L 12 SO 231/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
12
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 10 SO 71/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 SO 231/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 5/23 R
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.03.2022 geändert und der Bescheid der Beklagten vom 16.01.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2021 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Der endgültige Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Auskunftsanspruchs nach § 117 Abs. 1 S. 1 und 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) für die Zeit ab Januar 2020.

 

Der Vater des Klägers, Herr O. D. (geb. am 00.00.1959, im Folgenden: Hilfeempfänger), ist seit dem 23.10.2013 von seiner Ehefrau, Frau T. X. (geb. am 00.00.1960) geschieden, mit der er zwei leibliche Kinder hat: neben dem am 00.00.1985 geborenen Kläger noch einen weiteren Sohn namens Z. D.. Der Hilfeempfänger lebt seit dem 06.06.2014 in dem Seniorenzentrum „U.“ in J. Bei ihm ist ein Pflegegrad 3 festgestellt. Er erhält Pflegewohngeld. Am 06.11.2018 beantragte der Hilfeempfänger durch seinen Bruder als gesetzlichen Betreuer die Übernahme der ungedeckten Heimpflegekosten. In dem Sozialhilfefragebogen trug der Betreuer unter der Rubrik „Unterhaltspflichtige außerhalb des Haushalts“ die geschiedene Ehefrau und die beiden Söhne des Hilfeempfängers ein.

 

Die Beklagte erklärte sich durch Bescheid vom 15.10.2019 bereit, ab dem 01.12.2018 die ungedeckten Heimpflegekosten (102,89 Euro ab dem 01.12.2018, 110,07 Euro ab dem 01.01.2019) zu übernehmen und einen angemessenen Barbetrag (112,32 Euro ab dem 01.12.2018, 114,48 Euro ab dem 01.01.2019) zu zahlen. Mit weiterem Bescheid vom 31.01.2020 wurde der Barbetrag ab dem 01.01.2020 auf 116,64 Euro erhöht und für die Zeit ab dem 01.01.2020 zusätzlich eine monatliche Bekleidungsbeihilfe von 21,33 Euro bewilligt. Ferner hat sich die Beklagte gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung des Hilfeempfängers, der DAK, bereit erklärt, die Beiträge zur freiwilligen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab dem 01.12.2018 zu übernehmen (Schreiben vom 31.01.2020). Der Hilfeempfänger befindet sich nach wie vor im Leistungsbezug durch die Beklagte.

 

Im Oktober 2019 zeigte die Beklagte gegenüber Frau X. und Herrn Z. D. die Überleitung der Ansprüche an und bat um Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Frau X. verwies auf einen Ehevertrag mit dem Hilfeempfänger vom 14.11.2003, in dem unter anderem ein wechselseitiger Unterhaltsverzicht vereinbart wurde. Belastbare Gründe dafür, dass diese Klausel sittenwidrig und damit nichtig sein könnte, hat die Beklagte nach eigenen Angaben nicht ermitteln können. Ein Unterhaltsanspruch gegen den Bruder des Klägers, der zum Zeitpunkt der Auskunftserteilung Student war, war ebenfalls nicht erfolgreich.

 

Mit Bescheid vom 30.10.2019 forderte die Beklagte den Kläger zur Prüfung einer etwaigen Unterhaltspflicht dazu auf, Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen. Die Zustellung dieses Bescheides an die aktuelle Anschrift des Klägers, unter welcher er seit dem 01.09.2015 gemeldet ist, scheiterte daran, dass er unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war. Auch ein erneuter Zustellungsversuch mit inhaltsgleichem Bescheid vom 27.11.2019 scheiterte aus denselben Gründen. Auf Anfrage der Beklagten teilte die Verwaltung der Stadt A. mit Schreiben vom 14.01.2020 mit, dass der Kläger an der gemeldeten Adresse wohnhaft sei, eine Klingel und ein Briefkasten auf seinen Namen aber nicht vorhanden seien. Bei erneutem Aufsuchen der Adresse am 13.01.2020 seien Klingel und Briefkasten schließlich vorhanden gewesen.

 

Ein erneuter Zustellungsversuch mit inhaltsgleichem Bescheid vom 16.01.2020 erfolgte sodann erfolgreich am 21.01.2020. In diesem Bescheid wies die Beklagte, wie schon in den vorangegangenen Bescheiden vom 30.10.2019 und 27.11.2019, darauf hin, dass sie derzeit rund 1.700 Euro monatlich an ungedeckten Heimkosten für den Hilfeempfänger übernehme. Ein etwaiger Unterhaltsanspruch des Hilfeempfängers gegenüber dem Kläger sei gemäß § 94 Abs. 1 SGB XII bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen zusammen mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch kraft Gesetzes auf die Beklagte als Trägerin der Sozialhilfe übergegangen. Dies gelte für die Zeit ab November 2019, da der Kläger frühere Zustellungsversuche mangels beschrifteten Briefkastens vereitelt habe. Der Kläger, sein nicht getrennt lebender Ehegatte und Haushaltsangehörige, die eigenes Einkommen erzielten, seien gemäß § 117 SGB XII verpflichtet, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen. Zu diesem Zweck fügte die Beklagte dem Bescheid verschiedene Vordrucke bei, die innerhalb von vier Wochen nach Zustellung vollständig ausgefüllt zurückgesendet werden sollten und Fragen zu Einkommens- und Vermögensverhältnisse, zu Familienmitgliedern und zum Familienstand des Klägers enthielten. Alle Angaben müssten durch entsprechende Nachweise belegt werden. Falls der Kläger Eigentum und/oder Mietobjekte besitze, sei auch die beigefügte „Rentabilitätsberechnung bei Haus- und Wohnungseigentum“ auszufüllen. Auch hier seien die entsprechenden Belege beizufügen. In jedem Fall sei er auch zur Auskunft und Vorlage von Nachweisen über Vermögensverhältnisse verpflichtet. Bei Verweigerung der Auskunftserteilung sei sie gehalten, das Ersuchen mit Mitteln des Verwaltungszwangs (Zwangsgeld) vor den Zivilgerichten durchzusetzen. Auf die weiteren Einzelheiten des Bescheides vom 16.01.2020 sowie der diesem Bescheid beigefügten Vordrucke wird Bezug genommen.

 

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 31.01.2020 Widerspruch ein. Er trug vor, dass für ihn die gesetzliche Vermutung des § 94 Abs. 1a SGB XII streite und sein Einkommen die Jahreseinkommensgrenze von 100.000 Euro nicht übersteige. Aus diesem Grund bestehe bereits kein Auskunftsanspruch nach § 117 SGB XII. Auch habe er die Zustellungsversuche nicht vereitelt und eine Auskunftsaufforderung erst im Januar 2020 erhalten.

 

Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 03.02.2020, die Zugangsstörung sei allein dem Kläger nach § 130 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zuzurechnen. Dieser lebe seit viereinhalb Jahren an der gemeldeten Adresse und habe in Anbetracht dieser Zeitspanne für eine beschriftete Klingel sowie einen Briefkasten sorgen müssen. Zudem sei es nicht überzeugend, dass der Kläger unter der Jahreseinkommensgrenze liege. Ihren Recherchen zu Folge sei er Chief Technology Officer (CTO) der V. GmbH, welche sich auf ihrer Internetpräsenz (www.v.com) als „Leadagentur für die digitale Transformation“ mit 100 Mitarbeitern und einem Honorarumsatz im hohen siebenstelligen Bereich mit sechs Standorten und einem äußerst prominenten Kundenkreis darstelle. Es sei aufgrund öffentlich zugänglicher Informationen davon auszugehen, dass das Bruttoeinkommen des Klägers branchenüblich die 100.000 Euro-Grenze überschreite.

 

Hierauf erwiderte der Kläger, ihm sei die mangelnde Beschriftung seines Briefkastens erst im Januar 2020 aufgefallen. Er habe im November und Dezember 2019 ganz normal Post erhalten. Auch für das Jahr 2020 bestehe kein Auskunftsanspruch. Nach dem Wortlaut des Gesetzes komme es ausschließlich darauf an, ob das unterhaltsverpflichtete Kind in dem Jahr, für das Unterhalt geltend gemacht wird, die Einkommensgrenze von 100.000 Euro übersteige. Dies bedeute, dass eine Auskunftspflicht erst nach Abschluss des Jahres 2020 bestehe. Es seien aber bereits keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass diese Einkommensgrenze überschritten sei. Der Internetauftritt seiner Arbeitgeberin sei lediglich zu Werbezwecken derartig ausgestaltet und lasse keine Rückschlüsse auf sein Einkommen zu. In Wirklichkeit handele es sich bei seiner Arbeitsstelle um die eines Entwicklungsleiters, dessen branchenübliches durchschnittliches Bruttogehalt unter 100.000 Euro im Jahr liege.

 

Das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung des Landes Rheinland-Pfalz wies als Widerspruchsbehörde den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 22.01.2021 zurück. Die Zustellungsstörungen seien dem Kläger analog § 130 BGB zuzurechnen. Es lägen überdies hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor. Die Voraussetzungen nach § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII seien für die Zeit ab dem 01.01.2020 erfüllt. Der Kläger sei bei einem Unternehmen mit erheblicher, deutschlandweiter Marktbedeutung in einer Führungsposition angestellt. Er sei Mitglied der Geschäftsleitungsebene. Daher sei es wahrscheinlich, dass er die Jahreseinkommensgrenze überschreite. Der Widerspruchsbescheid ist per Einschreiben mit Rückschein versendet worden; ein Rückschein befindet sich nicht in den Verwaltungsakten der Beklagten.

 

Der Kläger hat am 23.02.2021 beim Sozialgericht Köln (SG) Klage erhoben und eine Abschrift des Widerspruchsbescheides beigefügt, die mit einem Kanzlei-Eingangsstempel seiner Bevollmächtigten vom 25.01.2021 versehen war. Zur Begründung verwies der Kläger im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen.

 

Der Kläger hat beantragt,

 

den Bescheid der Beklagten vom 16.01.2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2021 aufzuheben.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Die Beklagte verwies im Wesentlichen auf ihre bisherigen Ausführungen. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 23.03.2022 hat die Beklagte über ihren Vertreter erklärt, dass der Auskunftsanspruch nicht mehr für das Jahr 2019, sondern erst ab Januar 2020 geltend gemacht werde.

 

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 23.03.2022 abgewiesen. Die Beklagte habe den Kläger zu Recht zur Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse aufgefordert. Der Unterhaltsanspruch sei nicht nach § 94 Abs. 1a SGB XII ausgeschlossen. Es lägen aufgrund der Internetpräsenz der Arbeitgeberin des Klägers hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Einkommensgrenze nach § 94 Abs. 1a SGB XII vor, sodass es zur Anwendung des § 117 SGB XII komme. Der Kläger sei nach den Internet-Recherchen der Beklagten in einer Führungsposition bei der V. Aktiengesellschaft beschäftigt (Management Board). Diese Gesellschaft bezeichne sich im Internet als Digital-Agentur und sei in den Bereichen Digital-Marketing, E-Commerce und Digitalisierung tätig. Der Kläger leite nach dem Internetauftritt eine wichtige Abteilung. Damit lägen hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor. Hierfür müsse ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze nicht bereits nachgewiesen oder überwiegend wahrscheinlich sein. Der Nachweis und die Prüfung der Einkommensverhältnisse im Einzelnen erfolgten dann in einem weiteren Schritt nach Erteilung der Auskünfte. Im Fall einer Führungsposition in einer Aktiengesellschaft lägen generell hinreichende Anhaltspunkte im Sinne des § 94 Abs. 1a SGB XII vor.

 

Gegen das seinen Bevollmächtigten am 07.06.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29.06.2022 Berufung eingelegt. Unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens führt der Kläger aus, dass es für den Tatbestand § 94 Abs. 1a SGB XII einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Überschreitens der Einkommensgrenze im Sinne eines hinreichenden Tatverdachtes bedürfe. Dieser könnte einzig in den Informationen, die sich aus dem Internet über seine Arbeitgeberin ergeben, nicht erblickt werden. Das SG hätte sich mit der V. GmbH selbst und mit in der Branche vergleichbaren Löhnen genau auseinandersetzen müssen, was vorliegend nicht geschehen sei. Solange es keine statistischen Vergleichswerte gebe, die ein entsprechendes Gehalt bei entsprechender Tätigkeit in einer entsprechenden Firma nahelegten, sei aus den sonstigen Firmendaten wenig zu schließen. Wesentlich aussagekräftiger sei der (vom Kläger vorgelegte) Auszug aus einer renommierten Gehaltsvergleichsseite, die Durchschnittsgehälter eines CTO unter Berücksichtigung der Anzahl der Mitarbeiter der Firma und des Alters ausweise. Für sein Alter weise die Seite ein Bruttoeinkommen zwischen 5.700 und 6.300 Euro monatlich aus. Auch das Bruttoeinkommen basierend auf der Mitarbeiterzahl liege bei unter 5.500 Euro und damit unterhalb der Jahreseinkommensgrenze von 100.000 Euro. Seine Arbeitgeberin sei zudem kein börsennotierter Konzern. Der angefochtene Bescheid sei ferner zu unbestimmt und nicht vollstreckbar, weil ihm weder zu entnehmen sei, welche Auskünfte von ihm gefordert würden noch für welchen Zeitraum. Er müsse nicht nachweisen, dass die Einkommensgrenze nicht überschritten sei. § 94 Abs. 1a SGB XII sei vielmehr ein Schutzgesetz mit Grundrechtsrelevanz (informationelle Selbstbestimmung). Der Vortrag der Beklagten zu seiner angeblich hochwertigen Immobilie sei zudem unsubstantiiert.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.03.2022 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 16.01.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2021 aufzuheben.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

 

Die Beklagte meint, dass der Vergleich mit einem hinreichenden Tatverdacht nach § 170 Strafprozessordnung (StPO) bezüglich der hinreichenden Anhaltspunkte aus § 94 Abs. 1a SGB XII nicht tragfähig sei. Es könne allenfalls eine Parallele zu einem Anfangsverdacht nach § 152 Abs. 2 StPO gezogen werden. Zu dessen Begründung genügten die bisher selbstständig eingeholten Informationen. Ein CTO sei die oberste technische Leitungsperson. Der Kläger sei damit in einer unersetzbaren Schlüsselposition bei seiner Arbeitgeberin. Den Titel „Vorstand“ oder „Geschäftsführer“ müsse er dafür nicht tragen. Der für 2017 angegebene Bilanzgewinn in Höhe von 641.897,02 Euro und die Anzahl der Mitarbeiter von 79 sprächen dafür, dass die Angaben auf der Internetpräsenz der Arbeitgeberin nicht „übertrieben“ seien. Die Ausführungen des Klägers zur Grundrechtsrelevanz seien nicht nachzuvollziehen. Der zu klärende Unterhaltsanspruch habe seine Stütze in Art. 6 Grundgesetz (GG). Der Staat dürfe sich in Ausnahmefällen in die familiären Belange einmischen, und zwar dann, wenn Familienangehörige notwendige Hilfe für einen der ihren nicht erbringen könnten oder wollten. Der Kläger habe den notwendigen Unterhalt des Hilfeempfängers nicht sichergestellt. Sie, die Beklagte, habe bislang 80.000 Euro für die Heimpflege des Hilfeempfängers aufgewendet, aktuell seien es 1.413,90 Euro monatlich. Der Bescheid sei bestimmt und vollstreckbar. Dies ergebe sich aus den Formularen, die dem Bescheid vom 16.01.2020 angehängt gewesen seien. Der Kläger wohne in einer offensichtlich hochwertigen Immobilie. Sie habe für die Adresse des Klägers fünf Immobilienangebote ausgewertet. Ungeachtet der Tatsache, ob der Kläger Eigentum besitze oder zur Miete wohne, wären einschließlich der Nebenkosten für das Wohnen 2.500 Euro monatlich zu veranschlagen.

 

Der Senat hat mit Schreiben vom 31.10.2022 Auszüge aus der Homepage der Arbeitgeberin des Klägers an die Beteiligten versendet und darauf hingewiesen, dass diese zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden. Auf diese Unterlagen wird Bezug genommenen.

 

Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Berufung des Klägers hat Erfolg.

 

A. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 16.01.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2021 (vgl. § 95 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), mit welchem diese den Kläger zur Erteilung von Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse aufgefordert hat. Die Erklärung des Beklagtenvertreters im Verhandlungstermin vor dem SG am 23.03.2022, wonach der Auskunftsanspruch nur noch für die Zeit ab Januar 2020 geltend gemacht werden solle, ist als Teilanerkenntnis auszulegen, weil dadurch das Auskunftsverlangen zeitlich begrenzt wurde.

 

B. Die Berufung ist zulässig.

 

I. Die Berufung ist statthaft. Gemäß § 143 SGG findet gegen die Urteile des Sozialgerichts die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt. Die Berufung ist hier unabhängig vom Wert des Beschwerdegegenstandes nach Maßgabe von §§ 143, 144 SGG statthaft. Der Kläger wendet sich nicht gegen einen Verwaltungsakt, der auf eine Geld-, Dienst oder Sachleistung gerichtet ist, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der Erteilung einer Auskunft generell um eine Dienstleistung in diesem Sinne handelt, weil der Wert des Streitgegenstandes jedenfalls nicht in Geld bezifferbar ist. Mit Hilfe des Auskunftsgesuchs soll zunächst überhaupt festgestellt werden, ob und ggf. in welcher Höhe ein überleitungsfähiger Zahlungsanspruch besteht (vgl. LSG NRW Urteil vom 07.05.2012, L 20 SO 32/12, Rn. 17, juris; Bayerisches LSG Urteil vom 23.10.2014, L 8 SO 212/12, Rn. 22, juris).

 

II. Verfahrenshindernisse bestehen nicht. Eine notwendige Beiladung des Hilfeempfängers nach § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG ist nicht gegeben, weil dessen berechtigte Interessen im Sinne dieser Norm durch den streitigen Auskunftsanspruch nicht berührt werden (vgl. LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 29.04.2021, L 8 SO 52/20, Rn. 20, juris).

 

C. Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Diese ist zulässig und begründet.

 

I. Die Klage ist zulässig.

 

1. Die Klage ist als reine Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 SGG statthaft, weil mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides die Beschwer des Klägers bereits vollständig beseitigt wäre (vgl. LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 29.04.2021, L 8 SO 52/20, Rn. 22, juris). Hinsichtlich der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides kommt es – anders als im Regelfall bei einer Anfechtungsklage – auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat an, da es sich bei der angefochtenen, ausdrücklich unbefristeten Verpflichtung zur Auskunftserteilung um einen belastenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 54, Rn. 33a).

 

2. Die einmonatige Klagefrist nach § 87 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG ist gewahrt. Der Kläger hat gegen den Widerspruchsbescheid vom 22.01.2021 am Dienstag, den 23.02.2021 Klage erhoben. Ausweislich der Verwaltungsakten der Beklagten ist der Widerspruchsbescheid per Einschreiben mit Rückschein an die Klägerbevollmächtigten versendet worden. Zwar enthalten die Verwaltungsakten der Beklagten keinen Nachweis über die Zustellung, allerdings kann der Bescheid auf diesem Wege frühestens am 23.01.2021 bei den Klägerbevollmächtigten eingegangen sein. Dann liefe die Klagefrist frühestens am 23.02.2021 ab (§ 64 Abs. 2 SGG). Aus einem Eingangsstempel der Prozessbevollmächtigten des Klägers auf dem Widerspruchsbescheid ergibt sich gar ein Zugang erst am 25.01.2021. Der Kläger hat die einmonatige Klagefrist daher in jedem Fall gewahrt.

 

3. Die Kreisverwaltung Neuwied ist nach § 70 Nr. 3 SGG beteiligtenfähig. Danach sind fähig, am Verfahren beteiligt zu sein, Behörden, sofern das Landesrecht dies bestimmt (Behördenprinzip). Nach § 2 rheinland-pfälzisches Landesgesetz zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes (AGSGG, vom 02.10.1954 <GVBl. S. 115>, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 22.12.2004 <GBVl. S. 581>) sind in Rheinland-Pfalz alle Behörden fähig, am Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit im Sinne des § 70 SGG beteiligt zu sein. Behörde ist jede durch organisationsrechtliche Rechtssätze gebildete Stelle, die nach der einschlägigen Zuständigkeitsregelung berufen ist, unter eigenem Namen Aufgaben für den Staat oder einen Träger öffentlicher Verwaltung wahrzunehmen (vgl. BSG Urteil vom 16.10.2007, B 8/9b SO 8/06 R, Rn. 11, juris). Behörde im Sinne dieser Bestimmungen und damit Beteiligter im gerichtlichen Verfahren ist die Kreisverwaltung selbst. Nach § 55 Abs. 1 der rheinland-pfälzischen Landkreisordnung (LKO) ist die Kreisverwaltung die Verwaltungsbehörde des Landkreises und zugleich untere Behörde der allgemeinen Landesverwaltung. Sie nimmt damit im eigenen Namen staatliche Aufgaben wahr. § 21 Abs. 2 der rheinland-pfälzischen LKO setzt die Behördeneigenschaft der Kreisverwaltung ebenfalls voraus (vgl. LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 21.05.2015, L 5 SO 102/14, Rn. 17, juris).

 

II. Die Klage ist auch begründet.

 

Der Bescheid vom 16.01.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2021 (in der Gestalt des Teilanerkenntnisses vom 23.03.2022) ist rechtswidrig und beschwert den Kläger nach § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Kläger ist der Beklagten gegenüber – im bislang geltend gemachten Umfang – nicht zur Auskunftserteilung verpflichtet.

 

Ermächtigungsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII. Liegen nach der zuletzt genannten Norm im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze (100.000 Euro) vor, so ist § 117 SGB XII anzuwenden. Gemäß § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII haben die Unterhaltspflichtigen, ihre nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und die Kostenersatzpflichtigen dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung des SGB XII es erfordert. Dabei haben sie nach § 117 Abs. 1 S. 2 SGB XII die Verpflichtung, auf Verlangen des Trägers der Sozialhilfe Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII begründet eine eigenständige öffentlich-rechtliche Pflicht zur Auskunftserteilung, der ein von dem zivilrechtlichen Auskunftsanspruch aus § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. § 1605 BGB zu unterscheidender öffentlich-rechtlicher Auskunftsanspruch des Sozialhilfeträgers gegenübersteht. Die Vorschrift ermächtigt den Träger der Sozialhilfe, die Auskunftspflicht durch Verwaltungsakt gegenüber dem Pflichtigen geltend zu machen und bei Auskunftsverweigerung im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzen (vgl. dazu BVerwG Urteil vom 21.01.1993, 5 C 22/90, Rn. 7, juris, zu der im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 116 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz <BSHG>; vgl. ferner LSG NRW Urteil vom 16.05.2013, L 9 SO 212/12, Rn. 29, juris).

 

1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig.

 

a. Die Beklagte, die gegenüber dem Hilfeempfänger Leistungen nach den Bestimmungen des SGB XII seit dem 01.12.2018 erbringt, ist als tatsächliche Leistungsträgerin auch für das Auskunftsersuchen zuständig (vgl. LSG NRW Urteil vom 07.05.2012, L 20 SO 32/12, Rn. 21, juris). Ihre sachliche Zuständigkeit für das Auskunftsersuchen ergibt sich ferner aus § 97 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1, § 4 rheinland-pfälzisches Landesgesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (AGSGB XII, vom 22.12.2004 <GVBl. S. 571>, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 19.12.2018 <GVBl. S. 463>). Zuständig für die Leistungen der Hilfe zur Pflege ist zwar der überörtliche Träger der Sozialhilfe (§ 97 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII; § 2 Abs. 2 Nr. 2 AGSGB XII). Allerdings ist in Rheinland-Pfalz die Einzelfallbearbeitung der Hilfe zur Pflege auf die örtlichen Träger der Sozialhilfe, also die Kreisverwaltungen und die Verwaltungen der kreisfreien Städte, übertragen. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 der Ersten Landesverordnung zur Durchführung des Landesgesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 26.04.1967 (GVBl. S. 149), zuletzt geändert durch das BundesteilhabeG-AusführungsG vom 19.12.2018 (GVBl. S. 463), führen die Landkreise und kreisfreien Städte die dem Land als überörtlichem Träger der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 bis 8 AGSGB XII obliegenden Aufgaben durch und entscheiden dabei in eigenem Namen (vgl. auch § 4 S. 1 AGSGB XII).

 

b. Der formellen Rechtmäßigkeit steht nicht entgegen, dass der Kläger vor Erlass des Bescheides vom 16.01.2020 nicht angehört worden ist. Dieser Verstoß gegen die Anhörungspflicht nach § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ist im Widerspruchsverfahren geheilt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X). Die Heilung eines Anhörungsfehlers im Widerspruchsverfahren setzt nach ständiger Rechtsprechung des BSG voraus, dass (a) die Behörde dem Betroffenen in dem angefochtenen Verwaltungsakt die wesentlichen Tatsachen mitteilt, auf die sie ihre Entscheidung stützt, wobei es hinsichtlich der Wesentlichkeit auf die – unter Umständen unzutreffende – Rechtsauffassung der Behörde ankommt, (b) dem Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, zu den von der Behörde für entscheidungserheblich gehaltenen Tatsachen Stellung zu nehmen, wobei dies in der Regel durch die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides gewährleistet ist, es sei denn, die Behörde verwertet im Widerspruchsverfahren neue Tatsachen zu Lasten des Betroffenen, und (c) die Behörde im Widerspruchsbescheid erkennen lässt, dass sie die vorgebrachten Argumente des Widerspruchsführers zur Kenntnis genommen und abgewogen hat (vgl. BSG Urteile vom 22.10.1998, B 7 AL 106/97 R, Rn. 26, juris; vom 13.12.2001, B 13 RJ 67/99 R, Rn. 26 ff. juris; vom 11.06.2003, B 5 RJ 28/02 R, Rn. 29, juris; und vom 29.11.2017, B 6 KA 33/16 R, Rn. 16 m.w.N., juris).

 

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Zwar enthält der Bescheid vom 16.01.2020 noch nicht den Hinweis auf § 94 Abs. 1a SGB XII und die nach dieser Norm zwingend erforderlichen hinreichenden Anhaltspunkte für die Überschreitung der Jahreseinkommensgrenze. Allerdings hat der Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahrens selbst auf die Norm und ihre Voraussetzungen Bezug genommen. Die Beklagte hat dies zum Anlass genommen und noch vor Erlass des Widerspruchsbescheides in einem Schreiben vom 03.02.2020 alle wesentlichen Tatsachen genannt, die die Beklagte dazu bewogen haben, von dem Kläger Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu fordern. Im Widerspruchsverfahren hatte der Kläger Gelegenheit, zu diesen Gesichtspunkten Stellung zu nehmen, und hat davon Gebrauch gemacht. Mit den Einwänden des Klägers hat sich die Widerspruchsbehörde im Widerspruchsbescheid vom 22.01.2021 auch konkret auseinandergesetzt. Auf neue Tatsachen, zu denen sich der Kläger nicht hätte äußern können, hat die Widerspruchsbehörde ihre Entscheidung im Widerspruchsbescheid nicht gestützt.

 

Einer Anhörung des Hilfeempfängers selbst bedurfte es nicht, weil dessen Rechte durch das reine Auskunftsersuchen von vornherein nicht betroffen sein können (vgl. LSG NRW Urteile vom 07.05.2012, L 20 SO 32/12, Rn. 22, juris; und vom 16.05.2013, L 9 SO 212/12, Rn. 36, juris).

 

c. Der Bescheid ist auch bestimmt genug. Nach § 33 Abs. 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Dies ist dann der Fall, wenn die vom Verwaltungsakt getroffene Regelung, die verfügte Rechtsfolge, vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist (BSG Urteile vom 20.03.2013, B 5 R 16/12 R, Rn. 15, juris; und vom 15.12.2010, B 14 AS 92/09 R, Rn. 18, juris). Der maßgebende Sachverhalt muss sich aus dem Verwaltungsakt selbst und nicht erst unter Heranziehung des Akteninhalts ergeben. Welche Angaben zum Sachverhalt im Verwaltungsakt erforderlich sind, ergibt sich aus den Umständen des jeweiligen Einzelfalles (Mutschler in BeckOGK, SGB X, Stand: 01.05.2021, § 33, Rn. 8). Dabei richten sich die Anforderungen an die Bestimmtheit nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht (Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 33, Rn. 6). Gemessen hieran konnte der Kläger vorliegend anhand der Begründung im Bescheid vom 16.01.2020 ohne weiteres erkennen, dass er in seiner Eigenschaft als Sohn des Leistungsempfängers wegen eines etwaigen Unterhaltsanspruchs um Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse für die Zeit ab November 2019 ersucht wird. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Auskunftsersuchen die Höhe der monatlich an den Leistungsempfänger erbrachten Leistungen (= rund 1.700 Euro), die Art der Hilfegewährung (= ungedeckte Heimkosten) und deren Dauer (= seit dem 01.12.2018). Weitergehender Angaben, insbesondere des Bedarfs sowie der Einkünfte des Leistungsempfängers im Einzelnen und/oder der Art der Erkrankung (nebst medizinischer Unterlagen), bedarf es im Rahmen des § 33 Abs. 1 SGB X hingegen nicht. Die Mitteilung derartig sensibler, personenbezogener Daten ist zur Konkretisierung des an den Kläger gerichteten Handlungsgebotes nicht notwendig. Im Übrigen ist diese Mitteilung mit Blick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das als Teil des in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht nur dem Kläger, sondern auch dem Hilfeempfänger zusteht, auch nicht angezeigt (LSG NRW Urteil vom 07.05.2012, L 20 SO 32/12, Rn. 25, juris).

 

Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Bescheid vom 16.01.2020 auch nicht deshalb unbestimmt, weil er in diesem nur pauschal aufgefordert worden ist, über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu erteilen. Diese Aufforderung ist nämlich durch die beigefügten Vordrucke und die ausdrückliche Inbezugnahme im Bescheid konkretisiert und eingegrenzt worden. Das Bestimmtheitsgebot erfordert nicht, dass in einem Bescheid allgemeine oder zusätzliche Bestimmungen unmittelbar aufgeführt werden. Es reicht eine ausdrückliche Bezugnahme aus (vgl. BVerwG Urteil vom 27.04.2005, 8 C 8/04, Rn. 13, juris). Die Auslegung kann jedenfalls nicht nur anhand der Begründung des Verwaltungsaktes, sondern auch mittels ihm beigefügter Anlagen erfolgen (Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 33, Rn. 16 m.w.N.). Der dem Bescheid vom 16.01.2020 beigefügte Fragebogen ist zwar sehr weit reichend, aber er enthält Erklärungen und insbesondere Ausführungen zu den Gegenständen und den Zeiträumen der geforderten Auskünfte. So wird für den Adressaten nachvollziehbar zwischen dem Netto-Einkommen, den finanziellen Belastungen und dem Vermögen unterschieden. Die Fragen zum Vermögen werden in weitere Unterkategorien gegliedert (Grund- und Barvermögen, Giro- und Sparkonten sowie Aktien, Wertpapiere und Lebensversicherung) und es wird ein eigener Fragebogen zur Rentabilitätsberechnung bei Haus- und Wohnungseigentum zur Verfügung gestellt. Zur Anfrage über den Arbeitsverdienst wird klargestellt, dass Angaben für den Zeitraum der letzten zwölf Monate benötigt würden. Auch die Anforderung der Unterlagen zur Überprüfung der Unterhaltspflicht ist nach Art und Umfang klar abgegrenzt. Die Frage, ob die Beklagte diese weitreichenden Fragen stellen durfte, ist keine Frage der Bestimmtheit des Verwaltungsaktes, sondern seiner materiellen Rechtmäßigkeit (siehe dazu sogleich unter Punkt C. II. 2. d.).

 

2. Der Bescheid ist jedoch materiell rechtswidrig.

 

Die Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII sind hier nicht erfüllt. Der Kläger kommt zwar grundsätzlich als Unterhaltspflichtiger in Betracht (dazu a.), ein überleitbarer Anspruch wäre dem Grunde nach gegeben (dazu b.) und die Voraussetzungen nach § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII liegen vor (dazu c.). Allerdings hat die Beklagte mit ihrem auch die Vermögensverhältnisse des Klägers einschließenden Auskunftsersuchen die Grenzen des gesetzlich nach § 94 Abs. 1a SGB XII Zulässigen überschritten (dazu d.), ohne dass eine geltungserhaltende Reduktion des übrigen Verwaltungsaktes möglich wäre (dazu e.).

 

a. Der Kläger kommt als Unterhaltsverpflichteter i.S. dieser Norm grundsätzlich in Betracht. Unterhaltspflichtig sind insoweit alle Personen, denen gegenüber die hilfebedürftige Person nach den zivilrechtlichen Vorschriften dem Grunde nach einen Unterhaltsanspruch hat (Adams in BeckOK Sozialrecht, 67. Edition: 01.12.2022, SGB XII, § 117 SGB XII, Rn. 7). Der Kläger ist als Sohn des Hilfeempfängers diesem gegenüber nach § 1601 BGB zum Unterhalt verpflichtet. Verwandte in gerader Linie sind danach verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Der Hilfeempfänger muss auch bedürftig sein (§ 1602 BGB), woran vorliegend angesichts seiner aktenkundigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse keine Zweifel bestehen. Der Unterhaltspflichtige muss ferner leistungsfähig sein (§ 1603 BGB), was hier erst nach einer Auskunftserteilung geprüft werden kann.

 

b. Das Auskunftsersuchen ist dem Grunde nach nicht rechtswidrig. Dies wäre nur dann der Fall, wenn offensichtlich kein überleitbarer Anspruch besteht (sog. Negativevidenz, vgl. BSG Beschluss vom 20.12.2012, B 8 SO 75/12 B, Rn. 7, juris; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 21.06.2018, L 7 SO 1715/16, Rn. 21 m.w.N., juris; LSG NRW Urteile vom 16.04.2008, L 12 SO 4/07, Rn. 27, juris; und vom 07.05.2012, L 20 SO 32/12, Rn. 27 ff., juris). Anhaltspunkte für eine solche Offensichtlichkeit sind vorliegend nicht gegeben.

 

Ein gegenüber dem Kläger und seinem Bruder (Z. D.) im Rahmen des Rangverhältnisses nach § 1606 Abs. 1 und 2 BGB vorrangiger Unterhaltspflichtiger ist nicht erkennbar. Vielmehr haften mehrere gleichrangige Verwandte – wie hier die Brüder – gegenüber den Eltern anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen, § 1606 Abs. 3 BGB. Die Verpflichtung zum Unterhalt entfällt auch nicht nach Maßgabe des § 1611 Abs. 1 S. 2 BGB. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Anhaltspunkte, dass die Voraussetzungen dieser Norm erfüllt sein könnten, liegen nicht vor. Gesichtspunkte, die der Regelung in § 1611 Abs. 1 S. 2 BGB zuzuordnen wären, sind vom Kläger nicht mitgeteilt worden. Andere Umstände, aus denen eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs des Leistungsempfängers – z.B. im Rahmen des § 242 BGB – abzuleiten sein könnten, sind nicht vorgetragen worden (vgl. dazu LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 29.04.2021, L 8 SO 52/20, Rn. 28, juris).

 

Die Mutter des Klägers (Frau T. X.) wäre zwar eine gegenüber dem Kläger (und seinem Bruder) vorrangig Verpflichtete. Denn der geschiedene Ehegatte geht den Verwandten in der Haftung vor, soweit er leistungsfähig ist (§§ 1581, 1584 BGB) und soweit ein Unterhaltsanspruch dem Grunde nach gegen ihn besteht (§§ 1570-1576 BGB, vgl. Langeheine in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 1606, Rn. 3). Dies ist hier aber nicht der Fall. Der Hilfeempfänger und Frau X. haben in einem Ehevertrag vom 14.11.2003 einen wechselseitigen Unterhaltsverzicht vereinbart. Ehegatten steht es grundsätzlich frei, die gesetzlichen Vorgaben über den Zugewinn, den Versorgungsausgleich sowie den nachehelichen Unterhalt ehevertraglich auszuschließen (BGH Urteil vom 11.02.2004, XII ZR 265/02, Rn. 35 ff., juris). Allerdings darf der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen nicht beliebig unterlaufen werden. Eine Grenze ist dort zu ziehen, wo der Vertrag nicht mehr Ausdruck und Ergebnis einer gleichberechtigten Lebenspartnerschaft ist, sondern eine Überlegenheit des Ehepartners widerspiegelt; dann läge ein Verstoß gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB vor (BGH a.a.O., Rn. 39 ff., juris). Anhaltspunkte hierfür sind nicht ersichtlich und wurden von den Beteiligten auch nicht geltend gemacht. Insbesondere die Tatsache, dass der Unterhaltsverzicht fünfzehn Jahre vor dem Eintritt des sozialhilferechtlichen Leistungsfalls vereinbart wurde, spricht entscheidend gegen die Annahme einer Sittenwidrigkeit. Auf eine nähere Sachverhaltsaufklärung und Prüfung der Rechtmäßigkeit des Unterhaltsverzichts kann der Senat verzichten. Eine Negativevidenz kann im Rahmen des § 117 Abs. 1 SGB XII nur dann vorliegen, wenn von vornherein, d.h. ohne nähere Prüfung, ohne Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen ersichtlich ist, dass der Unterhaltsanspruch nicht besteht (Bayerisches LSG Urteil vom 23.10.2014, L 8 SO 212/12, Rn. 41, juris). Davon ist hier im Falle des Klägers nicht auszugehen.

 

Der Senat weist in diesem Zusammenhang klarstellend darauf hin, dass der Auskunftsverwaltungsakt auch nicht deshalb (offensichtlich) rechtswidrig ist, weil er sich ursprünglich auf das Jahr 2020 bezog, das im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe noch nicht abgelaufen war. Der entsprechende Einwand des Klägers, eine Auskunft sei erst nach Abschluss des Jahres geschuldet, in dem der Unterhalt geltend gemacht werde, geht fehl. Eine zeitliche Beschränkung des Auskunftsanspruchs lässt sich anhand des Wortlautes des § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII nicht erkennen. Das behördliche Auskunftsverlangen setzt nicht voraus, dass dem Hilfeempfänger gegenüber dem Kläger ein Unterhaltsanspruch tatsächlich und nachweislich zusteht. Die Frage, ob der Kläger tatsächlich über ein überschreitendes Einkommen verfügt, ist letztlich eine Frage der Prüfung seiner Einkommensverhältnisse. Der Auskunftsanspruch nach § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII ist dieser Prüfung vorgeschaltet und soll lediglich Aufschluss darüber geben, ob der Dritte aufgrund des § 94 SGB XII zur Herstellung oder Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe überhaupt in Anspruch genommen werden könnte (vgl. zur Vorgängerregelung des § 116 Abs. 1 BSHG: BVerwG Urteil vom 21.01.1993, 5 C 22.90, Rn. 8, juris; Bayerischer VGH Urteil vom 08.07.2004, 12 B 99.3020, Rn. 21, juris). Einwände wie die Tatsache, dass das Einkommen tatsächlich auf das Jahr betrachtet niedriger ist, als zu dem Zeitpunkt, zu dem Auskunft erteilt wird, sind solche, die im Rahmen einer etwaigen Inanspruchnahme des Klägers durch die Beklagte geltend gemacht werden könnten. Sie betreffen die Frage, ob ein Unterhaltsanspruch unter Berücksichtigung des Ausschlusses aus § 94 Abs. 1a S. 2, 3 SGB XII überhaupt besteht. Vorliegend richtet sich der Bescheid der Beklagten aber nicht auf die Festsetzung einer Erstattungspflicht des Klägers, sondern lediglich auf die Ermittlung einer solchen.

 

c. Es liegen hinreichende Anhaltspunkte i.S.d. § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII dafür vor, dass der Kläger die Jahreseinkommensgrenze von 100.000 Euro brutto überschreitet.

 

§ 94 Abs. 1a SGB XII wurde durch Art. 1 Nr. 8 lit. b des Gesetzes zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigen-Entlastungsgesetz) vom 10.12.2019 (BGBl. I, 2135) eingefügt und trat gemäß Art. 8 Abs. 3 des Angehörigen-Entlastungsgesetzes am 01.01.2020 in Kraft. Für die Anwendbarkeit der Norm in diesem Fall spricht zunächst, dass sowohl der Ausgangsbescheid vom 16.01.2020 als auch der Widerspruchsbescheid vom 22.01.2021 erst nach Inkrafttreten des § 94 Abs. 1a SGB XII gegenüber dem Kläger bekanntgegeben wurden. Ferner hat die Beklagte durch ihr Teilanerkenntnis vom 23.03.2022 klargestellt, dass sie ihr Auskunftsersuchen allein auf die Zeit ab Januar 2020 erstrecken möchte. Auf die Frage, ob die Beklagte, wie ursprünglich im Bescheid vom 16.01.2020 verfügt, ein Auskunftsbegehren für eine Zeit vor dem 01.01.2020 verlangen könnte und ob insoweit eine weitere Prüfung nach altem Recht erforderlich und zulässig wäre (vgl. dazu LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 29.04.2021, L 8 SO 52/20, Rn. 22, juris), kommt es vor diesem Hintergrund ebenso wenig an wie auf die Frage, ob der Kläger den Zugang der früheren Bescheide vom 30.10.2019 und 27.11.2019 vereitelt hat und sich infolgedessen wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben (analog § 242 BGB) nicht auf die spätere Bekanntgabe berufen dürfte (vgl. allgemein dazu: BVerwG Urteil vom 29.06.1990, 8 C 22/89, Rn. 10 f., juris; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 04.02.2013, L 15 AS 378/12 B ER, Rn. 5, juris; Bayerischer VGH Urteil vom 22.01.2009, 4 B 08.1591, Rn. 35 ff., juris).

 

Nach § 94 Abs. 1a S. 1 SGB XII sind Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern nicht zu berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Sozialversicherung (SGB IV) beträgt jeweils mehr als 100.000 Euro (Jahreseinkommensgrenze). Der Übergang von Ansprüchen der Leistungsberechtigten ist ausgeschlossen, sofern Unterhaltsansprüche nach Satz 1 nicht zu berücksichtigen sind (S. 2). Es wird vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen nach Satz 1 die Jahreseinkommensgrenze nicht überschreitet (S. 3). Zur Widerlegung der Vermutung nach Satz 3 kann der jeweils für die Ausführung des Gesetzes zuständige Träger von den Leistungsberechtigten Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen nach Satz 1 zulassen (S. 4). Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, so ist § 117 SGB XII anzuwenden (S. 5). Die Beweislast für das Überschreiten der Einkommensgrenze liegt dabei beim Sozialleistungsträger (Giere in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Auflage 2020, § 94 Rn. 47 m.w.N.).

 

aa. Wann hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze im Sinne des § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII gegeben sind, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut und ist daher anhand der anderen anerkannten Auslegungsmethoden, nämlich dem Sinn und Zweck, der Systematik sowie der Historie, zu bestimmen (vgl. dazu SG Karlsruhe Urteil vom 18.01.2018, S 2 SO 1269/16, Rn. 35 f., juris).

 

Mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz hat der Gesetzgeber eine umfassende Beschränkung des grundsätzlich vorgesehenen Anspruchsübergangs nach § 94 Abs. 1 SGB XII vorgenommen (Adams in BeckOK Sozialrecht, 67. Edition: 01.12.2022, § 94 SGB XII, Rn. 24a). Sinn und Zweck dieser Begrenzung ist die Entlastung von Kindern und Eltern, die gegenüber Leistungsbeziehern unterhaltsverpflichtet sind (BT-Drucks. 19/13399, S. 1). Eine sog. „verschämte Armut“, also der Verzicht auf Sozialleistungen, um einen Rückgriff auf die Kinder als Unterhaltspflichtige zu verhindern, soll dadurch unterbunden werden (Schürmann, FF 2020, 48, 49). Damit einhergehen soll eine allgemeine Rechts- und Verwaltungsvereinfachung. So sind nun nicht mehr Unterhaltsansprüche aller in Betracht kommenden Angehörigen zu prüfen, sondern lediglich derer, bei denen hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der 100.000 Euro-Jahreseinkommensgrenze vorliegen (BT-Drucks. 19/13399, S. 24). Unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung und des Telos des § 94 Abs. 1a SGB XII kann daher nicht bereits jeder Umstand, der eventuell auf eine Überschreitung der Jahreseinkommensgrenze hinweist, als ein hinreichender Anhaltspunkt gewertet werden. Vielmehr ist eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Überschreitung der Einkommensgrenze zu fordern, ohne dass sichere Annahmen notwendig wären. Wenn an den Begriff der „hinreichenden Anhaltspunkte“ keinerlei einschränkende Anforderungen gestellt werden würden, führte dies zu einem automatischen Zugriff des Sozialhilfeträgers auf die Unterhaltspflichtigen der Leistungsberechtigten. Dies widerspräche indes der mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz bezweckten eingeschränkten Inanspruchnahme von Familienangehörigen als Unterhaltspflichtige. Denn nicht nur ein etwaiger Unterhaltsanspruch stellt eine Belastung der Angehörigen dar. Auch eine unter Umständen langwierige Prüfung der Einkommensverhältnisse sowie deren Offenlegung kann als belastender Eingriff in die eigene Privatsphäre, insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, empfunden werden. Auch würde dies – entgegen der gesetzgeberischen Absicht – zu keiner Entlastung in der Verwaltungspraxis führen.

 

Für eine einengende Auslegung spricht auch das systematische Verhältnis von § 94 Abs. 1a S. 4 und 5 SGB XII. Zur Widerlegung der Vermutungsregelung des § 94 Abs. 1a S. 3 SGB XII sieht das Gesetz ein differenziertes Informationsbeschaffungsverfahren vor: Bestehen Anhaltspunkte für eine mögliche Widerlegung der Vermutung (S. 4), kann der Sozialhilfeträger vom Leistungsberechtigten nur allgemeine Angaben verlangen. Diese Angaben sollen den zuständigen Hilfeträger in dieser Stufe des Verfahrens lediglich in den Stand versetzen, Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der nach Satz 1 Unterhaltspflichtigen zu ziehen. Ein Vorgehen nach Satz 4 kann bereits erfolgen, wenn der Leistungsträger eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Widerlegung der Vermutung aus § 94 Abs. 1a S. 3 SGB XII erblickt (Adams in BeckOK Sozialrecht, 67. Edition: 01.12.2022, § 94 SGB XII, Rn. 24b). Ergeben sich daraufhin – oder aus anderen Informationsquellen – hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Einkommensgrenze, sind die Unterhaltsverpflichteten zur Offenlegung ihrer Einkommensverhältnisse verpflichtet (S. 5). Dieses Stufenverhältnis und die unterschiedliche sprachliche Fassung („Rückschlüsse“ bei S. 4 und „hinreichende Anhaltspunkte“ bei S. 5) lassen darauf schließen, dass die Anforderungen an die „hinreichenden Anhaltspunkte“ anhand strengerer Kriterien zu bemessen sind als an die Informationsbeschaffung durch den Leistungsberechtigten nach S. 4. Auch dies lässt sich damit begründen, dass der Gesetzgeber die Inanspruchnahme der Familienangehörigen als Ausnahme und nicht als Regel vorstanden wissen wollte.

 

Hieraus lässt sich allerdings nicht ableiten, dass der Sozialhilfeträger hinreichende Anhaltspunkte nur durch die Angaben des Leistungsberechtigten begründen kann. Es kommt nicht darauf an, auf welchem Wege die Behörde Kenntnis von den hinreichenden Anhaltspunkten erlangt; es genügt, wenn sie als solche zu qualifizieren sind. Bereits der Wortlaut des § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII schreibt keine Quelle für die Anhaltspunkte vor. Zwar folgen S. 4 und S. 5 unmittelbar aufeinander, sie sind aber sprachlich nicht miteinander verbunden und knüpfen auch sonst tatbestandlich nicht (unmittelbar) aneinander an. Vielmehr heißt es wörtlich in S. 5: „Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte … vor“, und nicht „Liegen aufgrund der Angaben nach Satz 4 hinreichende Anhaltspunkte … vor“ (vgl. Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: Januar 2022, § 94, Rn. 181). Es ist auch nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber einen Auskunftsanspruch nach § 117 SGB XII in einem Fall, in dem die Behörde auf anderem Wege hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze erlangt hat, ausschließen wollte. Dies würde im Ergebnis dazu führen, dass der Träger der Sozialhilfe selbst in solchen Fällen keine Auskunfts- und Unterhaltsansprüche des Leistungsberechtigten geltend machen könnte, in denen er sicher wüsste, dass die Vermutung nach § 94 Abs. 1a S. 3 SGB XII widerlegt ist. Dies ist mit der oben aufgezeigten gesetzgeberischen Intention nicht vereinbar.

 

In diesem Zusammenhang ist es unschädlich, dass sich die Beklagte zunächst nicht an den Hilfeempfänger gewendet und Auskünfte nach § 94 Abs. 1a S. 4 SGB XII eingeholt hat, sondern sogleich nach § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII vorgegangen ist (jedenfalls können die Angaben des Betreuers des Hilfeempfängers im Sozialhilfefragebogen zum Antrag vom 06.11.2018 bereits deshalb nicht als Auskünfte nach Satz 4 gewertet werden, weil sie noch vor der Gesetzesänderung nach altem Recht eingeholt wurden). Ein Vorrangverhältnis von Satz 4 gegenüber Satz 5 ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut nicht. Da die Behörde die Kinder bzw. Eltern auch dann direkt auf Auskunft in Anspruch nehmen kann, wenn sich diese Hinweise nicht aus der Auskunft der hilfesuchenden Person ergeben, sondern aus anderen Informationsquellen (vgl. Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: Januar 2022, § 94, Rn. 181), darf sie die Informationsbeschaffung unmittelbar nach § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII betreiben.

 

Nach alledem lässt sich schlussfolgern, dass für die „hinreichenden Anhaltspunkte“ im Sinne des § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII fernliegende Möglichkeiten nicht ausreichend, andererseits auch keine gesicherten Annahmen erforderlich sind (Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: Januar 2022, § 94, Rn. 180). Durch die Gesetzesänderung sollen zwar unterhaltspflichtige Personen entlastet werden, allerdings nicht ohne Einschränkungen. Gegenüber Personen, die die Jahreseinkommensgrenze überschreiten, soll ein Rückgriff durch den Sozialhilfeträger weiterhin möglich sein. Ein solcher Rückgriff ist aber nur möglich, sofern der Träger auch Kenntnis von der Überschreitung der Grenze erlangen kann. Zudem schränkt die Einführung des § 94 Abs. 1a SGB XII zwar den Nachrang der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 1 SGB XII ein, hebt diesen aber nicht vollständig auf.

 

Ein Rückgriff auf die Verdachtsgrade im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 1 StPO („genügender Anlaß“) bzw. § 152 Abs. 2 StPO („zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“) ist – entgegen der Ansicht der Beteiligten – weder zweckmäßig noch erforderlich. Eine Heranziehung der dazu entwickelten Auslegungsgrundsätze (vgl. etwa zum Anfangsverdacht BGH Beschluss vom 01.06.1994, StB 10/94, Rn. 13, juris; zum hinreichenden Tatverdacht vgl. die Nachweise bei Gorf in BeckOK StPO, 46. Edition: 01.01.2023, § 170, Rn. 2) im Rahmen des § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII ist wegen der unterschiedlichen sprachlichen Fassung und der divergierenden gesetzgeberischen Intention nicht geboten.

 

bb. Die o.g. Maßstäbe zu Grunde gelegt, liegen hinreichende Anhaltspunkte für das Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze von 100.000 Euro im Falle des Klägers vor. Solche Anhaltspunkte können insbesondere in einem (qualifizierten) Beruf des (potentiell) Unterhaltspflichtigen bestehen, bei dem nach allgemeinen Erfahrungswerten gut verdient wird (Conradis in LPK-SGB XII, 12. Auflage 2020, § 94 Rn. 45; Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: Januar 2022, § 94, Rn. 180; Giere in Grube/Wahrendorf/Flint/Giere, SGB XII, 7. Auflage 2020, § 94 Rn. 44). Davon kann hier ausgegangen werden. Die Arbeitgeberin des Klägers, die V. GmbH, ist eine europaweit tätige Digitalagentur mit sieben Standorten, einer Mitarbeiterzahl von aktuell 170 und einem Honorarumsatz von 12 Millionen Euro im Jahr 2020 bei einem Pro-Kopf-Umsatz im selben Jahr von 86.109 Euro. Zudem befindet die Firma sich seit dem Jahr 2021 auf Platz 43 aller deutschen Digitalagenturen nach einem Ranking des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW). Die V. GmbH, die im August 2021 von einer Aktiengesellschaft in eine GmbH umgewandelt wurde, ist seit ihrer Gründung im Jahr 1999 als GbR stetig gewachsen. Selbst nach Beginn der Corona-Pandemie hat sie im Dezember 2020 ihren fünften Standort in Hamburg eröffnet. Gegenüber dem Jahr 2018 hat die Firma ihren Umsatz um 4,5 Millionen Euro (von 7,5 Millionen auf 12 Millionen) und um 70 weitere Mitarbeiter (von 100 auf 170) erhöht. Ihr Tätigkeitsfeld als Digitalagentur ist breit gefächert; sie ist in den Bereichen „Digital Marketing, E-Commerce, Digitalisierung & interne Kommunikation“ tätig und wurde für ihre Dienste mehrfach prämiert. Der Kläger hat in diesem Unternehmen eine Führungsposition inne. Er ist Teil eines fünfköpfigen „Management Boards“, also der Geschäftsführung. Er ist seit fünfzehn Jahren in der Firma tätig und hat dort bereits im Jahr 2007 seine Ausbildung zum Fachinformatiker begonnen. Aus der Personenbeschreibung auf der Homepage der Arbeitgeberin ergibt sich, dass der Kläger innerhalb weniger Jahre Führungsverantwortung übernommen hat. Im Jahr 2016 wurde der Kläger als CTO – und damit als Technischer Direktor – für den Bereich „Development“ berufen. Dieser Bereich ist die größte Domäne seiner Arbeitgeberin. Aus diesen Umständen kann geschlussfolgert werden, dass der Kläger sich sowohl im Hinblick auf seine Verantwortung im und für das Unternahmen als auch bezüglich der anzunehmenden Gehaltsstufe in einer exponierten Stellung befindet. Es ist bereits aufgrund des Pro-Kopf-Umsatzes des Unternehmens und der Tatsache, dass der Kläger Teil der Geschäftsführung ist, davon auszugehen, dass er ein weit überdurchschnittliches Gehalt erzielt. Entgegen der Ansicht des Klägers kann man nicht auf die von ihm eingereichten allgemeinen Gehaltslisten für CTO im Kölner Raum abstellen. Aufgrund der Spannbreite der Gehälter sind das keine geeigneten Kriterien zur Bestimmung des mutmaßlichen Einkommens und daher nicht geeignet, die „hinreichenden Anhaltspunkte“ im konkret-individuellen Fall des Klägers zu widerlegen. Die besonderen Umstände in seinem Einzelfall (lange Betriebszugehörigkeit, Führungsposition seit 2016 und die positive und rasante wirtschaftliche Entwicklung seiner Arbeitgeberin) rechtfertigen die Annahme hinreichender Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze. Die o.g. Fülle an Informationen stellt jedenfalls nicht nur eine fernliegende Möglichkeit des Überschreitens der Jahreseinkommensgrenze dar. Von einer Widerlegung der Vermutungsregelung des § 94 Abs. 1a S. 3 SGB XII ist insofern auszugehen. 

 

Auf den Einwand des Klägers, dass es sich beim § 94 Abs. 1a SGB XII um ein Schutzgesetz mit Grundrechtsrelevanz handele, kommt es angesichts der voranstehenden Argumente ebenso wenig an wie auf die Frage, ob bei einem ausweichenden Auskunftsverhalten des potentiell unterhaltspflichtigen Angehörigen von hinreichenden Anhaltspunkten auszugehen ist (bejahend bei einem ausweichenden Verhalten des Hilfeberechtigten: SG Karlsruhe Urteil vom 18.01.2018, S 2 SO 1269/16, Rn. 35, juris; Schürmann, FF 2020, 48, 53; Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: Januar 2022, § 94, Rn. 180; Giere in Grube/Wahrendorf/Flint/Giere, SGB XII, 7. Auflage 2020, § 94 Rn. 44; a.A.: Conradis in LPK-SGB XII, 12. Auflage 2020, § 94, Rn. 45). Auch kann die Frage dahinstehen, ob die Wohnverhältnisse des Klägers in einem – gerichtsbekannt – besonders preisträchtigen Wohnviertel ebenfalls für eine Überschreitung der Jahreseinkommensgrenze sprechen.

 

d. Der angefochtene Bescheid ist dennoch materiell rechtswidrig, weil die Beklagte die Grenzen des zulässigen Auskunftsverlangens nach § 117 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB XII i.V.m. § 94 Abs. 1a SGB XII überschritten hat, indem sie u.a. Fragen zu den Vermögensverhältnissen des Klägers und den Einkünften etwaiger Haushaltsangehöriger sowie unterhaltsberechtigter Kinder gestellt und entsprechende Unterlagen angefordert hat. Eine entsprechende Begrenzung des Auskunftsrechts auf Fragen zu den Einkommensverhältnissen des potentiell Unterhaltsverpflichteten lässt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der §§ 94 Abs. 1a S. 5, 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII ableiten. Immerhin erklärt § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII, dass im Falle des Vorliegens hinreichender Anhaltspunkte „§ 117 SGB XII“ gelte, was als umfassender Verweis auf die dort ermöglichten Auskünfte zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen verstanden werden könnte. Für eine Begrenzung des Auskunftsverlangens im Falle des § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII sprechen gleichwohl Aspekte der Gesetzessystematik (dazu aa.), des Sinns und Zwecks der Norm (dazu bb.), der historischen Entwicklung (dazu cc.) sowie verfassungsrechtliche Vorgaben (dazu dd.).

 

aa. Nach § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist zwar über die „Einkommens- und Vermögensverhältnisse“ Auskunft zu geben, aber nur soweit die Durchführung des SGB XII es erfordert. Der Auskunftsanspruch steht daher unter dem Vorbehalt, die Information für die Sicherstellung des Nachranggrundsatzes (§ 2 Abs. 1 SGB XII) zu benötigen (LSG NRW Urteil vom 16.05.2013, L 9 SO 212/12, Rn. 41, 52, juris; vgl. auch Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider/Busse, SGB XII, 21. Auflage 2023, § 94, Rn. 99). § 94 Abs. 1a SGBXII grenzt den Kreis der Unterhaltsverpflichteten ein, wobei das Kriterium zur Bestimmung dieses Personenkreises allein das Bruttojahreseinkommen der potentiell Unterhaltsverpflichteten darstellt. Die Norm sieht daher eine Auskunftspflicht nur insoweit vor, als das Jahreseinkommen i.S.d. § 16 SGB IV betroffen ist (vgl. Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: Januar 2022, § 94, Rn. 182). Eine Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse – zur Ermittlung des Personenkreises der Unterhaltspflichtigen – sieht § 94 Abs. 1a SGB XII jedenfalls nicht vor. Insoweit ist belanglos, ob Vermögen vorhanden und wie hoch es ist. Zwar spielen die Einkünfte aus dem Vermögen dann eine Rolle, wenn sie die 100.000 Euro-Grenze (ggf. mit weiteren Einkünften) des Leistungsberechtigten übersteigen (Conradis in LPK-SGB XII, 12. Auflage 2020, § 94, Rn. 36). Solche Fragen hat die Beklagte aber bereits zum Einkommen gestellt (z.B. Miet- und Zinseinnahmen). Etwaige Fragen zu den Vermögensverhältnissen, insbesondere zum Vermögensstamm, und die Anforderung von entsprechenden Unterlagen sind zur Klärung der (Vor-)Frage, ob ein Angehöriger die Jahreseinkommensgrenze tatsächlich überschreitet und daher dem Grunde nach unterhaltsverpflichtet ist, nicht erforderlich.

 

Der Senat geht nach dem Voranstehenden davon aus, dass der Verweis in § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII auf die allgemeine Auskunftsnorm in § 117 SGB XII ein gestuftes Auskunftsrecht der Behörde auslöst (vgl. Hauß in Hauß, Elternunterhalt: Grundlagen und Strategien, 6. Auflage 2020, C. Das Angehörigen-Entlastungsgesetz, Rn. 58 ff.). Liegen – wie hier – tatsächliche Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, darf die Behörde auf der ersten Stufe ihr Auskunftsersuchen allein auf Fragen zu den Einkommensverhältnissen stützen, weil nur diese erforderlich sind, um den Kreis der nach § 94 Abs. 1a SGBXII potentiell Unterhaltsverpflichteten zu ermitteln. Auf eventuelles Vermögen der unterhaltspflichtigen Person kann es insoweit nicht ankommen, weil nach dem eindeutigen Wortlaut des § 94 Abs. 1a SGB XII der Unterhaltsanspruch auf den Sozialhilfeträger nur übergeht, wenn die Jahreseinkommensgrenze überschritten wird (Hauß a.a.O., Rn. 60). Ergibt die erteilte Auskunft, dass die maßgebliche Einkommensgrenze überschritten ist, dürfen sodann zur Bestimmung des Umfangs eines tatsächlichen Unterhaltsanspruchs auf der zweiten Stufe auch Fragen zu den Vermögensverhältnissen gestellt werden. Für die Annahme eines gestuften Auskunftsverfahrens spricht entscheidend, dass die Unterhaltspflicht der Auskunftsperson im Falle des § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII noch gar nicht feststeht, sondern lediglich „hinreichende Anhaltspunkte“ diese Annahme naheliegend erscheinen lassen. Erst und nur wenn diese Anhaltspunkte bestätigt werden, kann eine vollständige Auskunftspflicht zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen entstehen.

 

Für ein gestuftes Auskunftsrecht des Sozialhilfeträgers spricht auch die Konzeption des § 94 Abs. 1a SGB XII. In Satz 1 wird die Jahreseinkommensgrenze definiert, bei deren Unterschreiten Unterhaltsansprüche nicht zu berücksichtigen sind. Satz 2 schließt den Übergang solcher Unterhaltsansprüche ausdrücklich aus. In Satz 3 wird eine Vermutungsregelung aufgestellt, dass die Jahreseinkommensgrenze nicht überschritten wird. Hinreichende Anhaltspunkte nach Satz 5 widerlegen allein die gesetzliche Vermutung. Bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Satzes 5 steht daher keineswegs fest, ob die Jahreseinkommensgrenze tatsächlich übertroffen ist. Damit bleibt es – bis zur Klärung dieser Vorfrage – noch beim Ausschluss des Übergangs der Unterhaltsansprüche nach Satz 2. Diese gesetzliche Konzeption, die die Rechte der Angehörigen von Hilfeempfängern zu Lasten des auskunftsberechtigten Sozialhilfeträgers deutlich stärkt, rechtfertigt ein restriktives Auskunftsrecht der Behörde. Erst wenn diese Gewissheit hat, dass die Jahreseinkommensgrenze tatsächlich überschritten ist, kann ein umfassendes Auskunftsrecht angenommen werden.

 

Der Annahme eines gestuften Auskunftsverfahrens kann nicht der Vorwurf der bloßen verfahrensrechtlichen Förmelei entgegengehalten werden. Für Fälle, in denen – anders als hier – aufgrund öffentlich zugänglicher Informationen, wie etwa Gehaltslisten oder sonstigen Kenntnissen ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze bereits sicher feststeht, befindet man sich nicht in dem insoweit „in sich geschlossenen System“ des § 94 Abs. 1a SGB XII und der Träger der Sozialhilfe kann umfassend und unmittelbar Auskünfte nach § 117 Abs. 1 SGB XII einholen. In diesen Fällen muss nämlich die Vorfrage, ob die Jahreseinkommensgrenze überschritten ist und ein tatsächlich Unterhaltsverpflichteter existiert, nicht mehr beantwortet werden. Für ein gestuftes Verfahren verbleibt dann kein Raum mehr.

 

Der systematische Vergleich mit dem bürgerlich-rechtlichen Auskunftsanspruch in § 1605 BGB bestätigt das voranstehende Ergebnis. Nach § 1605 Abs. 1 S. 1 BGB sind Verwandte in gerader Linie einander verpflichtet, auf Verlangen über ihre Einkünfte und ihr Vermögen Auskunft zu erteilen, soweit dies zur Feststellung eines Unterhaltsanspruchs oder einer Unterhaltsverpflichtung erforderlich ist. Obwohl die Norm – ähnlich wie § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII – Fragen zu den Einkünften und zum Vermögen allgemein zulässt, ist in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass über den Vermögensstamm selbst eine Auskunft nur gefordert werden kann, wenn diese Information zusätzlich – über die Einkünfte hinaus – für die Unterhaltsberechnung „erforderlich“ ist (OLG Rostock Beschluss vom 04.09.2014, 11 UF 294/13, Rn. 79, juris). Wird für die Unterhaltsberechnung – wie im Regelfall – nur das Einkommen benötigt und ist der Unterhaltsschuldner nicht verpflichtet, zur Bestreitung des Unterhalts seinen Vermögensstamm einzusetzen, besteht auch keine Verpflichtung zur Erteilung einer Auskunft über das Vermögen selbst (OLG Stuttgart Beschluss vom 14.05.2018, 15 WF 36/18, Rn. 11, juris; OLG Frankfurt Beschluss vom 27.06.1991, 3 WF 60/91, Rn. 4, juris; OLG Hamm Urteil vom 24.11.1989, 5 UF 278/89, FamRZ 1990, 657, 658; Brandenburgisches OLG Beschluss vom 22.08.2022, 13 UF 22/20, Rn. 80, juris; Winter in BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2022, § 1605, Rn. 124; Reinken in BeckOK BGB, 64. Edition: 01.11.2022, § 1605, Rn. 17). Der Berechtigte muss daher substantiiert dazu vortragen, weshalb er (auch) Auskunft über das Vermögen verlangt (Winter a.a.O.).

 

bb. Für eine im voranstehenden Sinne restriktive Sichtweise spricht auch der Zweck des § 94 Abs. 1a SGB XII. Die Norm ist – wie oben bereits erwähnt (Punkt C. II. 2. c. aa.) – zu Gunsten einer Entlastung von Familien geschaffen worden und bewirkt insoweit eine deutliche Beschränkung des sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatzes (vgl. BT-Drucks. 19/13399, S. 1). Mit der Reform sollte der Familienverband entlastet und die Solidargemeinschaft stärker in die Verantwortung genommen werden (BT-Drucks. 19/13399, S. 18). Dem dient die deutliche Begrenzung des Unterhaltsrückgriffs auf Eltern und Kinder als Unterhaltsverpflichtete. Die Einführung einer 100.000 Euro-Grenze für alle Leistungen und einen erweiterten Personenkreis im SGB XII bedeutet für die Sozialhilfeträger zudem eine Rechts- und Verwaltungsvereinfachung. Durch die einzuführende Vermutungsregelung sind nicht mehr die Unterhaltsansprüche aller in Betracht kommenden Angehörigen zu überprüfen, sondern nur dort, wo im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Einkommensgrenze von 100.000 Euro vorliegen (BT-Drucks. 19/13399, S. 24). Die durch die Gesetzesänderung unmittelbar bewirkte finanzielle Entlastung der Unterhaltsverpflichteten beschreibt allerdings nur einen Teilaspekt der Gesetzesreform. Mindestens ebenso wichtig ist die mit der Reform verbundene Stabilisierung der innerfamiliären Beziehungen. Die meisten Eltern müssen keine Sorge mehr haben, dass ihre Kinder im Pflegefall zu den Kosten herangezogen werden und deren Kinder müssen nicht mehr mit einem Rückgriff des Sozialhilfeträgers rechnen. Fälle, in denen allein das Auskunftsverlangen zu einer monate- oder gar jahrelangen Belastung führte, obwohl letztlich kein Unterhalt geschuldet wurde, sollte es künftig nicht mehr geben (Schürmann, FF 2020, 48, 52). Eingedenk dieser gesetzgeberischen Intention wäre es verfehlt, bereits bei Annahme hinreichender Anhaltspunkte für das Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze eine umfassende Auskunftspflicht des Angehörigen anzunehmen. Die Auskunftspflicht muss vielmehr zunächst auf Fragen zu den Einkommensverhältnissen begrenzt bleiben, um auf diesem Wege möglichst zügig und die familiären Bindungen schonend Klarheit darüber zu schaffen, ob die Einkommensgrenze überschritten und ein Übergang des Unterhaltsanspruchs anzunehmen ist.

 

cc. Die Gesetzeshistorie streitet ebenfalls für dieses Auslegungsergebnis. Die Nichtberücksichtigung von Unterhaltsansprüchen gegen Eltern und Kindern bei einem Einkommen unter 100.000 Euro war ein wesentlicher Teil der Regelung über die Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung (a.F.). Die dortige Regelung in § 43 Abs. 5 SGB XII a.F. wurde durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz zum Teil wortgleich, insgesamt nur mit geringen Einschränkungen in § 94 Abs. 1a SGB XII übernommen (Conradis in LPK-SGB XII, 12. Auflage 2020, § 94, Rn. 33). In § 43 Abs. 5. S. 5 und 6 SGB XII a.F. hieß es: „Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der in Satz 1 genannten Einkommensgrenze [100.000 Euro] vor, sind die Kinder oder Eltern der Leistungsberechtigten gegenüber dem jeweils für die Ausführung des Gesetzes nach diesem Kapitel zuständigen Träger verpflichtet, über ihre Einkommensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung dieses Buches es erfordert [S. 5]. Die Pflicht zur Auskunft umfasst die Verpflichtung, auf Verlangen des für die Ausführung des Gesetzes nach diesem Kapitel zuständigen Trägers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen [S. 6].“ Der Gesetzgeber führt hierzu aus (BT-Drucks. 19/13399, S. 33), dass aufgrund einer überwiegenden Übereinstimmung des § 117 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB XII mit § 43 Abs. 5 S. 5 und S. 6 a.F. statt einer Übernahme dieses Normteils in § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII ein Verweis auf § 117 SGB XII erfolge, und zwar aus Klarstellungsgesichtspunkten. Inhaltliche Änderungen zur bestehenden Rechtslage sollten sich daraus jedoch nicht ergeben. Wenn aber die Auskunftspflicht nach alter Rechtslage auf Fragen zu den „Einkommensverhältnissen“ beschränkt war bzw. Fragen zum Vermögen und Vermögensstamm des Unterhaltspflichtigen nach dem Wortlaut des § 43 Abs. 5 S. 5 SGB XII a.F. nicht relevant waren, kann dies nach dem gesetzgeberischen Willen für die neue Rechtslage, die insoweit nur Klarstellungsfunktion haben soll, nicht anders bewertet werden (so allgemein auch Armbruster in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage 2020, § 94 SGB XII <Stand: 05.12.2022>, Rn. 173). Die Regelung des § 43 Abs. 5 S. 5 und 6 SGB XII a.F. wurde auch in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur überwiegend dahingehend verstanden, dass lediglich eine Auskunft zu den Einkommensverhältnissen zulässig sein sollte (so etwa: BGH Beschluss vom 08.07.2015, XII ZB 56/14, Rn. 24, juris <zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung des § 43 Abs. 3 S. 4 SGB XII>; Gebhardt in BeckOK Sozialrecht, 55. Edition: 01.09.2019, § 43 SGB XII, Rn. 12; Schoch in LPK-SGB XII, 11. Auflage 2018, § 43, Rn. 54; Blüggel in jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2018, § 43, Rn. 56; Wolf in Oestreicher/Decker, SGB II/SGB XII, Stand: EL 80, 03/2017, § 43, Rn. 20; a.A., allerdings ohne Begründung und entgegen des klaren Gesetzeswortlauts: Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 43, Rn. 27).

 

dd. In diesem Zusammenhang sind auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Auskunftsperson (dazu (<1>) sowie der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (<2>) zu berücksichtigen.

 

(1) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (grundlegend: BVerfG Urteil vom 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a., Rn. 145 ff., juris, Volkszählungsurteil). Es umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen personenbezogene Lebenssachverhalte und Informationen offenbart werden (Di Fabio in Dürig/Herzog/Scholz, GG, 99. EL 09/2022, Art. 2 Abs. 1, Rn. 175 m.w.N.). Dieses Recht ist nicht schrankenlos gewährleistet (Di Fabio a.a.O., Rn. 179 m.w.N.). Grundsätzlich muss daher der Einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen (BVerfG Urteile vom 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a., Rn. 150, juris; und vom 17.07.1984, 2 BvE 11/83, Rn. 136, juris; BVerfG Beschlüsse vom 09.03.1988, 1 BvL 49/86, Rn. 29, juris; und vom 28.01.1992, 1 BvR 1319/91, Rn. 18, juris). Durch die Auskunftspflichten des § 117 SGB XII wird das informationelle Selbstbestimmungsrecht im Allgemeininteresse eingeschränkt (vgl. Hessisches LSG Beschluss vom 05.09.2006, L 9 SO 48/06 ER, BeckRS 2006, 136433, Rn. 22). Das Allgemeininteresse besteht hier in der Herstellung des Nachranges der Sozialhilfe und damit in der Vermeidung von aus Steuermitteln finanzierten ungerechtfertigten Leistungen (Bayerischer VGH Urteil vom 08.07.2004, 12 B 99.3020, Rn. 20, juris; Bieritz-Harder/Schoch in LPK-SGB XII, 12. Auflage 2020, § 117, Rn. 4). Betrifft das Auskunftsverlangen des Sozialhilfeträgers allein Fragen zu den Einkommensverhältnissen, ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht verletzt. Eine erweiternde Auslegung dergestalt, dass bereits bei Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze Auskunft über die Vermögensverhältnisse zu erteilen ist, ist dagegen mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der potentiell unterhaltspflichtigen Person nicht vereinbar (Hauß a.a.O., Rn. 62). Denn die Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung darf nicht weitergehen, als zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist (BVerfG Urteil vom 17.07.1984, 2 BvE 11/83, Rn. 136, juris; BVerfG Beschluss vom 15.03.2001, 2 BvR 1841/00, Rn. 36, juris). An die Rechtfertigung, d.h. an den mit dem Eingriff verfolgten Zweck, sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je tiefer die in den Daten gespeicherten Informationen Auskunft über den privaten Bereich des Betroffenen geben und je intensiver die Daten benutzt werden sollen (Di Fabio a.a.O., Rn. 181). Insoweit tangieren die dezidierten Fragen zu den Vermögensverhältnissen in den Anlagen zum Bescheid vom 16.01.2020, insbesondere die Pflicht zur Darstellung aller Vermögensgegenstände, sowie die Fragen zu den weiteren Haushaltsangehörigen und deren finanziellen Verhältnissen den inneren Kern der informationellen Selbstbestimmung, ohne dass diese Informationen für die Behörde zur Klärung der streitigen Vorfrage, ob die Jahreseinkommensgrenze überschritten ist, notwendig wären.

 

(2) Im Zusammenhang mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind die §§ 94 Abs. 1a S. 5, 117 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB XII auch im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes („soweit die Durchführung dieses Buches es erfordert“, § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII) verfassungskonform auszulegen. Das verfassungsrechtlich verankerte Prinzip der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass eine Grundrechtsbeschränkung von hinreichenden Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt wird, das gewählte Mittel zur Erreichung des Zwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (BVerfG Beschluss vom 09.03.1988, 1 BvL 49/86, Rn. 29, juris). Eine Auskunftspflicht besteht daher jedenfalls dann nicht, wenn die angestrebte Auskunft für die Prüfung der Hilfebedürftigkeit nicht geeignet oder nicht erforderlich ist (vgl. Adams in BeckOK, Sozialrecht, 67. Edition: 01.12.2022, § 117 SGB XII, Rn. 5; Bieritz-Harder/Schoch in LPK-SGB XII, 12. Auflage 2020, § 117, Rn. 9). Weitergehende Informationen zu den sonstigen wirtschaftlichen Verhältnissen der unterhaltspflichtigen Personen soll der Sozialhilfeträger nämlich nicht erhalten. Dies gilt auch dann, wenn diese für die Beurteilung seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit von Bedeutung sind, was z. B. bei Wohnvorteilen oder Einkommen von Ehegatten der Fall sein kann (vgl. BGH Urteil vom 08.07.2015, XII ZB 56/14, Rn. 24, juris). Objektiv hat der Sozialhilfeträger daher in seinem Fragenkatalog sicherzustellen, dass der Inhalt der einzelnen Fragen nicht weitergeht, als die Zweckbindung der Auskunft und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Information erfordern (BVerwG Urteil vom 21.01.1993, 5 C 22/90, Rn. 10, juris; Bayerischer VGH Beschluss vom 18.04.2005, 12 CS 04.3362, Rn. 8, juris), was hier in Bezug auf die Vermögensverhältnisse des Klägers zu verneinen ist. Gleiches gilt auch für die gestellten Fragen zu etwaigen anderen Haushaltsmitgliedern und unterhaltsbedürftigen Kindern außerhalb des Haushalts einschließlich ihrer Nettoeinkünfte. Diese Fragen sind bereits deshalb unzulässig, weil die Auskunftspflicht ausweislich des Wortlauts des § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII grundsätzlich nur die eigenen Einkünfte und das eigene Vermögen des Auskunftspflichtigen umfasst. Über Einkommen und Vermögen Dritter, wie Ehegatten oder Kindern, muss daher grundsätzlich keine Auskunft erteilt werden. Eine Ausnahme hiervon gilt zwar, wenn die Kenntnis von den Einkünften des Ehegatten des Unterhaltsverpflichteten zur Berechnung des Unterhaltsanspruchs des Berechtigten erforderlich ist, da sie das unterhaltsrelevante Einkommen des Verpflichteten beeinflussen können (vgl. Bieritz-Harder/Schoch in LPK-SGB XII, 12. Auflage 2020, § 117, Rn. 13; zu Einzelfällen vgl. Winter in BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2022, § 1605, Rn. 91 ff.). Bevor eine Unterhaltspflicht des Klägers jedoch nicht feststeht, sind entsprechende Fragen – auf der ersten Stufe des Auskunftsersuchens – nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig.

 

e. Das fehlerhafte (weil nicht erforderlich erfragende) Auskunftsverlangen der Beklagten bewirkt die Rechtswidrigkeit des gesamten Auskunftsverwaltungsaktes (so die weit überwiegende Rechtsprechung, vgl. etwa: BSG Urteile vom 24.02.2011, B 14 AS 87/09 R, Rn. 23, juris; und vom 03.05.2018, B 3 KR 13/16 R, Rn. 57, juris; BVerwG Urteil vom 21.01.1993, 5 C 22/90, Rn. 19, juris; Bayerischer VGH Beschluss vom 18.04.2005, 12 CS 04.3362, Rn. 10, juris; OVG Lüneburg Urteil vom 08.04.1992, 4 L 57/90, Rn. 22, juris; LSG Sachsen-Anhalt Urteile vom 27.03.2014, L 2 AS 877/12, Rn. 43 f., juris; vom 24.06.2014, L 4 AS 798/12, Rn. 37, juris; und vom 21.06.2021, L 2 AS 462/19, Rn. 20, juris; Bayerisches LSG Urteil vom 30.04.2015, L 7 AS 634/13, Rn. 67, juris). Für die Annahme einer Teilrechtswidrigkeit (so etwa: BVerwG Urteil vom 17.06.1993, 5 C 43/90, Rn. 15 und 28, juris; Hamdorf in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Auflage 2020, § 117, Rn. 14; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: April 2020, § 117, Rn. 27) besteht im Ergebnis kein Raum. Für diese Annahme könnte man zwar ins Feld führen, dass sich das Auskunftsverlangen denkbar aus vielen, auf jede einzelne Frage bezogenen Teilverwaltungsakten zusammensetzt (so Hamdorf a.a.O.). Allerdings spricht viel mehr für die Annahme, dass ein zur Verfolgung eines konkreten Zwecks mehrere Detailpunkte umfassendes und in einem Bescheid „ensembleartig“ zusammengefügtes Auskunftsverlangen regelmäßig – und so auch hier – als einheitlicher Verwaltungsakt anzusehen ist, bei dem eine Teilrechtswidrigkeit grundsätzlich ausscheidet. Ansonsten könnte die behördliche Verfügung durch eine gerichtliche Umgestaltung einen insgesamt wesensverändernden neuen Inhalt erhalten (BSG Urteil vom 03.05.2018, B 3 KR 13/16 R, Rn. 57, juris; LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 21.06.2021, L 2 AS 462/19, Rn. 20, juris). Dass die Beklagte ihre Fragen in den mitübersandten Vordrucken zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen aus der Sicht eines objektiven Empfängers (entsprechend §§ 133, 157 BGB) als Einheit formuliert hat, ergibt sich unter anderem daraus, dass der Kläger durch seine Unterschrift versichern sollte, dass die „gemachten Angaben hinsichtlich Einkommen und Vermögen der Wahrheit entsprechen“. Die Beklagte geht insoweit selbst nicht von einer Teilbarkeit des Bescheides aus. Nach dem mittlerweile in der Rechtsprechung etablierten Grundsatz zum grundsätzlichen Verbot einer geltungserhaltenden Reduktion von Auskunftsverwaltungsakten sind die Gerichte daher nicht befugt, solche Bescheide im Sinne eines vermeintlichen „Minus“ nur teilweise aufzuheben (BSG a.a.O.; BSG Urteil vom 24.02.2011, B 14 AS 87/09 R, Rn. 23, juris).

 

Die geltungserhaltende Reduktion des Bescheides der Beklagten vom 16.01.2020 in entsprechender Anwendung von § 40 Abs. 4 SGB X kommt nicht ausnahmsweise in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsakts, im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte. Die Vorschrift ist für lediglich rechtswidrige Verwaltungsakte entsprechend anzuwenden (vgl. BSG Urteil vom 26.10.1989, 9 RV 7/89, Rn. 26, juris). Übertragen auf rechtswidrige Verwaltungsakte bedeutet die Regelung des § 40 Abs. 4 SGB X, dass ein gesamter Verwaltungsakt als rechtswidrig aufzuheben ist, wenn der rechtswidrige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne diesen Teil nicht erlassen hätte (vgl. BSG a.a.O.; LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 27.03.2014, L 2 AS 877/12, Rn. 43, juris). Dies kommt vorliegend von vornherein nicht in Betracht, weil die Beklagte von dem Kläger Auskunft über dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse unter Verwendung der übersandten Vordrucke angefordert hat, ohne dem Kläger insoweit Alternativen zur Auskunftserteilung aufzuzeigen, sowie die Vorlage von Unterlagen begehrt hat. Dabei konnte der Kläger die Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 16.01.2020 nur dahingehend verstehen, dass er aufgefordert war, die diesbezüglichen Vorgaben vollständig zu erfüllen oder sich – alternativ – nur im Ganzen einer Mitwirkung entziehen zu können. Insoweit findet sich im Bescheid vom 16.01.2020 der entsprechende im Original hervorgehobene Hinweis, dass der Vordruck vollständig auszufüllen und entsprechende Unterlagen vorzulegen seien. Ferner hat die Beklagte betont, dass alle Fragen zum Vermögen ebenfalls zu beantworten seien und im Falle einer Mitwirkungsverweigerung das Auskunftsbegehren im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt würde. Mit dieser Aufforderung erweckte die Beklagte den Eindruck, dem Kläger bleibe bei der Erfüllung einer Auskunftspflicht aus § 117 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB X keine andere Wahl, als die Auskünfte auf den ihm übersandten Vordrucken vollständig zu erteilen. Ferner ist zu bedenken, dass der Kläger als Adressat des Verwaltungsaktes nur schwer den rechtswidrigen Teil bzw. die rechtswidrigen Fragen von den rechtmäßigen Fragen unterscheiden konnte und Unklarheiten insoweit zu Lasten der erlassenden Behörde gehen müssen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 24.06.2014, L 4 AS 798/12, Rn. 37, juris). Hinzu tritt, dass in den übersandten Vordrucken eine Vielzahl von Fragen gestellt werden, die deutlich über das hinausgehen, was der Beklagte zur Durchführung der Aufgabe nach dem SGB XII benötigt hat (vgl. dazu Sächsisches LSG Urteil vom 21.11.2013, L 3 AS 320/12, Rn. 27, juris).

 

D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 Hs. 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsgesetz (VwGO). Weder der Kläger noch die Beklagte gehören zu dem in § 183 SGG genannten (kostenprivilegierten) Personenkreis, sodass die §§ 154 ff. VwGO anwendbar sind (vgl. LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 29.04.2021, L 8 SO 52/20, Rn. 31, juris).

 

E. Der Senat hat die Revision wegen des bislang höchstrichterlich nicht geklärten (Spannungs-)Verhältnisses zwischen § 94 Abs. 1a S. 5 SGB XII und § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

F. Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 S. 1 und § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Gemäß § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 GKG nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000 Euro anzunehmen, § 52 Abs. 2 GKG. Dieser Auffangstreitwert wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung regelmäßig zugrunde gelegt, wenn ein Auskunftsverlangen streitgegenständlich ist (vgl. BSG Urteil vom 24.02.2011, B 14 AS 87/09 R, Rn. 26, juris). Zwar dienen Auskunftsklagen in der Regel dazu, Klarheit darüber zu gewinnen, ob und in welcher Höhe Ansprüche auf Geldleistungen bestehen. Der Anspruch auf Geldleistungen, der mit der Auskunftsklage vorbereitet werden soll, ist nach § 52 Abs. 1 GKG grundsätzlich auch bei der Bestimmung des Streitwerts für die Auskunftsklage zu berücksichtigen. Im Regelfall wird der Wert des Geldleistungsanspruchs weder zu bestimmen noch zu schätzen sein, denn ein Auskunftsanspruch wird gerade deshalb geltend gemacht, weil Grund und Umfang eines möglichen Geldleistungsanspruchs unklar sind. Dementsprechend ist auch für das vorliegende Klageverfahren der Auffangstreitwert anzusetzen.

 

G. Die Entscheidung über die Streitwertfestsetzung ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG i.V.m. § 1 Abs. 5 GKG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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