S 28 P 228/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 28 P 228/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen (i.d.F. vom 22.03.2021) enthält keine Ausschlussfrist.


I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2021 verpflichtet, die Mehraufwendungen und Mindereinnahmen der Klägerin für die B. Tagespflege in V-Stadt in Höhe von insgesamt 16.906,36 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.01.2022 zu erstatten.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.


T a t b e s t a n d :

Streitgegenständlich ist die Erstattung von infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 anfallenden außerordentlichen Aufwendungen sowie Mindereinnahmen.

Die Klägerin ist Trägerin der Einrichtung "B. Tagespflege V-Stadt". Es handelt sich insbesondere um eine teilstationäre Pflegeeinrichtung für Senioren. Für diese Einrichtung bestehen Versorgungsverträge mit den Leistungsträgern nach § 72 SGB XI, u.a. auch mit der Beklagten.

Die Klägerin beantragte mit Antrag vom 13.04.2021, eingegangen bei der Beklagten am 13.04.2021, für die Einrichtung "B. Tagespflege in V-Stadt" für den Monat Dezember 2020 die Erstattung von SARS-CoV-2 bedingten Mehraufwendungen sowie Mindereinnahmen nach § 150 Abs. 2 SGB XI in Höhe von insgesamt 16.906,36 €. Dabei betrug die Summe der Mehraufwendungen 203,04 €, die der Mindereinnahmen 16.703,32 €.

Mit E-Mail vom 22.04.2021 lehnte die Beklagte den Antrag wegen Verfristung ab.

Die Klägerin bat daraufhin mit Schreiben vom 13.04.2021 um eine kulante Lösung für diesen Vorgang.

Mit Bescheid vom 15.06.2021 bestätigte die Beklagte ihre ablehnende Entscheidung.

Mit Bescheid vom 25.10.2021 lehnte die Beklagte auch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab.

Die Klägerin legte gegen die Bescheide vom 15.06.2021 und 25.10.2021 Widerspruch ein. Die Antragstellung habe nicht in der gewünschten Zeit fertiggestellt werden können, da das Führungs- und Verwaltungspersonal der Klägerin Anfang des Jahres 2021 mit der Bewältigung der Corona-Pandemie und der Organisation der internen Abläufe und der Besuchsregelungen massiv ausgelastet gewesen sei.

Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2021 zurück. Die Kostenerstattungs-Festlegungen des GKV-Spitzenverbandes enthielten in Ziffer 3 Abs. 7 eine Ausschlussfrist, wonach die Anträge für die Monate März 2020 bis Dezember 2020 bis spätestens 31.03.2021 der Pflegekasse vorliegen müssten. Der Antrag der Klägerin sei erst am 13.04.2021 und somit nach dem 31.03.2021 gestellt worden. Im Übrigen greife auch die Regelung des § 26 Abs. 7 SGB X im streitgegenständlichen Verfahren nicht.

Die Klägerin hat am 12.01.2022 Klage erhoben, die vom Sozialgericht Landshut an das Sozialgericht München verwiesen worden ist. Aus dem Wortlaut der Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen lasse sich nicht entnehmen, dass es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handele. Der komplette Verlust des Erstattungsanspruchs widerspreche auch dem Sinn und Zweck des § 150 Abs. 2 SGB XI. An materiell-rechtliche Ausschlussfristen seien hohe verwaltungs- und verfassungsrechtliche Anforderungen geknüpft, da Betroffene bei Nichteinhaltung der Frist ihre Rechte verlören. In § 150 Abs. 2, 3 SGB XI finde sich auch keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage. Auch sei der Verlust des Erstattungsanspruchs nicht in Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen vorgesehen. Die Rechtsfolge müsse sich aber eindeutig und klar und verständlich aus der betreffenden Rechtsnorm ergeben, wenn der Verlust einer Rechtsposition erfolgen solle. Eine solche Ausschlussfrist sei im Übrigen nicht verhältnismäßig, d. h. nicht sachlich gerechtfertigt und ebenso wenig erforderlich. Selbst wenn Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen eine wirksame Ausschlussfrist enthielte, wäre § 26 Abs. 7 SGB X in entsprechender Anwendung einschlägig.

Die Klägerin beantragt,

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2021 verpflichtet, die Mehraufwendungen und Mindereinnahmen der Klägerin in Höhe von insgesamt 16.906,36 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

Hilfsweise wird beantragt:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2021 verurteilt, über den Antrag der Klägerin vom 13.04.2021 auf Erstattung von Mehraufwendungen und Mindereinnahmen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.


Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

Sie teilt mit, dass die Kostenerstattungs-Festlegungen des GKV-Spitzenverbandes für seine Mitglieder verbindlich seien. Sie seien nicht einseitig durch den GKV-Spitzenverband festgelegt worden, sondern im Benehmen mit den Bundesvereinigungen der Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen. Aus dem Wortlaut von Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen gehe zwingend hervor, dass die Frist bindend und eine Antragstellung nach diesem Zeitpunkt nicht zu berücksichtigen sei. Auch in den Fragen und Antworten zur Umsetzung der Kostenerstattungs-Festlegungen des GKV-Spitzenverbandes (Nr. 48) heiße es eindeutig, dass eine Geltendmachung von Erstattungen für 2020 über den 31.03.2021 nicht mehr möglich sei. § 150 Abs. 3 SGB XI enthalte eine Ermächtigung auch zur Formulierung einer Ausschlussfrist. Es liege auch ein Sachgrund für eine Ausschlussfrist bis zum 31.03.2021 vor. Die Ausschlussfrist bezwecke nicht nur die Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens, sondern auch eine zügige und kostengünstige Abrechnung sowie die zeitnahe Einleitung des nachgelagerten Nachweisverfahrens. Da zudem finanzielle Unsicherheiten vermieden werden könnten, diene die Ausschlussfrist der Abrechnungssicherheit aller Beteiligten. Auch nach gerichtlichem Hinweis vertritt die Beklagte die Auffassung, dass in Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen - selbst bei Zugrundelegung der Fassung vom 11.01.2021 - in der Bestimmung des 31.03.2021 ein verbindlicher Endzeitpunkt festgelegt ist, bis zu dem ein Antrag eingereicht werden muss. Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen in der Fassung vom 22.03.2021 stelle dies letztlich nur klar und enthalte weder erstmals noch rückwirkend die Bestimmung eines Endzeitpunktes.

In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die Höhe des von Klägerseite geltend gemachten Erstattungsbetrags unstreitig gestellt.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Akte der Beklagten Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) erhobenen Klage liegen allesamt vor.

Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat unter Aufhebung des Bescheides vom 15.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2021 einen Anspruch gegen die Beklage auf Erstattung der Mehraufwendungen und Mindereinnahmen für die B. Tagespflege in V-Stadt in Höhe von insgesamt 16.906,36 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.01.2022.

Rechtsgrundlage des klägerischen Erstattungsanspruchs ist § 150 Abs. 2 Satz 1 SGB XI. Danach werden den zugelassenen Pflegeeinrichtungen die ihnen infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 anfallenden, außerordentlichen Aufwendungen sowie Mindereinnahmen im Rahmen ihrer Leistungserbringung, die nicht anderweitig finanziert werden, erstattet. Der Anspruch auf Erstattung kann bei einer Pflegekasse regelmäßig zum Monatsende geltend gemacht werden, die Partei des Versorgungsvertrages ist. Die Auszahlung des gesamten Erstattungsbetrages hat innerhalb von 14 Kalendertagen über eine Pflegekasse zu erfolgen. Die Auszahlung kann vorläufig erfolgen (§ 150 Abs. 2 Sätze 2 - 4 SGB XI).

Gemäß § 150 Abs. 3 Satz 1 SGB XI legt der Spitzenverband Bund der Pflegekassen im Benehmen mit den Bundesvereinigungen der Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen unverzüglich das Nähere für das Erstattungsverfahren und die erforderlichen Nachweise für seine Mitglieder fest. Dabei sind gemessen an der besonderen Herausforderung von allen Beteiligten pragmatische Lösungen in der Umsetzung vorzusehen, § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB XI. Die Festlegungen bedürfen der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit, § 150 Abs. 3 Satz 3 SGB XI.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die von der Klägerin betriebene Einrichtung grundsätzlich die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt; ebenso ist die Höhe des von Klägerseite geltend gemachten Erstattungsanspruchs unstreitig.

Streitig ist nur die Frage, ob der Erstattungsanspruch der Klägerin für den Monat Dezember 2020 aufgrund der Regelung in Ziffer 3 Abs. 7 der Festlegungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 150 Abs. 3 SGB XI zum Ausgleich der COVID-19 bedingten finanziellen Belastungen der Pflegeeinrichtungen (Kostenerstattungs-Festlegungen) ausgeschlossen ist, da er erst nach dem 31.03.2021 geltend gemacht wurde.

Dies ist nicht der Fall. Entgegen der Auffassung der Beklagten enthält Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen keine sog. Ausschlussfrist. Die Klägerin konnte auch noch nach dem 31.03.2021 ihren Erstattungsanspruch für den Monat Dezember 2020 geltend machen.

Vorab weist die Kammer jedoch darauf hin, dass die Vorschrift des § 150 Abs. 3 SGB XI grundsätzlich eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Normierung einer Ausschlussfrist durch den Spitzenverband Bund der Pflegekassen enthält. Nach der Rechtsprechung des BSG bedarf die Ausgestaltung von Abrechnungsfristen als materielle Ausschlussfristen keiner ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2005, Az. B 6 KA 19/04 R, Rn. 21 zu einer von einer Kassenärztlichen Vereinigung geregelten Ausschlussfrist im HVM aufgrund gesetzlicher Ermächtigung für den Erlass des HVM in § 85 Abs 4 SGB V; ebenso BSG, Urteil vom 07.12.2006, Az. B 3 KR 29/05 R, Rn. 14, zu einer von den Vertragspartnern geregelten Abrechnungsfrist als Ausschlussfrist aufgrund der Ermächtigung in § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V zur Regelung der "Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln ... und deren Abrechnung").

Nach dem Wortlaut von Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen liegt jedoch keine Ausschlussfrist vor:

Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen (i.d.F. vom 22.03.2021), die zum Zeitpunkt der Einreichung des klägerischen Antrags am 13.04.2021 galt, lautet:

"Die Pflegeeinrichtung kann regelmäßig zum Monatsende ihren Anspruch geltend machen. Da sich die Berechnung der Mindereinnahmen jeweils auf den gesamten Monat bezieht, können diese demnach erst im Folgemonat geltend gemacht werden. Die Pflegeeinrichtung kann auch mehrere Monate in ihrem Antrag zusammenfassen. Für die Monate März 2020 bis Dezember 2020 muss der Antrag bis spätestens 31. März 2021 bei der Pflegekasse vorliegen. Bezogen auf die Monate Januar 2021 bis zu dem nach § 150 Abs. 6 Satz 1 SGB XI (in der aktuell gültigen Fassung) geregelten Zeitpunkt kann die Pflegeeinrichtung bis drei Monate nach Ablauf des nach § 150 Abs. 6 Satz 1 SGB XI (in der aktuell gültigen Fassung) geregelten Zeitpunktes nachmelden."

Die Beklagte hat das Vorliegen einer Ausschlussfrist vornehmlich auf Satz 4 Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen (i.d.F. vom 22.03.2021) gestützt, wonach für die Monate März 2020 bis Dezember 2020 der Antrag bis spätestens 31. März 2021 bei der Pflegekasse vorliegen muss.

Diese Auffassung überzeugt nicht. Dem Wortlaut der Regelung kann nicht eindeutig entnommen werden, dass die Geltendmachung des Anspruchs für Dezember 2020 ausgeschlossen ist, wenn der Antrag nach dem 31.03.2021 eingereicht wird. Die Regelung normiert keine Rechtsfolge bei Nichteinhaltung der Frist und ist insoweit nicht hinreichend bestimmt (SG Augsburg, Urteil vom 02.06.2022, Az. S 10 P 119/21, Rn. 38; SG B-Stadt, Urteil vom 29.11.2022, Az. S 44 P 195/22, Rn. 46; a.A. SG Cottbus, Gerichtsbescheid vom 24.11.2022, Az. S 16 P 43/21, Rn. 16). Ebenso wenig wird die Frist als Ausschlussfrist bezeichnet (SG Augsburg, ebenda, Rn. 38).

Selbst wenn aber Satz 4 Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen (i.d.F. vom 22.03.2021) eine Ausschlussfrist normieren sollte, käme diese vorliegend nicht zum Tragen: Denn die Regelung wurde erstmalig in der Fassung vom 22.03.2021 in Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen aufgenommen. Die Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) erfolgte am 31.03.2021. Gem. Ziffer 6 Kostenerstattungs-Festlegungen traten die (geänderten) Festlegungen am Tag nach der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit in Kraft, d.h. vorliegend am 01.04.2021 - und somit erst nach dem 31.03.2021.

Eine aus Satz 4 Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen (i.d.F. vom 22.03.2021) abgeleitete Ausschlussfrist würde eine unwirksame echte Rückwirkung darstellen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG stehen die im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes Gesetzen mit echter Rückwirkung grundsätzlich entgegen (BVerfG, Beschluss vom 17.12.2013, Az. 1 BvL 5/08, Rn. 62ff. m.w.N.). Vorliegend handelt es sich, unterstellt man den Ausschlussfristcharakter der Regelung, um eine die Träger von Pflegeeinrichtungen belastende Norm.

Auch eine Ausnahme vom Rückwirkungsverbot läge nicht vor.

Das Rückwirkungsverbot gilt nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war. Bei den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten, nicht abschließend definierten Fallgruppen handelt es sich um Typisierungen ausnahmsweise fehlenden Vertrauens in eine bestehende Gesetzeslage. Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage zu rechnen war, ist von Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen (BVerfG, ebenda, Rn. 64 m.w.N.).

Zur Überzeugung des Gerichts lag vor dem Inkrafttreten der geänderten Kostenerstattungs-Festlegungen zum 01.04.2021 keine Fallgestaltung vor, die durch fehlendes Vertrauen von Seiten der Träger der Pflegeeinrichtungen in eine bestehende Rechtslage gekennzeichnet war. Die Träger der Pflegeeinrichtungen mussten mit Blick auf die Einreichungsmodalitäten und insbesondere -fristen ihrer Anträge weder mit einer Änderung rechnen noch war die Rechtslage unklar bzw. verworren; erst recht nicht war die Rechtslage unter Billigkeitserwägungen o.ä. zweifelhaft (vgl. zu den einzelnen Fallgruppen BVerfG, ebenda, Rn. 65). Vielmehr war den vor dem 01.04.2021 geltenden Vorgaben der Kostenerstattungs-Festlegungen (i.d.F. vom 11.01.2021) - ebenso wie der Vorschrift des § 150 Abs. 2 Satz 2 SGB XI - die Intention zu entnehmen, die Erstattung zeitnah durchzuführen ("regelmäßig zum Monatsende"); Sanktionen o.ä. im Fall von späten Antragseinreichungen waren jedoch nicht ausdrücklich vorgesehen:

Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen (i.d.F. vom 11.01.2021), in Kraft getreten am 16.01.2021, lautet:

"Die Pflegeeinrichtung kann regelmäßig zum Monatsende ihren Anspruch geltend machen. Da sich die Berechnung der Mindereinnahmen jeweils auf den gesamten Monat bezieht, können diese demnach erst im Folgemonat geltend gemacht werden. Die Pflegeeinrichtung kann auch mehrere Monate (höchstens März 2020 bis zu dem nach § 150 Abs. 6 Satz 1 SGB XI (in der aktuell gültigen Fassung) geregelten Zeitpunkt) in ihrem Antrag zusammenfassen und ggf. einen weitergehenden Anspruch bezogen auf die Monate März 2020 bis Dezember 2020 bis 31. März 2021 und bezogen auf die Monate Januar 2021 bis zu dem nach § 150 Abs. 6 Satz 1 SGB XI (in der aktuell gültigen Fassung) geregelten Zeitpunkt bis drei Monate nach Ablauf des nach § 150 Abs. 6 Satz 1 SGB XI (in der aktuell gültigen Fassung) geregelten Zeitpunktes nachmelden."

Aus dem Wortlaut der Sätze 1 und 2 Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen (i.d.F. vom 11.01.2021) ("kann", "regelmäßig") ist zu folgern, dass der Pflegeeinrichtung auch eine spätere Anspruchsgeltendmachung möglich ist. Satz 3 Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen (i.d.F. vom 11.01.2021) regelt die Möglichkeit, mehrere Monate in einem Antrag zusammenzufassen. Verbunden ("und") hiermit ist die Möglichkeit, ggf. einen weitergehenden Anspruch bezogen auf die Monate März 2020 bis Dezember 2020 bis 31. März 2021 nachzumelden. Dieser "weitergehende" Anspruch dürfte sich aufgrund der Verbindung ("und") auf Fallkonstellationen beziehen, in denen Ansprüche für mehrere Monate in einem Antrag zusammengefasst werden. Da es sich um einen "weitergehenden" Anspruch handelt, wird zudem vorauszusetzen sein, dass bereits ein Anspruch (für einen Monat) geltend gemacht worden ist, dieser aber (aus Sicht der Pflegeeinrichtung) zu niedrig bemessen ist. Auch hier liegt kein ausdrücklicher Ausschluss einer Geltendmachung des (gesamten) Anspruchs für einen der Monate März 2020 bis Dezember 2020 erst nach dem 31.03.2021 vor.

Aus alledem folgt, dass Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen (i.d.F. vom 11.01.2021) keine Sanktion bzw. Ausschlussfrist für den Fall enthält, dass einzelne Erstattungsansprüche für die Monate März 2020 bis Dezember 2020 überhaupt nicht in dem Zeitraum bis 31.03.2021 geltend gemacht werden.

Diese vor dem 01.04.2021 geltende Rechtslage erweist sich nicht als unklar, verworren o.ä. Anhaltspunkte dahingehend, dass die Tatbestandsvoraussetzungen einer Ausnahme vom Rückwirkungsverbot vorliegen könnten, sind deshalb nicht ersichtlich.
Infolgedessen kann aus verfassungsrechtlichen Gründen Satz 4 Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen (i.d.F. vom 22.03.2021), sofern hierin eine Ausschlussfrist gesehen wird, keine Berücksichtigung finden; dem Wortlaut der dann im Übrigen verbleibenden Vorschrift der Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen (i.d.F. vom 22.03.2021) kann zweifelsfrei kein Ausschlussfristcharakter entnommen werden.

Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich auch, dass entgegen der Auffassung der Beklagten Satz 4 Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen (i.d.F. vom 22.03.2021) nicht lediglich eine Klarstellung der bis 31.03.2021 geltenden Rechtslage enthält. Denn nach der vorhergehenden Rechtslage war eine Ausschlussfrist gerade nicht geregelt.
Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass eine derart kurze Ausschlussfrist, wie sie die Beklagte vorliegend annimmt, auch nicht verhältnismäßig wäre. Der ganz überwiegende Teil des streitgegenständlichen Anspruchs bezieht sich auf Mindereinnahmen für den Monat Dezember 2020, die erst zum Ende des Folgemonats geltend gemacht werden konnten (Satz 2 Ziffer 3 Abs. 7 Kostenerstattungs-Festlegungen (i.d.F. vom 22.03.2021)). Folglich würde es sich vorliegend (für den überwiegenden Teil des Anspruchs) um eine zweimonatige Ausschlussfrist handeln. Dieser sehr knapp bemessene Zeitraum wäre nach Überzeugung der Kammer für die Träger von Pflegeeinrichtungen - gerade in der damaligen Zeit der Pandemie - nicht ausreichend, um etwa bei länger andauernden Schwierigkeiten der Antragsbearbeitung, z.B. bei (Computer-) technischen Schwierigkeiten oder personellen Engpässen noch adäquat reagieren zu können (vgl. BayLSG, Urteil vom 18.07.2018, Az. L 12 KA 24/16, S. 11f.). Schließlich wäre in einer derartig kurz bemessenen Ausschlussfrist auch nicht mehr eine "gemessen an der besonderen Herausforderung" pragmatische" Lösung von allen Beteiligten (vgl. § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB XI) zu sehen.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB (vgl. BSG, Urteil vom 23.3.2006, Az.: B 3 KR 6/05 R, Rn. 26ff.)

Der Klage war daher umfänglich stattzugeben.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

 

 

Rechtskraft
Aus
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