S 14 KR 167/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Regensburg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 KR 167/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 04.03.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2022 verurteilt, der Klägerin zwei postbariatrische Wiederherstellungsoperationen an Bauch und Oberschenkeln als Sachleistung zu gewähren.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten um Wiederherstellungsoperationen im Bereich des Bauches und der Oberschenkel der Klägerin.

Die im Jahr 1992 geborene Klägerin hatte im November 2019 eine Sleeve-Operation durchführen lassen und daraufhin über 68 kg Körpergewicht verloren. Sie stellte daraufhin wegen überhängender Hautlappen einen Antrag bei der Beklagten auf Beseitigung der Hautüberschüsse im Bereich des Bauches, der Oberschenkel und der Oberarme.

Nach Befassung des Medizinischen Dienstes (MD), der von einer schlechten Dokumentation ausging, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04.03.2021 den Antrag der Klägerin ab.

Dagegen erhob diese Widerspruch. Die Beklagte befasste erneut den MD im Widerspruchsverfahren. Dieser kam jedoch zu dem Ergebnis, dass eine Entstellung nicht gesehen werden könne, eine Krankheit nicht bestätigt werden könne, da auch therapierefraktäre Hauterkrankungen nicht belegt seien. Die Beklagte erließ daraufhin den Widerspruchsbescheid vom 17.02.2022.

Die Klägerin erhob zum Sozialgericht Regensburg Klage. Das Gericht zog Befundberichte bei und befasste in der Folge die Sachverständige Dr. F. mit der Erstellung eines Gutachtens. Die Sachverständige stellte fest, dass sich eine Bauchfettschürze gigantischen Ausmaßes zeige, die den Ober- wie auch Unterbauch betreffe. Es ließen sich reizlos verheilte Narben in diesem Bereich feststellen. Ebenso zeigten sich Zeichen akuter Hautirritationen. Nach Durchführung einer Liposuktion hätte sich jedoch das schmerzhafte Lipödem im Oberschenkelbereich gebessert. Auch im Bereich der Oberschenkel würden jedoch ausgedehnte Gewebeüberschüsse bestehen, wie auch Zeichen des behandelten Lipödems Stadium III. Hautentzündungen wären ebenso durch das Reiben der Haut aufeinander entstanden. Im Bereich der Oberarme hätte eine Oberarmstraffung im Dezember 2021 stattgefunden mit einem symmetrischen Ergebnis.

Die Beklagte äußerte sich daraufhin, dass die Operationen über die Gesundheitskarte abgerechnet werden könnten. Zudem seien drei Eingriffe bereits erfolgt.

Der Vertreter der Klägerin teilte mit, dass diese Straffungsoperationen ausschließlich die Oberarme betreffen würden und passte seinen Klageantrag dahingehend an, dass eine Wiederherstellung im Oberarmbereich nicht mehr begehrt würde.

Daraufhin wollte die Beklagte den MD mit dem Sachverständigengutachten konfrontieren. Letztlich wurde jedoch auf die bisherige Einschätzung des MD verwiesen und beide Beteiligten gaben ihr Einverständnis zur einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 04.03.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2022 im Umfang der Beschwer aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin zwei postbariatrische Wiederherstellungsoperationen (an Bauch und Oberschenkeln) als Sachleistung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

         die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten. Sämtlicher Inhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage ist zulässig und begründet. Nach durchgeführter Oberarmstraffung konnte die Klägerin ihren Klageantrag bezüglich der Wiederherstellungsoperationen auf den Bereich Bauch und Oberschenkel beschränken. Dies stellt gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG eine ohne weiteres zulässige Klageänderung dar.

Das Gericht konnte ebenso gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, da beide Beteiligte mit dieser Entscheidungsform einverstanden waren.


Gemäß §§ 11 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. 39 Sozialgesetzbuch V. Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Behandlung einer Krankheit als vollstationäre Behandlung in einem gem. § 108 SGB V zugelassenem Krankenhaus, wenn die Aufnahme erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre (§ 115 a SGB V) oder ambulante Behandlung erreicht werden kann. In Anknüpfung an § 107 SGB V ist für eine Krankenhausbehandlung wesentlich, dass vorwiegend ärztliche und pflegerische Hilfeleistung zu erfolgen hat (BSG SozR 4-2500 § 39 Nr.7).

Dabei haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 SGB V).

Die Leistung wird als Sachleistung (§§ 2 Abs. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 SGB V) erbracht unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§§ 2 Abs. 1 i.V.m. 12 SGB V). Eine Kostenerstattung in Form einer Kostenübernahme bzw. einer Freistellung von Kosten ist nur in Ausnahmefällen vorgesehen. So ist eine Kostenübernahme gemäß § 13 Abs. 3 SGB V möglich, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung (=Notfall) nicht rechtzeitig erbringt oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Für die letzte Alternative kommt es auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen Ablehnung und Beschaffungsweg an, d. h. die Kosten dürfen erst nach Ablehnung durch die Krankenkasse entstanden sein (BSG NZS 97, 569).

Nach der Klagebeschränkung geht die Kammer davon aus, dass bisher weiterhin das Sachleistungsprinzip bezüglich der Wiederherstellungsoperationen im Bauchbereich und an den Oberschenkeln seine Maßgabe hat, da diese Operationen noch nicht durchgeführt wurden. Die Kammer schließt sich dabei den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. F. an. Gerade im Fall der Klägerin ist es nach exzessivem Gewichtsverlust zu einem massiven Hautüberschuss gekommen. Wie die Sachverständige plausibel darstellt sind insbesondere das Abdomen und die Oberschenkelregion betroffen. Diese konnte auch eine chronische Hautproblematik bei den Kontaktzonen Haut-zu-Haut feststellen, die trotz Pflege und dermatologischer Behandlung zu Dauerekzemen geführt hat. Überwiegend ist eine Besiedlung mit Bakterien oder Pilzen festzustellen. Hautinfektionen und Wundheilungsstörungen sind dabei die Folge. Im Gegensatz zu den Ausführungen des MD konnte die Sachverständige eine Behandlung mit Lokaltherapeutika seit 1 1/2 Jahren eruieren. Eine Besserung zeigte sich dabei nicht. Die Hautlappen zeigen sich bei der Klägerin auch als mobil, was bedeutet, dass beim Gehen ein dauerndes Hin- und Herschwingen stattfindet. Dies führt gerade im Oberschenkelbereich durch das immer noch vorhandene Lipödem zu schmerzhaften Irritationen. Zudem ist festgestellt worden, dass es bei diesen Belastungen zur Ausweichbewegungen kommt, somit eine Fehlstatik sich einstellt und die ohnehin vorgeschädigten Kniegelenke belastet. Damit ist schon eine medizinische Notwendigkeit der Rekonstruktion der Körperform in diesen Bereichen indiziert. Zudem neigt die Kammer dazu, ausnahmsweise im Fall der Klägerin sogar eine Entstellung anzunehmen, da selbst im bekleideten Zustand durch das voluminöse Hin- und Herschwingen der Hautüberschüsse die Blicke der Mitmenschen auf die Klägerin gezogen werden. Nach Ansicht der Kammer stellt sich in diesem Ausnahmefall der Klägerin der Anspruch auf Hautstraffung tatsächlich als Ultima Ratio dar (vgl. BayLSG vom 04.12.2018, L 20 KR 406/18; Sächsisches LSG vom 31.05.2018, L 1 KR 249/16).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

 

Rechtskraft
Aus
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