L 8 SO 39/22 B ER

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 25 SO 54/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 8 SO 39/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Zum Umfang der Eingliederungshilfe nach § 99 Abs 1 und 4 SGB IX (idF v 2. Juni 2021, gültig vom 1. Juli 2021 bis zum 31. Dezember 2022) iVm §§ 1 ff EinglHV bei einer nicht wesentlich behinderten Antragstellerin im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur vorläufigen Gewährung eines Persönlichen Budgets für einen Leistungserbringer, dessen Inhaber der gerichtlich bestellte Betreuer der Antragstellerin ist.

 

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 25. Juli 2022 aufgehoben und der Antrag abgelehnt.

 

Die Beteiligten haben einander in beiden Rechtszügen Kosten nicht zu erstatten.

 

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwältin G., B., beigeordnet.

 

 

Gründe:

 

I.

 

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Antragsgegner und Beschwerdeführer (im Weiteren: Ag.) vom Sozialgericht zu Recht verpflichtet worden ist, die Kosten für Leistungen der sozialen Teilhabe als Assistenzleistungen beim Wohnen durch Unterstützung bei der Führung des Haushalts in Form eines Persönlichen Budgets vom 24. Mai bis zum 30. November 2022 zu übernehmen.

 

Die am 1984 geborene Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (im Weiteren: Ast.) erlangte im Juli 2001 den Schulabschluss an einer Schule für Lernbehinderte und besuchte bis Juni 2002 eine berufsbildende Schule, ohne eine Berufsausbildung abzuschließen. Sie lebt mit ihren 2005, 2006 und 2013 geborenen Kindern in einer Mietwohnung. Bei dem 2013 geborenen Sohn ist seit dem 1. Juni 2020 der Pflegegrad 2 anerkannt. Er erhält ein Pflegegeld i.H.v. 316,00 € monatlich, das auf das Konto der Ast. fließt. Das Pflegegutachten liegt der Ast. nach ihren Angaben nicht vor.

 

Für die Zeit vom 1. Februar 2021 bis zum 31. März 2023 ist der Ast. ein Erziehungsbeistand nach § 30 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) bewilligt worden. Dieser Beistand übernimmt sechs Stunden wöchentlich die Hausaufgabenbetreuung und unterstützt bei der Haushaltsführung, Geldeinteilung/Einkauf und Behördenangelegenheiten und begleitet die Kinder bei Arztbesuchen.

 

Die Ast. verrichtet im Rahmen von geringfügigen Beschäftigungen Tätigkeiten als Zeitungszusteller (seit April 2021) und als Reinigungskraft (seit Juli 2020 bzw. seit August 2021), zuletzt für insgesamt drei Arbeitgeber, an drei Tagen in der Woche. Das Jobcenter Salzlandkreis lehnte für den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. September 2022 die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab (Bescheid vom 28. März 2022), bewilligte jedoch nachfolgend im Widerspruchsverfahren Leistungen für den Monat Juni 2022 in Höhe von insgesamt 452,64 € (336,84 € anteilig für die Ast.; Abhilfebescheid vom 23. August 2022). Seit April 2022 erhält die Ast. Wohngeld i.H.v. 300,00 € monatlich. Ferner bezog die Ast. für die drei Kinder Kindergeld im streitigen Zeitraum i.H.v. 636,00 € und Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) i.H.v. 708,00 € sowie Halbwaisenrente für die 2006 geborene Tochter i.H.v. 156,96 €.

 

Bei der Ast. ist ein Grad der Behinderung (GdB) nicht festgestellt; ein Antrag ist nach ihren Angaben „in Planung“.

 

Am 23. November 2020 beantragte der Berufsbetreuer und Inhaber von “P." (im Weiteren: „P.“) beim Salzlandkreis (u.a.) für die Ast. Leistungen der Eingliederungshilfe in Form des Persönlichen Budgets. Er fügte eine von der Ast. unterzeichnete Vollmacht, sie im Rahmen des Antragsverfahrens gegenüber dem zuständigen Sozialhilfeträger zu vertreten und Erklärungen in ihrem Namen abzugeben, bei. Zudem legte er eine unter dem 30. November 2020 unterzeichnete Vollmacht vor, wonach die Ast. ihn bevollmächtige, sie gerichtlich und außergerichtlich in den Bereichen Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten, Versicherungs- und Wohnungsangelegenheiten und Schuldenregulierung zu vertreten. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 3 und 6 der Verwaltungsakte verwiesen. Der Formantrag auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wurde vom „Betreuungsbüro J.“ ausgefüllt und unter dem 20. Januar 2021 unterzeichnet. Dem Salzlandkreis, dem von dem Ag. herangezogenen örtlichen Sozialhilfeträger, wurden zudem die Rechnungen von „P.“ vom 2. und 29. Januar 2021 für die Leistungszeiträume Dezember 2020 und Januar 2021 für die Erbringung von 8 bzw. 7,25 Stunden „Fachleistungsstunde im Persönlichen Budget- Arbeit & Beschäftigung/besondere psychosoziale Angebote“ zum Einzelpreis von 44,00 €, brutto 352,00 € bzw. 319,00 € vorgelegt. Insoweit wird auf Blatt 4 und 17 der Verwaltungsakte und bezüglich der nachfolgend eingereichten Rechnungen vom 28. Februar, 1. April, 2. Mai, 1. Juni und 1. Juli 2021 über 10,50/ 7,75/ 8,00/ 4,50 und 7,00 Stunden für die Leistungszeiträume Februar bis Juni 2021 mit den Rechnungsbeträgen i.H.v. 462,00 €, 341,00 €, 352,00 €, 198,00 € und 308,00 € auf Blatt 19 bis 22 und 25 der Verwaltungsakte verwiesen.

 

Unter dem 26. Juli 2021 unterbreitete „P.“ dem Salzlandkreis das „Angebot Fachleistungen im Persönlichen Budget“ für die Ast. für den „Hilfebedarf/Leistungen Unterstützung bei der Führung des Haushalts, Planung Einkauf, Gesprächsangebote psychosozialer Bereich, Freizeitangebote“ 3,00 Stunden pro Woche/12,9 Stunden pro Monat à 47,00 € sowie „Führung Schriftverkehr, Beantragung Sozialleistungen (ALG II, UVG, HzG etc.)“ 0,3 Stunden pro Woche/3 Stunden pro Monat à 47,00 € (Gesamtkosten/Monat 747,30 €).

 

Der Salzlandkreis reagierte auf das Angebot nicht. Nachfolgend gingen die Rechnungen vom 1. August, 2. September, 3. und 31. Oktober, 30. November und 31. Dezember 2021 sowie vom 31. Januar, 1. und 31. März sowie 2. Mai 2022 über die Leistungszeiträume Juli 2021 bis April 2022 mit den Rechnungsbeträgen i.H.v. 376,00 €, 211,50 €, 423,00 €, 376,00 €, 564,00 €, 329,00 €, 504,00 €, 468,00 € und 504,00 € - nun auf der Grundlage eines höheren Einzelpreises von 47,00 € bzw. zuletzt 48,00 € - ein, wegen derer auf Blatt 27, 28, 31 bis 35, 40, 53 und 56 der Verwaltungsakte Bezug genommen wird.

 

Der Salzlandkreis holte eine amtsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Öffentlichen Gesundheitsdienst und Kinderheilkunde  Dr. G. (im Weiteren: Dr. G.) vom 16. September 2021 ein. Dieser kam nach einem Hausbesuch bei der Ast. zu dem Ergebnis, bei dieser lägen eine leichte geistige Behinderung (ICD Diagnoseschlüssel F 70), eine leichte depressive Störung (ICD Diagnoseschlüssel F 32.0) und ein Vermüllungssyndrom (ohne ICD Diagnoseschlüssel) vor. Leitsyndrom sei die geistige Behinderung; zusätzlich begleitend bestehe eine seelische Behinderung. Wegen der Einzelheiten des Gutachtens wird auf Blatt 1 bis 5 des medizinischen Beiheftes verwiesen.

 

Im nachfolgenden Gesamtplanverfahren nach §§ 117 ff. SGB IX sind von der Ast. als Leitziele formuliert worden: „Dass ich richtig leben kann. Dass ich Platz habe und dass alles aufgeräumt ist und so bleibt.“ In Bezug auf Bildung/Arbeit/Tagesstruktur hat sie als Ziele einen strukturierten Tagesablauf und das Ausführen der Nebentätigkeit als Reinigungsfrau benannt. In Bezug auf Selbstversorgung/Haushalt im Wohnen hat sie als Ziele ebenfalls die Strukturierung des Tagesablaufs, zu lernen Hilfe anzunehmen und auch einzufordern sowie Ordnung zu schaffen und diese zu halten, angegeben. Im Hinblick auf die persönliche Lebensplanung/Gestaltung sozialer Beziehungen/Freizeit hat die Ast. als Ziele formuliert, sie möchte und brauche jemanden zum Reden, sie wolle eigene Interessen hervorheben und lernen mit ihrer Trauer (Tod der Mutter und des Vaters von Tochter M. umzugehen. In Bezug auf die Teilleistung Wohnen ist in der Gesamtbetrachtung eine leichte Beeinträchtigung angenommen und die Einstufung in die Hilfebedarfsgruppe 2 vorgenommen worden. Wegen der Einzelheiten des Gesamtplangesprächs vom 13. Oktober 2021 und der Beurteilung im Gesamtplanverfahren am 15. November 2021 wird auf Blatt 6 bis19 des medizinischen Beiheftes Bezug genommen.

 

Mit Bescheid vom 15. März 2022 lehnte der Salzlandkreis im Namen des Trägers der Eingliederungshilfe, des Ag., den Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe gemäß § 99 SGB IX in Form eines Persönlichen Budgets nach § 29 SGB IX ab. Die vorliegende amtsärztliche Stellungnahme vom 16. September 2021 habe eine leichte geistige Behinderung im Sinne einer Lernbehinderung ergeben. Die Lernbehinderung erfülle nicht die wesentlichen Tatbestandsmerkmale einer wesentlichen geistigen Behinderung, da in der Regel keine wesentliche Beeinträchtigung der Teilhabefähigkeit gegeben sei. Weiterhin liege der festgestellten Lernbehinderung keine Feststellung des Intelligenzquotienten (IQ-Wertes) vor dem 18. Lebensjahr zugrunde. Die leichte depressive Störung stelle ebenfalls keine wesentliche Behinderung im Sinne des § 99 SGB IX dar. Der Antrag auf Assistenzleistungen nach § 113 i.V.m. § 78 SGB XII (gemeint: SGB IX) in Form des Persönlichen Budgets sei demnach abzulehnen. Soweit dem Antrag zu entnehmen sei, dass Unterstützung bei der Führung des eigenen Haushaltes, bei der Geldeinteilung, eine Begleitung/Planung des Einkaufs, die Organisation und Begleitung von Arztbesuchen, Unterstützung bei Antragstellungen und Schriftverkehr eingekauft werden solle, beinhalte die bereits durch den Träger der Jugendhilfe gewährte Leistung in Form eines Erziehungsbeistandes diese Form der Unterstützung. Insoweit sei davon auszugehen, dass durch Erweiterung und Anpassung der Leistungen des Jugendhilfeträgers ausreichende Hilfe zur Verfügung gestellt werden könne. Die vorliegende leichte depressive Störung müsse zunächst durch ein medizinisches und psychiatrisches-psychologisches Fachpersonal im Rahmen einer vorrangigen medizinischen Behandlung stabilisiert werden. Schließlich habe die Ast. als Erwerbsfähige Anspruch auf Leistungen nach § 16a SGB II.

 

Nachdem “P.“ hiergegen am 31. März 2022 Widerspruch eingelegt hatte, bestätigte der S. den Eingang des Widerspruchs, wies ihn jedoch als Bevollmächtigten wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) zurück (Schreiben vom 12. April 2022). Zudem stelle es einen erheblichen Interessenskonflikt dar, wenn er einerseits verfahrensrechtliche Handlungen vornehme und andererseits der Erbringer der Leistungen sei, um deren Höhe gestritten werde. Daraufhin führte die aus dem Rubrum ersichtliche bevollmächtigte Rechtsanwältin das Widerspruchsverfahren fort. Eine Entscheidung über den Widerspruch steht noch aus.

 

Am 24. Mai 2022 hat die Ast. beim Sozialgericht Magdeburg beantragt, den Ag. zu verpflichten, ihr vorläufig ab sofort, längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen zur sozialen Teilhabe als Assistenzleistungen in Form eines Persönlichen Budgets zu bewilligen. Entgegen der Auffassung des Ag. benötige sie wegen ihrer intellektuellen Einschränkungen in vielen Bereichen des Alltagslebens Unterstützung. Ohne diese sei sie in der gleichberechtigten Teilhabe erheblich eingeschränkt. Es lägen Einschränkungen in der Kommunikation, der eigenständigen Versorgung, des häuslichen Lebens, der sozialen und zwischenmenschlichen Fertigkeiten und der Selbstbestimmtheit vor. Dies bestätigten die amtsärztliche Stellungnahme und der Gesamtplan. Dem Ag. sei auch insoweit nicht zu folgen, als die begehrten Leistungen bereits durch den Erziehungsbeistand abgedeckt werden könnten. Denn diese Leistungen bezögen sich ausschließlich auf die Kindererziehung und Kinderbetreuung. Sie - die Ast.- benötige jedoch Leistungen für sich selbst, um ihre eigene Teilhabe an der Gesellschaft erheblich verbessern zu können. Seit der Unterstützung durch den Leistungserbringer habe sich ihre persönliche und häusliche Situation schon etwas verbessert. Es müssten jedoch weiterhin dringend Leistungen erbracht werden, um eine weitere Verbesserung zu erreichen und einen Rückfall in alte Denkmuster zu vermeiden. Nach Aufforderung durch das Sozialgericht hat die Ast. Fotos ihrer Wohnung übersandt, wegen derer auf Blatt 70 bis 80 der Gerichtsakte Bezug genommen wird. Ergänzend hat sie ausgeführt, es werde mit Unterstützung des Leistungserbringers versucht, die Wohnung gemeinsam aufzuräumen und Müll zu entsorgen. Bisher habe das Ergebnis der Aufräumarbeiten doch immer nur wenige Tage angehalten, zumal sie dann immer wieder neue Dinge in ihre Wohnung verbringe. In der Vergangenheit hätten bereits über zwei Container nicht mehr brauchbare Möbel und beschädigter Hausrat, unter anderem auch mehrere Sofas, entsorgt werden müssen. Auch die Familienhilfe sei erst tätig geworden, nachdem der Leistungserbringer die Antragstellung hierfür in die Wege geleitet habe.

 

Der Ag. hat ergänzend zu seinen Ausführungen im angefochtenen Bescheid darauf hingewiesen, dass fraglich sei, ob überhaupt Fachleistungsstunden erforderlich seien, zumal mit dem Leistungserbringer keine Vereinbarungen gemäß § 123 SGB IX bestünden und somit keine Standards bezüglich der Leistungen, der Qualität und des Personals vorhanden seien.

 

Das Sozialgericht hat den Ag. mit Beschluss vom 25. Juli 2022 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, für die Ast. vorläufig ab dem 24. Mai bis zum 30. November 2022, längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, die Kosten für Leistungen der sozialen Teilhabe als Assistenzleistungen beim Wohnen durch Unterstützung bei der Führung des Haushalts in Form eines Persönlichen Budgets zu übernehmen. Nach summarischer Prüfung gehöre die Ast. zum leistungsberechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe. Bei dieser liege eine wesentliche Behinderung vor. Aus der amtsärztlichen Stellungnahme vom 16. September 2021 ergebe sich, dass aufgrund der leichten geistigen Intelligenzminderung im Sinne einer Lernbehinderung und der seelischen Behinderung ein großer Hilfebedarf bestehe. Insofern habe der Amtsarzt nicht nur eine Lernbehinderung, sondern auch eine weitere psychische Störung festgestellt. Aufgrund des Vermüllungssyndroms liege eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor. Hier sei den Ausführungen des Amtsarztes zu entnehmen, dass die Wohnung trotz der bereits erhaltenen Hilfe nach wie vor „messihaft verkramt“ sei. Die Ast. leide an einer messihaften Störung und könne die wahllos herumliegenden Umstände nicht sortieren. Trotz der bereits erfolgten intensiven Hilfe könnten nur geringe Fortschritte verzeichnet werden und es komme immer wieder zu Rückfällen in die alten Verhaltensmuster. Auch im Rahmen des Gesamtplanverfahrens werde ausgeführt, dass die Ast. nicht eigenständig in der Lage sei, eine Grundordnung herzustellen. Zudem mangele es an einer geregelten Tagesstruktur. Vor diesem Hintergrund sei auch glaubhaft, dass die Ast. trotz der bereits zweimaligen Müllentsorgung mittels großer Container erneut ihre Wohnung zugemüllt habe. Dies wiederum zeige, dass es nicht bei einer einmaligen Aufräumaktion zu belassen sei, sondern die Ast. Begleitung und Assistenz in der Befähigung bedürfe. Damit lägen die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe vor. Der Leistungsumfang umfasse auch Assistenzleistungen. Derartige Leistungen seien hier erforderlich, geeignet und in dieser Form von dem Amtsarzt ausdrücklich befürwortet worden. Der Anspruch der Ast. auf Eingliederungshilfe sei auch nicht bereits durch die Leistungen nach dem SGB VIII in Form des Erziehungsbeistandes erfüllt. Hier gehe es allein um die Interaktion des Erziehungsberechtigten zu den Kindern. Mittelbar könne damit zwar auch die normale Haushaltsführung umfasst sein. Hier gingen jedoch die Probleme der Ast. bei der Haushaltsführung über das normale Maß von Unordnung und Unsauberkeit hinaus. Zudem sei die Ast. nicht auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach §§ 14 ff. SGB II, insbesondere nach § 16a SGB II, zu verweisen. Denn es gehe hier um das elementare Grundbedürfnis der Haushaltsführung, das im Rahmen der Eingliederungshilfe zu erbringen sei. Die Haushaltsführung habe keinen Bezug zur Berufsausübung. Die Assistenzleistungen seien auch in Form des Persönlichen Budgets nach § 29 SGB IX zu erbringen. Dabei sei unerheblich, dass (bislang) zwischen den Beteiligten keine Zielvereinbarung abgeschlossen worden sei. Das Bundessozialgericht (BSG) habe die Zielvereinbarung als lediglich formelle Voraussetzung für die Vereinbarung eines Persönlichen Budgets eingeordnet und im Übrigen offengelassen, welche Folgen aus dem Fehlen einer Zielvereinbarung für den Anspruch des Berechtigten abzuleiten seien (Urteil des BSG vom 28. Januar 2021 - B 8 SO 9/19 R-, juris, RdNr. 28). Ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache sei der Ast. nicht zuzumuten. Sie sei nicht in der Lage, selbst eine Assistenz zu bezahlen. Anhand der bislang eingereichten Rechnungen des Leistungserbringers sei erkennbar, dass das zur Verfügung stehende monatliche Einkommen der Ast. nicht ausreiche, um selbst die Assistenz zu bezahlen. Im Hinblick auf § 29 Abs. 1 S. 5 SGB IX sei die Gewährung in zeitlicher Hinsicht auf maximal sechs Monate nach Antragstellung zu begrenzen.

 

Gegen den ihm am 27. Juli 2022 zugestellten Beschluss hat der Ag. am 4. August 2022 Beschwerde beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, es liege bereits kein zulässiger Antrag vor, da J. sowohl als Bevollmächtigter als auch als Leistungsanbieter der Firma P. aufgetreten und damit die Antragstellung als ein unzulässiges Insichgeschäft gemäß § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anzusehen sei und er somit ohne Vertretungsvollmacht gehandelt habe. Selbst wenn man davon ausginge, dass ein Antrag vorläge, habe J. nicht wirksam Widerspruch erheben können. Ungeachtet dessen liege bei der Ast. eine wesentliche Behinderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGB IX nicht vor. Sie leide an einer leichten Intelligenzminderung und einer leichten depressiven Störung. Das Vermüllungssyndrom sei ohne ICD-Diagnoseschlüssel aufgenommen worden, da hierfür kein Schlüssel vorhanden sei. Zudem sei die Ast. arbeitsfähig. Sie habe eine Lernbehindertenschule besucht. Ein GdB sei bei ihr nicht festgestellt worden. Sie befinde sich nicht in fachärztlicher Behandlung hinsichtlich der leichten depressiven Störung. Die Leistung der Familienhilfe sei auf die ganze Familie ausgerichtet und umfasse auch hauswirtschaftliche Hilfestellungen wie die Befähigung der Sorgeberechtigten zur Haushaltsführung. Letztlich seien die vorgelegten Rechnungen nicht nachvollziehbar. Es sei keine Kalkulation vorgelegt worden. Aus der Beschreibung in der Rechnung sei nicht ersichtlich, welche Leistungen konkret erbracht worden und wozu Fachleistungen mit einer Vergütung von 40,00 € pro Stunde erforderlich seien. Es sei nicht beschrieben, was besondere psychosoziale Angebote sein sollten. Auf den übersandten Leistungsnachweisen habe an der Mehrzahl der Tage nicht die Ast., sondern die Fachkraft unterschrieben. In anderen Nachweisen habe die Ast. unterschrieben, jedoch nicht die Fachkraft. Ein Nachweis, dass die Leistungen erbracht worden seien, könne daher nicht geführt werden. Soweit eine erhebliche Stundenzahl für Schriftverkehr und Antragstellung aufgeführt seien, könnten derartige Leistungen nicht abgerechnet werden, da sie nicht zur Leistung gehörten [sic].

 

Die Ag. beantragt,

 

den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg  vom 25. Juli 2022 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

 

Die Ast. beantragt,

 

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Sie habe einen wirksamen Antrag auf Eingliederungshilfe gestellt, da sie J. eine wirksame Vollmacht erteilt habe. Dieser habe dann auch wirksam Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid erhoben. Verfahrenshandlungen eines zurückgewiesenen Bevollmächtigten seien gemäß § 13 Abs. 7 S. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erst dann unwirksam, wenn diese nach der Zurückweisung vorgenommen würden. Das Sozialgericht Magdeburg habe in seinem Beschluss vom 25. Juli 2022 zutreffend ausgeführt, dass bei ihr eine wesentliche Behinderung im Sinne von § 99 SGB IX gegeben sei. Das sogenannte Vermüllungssyndrom sei als komplexe psychische Störung anerkannt, die zunächst durch eine Vernachlässigung der eigenen Erscheinung und Körperpflege und des Wohnbereichs, sozialen Rückzug und die Ablehnung von Hilfe durch andere gekennzeichnet sei. Die zugrundeliegenden psychischen Störungen könnten im Sinne einer Zwangskrankheit, Depression, Persönlichkeitsstörung oder anderen psychischen Erkrankungen vorliegen. Bei ihr bestehe aufgrund dessen eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Zweckrichtung der Erziehungshilfe sei es, Erziehungsdefizite aufzufangen und abzumildern. Es gehe um die Interaktion des Erziehungsberechtigten zu den Kindern. Insoweit seien die Leistungen der Familienhilfe insbesondere auf hauswirtschaftlichem Gebiet wegen ihrer vorgenannten Erkrankung nicht ausreichend. Der Umstand, dass auf den Leistungsnachweisen überwiegend die Unterschrift der Fachkraft enthalten sei, habe hygienische Gründe. Wegen der Corona-Pandemie habe auf dem verwendeten Tablett-PC nur jeweils eine Person unterschreiben sollen. Der Leistungsanbieter arbeite zudem klientenzentriert. Dafür würden ausschließlich Fachkräfte beschäftigt, die einem jeweiligen Klienten fest zugeordnet seien und dort alle anfallenden Arbeiten erledigten. Einzelne Telefonate und Arztbesuche erledige daher auch diese zugeordnete Fachkraft.

 

Am 30. September 2022 ist das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen der Ast. eröffnet worden (Beschluss des Amtsgerichts M., Az.: 350 IK 8**/22 [362]). Zur Insolvenzverwalterin ist Rechtsanwältin E. , M., bestellt worden. Sie hat dem Senat mit den Schriftsätzen vom 21. November und 8. Dezember 2022 mitgeteilt, dass vorliegend keine Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 240 Zivilprozessordnung (ZPO) eingetreten sei, da der Rechtsstreit die Insolvenzmasse nicht betreffe. Die von der Ast. begehrten Leistungen der sozialen Teilhabe als Assistenzleistungen in Form eines Persönlichen Budgets stellten unpfändbares Vermögen und somit keine Insolvenzmasse dar. Der Rechtsstreit könne durch die Ast. selbstständig außerhalb des Insolvenzverfahrens fortgeführt werden. Sie hat auf die Mitteilung des J. vom 7. Dezember 2022 verwiesen, wonach dieser keine Forderungen gegen die Ast. geltend machen werde, die über gegebenenfalls noch erfolgende Zahlungen des Sozialhilfeträgers hinausgingen. Dies sei der Ast. vor Leistungsbeginn zugesichert worden. Er gehe davon aus, dass gegebenenfalls noch erfolgende Zahlungen des Sozialhilfeträgers als zweckgebundene Leistungen nicht zur Deckung der Verbindlichkeiten eingesetzt werden müssten. Das nunmehr laufende Insolvenzverfahren sei aufgrund seiner Tätigkeit initiiert worden. Wegen der Einzelheiten der gewechselten Schriftsätze und Anlagen wird auf Blatt 168, 171 f., 184, 187, 211 bis 220 der Gerichtsakte verwiesen.

 

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte des Ag., der Inhalt der Entscheidungsfindung des Senats gewesen ist, Bezug genommen.

 

II.

 

Der Senat ist befugt, über die Beschwerde zu entscheiden. Insbesondere ist das Verfahren nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Ast. unterbrochen worden. Die zur Insolvenzverwalterin bestellte Rechtsanwältin hat das Verfahren nicht aufgenommen. Die von J. der Ast. erstellten Rechnungen fallen jedenfalls deshalb nicht in die Insolvenzmasse, weil der Leistungserbringer auf die Durchsetzung der Rechnungsforderungen gegenüber der Ast. verzichtet hat. Insoweit lässt der Senat unentschieden, ob - wie die Insolvenzverwalterin ausgeführt hat - Leistungen der sozialen Teilhabe in Form eines Persönlichen Budgets nach § 29 SGB IX (in der vom dem 1. Januar 2018 bis zum 31. Dezember 2023 geltenden Fassung des Gesetzes vom 23. Dezember 2016, BGBl. I S. 3234) unpfändbar nach § 54 Abs. 3 Nr. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) sind, da diese Geldleistung in strikter Orientierung am behinderungsbedingten Bedarf erbracht wird (so Mrozynski, Kommentar zum SGB I, 6. Aufl. 2019 § 54 RdNr. 14).

 

Umstritten ist im Hinblick auf die allein vom Ag. erhobene Beschwerde, ob er - der Ag.- zu Recht verpflichtet worden ist, die Kosten der Ast. im Zeitraum vom 24. Mai bis zum 30. November 2022 für Leistungen der sozialen Teilhabe als Assistenzleistungen beim Wohnen durch Unterstützung bei der Führung des Haushalts in Form eines Persönlichen Budgets zu übernehmen. Es bestehen bereits Bedenken, ob das Sozialgericht das Begehren des von der Ast. gestellten Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zutreffend ausgelegt hat. Denn die Ast. hat mit ihrem Antrag ausdrücklich die Bewilligung von Leistungen zur sozialen Teilhabe als Assistenzleistungen in Form eines Persönlichen Budgets und nicht die Übernahme der Kosten, die ihr von „P.“ in Rechnung gestellt worden sind, verfolgt. Anknüpfungspunkt für die durch das Sozialgericht vorgenommene Auslegung des Antrags dürfte die im Verwaltungsverfahren vorgenommene Verknüpfung zwischen der Beantragung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Form des Persönlichen Budgets durch den Inhaber von „P.“ und der kontinuierlichen Einreichung der an die Ast. gerichteten Rechnungen für erbrachte „Fachleistungsstunde im Persönlichen Budget […]“ gewesen sein. Da die Ast. ihrerseits keine Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 24. Mai 2022 eingelegt hat, hat der Senat (nur) über die ausgesprochene Verpflichtung zur Kostenübernahme zu entscheiden, denn der im Beschwerdeverfahren streitige Zeitraum ist mit Ablauf des 30. November 2022 beendet.

 

Im Hinblick darauf, dass der vom Beschluss des Sozialgerichts umfasste Zeitraum bereits abgeschlossen ist und durch die vorläufige Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dessen Rechte nicht unmittelbar berührt werden, hat der Senat eine Beiladung des Inhabers von „P.“ im Beschwerdeverfahren nicht vornehmen müssen.

 

Die Beschwerde ist nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da sie nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen ist. Denn die von der Verpflichtung betroffene Kostenerstattung übersteigt den Schwellenwert in § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG deutlich. Die Beschwerde ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG).

 

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

 

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 und 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht die isolierte Anfechtungsklage die zutreffende Klageart ist, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte; einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Nach Satz 4 dieser Vorschrift gelten die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Abs. 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 ZPO entsprechend.

 

Ein Anordnungsanspruch für die begehrte Regelungsanordnung besteht nicht, da der Ag. keine Leistungen der sozialen Teilhabe als Assistenzleistungen in Form eines Persönlichen Budgets erbringen muss. Damit scheidet auch eine Entscheidung auf der Grundlage einer Folgenabwägung aus, die zumindest mögliche Erfolgsaussichten des Begehrens in der Hauptsache voraussetzt.

 

Der Ag. ist sachlich und örtlich zuständig für Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem SGB IX (§ 94 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 1. Juli 2021 geltenden Fassung des Gesetzes vom 23. Dezember 2016, BGBl. I S. 3234 i.V.m. § 1 des Gesetzes zur Ausführung des SGB IX - AG SGB IX - vom 5. Dezember 2019, GVBl. LSA 2019, S. 948; § 98 Abs. 1 S. 1 SGB IX).

 

Die Ast. hat Leistungen der Eingliederungshilfe auch rechtswirksam beantragt. Sie hat den Inhaber von „P“ J. mit der Antragstellung beauftragt. Dieser hat die schriftliche Vollmacht der Ast. dem formlosen Antrag vom 23. November 2020 beigefügt und den Formantrag am 20. Januar 2021 eingereicht. Die auf die Bewilligung einer Leistung der Eingliederungshilfe gegenüber dem Ag. gerichtete Antragstellung gemäß § 108 SGB IX als solche stellt kein unzulässiges Insichgeschäft gemäß § 181 BGB dar. Dies gilt zumindest, soweit der Antrag auf Leistungen der Eingliederungshilfe dem Grunde nach gerichtet ist. Ob gegebenenfalls eine analoge Anwendung der Beschränkungen eines gesetzlichen Betreuers hier u.a. dazu führen würde, dass das Persönliche Budget nicht für Leistungen von „P.“ verwendet werden darf (was gegebenenfalls auf der Ebene einer Zielvereinbarung geregelt werden könnte), bedarf im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Hintergrund der nachfolgenden Erwägungen keiner abschließenden Klärung. Der die beantragten Leistungen ablehnende Bescheid vom 15. März 2022 ist auch nicht bestandskräftig geworden. Denn der von der Ast. bevollmächtigte J. hat form- und fristgerecht Widerspruch eingelegt. Der Widerspruchseingang ist an ihn durch den Salzlandkreis auch bestätigt worden. Die Zurückweisung des Bevollmächtigten ist nachfolgend vorgenommen worden, sodass diese Zurückweisung erstmals auf Verfahrenshandlungen danach hätte Auswirkungen entfalten können (§ 13 Abs. 7 S. 2 SGB X).

 

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 99 Abs. 1 und 4 SGB IX (in der hier in Bezug auf den abgeschlossenen Verpflichtungszeitraum noch anwendbaren Fassung vom 2. Juni 2021, gültig vom 1. Juli 2021 bis zum 31. Dezember 2022) i.V.m. §§ 1 ff. Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) liegen - insbesondere im Rahmen einer gebundenen Entscheidung - nicht vor.

 

Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten nach § 99 Abs. 1 SGB IX Menschen mit Behinderungen im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX, die wesentlich in der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind (wesentliche Behinderung) oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe nach § 90 SGB IX erfüllt werden kann. Von einer wesentlichen Behinderung bedroht sind Menschen, bei denen der Eintritt einer wesentlichen Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

 

Nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

 

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere im Rahmen der amtsärztlichen Begutachtung vom 16. September 2021, ist die Ast. nicht „wesentlich" in ihrer Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt. Ein GdB ist weder beantragt noch festgestellt. Die Ast. erfüllt nicht die Voraussetzungen der besonders geregelten Beispiele der körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behinderten Menschen im Sinne der §§ 1 bis 3 der EinglHV. Die Ast. ist weder geistig wesentlich behindert im Sinne des § 2 EinglHV, noch seelisch wesentlich behindert i.S.v. § 3 EinglHV. Nach der Beurteilung durch den Amtsarzt Dr. G. liegen jeweils eine leichte geistige und eine leichte depressive Störung vor. Dr. G. hat insoweit die ICD-Diagnoseschlüssel F 70 und F 32.0 verwendet. Die Ast. ist dementsprechend in der Lage, seit Juli 2020 regelmäßig einer geringfügigen Beschäftigung nachzugehen, sich mit - wöchentlich sechsstündiger - Unterstützung durch einen Erziehungsbeistand als Alleinerziehende um ihre drei Kinder zu kümmern, von denen eines pflegebedürftig nach dem Pflegegrad 2 ist. Eine wesentliche geistige Behinderung ist regelmäßig bei einem IQ von unter 50 indiziert und bei einem IQ zwischen 50 und 70 in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen (Wehrhahn in juris PK-SGB IX, Stand 14. November 2022, § 99 SGB IX RdNr. 32). Zwar ist hier ein IQ der Ast. nicht festgestellt worden; die vorgeschriebenen Fähigkeiten in Beruf und Familie sowie die Einschätzungen durch den Amtsarzt lassen nicht auf eine wesentliche geistige Behinderung schließen. Seelisch wesentlich behindert i.S.v. § 3 EinglHV sind Menschen, die an körperlich nicht begründbaren Psychosen (Nr. 1), seelischen Störungen als Folge von Krankheiten und oder Verletzungen des Gehirns, von Anfallsleiden oder von anderen Krankheiten oder körperlichen Beeinträchtigungen (Nr. 2), Suchtkrankheiten (Nr. 3) und Neurosen und Persönlichkeitsstörungen (Nr. 4) leiden. Auch die vorstehenden Erkrankungen sind von Dr. G. nicht festgestellt worden. Medizinische Behandlungsunterlagen über derartige Erkrankungen sind ebenfalls nicht aktenkundig. Die Aufzählung in § 3 EinglHV ist abschließend (Wehrhahn in juris PK-SGB IX, Stand 14. November 2022, § 99 SGB IX RdNr. 34). Insoweit kann das von dem Amtsarzt festgestellte Vermüllungssyndrom nicht als wesentliche seelische Behinderung berücksichtigt werden. Insbesondere die Zuordnung eines Diagnoseschlüssels ist hier nicht erfolgt.

 

Von einer drohenden wesentlichen geistigen oder seelischen Behinderung ist hier nicht auszugehen, da es sich bei der leichten geistigen und seelischen Behinderung nicht um eine regelmäßig progrediente Erkrankung handelt, die eine Verschlechterung von Beeinträchtigungen als wahrscheinlich erwarten lässt.

 

Soweit Menschen mit anderen geistigen, seelischen, körperlichen oder Sinnesbeeinträchtigungen, durch die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren in der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind, nach § 99 Abs. 3 SGB IX Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten können, steht insoweit die Leistungsgewährung dem Grunde nach im Ermessen des Sozialhilfeträgers. Die Verpflichtung des Ag. im Rahmen der einstweiligen Anordnung setzt insoweit eine Ermessensreduzierung auf Null voraus, die vom Senat hier nicht gesehen wird.

 

Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung über die vorläufige Gewährung eines Persönlichen Budgets fehlt es hier ebenfalls an wesentlichen Voraussetzungen. Inwieweit ein Persönliches Budget trotz fehlender Zielvereinbarung im Wege des Eilrechtsschutzes oder im Klagewege durchsetzbar ist, ist umstritten. Zwar handelt es sich bei der Zielvereinbarung nach der Rechtsprechung des BSG lediglich um eine formelle Voraussetzung für die Bewilligung von Teilhabeleistungen in Form eines Persönlichen Budgets (vgl. Urteil vom 28. Januar 2021, B 8 SO 9/19 R, juris, RdNr. 27). Welche Konsequenzen eine fehlende Zielvereinbarung für das Persönliche Budget gemäß § 29 SGB IX in der vom dem 1. Januar 2018 bis zum 31. Dezember 2023 geltenden - und damit zeitlich vom Gesetzgeber ausdrücklich begrenzten - Fassung hat, ist höchstrichterlich jedoch nicht geklärt (offen gelassen in BSG, a. a. O.; Beschluss des erkennenden Senats vom 18. August 2022 - L 8 SO 24/22 B ER -, juris, RdNr. 51 m.w.N.).

 

Hier dürfte maßgeblich sein, dass noch keinerlei Absprachen zwischen den Beteiligten über Art und Umfang der Eingliederungshilfe erfolgt sind, also insbesondere keine bereits für einen vorhergehenden Zeitraum abgeschlossene Zielvereinbarung Nachwirkungen hätte entfalten können (vgl. hierzu Beschluss des erkennenden Senats vom 18. August 2022 - L 8 SO 24/22 B ER -, juris, RdNr. 52 m.w.N.).

 

Auch könnten sich die in Form eines Persönlichen Budgets zu bewilligenden Leistungen nicht an den erstellten Rechnungen in dem Zeitraum ab Januar 2021 oder an dem Angebot von „P.“ vom 26. Juli 2021 orientieren, da dort Leistungen aufgeführt sind, die offenkundig nicht mit dem im Gesamtplanverfahren ermittelten Hilfebedarf in Zusammenhang stehen. Denn in dem Gesamtplanverfahren ist im Bereich Wohnen eine leichte Beeinträchtigung festgestellt worden, für die Unterstützungsbedarf nach der Hilfebedarfsgruppe 2 bestehe. In den Rechnungen sind die Bereiche „Arbeit und Beschäftigung/besondere psychosoziale Angebote“ und im Angebot vom 26. Juli 2021 die Bereiche Unterstützung bei der „Führung des Haushalts, Planung Einkauf, Gesprächsangebote psychosozialer Bereich, Freizeitangebote, Führung Schriftverkehr, Beantragung zu Sozialleistungen (ALG II, UVG, HzE etc.)“ aufgeführt. Die letztgenannten Leistungen sind dem Aufgabenbereich eines gerichtlich bestellten Betreuers - welcher von der Ast. außerhalb der Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers in Anspruch genommen werden könnte - zuzuordnen, und der von J. in seiner Tätigkeit als Berufsbetreuer auch angeboten wird. Inwieweit Unterstützungsbedarf in Bezug auf die Haushaltsführung und den Einkauf neben der Tätigkeit des Erziehungsbeistandes besteht, ist ebenfalls nicht abschließend feststellbar gewesen. Schließlich ist nicht nachzuvollziehen, weshalb der Hilfebedarf im Bereich Wohnen, der in der Vergangenheit mit der Entsorgung von überflüssigen Möbelstücken und fortlaufend mit der Hilfestellung beim Aufräumen verbunden gewesen ist, durch eine Fachkraft abzudecken ist.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.

 

Die Ast. hat Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten. Sie kann nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen. Die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist bereits wegen des Erfolgs im ersten Rechtszug nicht zu prüfen (§§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 119 Abs. 1 S. 2 ZPO).

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).

 

Klamann                                        Fischer                                          Hüntemeyer

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