L 5 KR 3335/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KR 854/18
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 5 KR 3335/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 20.10.2022 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 2.307,63 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung der stationären Krankenhausbehandlung eines Mitglieds der Beklagten.

Die Klägerin ist Trägerin eines zur Behandlung gesetzlich Versicherter zugelassenen Krankenhauses (§ 108 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch < SGB V>). Beim 1945 geborenen, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherten B1 (im Folgenden: Versicherter) erfolgte am 05.07.2016 eine ambulante Bildgebung/MRT Knie links mit dem Befund einer aktivierten Valgusgonarthrose in geringgradiger Ausprägung. Er litt zudem an einer deutlich aktivierten, ca. II. - III.- gradigen Chondromalazie über der Randkante der Hauptbelastungszone der äußeren Femurkondyle (Arztbrief des K1 und Kollegen vom 05.07.2016).

Am 27.07.2016 stellte sich der Versicherte ohne Krankenhausverordnung notfallmäßig in der Aufnahme des Krankenhauses der Klägerin wegen der weiter bestehenden Beinschmerzen vor. Er zeigte dabei ein deutlich hinkendes Gangbild ohne Klopf- oder Druckschmerz über der LWS. Das Lasègue-Zeichen war links bei 40° positiv. Außerdem bestand eine zirkuläre Hypästhesie des linken Ober- und Unterschenkels und eine schmerzlose Schwellung des linken Oberschenkels. Im Bereich des Nackens fand sich eine derbe, schmerzhafte Schwellung und Rötung. Ausweislich des Aufnahmebefunds benutzte er zum Gehen keine Hilfsmittel. Die bei Aufnahme erfolgte Labordiagnostik ergab eine leichte Entzündungskonstellation mit einer Leukozytose von 12,8 g/l und einem C-reaktiven Protein von 19,03 mg/l. Nach stationärer Aufnahme erfolgte die Einleitung einer i.v.-Analgesie. Der Versicherte bekam am Aufnahmetag dreimal, am 28.07.2016 viermal und am 29.07.2016 morgens eine Kurzinfusion mit dem Schmerzmittel Novaminsulfon. Am 28.07.2016 rief er um 4:00 Uhr in der Frühe Oxygesic als Bedarfsmedikation ab. Daneben erhielt er noch das Schmerzmittel Voltaren oral und außerdem beginnend am 27.07.2016 bis zum Ausschluss der Thrombose Xarelto, ein Arzneimittel zur Hemmung der Blutgerinnung. Noch am Aufnahmetag konnte in einer weiteren Bildgebung mittels MRT/LWS keine vertebragene Ursache der Beschwerden gefunden und am 28.07.2016 (bei einem Konsil im Bundeswehrkrankenhaus U1) sonographisch eine Thrombose ausgeschlossen werden. Wegen der subkutanen Schwellung zervikal erfolgte am 30.07.2016 eine Kernspinbildgebung der HWS unter Kontrastmittelgabe. Dabei zeigte sich ein subkutaner Abszess im Sinne einer Haarbalgentzündung. Nach entsprechender Vorbereitung erfolgte hier am 01.08.2016 die lokale Stichincision, Drainage sowie Spülung. Parallel dazu wurde eine orale Antibiose angesetzt. Des Weiteren erhielt der Versicherte Krankengymnastik. Entlassen wurde er am 02.08.2016 nach „flüssiger Mobilisation unter krankengymnastischer Anleitung“ (Entlassbrief des K2 vom 02.08.2016).

Mit Rechnung vom 04.08.2016 stellte die Klägerin der Beklagten für die Krankenhausbehandlung des Versicherten nach Abzug der Selbstbeteiligung des Versicherten i.H.v. 70,00 € eine Vergütung i.H.v. 2.307,63 € nach der DRG (Diagnosis Related Group) I69B (Knochenkrankheiten und spezifische Arthropathien ohne komplexe Diagnose oder ein Belegungstag) in Rechnung.

Die Beklagte zahlte den Rechnungsbetrag zunächst vollständig, beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) aber mit einer Abrechnungsprüfung. In dem MDK-Gutachten vom 11.11.2016 führte L1 aus, die DRG sei formal zu bestätigen. Die medizinische Notwendigkeit einer primären stationären Behandlung sei aber nicht nachvollziehbar.

Am 21.12.2016 verrechnete die Beklagte nach vorheriger Ankündigung (Schreiben vom 14.11.2016) einen Betrag i.H.v. 2.377,63 €.

Die Klägerin hat am 12.03.2018 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) auf Zahlung i.H.v. 2.377,63 € nebst Zinsen erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, es habe während des gesamten Belegzeitraums die Notwendigkeit einer stationären Behandlung bestanden. Der Versicherte sei notfallmäßig mit immobilisierenden Beschwerden in das Klinikum der Klägerin aufgenommen worden. Nach stationärer Aufnahme sei zunächst die Einleitung einer intravenösen Analgesie erfolgt, unter der sich eine langsame Schmerzregredienz gezeigt habe. Im weiteren Verlauf sei bei Schwellung des Oberschenkels eine Thrombose ausgeschlossen worden. Am 27.07.2016 sei ein MRT der LWS gefertigt worden, das keine vertebragene Ursache der geschilderten Beschwerden gezeigt habe. Die bei Aufnahme festgestellte leichte Erhöhung der laborchemischen Entzündungswerte mit Leukozyten habe sich im weiteren Verlauf normalisiert. Wegen einer schmerzhaften subcutanen Schwellung zervikal sei am 30.07.2016 eine Kernspinbildgebung der HWS unter Kontrastmittelgabe erfolgt. Dabei habe sich ein subcutaner Abszess im Sinne einer Haarbalgentzündung gezeigt. Nach entsprechender Vorbereitung sei am 01.08.2016 die lokale Stichincision, Drainage sowie Spülung erfolgt. Parallel dazu sei ein orales Antibiotikum verabreicht worden. Nach Optimierung der oralen Analgesie sowie flüssiger Mobilisation des Versicherten unter krankengymnastischer Anleitung habe er am 02.08.2016 entlassen werden können. Eine frühere Entlassung und auch eine Entlassung vor dem 29.07.2016 wäre, nachdem dem Versicherten von der Aufnahme bis zum 29.07.2016 viermal täglich eine Schmerzmedikation intravenös als Kurzinfusion verabreicht worden sei, nicht möglich gewesen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der Versicherte sei mobil gewesen und habe keine gravierenden Begleiterkrankungen aufgewiesen, weshalb eine ambulante Behandlung ausreichend gewesen wäre. Ergänzend hat die Beklagte ein weiteres Gutachten des MDK vom 29.05.2019 vorgelegt. B2 hat darin ausgeführt, dass für die erbrachten Leistungen keine vollstationäre Krankenhausbehandlung notwendig gewesen wäre. Anhand des Aufnahmebefundes sei ein immobilisierender Schmerz nicht nachvollziehbar. In der Pflegeanamnese sei eine Schmerzstärke von 4 bis 6 laut numerischer Rangskala dokumentiert. Auf immobilisierende Schmerzen lasse auch die Medikation mit Nicht-Opioid-Analgetika und die nur einmalige bedarfsweise Gabe eines schwachen Opioid-Analgetikums nicht schließen. Des Weiteren sei dem Pflegebericht zu entnehmen, dass der Versicherte noch am Abend des Aufnahmetages „öfters an Unterarmgehstützen unterwegs“ gewesen sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass bei dem voll oralisierten Versicherten mit bereits oraler Gabe des Schmerzmittels Voltaren nicht auch das Novaminsulfon hätte oral verabreicht werden können. Eine laut Klageschrift langsame Schmerzregredienz sei anhand der Dokumentation nicht plausibel nachvollziehbar. Auch die Durchführung von Krankengymnastik begründe nicht die Notwendigkeit stationärer Krankenhausbehandlung. Letztere hätte ebenso wie die durchgeführte Diagnostik (Sonographie, MRT LWS) und die Spaltung des subkutanen Abszesses einschließlich der nachfolgenden antibiotischen Therapie auch im ambulanten Setting erfolgen können.

Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Gutachtens bei dem K3. Der Sachverständige hat in seinem nach Aktenlage erstellten Gutachten vom 16.10.2019 ausgeführt, wenn man sämtliche Einzeldiagnosen und sämtliche Einzelprozeduren betrachte, müsse man dem MDK Recht geben, dass eine stationäre Behandlung nicht erforderlich gewesen sei. Ex ante sei jedoch nicht vorauszusehen gewesen, wie die Schmerzbehandlung anschlagen würde. Außerdem hätte die tiefe Beinvenenthrombose geklärt werden müssen und es habe die erhöhten Entzündungswerte gegeben. Diese Befunde zusammen seien Grund genug gewesen, um den Versicherten stationär aufzunehmen. Nach vorübergehender intravenöser Schmerzbehandlung hätte die Schmerztherapie aber auf eine orale Behandlung umgestellt werden können und der Versicherte hätte am 29.07.2016 entlassen werden können.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.10.2022 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin 70,00 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.12.2016 zu zahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Aufrechnung der seitens des Versicherten geleisteten Zuzahlung sei in unzulässiger Weise erfolgt. Im Übrigen seien die Voraussetzungen für den Vergütungsanspruch aber nicht erfüllt, da Befunde für die Erforderlichkeit einer stationären Behandlung nicht dokumentiert seien. Nachvollziehbar und schlüssig kämen B2 und L1 in ihren Gutachten übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass sich keine Hinweise fänden, die einer ambulanten Behandlung entgegengestanden hätten. Der Aufenthalt sei auch nicht für die Durchführung einer erweiterten Zusatzdiagnostik, die anderweitig nicht hätte erbracht werden können, notwendig gewesen. Alle Therapien hätten ambulant durchgeführt werden können.

Gegen den ihr am 28.10.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 28.11.2022 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ausgeführt, der Gerichtsbescheid des SG sei unzutreffend. Ihre Abrechnung sei richtig. Eine primäre Fehlbelegung habe nicht vorgelegen. Der Versicherte habe sich notfallmäßig mit immobilisierenden Schmerzen vorgestellt, er habe nur deutlich hinkend laufen können. Es sei ihm daraufhin sofort intravenös ein Analgetikum verabreicht worden. Außerdem habe der Verdacht auf eine Thrombose bestanden. Es habe ein Ausschluss der Thrombose erfolgen sollen mit eventueller konsiliarischer Untersuchung durch das Bundeswehrkrankenhaus sowie einer intravenösen Analgetikatherapie. Bei einer tiefen Beinvenenthrombose bestehe das Risiko, dass es zu einer fulminanten Lungenembolie komme, die unbehandelt nach kurzer Zeit zum Tod führe. Wäre eine tiefe Beinvenenthrombose bestätigt worden, hätte sie diese behandeln können. Vor dem 29.07.2016 wäre aufgrund der erfolgten Kurzinfusionen an eine Entlassung nicht zu denken gewesen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Versicherte viermal täglich eine Kurzinfusion ambulant entgegennehme. Dies könne nur im stationären Rahmen erfolgen (unter Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 06.08.2019 - L 11 KR 2106/17 -, in juris). Außerdem sei noch ein weiteres MRT der HWS mit Kontrastmitteln und ein MRT der LWS erfolgt, sodass eine Verkürzung auf unter zwei Verweiltage völlig unrealistisch sei. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht, wenn man der von K3 angenommenen sekundären Fehlbelegung folge. Bei einer Entlassung am 29.07.2016 würde sich an ihrem Vergütungsanspruch nichts ändern, da die DRG-Fallpauschale eine untere Grenzverweildauer von zwei Behandlungstagen habe, sodass der erste Tag mit Abschlag bei einer Verweildauer von einem Behandlungstag liege. Hier wäre nach Auffassung des Sachverständigen eine Verweildauer von zwei Behandlungstagen erforderlich gewesen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 20.10.2022 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.307,63 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.12.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die geltend gemachte Vergütung für die vollstationär erbrachte Diagnostik und Behandlung, weil ausnahmslos alle durchgeführten Untersuchungen und Behandlungen ambulant möglich gewesen wären und somit eine primäre Fehlbelegung vorgelegen habe. Sofern die Klägerin die Notwendigkeit einer vollstationären Behandlung auf die Gefahr einer möglichen Lungenembolie wegen einer möglichen tiefen Beinvenenthrombose stütze, rechtfertige dies jedenfalls keine vollstationäre Behandlung in der Einrichtung der Klägerin, die keine Gefäßchirurgische Klinik und keine Klinik für Innere Medizin mit Angiologie unterhalte. Der Versicherte hätte in einem solchen Notfall unverzüglich in eine Klinik mit Gefäßchirurgischer Abteilung oder einer Abteilung für Innere Medizin/Angiologie (z.B. Universitätsklinik U1, Bundeswehrkrankenhaus U1) verlegt werden müssen. Dass die Klägerin solche Abteilungen nicht unterhalte, sei K3 mutmaßlich nicht bewusst gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG, die von der Klägerin vorgelegte Patientenakte des Versicherten und die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

1. Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung, da der maßgebliche Beschwerdewert nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von 750,00 € überschritten ist.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist ein Vergütungsanspruch in Höhe von 2.307,63 €. Nur insoweit ist die Klägerin durch den Gerichtsbescheid des SG noch beschwert. Soweit das SG die Beklagte zur Zahlung von 70,00 € nebst Zinsen verurteilt hat, ist die Entscheidung mangels (Anschluss-)Berufung der Beklagten rechtskräftig.

2. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage der Klägerin abgewiesen, soweit diese begehrte, dass die Beklagte an sie einen Betrag i.H.v. 2.307,63 € nebst fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.12.2016 zu zahlen hat. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 2.307,63 € nebst Zinsen hieraus aufgrund der Behandlung des Versicherten. Zu Recht hat die Beklagte in dieser Höhe gegen eine andere (unstreitige) Forderung der Klägerin aufgerechnet.

Rechtsgrundlage des von der Klägerin wegen der vollstationären Behandlung des Versicherten geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V (i.d.F. vom 26.03.2007, BGBl. I 378) in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG (jeweils i.d.F. vom 22.12.2010, BGBl. I 2309) sowie § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG; i.d.F. durch das Krankenhausfinanzierungsreformgesetz vom 17.03.2009, BGBl. I 534) und die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2016 (Fallpauschalenvereinbarung 2016 - FPV-2016). Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und wenn sie im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 26.04.2022 - B 1 KR 5/21 R -, in juris m.w.N.).

Ein Vergütungsanspruch des klagenden Krankenhauses für die durchgeführte vollstationäre Krankenhausbehandlung scheitert danach vorliegend daran, dass diese medizinisch nicht erforderlich war.

Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Damit ist die vollstationäre Krankenhausbehandlung nachrangig gegenüber allen anderen Arten der Krankenbehandlung. Der Nachrang der vollstationären Behandlung trägt deren Bedeutung als medizinisch intensivster und aufwendigster Form der Krankenhausbehandlung Rechnung und stellt eine besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots dar (vgl. BT-Drucks 11/2237, S. 177 Zu § 38 zu Absatz 1; BSG, Urteil vom 26.04.2022 - B 1 KR 5/21 R -, m.w.N.; Wahl in jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020 § 39 Rd. 30, Stand: 02.03.2021).

Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht. Als besondere Mittel des Krankenhauses hat die Rechtsprechung des BSG eine apparative Mindestausstattung, geschultes Pflegepersonal und einen jederzeit präsenten oder rufbereiten Arzt herausgestellt. Dabei ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der den mit Aussicht auf Erfolg angestrebten Behandlungszielen und den vorhandenen Möglichkeiten einer vorrangigen ambulanten Behandlung entscheidende Bedeutung zukommt. Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege, zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre oder teilstationäre Behandlung (vgl. zum Ganzen, BSG, Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R -, BSG, Urteil vom 26.04.2022 - B 1 KR 5/21 R -, beide in juris). Ob einem Versicherten voll- oder teilstationäre Krankenhausbehandlung oder nur ambulante Behandlung zu gewähren ist, richtet sich dabei allein nach den medizinischen Erfordernissen (vgl. BSG, Urteil vom 25.09.2007 - GS 1/06 -, BSG, Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R -, BSG, Urteil vom 26.04.2022 - B 1 KR 5/21 R -, alle in juris).

Die durchgeführte vollstationäre Behandlung des Versicherten war danach medizinisch nicht erforderlich, weil von Beginn an eine ambulante Behandlung ausgereicht hätte. Die durchgeführte Diagnostik und Behandlung wäre auch ambulant möglich gewesen. Der Senat stützt sich insoweit auf die vorliegende Patientenakte des Versicherten und die Gutachten des MDK vom 11.11.2016 und 29.05.2019.

Für den Senat ist entscheidend, dass angesichts der bei der Aufnahmeuntersuchung des Versicherten im Krankenhaus der Klägerin erhobenen Befunde nicht erkennbar ist, dass nur im Krankenhaus der Klägerin die weiterführende Abklärung der Beschwerden hätte erfolgen können und nur die durchgeführte vollstationäre Behandlung zu einer Schmerzreduktion hätte führen können und eine ambulante Schmerztherapie nicht mehr erfolgversprechend gewesen wäre. Dies gilt auch für den Ausschluss einer Thrombose und die Behandlung des Abzesses.

Der 70-jährige Versicherte, der sich laut Aufnahmebefund zuhause selbst versorgte und bei Aufnahme im Krankenhaus der Klägerin voll orientiert war und zum Gehen keine Hilfsmittel benutzte, litt bereits seit Anfang Juli 2016 unter Beinschmerzen links ohne Trauma. Eine am 05.07.2016 erfolgte ambulante Bildgebung/MRT Knie links hatte den Befund einer aktivierten Valgusgonarthrose geringgradiger Ausprägung und eine deutlich aktivierte, ca. II. - III.- gradige Chondromalazie über der Randkante der Hauptbelastungszone der äußeren Femurkondyle erbracht. Bei der ohne Krankenhausverordnung erfolgten notfallmäßigen Vorstellung in der Aufnahme der Klägerin beklagte er weiterbestehende Beinschmerzen. Er demonstrierte ein deutlich hinkendes Gangbild ohne Klopf- oder Druckschmerz über der LWS. Ein Stehen auf dem linken Bein war nicht möglich. Es bestand kein Klopf- oder Druckschmerz über der LWS und ein solcher war auch nicht provozierbar. Positiv war das Lasègue-Zeichen links bei 40°. Außerdem bestand eine zirkuläre Hypästhesie des linken Ober- und lateralen Unterschenkels und eine schmerzlose Schwellung des linken Oberschenkels. Die Kraft war nicht eingeschränkt. Die Hüftgelenke waren orientierend frei beweglich mit Druckschmerz über dem medialen Kniegelenkskompartiment. Ein wesentlicher intraartikulärer Erguss über dem linken Kniegelenk war nicht tastbar. Es bestand auch keine Rötung oder Überwärmung. Im Bereich des Nackens fand sich eine derbe, schmerzhafte Schwellung und Rötung. Periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität waren intakt. Die bei Aufnahme erfolgte Labordiagnostik ergab eine leichte Entzündungskonstellation mit einer Leukozytose von 12,8 g/l und einem C-reaktiven Protein von 19,03 mg/l. Nach stationärer Aufnahme erfolgte die Einleitung einer i.v.-Analgesie. Der Versicherte bekam am Aufnahmetag dreimal, am 28.07.2016 viermal und am 29.07.2016 morgens eine Kurzinfusion mit dem Schmerzmittel Novaminsulfon. Am 28.07.2016 rief er um 4:00 Uhr in der Frühe einmalig eine Tablette Oxygesic als Bedarfsmedikation ab. Daneben erhielt er noch das Schmerzmittel Voltaren oral und außerdem beginnend am 27.07.2016 bis zum Ausschluss der Thrombose Xarelto, ein Arzneimittel zur Hemmung der Blutgerinnung. Noch am Aufnahmetag konnte in einer weiteren Bildgebung mittels MRT/LWS keine vertebragene Ursache der Beschwerden gefunden und am Folgetag, am 28.07.2016, im Bundeswehrkrankenhaus U1 sonographisch eine Thrombose ausgeschlossen werden. Wegen der subkutanen Schwellung zervikal erfolgte am 30.07.2016 eine Kernspinbildgebung der HWS unter Kontrastmittelgabe. Dabei zeigte sich ein subkutaner Abszess im Sinne einer Haarbalgentzündung. Nach entsprechender Vorbereitung erfolgte hier am 01.08.2016 die lokale Stichincision, Drainage sowie Spülung. Parallel dazu wurde eine orale Antibiose angesetzt. Des Weiteren erhielt der Versicherte Krankengymnastik.

Ziel der Behandlung war ausweislich des Entlassungsberichts der Klägerin vom 02.08.2016 die weiterführende Abklärung der Beschwerden des Versicherten, aber – wie aus den eingeleiteten Maßnahmen hervorgeht – auch die Schmerzreduzierung. Der Senat ist davon überzeugt, dass diese Behandlungsziele in gleicher Weise auch durch ambulante Untersuchungen (ggf. auch in einer Notfallambulanz) erreichbar gewesen wären. Es wäre möglich gewesen sowohl das MRT der LWS wie zuvor schon das MRT des linken Kniegelenks ambulant durchzuführen. Dies gilt auch, zumal die Sonographie gar nicht im Krankenhaus der Klägerin stattfand, für die Sonographie zum Ausschluss der Thrombose und die Kernspinbildgebung der HWS. Darauf weisen sowohl L1 als auch B3 vom MDK in ihren Gutachten hin und auch K3 führt in seinem Gutachten vom 16.10.2019 aus, dass man bei Betrachtung sämtlicher Einzeldiagnosen und sämtlicher Einzelprozeduren dem MDK Recht geben müsse, dass eine stationäre Behandlung nicht erforderlich gewesen sei.

Aber auch eine Gesamtschau führt zu keinem anderen Ergebnis.
K3 begründet die Notwendigkeit des stationären Aufenthalts aus der Gesamtschau damit, dass ex ante nicht vorauszusehen gewesen sei, wie eine Schmerzbehandlung anschlagen würde und dass die tiefe Beinvenenthrombose hätte geklärt werden müssen. Außerdem habe es die erhöhten Entzündungswerte gegeben. Diese Argumentation überzeugt den Senat nicht. Anzeichen dafür, dass die Schmerzsituation des Versicherten eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ausgelöst hat, sind nicht erkennbar. Ein immobilisierender Schmerz des Versicherten ist anhand des Aufnahmebefundes nicht nachvollziehbar. Der Versicherte war – wenn auch deutlich hinkend – gehfähig. Am Abend des Aufnahmetages war er an Umterarmstützen mobil und – laut Pflegebericht – öfters unterwegs. Auch die Medikation mit Nicht-Opioid-Analgetika (Novaminsulfon, Diclofenac) und die nur einmalige bedarfsweise Gabe eines schwachen Opioid-Analgetikums lassen nicht auf immobilisierende Schmerzen schließen. Solche ergeben sich auch nicht aufgrund des vom Versicherten angegebenen Schmerzempfindens. In der Pflegeanamnese ist sein Schmerzempfinden auf der Visuellen Analogskala (VAS, von 0 = keine Empfindung bis 10 = stärkste vorstellbare Empfindung) nur mit 4 bis 6 dokumentiert. Des Weiteren bedurfte er nicht der Hilfe bei der Körperpflege, beim Essen und Trinken, der Ausscheidung und auch nicht bei der Mobilität und auch eine akute Schmerzzunahme lässt sich dem Aufnahmebefund nicht entnehmen. Dieser Befund begründet nicht die Notwendigkeit einer stationären Krankenhausbehandlung. Er schließt die Einleitung einer weiteren ambulanten Schmerzbehandlung nicht aus. Bezüglich der Schmerzbehandlung bedurfte es insoweit auch nicht der intravenösen Verabreichung der Medikamente. Dies wäre zwar – worauf die Klägerin zu Recht hinweist – tatsächlich nicht ambulant möglich gewesen. Die Medikamente hätten jedoch nicht intravenös verabreicht werden müssen. Der Versicherte nahm Voltaren und einmalig Oxygesic oral ein; weshalb es ihm nicht möglich gewesen wäre, Novaminsulfon und Diclofenac oral einzunehmen, erschließt sich dem Senat nicht. Auch im Zusammenhang mit der Abklärung der Thrombose bedurfte es nicht der stationären Aufnahme. Zweifelsohne war insoweit eine Abklärung erforderlich. Eine Sonographie hätte jedoch noch am 27.07.2016 ambulant durchgeführt werden können, so dass es auch nicht bis zur Durchführung der Sonographie bei einem Konsil im Bundeswehrkrankenhaus in U1, die erst am 28.07.2016 stattfand, einer stationären Beobachtung des Versicherten bedurft hätte. Von Belang ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Sonographie gar nicht im Krankenhaus der Klägerin stattfand und, soweit die Klägerin die Notwendigkeit einer vollstationären Behandlung auf die Gefahr einer möglichen Lungenembolie wegen einer möglichen tiefen Beinvenenthrombose stützt, dies zumindest nicht die vollstationäre Behandlung im Krankenhaus der Klägerin rechtfertigte, weil das Krankenhaus gar keine Gefäßchirurgische Klinik und keine Klinik für Innere Medizin mit Angiologie unterhält. Der Versicherte hätte in einem solchen Notfall unverzüglich in eine Klinik mit Gefäßchirurgischer Abteilung oder einer Abteilung für Innere Medizin/Angiologie (z.B. Universitätsklinik U1, Bundeswehrkrankenhaus U1) verlegt werden müssen. Schließlich hätten auch die erhöhten Entzündungswerte ambulant kontrolliert werden können und für die Spaltung des Abzesses und die zuvor durchgeführte Diagnostik in Form eines MRT/HWS war eine stationäre Abklärung ebenfalls nicht notwendig. Dies gilt auch für die Mobilisation unter krankengymnastischer Anleitung; auch diese hätte im ambulanten Setting erfolgen können.

Zudem spricht auch die Dichte der in der Klinik durchgeführten Untersuchungen bei dem zumindest mit Unterarmgehstützen auf der Station der Klägerin mobilen und selbstständigen Versicherten nicht für ein Vorgehen, das nur im Rahmen stationärer Krankenhausbehandlung erbracht werden kann. Das MRT/LWS wurde am 27.07., die Sonographie am 28.07. und die Kernspinbildgebung der HWS am 30.07.2016 durchgeführt. Angaben zur durchgeführten Krankengymnastik fehlen in der Patientenakte des Versicherten.

Auch die beim Versicherten bestehenden Begleiterkrankungen in Form eines Diabetes mellitus, chronischen Vorhofflimmerns und arterieller Hypertonie führen nicht zu einer stationären Überwachungsbedürftigkeit dieser Maßnahmen. Die Medikation wurde insoweit unverändert fortgesetzt. Eine spezielle Versorgung wurde nicht durchgeführt. Ein Beleg hierfür stellt auch die Tatsache dar, dass das MRT/Knie Anfang Juli 2016 ambulant durchgeführt werden konnte.

Bei dieser Sachlage kann offenbleiben, ob der Versicherte dem Gutachten des K3 folgend hätte früher entlassen werden können und ob sich dies bei der Abrechnung ausgewirkt hätte.

Mit Blick auf die Spaltung des Abzesses am 01.08.2016 besteht auch kein Vergütungsanspruch nach § 115b SGB V in Verbindung mit dem auf dieser Rechtsgrundlage geschlossenen „Vertrag nach § 115b Abs. 1 SGB V – Ambulantes Operieren und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus“ in der Fassung vom 09.05.2012, geändert mit Wirkung vom 16.05.2014. Zwar gewähren die Vorschriften zum ambulanten Operieren dem nach § 115b Abs. 2 Satz 1 SGB V zur Durchführung von ambulanten Operationen zugelassenen Krankenhaus einen – auf die ärztliche Leistung beschränkten – Vergütungsanspruch für eine ambulant durchführbare Operation auch dann, wenn diese ohne ausreichenden medizinischen Anlass stationär erbracht worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 18.09.2008 - B 3 KR 22/07 R -, in juris). Ein Vergütungsanspruch scheitert insoweit aber daran, dass die abgerechnete Leistung nach der für die Spaltung des Abszesses anzusetzenden OPS 5-892.15 nicht als Prozedur in dem Katalog der ambulant durchführbaren Operationen nach § 115b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V enthalten ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder die Klägerin noch die Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

5. Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei war der Verzinsungsantrag nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen, da es sich insofern um eine Nebenforderung im Sinne von § 43 Abs. 1 GKG handelt.


 

 

Rechtskraft
Aus
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