S 39 KR 1723/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 39 KR 1723/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
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Datum
-
Kategorie
Urteil

 


I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 178,44 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.12.2021 zu bezahlen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Der Streitwert wird auf 178,44 Euro festgesetzt.

IV. Die Berufung wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung in Höhe von 178,44 Euro.

Die Klägerin betreibt ein nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenes Krankenhaus. Dort wurde der bei der Beklagten versicherte Patient S., geb. am 1999, am 12.09.2021 behandelt. Die Klägerin stellte der Beklagten hierfür am 07.12.2021 den strittigen Betrag in Rechnung und übermittelte das Notarzteinsatzprotokoll.

Die Beklagte beglich den Rechnungsbetrag nicht. Mit Schreiben vom 23.08.2022 verwies sie darauf, dass die Voraussetzungen des § 115a Abs. 1 SGB V bezüglich vorstationärer Behandlung mangels Vorliegens der Verordnung einer Krankenhausbehandlung nicht gegeben seien. Diese Regelung könne durch landesvertragliche Regelungen nicht ausgehebelt werden. Eine Vergütung sei nur über die Notfallpauschale möglich. Hierzu wurde auf die Entscheidung des BSG vom 18.05.2021, B 1 KR 11/20, sowie des LSG Nordrhein-Westfalen vom 06.06.2021, S 10 KR 776/20, verwiesen. Notarztprotokolle würden keine ärztliche Verordnung darstellen und eine Abklärungsuntersuchung dürfe nicht der Krankenhausbehandlung zugeordnet werden, da es sich um eine Notfallbehandlung handele.

Die Klägerin erhob am 20.12.2022 Klage zum Sozialgericht München. Die Voraussetzungen der vorstationären Behandlung seien gegeben. Im Notfall habe jeder Arzt nach § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V die Befugnisse eines Vertragsarztes. Die Rechtsauffassung werde durch die Entscheidung des BSG, Urteil vom 19.06.2018, B 1 KR 26/17 R, sowie des SG München, Gerichtsbescheid vom 06.07.2021, S 35 KR 3186/19, gestützt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 178,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.12.2021 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

      die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen.

In der mündlichen Verhandlung vom 11.10.2023 hat die Beklagte darauf verwiesen, dass in einer anderen Kammer des Sozialgerichts München eine andere Rechtsauffassung vertreten worden sei und daraufhin die Klage zurückgenommen worden sei.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG (SGG) zulässig.

Die Klage ist begründet. Es besteht gemäß § 115a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 1. Fall, Abs. 3 SGB V ein Vergütungsanspruch der Klägerin in der geltend gemachten Höhe.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne des § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich ist (BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 3 KR 14/11 R - Juris). Diese Voraussetzungen liegen hier unter Anwendung des § 115a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V vor.

Voraussetzung zur Abrechnung einer vorstationären Behandlung ist gemäß § 115a Abs. 1 SGB V eine Behandlung ohne Unterkunft und Verpflegung, ein medizinisch geeigneter Fall für eine solche Behandlung und die Verordnung von Krankenhausbehandlung. Vorliegend ist nur die Verordnung der Krankenhausbehandlung streitig. Diese von § 115a Abs. 1 SGB V geforderte "Verordnung von Krankenhausbehandlung" ist in § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V als Teil er hausärztlichen Versorgung genannt und setzt gemäß § 73 Abs. 4 Satz 2 SGB V die Begründung voraus, weshalb eine ambulante Versorgung des Versicherten zur Erzielung des Heil- oder Linderungserfolgs nicht ausreicht.

Die Beklagte stellt sich im Verwaltungsverfahren auf den Standpunkt, dass auf Basis der Entscheidung des BSG vom 18.05.2021, B 1 KR 11/20 R, die vorstationäre Behandlung bei Notfällen nicht in Betracht komme und diese bundesgesetzliche Regelung nicht durch Landesrecht ausgehebelt werden könne. Die Entscheidung des BSG vom 18.05.2021, B 1 KR 11/20 R, ist jedoch auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Das BSG führt in der zitierten Entscheidung, Rn. 25, aus: "Die von § 115a SGB V geforderte "Verordnung von Krankenhausbehandlung" setzt eine begründete Verordnung eines Vertragsarztes oder eines sonstigen an der vertragsärztlichen Versorgung Teilnehmenden voraus (vgl BSG vom 17.9.2013 - B 1 KR 67/12 R - juris RdNr 11). Eine Einweisung durch den Rettungsdienst ist hiermit nicht vergleichbar. Sie kann nicht an die Stelle der vertragsärztlichen Verordnung treten, da der Rettungsdienst gemäß § 75 Abs 1b Satz 1 SGB V nicht Teil der vertragsärztlichen Versorgung, sondern organisatorisch von dieser getrennt ist (Harney in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, § 1 NotfStrKHRgl RdNr 15, Stand 23.8.2019)." Dem stimmt das Gericht für den vom BSG entschiedenen Fall vollumfänglich zu.

Allerdings übersieht die Beklagte, dass § 75b Abs. 1b S. 1 SGB V eine Öffnungsklausel für abweichende landesrechtliche Regelungen enthält: "(1b) 1Der Sicherstellungsauftrag nach Absatz 1 umfasst auch die vertragsärztliche Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten (Notdienst), nicht jedoch die notärztliche Versorgung im Rahmen des Rettungsdienstes, soweit Landesrecht nichts Anderes bestimmt.". Von dieser Möglichkeit hat der Freistaat Bayern Gebrauch gemacht. Gemäß Art. 14 Abs. 1 BayRDG ist geregelt, dass, soweit Notfallpatienten nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V Anspruch auf ärztliche Behandlung haben, diese Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung ist und von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns sicherzustellen ist. Ausnahme war zum damaligen Zeitpunkt nur die Luftrettung. In Bayern ist damit die Notfallversorgung - anders als im vom BSG entschiedenen Fall - nicht Aufgabe des Bundeslandes, sondern der kassenärztlichen Versorgung. Daraus folgt, dass die Notärzte, die am von der KVB organisierten Notarztdienst mitwirken, an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen.

Streitentscheidend ist nun, ob das Notarztprotokoll den Anforderungen einer ärztlichen Verordnung von Krankenhausbehandlung genügt. Das SG Lüneburg lehnt dies im Urteil vom 28.1.2021 - S 9 KR 76/18 - juris RdNr 26, generell ab. Das BSG führt in der Entscheidung vom 18.05.2021, B 1 KR 11/20, Rn. 25 aus: "Zudem liegen den Entscheidungen des Rettungsdienstes andere Überlegungen zugrunde als jene, die für eine ärztliche Verordnung einer vorstationären Behandlung bestimmend sind. Dies ergibt sich hier aus § 2 Abs 2 SRettG. Danach ist Gegenstand der Notfallrettung, Notfallpatienten am Notfallort medizinisch zu versorgen, die Transportfähigkeit herzustellen und sie unter medizinisch-fachlicher Betreuung in eine für die weitere Versorgung geeignete Einrichtung zu befördern. Hingegen beruht die vertragsärztliche Verordnung einer vorstationären Behandlung auf der Überlegung, dass eine Krankenhausbehandlung ohne Unterkunft und Verpflegung medizinisch geeignet ist, speziell die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung zu klären oder die vollstationäre Krankenhausbehandlung vorzubereiten."

Gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 2 BayRDG sind Notfallpatienten, Verletzte oder Kranke, die sich in Lebensgefahr befinden oder bei denen schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten sind, wenn sie nicht unverzüglich die erforderliche medizinische Versorgung erhalten und nach Art. 2 Abs. 2 S.3 BayRDG unterfallen der notfallmedizinischen Versorgung die medizinischen Maßnahmen zur Abwendung von Lebensgefahr und schweren gesundheitlichen Schäden sowie zur Herstellung der Transportfähigkeit von Notfallpatienten. Diese Zielsetzung stellt - und hier sieht das Gericht einen Unterschied zur für das Saarland formulierten Zielsetzung - keinen Widerspruch zur Zielsetzung der für das die Verordnung vorstationärer Krankenhausbehandlung geltenden Beurteilungsmaßstäbe (Vorbereitung und Prüfung der Erforderlichkeit vollstationärer Krankenhausbehandlung) dar. Die Einweisung erfolgte offensichtlich nicht in Erfüllung der Zwecke des Art. 2 BayRDG, da keine Notfallversorgung in diesem Sinn erforderlich war, wie z. B. eine Wund- oder Schmerzversorgung im über das im Rettungswagen leistbaren Umfang hinaus.

Die Einweisung erfolgte unstreitig um die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung, nämlich für den Fall, dass andere Verletzungen der Bänder oder Knochen vorliegen, welche typischerweise nicht "von außen" zu erkennen sind, zu überprüfen. Damit wird mit der Einweisung der originäre Zweck des iSv § 115a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 1. Fall SGB V verfolgt.

Die nach der Norm des § 115a Abs. 1 SGB V erforderliche Verordnung des Hausarztes sichert die Prüfung, dass vertragsärztliche Behandlungsmöglichkeiten erschöpft sind und vermittelt zugleich Informationen für das aufnehmende Krankenhaus. Das Notarzteinsatzprotokoll ist zur Erreichung dieses Zweckes in gleicher Weise geeignet. Die Verpflichtung zusätzlich nochmal ein anderes Formular auszufüllen, welches dann dieselben Informationen enthält, stellt eine Förmelei dar, die die Anforderungen des durch einen Notarzt im Einsatz leistbaren eindeutig überspannt.

Hierbei ist auch zu beachten, dass der Zweck des § 115a Abs. 1 SGB V sich darin erschöpft, die notwendigen Informationen zu übermitteln. Die Erforderlichkeit der stationären Behandlung ist - unabhängig vom Verordnungsschein - stets vom aufnehmenden Krankenhaus selbst zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 19.06.2018, B 1 KR 26/17 R, Rn 24f, SG München, Gerichtsbescheid vom 06.07.2021, S 35 KR 3186/19). Die für das aufnehmende Krankenhaus notwendigen Informationen können auch dem Notarztprotokoll entnommen werden, so dass dieses als gleichwertig anzusehen ist (vgl. auch SG München, Gerichtsbescheid vom 06.07.2021, S 35 KR 3186/19). Das Notarztprotokoll enthält eine Patientenanamnese und Angaben über diverse ambulant erhebbare Parameter sowie - falls erfolgt - Angaben über Vormedikation und Vorbehandlung. Da - auch nach der stetigen Rechtsprechung des BSG - das aufnehmende Krankenhaus die Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung stets selbst prüfen muss, ist nicht erkennbar, dass die Angaben des Notarzteinsatzprotokolls hinter denen einer hausärztlichen Verordnung von Krankenhausbehandlung zurückbleiben. Anhand der im vorliegenden Fall im Notarztprotokoll geschilderten Anamnese, insbesondere der Angabe massiver Schmerzen (Messwertskala 8 von 10) und der getroffenen Erstdiagnose "Kniedistorsion links" wird deutlich, dass die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten des Patienten aus Sicht des Notarztes erschöpft waren und eine weitere Untersuchung erforderlich ist. Die nach §115a SGB V erforderliche Verordnung liegt damit vor. Dem Anspruch aus § 115a SGB V steht nicht entgegen, dass letztlich keine stationäre Behandlung erforderlich wurde, da sich die Erstdiagnose als Hauptdiagnose S83.6 nach Durchführung des CT bestätigt hat.

Die Klägerin hat Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe von vier Prozent über dem jeweiligen Basiszinssatz auf den nicht erfüllten Vergütungsanspruch ab dem unstrittigen 18.12.2021. Der Zinsanspruch beruht auf der zwischen den Beteiligten geltenden Budget- und Entgeltvereinbarung sowie auf § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V iVm §§ 288, 286 BGB und ist durch den Klageantrag begrenzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG iVm. § 52 Abs. 1, Abs. 3
Satz 1 GKG.

Das Urteil ist gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG hinsichtlich einer Berufung zulassungsbedürftig. Zulassungsgründe gemäß § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, insbesondere weicht das Verfahren nicht im Sinne von § 144 Abs. 2 N. 2 SGG von den dort genannten gerichtlichen Entscheidungen ab. Insoweit wird auf die Ausführungen oben verwiesen. Dem hier zu entscheidenden Fall liegt mit dem Bayerischen Rettungsdienstgesetz ein zum vom BSG entschiedenen Fall abweichender Sachverhalt vor. Auch eine abweichende Entscheidung einer anderen Kammer des Eufach0000000022s oder eines anderen bayerischen Sozialgerichts liegt bisher nicht vor. Eine grundsätzliche Bedeutung kann das Gericht nicht erkennen und wurde auch seitens der Beklagten nicht begründet.

 

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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