L 9/12 R 207/18

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
1. Instanz
SG Aurich (NSB)
Aktenzeichen
S 2 R 98/17
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 9/12 R 207/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 20. November 2018 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1965 geborene Klägerin erlernte nach ihren Angaben den Beruf der Krankengymnastin und war anschließend als Physiotherapeutin beschäftigt. Im Zeitraum 26. Februar 2010 bis 12. Februar 2012 bezog sie Krankengeld und Arbeitslosengeld. Vom 13. Februar 2012 bis 8. Februar 2013 absolvierte die Klägerin eine Weiterbildung zur Sozial- und Pflegeberaterin, ohne in diesem Beruf tätig gewesen zu sein. Nach kurzer Arbeitslosigkeit arbeitete sie im Zeitraum 11. März bis 22. April 2013 als sog. Verwaltungshelferin im Krankenhaus H.. Danach war die Klägerin (bis Juli 2013) ohne Leistungsbezug arbeitslos gemeldet. Seit 1. August 2013 steht sie im Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Daneben befindet sich im Versicherungskonto für das Jahr 2015 eine geringfügige Beschäftigung (Versicherungsverlauf vom 21. Januar 2020, Bl. 210 ff. der Gerichtsakte – GA).

Bei der Klägerin ist seit 13. Oktober 2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannt (vgl. Bescheid des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie Außenstelle I. vom 4. November 2010, Bl. 92 der Verwaltungsakte der Beklagten - VA).

Im April 2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie J. untersuchen (vgl. Bl. 43 ff. des Gutachtenheftes der Beklagten - GH). Dieser stellte in dem ärztlichen Gutachten vom 9. Juni 2016 bei der Klägerin die Diagnosen Psychosomatose, Lumboischialgie bei fraglichem Bandscheibenvorfall L 5/S1, Zervikobrachialgie und Rhizarthorose fest. Aus orthopädischer Sicht könne die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Wechselrhythmus zwischen Sitzen, Gehen und Stehen vollschichtig verrichten. Tragen und Heben sollte auf Lasten bis 5 kg beschränkt werden. (Wirbelsäulen-)Zwangshaltungen und Überkopfarbeiten seien zu vermeiden. Dies sei bei dem zuletzt ausgeübten Beruf als „Verwaltungshelferin“ mit Sicherheit gegeben. Die Beklagte ließ ein weiteres Gutachten bei der Ärztin für Innere Medizin, Psychotherapeutische Medizin, Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapie Dr. K. am 22. Juni 2016 erstellen (Bl. 57 ff. GH). Diese stellte bei der Klägerin ein chronisch degeneratives Wirbelsäulensyndrom, derzeit ohne neurologische Defizite, und ein Fibromyalgiesyndrom fest. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Stehen, Gehen oder Sitzen in Tagesschicht arbeitstäglich sechs Stunden und mehr verrichten. Dabei seien Körperzwangshaltungen, ausschließliches Stehen oder Sitzen, Tragen und Heben mittelschwerer und schwerer Lasten und Arbeiten über Kopf zu vermeiden.

Auf die beiden Gutachten gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin mit Bescheid vom 7. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2017 ab (nach Bl. 98 ff. VA, Bl. 153 ff. VA).

Dagegen hat die Klägerin am 11. Mai 2017 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Aurich erhoben. Sie hat im Wesentlichen vorgetragen, dass es ihr durch ihre ständigen Schmerzzustände und die schwere depressive Episode unmöglich sei, ein „normales Leben“ zu führen sowie in der Arbeitswelt zurecht zu kommen. Sie sei auch in erheblichem Maße medikamentös versorgt. Das damalige durch das Gesundheitsamt erstellte, psychologische Gutachten könne nicht völlig falsch sein. Vielmehr bestehe bereits seit 2013 eine schwere depressive Episode, die ein vollschichtiges Leistungsvermögen ausschließe.

Das SG hat Befundberichte von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. L. vom 18. August 2017, der Internistin und Rheumatologin Dr. M. vom 4. September 2017, bei der die Klägerin in den letzten zwei Jahren nur einmal am 24. April 2017 vorstellig geworden war, sowie von der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. vom 10. Oktober 2017, bei der sich die Klägerin einmalig am 15. September 2017 vorgestellt hat, eingeholt (Bl. 31 ff., 40, ff., 47 ff. GA). Anschließend hat das SG den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. O. mit der Fertigung eines fachpsychiatrischen Gutachtens beauftragt (Bl. 137 ff. GA). Dieser hat in seinem Gutachten vom 7. März 2018 bei der Klägerin die Gesundheitsstörung chronische Schmerzstörung mit derzeit klinisch nicht führenden psychischen Faktoren vor dem Hintergrund eines chronischen intrapsychischen Konfliktes mit narzisstischer Verarbeitungsstruktur festgestellt. Der Sachverständige Dr. O. kam zu der Einschätzung, dass die Klägerin noch körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder Arbeitshaltung ohne Zwangshaltung sechs Stunden täglich und mehr verrichten könne. Aus psychiatrischer Sicht würden sich keine Beeinträchtigungen des Leistungsvermögens ergeben. Gangstörungen seien nicht erkennbar gewesen. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeit sei aus psychiatrischer Sicht ebenso wie das Führen eines Fahrzeugs über einen Zeitraum von mehr als 30 Minuten möglich. Die Klägerin sei grundsätzlich in der Lage, sich auf neue Tätigkeiten einzustellen und sich neuen beruflichen Anforderungen anzupassen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 20. November 2018 abgewiesen. Der Klägerin stehe keine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung zu. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. O. könne die Klägerin noch mindestens körperlich leichte Arbeiten sechs Stunden täglich und mehr mit den weiteren in den Gutachten genannten Einschränkungen verrichten. Die orthopädischen Gesundheitsstörungen würden für sich genommen lediglich zu qualitativen, nicht jedoch zu quantitativen, Leistungseinschränkungen führen. Der Sachverständige Dr. O. habe in seinem Gutachten vom 7. März 2018 dezidiert dargelegt, dass die depressive Verstimmung im Zeitpunkt der Begutachtung allenfalls gering ausgeprägt gewesen sei. Unter Bewertung des medizinischen Verlaufs der Erkrankung sei eine depressive Symptomatik insbesondere nach dem Tod des Katers der Klägerin im Jahr 2013 ausgeprägt gewesen. Der Sachverständige habe daher das Krankheitsbild in dieser Hinsicht nicht als Depression, sondern als eine Anpassungsstörung nach einer Trauerreaktion verstanden. Als Indiz wertete er, dass eine antidepressive Medikation auch nach Angaben der Klägerin nicht gewirkt habe. Weiter habe der Sachverständige eine psychische Begleitsymptomatik in Folge eines inneren Konfliktes aufgezeigt. Diese Symptomatik sei jedoch nach Angaben des Sachverständigen nicht derart ausgeprägt, dass hieraus eine Rentenrelevanz abzuleiten wäre. Die Schmerzsituation der Klägerin führe ebenfalls derzeit nicht zu quantitativen Leistungseinschränkungen. Vielmehr habe der Sachverständige ausgeführt, dass sich während der Begutachtungssituation keine solchen Schmerzsymptome gezeigt hätten, die auf eine für das quantitative Leistungsvermögen relevante Erwerbsminderung hindeuten würden. Sofern die Diagnose eines Fibromyalgiesyndrom gestellt worden sei, so sei darauf hinzuweisen, dass auch diese alleine nicht zu einer quantitativen Leistungseinschränkung führen würde. Prinzipiell würden sich Leistungseinschränkungen im Rentenrecht nicht aus einer Diagnose, sondern aus konkret hieraus abzuleitenden funktionellen Einschränkungen ergeben. Auch bei einem Fibromyalgiesyndrom beurteile sich die Leistungsfähigkeit nach dem Ausmaß der konkreten Funktionseinschränkungen. Zum gleichen Ergebnis sei im Verwaltungsverfahren die Gutachterin Dr. K. gelangt. Auch das im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegte Attest von Dr. L. vom 19. November 2018 vermöge hinsichtlich dieser sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung die dezidiert begründeten fachärztlichen Gutachten nicht zu entkräften.

Gegen das ihr am 7. Dezember 2018 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 27. Dezember 2018 beim Landessozialgericht (LSG) eingegangenen Berufung, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie trägt vor, dass sie aufgrund der psychischen Situation nicht vollschichtig leistungsfähig sei. Sie stehe unter so erheblichem Medikamenteneinfluss, dass auch schon deswegen kein vollschichtiges Leistungsvermögen angenommen werden könne. Insoweit verweist sie erneut - wie bereits erstinstanzlich - auf das ärztliche Attest vom 19. November 2018 der Allgemeinmedizinerin Dr. L. sowie auf das 15-seitige „Gutachten“ der Dr. N.. Die Begutachtung durch den Sachverständigen sei nur eine Momentaufnahme, die im Übrigen auch schwerpunktmäßig die Probleme auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet betroffen habe, obwohl bei ihr vorrangig eine Schmerzerkrankung vorliegen würde. Zuletzt legt sie einen ärztlichen Bericht der Dr. M. vor, der das Fibromyalgiesyndrom bestätigen soll (Schreiben vom 20. März 2021, Bl. 238 ff. GA).

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

  1. das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 20. November 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2017 aufzuheben,
  1. Die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und den mit ihm überprüften Bescheid für zutreffend.

 

Auf die Anfragen des Senats, ob und ggf. bei wem sich die Klägerin aktuell in nervenärztlicher oder schmerztherapeutischer Behandlung befinde, hat die Klägerin sinngemäß mitgeteilt, wegen der Corona-Pandemie keine Termine erhalten zu haben (Schreiben der Klägerin vom 2. April 2020 und vom 15. Dezember 2020, Bl. 212 ff, Bl. 223 ff. GA).

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (vgl. Erklärung der Klägerin vom Beklagten vom 20. Mai 2021, Erklärung der Beklagten vom 1. Juni 2021, Bl. 236, 244 GA).

Dem Senat haben die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 153 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht auch nach Auffassung des erkennenden Senats Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nicht zu (hierzu: 1.). Sie hat zudem keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI (hierzu: 2.).

1.   Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung steht der Klägerin nicht zu, weil die medizinischen Voraussetzungen hierfür zur Überzeugung des Senats nicht erfüllt sind. Ein Rentenanspruch nach § 43 SGB VI erfordert neben weiteren Voraussetzungen das Vorliegen von Erwerbsminderung. Sowohl der Leistungsfall der teilweisen als auch der der vollen Erwerbsminderung setzen grundsätzlich eine zeitliche Herabsetzung des beruflichen Leistungsvermögens voraus. Dementsprechend ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Klägerin ist nicht erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI. Nach dem Ergebnis der durchgeführten medizinischen Beweisaufnahme, aber auch unter Würdigung der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgeführten Ermittlungen auf medizinischem Gebiet, steht zur Überzeugung des erkennenden Senats fest, dass die Klägerin trotz der bei ihr festgestellten Gesundheitsstörungen noch in der Lage ist, täglich sechs Stunden und mehr mindestens körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten mit weiteren qualitativen Einschränkungen unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten.

Der erkennende Senat stützt seine Auffassung auf das überzeugende Gutachten im Klage- verfahren des Sachverständigen Dr. O. vom 7. März 2018 auf nervenärztlichem Fachgebiet.

Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet leidet die Klägerin nach den Ausführungen des im Klageverfahren gehörten Sachverständigen Dr. O. an einer chronischen Schmerzstörung mit derzeit klinisch nicht führenden psychischen Faktoren vor dem Hintergrund eines chronischen intrapsychischen Konfliktes mit narzisstischer Verarbeitungsstruktur.

Die Klägerin ist nach den Feststellungen des gehörten Sachverständigen Dr. O., der auch sämtliche Vorgutachten, insbesondere das Verwaltungsgutachten der Dr. K. vom 22. Juni 2016, in seine Leistungsbeurteilung einbezogen hat, noch fähig, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens körperlich leichte Tätigkeiten sechs Stunden täglich im Wechsel der Haltungsarten zu verrichten. Dabei seien der Klägerin Arbeiten in Zwangshaltung, über Kopf sowie mit Tragen und Heben von Lasten über 5 kg nicht mehr zumutbar.

Der Sachverständige Dr. O. hat ausgeführt, dass es sich bei der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet um eine derzeit mittelgradig ausgeprägte psychosomatische Erkrankung im Sinne einer chronischen Schmerzstörung handeln würde, die an anderer Stelle als sogenanntes Fibromyalgiesyndrom diagnostiziert werde, wobei eine solche Erkrankung in den meisten Fällen als anhaltende somatoforme Schmerzstörung eingestuft werde. Die psychische Begleitsymptomatik sei derzeit gering und auch im Hinblick auf den aktenkundigen Verlauf der letzten Jahre als nicht rentenrelevant einzustufen. Zwar sei von chronischen Schmerzsyndromen (egal welcher Genese) bekannt, dass sie die Gefahr einer chronifizierten Depression deutlich erhöhen würden. Allerdings habe bei der Klägerin zum Zeitpunkt der Begutachtung objektiv gesehen allenfalls eine geringe depressive Verstimmung vorgelegen. Nach den Angaben der Klägerin habe die „als Depression titulierte Symptomatik“ nach der Kündigung des Arbeitsplatzes und verstärkt nach dem Tod ihres Katers (Findus) im März 2013 begonnen. Eine fachpsychiatrische Behandlung habe im November 2013 begonnen und sie habe nach Aktenlage zufolge eine umfangreiche und wechselnde psychopharmakologische Behandlung umfasst, die zuletzt am 1. Februar 2016 fachärztlich überprüft worden sei. Seit dem 1. Februar 2016 bestehe allerdings keine psychiatrische Behandlung mehr. Aktuell würde auch keine antidepressive Medikation mehr bestehen. Anhand des Verlaufes sei zu vermuten, dass es sich bei der Symptomatik am ehesten um eine Anpassungsstörung - verstärkt nach dem Tod des Katers - gehandelt habe. Eine Trauerreaktion sei völlig normal und habe nichts mit einer psychischen Erkrankung im engeren Sinne zu tun, solange die Symptome nicht über eine Trauerreaktion hinausgingen und eindeutig einer Depression zuzuordnen seien. Bemerkenswert sei vorliegend die Diskrepanz zwischen der Selbst- und der Fremdwahrnehmung der Klägerin. Während sich die Klägerin in der entsprechenden Testung (BDI) im Bereich einer schweren Depression gesehen habe, habe mit objektiven Maßstäben eine Depression nicht festgestellt werden können. Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass auch Schmerzsymptome nicht erkennbar gewesen seien. Weder durch Mimik noch durch die Körperhaltung noch durch Äußerungen seitens der Klägerin sei eine Schmerzintensität erkennbar gewesen, obwohl die Klägerin in der Schmerzgraduierung (nach Korff) ihre Schmerzen mit sieben von zehn Punkten eingeschätzt hat. Bei der Klägerin bestehe ein erheblicher perfektionistischer Selbstanspruch, dem sie aber nicht entsprechen könne. Sie richte ihre Wut auf eigene Defizite und eigene Inperfektion nach außen und gehe somit einer eigenen Auseinandersetzung mit der Thematik aus dem Weg. Dass sich vor diesem Hintergrund fehlender Introspektionsfähigkeit und hohem, nicht erfüllbaren Leistungs- und Perfektionsanspruchs an sich und andere eine seelische Symptomatik in Form eines Schmerzsyndroms eröffne, sei nachvollziehbar. Die Reaktion der Klägerin könne aber auch als narzisstische Abwehr verstanden werden, da die Einschränkungen, die die Klägerin erlebe, vor dem Hintergrund des Perfektionismus als fortgesetzte Kränkung erlebt werde. Andererseits habe es die Klägerin nach eigenem Bekunden geschafft, das Entrümpeln und Einpacken des gesamten Hausstandes vor dem Umzug nach P. selbständig zu bewältigen. Diese weitere Diskrepanz würde gut beleuchten, in welchem inneren Konflikt sich die Klägerin befinde. Ein solcher innerer Konflikt sei aber nicht von Rentenrelevanz, zumal die psychosomatische Symptomatik offensichtlich, wie am Beispiel des Umzugs ersichtlich, überwunden werden könne.

Der Senat hält die Ausführungen des im Gerichtsverfahren gehörten Sachverständigen Dr. O. für nachvollziehbar und überzeugend. Ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen der Klägerin lässt sich danach nicht begründen. Der Senat hat keinen Anlass, von der Leistungseinschätzung des gehörten Sachverständigen abzuweichen. Sie wird im Wesentlichen auch durch die Feststellungen der im Verwaltungsverfahren tätigen Gutachter Q. (Gutachten vom 9. Juni 2016) und der Dr. K. (Gutachten vom 22. Juni 2016) bestätigt.

Der medizinische Sachverhalt ist nach hiesiger Überzeugung durch die o.g. Gutachten hinreichend geklärt. Aus keinem dieser o.g. Gutachten lässt sich auf ein zeitlich reduziertes Leistungsvermögen der Klägerin schließen. Der Sachverständige Dr. O. hat die von der Klägerin angegebene Symptomatik in seinem Gutachten berücksichtigt und ausreichend bei der Einschätzung der Leistungsfähigkeit gewürdigt. Eine weitere medizinische Sachaufklärung wurde von dem Sachverständigen Dr. O. (vgl. Seite 30 des Gutachtens vom 7. März 2018) nicht für notwendig erachtet.

Soweit die Klägerin nach Erstattung des Gutachtens von Dr. O. meint, es sei noch die Einholung eines schmerztherapeutischen Gutachtens zur medizinischen Sachermittlung erforderlich, kann dem nicht gefolgt werden. Denn im Rahmen der Begutachtung bei Dr. O. sind Schmerzsymptome nicht erkennbar gewesen. Weder durch Mimik noch durch die Körperhaltung noch durch Äußerungen seitens der Klägerin war eine Schmerzintensität erkennbar geworden, obwohl die Klägerin andererseits ihre Schmerzen als erheblich einschätzte. Insoweit hat der Sachverständige eine Diskrepanz aufgezeigt, die auch schon in den Vorgutachten, insbesondere von dem Gutachter J. angeklungen ist. Die Klägerin befindet sich andererseits auch nicht in schmerztherapeutischer Behandlung. Dies spricht nicht für einen erheblichen Leidensdruck. Der Senat hat vor diesem Hintergrund keinen Anhalt dafür, dass ein schmerztherapeutisches Gutachten abweichende objektive Erkenntnisse erbringen würde. Im Übrigen ist es nicht Aufgabe der Gerichte, den Sachverhalt auszuforschen. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin seit der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. O. im Februar 2018 derart verändert hat, dass dies zu einer sozialmedizinisch relevanten Minderung der Erwerbsfähigkeit geführt haben könnte, ergeben sich ebenfalls nicht. Eine solche Veränderung der Gesundheitsstörungen wird insbesondere auch von der Klägerin nicht geltend gemacht, sondern sie meint, dass ihre Gesundheitsstörungen bereits seit Antragstellung falsch beurteilt worden seien. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem zuletzt vorgelegten ärztlichen Bericht der Dr. M. vom 20. März 2021, der insbesondere die Diagnose der Fibromyalgie bestätigt. Der Senat kann dem Bericht keine von den bisherigen Feststellungen abweichende Funktionsstörungen von Rentenrelevanz entnehmen, zumal die behandelnde Internistin und Rheumatologin eine regelmäßige leichte sportliche Betätigung zur Besserung der Beschwerden empfiehlt.  

Soweit sich die Klägerin unter Berufung auf das hausärztliche Attest der Allgemeinmedizinerin Dr. L. vom 19. November 2018 sowie das „Gutachten“ der Dr. N. vom 10. Oktober 2017 gegen die Einschätzung des mindestens sechsstündigen Leistungsvermögens durch den im Klageverfahren gehörten Sachverständigen Dr. O. wendet, vermag der erkennende Senat dem ebenfalls nicht zu folgen. Die dort genannten Gründe für eine Leistungslimitierung durch die dort beschriebenen Schmerzen sind nicht nachvollziehbar. Solche ergeben sich zudem nicht aus dem nervenärztlichen Vorgutachten (Gutachten der Dr.  K. vom 22. Juni 2016). Ferner erfolgte das Attest fachfremd durch die Allgemeinmedizinerin Dr. L., die zudem die von der Klägerin angegebenen Schmerzen übernimmt, ohne dass erkennbar ist, ob die Schmerzen objektiv tatsächlich in der von der Klägerin vorgegebenen Schwere vorlagen bzw. vorliegen und ob dies auf Dauer war bzw. ist. Vielmehr scheint das Attest anlässlich einer Vorstellung der Klägerin bei ihrer Hausärztin wegen des abweichenden Gutachtens und des Termins zur mündlichen Verhandlung erstellt worden zu sein. Letztlich sah Dr. L. das Leistungsvermögen bei der Klägerin bereits seit etwa August 2016 als aufgehoben an (vgl. Befundbericht vom 18. August 2017), so dass sich aus dem Attest keine abweichenden Befunde bzw. eine Verschlechterung des Gesundheitszustands erkennen lassen. Der dort beschriebene ausgeprägte Leidensdruck ist vor dem Hintergrund fehlender schmerztherapeutischer und psychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Behandlungen nicht objektivierbar. Zudem kann der Senat auch die Ausführungen der Dr. N. in ihrem „als Gutachten abgefassten“ Befundbericht nicht nachvollziehen. Dort werden u.a. diverse Aktivitäten und Hobbys (Camping machen, Fotografieren, kreative Ideen umsetzen) der Klägerin beschrieben, die mit der gestellten Diagnose „schwere depressive Episode“ und der Schlussfolgerung „aktuell voll erwerbsunfähig“ nicht korrespondieren. Zudem war die Klägerin dort nur einmalig vorstellig und der Bericht lag auch dem Sachverständigen Dr. O. vor, der ihn in seine Beurteilung einbezogen hat und weder die Diagnose noch die Schlussfolgerung für nachvollziehbar erachtete.

Wenn die behandelnde Ärztin sich für die Sichtweise der Klägerin stark macht, ist insoweit zudem zu berücksichtigen, dass die behandelnde Ärztin häufig eine andere Sichtweise auf die Dinge hat, weil für sie das Arzt-Patienten-Verhältnis eine ganz erhebliche Rolle spielt. Der begutachtende und der behandelnde Arzt haben sehr unterschiedliche Aufgaben und Arbeitsansätze. Der Patient wendet sich mit seinen Beschwerden zur Behandlung an einen Arzt seines Vertrauens. Der behandelnde Arzt geht von den vom Patienten geklagten Beschwerden aus. Er erhebt auch objektive Befunde, um eine Erkrankung besser diagnostizieren und therapieren zu können. Insbesondere aber soll er die Beschwerden des Patienten heilen oder lindern. Insoweit ist es legitim, dass der behandelnde Arzt aufgrund der bestehenden Beschwerden und Erkrankungen eine Berentung empfiehlt bzw. das Anliegen seines Patienten stützt. Seine Aufgabe besteht nicht darin, dem Patienten zu sagen, was diesem trotz der Erkrankungen noch zuzumuten ist. Demgegenüber hat der begutachtende Arzt die geklagten Beschwerden zur Kenntnis zu nehmen und objektive Befunde zu erheben. Er hat die aus ihnen folgenden Funktionsstörungen zu benennen und die zumutbaren Kompensationsmöglichkeiten darzustellen. Aus den Funktionsstörungen, die nicht zumutbar kompensiert werden können, leitet er die Leistungseinschränkungen der Klägerin bzw. des Klägers ab. Zumutbar ist alles, was von der Klägerin bzw. vom Kläger kompensiert werden kann und die Krankheit nicht verschlimmert. Die Beschwerden und Krankheiten der klagenden Person sind für den begutachtenden Arzt dabei nur erkenntnisleitend, um Leistungseinschränkungen feststellen zu können.

Zur Überzeugung des erkennenden Senats liegen bei der Klägerin auch eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit und eine sogenannte atypische Leistungseinschränkung in Gestalt der Summierung einer Vielzahl von erheblichen Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung nicht vor.

Die Feststellungen nach dem Schwerbehindertenrecht (hier: GdB von 30) lässt keine Rückschlüsse auf die Frage der Erwerbsfähigkeit zu, weil die Feststellungen des Grades der Behinderung nach anderen Maßstäben erfolgt als die Prüfung der Erwerbsminderung im Rentenversicherungsrecht.

Ob die Klägerin mit ihrem noch ausreichenden mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich einen solchen Arbeitsplatz finden kann, fällt nicht in das Risiko der Rentenversicherung, wie der Gesetzgeber in § 43 Abs. 3 SGB VI klargestellt hat. Dieses Risiko trägt die Arbeitslosenversicherung.

2.   Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI. Nach dieser Norm können Versicherte eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhalten, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Die erst 1965 geborene Klägerin erfüllt bereits aufgrund ihres Lebensalters nicht die Voraussetzungen des § 240 SGB VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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