L 7 AL 70/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 AL 150/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 70/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil


I.    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 25. Juni 2020 wird zurückgewiesen. 

II.    Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen das Ruhen seines Arbeitslosengeldanspruchs im Zeitraum vom 1. September 2018 bis 31. Oktober 2018 wegen Eintritts einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe.

Der 1980 geborene Kläger war als angestellter Rechtsanwalt zunächst bei der Kanzlei B. und Partner vom 15. Februar 2017 bis 31. März 2018 und anschließend bei der Kanzlei E. und Partner vom 1. April 2018 bis 31. August 2018 jeweils in B-Stadt in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig.

Er meldete sich am 30. Mai 2018 mit Wirkung zum 1. September 2018 bei der Agentur für Arbeit München arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Er gab gegenüber der Beklagten am 28. August 2018 an, das letzte Arbeitsverhältnis am 29. Mai 2018 zum 31. August 2018 gekündigt zu haben, da er seit Anfang Mai die ernsthafte Aussicht auf Einstellung als Richter beim Hessischen Finanzgericht in Kassel habe und mit einer Einstellung zum 1. November 2018 rechne. 

Der Kläger wurde zum 1. November 2018 als Richter beim Hessischen Finanzgericht eingestellt.

Mit streitgegenständlichen Bescheid vom 3. September 2018 teilte die Beklagte dem Kläger den Eintritt einer Sperrzeit vom 1. September 2018 bis 23. November 2018 mit. Dazu führte sie aus, während dieser Zeit ruhe der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma E., C., G. und Partner durch eigene Kündigung selbst gelöst. Er habe voraussehen müssen, dass er dadurch arbeitslos werde. Der Kläger habe keinen wichtigen Grund für sein Verhalten mitgeteilt. Die Sperrzeit dauere 12 Wochen. Sie mindere den Anspruch auf Arbeitslosengeld um 90 Tage – ein Viertel der Anspruchsdauer. Die Entscheidung beruhe auf §§ 159, 148 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III). Auch nach Ablauf der Sperrzeit würden dem Kläger keine Leistungen gezahlt, weil er am 1. November 2018 eine Arbeit aufnehmen werde und somit nicht arbeitslos sei.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 10. September 2018 Widerspruch ein und machte geltend, schon vor der Kündigung bei E. die konkrete Aussicht auf Einstellung als Richter beim Hessischen Finanzgericht gehabt zu haben. Bei seiner Vorstellung dort Anfang Mai habe man ihm mitgeteilt, dass man seine Einstellung empfehlen werde. Er habe also einen Anschlussarbeitsplatz und damit einen wichtigen Grund für seine Kündigung gehabt. Er sei von einer Einstellung zum 1. November 2018 ausgegangen. Angesichts erforderlicher Wohnungssuche und Umzug nach A-Stadt sei der Zeitraum von zwei Monaten zwischen Ende der bisherigen und Beginn der neuen Beschäftigung so bemessen, dass von einem Anschlussarbeitsplatz auszugehen sei. Jedenfalls habe er sich nicht im Sinne der Sperrzeitbestimmung versicherungswidrig verhalten. Die Voraussetzungen für den Sperrzeiteintritt würden nicht vorliegen.

Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Kläger mit E-Mail vom 10. Oktober 2018 u.a. Folgendes mit: „Wie ich in meinem Widerspruch dargelegt habe, hatte ich mich bereits am 02.05.2018 beim Hessischen Finanzgericht vorgestellt. Dort hatte mir der damalige Präsident des Finanzgerichts, Herr D., persönlich mitgeteilt, man werde meine Einstellung empfehlen. […] In jedem Fall bestanden auf Grund des vorstehend Geschilderten ernstzunehmende Aussichten auf einen neuen Arbeitsplatz […]
Präsident D. teilte mir am 02.05.2018 zudem mit, eine Einstellung werde wegen der verwaltungsinternen Abläufe (Hessisches Ministerium der Justiz, Richterwahlausschuss) nicht mehr vor seiner Pensionierung zum Ablauf des 30.09.2018 erfolgen. […] Beim Hessischen Ministerium der Justiz teilte man mir später telefonisch mit, dass der Richterwahlausschuss am 09.10.2018 tagt, weshalb eine Einstellung ab dem 01.11.2018 möglich sei.“ 

Mit Bescheid vom 25. Oktober 2018 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld wegen Arbeitsaufnahme ab 1. November 2018 auf.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2018 als unbegründet zurück. Der Kläger habe das Beschäftigungsverhältnis bei E., C., G. und Partner zum 31. August 2018 durch seine Kündigung vom 30. Mai 2018 gelöst. Er habe keine konkrete Aussicht auf eine unmittelbar anschließende Dauerbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber gehabt, da ihm zum Kündigungszeitpunkt bekannt gewesen sei, dass eine Einstellung beim Hessischen Finanzgericht nicht vor dem 1. Oktober 2018 erfolgen würde. Die Arbeitslosigkeit sei daher zumindest grob fahrlässig herbeigeführt worden. Ein wichtiger Grund sei nicht erkennbar. Dieser sei nach objektiven Maßstäben zu beurteilen und müsse auch bereits im Zeitpunkt der Arbeitsaufgabe vorgelegen haben. Grundsätzlich könne die Aufnahme einer neuen Tätigkeit einen wichtigen Grund darstellen. Jedoch gelte dies laut Urteil des LSG Berlin-Brandenburg (vom 6. September 2011, L 18 AL 245/11 B) nur dann, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem wichtigen Grund und der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses bestehe und dabei keine vermeidbare Zeit der Arbeitslosigkeit eintrete. Vorliegend sei dem Kläger zum Zeitpunkt seiner Kündigung zum 31. August 2018 bereits bekannt gewesen, dass die Einstellung beim Hessischen Finanzgericht nicht vor dem 1. Oktober 2018 erfolgen würde. Es sei nach Abwägung der Interessen des Klägers mit den Interessen der Beitragszahler zumutbar gewesen, das Beschäftigungsverhältnis zumindest bis zum Beginn einer Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber fortzusetzen. Schon nach den in § 2 Abs. 5 SGB III vom Gesetzgeber festgelegten Grundsätzen hätten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit ein zumutbares Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen. Die Dauer der Sperrzeit betrage 12 Wochen nach § 159 Abs. 3 S. 1 SGB III. Ein Sachverhalt, der eine Verkürzung der Sperrzeit zulasse, liege nicht vor. Insbesondere bedeute die 12-wöchige Sperrzeit nach den für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen keine besondere Härte. Dabei dürften persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse nicht berücksichtigt werden. Beginn und Ende der Sperrzeit seien zutreffend festgesetzt worden. Während dieser Zeit ruhe ein Leistungsanspruch (§ 159 Abs. 1 S. 1 SGB III). Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld mindere sich um die Anzahl von Tagen einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe, in Fällen einer Sperrzeit von 12 Wochen, mindestens jedoch um ein Viertel der Anspruchsdauer, die der oder dem Arbeitslosen bei erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet habe, zustehe (§ 148 Abs. 1 Nr. 4 SGB III). Es verbleibe bei der im Sperrzeitbescheid mitgeteilten Minderung der Anspruchsdauer.

Der Kläger hat am 4. Dezember 2018 beim Sozialgericht Kassel (Sozialgericht) Klage erhoben.

Er ist der Ansicht, dass er entgegen der Auffassung der Beklagten seine Arbeitslosigkeit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig im Sinne des § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 1. Alt. SGB III herbeigeführt habe, da er zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 29. Mai 2018 ernstzunehmende Aussichten auf einen neuen Arbeitsplatz und die Ernennung zum Richter auf Probe beim Hessischen Finanzgericht gehabt habe. Er habe damit eine konkrete Aussicht auf einen Anschlussarbeitsplatz gehabt. Der Begriff des Anschlussarbeitsplatzes setze nach zutreffendem Verständnis gerade nicht zwingend voraus, dass sich der neue Arbeitsplatz unmittelbar an den Austritt aus dem gekündigten Arbeitsverhältnis anschließen müsse. Es finde sich auch in der BSG-Rechtsprechung keine Einschränkung dahingehend, dass ein Anschlussarbeitsplatz den nahtlosen Übergang von gekündigter zu neuer Tätigkeit bedingen müsse. Hier sei auch eine wertende Betrachtung vorzunehmen statt einer rein zeitlichen. Bei einem mit einem Arbeitsplatzwechsel einhergehenden Wohnortwechsel, in Abhängigkeit von der Entfernung beider Orte liege es auf der Hand, vor allem dann, wenn dem Arbeitnehmer nicht mehr in ganz erheblichem Ausmaß ein (Rest-)Urlaubsanspruch zustehe, dass der Arbeitnehmer aus rein organisatorischen Gründen nicht bis zum letzten Arbeitstag eines Monats beim alten Arbeitgeber arbeiten und gleichzeitig ab dem 1. Arbeitstag des folgenden Monats beim neuen Arbeitgeber zu arbeiten anfangen könne. Bei der zunächst avisierten Einstellung in den Hessischen Landesdienst ab dem 1. Oktober 2018 handele es sich aus seiner Sicht um eine konkrete Aussicht auf einen zeitnahen Anschlussarbeitsplatz. Erst zeitlich nach seiner Kündigung habe man ihm mitgeteilt, dass eine Einstellung erst ab dem 1. November 2018 möglich sei. Er habe also die Arbeitslosigkeit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt und es fehle auch an dem gemäß § 159 Abs. 1 S. 1 SGB III zwingend vorausgesetzten versicherungswidrigen Verhalten. Nach seiner Auffassung habe er für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit E., entgegen der Auffassung der Beklagten, jedenfalls einen wichtigen Grund gehabt. Richtig sei, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der wichtige Grund zum Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorliegen müsse, d.h. der Arbeitnehmer müsse einen wichtigen Grund dafür haben, dass er das Arbeitsverhältnis gerade zu dem bestimmten Zeitpunkt auflöse. Bei seiner am 29. Mai 2018 zugegangenen Kündigung mit Wirkung zum Ablauf des 31. August 2018 liege nach seiner Meinung ein wichtiger Grund vor. Dies müsse auch im Lichte der in Art. 12 Abs. 1 GG verbürgten Berufsfreiheit betrachtet werden. Auch die Beklagte räume ein, dass die Aufnahme einer neuen Tätigkeit grundsätzlich einen wichtigen Grund darstellen könne. Ihm sei es im Hinblick auf die von ihm angestrebte Tätigkeit als Richter auf Probe beim Hessischen Finanzgericht in Kassel nicht zumutbar gewesen, sich anders zu verhalten, als das Arbeitsverhältnis mit E. in B-Stadt am 29. Mai 2018 gerade mit Wirkung zum Ablauf des 31. August 2018 zu kündigen. Er habe seit etlichen Jahren seinen alleinigen Lebensmittelpunkt in B-Stadt gehabt und eine über 70 m² große und vollständig eingerichtete Wohnung bewohnt. Aufgrund der ausgesprochen zeitintensiven und belastenden Tätigkeit als Rechtsanwalt in einer Wirtschaftskanzlei sowie angesichts des bedingt durch seinen Einstieg bei E. zum 1. April 2018 nur geringen anteiligen (Rest-)Urlaubsanspruchs habe er realistischerweise nicht vor seinem Ausstieg bei E. mit der Wohnungssuche im nur wenig unter 500 km entfernten A-Stadt beginnen können. Die Umzugskosten seien immens gewesen und aufgrund bestehender gesetzlicher Bestimmungen habe sich die Bundesagentur für Arbeit nicht daran beteiligt. Er habe sämtliche Umzugskartons selbst packen müssen, was bei der vollständig eingerichteten Wohnung mit einem sehr großen Bücherbestand zeitlich auch erst nach dem Ausstieg bei E. zu bewerkstelligen gewesen sei. Schon rein tatsächlich sei es wegen des Umzugs von B-Stadt nach A-Stadt nicht möglich gewesen, das Arbeitsverhältnis bei E. bis zum Beginn der neuen Beschäftigung in A-Stadt fortzusetzen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 25. Juni 2020 die zulässige Klage als unbegründet abgewiesen. Die streitige Festsetzung der Sperrzeit sei rechtmäßig. Die Voraussetzungen lägen nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGB III im Falle des Klägers vor. Obwohl der Kläger, aufgrund des von ihm geschilderten Bewerbungsverfahrens um Einstellung in den richterlichen Dienst beim Land Hessen, sich im Mai 2018 berechtigte Hoffnung auf Einstellung beim Hessischen Finanzgericht machen konnte, habe ein Einstellungstermin keineswegs festgestanden. Auch für den Kläger sei daher eindeutig erkennbar gewesen, dass mit seiner Kündigung des Arbeitsverhältnisses in der Kanzlei E. zum 31. August 2018 ab 1. September 2018 Arbeitslosigkeit eintreten werde. Ein wichtiger Grund für die Aufgabe des Beschäftigungsverhältnisses in B-Stadt, zum Zeitpunkt der Kündigung Ende Mai 2018, könne im Hinblick für die von ihm angenommene Arbeitslosigkeit für einen Monat und im Hinblick auf die tatsächliche Arbeitslosigkeit von zwei Monaten durch das Gericht nicht festgestellt werden. Dies gelte auch unter Abwägung des Interesses des Klägers an beruflicher Veränderung und unter Beachtung seiner verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG mit dem Interesse der Solidargemeinschaft, den Nachranggrundsatz der Leistungen des SGB III zu wahren. Bei einem bewussten Herbeiführen einer Arbeitslosigkeit über einen Zeitraum von zwei Monaten sei es unter Berücksichtigung des Zwecks der Sperrzeitbestimmungen nicht zu billigen, wenn ein Arbeitnehmer vor allem seine eigenen Wünsche und Pläne im Hinblick auf Wohnungssuche am neuen Arbeitsort, Gestaltung des Umzugs, Auflösung der Wohnung am bisherigen Wohn- und Arbeitsort im Blick habe und mit einem zeitlichen Vorlauf von acht Wochen bis zur Aufnahme der neuen Beschäftigung das bisherige Beschäftigungsverhältnis auflöse, den Anspruch auf eigenes Erwerbseinkommen aufgebe und für die Sicherung des Lebensunterhaltes Leistungen der Versichertengemeinschaft einfordere (vgl. LSG Schleswig, Urteil vom 15. Februar 2019, L 3 AL 5/17, zitiert nach juris). Die Kündigung durch den Kläger bereits zum 31. August 2018 und der Einbau eines zeitlichen Puffers für Wohnungssuche und Umzug in und nach A-Stadt bis zur Aufnahme der Tätigkeit am 1. November 2018 entspreche zwar den auch vom Gericht nachvollziehbaren subjektiven Wünschen des Klägers, könne aber objektiv im Interesse der Beitragszahler nicht zur Risikoverlagerung durch Arbeitslosengeldzahlung auf die Arbeitsagentur führen. Das Interesse des Klägers, sich nach der Kündigung des bisherigen Beschäftigungsverhältnisses auf die neue berufliche Tätigkeit in A-Stadt vorzubereiten, wiege nicht höher als das Interesse der Solidargemeinschaft, zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit dem Arbeitnehmer abzuverlangen, sein (zumutbares) Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen. Die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe betrage grundsätzlich 12 Wochen. Sie verkürze sich nach § 159 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Buchst. b SGB III nur dann auf sechs Wochen, wenn eine Sperrzeit nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde. Zur Beurteilung der Frage, ob der Eintritt einer 12-wöchigen Sperrzeit nach den für ihren Eintritt maßgeblichen Tatsachen für den Arbeitslosen eine besondere Härte bedeute, seien die Gesamtumstände des Einzelfalles zu bewerten. Die Annahme einer besonderen Härte sei gerechtfertigt, wenn nach den Gesamtumständen der Eintritt einer Sperrzeit mit der Regeldauer (12 Wochen) im Hinblick auf die für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen objektiv als unverhältnismäßig anzusehen sei (vgl. statt vieler BSG-Urteil bereits vom 4. September 2001, B 7 AL 4/01 R, in SozRecht 3-4100, § 119 Nr. 22). Derartige Umstände seien für das Gericht nicht ersichtlich.

Das Urteil ist dem Kläger am 2. Juli 2020 zugestellt worden.

Er hat mit Schreiben vom 26. Juli 2020, eingegangen am 29. Juli 2020, Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Zur Berufungsbegründung führt er aus, das der Darstellung im Tatbestand des Urteils des Sozialgerichts zu widersprechen sei, soweit diese nahelege, er habe bereits zum Zeitpunkt des Zugangs seiner Kündigung am 29. Mai 2018 damit gerechnet, seine Einstellung als Richter beim Hessischen Finanzgericht werde erst zum 1. November 2018 erfolgen. Er habe aufgrund der Aussage des vormaligen Präsidenten des Hessischen Finanzgerichts mit einer Einstellung zeitnah ab dem 1. Oktober 2018 gerechnet. Erst später sei ihm seitens des Hessischen Ministeriums der Justiz mitgeteilt worden, dass der Richterwahlausschuss (erst) am 9. Oktober 2018 tage, weshalb keine Einstellung ab dem 1. Oktober 2018 möglich sei. Folgerichtig habe er am 28. August 2018 in dem „Fragebogen bei eigener Kündigung oder Aufhebungsvertrag“ unter anderem an, dass er davon ausgehe, zum 1. November 2018 als Richter beim Hessischen Finanzgericht eingestellt zu werden.

Zudem sei zu berücksichtigen, dass ihm gegenüber der Kanzlei E. insgesamt nur ein Urlaubsanspruch i.H.v. (aufgerundet) zwölf Arbeitstagen zugestanden habe. Hiervon seien - nicht zuletzt auf Grund seiner Vorstellungsgespräche in A-Stadt und C-Stadt - zum Ende seines Arbeitsverhältnisses bei E. nur noch 4,5 Tage vorhanden gewesen.

Bei der Entscheidung sei zu berücksichtigen, dass der Umzug – gedeckt von Art. 12 Abs. 1 GG – berufsbedingt erfolgt sei. Es sei ihm objektiv schlechthin nicht möglich gewesen, nahtlos von seinem Arbeitsverhältnis bei E. in B-Stadt zu seinem Dienstverhältnis als Richter auf Probe beim Hessischen Finanzgericht in Kassel wechseln zu können. Insoweit gebiete es die in Art. 12 Abs. 1 GG grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit, wenn nicht schon den Begriff des Anschlussarbeitsplatzes, so doch zumindest den unbestimmten Rechtsbegriff des wichtigen Grunds i.S.d. § 159 Abs. 1 S. 1 SGB III jedenfalls dann verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass ein berufsbedingter Umzug nicht zu einer Sperrzeit führen könne, wenn der Arbeitnehmer berufsbedingt in weite Ferne ziehen muss und keinen erheblichen (Rest-)Urlaubsanspruch mehr habe.

Der Kläger beantragt,
1.    das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 25. Juni 2020 und den Bescheid vom 3. September 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 1. September 2018 bis 31. Oktober 2018 Arbeitslosengeld in gesetzlichem Umfang zu gewähren und
2.    hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil. Ergänzend führt sie aus, dass die Annahme eines wichtigen Grundes in Fällen der beruflichen Veränderung voraussetze, dass der Arbeitnehmer sein altes Arbeitsverhältnis zum arbeitsrechtlich letztmöglichen Zeitpunkt vor Beginn des neuen Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses beende und damit keine vermeidbare Zeit der Arbeitslosigkeit eintreten lasse.

Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt habe, könne der Einbau eines – für den Kläger organisatorisch vorteilhaften – zeitlichen Puffers für Wohnungssuche und Umzug daher objektiv im Interesse der Beitragszahler nicht zur Risikoverlagerung durch Arbeitslosengeldzahlung auf die Arbeitsagentur führen.

Einem Vergleichsvorschlag des Landessozialgerichts die Sperrzeit auf sechs Wochen zu verkürzen, ist die Beklagte entgegengetreten.

Die Beteiligten haben übereinstimmend einer Entscheidung ohne mündlicher Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten kann der Senat nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 25. Juni 2020 und der Bescheid vom 3. September 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2018 verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten.

Zutreffend hat die Beklagte in dem angegriffenen Bescheid den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit ab 1. September 2018 nach § 159 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 SGB III festgestellt. Insoweit nimmt der erkennende Senat auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug und sieht von einer erneuten Darstellung derselben ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend wird darauf verwiesen, dass nach ständiger Rechtsprechung des BSG der Arbeitnehmer mit einer freiwilligen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses die Arbeitslosigkeit in der Regel mindestens grob fahrlässig herbeiführt, wenn er nicht konkrete Aussichten auf einen Anschlussarbeitsplatz hat (BSGE 43, 269, 270 = SozR 4100 § 119 Nr. 2; BSGE 52, 276, 281 = SozR 4100 § 119 Nr. 17; BSG SozR 4100 § 119 Nr. 28). Nach dieser Rechtsprechung ist für den Ausschluss der groben Fahrlässigkeit nicht unbedingt die feste Zusicherung eines Anschlussarbeitsplatzes zu verlangen; vielmehr genügt es, dass der Kündigende konkrete Anhaltspunkte für die Annahme hat, er werde nach Beendigung des alten Arbeitsverhältnisses rechtzeitig einen neuen Arbeitsplatz erhalten (BSG, Urteil vom 12. Juli 2006 – B 11a AL 55/05 R –, SozR 4-4300 § 144 Nr. 14, Rn. 17).

Diese Voraussetzungen lagen zum Zeitpunkt der Kündigung durch den Kläger gerade nicht vor. Zu diesem Zeitpunkt bestanden keine konkreten Anhaltspunkte für die Übernahme in ein Richterverhältnis auf Probe. Hierbei verkennt der Kläger, dass nach § 8 Hessisches Richtergesetz (HRiG) der Richterwahlausschuss als besonderes Verfassungsorgan gemäß Art. 127 der Verfassung des Landes Hessen mitzuentscheiden hat, ob ein Bewerber persönlich und fachlich für das Richteramt geeignet ist und die Gewähr dafür bietet, dass er sein Amt im Geiste der Demokratie und des sozialen Verständnisses ausüben wird. 

Über die Berufung in das Richterverhältnis entscheidet nach § 20 Abs. 1 HRiG der Minister der Justiz gemeinsam mit dem Richterwahlausschuss. Aus § 22 HRiG folgt, dass der Richterwahlausschuss der Übernahme eines Richters auf Probe zustimmen muss. 

Die Ausnahmeregelung des § 20 Abs. 2 HRiG, wonach über die Berufung zum Richter auf Probe durch den Richterwahlausschuss in Ausnahmefällen auch nachträglich entschieden werden kann, kam hier nicht zum Tragen.

Konkrete Anhaltspunkte für die Übernahme des Klägers in ein Richterverhältnis auf Probe bestanden somit erst nach der Wahl durch den Richterwahlausschuss und damit am 9. Oktober 2018 und nicht bereits zum Zeitpunkt der Kündigung im Mai 2018.

Doch selbst nach dem Vortrag des Klägers bestanden zum Zeitpunkt der Kündigung keine konkreten Anhaltspunkte, wann diese Einstellung erfolgen werde. Aus dem Vortrag des Klägers, ihm sei Anfang Mai 2018 mitgeteilt worden, er werde wohl nicht vor dem 30. September 2018 eingestellt, kann nicht geschlossen werden, dass die Einstellung nahtlos oder zum 1. Oktober 2018 erfolgen werde. 

Der Kläger kann sich für sein Verhalten auch nicht auf einen wichtigen Grund nach § 159 Abs. 1 S. 3 SGB III berufen. Ob ein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses angenommen werden kann, ist nach der Rechtsprechung des BSG unter Berücksichtigung des Grundgedankens der Sperrzeitregelung zu beurteilen, dass sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehren muss, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft (BSG, Urteil vom 12. Juli 2006 – B 11a AL 55/05 R –, Rn. 19, juris). Im Ergebnis soll eine Sperrzeit nur dann eintreten, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann (vgl. BSGE 66, 94, 97 = SozR 4100 § 119 Nr. 36; BSG SozR 3-1500 § 144 Nr. 12; SozR 3-4100 § 119 Nr. 14 und 15; SozR 4-4100 § 119 Nr. 1; BSG, Urteil vom 12. Juli 2006 – B 11a AL 55/05 R –, SozR 4-4300 § 144 Nr. 14, Rn. 19). Dies ist nicht nach den subjektiven Vorstellungen des Arbeitslosen zu beurteilen, sondern ein wichtiger Grund i.S. des Sperrzeitrechts muss objektiv gegeben sein (stRspr, vgl. BSGE 92, 74, 82 = SozR 4-4300 § 144 Nr. 6; SozR 4-4300 § 144 Nr. 9 m.w.N.; BSG, Urteil vom 12. Juli 2006 – B 11a AL 55/05 R –, Rn. 19, juris).

Hier teilt der Senat die von der Beklagten und dem Sozialgericht vertretene Ansicht, dass die Abwägung der widerstreitenden Interessen des Klägers auf der einen Seite und der Versichertengemeinschaft auf der anderen, nicht zu Gunsten des Klägers ausfällt. Insoweit wird sowohl auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid als auch auf die der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch im Lichte der Berufswahlfreiheit, die Art. 12 Abs.1 GG garantiert, es nicht nachvollziehbar ist, warum es zur Vorbereitung des Umzuges einer solchen Zeitspanne bedurfte. Hierbei hat der Senat berücksichtigt, dass der Kläger bereits ab Mai 2018 von einem anstehenden Umzug nach A-Stadt ausgegangen ist. Diese lange Vorlaufzeit hätte es dem Kläger ermöglicht, bereits mehrere Monate im Voraus den Umzug durch Wohnungssuche und Planung der Haushaltsauflösung einzuleiten. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass der Resturlaub nicht ausgereicht hätte, um den Umzug an die neue Wirkungsstätte zu ermöglichen. Nach dem klägerischen Vortrag ist der Umzug tatsächlich erst am Dienstag, den 23. Oktober 2018 und damit sechs Werktage vor dem Stellenantritt erfolgt. Das aus Klägersicht eine Übergangsphase wünschenswert ist, ist durchaus nachvollziehbar. Allerdings wurzeln die vom Kläger vorgetragenen Gründe allein in dessen Verantwortungssphäre, so dass die Abwägung nicht zu Gunsten der Versichertengemeinschaft ausfallen kann. 

Vor diesem Hintergrund ist die Sperrzeit auch nicht von zwölf auf sechs Wochen zu verkürzen (§ 159 Abs. 3 S. 2 Nr. 2b SGB III). Die Annahme einer besonderen Härte ist gerechtfertigt, wenn nach den Gesamtumständen des Einzelfalles der Eintritt einer Sperrzeit mit der Regeldauer im Hinblick auf die für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen objektiv als unverhältnismäßig anzusehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 26. März 1998 – B 11 AL 49/97 RSozR 3-4100 § 119 Nr. 14 = juris Rdnr. 22; vgl. auch Sächs. LSG, Urteil vom 7. Mai 2009 – L 3 AL 238/06 – juris Rdnr. 39; Bay. LSG, Urteil vom 19. April 2018 – L10 AL 223/17 – juris Rdnr. 21). Die gesetzliche Regelung entzieht sich aber einer generalisierenden Betrachtung; vielmehr ist insoweit eine Bewertung der Gesamtumstände des Einzelfalls vorzunehmen, wobei unverschuldete Rechtsirrtümer zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 2. Mai 2012 – B 11 AL 18/11 R – SozR 3-4300 § 144 Nr. 24 = juris Rdnr. 30, m. w. N.; vgl. auch BSG, Urteil vom 21. Juli 2009 – B 7 AL 6/08 RBSGE 104, 90 ff. = SozR 4-4300 § 144 Nr. 18 = juris Rdnr. 15; Bay. LSG, Urteil vom 19. April 2018, a. a. O., m. w. N.; Sächs. LSG, Beschluss vom 17. Februar 2021 – L 3 AL 5/21 B ER –, Rn. 38 - 39, juris). Eine solche besondere Härte ist hier aus den dargelegten Gründen nicht zu erkennen. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen – entgegen der Ansicht des Klägers – nicht vor. Eine Rechtsfrage, warum die Revision zu zulassen sei, wurde von ihm nicht formuliert. Die vorliegende Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG), da sie keine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (vgl. BSG 7. Oktober 2015, B 14 AS 255/15 B, Rn. 2). Auch weicht die vorliegende Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des BSG ab (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG).
 

Rechtskraft
Aus
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