/22 B
Datum
Kategorie
Urteil


Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 17. April 2019 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von lebensunterhaltsichernden Sozialhilfeleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) – Sozialhilfe – für die Zeit vom 18. Februar 2013 bis zu ihrer Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland.

Die 1964 geborene Klägerin und der 1962 geborene Kläger sind miteinander verheiratet und bulgarische Staatsangehörige. Der Kläger ist aufgrund einer Oberschenkelamputation auf einen Rollstuhl angewiesen.

Die Kläger reisten am 23. Oktober 2012 ins Bundesgebiet ein und wohnten zunächst bei ihrer Tochter (D.) und dem künftigen Schwiegersohn (E.) in B-Stadt (Meldebescheinigung Bl. 73 SGB XII-Leistungsakte). Diese hatten zur damaligen Zeit jeweils ein Gewerbe angemeldet. Unter dem 15. Februar 2013 (Eingang beim Beklagten: 18. Februar 2013) stellten die Kläger beim Beklagten einen Antrag auf laufende/ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Bl. 1 SGB XII-Leistungsakte). Dabei gaben sie an, bisher sei der Lebensunterhalt mit einer Rente des Ehemanns i.H.v. ca. 280 Lewa (= 143,48 Euro) monatlich sowie durch Unterstützung ihres Sohns und ihrer Tochter sowie des Schwiegersohns bestritten worden; Vermögen bestehe nicht (Bl. 10 SGB II-Leistungsakte). Diese hätten jedoch nunmehr kein Geld mehr, sie zu unterstützen. Die Klägerin gab weiter an, sie sei grundsätzlich arbeitsfähig, könne aber nicht arbeiten, da sie rund um die Uhr mit der Pflege des Klägers beschäftigt sei (Bl. 17 SGB XII-Leistungsakte).

Am 17. Februar 2013 bezogen die Kläger eine Wohnung in C-Stadt, C-Straße (Meldebescheinigung, Bl. 51 SGB II-Leistungsakte). Die monatliche Kaltmiete betrug 245 Euro, die Kosten der Heizung (ohne Warmwasserbereitung) 39 Euro, Kosten der Warmwasseraufbereitung (nur Energiekosten) 22 Euro, sonstige Nebenkosten 90 Euro, Kosten der Waschmaschinenbenutzung 15 Euro (vgl. Mietbescheinigung Bl. 37 SGB XII-Leistungsakte). Ein Mietvertrag wurde trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Der Beklagte leitete den Leistungsantrag zunächst an seine SGB II-Leistungsbehörde weiter.

Am 21. Februar 2013 beantragten die Tochter und der Schwiegersohn der Kläger beim Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – (SGB II) und gaben an, bei ihnen seien die Aufträge ausgeblieben und die Ersparnisse aufgebraucht. 

Durch Bescheid vom 12. Juni 2013 (Bl. 75 SGB XII-Leistungsakte) stellte das Ausländeramt des Beklagten den Verlust des Freizügigkeitsrechts der Kläger fest. Der Bescheid ging ihnen am 13. Juni 2013 zu. Widerspruch (vgl. Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2013, Bl. 111 SGB XII-Leistungsakte) und Klage hiergegen blieben erfolglos (Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 20. Mai 2015, Az. 5 K 1569/13.DA, Bl. 173 Ausländerakte), der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde abgelehnt (Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. August 2017, Az. 9 A 1253/15.Z; Bl. 272 Ausländerakte).

Durch Bescheid vom 1. Juli 2013 (Bl. 85 SGB XII-Leistungsakte) und Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2013 (Bl. 91 SGB XII-Leistungsakte) lehnte der Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab. Eine Hilfebedürftigkeit könne nicht festgestellt werden, die Kläger hätten nicht plausibel erklären können, aus welchen Mitteln sie in der Vergangenheit ihren Lebensunterhalt bestritten hätten. Weiter sei ein gewöhnlicher Aufenthalt i. S. v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II nicht gegeben, wegen der Verlustfeststellung fehle es an einem rechtmäßigen Aufenthalt. Das hiergegen eingeleitete Klageverfahren blieb erfolglos. Mit derselben Begründung lehnte der Beklagte auch mit Bescheid vom 13. August 2013 (Bl. 219 SGB II-Leistungsakte) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Oktober 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auf einen Antrag der Kläger vom 25. Juli 2013 ab. 

Durch Bescheid vom 28. Oktober 2013 (Bl. 103 SGB XII-Leistungsakte) lehnte der Beklagte die Gewährung von SGB XII-Leistungen ab. Dies begründete er damit, die Kläger seien von den Leistungen ausgeschlossen, da sie eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen. Hiergegen legten die Kläger am 13. November 2013 Widerspruch ein (Bl. 2 SGB XII-Leistungsakte/Widerspruch).

Unter dem 9. Dezember 2013 bewilligte der Beklagte den Klägern auf deren Antrag (Bl. 121 SGB XII-Leistungsakte) Leistungen nach dem SGB XII zur Förderung der freiwilligen Rückreise nach Bulgarien in Höhe von 240 Euro Fahrtkosten und 44,52 Euro Verpflegungskosten (Bl. 155 GA), die Beträge wurden am 10. und 11. Dezember 2013 ausgezahlt. Die Kläger teilten am 29. Januar 2014 mit, dass sie wegen fehlender Ausweispapiere nicht nach Bulgarien hätten ausreisen können und an der Grenze zurückgeschickt worden seien. Weitere Leistungen nach dem SGB XII bewilligte der Beklagte im Zeitraum von Februar 2013 bis 29. Januar 2014 nicht. 

Am 12. Februar 2014 haben die Kläger Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben. Der Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2014 (Bl. 5 ff GA), den Klägern zugestellt am 24. Februar 2014, zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine Einreise zum Zwecke der Erlangung von Sozialhilfeleistungen sei gegeben, wenn die Inanspruchnahme der Leistungen für den Einreiseentschluss von prägender Bedeutung gewesen sei. Es genüge, wenn dieses Motiv für die Einreise neben anderen Gründen in besonderer Weise bedeutsam gewesen sei. Die Kläger seien in einer Situation aktueller Hilfebedürftigkeit nach Deutschland eingereist. Sie hätten auch aufgrund der Behinderung des Klägers und der Pflege durch die Klägerin keine Aussichten gehabt, hier ihren Lebensunterhalt selbst sicherzustellen. Es habe ihnen daher klar sein müssen, dass sich ein Aufenthalt in Deutschland nur unter Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen verwirklichen lasse. 

Unter dem 24. Februar 2014 hat die Ausländerbehörde den Klägern Duldungen bis zum Ende des Klageverfahrens gegen den Bescheid vom 12. Juni 2013 erteilt. Am 25. Februar 2014 haben die Kläger einen Antrag auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gestellt und in dem Formularantrag angegeben, kein Einkommen und Vermögen zu haben, auch keinen Anspruch auf andere Leistungen; in Bezug auf eine Rente haben sie „nein“ angekreuzt (Bl. 17 ff AsylbLG-Leistungsakte I). Sie haben ein Schreiben der Sparkasse H. vom 25. Februar 2014 (Bl. 27 AsylbLG-Leistungsakte I) vorgelegt, nach dem die Klägerin in der Zeit vom 11. September 2013 bis 21. Februar 2014 dort kein aktives Girokonto gehabt habe. Das Girokonto Nr. XXX1 sei erst am 21. Februar 2014 wieder aktiviert worden und weise einen Kontostand von 0,00 Euro auf. Am 28. Februar 2014 haben die Kläger eine Bescheinigung über die bulgarische Rente des Klägers vorgelegt. Mit Bescheid vom 3. März 2014 (Bl. 49 AsylbLG-Leistungsakte I) hat der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem AsylbLG für die Zeit ab 20. Februar 2014 bis 31. Mai 2014 bewilligt.

Mit Schriftsatz vom 18. März 2014 haben die Kläger ihre Klage geändert und nunmehr die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII begehrt. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2014 hat das Sozialgericht das Verfahren wegen Vorgreiflichkeit bis zur Entscheidung im Verfahren S 17 AS 527/13 zur Frage der Leistungsberechtigung nach dem SGB II ab dem 15. Februar 2013 ausgesetzt und ab Januar 2016 unter dem Aktenzeichen S 28 SO 5/16 fortgesetzt.

Am 24. April 2014 haben die Kläger einen Folgeantrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt und im „Zusatzbogen Vermögen“ bei Eigentumswohnung und der Frage, ob sie in den letzten 10 Jahren Haus-, Grundvermögen, Wertpapiere verkauft oder übergeben hätten „ja“ angegeben (Bl. 78 Rs AsylbLG-Leistungsakte I). Mit Bescheid vom 26. Mai 2014 (Bl. 115 AsylbLG-Leistungsakte I) hat der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem AsylbLG für die Zeit ab 1. Juni 2014 bis 20. August 2014 bewilligt. Zum 24. Oktober 2014 sind die Kläger beim zuständigen Einwohnermeldeamt von Amts wegen nach „unbekannt“ abgemeldet worden (Bl. 35 GA); die Leistungen nach dem AsylbLG wurden zum 30. November 2014 eingestellt (Bl. 131 AsylbLG-Leistungsakte I). Vom 5. bis 16. Januar 2015 hat der Beklagte wegen Obdachlosigkeit Tagessatzzahlungen als unabweisbar gebotene Hilfe gewährt. In der Zeit vom 19. Januar 2015 bis 31. Januar 2015 sind die Kläger bei ihrem Sohn in D-Stadt gemeldet gewesen (Bl. 184 SGB XII-Leistungsakte), von wo sie erneut nach „unbekannt“ abgemeldet worden sind. Mit Bescheid vom 13. April 2015 (Bl. 154 AsylbLG-Leistungsakte I) hat der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem AsylbLG für die Zeit ab 19. Januar 2015 bis 18. April 2015 bewilligt. Ab dem 23. Juli 2015 sind die Kläger in B-Stadt (Odenwald), E-Straße) gemeldet gewesen (Bl. 24 AsylbLG-Leistungsakte II). Mit Bescheid vom 23. Dezember 2015 (Bl. 98 AsylbLG-Leistungsakte II) hat der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem AsylbLG für die Zeit ab 30. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 und ab Januar 2016 bewilligt. Mit Bescheid vom 15. Februar 2016 ist den Kläger durch die Stadt B-Stadt eine Unterkunft B-Stadt-F., F-Straße, zugewiesen worden (Bl. 119 AsylbLG-Leistungsakte II). Ab dem 10. Mai 2016 sind die Kläger in B-Stadt, G-Straße, gemeldet gewesen (Bl. 140 AsylbLG-Leistungsakte II). Mit Bescheid vom 3. August 2016 (Bl. 260 AsylbLG-Leistungsakte II) hat der Beklagte die Leistungen nach dem AsylbLG für die Zeit ab 1. Juni 2016 neu berechnet und die Leistungsgewährung mit Wirkung ab dem 31. Juli 2016 mit Bescheid vom 3. August 2016 (Bl. 203 AsylbLG-Leistungsakte II) eingestellt. Ab 1. August 2016 ist die Klägerin in D-Stadt, D-Straße, gemeldet gewesen (Bl. 204 AsylbLG-Leistungsakte II) gewesen, hat die dortige Wohnung aber nicht bewohnt und gegenüber dem Beklagten angegeben, dass der Kläger seit Ende Juli 2016 sich in Bulgarien aufhalte (Bl. 220 AsylbLG-Leistungsakte II). 

Zwischenzeitlich sind die Kläger nach Bulgarien verzogen und dort nach ihrer Mitteilung vom 27. September 2017 (Bl. 57 GA) unter der aktuellen Anschrift gemeldet.

Die Kläger haben Kopien der Kontoauszüge Nr. 1 – 4 und 8 – 14 des Kontos Nr. XXX1 der Klägerin zu 1) bei der Sparkasse H. für die Zeiträume 6. März 2013 bis 11. April 2013 und 19. April 2013 bis 15. Mai 2013 (Bl. 61 ff GA) vorgelegt und vorgetragen, der Beklagte habe die Gewährung von Sozialhilfeleistungen zu Unrecht abgelehnt. Sie seien nicht eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen. Vielmehr sei der Grund für die Einreise gewesen, dass ihre Kinder bereits in Deutschland gelebt hätten. Dabei handele es sich nicht nur um ihre Tochter und den Schwiegersohn in B-Stadt sondern auch um eine weitere Tochter, die damals bereits in E-Stadt gelebt habe. Sie seien davon ausgegangen, von ihren Kindern unterstützt zu werden. Im Übrigen hätten sie immerhin über die Rente des Klägers verfügt. Diese habe in Bulgarien ausgereicht, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Die bewilligten Kosten für die Ausreise seien nicht in Anspruch genommen worden, da eine Ausreise nicht erfolgt sei.

Der Beklagte hat sich auf die in den Bescheiden gegebene Begründung berufen. Ferner greife für Zeit ab Feststellung des Verlusts der Freizügigkeit der Ausschlusstatbestand des § 23 Abs. 3 SGB XII. Der Hinweis im Antrag, der Lebensunterhalt bei der Einreise nach Deutschland sei durch die Rente des Klägers bzw. durch den Sohn, Tochter und Schwiegersohn bestritten worden, sei unglaubwürdig. Auch der Sohn bzw. die Tochter hätten gleichzeitig Leistungen beim Beklagten bezogen. Die Zahlungen auf den vorgelegten Kontoauszügen dokumentierten, dass die Einreise in unmittelbaren Zusammenhang mit der zu erwartenden Mittellosigkeit und – daraus folgend – der Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung gestanden habe. Im streitgegenständlichen Zeitraum sei ferner der gewöhnliche Aufenthalt der Kläger in seinem Zuständigkeitsbereich zweifelhaft.

Mit Urteil vom 17. April 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 28. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2014 sei rechtmäßig und verletze die Kläger daher nicht in ihren Rechten. Sie hätten keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen. Die Kläger seien als Ausländer vom Leistungsbezug nach dem 3. und 4. Kapitel SGB XII ausgeschlossen, da der Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 S.1 Alt. 1 SGB XII a.F. bzw. § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB XII n.F. eingreife, sie seien eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen.

Gegen das ihnen am 6. Mai 2019 zugestellte Urteil haben die Kläger am 29. Mai 2019 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Mit Verfügung vom 14. September 2020 hat die Berichterstatterin des Senats den Klägern unter Fristsetzung nach § 160a Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgegeben, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse ab Antragstellung am 15. Februar 2013 bis Oktober 2014 bzw. Januar 2015 einschließlich evtl. Einkünfte aus Sozialleistungen, Erwerbstätigkeit jeglicher Art (auch wenn nur gelegentlich oder geringfügig), Zuwendungen Dritter aller Art – gleichviel ob als Sach- oder Geldleistung - substantiiert darzulegen und ihre vollständigen Kontoauszüge für die Zeit von Februar 2013 bis Januar 2015 vorzulegen.

Die Kläger halten die angefochtenen Bescheide für rechts- und verfassungswidrig, da auch ein beantragtes Darlehen verwehrt worden sei. Die Erlangung von Leistungen sei weder prägendes Motiv noch sonst ausschlaggebend für die Einreise. Sie seien zu ihren Kindern gezogen, die alle seit Jahren in Deutschland lebten und arbeiteten, da sie nach einem natürlichen Bedürfnis bei ihren Kindern leben wollten, und auch ihrer Fürsorge bedurften. Es sei darüber hinaus ihr gutes Recht. Sie hätten in Bulgarien ein Auskommen, da sie dort Rente und Pflegegeld von monatlich ca. 150 Euro erhielten, was dort kaum ein Arbeitnehmer verdiene, ein Arbeiter in Bulgarien verdiene ca. 200 Euro monatlich, 150 Euro monatlich sei in Bulgarien zum Leben ausreichend. Die Krankenversicherung sei gesichert gewesen. Sie hätten nach ihrer Einreise bei ihrer Tochter und ihrem zukünftigen Schwiegersohn leben können und hätten keiner staatlichen Hilfe bedurft. Erst nachdem ihre Tochter und deren Freund kein Einkommen mehr hätten erwirtschaften können, hätten sie mehrere Monate nach der Einreise Leistungen beantragt. Die Darlegungs- und Beweislast für die „Um-zu-Einreise“ liege beim Beklagten. Es gebe daher keine Rechtsgrundlage, dass sie zu den Einkommensverhältnissen ihrer Kinder vorzutragen hätten. Sie, die Klägerin zu 1), habe es nicht ausgeschlossen zu arbeiten, allerdings müsse dies mit der Pflege des Ehemannes vereinbar sein und wäre ggf. bei wechselnder Betreuung durch die Kinder auch möglich gewesen. Der Beklagte habe jedoch keine Arbeit vermittelt. Aufgrund ihres verfestigten Aufenthalts sei das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert und Leistungen zu gewähren. Dass sie seit einiger Zeit wieder in Bulgarien lebten, bedeute nicht, dass sie nicht eigentlich bei ihren Kindern sein wollten, es aber nicht könnten, weil sie hier keine Wohnung fänden und am langen Arm verhungern würden. Das beantragte Darlehen sei aufgrund der Ermessensreduzierung auf Null sozialgerecht zu zahlen gewesen. Das Datum ihrer konkreten Ausreise ergebe sich aus den Meldedaten und sei beim Beklagten zu erfragen. Sie hätten im streitgegenständlichen Zeitraum kein Einkommen und kein Vermögen gehabt und seien bedürftig gewesen, sie seien mehrfach obdachlos gewesen. Sie hätten von Leistungen des Beklagten gelebt, soweit dieser etwas gezahlt habe, sonst von Darlehen, Freunden, Verwandten und Bekannten; Darlehen stellten kein Einkommen dar. Unterlagen seien in der Verfahrenslaufzeit wegen mehrfacher Umzüge nicht mehr vorhanden, sie hätten 2013 aber alle vorhandenen Unterlagen vorgelegt. Alle Banken würden vom Bankgeheimnis befreit, der Beklagte könne von Amts wegen ein Kontenabrufverfahren durchführen. Die Ansicht, sie, die bereits Leistungen erhalten hätten und einen Antrag sowie die Antragsbögen unterschrieben hätten, müssten den Vollbeweis der Hilfebedürftigkeit erbringen, sei nicht nachvollziehbar. Der Beklagte habe auch nicht auf Leistungen nach dem AsylbLG hingewiesen, so dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch eingreife. 

Die Kläger beantragen (Bl. 110 GA),

das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 17. April 2019 aufzuheben und
1.    den Bescheid des Beklagten vom 18. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2014 aufzuheben,
2.    den Beklagten zu verurteilen, ihnen Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu zahlen, hilfsweise als Darlehen bis zur Klärung der Ansprüche gegen den Beklagten.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, die Berufung setze sich nicht mit der Urteilsbegründung des Sozialgerichts auseinander, welche in keiner Weise widerlegt würden. Er schließe sich der Rechtsauffassung des Sozialgerichts vollumfänglich an.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte des Beklagten (SGB XII-Leistungsakte, AsylbLG-Leistungsakten - 2 Bände, Ausländerakte, SGB II-Leistungsakte) Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid des Beklagten vom 18. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben keinen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII für die Zeit vom 15. Februar 2013 bis zu ihrer Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland.

Als Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Leistungsanspruch kommt allein § 23 Abs. 1 SGB XII in der Fassung des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern – Zuwanderungsgesetz – vom 30. Juli 2004 (BGBl. I 1950) m. W. v. 1. Januar 2005 (a. F.) in Betracht. Danach ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten (Satz 1). Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt (Satz 2). Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist (Satz 3). Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten (Satz 4). Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt (Satz 5).

Die Kläger, die als bulgarische Staatsangehörige Ausländer im Sinne des Gesetzes sind, haben sich seit ihrer Einreise am 23. Oktober 2012 bis über den 24. Februar 2014 hinaus tatsächlich im Inland aufgehalten. 
Für die Zeit ab dem 24. Oktober 2014 ist zweitweise unklar, ob sich die Kläger noch in der Bundesrepublik Deutschland und im Bereich der örtlichen Zuständigkeit des Beklagten aufgehalten haben. Nach dem Auszug aus dem Ausländerzentralregister vom 11. Dezember 2019 (Bl. 330 Ausländerakte) ist die Klägerin, nachdem sie vom 24. Oktober 2014 von Amts wegen „nach unbekannt“ abgemeldet worden war, mehrfach wieder durch den Landrat des Beklagten als „von unbekannt zugezogen“ angemeldet worden, nämlich vom 19. Januar 2015 bis 31. Januar 2015, vom 23. Juli 2015 bis 10. März 2016, vom 10. Mai 2016 bis 8. Juli 2016, vom 1. August 2016 bis 23. August 2016. Unter dem 27. September 2017 haben die Kläger mitgeteilt, dass sie nach Bulgarien verzogen sind, wobei die Klägerin in Bezug auf ihren Ehemann bereits zuvor mitgeteilt hatte, dass er sich seit Ende Juli 2016 wieder in seiner Heimat aufhält. Den Zeitpunkt ihrer genauen Ausreise haben die Kläger auch auf Nachfrage des Gerichts nicht mitgeteilt, ebensowenig, wo sie, bzw. insbesondere die Klägerin, sich in den Zeiträumen zwischen den von Amts wegen erfolgten Abmeldungen und dem jeweils erneuten Zuzug „von unbekannt“ tatsächlich aufgehalten haben. Dies bedarf indessen auch keiner weiteren Aufklärung, da die Kläger jedenfalls ab 20. Februar 2014 als Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG gemäß § 23 Abs. 2 SGB XII keinen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII haben.

Die Kläger haben auch für die Zeit ab ihrer Einreise bis zum 19. Februar 2014 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII.

Der Senat lässt offen, ob die Kläger nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII a.F. keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben, weil sie - wovon der Beklagte ausgeht - eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen. 

Die Vorschrift verlangt eine zielgerichtete Einreise nach Deutschland allein bzw. ganz überwiegend (bei einem „Motivbündel“) aus dem Grund, Sozialhilfe zu erlangen (individuelles Fehlverhalten). Der Wille, Sozialleistungen zu beziehen, muss mithin im Zeitpunkt der Einreise vorhanden und prägend für den Einreiseentschluss gewesen sein, nicht aber zwingend der einzige Einreisegrund. Es genügt nicht, dass der Sozialhilfebezug beiläufig verfolgt oder anderen Einreisezwecken untergeordnet und in diesem Sinne (nur) billigend in Kauf genommen wird (Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 23 SGB XII [Stand: 22. Dezember 2020], Rn. 94). Das Motiv, Sozialhilfe zu erlangen, muss für den Ausländer neben anderen Einreisegründen so wichtig gewesen sein, dass er ansonsten nicht eingereist wäre. Für eine „Um-zu“-Einreise genügt es demnach nicht, wenn der Bezug von Sozialhilfeleistungen anderen Einreisezwecken untergeordnet ist (Schlette in: Hauck/Noftz SGB XII Stand: Juli 2021, § 23, Rn. 77 m. w. N.). Ein den Sozialhilfebezug überlagerndes übergewichtiges anderes Einreisemotiv kann ferner der (ernsthafte) Wille des einreisenden Ausländers sein, mit den in Deutschland lebenden Kindern (VG Braunschweig, Urteil vom 20. Dezember 2004, 3 A 107/04; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. September 2009, L 23 SO 117/06, Beschluss vom 26. März 2020, L 9 SO 1/20 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27. November 2008, L 8 SO 173/08 ER) oder Eltern zusammenzuleben (SG Leipzig, Beschluss vom 30. November 2007, S 21 SO 87/07 ER, betr. einen minderjährigen Schwerbehinderten) bzw. umgekehrt (Schlette, a.a.O. Rn. 78a). Bei den Einreisegründen handelt es sich um subjektive Tatsachen, die nur im Wissen des betreffenden Ausländers stehen und die er daher zu benennen sowie widerspruchsfrei und substanzreich darzutun hat. Anhaltspunkte für eine „Um zu“-Einreise können sich dabei ergeben bei einer Einreise ohne jegliche eigene Mittel, der Einreise zu Verwandten, die selbst Sozialhilfe beziehen, Voraufenthalte in Deutschland mit Sozialhilfebezug, der Beantragung von Sozialhilfe unmittelbar bei oder nach der Einreise oder schlechten Aussichten auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, da keine Sprach- und/oder Landeskenntnisse, keine oder unzureichende Schul- oder Berufsausbildung, keine Berufspraxis im Heimatland, keine oder eingeschränkte Erwerbsfähigkeit besteht (Schlette, a.a.O., Rn. 80 m. w. N.). 

Vorliegend bedarf es keiner weiteren Ermittlungen oder etwa der persönlichen Einvernahme der Kläger zur Feststellung, ob der von ihnen angegebene Wunsch, in Deutschland bei ihren Kindern zu leben, das prägende Einreisemotiv war oder ob die Umstände, die für eine „Um-zu“-Einreise sprechen, wie die schlechten Aussichten auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit der Klägerin wegen unzureichender Deutschkenntnisse und angegebenen Analphabetismus, zur Deckung des Lebensunterhalts unzureichende Eigenmittel, rückläufige Einkünfte der Tochter und des Schwiegersohns aus selbständiger Tätigkeit bei Einreise, Beantragung von Sozialhilfe wenige Monate nach der Einreise, hinreichende Indizien für den Sozialhilfebezug als hinreichend gewichtiges Einreisemotiv sprechen, denn die subjektive Motivlage der Kläger bei Einreise ist nicht entscheidungserheblich.

Denn der Anspruch auf Sozialhilfe für Ausländer nach § 23 Abs. 1 SGB XII a. F. setzt die Bedürftigkeit der leistungsberechtigten Personen nach § 19 Abs. 1 bzw. 2 SGB XII voraus. Danach ist Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können (Abs. 1). Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel dieses Buches ist Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Absatz 2 SGB XII erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können (Abs. 2 Satz 1).

Diese Voraussetzungen liegen indessen nicht vor, weil die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mit der für die Überzeugungsbildung des Senats erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum von 15. Februar 2013 bis 19. Februar 2014 sind nicht hinreichend nachgewiesen. 
Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich lediglich und ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig, dass der Kläger über monatliche Einkünfte in Höhe von ca. 140 Euro aus einer bulgarischen Rente verfügt, die aber evident unzureichend sind zur Deckung auch nur des Regelbedarfs von zwei Personen in Höhe von jeweils 345 Euro (Februar bis Dezember 2013) bzw. 353 Euro (Januar bis Februar 2014) monatlich in der hier maßgeblichen Regelbedarfsstufe 2 (vgl. § 28 Abs. 5 SGB XII i. V. m. Anlage zu § 28 SGB XII). Darüber hinaus haben die Kläger nach der unwidersprochenen Darlegung des Beklagten (vgl. Schriftsatz vom 25. August 2020, Bl. 153f GA) Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 329,81 Euro im März 2013, 500 Euro im April 2013, 400 Euro im Mai 2013 und 200 Euro im Juni 2013 erhalten sowie Leistungen nach dem SGB XII zur Förderung der freiwilligen Rückreise nach Bulgarien im Dezember 2013 in Höhe von insgesamt 288,52 Euro. Aus welchen finanziellen Mitteln die Kläger ihren Lebensunterhalt, insbesondere in der Zeit ab Juni 2013 gedeckt haben, ist unklar. Auch die – lediglich lückenhaft – vorgelegten Kontoauszüge (Bl. 61 ff GA), die sich auf den Zeitraum 6. März 2013 bis 11. April 2013 und 19. April 2013 bis 15. Mai 2013 beziehen, enthalten hierfür keine Anhaltspunkte, da sie mit Ausnahme einer Bareinzahlung ungeklärter Herkunft über 10 Euro am 2. April 2013 ausschließlich Zahlungseingänge vom Beklagten dokumentieren. Weitere, in den beigezogenen AsylbLG-Leistungsakten vorliegende Kontoauszüge (Bl. 79 – 112 AsylbLG-Leistungsakte I) betreffen nicht den insoweit maßgeblichen Zeitraum von 15. Februar 2013 bis 19. Februar 2014.

Auch den beigezogenen Leistungsakten des Beklagten sind keine weiteren konkreten Informationen für die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger zu entnehmen.

Soweit die Kläger vortragen, sie hätten von Leistungen des Beklagten gelebt, soweit dieser etwas gezahlt habe, sonst von Darlehen, Freunden, Verwandten und Bekannten sowie „zeitweise“ Bettelei, lässt sich diesem pauschalen Vorbringen nicht entnehmen, von wem, wann, in welcher Höhe und Form die Kläger Darlehen in Anspruch genommen oder Zuwendungen von dritten Personen erhalten haben. Insbesondere sieht der Senat hierin auch keinen Ansatz zu weiteren Ermittlungen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger von Amts wegen.

Die Folgen der Nichterweislichkeit der Bedürftigkeit, welche eine anspruchsbegründende Tatsache zu Gunsten der Kläger darstellt, haben die Kläger zu tragen.

Nach alledem kommt es nicht darauf an, ob die Feststellung des Verlusts der Freizügigkeit der Kläger zu einem Leistungsausschluss i. S. d. § 23 Abs. 3 SGB XII führt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
 

Rechtskraft
Aus
Saved