L 12 AS 2089/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 2 AS 4840/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 2089/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 04.11.2019 geändert und die Klage abgewiesen.

Der Beklagte trägt von den außergerichtlichen Kosten des Klägers im ersten Rechtszug die Hälfte. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten über Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum vom 01.05.2016 bis 31.12.2017.

 

Der am 00.00.1982 geborene Kläger absolvierte eine Ausbildung zum Gas- und Wasserinstallateur, die er zum 31.07.2000 erfolgreich abschloss. Von 2001 bis 2003 war er als Helfer bei einer Zeitarbeitsfirma und von Mitte 2006 bis Anfang 2008 als Kurier in einem Dienstleistungsunternehmen beschäftigt. Er bezog vom 01.03.2008 bis zum 28.02.2009 Arbeitslosengeld von der Agentur für Arbeit X. in Höhe von monatlich 572,70 Euro.

 

Am 18.03.2009 schlossen der Kläger und sein Vater, der Zeuge P. T. (im Folgenden: Zeuge T.), einen „Mietvertrag“ über eine Anliegerwohnung in der D.-straße 2 in X. ab, die im Eigentum des Zeugen T. steht und Teil eines 185 m2 großen Wohnhauses ist. Das Mietverhältnis sollte laut Mietvertrag auf unbestimmte Dauer eingegangen werden. Mietbeginn sollte der 01.04.2009 sein. Die Wohnfläche wurde mit 46 m2 angegeben. Die Gesamtmiete sollte 395 Euro betragen (Grundmiete 320 Euro, Nebenkosten 25 Euro, Heizkosten 50 Euro). Die Kosten der Wasserversorgung, Entwässerung und Müllabfuhr sollten nach Anzahl der Personen, die übrigen Betriebskosten sollten nach Anteil der Wohnfläche abgerechnet werden; über die Heiz- und Betriebskosten sollte einmal jährlich abgerechnet werden; Abrechnungsende sollte dabei der 31.05. sein. Es wurde zudem die Zahlung einer Mietkaution in Höhe von 900 Euro vereinbart.

 

Das betreffende Wohngebäude besteht seit 1956 aus zwei separaten Wohneinheiten mit einem Ober- und Untergeschoss. Die Eltern des Klägers wohnen im Untergeschoss. Die im Obergeschoss liegende und vom Kläger bewohnte Zweizimmerwohnung ist mit einem separaten Eingang ausgestattet und Teil einer 90 m2 großen Wohneinheit, die insgesamt vier Zimmer umfasst. Bis zu seinem Einzug hatte der Kläger in einem der anderen zwei Zimmer im Obergeschoss gewohnt. Die anderen zwei Zimmer der Wohneinheit werden seit Mietvertragsschluss nicht von dem Kläger, sondern wechselweise von den übrigen Familienangehörigen genutzt. Bis 1978 war die Wohnung im Obergeschoss fremdvermietet. Die Großmutter des Klägers wohnte dort unentgeltlich von 1978 bis zu ihrem Auszug im Jahr 2009; etwa Mitte der 1980er Jahre übertrug sie das Eigentum an dem Grundstück auf den Zeugen T., ihr einziges Kind.

 

Nach Mietvertragsschluss schloss der Kläger bei der K. GmbH aus X. einen Energielieferungsvertrag für die Wohnung ab.

 

Am 19.06.2009 beantragte der Kläger bei der Kooperation Arbeit und Soziales (K-A-S) M., der Rechtsvorgängerin des Beklagten, Leistungen nach dem SGB II.

 

Am 10.07.2009 führten Mitarbeiter der K-A-S M. eine Wohnungsbesichtigung beim Kläger durch und stellten fest, dass am Haupteingang des Hauses ein Klingelschild und ein Briefkasten mit dem Namen „T.“ beschriftet war. Es handele sich um eine 90 m2 große Vierzimmerwohnung, wobei nach Auskunft des Zeugen T. ein 30 m2 großes Zimmer nicht vermietet sei und ein weiteres Zimmer (ca. 20 m2) als Flur benutzt werde. Der dritte Raum (ca. 22 m2) werde als Ess- und Wohnbereich benutzt. Eine vollständige und funktionstüchtige Kücheneinrichtung sei vorhanden. Der vierte Raum (ca. 18 m2) sei das Schlafzimmer des Klägers. Daran angrenzend befinde sich das funktionstüchtige Duschbad.

 

Im Zuge der Wohnungsbesichtigung gab der Kläger an, dass er seit dem Ende des Arbeitslosengeldbezugs von Erspartem gelebt habe. Seit dem 01.04.2009 habe er nach dem Tod seiner Großmutter eine eigene Wohnung von seinen Eltern übernommen. Der Zeuge T. erklärte, dass er dem Kläger die Mietzahlungen in Form von Kostenübernahme für die fälligen Renovierungsarbeiten in der Wohnung wieder erstattet habe.

 

In einem undatierten, am 14.07.2009 bei der K-A-S M. eingegangenen Schreiben erklärte der Zeuge T., dass der Kläger die Miete für April bis Juni 2009 entrichtet habe. Für den Juli 2009 sei die Miete noch nicht gezahlt.

 

Mit Bescheid vom 29.07.2009 bewilligte die K-A-S M. dem Kläger ab dem 23.06.2009 (bis zum 31.12.2009) Leistungen nach dem SGB II, wobei neben dem Regelbedarf auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von 388,21 Euro übernommen wurden. 

 

Für die Zeiträume vom 27.01.2010 bis 30.06.2010, 25.10.2010 bis 30.09.2011, 01.11.2011 bis 30.04.2012, 01.07.2012 bis 31.12.2013 und 01.02.2014 bis 30.04.2016 bewilligten die K-A-S M. und später der Beklagte dem Kläger Leistungen, wobei neben den Regelbedarfen die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in der geltend gemachten Höhe von 395 Euro übernommen wurden. Die Lücken in den Bewilligungszeiträumen entstanden dadurch, dass der Kläger teilweise die Weiterbewilligungsanträge später einreichte. Der Beklagte erließ in den voranstehenden Zeiträumen zudem wiederholt Sanktionsbescheide, weil der Kläger gegen seine Pflichten aus dem Leistungsverhältnis verstoßen hatte, zumeist zu Meldeterminen nicht erschienen war. Ferner erließ der Beklagte Versagungs- und Entziehungsbescheide für die Zeiträume vom 01.05.2012 bis 30.06.2012 (Bescheid vom 18.06.2012) und ab dem 01.01.2013 (Bescheid vom 27.02.2013).

 

Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache des Klägers und des Zeugen T. am 24.08.2012 wiesen Mitarbeiter des Beklagten darauf hin, dass Nebenkostenabrechnungen zu erstellen seien. Nachzahlungen könnten ggf. erstattet werden, nicht jedoch für das Jahr 2010. Am 28.01.2013 gingen Nebenkostenabrechnungen für die Jahre 2010 und 2011 beim Beklagten ein, wobei die Wohnfläche mit 43 m2 angegeben wurde. Abgerechnet wurden danach die Heiz-, Warmwasser- und Schornsteinfegerkosten nach der anteiligen Wohnfläche. Die sonstigen Nebenkosten sollten mit der monatlichen Pauschale von 25 Euro abgegolten sein. Eine Zahlung der Nachforderung (2010: 14,47 Euro, 2011: 180,45 Euro) durch den Beklagten erfolgte nicht, weil der Beklagte auf eine ordnungsgemäße Erstellung der Abrechnung samt Anlagen bestand, diese aber nicht eingereicht wurde.

 

Im Rahmen eines Folgeantrags im Juli 2013 wies der Kläger darauf hin, dass er seit Januar 2013 keine Leistungen erhalten habe (wegen des Versagungsbescheides vom 27.02.2013) und von seinen Verwandten, insbesondere seinen Eltern, unterstützt werde. Die Miete werde quasi darlehensweise von seinem Vater übernommen.

 

Im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens betreffend den Überprüfungsbescheid vom 20.08.2013, in welchem die Rücknahme des Versagungsbescheides vom 27.02.2013 abgelehnt worden war, reichte der Kläger zwei Darlehensverträge vom 03.01.2013 und 05.02.2013 ein, in welchen erklärt wurde, dass dem Kläger vom Zeugen T. an diesen Tagen jeweils 350 Euro als Darlehen in bar übergeben worden seien. Die Darlehen seien spätestens bei Leistungsnachzahlung durch den Beklagten in voller Höhe zurückzuzahlen. Sollte keine Nachzahlung erfolgen, verpflichte sich der Kläger, das Darlehen in monatlichen Raten von 50 Euro ab dem 01.07.2013 bzw. 01.08.2013 an seinen Vater zurückzuführen. Des Weiteren werde der Mietzins ab Januar 2013 inkl. der Betriebskosten gestundet. Mit Bescheid vom 21.11.2013 bewilligte der Beklagte daraufhin Leistungen von Januar bis Juni 2013.

 

Auf einen Weiterbewilligungsantrag vom 06.05.2016 forderte der Beklagte den Kläger auf, Kontoauszüge vorzulegen und mitzuteilen, wie er seinen Lebensunterhalt im Mai und Juni 2016 bestritten habe. Nachdem hierauf keine Reaktion des Klägers erfolgt war, versagte der Beklagte dem Kläger Leistungen ab dem 01.05.2016 (Bescheid vom 14.07.2016). Der Kläger reichte daraufhin Kontoauszüge ein, teilte mit, dass er mit den Leistungen Vorräte angelegt habe, mit denen er eine Weile auskommen könne, und meinte, zu weiteren Mitwirkungshandlungen nicht verpflichtet zu sein.

 

Mit Bescheid vom 09.08.2016 lehnte der Beklagte den Leistungsantrag vom 06.05.2016 ab, weil der Kläger die Zweifel an seiner Hilfebedürftigkeit nicht ausgeräumt habe. Sein Konto habe zum 29.04.2016 ein Minus von 2,44 Euro aufgewiesen, so dass er keine Vorräte habe anlegen können.

 

Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein und führte aus, aus den lückenlosen Kontoauszügen ergebe sich, dass er immer nach Zahlungseingang die Leistungsbeträge abgehoben habe. Er habe daraus eine kleine Barrücklage ansparen können, die jedoch verbraucht sei. Deswegen erhalte er ein verzinsliches Darlehen von seinem Vater in Höhe von 650 Euro, wobei 395 Euro für die Miete und 255 Euro für den Lebensunterhalt eingesetzt würden.

 

Der Kläger legte einen formularmäßigen „privaten Darlehensvertrag“ vom 15.05.2016 zwischen ihm als Darlehensnehmer und dem Zeugen T. als Darlehensgeber vor, aus dem hervorging, dass dem Kläger ab Mai 2016 ein verzinsliches Darlehen i.H.v. 650 Euro monatlich vom Zeugen T. gewährt werde. Das Darlehen solle bis auf weiteres bis zur „Klärung mit dem Job Center“ gewährt werden. Nach der Zahlung durch den Beklagten für die Zeit ab Mai 2016 sei die gesamte Darlehenssumme sofort rückzahlbar. Der Zeuge T. dürfe den Vertrag aus wichtigem Grund kündigen; die Rückzahlung des Darlehens werde sofort fällig. Die formularmäßig abgebildeten Regelungen zu Tilgung, Zinsen, Zahlungsverzug, Sicherheiten, etc. wurden dabei nicht ausgefüllt bzw. angekreuzt.

 

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 22.11.2016 zurück. Der Kläger habe die Zweifel an seiner Hilfebedürftigkeit nicht ausgeräumt. Im Vergleich zu anderen Leistungsempfängern seien kaum Zahlungsbewegungen auf dem Konto festzustellen. Ferner sei zweifelhaft, ob ein rechtmäßiges Mietverhältnis bestehe. Mietzahlungen an den Vater des Klägers seien nicht ersichtlich. Die gesamten Mietnebenkosten würden über eine anteilmäßige Umrechnung auf Quadratmeter ermittelt, sodass davon auszugehen sei, dass der Kläger über keinen separaten Strom- und Wasserzähler verfüge. Unüblich sei auch, dass die sonstigen Nebenkosten über eine Pauschale abgerechnet würden. Das lasse darauf schließen, dass keine Möglichkeit einer separaten Abrechnung bestehe und eine gemeinsame Nutzung der Wohnung mit den Eltern erfolge. Weiterhin sei der Kläger nicht unter der von ihm angegebenen Telefonnummer erreichbar. Sein Vater habe sich am 03.05.2016 unter dieser Nummer gemeldet und mitgeteilt, dass der Kläger telefonisch gar nicht erreichbar sei. Das Vorbringen, dass er seinen Lebensunterhalt durch Sparbeträge und ein Darlehen seines Vaters bestritten habe, sei nicht glaubhaft. Der mit dem Vater geschlossene Darlehensvertrag werde als Scheinvertrag gewertet. Die hohen Anforderungen an den Nachweis eines zivilrechtlich wirksamen Darlehensvertrages würden nicht erfüllt. Auch lasse das zeitversetzte Mitwirkungshandeln des Klägers darauf schließen, dass die Leistungen nicht zum Bestreiten des Lebensunterhalts benötigt würden.

 

Dagegen hat der Kläger am 16.12.2016 Klage beim Sozialgericht Köln (SG) erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe bislang alle Kontoauszüge vorgelegt, ohne dass der Beklagte die Kontobewegungen beanstandet habe. Sein Verhalten habe sich seit Beginn des Leistungsbezugs nicht geändert. Es seien deshalb keine Kontobewegungen festzustellen, weil er den gesamten Leistungsbetrag abhebe und alles in bar zahle. Es seien keine Zahlungsabgänge auf dem Konto zu verzeichnen, da er keine Versicherungen, kein Telefon und kein Auto besitze. Die Strom- und Nebenkosten würden pauschal direkt an die Eltern gezahlt. Es sei ein eigener Zähler vorhanden. Die Zahlung einer Nebenkostenpauschale sei auch mietvertraglich nicht unüblich. Die Miete werde in bar gezahlt. Das Darlehen stelle nur die Übergangszahlungen sicher. Seine Eltern seien Rentner und nicht in der Lage, die Zahlungen aus dem laufenden Einkommen zu tragen. Insoweit hätten sie auf Rücklagen für das Alter zurückgreifen müssen. In einer Aufstellung vom 16.08.2017 hat der Kläger angegeben, dass er für seine Lebenshaltungskosten monatlich 281,70 Euro (für Essen und Getränke 202,50 Euro, für Busfahrten 19,20 Euro, für Körperpflegeprodukte 45 Euro und für sonstige Kleinigkeiten 15 Euro) ausgebe. Er lebe ansonsten sehr sparsam.

 

Der Kläger hat während des Klageverfahrens eine Ergänzung zum Darlehensvertrag vom 15.05.2016 eingereicht, die von ihm und dem Zeugen T. unterschrieben ist und vom 15.01.2017 datiert. Darin heißt es, dass das laufende Darlehen längstens bis zum 31.12.2017 in Höhe von 280 Euro gewährt werde. Die Miete in Höhe von monatlich 395 Euro werde bis dahin gestundet. Der Kläger als Darlehensnehmer solle dafür Sorge tragen, dass die Miete ab dem 01.01.2018 wieder geleistet werde. Der aufgelaufene Mietzins sei, falls eine Einmalzahlung nicht möglich sei, in Raten nachzuentrichten. Sollte bis zum 31.03.2018 weder der laufende Mietzins noch die Ratenzahlung geleistet worden sein, verpflichte sich der Kläger, die Wohnung bis zum 01.04.2018 geräumt an den Vermieter herauszugeben.

 

Der Kläger hat ferner ein an ihn gerichtetes Schreiben des Zeugen T. vom 30.07.2017 vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass der Darlehens- und Stundungsvertrag vom 15.01.2017 zum 31.08.2017 gekündigt werde. Persönliche Gründe machten es (dem Zeugen T.) unmöglich, über den 31.08.2018 (gemeint ist 31.08.2017) hinaus den Darlehensbetrag in Höhe von 280 Euro zu zahlen und eine Stundung des vereinbarten Mietzinses in Höhe von 395 Euro zu gewähren.

 

Der Kläger stellte am 13.09.2017 beim SG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Az.: S 2 AS 3699/17 ER). Mit Beschluss vom 07.11.2017 verpflichtete das SG den Beklagten einstweilen, dem Kläger vom 13.09.2017 bis 13.03.2018 Regelleistungen zu gewähren und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Der Kläger habe glaubhaft gemacht, dass er seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten könne und daher hilfebedürftig sei. Er habe auch glaubhaft gemacht, dass die Zuwendungen seiner Familie nicht schenkungsweise erfolgt seien. Ein Anordnungsgrund hinsichtlich der Unterkunftskosten sei dagegen nicht glaubhaft gemacht. Der Beklagte gewährte daraufhin mit Bescheid vom 27.11.2017 vorläufig Regelleistungen in Höhe von monatlich 409 Euro für den Zeitraum vom 13.09.2017 bis 13.03.2018. Das SG habe mit Beschluss vom 07.11.2017 festgestellt, dass dem Kläger vorläufig Leistungen in Höhe des Regelbedarfs zu gewähren seien. Eine abschließende Entscheidung könne erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens erfolgen.

 

Am 23.01.2018 stellte der Kläger beim Beklagten einen Weiterbewilligungsantrag. Mit Bescheid vom 09.04.2018 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig Regelleistungen in Höhe von monatlich 416 Euro für den Zeitraum vom 14.03.2018 bis 13.09.2018. Im Übrigen werde der Antrag abgelehnt. Ein Anspruch auf Bedarfe der Unterkunft bestehe nicht, da aktuell keine Zahlungsverpflichtung bestehe.

 

Mit Zustimmung des Klägers hob der Zeuge T. die Miete wegen des gestiegenen Mietspiegels zum 01.03.2018 von 395 Euro auf 456 Euro an (Grundmiete: 368,50 Euro, Nebenkosten ohne Heizkosten: 29,50 Euro, Heizkosten: 58 Euro).

 

Mit Schreiben vom 25.04.2018 kündigte der Zeuge T. das Mietverhältnis fristlos. Es bestünden Mietrückstände in Höhe von mehreren tausend Euro. Eine Stundung könne ab sofort auch nicht mehr erfolgen, da nicht absehbar sei, wann sich die Situation ändere. Die Räume sollen am 15.06.2018 übergeben werden, ansonsten würde umgehend Räumungsklage erhoben.

 

Nachdem der Beklagte im Klageverfahren erklärt hatte, dass der Anspruch auf Regelleistungen nunmehr anerkannt werde, ist das SG davon ausgegangen, der Kläger beantrage nur noch,

 

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 09.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2016 zu verurteilen, ihm Leistungen in Form der Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 01.05.2016 bis zum 31.12.2017 in Höhe von monatlich 395 Euro zu gewähren.                           

 

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass eine wirksame Mietzinsforderung nicht vorliege. Es sei kein ernsthaftes Zahlungsverlangen ersichtlich. Obwohl der Mietvertrag fortbestehe, habe der Kläger seit dem 01.05.2016 keine Miete gezahlt und es sei keine Räumungsklage erfolgt. Diese fehlenden rechtlichen Konsequenzen aus der ausgebliebenen Mietzahlung seien ein Indiz für die fehlende Ernsthaftigkeit der Mietforderung seitens des Zeugen T.. Aus den Kontoauszügen seien keinerlei Abbuchungen für Strom und Wasser ersichtlich, obwohl nach dem Vortrag des Klägers seit 2012 ein eigener Vertrag bestehen solle. Es sei zudem fraglich, ob die Mieteinnahmen gegenüber dem Finanzamt angegeben worden seien. In der Nebenkostenabrechnung vom 20.05.2016 seien die Kosten des Klägers anteilig anhand der Wohnfläche berechnet worden; ein tatsächlicher Verbrauch des auf den Kläger entfallenden Teils sei nicht nachgewiesen.

 

Das SG hat von den Eltern sowie der Schwester und dem Bruder des Klägers schriftliche Zeugenaussagen angefordert. Der Zeuge T. hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 06.05.2018 unter anderem ausgeführt, dass er seit dem 01.05.2016 Darlehenszahlungen in Höhe von 14.262,62 Euro an den Kläger erbracht habe. Darin enthalten sei eine Zahlung wegen einer Stromkostennachzahlung von 1.850 Euro, die notwendig gewesen sei, weil man dem Kläger ansonsten den Strom abgeschaltet hätte. Die Miete sei bis zum 31.12.2017 gestundet worden, seit dem 01.01.2018 sei der Kläger mit der Mietzahlung in Verzug. Deswegen habe er das Mietvertragsverhältnis außerordentlich gekündigt. Alle Zahlungen an den Kläger seien darlehensweise erfolgt. Es sei vereinbart, dass der Kläger die Beträge bei Leistung des Beklagten zurückzahle. Wegen des übrigen Inhalts wird auf die schriftlichen Zeugenaussagen vom 02.05.2018 bis 06.05.2018 verwiesen.

 

Das SG hat ferner die Eltern und Geschwister des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.08.2018 als Zeugen vernommen und die Beteiligten ergänzend befragt. Der Kläger hat erklärt, dass er die Wohnung direkt nach dem Tod seiner Großmutter bezogen habe. Zu einer Räumungsklage sei es noch nicht gekommen. Sein Vater zahle seit September 2017 keine Darlehenssummen mehr an ihn aus. Von seiner Schwester habe er 85 Euro, von seinem Bruder 290 Euro und seiner Mutter 280 Euro als Darlehen erhalten; er habe diese Summen aus der Nachzahlung des Beklagten und in eigenen Raten zurückgezahlt. An seinen Vater habe er bislang noch nichts zurückgezahlt. Sein Vater habe eine Stromkostennachzahlung von 1.850 Euro darlehensweise übernommen, die durch den Unterhalt von Tieren und Aquarien entstanden sei; er habe die Tiere zwischenzeitlich weggegeben. Der Zeuge T. hat erklärt, dass der Kläger „rausfliege“, wenn er kein Geld sehe. Er habe bereits eine Räumungsklage schriftlich vorbereitet, wolle aber Kosten und Mühe sparen. Die Wohnung sei schon einmal fremdvermietet gewesen, bevor seine Mutter dort eingezogen sei. Die Vermietung an seinen Sohn sei erfolgt, nachdem seine Mutter ins Seniorenheim gezogen sei. Das Darlehen sei keine Schenkung. Die Miete sei geschuldet und er werde sie noch vom Kläger bekommen. Derzeit betrügen die Mietrückstände und Darlehenszahlungen ca. 20.000 Euro. Sobald der Kläger Nachzahlungen vom Beklagten erhalte, erwarte er die Erstattung an ihn. Auch wenn der Beklagte nicht zur Zahlung verurteilt werde, werde er das Geld zurückverlangen. Er sei sich nicht sicher, ob er den Kläger verklagen werde. Das koste schließlich auch Geld. Er würde das Geld auch verlangen, wenn der Kläger eine geringe Erwerbstätigkeit ausübe. Wegen des übrigen Ergebnisses der Zeugenvernehmung und der ergänzenden Befragung der Beteiligten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20.08.2018 Bezug genommen.

 

Einen in der mündlichen Verhandlung geschlossenen Vergleich hat der Beklagte innerhalb der ihm vom SG eingeräumten Frist widerrufen, soweit er sich auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung bezog.

 

Das SG hat – mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung – durch Urteil vom 04.11.2019 den Beklagten zur Übernahme der Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 01.05.2016 bis 31.12.2017 in Höhe von monatlich 395 Euro verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Streitzeitraum durch den Weiterbewilligungsantrag vom Januar 2018 begrenzt werde. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf die Unterkunftsbedarfe seien erfüllt, da von einem ernsthaften Mietzahlungsverlangen im Streitzeitraum auszugehen sei. Der Zeuge T. habe glaubhaft angegeben, dass die Miete bis Ende 2016 gezahlt und dann gestundet worden sei. Der Zeuge habe mehrfach glaubhaft betont, dass er auf die Mietzahlungen bestehe; der Kläger habe damit übereinstimmend erklärt, einem Mietzahlungsverlangen tatsächlich ausgesetzt zu sein. Der Aufbau der Wohnung und die räumliche Abtrennung sprächen ebenfalls dafür, dass die Wohnung an einen Untervermieter hätte vermietet werden können, zumal die Wohnung bereits früher fremdvermietet gewesen sei. Der Darlehens- und Stundungsvertrag halte auch einem Fremdvergleich stand. Die Kammer erkenne in dem Verhalten der Darlehensvertragsparteien keine ungewisse Rückzahlungsverpflichtung. Vielmehr liege eine Zuwendung eines Dritten, des Zeugen T., vor, die eine vom Beklagten abgelehnte Leistung bis zur Herstellung eines aus seiner Sicht rechtmäßigen Zustands substituieren solle. Der Wechsel vom Darlehens- zum Stundungsvertrag bedeute keinen Mangel der Ernsthaftigkeit. Der Zeuge T. habe vielmehr glaubhaft angegeben, dass der Kläger einen „schlechten Umgang“ mit Geld pflege und daher ein geringerer Betrag an ihn ausgezahlt worden sei. Ferner habe sich rein faktisch durch den Wechsel vom Darlehens- zum Stundungsvertrag nichts geändert. Für einen Leistungsanspruch reiche es aus, wenn der Leistungsempfänger sich einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt sehe. Von einer dauerhaften Stundung könne wegen der Kündigung des gesamten Mietvertrages nicht ausgegangen werden. Das lange Ausharren des Zeugen T. begründe sich durch die lange Dauer des Klageverfahrens und den Teilerfolg im einstweiligen Rechtsschutz. Dies habe beim Zeugen T. die Hoffnung genährt, dass der Beklagte leisten und er seine Miete erhalten werde. Der Kläger habe auch die vom Beklagten im Zuge des Eilverfahrens ausgezahlten Leistungen darauf verwendet, die Darlehen seiner Familie zu bedienen. Auch die Überlegung, keine unnötigen Kosten durch eine Räumungsklage auszulösen und den Kläger nicht obdachlos werden zu lassen, sei nachvollziehbar. Es sei nicht zwingend ein Verzicht auf die Forderung anzunehmen, wenn ein Beteiligter zunächst anderweitige, ggf. einfachere Rechtsschutzmöglichkeiten ausschöpfen wolle. Diese Haltung sei seitens des Zeugen T. auch dadurch gestärkt worden, dass im Jahre 2013 eine ähnliche Konstellation vorgelegen und der Beklagte Leistungen nachgezahlt habe.

 

Gegen das ihm am 19.11.2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 13.12.2019 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er aus, dass der Mietvertrag nur 18 Tage nach dem Ende des Arbeitslosengeldbezuges unterschrieben worden sei. Es stelle sich die Frage, wovon der Kläger in den Monaten ohne Leistungsbezug (wegen Sanktionen oder späterer Antragstellung) gelebt habe. Insgesamt gebe es eine Reihe von Ungereimtheiten und Widersprüchen: Der Kläger habe ihm gegenüber im Jahr 2009 und bei Gericht im Jahr 2018 angegeben, dass er nach dem Tod der Großmutter in die Wohnung eingezogen sei, der Zeuge T. habe aber ausgesagt, dass der Kläger eingezogen sei, nachdem die Großmutter ins Pflegeheim gekommen sei. Der Vortrag zum Auszug der Großmutter sei widersprüchlich und spreche gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers. Im Mietvertrag sei eine Wohnfläche von 46 m2 angegeben worden, in den Nebenkostenabrechnungen seien dagegen 43 m2 genannt worden. Jahrelang habe es keine Betriebskostenabrechnung gegeben, obwohl dies mietvertraglich vereinbart gewesen sei. Erst als der Zeuge T. im Rahmen seiner Vorsprache am 24.08.2012 erfahren habe, dass es auch Nachzahlungen geben könne, seien Abrechnungen erstellt worden, jedoch ohne Anlagen. Diese seien trotz Aufforderung nicht eingereicht worden. Der Kläger habe jahrelang hohe Stromkosten gehabt. Es sei nicht klar, wie er Rücklagen gebildet haben wolle, wenn er annähernd die Hälfte des Regelbedarfs für Stromkosten aufgewendet habe. Das Mietverhältnis habe weiterhin Bestand, obwohl seit Mai 2016 keine Mietzahlungen erfolgt seien. Nur wenn man annehme, dass der Kläger keine Miete zahlen müsse, lasse sich erklären, wie er monatelang bei Sanktionen ohne Leistungen habe leben können. Wenn – wie hier – die Miete seit Jahren gestundet werde, gebe es nach der obergerichtlichen Rechtsprechung keine Mietzinsverpflichtung (unter Hinweis auf LSG NRW Urteile vom 09.04.2019, L 2 AS 1267/17 und vom 22.03.2018, L 7 AS 1512/17). Gegen eine echte Zahlungsverpflichtung spreche auch, dass der Kläger keinerlei Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme zeige und von dem Zeugen T. hierzu auch nicht angehalten worden sei.

 

Der Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 04.11.2019 zu ändern und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

 

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

 

Der Kläger meint, dass die vorgetragenen Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten ungeeignet seien, um den Anspruch zu verneinen. Seine Großmutter sei zunächst aus der Wohnung ausgezogen und im November 2009 verstorben. Dies sei aber unerheblich. Entscheidend sei, dass es sich um eine Mieteinheit handele, die bereits vor der Nutzung durch seine Großmutter fremdvermietet gewesen sei. Die neue Berechnung von 43 m2 ergebe sich aus der Dachschräge. Er habe dargelegt, dass er weniger zum Leben brauche. Er habe nur ein Hobby, nämlich Aquarien. Die Nachzahlung aus November 2017 sei auch zum Teil an seinen Vater ausgekehrt worden. Nicht er, sondern sein Vater habe die Verbindlichkeiten des Energieversorgers (in Höhe von 1.850 Euro) beglichen. Die Stromkosten hätten sich seit der Abgabe der Aquarien verringert. Er habe seit Oktober 2018 eine geringfügige Tätigkeit im Umfang von 150 Euro aufgenommen, bei der er 110 Euro behalten könne, also zusammen mit dem Regelbedarf 542 Euro monatlich zur eigenen Verwendung habe.

 

Der Kläger hat auf Nachfrage des Senats Kontoauszüge für die Zeit von 2013 bis 2020 über sein Girokonto, Kontoauszüge zu einem Sparbuch und Nachweise über Dividendenausschüttungen zu Genossenschaftsanteilen eingereicht. Auf diese Unterlagen wird verwiesen.

 

Der Senat hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 31.08.2022 den Kläger ergänzend befragt und die Eltern sowie Geschwister des Klägers als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Zeugenvernehmung und Befragung des Klägers wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

 

Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Berufung des Beklagten hat Erfolg.

 

A. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 09.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2016. Der Versagungsbescheid vom 14.07.2016 ist nicht Gegenstand des Verfahrens geworden. In der zeitlichen Ablösung eines Versagungsbescheides durch einen Bescheid über den Leistungsanspruch liegt kein Fall des § 86 Hs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach dieser Norm wird auch ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Vorverfahrens, wenn er während dieses Vorverfahrens den (ursprünglichen) Verwaltungsakt abändert. Das ist hier nicht der Fall. Denn ein Versagungsbescheid erledigt sich durch einen nachfolgenden Bewilligungs- bzw. Ablehnungsbescheid zwar i.S.d. § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X, vgl. § 67 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil <SGB I>), ohne ihn aber im Sinne des § 86 SGG zu ändern oder zu ersetzen. Denn ein Abändern oder Ersetzen setzt voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden Verwaltungsaktes mit dem des früheren identisch ist (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 96 Rn. 4a). Da ein Versagungsbescheid, anders als ein Bewilligungs- oder Ablehnungsbescheid, aber gerade keine Entscheidung über den Anspruch darstellt, ist eine solche Identität nicht gegeben (Bayerisches LSG Urteil vom 12.07.2018, L 18 SO 38/18, Rn. 27, juris).

 

Auch der Bescheid vom 27.11.2017, der die vorläufige Bewilligung von Regelbedarfen ab dem 13.09.2017 in Umsetzung des Beschlusses zum Eilverfahren S 2 AS 3699/17 ER zum Gegenstand hat, ist nicht nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Als Ausführungsbescheid, einem Bescheid der die in einem vorangegangenen gerichtlichen Verfahren vollstreckungsfähig festgelegten Verpflichtungen realisiert, hat er sich in ausdrücklicher Bezugnahme auf den gerichtlichen Beschluss in dessen Umsetzung erschöpft und hat keine Verwaltungsaktqualität i.S.d. § 31 S. 1 SGB X (vgl. BSG Beschluss vom 18.09.2003, B 9 V 82/02 B, Rn. 6, juris; LSG NRW Urteil vom 19.06.2020, L 13 SB 122/20, Rn. 17, juris; LSG NRW Beschluss vom 23.03.1998, L 10 SVs 15/97, Rn. 18, juris).

 

Streitgegenstand sind ferner nur die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ab dem 01.05.2016. Die Regelbedarfe sind dagegen nicht streitig, weil diese vom Beklagten anerkannt und an den Kläger ausgezahlt wurden. Mit Bescheiden vom 07.11.2019 hat der Beklagte Regelbedarfe in gesetzlicher Höhe vom 01.05.2016 bis 12.09.2017 bewilligt. Bereits mit vorläufigem Ausführungsbescheid vom 27.11.2017 hatte der Beklagte im Zuge des Eilverfahrens Regelleistungen vom 13.09.2017 bis 13.03.2018 bewilligt und im Klageverfahren klargestellt, dass er die Regelleistungen anerkenne. Infolgedessen hat das SG zu Recht keine Entscheidung darüber getroffen. Der Kläger hat den Klagegegenstand auch in zulässiger Weise auf die Ablehnung von Leistungen für Bedarfe der Unterkunft und Heizung beschränkt, weil es sich insoweit um einen abtrennbaren Leistungsgegenstand handelt (vgl. dazu BSG Urteile vom 04.06.2014, B 14 AS 42/13 RRn. 12 ff., juris; und vom 06.08.2014, B 4 AS 55/13 RRn. 12, juris).

 

In zeitlicher Hinsicht wird der Anspruch des Klägers durch den Weiterbewilligungsantrag vom 23.01.2018 und den daraufhin ergangenen Bescheid des Beklagten vom 09.04.2018 bis zum 13.03.2018 begrenzt. Lehnt die Behörde die Leistungsbewilligung ab, ohne diese Ablehnung zeitlich einzugrenzen, wirkt sie im Falle eines gerichtlichen Verfahrens bis zur gerichtlichen Entscheidung fort, sodass der Antragsteller seine Leistungsberechtigung dann für den gesamten Zeitraum überprüfen lassen kann, ohne einen neuen Leistungsantrag bei der Behörde stellen zu müssen (vgl. BSG Urteil vom 31.10.2007, B 14/11b AS 59/06 R, Rn. 13 m.w.N., juris). Lehnt die Behörde die Bewilligung unbefristet ab und stellt der Antragsteller in der Folgezeit einen neuen Antrag, endet der Zeitraum, für den die erste ablehnende Entscheidung Wirkung entfaltet, mit Erteilung des neuen Bescheids rückwirkend zum Zeitpunkt des neuen Antrags, soweit dieser vollständig beschieden wurde, sodass der Streitgegenstand insoweit eingegrenzt ist (BSG, a.a.O.; und Urteile vom 13.07.2017, B 4 AS 17/16 R, Rn. 13 m.w.N., juris; und vom 25.08.2011, B 8 SO 19/10 R, Rn. 9, juris). So liegt der Fall hier. Durch den Leistungsantrag vom 23.01.2018, den der Beklagte mit Bescheid vom 09.04.2018 für den Zeitraum ab dem 14.03.2018 beschieden hat, ist der Streitzeitraum bis zum 13.03.2018 eingegrenzt worden. Der Beklagte hat dabei allein über den Regelbedarfsanspruch des Klägers ab dem 14.03.2018 entschieden, weil er zuvor – im Rahmen des Eilverfahrens – vorläufig den Regelbedarf bis zum 13.03.2018 an den Kläger ausgezahlt hatte. Dem derart begrenzten Leistungsantrag steht nicht entgegen, dass der Kläger für Teile des streitigen Zeitraums bereits aufgrund der teilweise stattgebenden Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 2 AS 3699/17 ER) vorläufig Leistungen erhalten hat (vgl. BSG Urteile vom 13.07.2017, B 4 AS 17/16 R, Rn. 12, juris; und vom 20.01.2016, B 14 AS 35/15 R, Rn. 17, juris), zumal diese sich nur auf die Regelbedarfe bezogen haben und nicht auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zum anderen kann in dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 13.09.2017 selbst kein Weiterbewilligungsantrag gesehen werden, weil es dem Kläger aus der Sicht eines objektiven Empfängers (entsprechend §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>) ersichtlich nicht um die Stellung eines Weiterbewilligungsantrags beim Beklagten ging, sondern allein darum, eine vorläufige Regelung bis zum Abschluss der Hauptsache zu erreichen.

 

Das SG ist aufgrund des Antrages vom 23.01.2018 von einem streitgegenständlichen Zeitraum bis zum 31.12.2017 und einer entsprechenden Antragstellung des Klägers ausgegangen. Da nur der Beklagte Berufung gegen das Urteil des SG eingelegt hat, hat der Senat über den Leistungsanspruch im Zeitraum vom 01.01.2018 bis 13.03.2018 nicht zu entscheiden.

 

Streitgegenständlich sind nach alledem Aufwendungen für Unterkunft und Heizung vom 01.05.2016 bis 31.12.2017 in Höhe von insgesamt 7.900 Euro.

 

B. Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.

 

Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, Abs. 4, § 56 SGG statthafte und im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 09.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2016 ist nicht rechtswidrig und beschwert den Kläger nicht i.S.v. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG, soweit die Übernahme von Aufwendungen für Unterkunft und Heizung abgelehnt wurde.

 

Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 2 und 4 SGB II. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob der Kläger im Streitzeitraum auch hilfebedürftig i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. §§ 9, 11 ff. SGB II war, insbesondere ob es sich bei den Zuwendungen seitens der Familienangehörigen des Klägers, die dieser im Streitzeitraum erhalten hat, um Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II oder um anrechnungsfreie Darlehen handelt. Denn ein Anspruch auf Übernahme der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II besteht ungeachtet dessen nicht. Nach dieser Norm werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Übernahmefähig sind die tatsächlichen Mietkosten einschließlich der zu zahlenden Nebenkosten. Bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich, dass der Grundsicherungsträger nur solche Kosten zu übernehmen hat, die dem Leistungsberechtigten tatsächlich entstanden sind und für deren Deckung ein Bedarf besteht. Dies sind in erster Linie Kosten, die durch Mietvertrag entstanden sind. „Tatsächliche Aufwendungen“ für eine Wohnung liegen nicht nur dann vor, wenn der Leistungsberechtigte die Miete bereits gezahlt hat und nunmehr deren Erstattung verlangt. Vielmehr reicht es aus, dass der Leistungsberechtigte im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist (vgl. BSG Urteile vom 23.05.2013, B 4 AS 67/12 R, Rn. 17, juris; und vom 03.03.2009, B 4 AS 37/08 R, Rn. 24, juris). Denn bei Nichtzahlung der Miete droht regelmäßig Kündigung und Räumung der Unterkunft. Zweck der Regelung über die Erstattung der Bedarfe für die Unterkunft ist es aber gerade, existentielle Notlagen zu beseitigen und den Eintritt von Wohnungslosigkeit zu verhindern. Der Leistungsberechtigte wird – solange er im Leistungsbezug steht – zumeist auf die Übernahme der Unterkunftsaufwendungen durch den Grundsicherungsträger angewiesen sein.

 

I. Ob der rechtliche Bindungswille der (vermeintlichen) Mietvertragsparteien besteht, beurteilt sich bei einem Mietverhältnis zwischen Familienangehörigen nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Der Maßstab eines sogenannten Fremdvergleichs, nach dem Verträge zwischen nahen Angehörigen im Hinblick auf tatsächliche Aufwendungen im Rahmen eines Mietverhältnisses nur dann einen wirksamen Rechtsbindungswillen begründeten, wenn sie nach Inhalt und tatsächlicher Durchführung dem zwischen Fremden Üblichen entsprächen und diesem Vertragsinhalt gemäß vollzogen würden, scheidet dabei aus (BSG Urteile vom 07.05.2009, B 14 AS 31/07 R, Rn. 19 f., juris; und vom 03.03.2009, B 4 AS 37/08 R, Rn. 20, 27, juris). Ausgangspunkt für die Frage, ob eine wirksame Mietzinsverpflichtung des Leistungsberechtigten vorliegt, ist in erster Linie der Mietvertrag, mit dem der geschuldete Mietzins vertraglich vereinbart worden ist. Bei der Gesamtwürdigung der Umstände kann allerdings für die Auslegung der Vereinbarungen die spätere tatsächliche Übung der Parteien, mithin der tatsächliche Vollzug des Vertragsinhalts, berücksichtigt werden (BSG Urteile vom 07.05.2009, B 14 AS 31/07 R, Rn.16 ff., 20, juris; und vom 03.03.2009, B 4 AS 37/08 R, Rn. 27, juris; Senatsurteil vom 08.09.2021, L 12 AS 2009/19, Rn. 54, juris; LSG Hamburg Urteil vom 06.08.2020, L 4 AS 49/19, Rn. 31, juris). Abzugrenzen ist ein mit Rechtsbindungswillen abgeschlossener Mietvertrag vom Scheingeschäft im Sinne des § 117 Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift ist eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, nichtig, wenn sie mit dessen Einverständnis nur zum Schein abgegeben wird. Ein solches Scheingeschäft liegt vor, wenn die Vertragsparteien einverständlich nur den äußeren Schein eines Rechtsgeschäfts hervorrufen, dagegen die mit dem Geschäft verbundenen Rechtsfolgen nicht eintreten lassen wollen (vgl. Senatsurteil vom 08.09.2021, L 12 AS 2009/19, Rn. 55, juris; LSG NRW Urteil vom 30.07.2013, L 2 AS 1021/12, Rn. 27, juris; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 21.11.2012, L 2 AS 5209/11, Rn. 37 f., juris). Kennzeichnend für das Scheingeschäft ist damit das Fehlen eines Rechtsbindungswillens (BGH Urteil vom 13.05.2016, V ZR 265/14, Rn. 18, juris; BSG Urteil vom 25.08.2011, B 8 SO 29/10 R, Rn. 13, juris). Folge eines Scheingeschäftes ist, dass der Grundsicherungsträger nicht verpflichtet ist, die vermeintlich vereinbarte Miete zu übernehmen (LSG Saarland Urteil vom 05.07.2018, L 4 AS 28/17, Rn. 25 m.w.N., juris).

 

II. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes lässt sich eine ernsthafte Verpflichtung des Klägers zur Zahlung einer monatlichen Miete nicht belegen. Unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers, der Zeugenvernehmungen und des Akteninhalts geht der Senat nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§§ 153 Abs. 1, 128 Abs. 1 S. 1 SGG) davon aus, dass es sich bei dem zwischen dem Kläger und dem Zeugen T. geschlossenen „Mietvertrag“ um ein Scheingeschäft i.S.d. § 117 Abs. 1 BGB handelt.

 

Für ein Scheingeschäft und gegen eine ernsthaft vereinbarte Miete spricht bereits, dass der Kläger seit Mai 2016 und damit über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren keine Miete an den Zeugen T. entrichtet hat, ohne dass dies zu mietrechtlichen Konsequenzen geführt hat (vgl. LSG NRW Urteile vom 22.03.2018, L 7 AS 1512/17, Rn. 42, juris; vom 30.07.2013, L 2 AS 1021/12, Rn. 30, juris; und vom 16.04.2021, L 21 AS 1012/18, Rn. 51, juris; Senatsurteil vom 08.09.2021, L 12 AS 2009/19, Rn. 72, juris). Zwar hat der Zeuge T. bereits im April 2018 die fristlose Kündigung ausgesprochen sowie eine Frist zum Auszug bis Juni 2018 gesetzt, ohne jedoch eine Räumungsklage anhängig gemacht, den Kläger zum Auszug bewegt oder sich hinreichend bemüht zu haben, seine angeblichen Zahlungsansprüche aus dem Mietvertrag gegenüber dem Kläger, etwa in Form von kleinen Ratenzahlungen, geltend zu machen. Soweit der Zeuge T. wiederholt erklärt hat, er habe eine Räumungsklage aus Kostengründen nicht erhoben, ist dies nicht nachvollziehbar. Zum einen ist der Zeuge T., wie er selbst angibt, auf die Mieteinnahmen angewiesen, weil er mit Ausnahme des Hausgrundstücks keine größeren Vermögenswerte besitzt, nur eine kleine gesetzliche Rente in Höhe von 906 Euro monatlich bezieht und zeitweise eine Nebentätigkeit aufnehmen musste, um die fehlenden Mieteinnahmen zu kompensieren. Auch seine Frau verfügte mit damaligen Einkünften von 1.600 Euro netto über ein begrenztes monatliches Auskommen. Ferner hat der Bruder des Klägers in einem der Zimmer im Obergeschoss bis zu seinem Auszug in eine eigene Wohnung unentgeltlich gewohnt, obwohl er bereits zu diesem Zeitpunkt Einkünfte aus Erwerbstätigkeit erzielte. Insoweit ist es nicht verständlich, warum der Zeuge T. als Vermieter keine Maßnahmen ergriffen hat, um die Wohnung anderweitig zu vermieten. Innerhalb der sich dem Senat als intakt präsentierenden familiären Strukturen hätte es Möglichkeiten gegeben, den Kläger ohne gerichtliche Schritte zum Auszug zu bewegen. Dass dies ernsthaft versucht worden wäre, ist nicht dargetan. Zum anderen hat der Zeuge T. den Auszug seines Sohnes tatsächlich auch nicht gewollt. Er hat im Rahmen seiner Vernehmung gegenüber dem Senat angegeben, dass er den Kläger nicht habe obdachlos machen wollen. Der Rechtsbindungswille kann in diesem Zusammenhang nicht deswegen unterstellt werden, weil der Kläger und der Zeuge T. aufgrund des positiven Eilrechtsbeschlusses im Verfahren S 2 AS 3699/17 ER, dem klagestattgebenden Urteil erster Instanz und einer vergleichbaren Sachverhaltskonstellation im Jahr 2013, bei der der Beklagte Leistungen später nachgezahlt hatte, annehmen durften, am Ende werde der Kläger obsiegen und der Beklagte die Leistungen für die Miete nachentrichten. Gerade der Umstand, dass der Beklagte seine Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Klägers zwar im laufenden Klageverfahren aufgegeben hat, nicht jedoch seine Einschätzung hinsichtlich der rechtlichen Bewertung des Mietvertrages, spricht dagegen, allein wegen des Prozessverlaufs auf einen ernsthaften Rechtsbindungswillen zu schließen. Doch selbst wenn man einen wirksamen Mietvertrag mit Rechtsbindungswillen annehmen würde, bedeutete die durchgehende Nichtzahlung der Miete über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren ohne mietrechtliche Konsequenzen eine faktisch dauerhafte Stundung der Mietforderung, die insoweit anspruchsschädlich wäre (vgl. dazu BSG Urteile vom 03.03.2009, B 4 AS 37/08 R, Rn. 24, juris; und vom 07.05.2009, B 14 AS 31/07 R, Rn. 16, juris).

 

Gegen die Annahme eines wirksamen Mietvertragsschlusses sprechen ferner die fehlenden Nachweise über eine tatsächliche Mietzahlung vom Kläger an den Zeugen T., jedenfalls soweit sie in Zeiträumen vom 01.04.2009 bis 30.04.2016 nicht vom Beklagten übernommen wurden. Der Kläger und der Zeuge T. tragen zwar übereinstimmend vor, dass die Miete stets bar entrichtet worden sei. Nachweise in Form von Quittungen oder sonstigen Belegen liegen aber nicht vor. Der Vortrag des Klägers und des Zeugen T. ist diesbezüglich auch widersprüchlich. Während der Kläger in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Senat angegeben hat, dass er nach der jeweiligen Mietübergabe seinem Vater habe „etwas abzeichnen“ müssen, hat der Zeuge T. erklärt, dass es für die Mietzahlungen weder Quittungen noch Belege gebe und er nichts von „Abzeichnungen“ wüsste. Überdies ist mehr als zweifelhaft, ob es zu einer tatsächlichen Mietzahlung etwa vom Beginn des vermeintlichen Mietverhältnisses (01.04.2009) bis zur Leistungsgewährung durch die Rechtsvorgängerin des Beklagten (23.06.2009) gekommen ist. Der Kläger bezog nur bis zum 28.02.2009 Arbeitslosengeld (und das auch nur in Höhe von 572,70 Euro monatlich); Nachweise über Vermögen oder Angespartes, mit dem die anfängliche Miete und die Mietkaution in Höhe von 900 Euro gezahlt worden wäre, bestehen nicht. Der Zeuge T. erklärte zwar im Zuge der Wohnungsbesichtigung am 10.07.2009, dass er dem Kläger die Mietzahlungen in Form von Kostenübernahme für die fälligen Renovierungsarbeiten in der Wohnung wieder erstattet habe. Wovon aber zuvor der Kläger die Miete für die Monate April bis Juni 2009 entrichtet haben soll, ist für den Senat mangels konkreter Anhaltspunkte nicht nachzuvollziehen. Auch für spätere Leistungslücken wegen verspäteter Antragstellung oder Versagungsentscheidungen des Beklagten für die Zeiträume vom 01.01.2010 bis 26.01.2010, vom 01.07.2010 bis 24.10.2010, vom 01.10.2011 bis 31.10.2011, vom 01.05.2012 bis 30.06.2012 und vom 01.01.2014 bis 31.01.2014 sind konkrete Mietzahlungen des Klägers an den Zeugen T. nicht nachgewiesen. Trotz des sparsamen Lebensstils des Klägers entspricht es zudem nicht der Lebenserfahrung, dass der Kläger in der Lage war, aus den Leistungen des Beklagten so viel an Rücklagen anzusparen, dass er in jenen Leistungslücken nicht nur seine Lebenshaltungs- und die zum Teil erheblichen Stromkostenabschläge von 225 Euro monatlich decken, sondern auch die Miete vollständig entrichten konnte. In der zur Gerichtsakte gereichten Aufstellung vom 16.08.2017 legt der Kläger dar, dass er einen monatlichen Bedarf von ca. 282 Euro habe. Nimmt man als Beispiel den Monat Februar 2012, in dem er von dem Beklagten Leistungen in Höhe von 762,21 Euro erhalten hat, verblieben jedoch nach Abzug von Miete (395 Euro) und Strom (252 Euro) lediglich noch ein Betrag in Höhe von 115,21 Euro übrig.

 

Gegen einen ernsthaft gewollten Mietvertrag spricht ferner der Umstand, dass schriftliche Dokumentationen des Klägers und des Zeugen T. zur Zusammensetzung der Darlehensleistungen, der erfolgten Rückzahlungen und bestehenden Schulden nicht existieren. Der Kläger hat gegenüber dem Senat lediglich erklärt, dass er noch Schulden in Höhe von „ca. 30.000 Euro“ habe, allerdings nicht sagen könne, in welcher Höhe er konkret Schulden getilgt habe. Der Zeuge T. hat zwar konkretisiert, dass die gewährten Darlehen getilgt seien und die Mietschulden zum 01.09.2022 33.770 Euro betrügen. Allerdings existiert dazu auch nur eine eigene Aufzeichnung des Zeugen T.. Übereinstimmend erstellte und aktualisierte Übersichten, aus denen sich die finanziellen Zuwendungen und Rückzahlungen zweifelsfrei ergeben würden und die einen ernsthaften Willen zur Zahlung der Miete bzw. der Mietschulden auf Seiten des Klägers dokumentieren könnten, liegen jedenfalls nicht vor. In dieses Bild passt, dass weder der Zeuge T. noch der Kläger auf Anfrage des Senats konkret mitteilen konnten, was im Falle eines Unterliegens im Gerichtsverfahren hinsichtlich der entstandenen Mietschulden gelten soll. Beide haben zwar übereinstimmend erklärt, dass die Mietschulden grundsätzlich getilgt werden sollen, allerdings nicht, wie das geschehen soll. Der Zeuge T. hat ausdrücklich erklärt, nicht zu wissen, welche Schritte er im Falle eines Unterliegens ergreifen würde. Es erscheint dem Senat vor diesem Hintergrund mehr als fragwürdig, dass der Zeuge T. die Mietrückstände vom Kläger, der seit mehr als 15 Jahren keiner Erwerbstätigkeit in Vollzeit nachgegangen ist, ernsthaft wird verlangen wollen oder (zivilrechtlich durchsetzen) können.

 

Der fehlende Wille, Miete zu entrichten, lässt sich auch daraus ableiten, dass der Kläger von Oktober 2018 bis Anfang 2022 eine Nebentätigkeit ausgeübt hat, mit der er abzüglich des gesetzlichen Anrechnungsbetrages monatlich 110 Euro zusätzlich zum Regelbedarf zur Verfügung stehen hatte. Berücksichtigt man, dass der Kläger im Jahr 2017 angegeben hat, dass er mit einem monatlichen Betrag von 281,70 Euro auskomme, wäre es ohne weiteres möglich gewesen, zumindest einen Teil der Miete aus der geringfügigen Erwerbstätigkeit und/oder aus Ansparungen aus dem Regelbedarf zu entrichten. Damit hätte der Kläger zumindest dokumentiert, dass er die aus dem geschlossenen Vertrag resultierende Pflicht zur Mietzahlung nach § 535 Abs. 2 BGB ernst nimmt und für verbindlich erachtet. Der Kläger hat zwar vage angegeben, einen Teil seines Lohns aus der geringfügigen Tätigkeit für Schulden verwendet zu haben. Allerdings ist unstreitig Miete seit Mai 2016 weder ganz noch teilweise entrichtet, noch sind entsprechende Mietschulden getilgt worden. Der Zeuge T. hat gegenüber dem SG am 20.08.2018 noch angegeben, dass er das Geld vom Kläger auch verlangen werde, wenn dieser eine geringe Erwerbstätigkeit ausüben sollte. Dass er dies in der Folge nicht umgesetzt hat, spricht als Indiz auch gegen eine ernstlich gewollte Mietzahlungspflicht.

 

Allein der Hinweis des Klägers, dass die streitgegenständliche Wohnung bereits vor seinem Einzug vermietet worden sei, vermag einen ernsthaften Willen für einen Mietvertragsschluss nicht zu begründen. Relativiert wird dies nämlich bereits durch die Tatsache, dass die (behauptete) Fremdvermietung lediglich bis 1978 erfolgt ist und die Großmutter des Klägers von 1978 bis zu ihrem Auszug im Jahr 2009 unentgeltlich in der Wohnung lebte. Insofern könnte genauso gut angenommen werden, dass die Wohnung innerhalb des Familienverbundes unentgeltlich weiter genutzt werden sollte, nachdem ersichtlich war, dass die betagte Großmutter des Klägers in ein Pflegeheim einziehen müsste. Die frühere Fremdvermietung betraf zudem einen Zeitraum, in dem der Zeuge T. noch nicht Eigentümer des Grundstücks war und demgemäß etwaige Einnahmen hieraus ihm nicht zur Verfügung standen.

 

Gegen einen Rechtsbindungswillen und für einen Scheinmietvertrag spricht auch die Praxis der Heiz- und Betriebskostenabrechnung durch die vermeintlichen Mietvertragsparteien. Laut Mietvertrag sollte einmal pro Jahr eine Heiz- und Betriebskostenabrechnung erstellt werden. Die Kosten der Wasserversorgung, Entwässerung und Müllabfuhr sollten dabei nach Anzahl der Personen und die übrigen Betriebskosten nach Anteil der Wohnfläche abgerechnet werden. Zu solchen Abrechnungen ist es jedoch zunächst nicht gekommen. Erst als der Beklagte im Juli 2012 solche anforderte und der Zeuge T. im Rahmen einer Vorsprache beim Beklagten am 24.08.2012 erfuhr, dass auch Nebenkostennachzahlungen denkbar seien, sind Abrechnungen für die Jahre 2010 und 2011 erstellt und beim Beklagten vorgelegt worden. Diese sind allerdings ohne die mietvertraglich vereinbarten Differenzierungen vorgenommen worden. In den Abrechnungen wurden nur die Kosten für Heizung, Warmwasser und den Schornsteinfeger anhand der anteiligen Wohnfläche abgerechnet. Die sonstigen Nebenkosten sollten mit der monatlichen Pauschale von 25 Euro abgegolten sein. Unterlagen zu diesen Abrechnungen, anhand derer die vom Zeugen T. als Vermieter angegebenen Abrechnungszahlen hätten nachvollzogen werden können, sind auch nach Aufforderung des Beklagten nicht vorgelegt worden. Auch in der während des Klageverfahrens eingereichten Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2015 ist nicht nach dem im Mietvertrag vereinbarten Schlüssel abgerechnet und auch nicht das dort vereinbarte jährliche Ende des Abrechnungszeitraums (31.05.) zugrunde gelegt worden.

 

Der Umstand, dass der Kläger nach Unterzeichnung des „Mietvertrages“ mit der K. GmbH einen Energielieferungsvertrag abgeschlossen hat, ändert an dem voranstehenden Ergebnis nichts. Eine solche Verpflichtung gegenüber einem Dritten kann zwar grundsätzlich ein Indiz für einen wirksam geschlossenen Mietvertrag sein. Allerdings hat der Kläger erklärt, dass er die Lastschrift für den Stromanbieter habe kündigen müssen, nachdem es zu Stromrückständen gekommen sei. Nachweise über die Entrichtung der Stromkosten durch den Kläger liegen nicht vor; dieser hat vielmehr angegeben, das Geld seiner Mutter gegeben zu haben, die es anschließend auf ihr eigenes Konto einzahlte und den Abschlag an das Energieunternehmen überwies. Ferner hat nicht der Kläger, sondern der Zeuge T. die Stromkostennachzahlung in Höhe von 1.850 Euro im Januar 2017 beglichen. Diese Umstände sprechen dagegen, im Falle des Klägers allein aus der Verpflichtung aus einem Vertrag mit einem Dritten auf einen unbedingten Rechtsbindungswillen bezüglich des Mietvertrages zu schließen.

 

Da die voranstehenden Gründe bereits nach Überzeugung des Senats gegen einen wirksam geschlossenen Mietvertrag sprechen, kommt es auf die übrigen vom Beklagten angeführten Aspekte (widersprüchliche Angaben des Klägers und des Zeugen T. zum Auszug und Tod der Großmutter; Bewegungen auf dem Girokonto des Klägers seit Leistungsbeginn; unterschiedliche Angabe der Wohnfläche im Mietvertrag und in den Nebenkostenabrechnungen) nicht an. Insbesondere kann der Senat die Frage dahinstehen lassen, ob die eigentlich 90 m2 große Wohneinheit möglicherweise bewusst mit einer geringeren Quadratmeterzahl an den Kläger „vermietet“ werden sollte, um unterhalb der Angemessenheitswerte für einen Einpersonenhaushalt zu fallen (in NRW gegenwärtig 50 m2, vgl. Ziffer 8.2 Wohnraumnutzungsbestimmungen <WNB>, RdErl. des Ministeriums für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 12.12.2009, MBl. NRW 2010, S. 6). Auch die weitere Frage, ob der Zeuge T. (etwaig bestehende) Mietforderungen ab Mai 2016 überhaupt noch gegenüber dem Kläger durchsetzen oder der Kläger insoweit auf die Erhebung der Verjährungseinrede verwiesen werden könnte (vgl. dazu Hessisches LSG Urteile vom 06.04.2016, L 6 AS 464/13, Rn. 34, juris; und vom 10.03.2021, L 6 AS 439/18, Rn. 95, juris; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 25.03.2014, L 3 AS 343/10 ZVW, Rn. 52, juris), kann dahinstehen.

 

C. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 S. 1, 193 Abs. 1 S. 1 SGG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass der Kläger mit seinem Begehren, Regelleistungen zu erhalten, im Klageverfahren erfolgreich war. Da die Regelleistungen der Jahre 2016 und 2017 und die geltend gemachten monatlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung etwa gleich hoch sind, ist eine hälftige Kostenerstattung für das Klageverfahren durch den Beklagten angemessen.

 

D. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), bestehen nicht.

 

Rechtskraft
Aus
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