L 1 KR 315/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 11 KR 506/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 315/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 15/23 B
Datum
Kategorie
Urteil


Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 31. März 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen. 


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Kostenerstattung und -übernahme von Apheresebehandlungen (Blutwäsche) sowie von Nahrungsergänzungsmitteln hat. 

Die Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie arbeitete als Flugbegleiterin bei der J. AG. Bei einem Flug am 9. Oktober 2011 mit einem Airbus A 380 soll es zu einem sogenannten Fume Event gekommen sein, welches zu einer TCP-lntoxikation mit daraus resultierenden Gesundheitsstörungen bei der Klägerin geführt haben soll.

Mit bei der Beklagten am 15. Februar 2013 eingegangenen Schreiben übersandte der Allgemeinmediziner Dr. D. für die Klägerin den Antrag auf „Kostenübernahme einer therapeutischen Apherese-Therapie zur Behandlung einer TCP Intoxikation/Erkrankung“. Bei der Klägerin sei es zu einer Die TCP-lntoxikation habe bei der Klägerin ab dem 12. April 2012 zu ausgeprägten Krankheitserscheinungen geführt. Alle anderweitigen therapeutischen Maßnahmen seien ausgeschöpft. Es bestehe eine massive Lebensbeeinträchtigung. Eine Plasmaapherese sei notwendig. 

Die Klägerin legte zahlreiche medizinische Unterlagen vor, u.a. Befundberichte von Dr. D., Dr. M. (Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde), Herrn H. (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) und Dr. F. (Facharzt für Innere Medizin). Folgende Symptome und Beschwerden wurden darin aufgeführt: ständige Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen, Denkstörungen, Müdigkeits- und Taubheitssymptome, Schlafstörungen und Parästhesien, hochgradiges Erschöpfungssyndrom, Schwindel, Halsschmerzen, behinderte Nasenatmung, Reizhusten, Atembeschwerden, depressive Stimmung und multiple Ängste. Die Klägerin war nach dem o.g. Flug zunächst drei Tage krank, ging anschließend zunächst wieder arbeiten und war ab April 2012 krankgeschrieben. Herr H. diagnostizierte einen Verdacht auf ein hirnorganisches Psychosyndrom, eine reaktive Depression und ein M. Hashimoto. Die depressive Verstimmung sei reaktiv verständlich, als Verdachtsdiagnose stehe eine zentralnervöse Vergiftung im Raum. Differentialdiagnostisch sei eine somatoforme Störung bei derzeitigem Wissensstand nicht gänzlich auszuschließen. Auch weitere Ärzte äußerten den Verdacht auf eine TCP-lntoxikation. Die Klägerin teilte mit, ihr Blut sei in den USA positiv auf TCP untersucht worden. Sie legte einen Bericht der University of Nebraska Medical Center vom 18. Januar 2012 vor.
Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) führte mit Gutachten vom 8. April 2013 aus, dass die Voraussetzungen für die Durchführung einer Plasma- bzw. Toxinapherese-Behandlung nicht erfüllt seien. Eine TCP-lntoxikation sei nicht eindeutig nachgewiesen. Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung sei nicht gegeben. Eine schwere irreversible Schädigung innerhalb kurzer Zeit sei nicht zu erwarten.

Mit Bescheid vom 15. April 2013 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die Plasmaapherese hierauf ab.

Die Klägerin teilte mit, sie habe einen Antrag für eine therapeutische Apherese und nicht für die abgelehnte Plasmaapherese gestellt. Da über die therapeutische Apherese nicht fristgerecht entschieden worden sei, sei Genehmigungsfiktion eingetreten. 

Mit Stellungnahme vom 2. Mai 2013 führte der MDK aus, dass es auch hinsichtlich der therapeutischen Apherese bei dem bisherigen Ergebnis verbleibe. Die therapeutische Apherese und die Plasmaapherese gehörten zu den Hämapheresen (Oberbegriff). Die therapeutischen Apheresen würden historisch bedingt häufig mit der Plasmaapherese und dem Plasmaaustausch gleichgesetzt.

Mit Bescheid vom 21. Mai 2013 stellte die Beklagte fest, dass eine Genehmigungsfiktion nicht eingetreten sei, da der Antrag vor Inkrafttreten der entsprechenden gesetzlichen Regelung gestellt worden sei. Die Kosten könnten auch für eine therapeutische Apherese nicht übernommen werden. Eine TCP-lntoxikation sei nicht sicher nachgewiesen. Von einer behandlungsbedürfligen akuten Intoxikation könne nicht ausgegangen werden.

Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch. Die Gutachten des MDK seien aufgrund formeller und medizinischer Fehler sowie mangelnder Fachkompetenz nicht zu akzeptieren. Die beantragte Apheresebehandlung zur Schadstoffreduzierung im Körper durch den Umweltmediziner Dr. E. im V. Medical Center - Tagesklinik C-Stadt - mit begleitender umweltmedizinischer Behandlung (inkl. der notwendigen Medikamente im Sinne einer orthomolekularen Medizin - d. h. Vitamine und Mineralstoffe) sei notwendig. Es existierten keine anderen Behandlungsmöglichkeiten. Eine lebensbedrohliche bzw. regelmäßig tödlich verlaufende bzw. damit wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung liege vor, weshalb sich ein Anspruch aus grundrechtsorientierender Auslegung ergebe. Die von Dr. E. verordneten Mittel alpha Energy, Toxosorb, Selen ACE und Zink seien als Medikamente zu verstehen und nicht als Nahrungsergänzungsmittel.

Nach den vorliegenden Unterlagen der Beklagten handelt es sich hierbei um ALPHA Liponsäure Kapseln (Warengruppe BB03Z: Sonstiges), Silicium Sorbent Kapseln (Warengruppe BB03Z: Sonstiges; Toxosorb werde unter verschiedenen Namen vertrieben), Selen ACE Filmtabletten (Warengruppe BB03D: Vitamine, Mineralstoffe, Kombinationen auch mit anderen Stoffen) und Zink Kapseln (Warengruppe: Mineralstoffe).

Die Klägerin legte weitere umfangreiche medizinische Unterlagen vor. Dr. E. teilte in seiner ärztlichen Stellungnahme vom 27. Mai 2013 mit, die therapeutische Apherese sei als Ultima-ratio-Therapie durchzuführen. Standardtherapien stünden nicht zur Verfügung. Es liege eine komplexe, chronisch inflammatorische Multisystemerkrankung mit progressiv lebenszerstörendem und lebensbedrohlichem Charakter vor. Die TCP-Belastung im Rahmen eines Fume Events sei gesichert. Aufgrund der Schwere des klinischen Bildes seien zunächst mindestens sechs ambulant durchzuführende Apheresen notwendig.

Im September 2013 ließ die Klägerin die ersten beiden Apheresebehandlungen durchführen. Dr. E. stellte der Klägerin hierfür sowie für damit zusammenhängende ärztliche Leistungen insgesamt 3.634,85 € in Rechnung. Für eine von Dr. E. eingeleitete Laboruntersuchung auf Organophosphate wurden der Klägerin weitere 155,30 € in Rechnung gestellt. Die Klägerin reichte diese Rechnungen zur Erstattung bei der Beklagten ein.

Der Facharzt für Allgemeinmedizin S. teilte mit Befundbericht vom 18. Februar 2014 mit, dass es nach der bisher erfolgten Apherese-Behandlung zu einer deutlichen Besserung der objektiven Symptome, des Allgemeinzustandes und der subjektiven Beschwerden gekommen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. August 2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Kosten für die therapeutischen Apheresebehandlungen, die Laboruntersuchung sowie die Nahrungsergänzungsmittel Alpha Energy, Toxosorb, Selen ACE und Zink könnten nicht übernommen werden. Es liege keine Empfehlung des G-BA zur ambulanten Durchführung von Apheresen bei TCP-lntoxikation vor. Die Diagnose TCP-lntoxikation sei zudem nicht eindeutig gesichert. Ein Systemmangel liege nicht vor. Ebenso wenig seien die Voraussetzungen des Nikolausbeschlusses bzw. des § 2 Abs. 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erfüllt. Laut MDK drohten weder eine schwere irreversible Schädigung, noch handele es sich um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Die verordneten Nahrungsergänzungsmittel seien grundsätzlich von der Kostenübernahme ausgeschlossen. Eine Ausnahmeindikation gemäß Arzneimittel-Richtlinie liege nicht vor.

Hiergegen hat die Klägerin am 12. August 2014 Klage vor dem Sozialgericht Gießen erhoben. Ergänzend zu ihren bisherigen Ausführungen hat sie ausgeführt, dass sie an einer chemischen Verletzung, dem sog. Aerotoxischen Syndrom, anhaltenden Hals- und Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Merkfähigkeitsstörungen, Polyneuropathie und einem chronischen Schmerzsyndrom leide. Hierbei handele es sich um eine in vielen Fällen auch tödlich verlaufende, zumindest um eine die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung. Schulmedizinische Behandlungsformen seien nicht erfolgversprechend. Die streitige Apheresebehandlung sei die einzige Behandlungsmethode, welche zur erheblichen Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin beitrage. 

Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Dr. K. hat unter dem 12. November 2014 ausgeführt, dass der dringende Verdacht auf berufsbedingte toxische Schäden mit Polyneuropathie, Leistungsabfall, verminderter Belastbarkeit bestehe. Die Prognose von Intoxikationen sei ernst. Diese könnten zu anaphylaktischen Schocks führen sowie zu lebenslangen Erkrankungen. Die Apheresebehandlung führe bei vielen Patienten zu einer Besserung der Symptome. Eine Ausleitung der Giftstoffe könne eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf haben. Dr. E. hat in seinem Befundbericht vom 21. November 2014 mitgeteilt, es handele sich in der Gesamtheit um eine lebenszerstörende und unbehandelt um eine lebensbedrohliche und damit in der Regel tödlich verlaufende Krankheit. Als Behandlung komme nur die Apheresebehandlung in Betracht. Er hat zudem einen Artikel mit dem Titel „Aerotoxisches Syndrom: Grundlagen, Pathophysiologie und Therapie mit der Therapeutischen Apherese“ (E./Bolst/Donate, Umwelt-Medizin-Gesellschaft 2014, S. 35 ff) vorgelegt. Herr S. hat unter dem 9. Dezember 2014 ausgeführt, dass eine Organophosphatbelastung bei akuter Intoxikation mit hohen Dosen lebensbedrohlich sei. Bei mittleren Dosen sei durch die mittel- und langfristigen Organschäden eine verkürzte Lebenserwartung mit vorzeitigem Versterben zu erwarten. Niedrige Dosen, insbesondere die in der umweltmedizinischen Beratung häufig sehr niedrigen Dosen, seien in ihrer Wirkung in Bezug auf die Fragestellung schwer einzuschätzen. Hier entstehe eher die Bedrohung des gewohnten Lebens durch die Einschränkung der Alltagsfähigkeit/Alltagsbelastbarkeit auf Grund der Chronizität der Leiden (siehe Diagnosen). Tödliche Verläufe seien nur schwierig kausal zuzuordnen. Bei chronisch progredientem Verlauf sei auch hier eine Verkürzung der Lebenserwartung zu erwarten, allerdings bei langwieriger Einschränkung der Lebensqualität. Für die Klägerin sei die Apherese die derzeit einzig sinnvolle Behandlung. Dr. D. hat in seinem Befundbericht vom 11. Dezember 2014 berichtet, es handele sich bei der Erkrankung der Klägerin um eine Erkrankung mit chronischem Verlauf. Lebensgefahr bestehe bisher nicht. Laut seiner Kenntnis seien aber tödliche Verläufe bekannt. Die Apheresebehandlung lasse eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf erwarten.

Der MDK ist in seinem Gutachten vom 23. Januar 2015 bei seiner bisherigen Einschätzung geblieben.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten gemäß § 106 SGG von Dr. P. eingeholt. Der Sachverständige hat in seinem internistisch-lungenfachärztlichen Gutachten vom 22. April 2015 ausgeführt, dass die Beschwerden der Klägerin auf eine gravierende chronische Angststörung zurückzuführen seien. Die akuten Beschwerden nach der Flugbegleitung im Oktober 2011 seien offenbar Auslöser für einen psychischen Zusammenbruch, der sich in ganzer Ausprägung erst Monate danach voll manifestiert habe. Die durchgeführte arterielle Blutgasanalyse habe eine ausgeprägte chronische Hyperventilationsstörung ergeben, welche wiederum am ehesten als Symptom einer Angsterkrankung zu interpretieren sei. Die von der Klägerin beschriebenen Symptome sowie der zeitliche Verlauf der Beschwerden sprächen gegen eine Intoxikation. Dieses Ergebnis stehe auch mit der Beurteilung des behandelnden Psychiaters H. in Einklang. Eine psychotherapeutische Behandlung sei indiziert. Mangels Vergiftung sei eine Apheresebehandlung nicht erforderlich. Es handele sich nicht um eine lebensbedrohliche oder tödlich verlaufende Erkrankung.

Die Klägerin hat dagegen vorgebracht, dass es dem Sachverständigen an medizinischer Sachkenntnis hinsichtlich des Aerotoxischen Syndroms fehle und er eine psychiatrische Erkrankung außerhalb seines Fachgebiets diagnostiziert habe. Die Diagnose einer Hyperventilationsstörung könne widerlegt werden, wie aus den Arztbriefen von Dr. M. vom 4. Mai 2015 und von Dr. L. (Facharzt für Allgemeinmedizin) vom 12. Mai 2015 hervorgehe.

Der Sachverständige Dr. P. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 3. September 2015 an seinem Begutachtungsergebnis festgehalten. Er habe keine Diagnose außerhalb seines Fachgebiets gestellt, sondern vielmehr die Differentialdiagnose des Psychiaters H. herangezogen.

Auf Antrag der Klägerin hat das Gericht ein Sachverständigengutachten nach § 109 SGG bei Dr. R. (Facharzt für Allgemeinmedizin und Umweltmediziner) in Auftrag gegeben. Dr. R. ist in seinem Gutachten vom 30. September 2017 zu dem Ergebnis gekommen, die bei der Klägerin ausgeprägten Krankheitserscheinungen seien Symptome des Chronic-fatigue-Syndroms sowie des Multiplen-Chemical-Syndroms. Es handele sich um Multisystemerkrankungen, denen eine systemische Entzündung zugrunde liege. Die Klägerin habe Verletzungen des Nervensystems im Sinne einer Small-Fiber-Neuropathie erlitten, mit großer Wahrscheinlichkeit als Folge einer Exposition gegenüber dem neurotoxischen Tri-o-Kresylphosphat. Eine solche Belastung sei im Blut der Klägerin nachgewiesen worden. Die Small-Fiber-Neuropathie verlaufe oft langsam progredient. Eine Lebensbedrohung für die Klägerin sei wahrscheinlich, da der Todesfall eines Piloten bekannt sei. Eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapie stehe nicht zur Verfügung. Ohne Einsatz der therapeutischen Apherese seien irreversible Schäden bei der Klägerin zu befürchten. Dem Gutachten sind weitere umfangreiche Krankenunterlagen von verschiedenen Ärzten beigefügt, die eine TCP-lntoxikation als Ursache der Beschwerden ansehen. In einem beigefügten Privatgutachten von Dr. N. (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) vom 24. Mai 2017 hat dieser ausgeführt, er habe eine chronische Angststörung bei der Klägerin nicht feststellen können. 

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. April 2019 hat Dr. R. ausgeführt, dass aufgrund des bekannten Todesfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden müsse, dass es sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung handele. Ob die Erkrankung ohne die bereits durchgeführte Behandlung tödlich gewesen wäre bzw. die Erkrankung regelmäßig tödlich verlaufe, lasse sich im Nachhinein nicht mehr aufklären. Als zu erwartende Störungen könnten eine Störung von Funktionen der Großhirnrinde, Störungen im Limbischen System, Störungen im Cerebellum (Kleinhirn), eine Dendritendegeneration, eine Axonale Degeneration und eine Demyelinisierung genannt werden.

Die Klägerin hat Stellungnahmen von Dr. T. (Facharzt für HNO-Heilkunde, Allergologie/Umweltmedizin) und Dr. Q. (Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Homöopathie) vorgelegt, welche von objektivierbaren Körperschäden im Bereich des peripheren und zentralen Nervensystems und der Lungenfunktion berichten, welche auf ein Fume Event zurückzuführen seien.

Dr. P. hat mit seiner weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 25. November 2019 an seiner bisherigen Einschätzung festgehalten.

Mit Urteil vom 31. März 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erstattung der bereits angefallenen Kosten für die Apheresebehandlungen sowie der mit dieser Behandlung zusammenhängenden Kosten und der Kosten für die Präparate alpha Energy, Toxosorb, Selen ACE und Zink. Ebenso wenig bestehe ein Sachleistungsanspruch für die Zukunft.

Ein Anspruch ergebe sich nicht aus § 13 Abs. 3a SGB V. Der Antrag der Klägerin vom 15. Februar 2013 falle nicht in den zeitlichen Anwendungsbereich dieser Vorschrift, die erst am 26. Februar 2013 in Kraft getreten sei. Dieser Antrag sei auch bereits ausdrücklich auf die von der Klägerin begehrten therapeutischen Apheresen gerichtet gewesen. Wenngleich das Schreiben des Dr. D. vom 7. Februar 2013 auch von der Plasmaapherese spreche, so enthalte es ausdrücklich den Antrag auf Kostenübernahme einer therapeutischen Apheresen-Therapie. 

Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die bereits durchgeführten therapeutischen Apheresen (sowie damit zusammenhängender Kosten) bestehe auch nicht außerhalb der Vorgaben für die Genehmigungsfiktion. Ebenso wenig bestehe ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für zukünftige Apheresebehandlungen. Die Voraussetzungen gemäß § 13 Abs. 3 SGB V seien nicht erfüllt. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V seien von der Krankenkasse Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig habe erbringen können oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden seien, soweit die Leistung notwendig gewesen sei. Voraussetzung beider in § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V enthaltener Anspruchsalternativen sei das Bestehen eines Sachleistungsanspruchs. Der Erstattungsanspruch reiche nicht weiter als ein entsprechender primärer Sachleistungsanspruch. Er setze voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehöre, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hätten (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 20/08 R, Rn. 10, juris). Ein Sachleistungsanspruch sei vorliegend jedoch nicht gegeben, so dass eine Kostenerstattung und auch die Kostenübernahme für zukünftige Apheresebehandlungen ausscheide. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die Beschwerden der Klägerin auf eine psychische Erkrankung (so Dr. P.) oder eine TCP-lntoxikation (so Dr. R.) zurückzuführen seien. 

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V hätten Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasse unter anderem die ärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V). Der Behandlungsanspruch eines Versicherten unterliege jedoch den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Beschränkungen. Er umfasse nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich seien und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprächen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei dies bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben habe. Durch solche Richtlinien werde nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw.) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürften. Vielmehr werde durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (stRspr, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 11/08 R, Rn. 14, juris. m.w.N.). 

Gehe man mit Dr. P. von einem psychischen Krankheitsbild aus, stelle die Behandlung mittels therapeutischer Apherese bereits keinen sinnvollen Behandlungsansatz dar. Die Krankenbehandlung mittels therapeutischer Apherese wäre dann nicht notwendig, um diese Krankheit zu erkennen, zu heilen oder ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Psychische bzw. psychiatrische Krankheitsbilder seien grundsätzlich mit den Mitteln der Psychotherapie bzw. Psychiatrie zu behandeln. 

Gehe man mit Dr. R. sowie diversen weiteren, die Klägerin behandelnden Ärzte von einem Krankheitsbild basierend auf einer TCP-lntoxikation aus, ergebe sich aus § 27 Abs. 1 SGB V ebenso wenig ein Anspruch. Denn bei der therapeutischen Apherese handele es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, für die keine positive Bewertung des GBA vorliege. Dieser habe in Anlage I zur Richtlinie Methoden vertragsärztlicher Versorgung eine positive Empfehlung für LDL-Apheresen bei Hypercholesterinämie sowie für Immunapheresen bei aktiver rheumatoider Arthritis bei Vorliegen der dort genannten Indikationen bzw. weiteren Voraussetzungen ausgesprochen. Um eine der zuvor genannten Apheresen mit den dazugehörigen Indikationen handele es sich vorliegend nicht.

Folglich ergebe sich ein Sachleistungsanspruch aus § 27 Abs. 1 SGB V weder unter Zugrundelegung der Annahmen des Sachverständigen Dr. P. noch des Sachverständigen Dr. R.

Ein Ausnahmefall, bei dem es keiner Empfehlung des GBA bedürfe, sei nicht gegeben. Ein Seltenheitsfall oder ein Systemversagen läge nicht vor. Ebenso wenig ergebe sich ein Anspruch aus einer grundrechtsorientierenden Auslegung bzw. aus § 2 Abs. 1a SGB V. Für einen Seltenheitsfall dürfe das festgestellte Krankheitsbild aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar sein. Allein geringe Patientenzahlen stünden einer wissenschaftlichen Erforschung nicht entgegen, wenn etwa die Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung ermögliche. Das gelte erst recht, wenn - trotz der Seltenheit der Erkrankung - die Krankheitsursache oder Wirkmechanismen der bei ihr auftretenden Symptomatik wissenschaftlich klärungsfähig seien, deren Kenntnis der Verwirklichung eines der in § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Ziele der Krankenbehandlung dienen könne (stRspr; vgl. z. B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2019, B 1 KR 18/19 R, Rn. 13, juris, m.w.N.). Ein Seltenheitsfall wäre im Falle eines psychischen Beschwerdebildes offensichtlich nicht gegeben. Anhaltspunkte dafür, dass die Auswirkungen einer möglichen TCP-lntoxikation aufgrund Singularität medizinisch nicht erforschbar seien, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr finde eine Erforschung statt, was sich vor allem aus den von Dr. E. vorgelegten Unterlagen ergebe. Insbesondere aus dem vorgelegten Artikel „Aerotoxisches Syndrom: Grundlagen, Pathophysiologie und Therapie mit der Therapeutischen Apherese" ergebe sich, dass die auftretenden Folgen einer solchen Intoxikation bereits in den ICD 10 enthalten und hiernach einzuordnen seien und das Krankheitsbild erforscht werde. Unabhängig davon, welchem Sachverständigengutachten man folge, sei ein Seltenheitsfall damit zu verneinen. Ein Systemversagen könne ebenfalls nicht festgestellt werden. Eine Leistungspflicht der Krankenkassen wegen Systemversagens könne ausnahmsweise ungeachtet des in § 138 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung eines neuen Heilmittels darauf zurückzuführen sei, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt worden sei (stRspr; vgl. z. B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2019, B 1 KR 18/19 R, Rn. 15, juris, m.w.N,). Auch hierfür bestünden für beide Erkrankungsalternativen keine Anhaltspunkte, noch seien solche vorgetragen worden. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts seien ebenfalls nicht erfüllt, weder unmittelbar nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch aus § 2 Abs. 1a SGB V. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 folge aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 GG ein Anspruch auf Krankenversorgung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie eine allgemein anerkannte, dem medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehe und die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspreche (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, 1 BvR 347/98, juris). Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei es aufgrund der Verfassung zwar nicht geboten, diese Grundsätze auf Erkrankungen zu erstrecken, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar seien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. November 2015, 1 BvR 2056/12, Rn. 18, juris). Der Gesetzgeber habe im Anschluss an diese Rechtsprechung die grundrechtsorientierte Auslegung in § 2 Abs. 1a SGB V jedoch auch auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen erstreckt (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2019, B 1 KR 18/19 R, juris, Rn. 14 m.w.N.). Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt.

Gehe man, wie der Sachverständige Dr. P., von einem psychischen Krankheitsbild aus, so liege bereits keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche oder wertungsmäßig damit vergleichbare Krankheit vor. Insbesondere lägen keine Anhaltspunkte für eine Suizidalität vor. Überdies bestünden alternative Behandlungsmöglichkeiten der Psychiatrie und Psychotherapie. Ein Behandlungserfolg durch die Apheresen wäre zudem nicht zu erwarten. Aber auch wenn man, wie der Sachverständige Dr. R. sowie weitere behandelnde Ärzte, von einer TCP-lntoxikation ausgehe, seien die oben genannten Voraussetzungen nicht erfüllt. Unterstelle man eine TCP-lntoxikation als Krankheitsursache, würde die Klägerin zwar unter einer schwerwiegenden Erkrankung mit daraus resultierenden und oben beschriebenen Einschränkungen leiden. Nach der Überzeugung des Sozialgerichts sei das bei der Klägerin bestehende Erkrankungsbild jedoch nicht derart schwerwiegend, dass sich ein Anspruch aus einer grundrechtsorientierenden Auslegung bzw. aus § 2 Abs. 1a SGB V ergäbe. Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung sei nicht gegeben. Ebenso wenig liege eine wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vor. Lebensbedrohend sei eine Krankheit, wenn der Tod durch diese nach allgemeiner Erkenntnis oder Beurteilung im konkreten Einzelfall innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums wahrscheinlich verursacht werde. Eine Krankheit sei regelmäßig tödlich, wenn durch diese die Todesgefahr nach generellen, statistisch hinreichend gesicherten medizinischen Erfahrungen zwar nicht in allen Fällen, aber annähernd ausnahmslos bestehe (vgl. Noftz, in: Hauck/Noftz-Noftz, SGB V, Stand; 04/19, § 2, Rn. 76e). Nicht ausreichend sei es, dass die Erkrankung unbehandelt zum Tode führe, weil dies auf nahezu jede schwere Erkrankung ohne therapeutische Einwirkung zutreffe. Gerechtfertigt sei eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliege, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch sei. Das bedeute, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen müsse, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen werde (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013, B 1 KR 70/12 R, Rn. 29, juris, m.w.N.). Das BSG habe insoweit ausgeführt, dass strengere Voraussetzungen umschrieben würden, als sie mit dem Erfordernis einer „schwer wiegenden“ Erkrankung für die Eröffnung des „Off-Label-Use" formuliert sei. Denn hieran knüpften weitergehende Folgen. Ohne einschränkende Auslegung ließen sich fast beliebig die vom Gesetzgeber bewusst gezogenen Grenzen überschreiten. Entscheidend sei, dass das vom Bundesverfassungsgericht herangezogene Kriterium bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich ziehe. Das könne aber ersichtlich nicht ausreichen, das Leistungsrecht des SGB V und die dazu ergangenen untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 2006, B 1 KR 3/06 R, juris; Urteil vom 8. November 2011, B 1 KR 19/10 R, juris).

Im Falle der Klägerin sei (eine TCP-lntoxikation als Ursache der Beschwerden unterstellt) nicht von einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in diesem Sinne auszugehen. Es sei nicht davon auszugehen, dass hinsichtlich der (unterstellten) TCP-lntoxikation mit den daraus resultierenden Erkrankungen und Funktionsbeeinträchtigungen nach generellen, statistisch hinreichend gesicherten medizinischen Erfahrungen zwar nicht in allen Fällen, aber annähernd ausnahmslos von einer Todesgefahr auszugehen sei. Ebenso wenig sei von einer Lebensbedrohlichkeit in dem Sinne auszugehen, dass innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums wahrscheinlich der Tod verursacht werde. Entgegen der Annahme des Sachverständigen Dr. R. lasse sich dies nicht bereits daraus ableiten, dass der Todesfall eines Piloten nach einem Fume Event bekannt und dokumentiert sei. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Lebensbedrohlichkeit oder eines regelmäßig zu erwartenden Todes im konkreten Falle der Klägerin lasse sich aus einem einzigen bekannten Todesfall nicht ableiten. Dafür, dass Piloten oder Kabinenpersonal in Flugzeugen regelmäßig wegen Fume Events versterben, bestünden keinerlei Anhaltspunkte. Überdies blieben die weiteren Umstände des einen genannten Todesfalls (z. B. Vorerkrankungen, zeitlicher Ablauf der Erkrankung des Piloten etc.) vollkommen unklar. Eine Lebensbedrohlichkeit oder Todesgefahr ergebe sich auch nicht aus den weiteren medizinischen Unterlagen. Soweit Dr. K. in seinem Befundbericht mitgeteilt habe, die Prognose von Intoxikationen sei ernst, so stelle das Gericht dies nicht in Frage. Die von ihm beschriebene theoretische Möglichkeit von anaphylaktischen Schocks sei für die Annahme eine konkrete Lebensbedrohung oder Todesgefahr im konkreten Falle der Klägerin jedoch nicht ausreichend. Ebenso wenig ergebe sich aus den Angaben von Dr. E., es handele sich in der Gesamtheit um eine lebenszerstörende und unbehandelt um eine lebensbedrohliche und damit in der Regel tödlich verlaufende Krankheit, dass im Falle der Klägerin nach den konkreten Umständen ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf bestanden habe oder bestehe, der sich innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen werde. Demgegenüber habe Dr. D. in seinem Befundbericht angegeben, eine Lebensgefahr habe für die Klägerin bisher nicht bestanden. Dass ihm tödliche Verläufe bekannt seien, sei nicht ausreichend. In diesem Zusammenhang habe auch Herr S. in seinem Befundbericht lediglich eine Organophosphatbelastung bei akuter Intoxikation mit hohen Dosen als lebensbedrohlich angesehen. Von einer akuten Vergiftung könne im Falle der Klägerin aufgrund des im Zeitpunkt des Krankheitsbeginns sowie im Zeitpunkt der ersten Apheresebehandlungen lange zurückliegenden potentiellen Fume Events aber nicht ausgegangen werden. Die von Herr S. mitgeteilten zu erwartenden mittel- und langfristigen Organschäden sowie verkürzter Lebenserwartung bei mittleren Dosen reichten nach den oben genannten Grundsätzen für die Annahme einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung nicht aus.

Ein Anspruch der Klägerin lasse sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der wertungsmäßigen vergleichbaren Erkrankung begründen. Für die dogmatische Erfassung dieses Tatbestandsmerkmals orientierten sich Gesetzgeber und Rechtsprechung an der „extremen" beziehungsweise „notstandsähnlichen" Situation der krankheitsbedingten Lebensgefahr, weil der mit der Notstandshandlung verbundene Zeitdruck auch für die zur Lebenserhaltung bestehende akute Behandlungsbedürftigkeit typisch sei (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013, B 1 KR 70/12 R, juris, Rn. 29, m.w.N.; Noftz, in: Hauck/Noftz-Noftz, SGB V, Stand; 04/19, § 2, Rn. 76e). Nach der Gesetzesbegründung könne dies der Fall sein, wenn sich der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorganes oder einer herausgehobenen Körperfunktion innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums wahrscheinlich verwirklichen werde (BT-Drucks. 17/6906 B, S. 53). Eine „nur“ schwerwiegende Erkrankung zähle auch dann nicht zu den „wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen“, wenn sie die körperliche Unversehrtheit und die Lebensqualität schwerwiegend beeinträchtige. Nicht mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung auf einer Stufe stehe dabei selbst ein Krankheitsbild, das („nur“) zu allgemeiner Leistungsminderung und eingeschränkter Lebenserwartung führe (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006, B 1 KR 12/06 R, juris).

Entsprechend diesen Grundsätzen stelle die aus einer unterstellten TCP-lntoxikation im Falle der Klägerin resultierende Erkrankung, welche vom Sachverständigen Dr. R. zusammenfassend als eine Multisystemerkrankung mit Symptomen des Chronic-fatigue-Syndroms, des Multiple-Chemical-Syndroms sowie Verletzungen des Nervensystems im Sinne einer Small-Fiber-Neuropathie und damit einhergehenden ausgeprägten Krankheitserscheinungen wie ständige Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Müdigkeits- und Taubheitssymptome, Schlafstörungen, Parästhesien, Denkstörung, Schwindel, Erschöpfung und Leistungsminderung, Störung des Riechempfindens mit Überempfindlichkeit gegen Gerüche beschrieben werde, nicht eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung im oben genannten Sinne dar. Nach der Überzeugung des Sozialgerichts handele es sich zwar um eine die Lebensqualität der Klägerin schwerwiegend beeinträchtigende Krankheit, die jedoch nicht mit einem nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausragenden Körperfunktion im Sinne der oben genannten Grundsätze gleichzustellen sei. Zwar habe Dr. R. in seiner ergänzenden Stellungnahme mitgeteilt, es seien weitere Störungen im Sinne von Störungen in den Funktionen der Großhirnrinde, Störungen im Limbischen System, Störungen im Cerebellum (Kleinhirn), eine Dendritendegeneration, eine Axonale Degeneration und eine Demyelinisierung zu erwarten. Fraglich erscheine schon, ob es sich nach der Ansicht des Sachverständigen um bei TCP-lntoxikation allgemein oder auch im konkreten Fall der Klägerin zu erwartende irreversible Schäden handele. Gleiches gelte für die Aussagen von Dr. E., der ebenfalls zu erwartende irreversible Schäden mitgeteilt habe. Unklar bleibe auch deren zu erwartendes Ausmaß. Da das potentiell toxische Ereignis zudem lange vor dem Auftreten der beklagten Symptome stattgefunden habe, seien solche etwaigen Schäden nach der Überzeugung des Sozialgerichts zudem nicht innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums zu erwarten bzw. zu erwarten gewesen. Damit fehle es überdies an der notwendigen „extremen“ bzw. „notstandsähnlichen“ Situation. Auch aus den weiteren medizinischen Unterlagen ergebe sich dies nicht.

Insgesamt sei damit festzustellen, dass ein Sachleistungsanspruch hinsichtlich der Apherese nicht gegeben sei. Auch damit zusammenhängende Kosten müsse die Beklagte nicht übernehmen.

Ebenso wenig bestehe ein Anspruch auf Übernahme der Kosten der von der Klägerin geltend gemachten Präparate alpha Energy (Liponsäure), Toxosorb (Silicium), Selen ACE (Vitamine und Mineralstoffe) oder Zink. Hierbei handele es sich um Nahrungsergänzungsmittel, für welche eine Kostenübernahme ausscheide. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V hätten Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen seien. Nach § 31 Abs. 5 Sätze 1 und 2 SGB V hätten Versicherte Anspruch auf bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung, wenn eine diätetische Intervention mit bilanzierten Diäten medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich sei. Der GBA lege in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 fest, unter welchen Voraussetzungen welche bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung vom Vertragsarzt verordnet werden könnten und veröffentliche im Bundesanzeiger eine Zusammenstellung der verordnungsfähigen Produkte. Bei den oben genannten Präparaten handele es sich nicht um apothekenpflichtige Arzneimittel, sondern um Nahrungsergänzungsmittel. Die Verordnungsfähigkeit von Nahrungsergänzungsmitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse sei näher in § 6 der Arzneimittelrichtlinie geregelt, welche der GBA auf Basis der §§ 27 Abs. 1 Satz 1, 34 Abs. 1 Satz 2 und 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassen habe. Nach dieser Vorschrift seien u. a. Nahrungsergänzungsmittel von der Versorgung nach § 27 SGB V ausgeschlossen (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 8. November 2011, B 1 KR 20/10 R, juris, Rn. 27). Ausnahmen bestünden nach § 6 Satz 2 der Arzneimittelrichtlinie lediglich für bilanzierte Diäten. Für die Durchführung einer bilanzierten Diät ergäben sich keine Anhaltspunkte. Soweit die Klägerin vortrage, die Präparate würden bei ihr nicht als Nahrungsergänzungsmittel angewendet, sondern als Medikamente, so ändere dies nichts an der Eigenschaft der Präparate als Nahrungsergänzungsmittel und der Anwendung der zuvor genannten Vorschriften.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 22. April 2021 zugestellte Urteil am 19. Mai 2021 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Es sei unberücksichtigt geblieben sei, dass sie extremer als die übrige Bevölkerung auf toxische Einwirkungen reagiere. Sie sei aus genetischen Gründen für toxische Einwirkungen besonders anfällig. Dies habe zur Folge, dass die toxische Einwirkung in ihrem Fall einen schwerwiegenden Verlauf mit tödlichem Ausgang nehmen könne. Maßgeblich seien zudem auf eigene Kosten erfolgte Behandlungsmaßnahmen. Die therapeutische Apherese habe in der Vergangenheit bereits eine spürbare positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf gehabt.

Die Klägerin sei von Dr. E. erstmals am 19. September 2013 fachärztlich untersucht worden. Sodann seien im Jahre 2013 zwei Apheresebehandlungen - am 23. September 2013 und am 25. September 2013 - durchgeführt worden. Im Jahre 2015 seien die Apheresebehandlungen bei Dr. E. am 22. September 2015 und am 24. September 2015 erfolgt. Hinsichtlich der Kosten für 2013 in Höhe von 3.634,85 € seien 3.000 € von der Flughafenseelsorge übernommen worden. Die restlichen 634,85 € finanziere die Klägerin über ein Darlehen. Für 2015 habe eine andere Stiftung die Kosten (3.464,09 €) komplett getragen. Für Medikamente seien der Klägerin Kosten in Höhe von 2.686,23 € entstanden.

Die Beklagte habe der Klägerin keine alternative Behandlungsmethode benannt. Daher sei ihrem Begehren als ultima ratio zu entsprechen (vgl. SG Düsseldorf, Urteil vom 19. Dezember 2014, S 8 KR 718/14; SG Berlin, Beschluss vom 25. Juli 2014, S 89 KR 1336/14 ER).

Ihr gesundheitlicher Zustand habe sich inzwischen mangels der dringend erforderlichen beantragten Behandlung erheblich verschlechtert. Sie sei infolge der Vergiftung erwerbsunfähig. Gemäß Gutachten des MDK vom 28. Februar 2022 sei nunmehr der Pflegegrad 3 festgesetzt worden. Die Klägerin benötige inzwischen ein Sauerstoff-Konzentrator. Unter Bezugnahme auf das Schreiben der Beklagten vom 2. März 2022 hat die Klägerin erneut klargestellt, dass vorliegend die therapeutische Apherese und nicht die Plasma-Apherese streitgegenständlich sei.

Die Auffassung, das Urteil des SG Düsseldorf (S 8 KR 718/14) sei nicht kompatibel, werde nicht geteilt. Bei dem Versicherten in diesem Verfahren lägen zahlreiche Symptome vor, unter denen auch die Klägerin leide: CFS, MCS, Störungen im Fremdstoffwechsel, erhebliche Erschöpfung, Energieverlust bei minimalen Belastungen, Bedürfnis zu langen Ruhezeiten, Kopfdruck, sehr starke Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, Gelenkschmerzen, Gemütsschwankungen, Augenprobleme, Gedächtnisverlust und Gedächtnislücken, Konzentrationsprobleme mit Wortfindungsstörungen, Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen und Gerüchen, Luftmangel. Auch die Minderung der Beschwerden nach Durchführung der Apherese-Behandlungen und die im weiteren Verlauf eingetretene Verschlechterung seien mit dem o.g. Fall vergleichbar.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 31. März 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. April 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2014 zu verurteilen, der Klägerin die übrigen Kosten der therapeutischen Apherese-Behandlungen vom 23. September 2013 und vom 25. September 2013 in Höhe von 634,85 EUR sowie die Kosten der notwendigen Medikamente in Höhe von 2.686,23 EUR zu erstatten sowie Kosten für mindestens sechs weitere therapeutische Apherese-Behandlungen und notwendige Medikation zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso "mindestens sechs weitere" Behandlungen beantragt werden.

Am 29. November 2021 ist die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten vor der Berichterstatterin erörtert worden.

Unter dem 15. Februar 2022 teilte Dr. E. mit, dass die Behandlungen vom V. TagesKlinikum C-Stadt von ihm als leitendem und ausführendem Arzt erbracht worden sind. Die Behandlung sei in der privaten Tagesklinik zur V.pherese erfolgt. Dies stelle keine Kassenleistung dar. 

Im unfallversicherungsrechtlichen Verfahren hat das Sozialgericht Darmstadt mit Urteil vom 1. Februar 2019 die Klage der Klägerin abgewiesen (S 1 U 61/15). Die hiergegen erhobene Berufung hat das Hessische Landessozialgericht mit Urteil vom 3. Juni 2022 zurückgewiesen (L 9 U 66/19). Ein Arbeitsunfall im Sinne des SGB VII sei nicht bewiesen. In dem Urteil vom 3. Juni 2022 wird ausgeführt, dass die Klägerin im Jahre 2010 wegen einer Angststörung und zusätzlich wegen eines chronischen Müdigkeitssyndroms über 6 Monate arbeitsunfähig gewesen ist. Auch im Sommer 2011 sei sie wegen chronischer Müdigkeit über einen Monat arbeitsunfähig gewesen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen. 


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. 

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 31. März 2021 abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. April 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die zutreffenden Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung. Sie sind überzeugend und würdigen die fallentscheidenden Aspekte unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung vollständig.

Der Vortrag im Berufungsverfahren begründet keine andere Entscheidung.

Ergänzend wird auf das unfallversicherungsrechliche Verfahren verwiesen. Hiernach ist ein Arbeitsunfall der Klägerin aufgrund eines Fume Events nicht nachgewiesen. Damit ist fraglich, ob es zu der von der Klägerin vorgebrachten Intoxikation gekommen ist. Da ein Anspruch auf Krankenbehandlung nicht davon abhängt, auf welche Ursache die Gesundheitsbeschwerden beruhen, kommt es auf die Frage der Kausalität regelmäßig zwar nicht maßgeblich an. Eine nicht nachgewiesene TCP-lntoxikation stellte allerdings die medizinische Erforderlichkeit einer Behandlung eben dieser (angenommenen) Erkrankung erheblich in Frage.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
 

Rechtskraft
Aus
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