B 12 R 14/21 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 90/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 337/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 R 14/21 R
Datum
Kategorie
Urteil

 

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. Oktober 2021 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage hinsichtlich des Zahlungsbegehrens für die Jahre 2014 und 2015 abgewiesen wird.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

G r ü n d e :

I

1
Die Beteiligten streiten über die Nachzahlung freiwilliger Beiträge für die Zeit vom 1.3.2002 bis zum 31.12.2015.

2
Der am 1960 geborene Kläger wurde für die Zeiten vom 1.8.1977 bis zum 31.7.1980, vom 1.8.1981 bis zum 31.8.1982 und vom 27.9.1982 bis zum 4.10.1982 in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) nachversichert und hat vom 13.4.1988 bis zum 30.4.1989 und vom 22.5.1989 bis zum 28.2.2002 Pflichtbeitragszeiten erfüllt. Seit dem 1.3.2002 ist er Mitglied im Versorgungswerk der Steuerberater und auf seinen Antrag von der Rentenversicherungspflicht befreit (Bescheid vom 16.5.2002). Auf Nachfrage, ob er durch Zahlung freiwilliger Beiträge den Berufsunfähigkeitsschutz in der GRV aufrechterhalten könne, wurde ihm von der Rechtsvorgängerin der Beklagten (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, im Folgenden einheitlich: Beklagte) mit Schreiben vom 23.5.2002 "zur Aufrechterhaltung des Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsschutzes" ein Formular zur Beantragung der Zahlung von freiwilligen Beiträgen übersandt. Einen entsprechenden Antrag stellte er nicht.

3
Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Anrechnungszeit wegen Hochschulausbildung für die Zeit vom 3.10.1986 bis zum 12.4.1988 ab (Bescheid vom 24.8.2004; Widerspruchsbescheid vom 2.11.2004). Diese Zeit ließ sie auch in einem weiteren Kontenklärungsverfahren 2009 trotz erneuten Hinweises des Klägers unberücksichtigt. Im Oktober 2015 teilte die Beklagte dem Kläger auf Nachfrage mit, eine Nachzahlung freiwilliger Beiträge für seine Hochschulzeit vom 5.10.1982 bis zum 12.4.1988 sei nicht möglich, weil er bereits das 45. Lebensjahr vollendet habe.

4
Seit dem 21.11.2016 ist dem Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 zuerkannt. Seinem Antrag von Dezember 2016 auf Zahlung freiwilliger Beiträge für die Zeit ab Januar 2016 entsprach die Beklagte (Bescheid vom 9.2.2017). Schließlich erkannte sie die Zeit der Hochschulausbildung vom 3.10.1986 bis zum 12.4.1988 als Anrechnungszeit an (Bescheid vom 14.2.2017). Damit hatte der Kläger auf die 35jährige Wartezeit anzurechnende 299 Kalendermonate mit rentenrechtlichen Zeiten (218 Monate Beitragszeiten und 81 Monate Anrechnungszeiten) zurückgelegt.

5
Mit Schreiben vom 8.3.2017 beantragte der Kläger die Nachzahlung von Mindestbeiträgen. Er beabsichtige, eine vorzeitige Altersrente in Anspruch zu nehmen. Er sei nicht darüber informiert worden, dass auch in der Vergangenheit die Möglichkeit bestanden habe, freiwillige Beiträge zu zahlen. Die Beklagte lehnte eine freiwillige Beitragszahlung für die Zeit vor dem 1.1.2016 ab. Wegen des im Dezember 2016 gestellten Antrags auf Zahlung freiwilliger Beiträge sei eine freiwillige Versicherung erst ab Januar 2016 zulässig. Ein Beratungsmangel liege nicht vor. Der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 23.5.2002 auf die Möglichkeit einer freiwilligen Beitragszahlung hingewiesen worden. Im Oktober 2015 sei ein Informationsblatt überlassen und auf eine Beratungsmöglichkeit hingewiesen worden (Bescheid vom 3.5.2017; Widerspruchsbescheid vom 12.3.2019).

6
Den weiteren Antrag des Klägers vom 7.10.2017, ihm die Nachzahlung freiwilliger Beiträge für die Jahre 2014 und 2015 zu ermöglichen, weil er sich damals krankheitsbedingt nicht um seine Beitragsangelegenheiten habe kümmern können, lehnte die Beklagte ebenfalls ab (Bescheid vom 6.3.2018; Widerspruchsbescheid vom 12.3.2019). Die insoweit erhobene Klage hat das SG abgewiesen (S 6 R 89/19; Urteil vom 27.10.2020). Diesen Rechtsstreit haben die Beteiligten im Berufungsverfahren für erledigt erklärt, nachdem die Beklagte die angefochtenen Bescheide zurückgenommen hatte.

7
Die gegen den Bescheid vom 3.5.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 12.3.2019 mit dem Ziel erhobene Klage, die Zahlung freiwilliger Beiträge für die Zeit vom 1.3.2002 bis zum 31.12.2013 zuzulassen, hat das SG ebenfalls abgewiesen (S 6 R 90/19; Urteil vom 27.10.2020). Die auf Beitragszahlung für die Zeit vom 1.3.2002 bis zum 31.12.2015 gerichtete Berufung hat das LSG zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Erweiterung des Klageantrags um die Nachzahlung für die Jahre 2014 und 2015 sei nach § 99 Abs 3 Nr 2 iVm § 153 Abs 1 SGG zulässig. Der Kläger habe aber keinen Anspruch auf Nachzahlung freiwilliger Beiträge. Freiwillige Beiträge könnten nach § 197 Abs 2 SGB VI wirksam nur bis zum 31.3. des jeweiligen Folgejahres nachgezahlt werden. Die Voraussetzungen eines Härtefalls iS von § 197 Abs 3 SGB VI seien nicht erfüllt. Dies setze regelmäßig einen Rechts oder Anwartschaftsverlust oder einen gewichtigen rentenrechtlichen Nachteil voraus. Die Anwartschaft auf eine Rente wegen Erwerbsminderung (Berufsunfähigkeit) habe der Kläger bereits aufgrund der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht verloren. Über eine Anwartschaft auf eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen habe er nicht verfügt, denn die hierfür erforderliche Wartezeit sei zu keinem Zeitpunkt erfüllt gewesen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Kläger an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert gewesen wäre. Krankheitsbedingte Einschränkungen trage er selbst nur für die Jahre 2014 und 2015 vor. Der Kläger habe die Nachzahlung freiwilliger Beiträge erst beantragt, nachdem ihm ein GdB von 50 zuerkannt worden sei. 2002 habe er lediglich zur Aufrechterhaltung seines Berufsunfähigkeitsschutzes nachgefragt. Danach sei es ihm um die Schließung von Beitragslücken durch Anerkennung der Hochschulausbildung gegangen. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch sei neben der Härtefallregelung des § 197 Abs 3 SGB VI nicht anwendbar (Urteil vom 4.10.2021).

8
Mit seiner Revision rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung von § 197 Abs 3 SGB VI und der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Die gesetzliche Härtefallregelung sei im Verhältnis zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht die speziellere Regelung. Der Begriff der Härte umfasse nicht ein Verschulden des Rentenversicherungsträgers und die Vorschrift normiere für ein solches Verschulden auch keine Rechtsfolge. Auch den Gesetzesmaterialien lasse sich ein Ausschluss des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht entnehmen. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass dem Gesetzgeber die entsprechende Rechtsprechung des BSG bezüglich der für Pflichtbeiträge geltenden Härtefallregelung bekannt gewesen sei. Die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs seien erfüllt.

9
Der Kläger beantragt,

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. Oktober 2021 und des Sozialgerichts Kassel vom 27. Oktober 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. März 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zahlung von freiwilligen Beiträgen für die Zeit vom 1. März 2002 bis zum 31. Dezember 2015 zuzulassen.

10
Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

11
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend. Der Kläger sei seit dem 1.3.2002 nicht daran gehindert gewesen, freiwillige Beiträge zu zahlen. Abgesehen davon, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht zur Anwendung komme, habe ein Beratungsfehler nicht vorgelegen. Schließlich sei die spätere Schwerbehinderung des Klägers nicht absehbar gewesen.


II

12
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht dem Rechtsmittel des Klägers den Erfolg versagt. Der Bescheid der Beklagten vom 3.5.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.3.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf wirksame Nachzahlung freiwilliger Beiträge für die Zeit vom 1.3.2002 bis zum 31.12.2015.

13
1. Der Senat hat über diesen gesamten Zeitraum zu entscheiden. An die  im Übrigen zutreffende  Entscheidung des LSG, dass in der Erweiterung des Klageantrags um die Jahre 2014 und 2015 keine Klageänderung liege (§ 99 Abs 3 Nr 2 iVm § 153 Abs 1 SGG), ist der Senat gebunden (§ 99 Abs 4 iVm § 153 Abs 1 SGG; vgl BSG Urteil vom 9.11.2010  B 2 U 14/10 R  SozR 42700 § 8 Nr 39 RdNr 14). Dem steht das Urteil des SG vom 27.10.2020 in dem Verfahren S 6 R 89/19 nicht entgegen. Diese Entscheidung ist dadurch, dass die Beteiligten im Berufungsverfahren den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wirkungslos geworden (vgl § 202 Satz 1 SGG iVm § 269 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO und BSG Urteil vom 1.7.2010  B 13 R 58/09 R  BSGE 106, 254 = SozR 41500 § 102 Nr 1, RdNr 36; zur Auslegung einer Erledigungserklärung als Klagerücknahme vgl Hauck, SGb 2004, 407, 412; Roller, NZS 2003, 357, 358 f). Allerdings war der Tenor des Berufungsurteils zu berichtigen und die Klage auf Zulassung freiwilliger Beiträge für die Jahre 2014 und 2015 abzuweisen. Denn hierüber hat das LSG nicht als Berufungsgericht, sondern erstinstanzlich entschieden (vgl hierzu Keller in MeyerLadewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 29 RdNr 3a f).

14
2. Der Kläger ist weder nach § 197 Abs 2 SGB VI (hierzu a) noch aufgrund der Härtefallregelung des § 197 Abs 3 SGB VI (hierzu b) berechtigt, freiwillige Beiträge für die Zeit vom 1.3.2002 bis zum 31.12.2015 zu zahlen. Eine Pflichtverletzung der Beklagten liegt nicht vor (hierzu c). Der Senat musste daher nicht entscheiden, ob grundsätzlich neben der gesetzlichen Härtefallregelung noch Raum für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist.

15
a) Nach § 197 Abs 2 SGB VI (in der Neufassung des SGB VI vom 19.2.2002, BGBl I 754) sind freiwillige Beiträge (nur) wirksam, wenn sie bis zum 31.3. des Jahres gezahlt werden, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen. Bis jeweils März der Jahre 2003 bis 2016 hat der Kläger für die Zeit vom 1.3.2002 bis zum 31.12.2015 keine freiwilligen Beiträge gezahlt. Die jeweilige Zahlungsfrist war auch nicht nach § 198 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI (in der Fassung <idF> des Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetzes vom 21.6.2002, BGBl I 2167) durch ein Beitragsverfahren oder ein Verfahren über einen Rentenanspruch unterbrochen. Der Kläger hat erstmals mit Schreiben vom 8.3.2017 einen Antrag auf Zulassung freiwilliger Beiträge für den Zeitraum 1.3.2002 bis 31.12.2015 gestellt und erst dadurch ein entsprechendes Beitragsverfahren eingeleitet. Im Zusammenhang mit seinem Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht Anfang 2002 bat er lediglich um Mitteilung, ob er durch Zahlung freiwilliger Beiträge den Berufsunfähigkeitsschutz aufrechterhalten könne. Einen entsprechenden Antrag stellte er trotz Übersendung des Antragsformulars nicht. Eine Nachfrage des Klägers von Juli 2015 bezog sich lediglich auf die Zahlung freiwilliger Beiträge für seine Hochschulzeit vom 5.10.1982 bis zum 12.4.1988. Sein Antrag von Dezember 2016 war auf die Zahlung freiwilliger Beiträge für die Zeit ab Januar 2016 gerichtet und außerdem für den hier streitigen Zeitraum vor Januar 2016 außerhalb der Frist des § 197 Abs 2 SGB VI gestellt worden.

16
b) Der Kläger kann sich nicht auf die Ausnahme- und Härtefallregelung des § 197 Abs 3 Satz 1 SGB VI (in der Neufassung des SGB VI vom 19.2.2002, BGBl I 754) berufen. Danach ist auf Antrag der Versicherten die Zahlung von Beiträgen in Fällen besonderer Härte, insbesondere bei drohendem Verlust der Anwartschaft auf eine Rente, auch nach Ablauf der in den Abs 1 und 2 genannten Fristen zuzulassen, wenn die Versicherten an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert waren. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des BSG (hierzu aa), der mit einer frühzeitigen Beitragszahlung verbundenen Zielsetzung (hierzu bb) und des gesetzlichen RegelAusnahme-Verhältnisses (hierzu cc) liegt ein Fall "besonderer Härte" nicht vor (hierzu dd). Der Kläger war auch nicht ohne Verschulden an der rechtzeitigen Beitragszahlung gehindert (hierzu ee).

17
aa) Das BSG (Urteil vom 18.12.2001  B 12 RA 4/01 R  juris RdNr 14) ist bei einer Beitragslücke von einem Jahr von einer besonderen Härte ausgegangen, wenn deswegen die Anwartschaft auf Berufs oder Erwerbsfähigkeitsrente nicht gewahrt werde. Der drohende Verlust einer Rentenanwartschaft ist in § 197 Abs 3 Satz 1 SGB VI ausdrücklich als denkbarer Härtefall aufgeführt und nach der Gesetzesbegründung zur Einführung dieser Vorschrift durch das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992, BTDrucks 11/4124) stand hierbei insbesondere die Vermeidung sozialer Härten durch den Erhalt der Anwartschaft auf eine Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit im Focus (BTDrucks aaO S 189 f  Zu § 192  Wirksamkeit von Beiträgen). Selbst bei einem drohenden Verlust der Anwartschaft auf Rente wegen Berufs oder Erwerbsunfähigkeit infolge eines dreimonatigen Beitragsausfalls hat der erkennende Senat aber Zweifel am Vorliegen einer besonderen Härte geäußert, wenn der Versicherte dem Verlust der Anwartschaft durch die Begründung einer Versicherungspflicht auf Antrag hätte vorbeugen können, auch wenn dies mit höheren Beiträgen verbunden gewesen wäre (BSG Urteil vom 19.6.2001  B 12 RA 8/00 R  SozR 32600 § 197 Nr 3 S 14 = juris RdNr 23). Ob in einem Fall nachträglicher Anerkennung von GhettoBeitragszeiten aufgrund der Härtefallregelung weitere freiwillige Beiträge zur Erfüllung der allgemeinen Wartezeit zuzulassen sind, hat der 12. Senat ausdrücklich offengelassen (BSG Urteil vom 30.4.2013  B 12 R 12/11 R  SozR 45075 § 3 Nr 3 RdNr 41 f; vgl zum Härtefall aufgrund von Zwangsarbeit auch BSG Urteil vom 23.5.1995  13 RJ 67/91  SozR 32200 § 1251 Nr 7; BSG Urteil vom 22.3.2006  B 12 RJ 1/05 R  BSGE 96, 110 = SozR 45060 Art 6 § 23 Nr 1, RdNr 13 ff).

18
bb) Die Vorschrift des § 197 Abs 3 Satz 1 SGB VI über die Zulassung einer nachträglichen freiwilligen Beitragszahlung in Fällen "besonderer Härte" stellt eine Ausnahmeregelung zu der grundsätzlich fristgebundenen Zahlung freiwilliger Beiträge nach § 197 Abs 2 SGB VI dar. Bei der Bestimmung der einen Ausnahmefall kennzeichnenden Kriterien ist der Zweck der generellen Fristenregelung zu berücksichtigen. Mit der Ausschlussfrist nach § 197 Abs 2 SGB VI, die eine Zahlung freiwilliger Beiträge grundsätzlich nur bis zum 31.3. des Folgejahres zulässt, soll eine am Geltungsjahr der Beiträge orientierte zeitnahe Zahlung sichergestellt werden. Die Finanzierung der GRV setzt nach dem ihr zugrunde liegenden Prinzip des Umlageverfahrens (§ 153 Abs 1 SGB VI, hier in der Neufassung des SGB VI vom 19.2.2002, BGBl I 754, und idF des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes vom 21.7.2004, BGBl I 1791) grundsätzlich eine zeitgerechte und kontinuierliche Beitragszahlung aller Versicherten voraus (vgl Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, § ?7 RdNr 31, Stand Juni 2017). Das gilt auch für die freiwillige Rentenversicherung. Danach werden in der GRV die Ausgaben eines Kalenderjahres durch die Einnahmen des gleichen Kalenderjahres und, soweit erforderlich, durch Entnahmen aus der Nachhaltigkeitsrücklage (bis 31.7.2004 aus der Schwankungsreserve) gedeckt. Deshalb waren nach der bis zum 31.12.1991 geltenden Regelung des § 1418 Abs 1 RVO freiwillige Beiträge grundsätzlich bereits dann unwirksam, wenn sie nach Ablauf des Kalenderjahres entrichtet wurden, für das sie gelten sollten. Mit dem RRG 1992 (vom 18.12.1989, BGBl I 2261, berichtigt BGBl I 1990, 1337) wurde die auf das Geltungsjahr beschränkte Zahlungsfrist um drei Monate verlängert. Damit sollte abweichend vom geltenden Recht zB vermieden werden, dass Versicherte, die einen freiwilligen Beitrag für den Dezember eines Jahres erst im Januar des folgenden Jahres zahlen, ihren Versicherungsschutz wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit verlieren (BTDrucks 11/4124 S 189  Zu § 192  Wirksamkeit von Beiträgen).

19
Die am Geltungsjahr orientierte Beitragszahlung in der freiwilligen Rentenversicherung beugt außerdem einer einseitigen Risikoverlagerung zu Lasten der GRV und damit zu Lasten der Versichertengemeinschaft vor. Die freiwillige Versicherung steht nach § 7 SGB VI (seit dessen Änderung durch das Dritte Gesetz zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze vom 5.8.2010, BGBl I 1127, zum 11.8.2010) allen nichtversicherungspflichtigen Personen ab Vollendung des 16. Lebensjahres offen; sie ist nur nach bindender Bewilligung einer Vollrente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente unzulässig, seit 1.1.2017 (aufgrund des Flexirentengesetzes vom 8.12.2016, BGBl I 2838) zudem nur unter der Voraussetzung, dass der Monat abgelaufen ist, in dem die Regelaltersrente erreicht wurde. Den Versicherten bietet sie damit in Bezug auf ihr Versicherungskonto erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten. Zeigt sich erst in höherem Alter, dass eine freiwillige Beitragszahlung lohnenswert gewesen wäre, zB weil  wie im Fall des Klägers  inzwischen eine Schwerbehinderung vorliegt, führt eine nachträgliche Zulassung freiwilliger Beiträge zu einer Risikoverschiebung zu Lasten des Rentenversicherungsträgers und damit der Solidargemeinschaft. Innerhalb des Systems der umlagefinanzierten GRV sind daher auch Nachversicherungen und Nachzahlungen grundsätzlich nur in den gesetzlich ausdrücklich geregelten Fällen möglich (vgl § 8 Abs 2, §§ 204 ff, §§ 282, 284 f SGB VI) und kann zB die Nachzahlung für Ausbildungszeiten nach § 207 Abs 2 SGB VI nur bis zur Vollendung des 45. Lebensjahres beantragt werden.

20
cc) Auch die Sonderregelung des § 197 Abs 3 Satz 1 SGB VI rechtfertigt "in Fällen besonderer Härte" eine Verschiebung der mit dem rentenversicherungsrechtlichen System zeitgerechter und kontinuierlicher Beitragszahlung verbundenen gesetzlichen Risikoverteilung zu Lasten der Versichertengemeinschaft. Die Auslegung und Anwendung dieser Ausnahmevorschrift darf aber nicht dazu führen, dass die Ausnahme zur Regel und dadurch das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt wird. Daher bedarf es vom Regelfall der rechtzeitigen freiwilligen Beitragszahlung abweichender Besonderheiten. Solche können sich aus allen mit nachteiligen rentenrechtlichen Folgen für den Versicherten verbundenen Umständen des Einzelfalls ergeben. Allerdings müssen die nachteiligen Folgen einer unzulässigen Beitragszahlung für den Versicherten über die üblichen Folgen fehlender Beiträge hinausgehen und im Einzelfall außer Verhältnis zu der durch eine Nachzahlung von Beiträgen außerhalb der gesetzlichen Fristen entstehenden Rechtsunsicherheit und zusätzlichen Risikobelastung der Versichertengemeinschaft stehen. Die aufseiten der Versichertengemeinschaft durch die Zulassung nachträglicher Beitragszahlungen entstehenden besonderen Belastungen wiegen umso schwerer, je größer die Beitragslücke ist, die mit der Zulassung nachträglicher Beitragszahlungen geschlossen werden soll, und je weiter sie zurückliegt (nach BSG Urteil vom 11.5.2000  B 13 RJ 85/98 R  BSGE 86, 153, 163 = SozR 35750 Art 2 § 6 Nr 18 S 67 = juris RdNr 54 spricht die sachgerechte Abwägung zwischen Rechtssicherheit und Individualinteresse regelmäßig gegen die Zulassung einer Nachzahlung, wenn die Beitragsentrichtungsfrist bereits mehr als ein Jahr abgelaufen war). Deshalb sind zwar alle Umstände in die Härtefallprüfung einzubeziehen; die Anforderungen an das Vorliegen einer besonderen Härte steigen aber mit dem Umfang der zu überbrückenden Beitragslücke und der Zeitdauer des Ablaufs der Beitragszahlungsfrist.

21
dd) Gemessen daran führt das Festhalten an der Frist des § 197 Abs 2 SGB VI für den Kläger nicht zu einer besonderen Härte.

22
(1) Ein Härtefall liegt nicht deshalb vor, weil der Kläger ohne die Zulassung nachträglicher Beitragszahlung die Möglichkeit verliert, die nach § 36 Satz 1 Nr 2, § 37 Satz 1 Nr 3 SGB VI (jeweils idF des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.4.2007, BGBl I 554) für eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen sowie für langjährig Versicherte jeweils erforderliche Wartezeit von 35 Jahren zu erfüllen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dies zu einem "drohenden Verlust der Anwartschaft auf eine Rente" führt. Eine Anwartschaft im Sinn einer bereits gesicherten und unentziehbaren Rechtsposition auf eine Rente an sich geht dem Kläger nicht verloren. Er verliert lediglich die Möglichkeit, die Rente für schwerbehinderte Menschen um zwei Jahre oder mit Abschlägen um bis zu fünf Jahre früher oder die Altersrente für langjährig Versicherte mit Abschlägen um bis zu drei Jahre und vier Monate früher als die Regelaltersrente in Anspruch zu nehmen (§ 235 Abs 2 Satz 2, § 236 Abs 1 Satz 2, § 236a Abs 2 Satz 2 SGB VI, jeweils idF des RVAltersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.4.2007, BGBl I 554). Die Anwartschaft auf eine Regelaltersrente bleibt hingegen unter Berücksichtigung aller gezahlten Beiträge erhalten. Der Kläger verliert keine bereits gesicherte Rechtsposition, sondern hätte allenfalls eine weitere erwerben können. Unabhängig davon bedingt nicht jeder Anwartschaftsverlust automatisch einen Härtefall (vgl BSG Urteil vom 19.6.2001  B 12 RA 8/00 R  SozR 32600 § 197 Nr 3 S 14 = juris RdNr 23).

23
(2) Der beim Kläger ohne nachträgliche Beitragszahlungen eintretende rentenrechtliche Nachteil steht nicht außer Verhältnis zu den mit deren Zulassung für die Versichertengemeinschaft verbundenen Nachteilen. Bei Beantragung der freiwilligen Beitragszahlung im März 2017 fehlten dem Kläger zur Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren (= 420 Monate) noch mehr als zehn Jahre (121 Monate) anrechenbarer rentenrechtlicher Zeiten (§ 51 Abs 3 SGB VI in der Neufassung des SGB VI vom 19.2.2002, BGBl I 754). Denn bis dahin hatte er lediglich 299 Monate zurückgelegt (218 Monate Beitragszeiten und 81 Monate Anrechnungszeiten). Selbst bei ununterbrochener Zahlung freiwilliger Beiträge ab Januar 2016 bis zum frühestmöglichen Beginn der Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit Abschlägen nach 61 Jahren und 4 Monaten (§ 236a Abs 2 Satz 2 SGB VI) ab 1.8.2021, dh für weitere 67 Monate, verbliebe noch eine Beitragslücke von 54 Monaten (= 4,5 Jahre). Damit müssten auch Beiträge für das Jahr 2011 (bis 2015) nachträglich zugelassen werden, die nach § 197 Abs 2 SGB VI wirksam nur bis zum 31.3.2012 hätten gezahlt werden können. Bei Antragstellung im März 2017 war die Beitragszahlungsfrist für das Jahr 2011 demnach bereits seit fünf Jahren abgelaufen. Zudem war 2017 nicht zu erkennen, ob der Kläger bis einschließlich Juli 2021 regelmäßig und fristgerecht freiwillige Beiträge zahlen oder ob zur Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren nicht doch eine Nachzahlung für mehr als 4,5 Beitragsjahre erforderlich werden würde.

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(3) Wenn der Ablauf der Beitragsentrichtungsfrist mehr als ein Jahr zurückliegt, ist die Nachzahlung von Beiträgen nach bisheriger Rechtsprechung des BSG allenfalls zuzulassen, sofern eine frühere Zahlung infolge höherer Gewalt unmöglich war (BSG Urteil vom 11.5.2000  B 13 RJ 85/98 R  BSGE 86, 153, 163 = SozR 35750 Art 2 § 6 Nr 18 S 67 = juris RdNr 54). Ein besonderer Härtefall läge aber für den Kläger selbst dann nicht vor, wenn im Hinblick auf seinen Vortrag, er habe in den Jahren 2014 und 2015 seinen Beitragsangelegenheiten krankheitsbedingt nicht nachkommen können, von einer höheren Gewalt auszugehen wäre. Mit einer Beitragsnachzahlung für zwei Jahre könnte nicht die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt, sondern lediglich die mit zusätzlichen Beiträgen grundsätzlich verbundene Anhebung der Rentenhöhe erreicht werden. Ein Härtefall setzt aber einen besonderen Nachteil des Versicherten voraus; die Zulassung von Beiträgen außerhalb der Zahlungsfristen kann nur durch Nachteile gerechtfertigt sein, die über die üblichen Folgen fehlender Beiträge hinausgehen.

25
ee) Im Übrigen ist nicht zu erkennen, dass der Kläger die rechtzeitige Beitragszahlung ohne Verschulden versäumt haben könnte. Die Beitragslücke ist entstanden, weil sich der Kläger auf seinen Antrag seit dem 1.3.2002 von der Rentenversicherungspflicht hat befreien lassen und für eine Altersvorsorge allein im Versorgungswerk der Steuerberater entschieden hat. Eine Rechtspflicht zu dieser Befreiung bestand nicht. Außerdem hätte der Kläger selbst unter Berücksichtigung der für die Jahre 2014 und 2015 geltend gemachten gesundheitlichen Gründe zumindest während des gesamten Zeitraums von März 2002 bis Dezember 2013 jederzeit von den Gestaltungsmöglichkeiten der freiwilligen Rentenversicherung Gebrauch machen können. Die Beklagte hat den Kläger nicht durch ein rechtswidriges Verhalten daran gehindert, die Beiträge rechtzeitig zu zahlen. Sie hat auch keine Pflicht verletzt, die für das Versäumnis des Klägers, freiwillige Beiträge rechtzeitig zu zahlen, ursächlich geworden sein könnte (vgl hierzu c). Offenbleiben kann damit, ob eine Pflichtverletzung der Beklagten einen Härtefall begründen könnte.

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c) Der Senat hat nicht zu entscheiden, ob neben § 197 Abs 3 SGB VI noch Raum für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist oder ob dieser Anspruch in die Härtefallregelung zu "integrieren" ist (ebenfalls offenlassend BSG Urteil vom 30.4.2013  B 12 R 12/11 R  SozR 45075 § 3 Nr 3 RdNr 41; zum Meinungsstand in der Literatur Peters in Kasseler Kommentar, § 197 SGB VI RdNr 20, Stand Mai 2017; Mutschler in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl 2021, § 197 SGB VI RdNr 49, Stand 21.12.2021). Der von der Rechtsprechung des BSG entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (stRspr; zB BSG Urteil vom 18.3.2021  B 10 EG 3/20 R  BSGE 132, 14 = SozR 47837 § 3 Nr 2, RdNr 54 mwN). Eine der Beklagten zuzurechnende Pflichtverletzung, die für das Versäumnis des Klägers, freiwillige Beiträge rechtzeitig zu zahlen, ursächlich geworden sein könnte, liegt nicht vor.

27
Nach § 14 Satz 1 SGB I hat jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch. Eine Beratungspflicht besteht in der Regel bei einem entsprechenden Beratungsbegehren. Ohne ein solches Begehren kann sich eine Beratungspflicht gegebenenfalls aus einem früheren Fehlverhalten des Versicherungsträgers ergeben (vgl hierzu BSG Urteil vom 6.5.1992  12 RK 45/91  SozR 31200 § 14 Nr 6; BSG Urteil vom 18.12.2001  B 12 RA 4/01 R  juris RdNr 15; vgl auch BSG Urteil vom 23.8.2001  B 13 RJ 73/99 R  SozR 32600 § 197 Nr 4 S 24 = juris RdNr 41). Zudem hat der Versicherungsträger bei konkretem Anlass auf klar zutage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und die von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt werden (BSG Urteil vom 16.5.2019  B 13 R 37/17 R  SozR 41200 § 59 Nr 2 RdNr 36 mwN). Hingegen ist ein Rentenversicherungsträger ohne besonderen Anlass grundsätzlich nicht zur Beratung verpflichtet. Das gilt auch im Hinblick auf die Gestaltungsmöglichkeiten der freiwilligen Versicherung. Insbesondere nach einer antragsgemäßen Befreiung von der Rentenversicherungspflicht aufgrund einer anderweitigen Absicherung ist es Sache der Versicherten zu entscheiden, ob sie freiwillige Beiträge zahlen wollen oder nicht und ob sie sich diesbezüglich vom Rentenversicherungsträger beraten lassen möchten. Eine Pflicht zur Beratung über die Beitragszahlung und die Folgen unterbliebener Beitragszahlung besteht daher regelmäßig nur, wenn der Versicherte mit einem Beratungsersuchen an die Beklagte herantritt. Danach ist eine Beratungspflichtverletzung seitens der Beklagten, die für die unterbliebene Beitragszahlung des Klägers ursächlich geworden sein könnte, nicht ersichtlich.

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(aa) Ein Beratungsbegehren äußerte der Kläger, als er im Zusammenhang mit seinem Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht mit Schreiben vom 12.5.2002 um Prüfung und Mitteilung bat, ob er durch die Zahlung freiwilliger Beiträge den Berufsunfähigkeitsschutz aufrechterhalten könne. Diesem Beratungsbegehren entsprach die Beklagte durch Übersendung eines Formulars zur Beantragung der Zahlung freiwilliger Beiträge. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass das beigefügte Anschreiben vom 23.5.2002 aufgrund des Zusatzes "zur Aufrechterhaltung des Berufs bzw. Erwerbsunfähigkeitsschutzes" beim Empfänger den Eindruck erzeugen konnte, dass durch die Zahlung freiwilliger Beiträge  entgegen der Gesetzeslage  ein Berufs bzw Erwerbsunfähigkeitsschutz aufrechterhalten werden könne. Es kann offenbleiben, ob der Kläger den Zusatz tatsächlich so verstanden hat. Jedenfalls ist beim Kläger kein Nachteil entstanden. Hätte er den Zusatz in einem weiten Sinn verstanden, hätte die Zahlung freiwilliger Beiträge noch näher gelegen. Tatsächlich hat der Kläger aber einen entsprechenden Antrag seinerzeit nicht gestellt und mithin auch den möglicherweise missverständlichen Hinweis im Ergebnis ignoriert.

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Mit seiner Bitte um Prüfung und Mitteilung, ob er durch die Zahlung freiwilliger Beiträge den Berufsunfähigkeitsschutz aufrechterhalten könne, ließ der Kläger auch kein umfassendes, über den Berufsunfähigkeitsschutz hinausgehendes Beratungsbegehren erkennen. Zudem erhielt der Kläger durch die Übersendung des Formulars zur Beantragung der Zahlung freiwilliger Beiträge Kenntnis von dieser Möglichkeit. Eine weitergehende Beratungspflicht bestand für die Beklagte zu diesem Zeitpunkt nicht. Im Zusammenhang mit der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht und der Altersvorsorge des Klägers im Versorgungswerk der Steuerberater musste sich der Beklagten die zusätzliche freiwillige Beitragszahlung zur GRV nicht als offensichtlich zweckmäßige Gestaltungsmöglichkeit aufdrängen, die von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt würde.

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(bb) Ein Beratungsdefizit ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte die Zeit der Hochschulausbildung vom 3.10.1986 bis zum 12.4.1988 erst mit Bescheid vom 14.2.2017 als Anrechnungszeit anerkannt hat. Dass der Kläger sich bereits 2002 oder jedenfalls bis zum 31.3.2016 für die Zahlung freiwilliger Beiträge entschieden hätte, wenn die Anrechnungszeit schon zu diesem Zeitpunkt anerkannt gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Dem verständigen Versicherten hätte sich die Zahlung freiwilliger Beiträge auch in Kenntnis dieser Anrechnungszeit nicht als offensichtlich zweckmäßig aufdrängen müssen. Die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten war unabhängig von der Anrechnungszeit erfüllt und die Wartezeit von 35 Jahren wurde auch mit deren Anerkennung deutlich verfehlt. Wie bereits ausgeführt, fehlten gleichwohl noch 121 Monate mit rentenrechtlichen Zeiten. Zudem war in der Zeit von 2002 bis zum 31.3.2016 noch gar nicht ersichtlich, ob dem Kläger die Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren überhaupt zum Vorteil gereichen könnte, denn seine Schwerbehinderung ist erst ab 21.11.2016 zuerkannt worden. Dem daraufhin gestellten Antrag auf Zahlung freiwilliger Beiträge ab 1.1.2016 wurde entsprochen. Für die Beklagte bestand jedenfalls bis zur Kenntnis von der Schwerbehinderung kein Anlass zu einer weiteren Beratung des Klägers.

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(cc) Auch die Nachfrage des Klägers im Juli 2015, ob er für seine Hochschulzeit vom 5.10.1982 bis zum 12.4.1988 freiwillige Beiträge nachzahlen könne, musste die Beklagte nicht zu einer allgemeinen Beratung über die Vor und Nachteile freiwilliger Beiträge veranlassen. Gleichwohl hat sie ihrem Antwortschreiben von Oktober 2015 ein Informationsblatt und den Hinweis auf eine Beratungsmöglichkeit angefügt. Selbst wenn der Kläger im Oktober 2015 die Zahlung freiwilliger Beiträge aufgenommen hätte, wäre dies aber nur für die Zeit ab Januar 2015 möglich gewesen. Allein dadurch wäre die 35jährige Wartezeit bei weitem nicht erfüllt worden.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Satz 1 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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