L 10 U 457/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 18 U 908/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 U 457/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 30/22 B
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.07.2021 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten um Leistungen anlässlich eines Arbeitsunfalls vom 31.08.2015.

 

Die am 00.00.1970 geborene Klägerin, die als Flugbegleiterin/Purserin bei der U. AG beschäftigt war, war am 31.08.2015 auf einem Flug von Frankfurt am Main nach Düsseldorf eingesetzt. Lt eines Durchgangsarztberichts der chirurgischen Praxis F. (I.) vom 31.08.2015 gab sie dort an, dass sie bei ihrer Arbeit Kabinenluft eingeatmet habe und ein sog „fume event“ vermute. Sie berichtete zudem über Doppelbilder, Missempfindungen, Kopfschmerzen und ein Brennen in den Muskeln. Der Durchgangsarzt stellte die Erstdiagnose eines Inhalationstraumas. Vom 03.09.2015 bis zum 04.09.2015 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in der medizinischen Klinik III für Pneumologie, Allergologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin R.. Nach dem dortigen Bericht vom 04.09.2015 wurde die Diagnose Zustand nach Fume Event bei Exposition gegenüber fraglich toxischen Stoffen sowie Faktor-7- und -8-Mutation gestellt. Am 12.09.2015 wurde die Klägerin arbeitsfähig und nahm ihre Tätigkeit wieder auf.

 

Mit Bescheid vom 19.11.2015 lehnte es die Beklagte unter gleichzeitiger Anerkennung des Ereignisses vom 31.08.2015 als Arbeitsunfall ab, Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 11.09.2015 hinaus zu zahlen. Am 31.08.2015 sei es zu akuten Gesundheitsbeschwerden in Form von Kopfschmerzen, Doppelbildern, Missempfindungen in den Händen und Brennen in Muskeln gekommen, die zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsfähigkeit am 12.09.2015 nicht mehr bestanden hätten. Damit habe über den 11.09.2015 hinaus weder unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit noch unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bestanden.

 

Den Widerspruch der Klägerin, zu dessen Begründung diese insbesondere darauf hinwies, die Beschwerdesymptomatik halte weiter an und ein Biomonitoring habe ergeben, dass sie mit Stoffen mit bekanntem neurotoxischem Potenzial, die Bestandteile in Kerosin, Ölen und Schmierstoffen in der Luftfahrt seien, belastet sei, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.2016 unter Verweis auf eine bei der Abteilung Prävention eingeholte Stellungnahme zurück.

 

Am 13.10.2016 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Dortmund (SG) erhoben. Der Arbeitsunfall habe zu Beschwerden geführt, die über das von der Beklagten anerkannte hinausgingen, so dass ihr weitere Leistungen zustünden. Bei ihr sei eine Entgiftungsstörung festgestellt worden.

 

Sie hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

 

die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 19.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2016 zu verurteilen, ihr über den 11.09.2015 hinaus Leistungen wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 31.08.2015 zu leisten.

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Das SG hat Befundberichte bzw medizinische Unterlagen der die Klägerin behandelnden Ärzte und ein Sachverständigengutachten nebst ergänzenden Stellungnahmen von Prof. Dr. Dr. M., Institut für Arbeitsmedizin an der Universität A., eingeholt.

 

Mit Urteil vom 16.07.2021 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt:

„…Die kombinierte Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage ist zulässig aber unbegründet.

… . Die Klägerin hat wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 31.08.2015 keinen Anspruch gegen die Beklagter weitere Leistungen.

Folgen eines Arbeitsunfalles nach § 8 SGB VII sind alle körperlichen, geistigen und seelischen Gesundheitsstörungen, die durch den Arbeitsunfall zurechenbar verursacht wurden, sich also nach der Theorie der rechtlich-wesentlichen Bedingung aus dem Erstschaden ergeben (haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die Gesundheitsstörungen voll und der Kausalzusammenhang mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein.

… .

Nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme hat der Arbeitsunfall zu keinen weiteren Leiden geführt als den von der Beklagten festgestellten in Form von akuten Gesundheitsbeschwerden in Form von Kopfschmerzen, Doppelbildern, Missempfindungen in den Händen und Brennen im Muskeln.

Die Kammer schließt sich insoweit nach eigener Prüfung den überzeugenden Ausführungen des erfahrenen gerichtlichen Sachverständigen nach § 106 SGG, Prof. Dr. Dr. M., an. … .

Zutreffend verweisen der Sachverständige und die Beklagte darauf, dass die einzelnen Ereignisse während verschiedener Arbeitsschichten grundsätzlich getrennt voneinander zu beachten sind. In der gesetzlichen Unfallversicherung sind die einzelnen Versicherungsfälle grundsätzlich getrennt voneinander zu betrachten. Jedes Ereignis für sich muss grundsätzlich einen eigenen Versicherungsfall begründen. Damit muss bei jedem einzelnen Versicherungsfall auch der jeweilige Gesundheit(erst)schaden voll bewiesen und hinsichtlich seiner Verursachung durch ein versichertes Ereignis wahrscheinlich gemacht werden. Gleiches gilt aber auch für eine Verursachung einer Unfallfolge, die sich aus dem Gesundheitsausgaben ergeben soll. Die Kumulierung verschiedener Einwirkungen in verschiedenen Arbeitsschichten, …, können nur als Berufskrankheit berücksichtigt werden.

Der Nachweis eines (hinreichenden) äußeren Ereignisses kann insbesondere nicht in den im Rahmen des Biomonitoring gemessenen Werten gesehen werden. … .

Mangels eines über den 11.09.2015 hinaus bestehenden Gesundheitsschadens, der aus dem Arbeitsunfall folgt, sind über diesen Zeitpunkt hinaus auch keine Leistungen von der Beklagten zu gewähren. …“

 

Die Klägerin hat gegen das ihr am 29.07.2021 zugestellte Urteil am 25.08.2021 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Unschädlich sei iü, dass der Klageantrag möglicherweise zu unbestimmt sei, da dies auch auf den Bescheid vom 19.11.2015 zutreffe. Somit gehe der Streit darum, ob Entschädigungsleistungen dem Grunde nach über den 11.09.2015 hinaus zu zahlen seien.

 

Nach Hinweis des Senats auf die Unzulässigkeit des bisherigen Klageantrags beantragt die Klägerin nunmehr schriftsätzlich sinngemäß ausdrücklich,

 

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.07.2021 zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 19.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2016 zu verurteilen, ihr über den 11.09.2015 hinaus Leistungen wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 31.08.2015 zu erbringen, insbesondere die erforderliche Heilbehandlung und die Übernahme der hierfür anfallenden Kosten, bezogen auf die durch den Vorfall verursachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen, hier insbesondere Kopfschmerzen, etc, ferner insbesondere die Zahlung von Verletztengeld und anschließend Verletztenrente.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ihre Bescheide für ausreichend bestimmt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Über die Berufung konnte die Berichterstatterin an Stelle des Senats ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 und § 155 Abs 3, 4 SGG).

 

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

 

Die erhobene kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, Abs 4 SGG) ist im Wesentlichen bereits unzulässig.

 

Soweit die anwaltlich vertretene Klägerin weiterhin, trotz des Hinweises des Senats auf die Zulässigkeitsproblematik, die Verurteilung der Beklagten zu nicht näher spezifizierten „Leistungen“ begehrt, ist der Antrag, wörtlich betrachtet, bereits zu unbestimmt (vgl § 92 Abs. 1 Satz 3 SGG). Ein entsprechendes Urteil hätte einen nicht vollstreckungsfähigen Inhalt. Ein bloßes Grundurteil (§ 130 Abs 1 SGG) über Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung kann nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der der Senat folgt, nicht zulässigerweise begehrt werden (vgl ua BSG, Urteil vom 7. September 2004 - 2 B U 35/03, SozR 4-2700 § 8 Nr 6; BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 - B 2 U 6/06 R, juris).

 

Soweit die Klägerin ihren Antrag dahingehend versucht hat, zu konkretisieren, sie begehre „insbesondere die erforderliche Heilbehandlung und die Übernahme der hierfür anfallenden Kosten“, ist er ebenfalls unzulässig. Da Heilbehandlungsleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung nach den §§ 27ff SGB VII als Sachleistung erbracht werden, ist der hierauf gerichtete Antrag als allgemeines Sachleistungsbegehren einem Grundurteil nicht zugänglich (ua BSG, Urteil vom 7. September 2004 aaO); konkrete Heilbehandlungsleistungen begehrt die Klägerin aber nicht. Soweit mit dem Begehren, die anfallenden Kosten der Heilbehandlung zu übernehmen, zugleich Zahlungsklage erhoben werden sollte, ist diese auch unzulässig, denn bei solchen Klagen ist grundsätzlich für die Zulässigkeit der Klage eine Bezifferung des Anspruchs erforderlich (vgl Urteil des LSG NRW vom 17.12.2013, L 18 KN 362/10, juris, Rn 27ff mwN).

 

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren ihren Antrag dahingehend erweitert bzw konkretisiert hat, dass sie auch Verletztenrente begehre, kann zunächst dahinstehen, ob es sich um eine Klageänderung handelt und ob diese zulässig ist. Jedenfalls ist eine auf Verletztenrente gerichtete Klage deshalb unzulässig, weil die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden hierüber keine Entscheidung getroffen hat, die Klage nach § 54 Abs 1 S 2 SGG aber nur zulässig ist, wenn eine Beschwer durch einen Verwaltungsakt bzw die Ablehnung oder Unterlassung desselben behauptet wird. Die Beklagte hat zwar im Tenor des Bescheides vom 19.11.2015, der so durch den Widerspruchsbescheid bestätigt wurde, nur – ebenfalls unkonkret – über „Entschädigungsleistungen“ entschieden. Aus der Begründung des Ausgangsbescheides geht aber mit gerade noch hinreichender Deutlichkeit hervor, dass eine Entscheidung nur über Leistungen getroffen wurde, die aus unfallbedingter Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit resultieren können. Dies können nur Leistungen der Heilbehandlung und Verletztengeld, nicht aber Verletztenrente sein, die nach § 56 SGB VII von anderen, von der Beklagten nicht geprüften, Voraussetzungen abhängt. Der Senat hat insoweit bereits schriftlich darauf hingewiesen, dass die Klägerin ihr entsprechendes Begehren zulässig nur mit einem Antrag bei der Beklagten verfolgen könne.

 

Schließlich besteht auch kein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin an einer, teilweisen, isolierten Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte, da hieraus keinerlei Verbesserung ihrer rechtlichen oder wirtschaftlichen Stellung folgen kann.

 

Soweit die Klägerin ihren Klageantrag erstmals im Berufungsverfahren dahingehend konkretisiert hat, dass sie die Zahlung von Verletztengeld über den 11.09.2015 hinaus begehrt, ist die Klage jedenfalls unbegründet. Die Klägerin hat nach § 45 SGB VII bereits deshalb keinen Anspruch auf diese Leistung, weil sie über den 11.09.2015 hinaus – jedenfalls zunächst – nicht mehr arbeitsunfähig war. Ob später unfallbedingt erneut Arbeitsunfähigkeit eintrat, kann dahinstehen, da die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden insoweit keine Regelung getroffen hat.

 

Im Übrigen nimmt der Senat ergänzend auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung des SG Bezug - § 153 Abs 2 SGG -.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

 

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, da die Voraussetzungen gemäß § 160 Abs 2 SGG nicht erfüllt sind.

 

Rechtskraft
Aus
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