L 18 R 690/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 24 R 2118/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 R 690/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 54/22 BH
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 23.04.2020 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Der am 00.00.1970 in Y. geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Von September 1986 bis April 2002 stand der Kläger in einem Ausbildungs- bzw. Beschäftigungsverhältnis bei der P.. Zwischen September 2002 und April 2006 bezog er Leistungen der Bundesagentur für Arbeit bzw. des SGB II-Trägers. Anschließend versuchte er eine Existenzgründung als Selbständiger. Ausweislich des in der Verwaltungsakte befindlichen Versicherungsverlaufes erhielt er schließlich von Januar 2009 bis Dezember 2013 Arbeitslosengeld II. Danach lebte er nach seinen Angaben von der Altersrente seines mit ihm zusammenlebenden, mittlerweile verstorbenen Vaters.

Mit Schreiben vom 09.05.2017 meldete sich der Kläger bei der Beklagten. Er habe die Absicht, in die Türkei zu ziehen und bitte daher vorab um die Berechnung der möglichen Auszahlung aus der Rentenversicherung. Die Beklagte erteilte ihm mit Schreiben vom 18.05.2017 die gewünschte Erstattungsauskunft nebst Vorausberechnung des möglichen Erstattungsbetrages (27.767,36 Euro). Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 13.06.2017 das Ausbleiben einer Antwort bemängelt hatte, sandte ihm die Beklagte am 28.06.2017 erneut das Schreiben vom 18.05.2017 zu. Mit am 03.07.2017 bei ihr eingegangenem Schreiben machte der Kläger erstmals geltend, dass der Betrag nicht richtig berechnet worden sei. Im Schreiben vom 04.07.2017 wies die Beklagte darauf hin, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung nur Beiträge erstattet würden, die der Versicherte selber getragen habe. Der Arbeitgeberanteil werde ebenso wenig erstattet wie Beiträge aufgrund von Entgeltersatzleistungen, da der Versicherte hier nicht an der Beitragszahlung beteiligt gewesen sei. Mit einer Erstattung werde das Versicherungsverhältnis vollständig aufgelöst. Ansprüche aus den bis zur Erstattung zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten bestünden dann nicht mehr.

Durch Bescheid vom 13.06.2017 stellte die Beklagte die im Versicherungsverlauf gespeicherten Zeiten bis zum 31.12.2010 verbindlich fest.

Am 31.01.2018 beantragte der Kläger die Erstattung von Beiträgen aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Mit Bescheid vom 28.03.2018 erstattete die Beklagte dem Kläger die geleisteten Arbeitnehmerbeiträge zur Rentenversicherung für die Zeit vom 01.09.1986 bis zum 29.02.2008 in Höhe von 27.767,36 Euro. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er wandte sich insbesondere gegen die Höhe des zu erstattenden Betrages. Nach seiner Berechnung müssten es mindestens 250.000,00 Euro sein.

Durch Widerspruchsbescheid vom 04.07.2018 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zu Unrecht unberücksichtigt gebliebene Beitragszeiten oder sonstige Fehler in der Berechnung sei­en nicht festzustellen. Insofern sei der Erstattungsbetrag nach den vorhandenen Unterlagen und nach der anzuwendenden Rechtslage richtig ermittelt worden.

Am 03.09.2018 hat der zwischenzeitlich in die Türkei verzogene Kläger Klage zum Sozialgericht Dortmund (SG) erhoben.

 

Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe jahrelang die Pflege von Familienangehörigen ge­leistet, insbesondere seines behinderten Bruders. Er habe zudem seine Eltern bei der Anpassung an die deutschen Verhältnisse unterstützt, zumal sie der deutschen Schrift und Spra­che nicht mächtig gewesen seien. Außerdem hätten psychologische Probleme der Fami­lienangehörigen bestanden. Er selber verfüge über einen Grad der Behinderung von 20.

Der Kläger hat nach Auffassung des SG sinngemäß beantragt,

den Bescheid vom 28.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.07.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Beiträge aus der ge­setzlichen Rentenversicherung in Höhe von mindestens 250.000,00 Euro zu erstatten.

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat auf die Begründung des angefochtenen Bescheides Bezug genommen. Der zu erstattende Betrag sei entsprechend der gesetzlichen Regelun­gen korrekt berechnet worden.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage durch Gerichtsbescheid vom 23.04.2020 abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt:

 

Der Antrag des unvertretenen Klägers sei nach dem sich aus seinem Vortrag ergebenden Begehren analog §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch dahingehend auszulegen, dass er die Aufhebung des Bescheids vom 28.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbe­scheids vom 04.07.2018 sowie die Verpflichtung der Beklagten begehre, ihm Beiträge aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von mindestens 250.000,00 Euro zu erstatten.

Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Er habe keinen Anspruch auf Erstattung eines höheren als des bereits erstatteten Betrages. Nach § 210 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) würden Beiträge in der Höhe erstattet, in der die Versicherten sie getragen haben. Dementsprechend sei die Beklagte hier verfahren. Mit der durchgeführten Erstattung sei das bisherige Versicherungsver­hältnis aufgelöst worden. Ansprüche aus den bis zur Erstattung zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten bestünden nicht mehr.

Konkrete Beanstandungen zu den einzelnen Zeiten seien im Widerspruchs- und Klagever­fahren nicht vorgetragen worden. Soweit der Kläger allgemein angegeben habe, dass er Zeiten für die Pflege von Familienangehörigen vorweisen könne, könnten diese Zeiten sich ebenso wenig wie Zeiten des Sozialleistungsbezuges auf die Höhe des Erstattungsbetrages aus­wirken. Die Beiträge für Kindererziehungszeiten und Beiträge für nicht erwerbsmäßige Pflegepersonen würden ebenso wie Beiträge von Sozialleistungen, die der Leistungsträger allein getragen habe, nicht erstattet, da § 210 Abs. 3 SGB VI nur die Erstattung jener Beiträge vorsehe, die von dem Versicherten getragen worden seien. Zu Unrecht unberücksichtigt gebliebene Beitragszeiten oder sonstige Fehler in der Be­rechnung des zu erstattenden Betrages seien nicht ersichtlich.

 

Der Kläger hat gegen den ihm am 23.05.2020 zugestellten Gerichtsbescheid am 06.07.2020 Berufung beim SG eingelegt.

 

Er wiederholt im Wesentlichen ausführlich sein erstinstanzliches Vorbringen.

 

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 23.04.2020 abzuändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 28.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.07.2018 zu verurteilen, ihm weitere Beiträge aus der ge­setzlichen Rentenversicherung in Höhe von insgesamt mindestens 250.000,00 Euro zu erstatten.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

 

Der Senat hat den Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfe abgelehnt (Beschluss vom 18.01.2021). Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Bundessozialgericht (BSG) als unzulässig verworfen (Beschluss vom 02.03.2021 - B 5 R 8/21 S -). Den hiergegen gerichteten weiteren Rechtsbehelf hat das BSG ebenfalls als unzulässig verworfen (Beschluss vom 28.04.2021 - B 5 R 8/21 C -).

 

Den gegen den Berichterstatter ausgebrachten Befangenheitsantrag hat der Senat zurückgewiesen (Beschluss vom 09.04.2021 - L 18 SF 26/21 AB -). Der Senat hat das Berufungsverfahren nach Anhörung der Beteiligten sodann auf den Berichterstatter übertragen (Beschluss vom 25.05.2021).

 

Nachdem die Online-Teilnahme des Klägers an einem Termin zur mündlichen Verhandlung am 09.11.2021 fehlgeschlagen war, hat der Senat das deutsche Generalkonsulat Istanbul am 10.01.2022 gebeten, durch Kontaktaufnahme mit ihm zu klären, ob und wie er ins Internet gelangen und an einer Online-Verhandlung teilnehmen kann. Am 31.01.2022 hat das Konsulat mitgeteilt, dass der Kläger auf dortiges Befragen angegeben, zuhause nicht über einen Internet-Zugang zu verfügen und nur mit seinem Smartphone ins Internet zu gehen. Dieses sei mit einer Kamera ausgestattet. Er könne damit auch per Videochat kommunizieren, sei auch bereit dazu und bitte um Mitteilung weiterer technischer Details.

 

Mit Schreiben vom 10.02.2022 ist der Kläger über die Auskunft des Generalkonsulates informiert und am 14.04.2022 zum Termin zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Der Senat hat den Beteiligten von Amts wegen gestattet, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen.

 

Die Beklagte hat den zwischenzeitlichen Antrag des Klägers auf Waisenrente vom 03.02.2021 aus der Versicherung seines am 25.09.2019 verstorbenen Vaters O. C. durch Bescheid vom 26.04.2022 abgelehnt. Da er das 27. Lebensjahr vollendet habe, bestehe kein Anspruch. Hiergegen hat der Kläger am 07.05.2022 Widerspruch erhoben, der - soweit ersichtlich - noch nicht beschieden worden ist.

 

In der mündlichen Verhandlung am 02.08.2022 ist es dem Kläger erneut nicht gelungen, per Bild und Ton teilzunehmen. Er war lediglich vorübergehend per Audiotelefonat zu vernehmen. Auf die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte des Sozialgerichtes zum Aktenzeichen S 24 R 1171/15 sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat entscheidet nach Übertragung der Berufung auf den Berichterstatter gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch diesen zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern.

 

Der Senat hat die Streitsache im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz der Abwesenheit des Klägers verhandelt und entschieden. Er ist auf diese Möglichkeit mit der auch im Übrigen ordnungsgemäßen Ladung zum Termin ausdrücklich hingewiesen worden (§§ 110a Abs. 1, 126 SGG). Sein persönliches Erscheinen war nicht angeordnet worden und seine Anwesenheit nicht erforderlich, da der Sachverhalt geklärt war.

 

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Beitragserstattung.

 

Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gegen den Bescheid vom 28.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.07.2018 zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Klage ist auf teilweise Aufhebung des angefochtenen Bescheides gerichtet, soweit damit die Erstattung über den Betrag von 27.767,36 Euro hinausgehender Beiträge abgelehnt worden ist, sowie auf Verurteilung zur Erstattung eines Gesamtbetrages von mindestens 250.000,00 Euro. Bei dem Bescheid über die Ablehnung der Hinterbliebenenrente handelt es sich um einen Streitgegenstand außerhalb des Klage- und Berufungsverfahrens.

 

Der Senat nimmt im Übrigen nach eigener Prüfung und Überzeugungsbildung zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Mit der Berufung sind keine neuen Gesichtspunkte vorgebracht worden. Der Senat weist ergänzend auf Folgendes hin:

 

Der Kläger hat sein Klagevorbringen im Berufungsverfahren im Wesentlichen ausführlich wiederholt. Dabei ist es ihm weiterhin nicht gelungen, darzulegen, für welche Zeiträume genau die Beklagte zu Unrecht eine zu niedrige Erstattung bzw. keine Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung vorgenommen haben soll. Erst recht hat er die Berechnung des von ihm behaupteten Erstattungsbetrages von mindestens 250.000,00 Euro nicht ansatzweise dargelegt.

 

Soweit der Kläger auf seine gesundheitliche Situation (u.a. GdB 20) hingewiesen hat, ist nicht erkennbar, wie auf deren Grundlage ein höherer Erstattungsanspruch zu begründen wäre. Pflegezeiten von Angehörigen sind bei der Beklagten zwar nicht aktenkundig, für diese gezahlte Beiträge wären jedoch auch dann nicht erstattungsfähig, wenn der Kläger sie zeitlich genau substantiiert hätte. Er hat einzusehen, dass auch Beiträge für nicht erwerbstätige Pflegepersonen ebenso wie etwaige Beiträge für Bezieher von Entgeltersatz- und Sozialleistungen nach dem nicht zu beanstandenden Willen des Gesetzgebers nicht zu erstatten sind. Selbst wenn das anders wäre, ließe sich im Übrigen nicht annähernd ein solcher Betrag, wie vom Kläger angegeben, errechnen.

 

Der Kläger irrt auch, soweit er meint, dass die Auszahlung der Erstattungssumme zu früh erfolgt wäre. So sieht § 210 Abs. 2 SGB VI einen Abstand von 24 Monaten zum letzten Versicherungspflichtverhältnis vor. Dies war bis zum 31.12.2010 der Arbeitslosengeld II-Bezug. Seit dem 01.01.2011 begründet dieser Bezug keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung mehr. Ein Zinsanspruch konnte nach § 44 Sozialgesetzbuch Erstes Buch nicht entstehen, da der Erstattungsanspruch des Klägers noch vor Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt seiner Fälligkeit erfüllt worden ist.

 

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren geäußert hat, es könne nicht sein, dass sein Rentenanspruch nun für einen Betrag von gut 27.000,00 Euro „einfach weg ist“, so ist er nach Aktenlage hinlänglich und mehrfach über die Konsequenzen eines Erstattungsantrages aufgeklärt worden. Die Beklagte hat ihm schriftlich sogar ausdrücklich vor einer Antragstellung zu einer Beratung bei ihr geraten. Aus dem Verwaltungshandeln ergeben sich für den Kläger mithin keine Anknüpfungspunkte zur Begründung des behaupteten Anspruchs.

 

Der Kläger hat schließlich gefordert, seine „sozialen Rechte“ zurückzuerhalten, auf die ausdrückliche Nachfrage des Senates aber nicht angegeben, den Erstattungsbetrag zurückzahlen zu können. Im Gegenteil lässt sein gesamtes Vorbringen nur vermuten, dass er den Betrag verbraucht hat. Soweit in der Literatur vertreten wird, dass die Rücknahme eines Erstattungsantrages durch den Antragsteller bis zum Beginn der Bestandskraft des Bescheides zulässig sei, wäre Voraussetzung für deren Wirksamkeit allerdings die Rückzahlung durch den Berechtigten (vgl. Wißing, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., Stand: 01.04.2021, § 210, Rn. 71). Eine „Rückabwicklung“ des Erstattungsverfahrens und Umwandlung in einen Rentenantrag kommt von daher nicht in Betracht.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs 1 Satz 1 SGG.

 

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs 2 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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