L 34 AS 319/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
34
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 101 AS 16763/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 34 AS 319/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Ein während eines Höhenstreits ergehender Aufhebungs- und Erstattungsbescheid wird Gegenstand des Verfahrens (Anschluss an BSG, Urteil vom 03.09.2020 - B 14 AS 55/19 R - juris).

Die AV-Wohnen 2015 stellen kein schlüssiges Konzept für die Bestimmung der abstrakten Angemessenheitswerte dar. Für die Leistungsgewährung sind die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft, begrenzt durch die Werte nach dem Wohngeldgesetz zzgl. eines Sicherheitszuschlages von 10 %, zugrunde zu legen. (Fortführung von LSG, Urteil vom 24.11 2022 - L 34 AS 2245/18 - juris).

Mieten Leistungsberechtigte eine von vornherein zu große und zu teure Wohnung an und vermieten sie im Folgenden zur Kostensenkung einen Teil der  Wohnung unter, trifft den Beklagten nach Beendigung des Untermietverhältnisses keine Pflicht, die Leistungsbezieher über die nunmehr als angemessen angesehenen Unterkunftskosten aufzuklären und der Leistungsgewährung für sechs Monate die tatsächlichen Unterkunftskosten zugrunde zu legen. 

Auf die Berufung der Klägerinnen werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Dezember 2018 und der Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 12. August 2016 in der Fassung des Änderungsbescheides und des Widerspruchsbescheides jeweils vom 24. November 2016, dieser in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 14. März 2017 sowie des sich auf die Klägerin zu 2 beziehenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 02. März 2018 geändert.

 

Der Beklagte wird verurteilt, den Klägerinnen für den Zeitraum vom 01. September 2016 bis zum 31. August 2017 Leistungen zur Grundsicherung unter Ansatz von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 645,60 € zu gewähren und die die Klägerin zu 2 betreffende teilweise Leistungsaufhebung für die Monate Oktober 2016 und März bis Juni 2017 sowie die gegen sie geltend gemachte Erstattungsforderung entsprechend zu reduzieren.

 

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

 

Der Beklagte hat den Klägerinnen die Hälfte ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

 

Tatbestand

 

Die Klägerinnen begehren die Gewährung höherer Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01. September 2016 bis zum 31. August 2017 unter Ansatz der damals tatsächlich angefallenen Kosten für Unterkunft und Heizung.

 

Die im  1978 geborene Klägerin zu 1 und ihre im  1998 geborene Tochter, die Klägerin zu 2, lebten bis Anfang 2009 zusammen mit dem damaligen Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater der Klägerin zu 2 in L. Sie bezogen dort Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende von der ARGE L-W. Seit Februar 2009 hielten sie sich in B auf. Am 19. März 2009 beantragten sie beim Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung. Am 26. März 2009 legte die Klägerin zu 1 diesem ein Wohnungsangebot bzgl. einer        - unter der sich aus dem Rubrum ergebenden Anschrift gelegenen - 74 m² großen, mittels Fernwärme beheizten Dreizimmerwohnung vom 10. März 2009 vor. Der Beklagte wies sie anlässlich der persönlichen Vorsprache am selben Tag darauf hin, dass die Wohnung zu teuer sei und der ggf. hierfür zuständige Träger in L deshalb keine Mietgarantie ausstellen könne. Die Miete werde ggf. nach den Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II u.a. (AV-Wohnen) festgesetzt. Weiter händigte er ihr ein Schreiben vom selben Tag aus, in dem im Einzelnen dargelegt wird, in welcher Höhe Kosten für Unterkunft und Heizung als angemessen angesehen werden (danach: für zwei Personen 444,00 €, für drei Personen 542,00 €).

 

Obwohl die ARGE L-W keine Mietzusicherung erteilt hatte, mieteten die Klägerin zu 1 und ihr Ehemann unter dem 31. März 2009 die Wohnung, für die seinerzeit 667,80 € (einschließlich der Vorauszahlungen für kalte und warme Betriebskosten) zu zahlen waren, zum 01. Mai 2009 an. Bereits zum 01. April 2009 bezog die Familie die Wohnung. Ab demselben Tage bewilligte der Beklagte den Klägerinnen sowie dem Ehemann der Klägerin zu 1 Leistungen. Dabei berücksichtigte er für die Kosten der Unterkunft und Heizung lediglich 462,50 €. Dies entsprach den zuvor in L hierfür gewährten Leistungen. Nachdem der Beklagte Kenntnis erlangt hatte, dass die Klägerin zu 1 von ihrem Ehemann getrennt lebt und dieser in L einen Leistungsantrag zu stellen versucht hatte, bewilligte er ab September 2009 nur noch für die beiden Klägerinnen Leistungen. Für die Unterkunftskosten setzte er dabei unverändert 462,50 € an.

 

Unter dem 25. März 2010 schlossen die Klägerin zu 1 und E Y mit Wirkung ab dem 01. April 2010 einen Untermietvertrag, in dem sich die Untermieterin zur Zahlung einer Bruttowarmmiete in Höhe von 360,00 € verpflichtete. Im Folgenden berücksichtigte der Beklagte daraufhin bei der Leistungsgewährung für die Klägerinnen die tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten abzüglich 360,00 € sowie zunächst einer Warmwasserpauschale.

 

Nachdem die Untermieterin das Verhältnis spätestens Anfang Juni 2016 gekündigt hatte, informierte die Klägerin zu 1 den Beklagten mit ihrem Anfang August gestellten Antrag auf Weiterbewilligung der Grundsicherungsleistungen vom anstehenden Auszug der Untermieterin und der Änderung der Verhältnisse zum 01. September 2016.

 

Für die Wohnung fielen zu diesem Zeitpunkt bis einschließlich Januar 2017 Kosten in Höhe von 769,68 € (Grundmiete 528,68 €, Untermietzuschlag 6,00 €, Betriebskostenvorauszahlung 168,00 €, Vorauszahlungen für Heizung 67,00 €) an. Im weiteren Verlauf erhöhten diese sich zum 01. Februar 2017 infolge einer Erhöhung der Grundmiete auf 539,80 € auf insgesamt 780,80 €.

 

Mit Bescheid vom 12. August 2016 gewährte der Beklagte den Klägerinnen Leistungen für die Zeit vom 01. September 2016 bis zum 31. August 2017. Dabei setzte er neben den Regelbedarfen für die Kosten der Unterkunft und Heizung unverändert    – so wie im vorangegangenen Bewilligungsabschnitt - insgesamt 396,02 € (Grundmiete 165,02 €, Nebenkosten 168,00 €, Heizkosten 63,00 €) an. Dem stellte er Erwerbseinkommen der Klägerin zu 1 in Höhe von brutto 150,00 € (angerechnet im Umfang von 40,00 €) und Kindergeld in Höhe von 190,00 € (angerechnet im Umfang von 160,00 €) gegenüber.

 

Mit ihrem am 24. August 2016 eingelegten (Teil-) Widerspruch wandten die Klägerinnen sich ausdrücklich nur gegen die nur anteilige Berücksichtigung der Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach dem Auszug der Untermieterin. Mit Änderungsbescheid vom 24. November 2016 bewilligte der Beklagte daraufhin monatlich 108,40 € mehr, wobei er nunmehr für die Kosten für Unterkunft und Heizung 504,40 € (437,40 € Bruttokaltmiete und 67,00 € Heizung) ansetzte. Zur Begründung führte er aus, dass eine Anpassung an die aktuell gültigen Richtwerte nach § 22 SGB II i.V.m. den AV-Wohnen vom 16. Juni 2015 in der Fassung vom 24. November 2015 für einen Zweipersonenhaushalt, eine Gebäudefläche von über 1.000 m² und eine Beheizung mit Fernwärme sowie eine zentrale Warmwasseraufbereitung erfolgt sei. Die Bruttokaltmiete sei mit 687,01 € unangemessen hoch und werde auf den angemessenen Betrag von 437,40 € festgesetzt. Die Heizkosten (einschließlich der Kosten für die Warmwasseraufbereitung) in Höhe von 67,00 € würden voll übernommen. Mit Widerspruchsbescheid vom selben Tag wies er den weitergehenden Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II keine Anwendung finde, da die Miete der vorherigen Wohnung in L inzwischen in unbekanntem Umfang gestiegen sei. Daher würden nach Ende der Kostensenkung durch die Klägerinnen im Wege der Untervermietung nunmehr angemessene Aufwendungen berücksichtigt. Einer Kostensenkungsaufforderung habe es nicht bedurft, da die Kosten aufgrund des Umzugs ohne Zustimmung im Jahr 2009 bereits auf die alten Bedarfe für Unterkunft und Heizung gedeckelt gewesen seien.

 

Am 29. November 2016 haben die Klägerinnen Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben und die Berücksichtigung der vollen ihnen tatsächlich entstandenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung gefordert. Sie sind davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Deckelung der Unterkunftsbedarfe nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht vorgelegen hätten. Es komme aber auch nicht darauf an, weil es im fraglichen Zeitraum in Berlin an einem schlüssigen Konzept für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten gefehlt habe. Auch könne eine Deckelung der Kosten nicht über § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II gerechtfertigt werden. Die Absenkung der Unterkunftsbedarfe auf die angemessenen Kosten setze voraus, dass den Hilfebedürftigen eine Kostensenkungsobliegenheit treffe. Kostensenkungsmaßnahmen seien subjektiv nur möglich, wenn der Hilfebedürftige Kenntnis von der ihn treffenden Obliegenheit habe. Die Aufklärungs- und Warnfunktion einer Kostensenkungsaufforderung erfordere zumindest, dass der aus Sicht des Grundsicherungsträgers angemessene Mietpreis angegeben werde. Daran fehle es hier. Jedenfalls nach dem Ende eines Untermietverhältnisses über Teile ihrer Wohnung hätten sie keine Kenntnis von dem für sie angemessenen Mietpreis gehabt. Nachdem der Beklagte bereits seit 2009 die Unterkunftskosten gedeckelt habe, wäre es sechs Jahre später nach dem Auszug der Untermieterin unabdingbar gewesen, sie über die nunmehr geltenden Angemessenheitsgrenzen in Kenntnis zu setzen. Denn § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II greife auch bei Änderungen in der Bewohnerzahl, bei einer Unterbrechung des Leistungsbezugs, bei einer Veränderung der Bedarfsgemeinschaft oder dem Auszug eines Haushaltsmitglieds ein. Sollte im Bescheid vom 12. August 2016 eine Kostensenkungsaufforderung gesehen werden, seien jedenfalls für sechs Monate nach Auszug der Untermieterin die tatsächlichen Kosten zu übernehmen. Im Übrigen habe sie, die Klägerin zu 1, psychische Probleme, sodass zu klären sei, ob ihr eine Untervermietung überhaupt subjektiv zumutbar gewesen wäre. Schließlich beginne die Regelübergangsfrist nach Ziffer 7.1 der AV-Wohnen erst nach einer Anhörung zu den individuellen Angemessenheitsgesichtspunkten. Daran sei der Beklagte gebunden. Dies sei hier indes nicht erfolgt. 

 

Im Laufe des Klageverfahrens hat der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 14. März 2017 den Klägerinnen für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum höhere Leistungen bewilligt und dabei für die Kosten der Unterkunft und Heizung nunmehr 548,14 € (481,14 € Grundmiete, 67,00 € Heizkosten) angesetzt. Der Zuschlag um 10 % wurde im Hinblick auf die Alleinerziehung der Klägerin zu 2 durch die Klägerin zu 1 bewilligt. Den Klägerinnen wurden nunmehr insgesamt für die Zeit bis zum 31. Dezember 2016 monatlich 1.076,14 € und für die ab dem 01. Januar 2017 monatlich 1.082,14 € gewährt. Diese Beträge verteilten sich wie folgt:

 

Zeitraum

Klägerin zu 1

Klägerin zu 2

 

Regelbedarf

KdUH

Regelbedarf

KdUH

01.09. – 31.12.16

379,70 €

274,07 €

148,30 €

274,07 €

01.01. – 31.08.17

384,65 €

274,07 €

149,35 €

274,07 €

 

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 02. März 2018 hat der Beklagte schließlich die den Klägerinnen gewährten Leistungen für den Zeitraum vom 01. Oktober bis zum 30. November 2016 sowie vom 01. März bis zum 30. Juni 2017 im Hinblick auf erzieltes Einkommen der Höhe nach teilweise aufgehoben. Während hiervon bei der Klägerin zu 1 nur die zum Lebensunterhalt gewährten Leistungen berührt waren, hatte dies bei der Klägerin zu 2 für die Monate Oktober 2016 sowie März bis Juni 2017 Auswirkungen auch auf die für die Kosten der Unterkunft und Heizung gewährten Leistungen. Statt der zuvor hierfür jeweils bewilligten 274,07 € wurden ihr nunmehr für Oktober 2016 nur noch 218,28 €, in den Monaten März bis Mai 2017 jeweils nur 145,75 € und für Juni 2017 nur noch 71,49 € zugestanden und bzgl. der darüber hinausgehenden Beträge eine Aufhebung ausgesprochen und eine Erstattungsforderung geltend gemacht.

 

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. Dezember 2018 abgewiesen. Zur Begründung, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass zwar eine Deckelung der Leistungen für Unterkunft und Heizung auf der Grundlage des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht in Betracht komme, da die Vorschrift nur für Umzüge im Vergleichsraum einschlägig sei. Allerdings bestehe kein Anspruch auf die tatsächlichen, abstrakt unangemessenen Kosten. Auf der Grundlage des Berliner Mietspiegels 2017 sei für einen Zweipersonenhaushalt bei einer angemessenen Wohnungsgröße von höchstens 60 m² eine Bruttokaltmiete lediglich in Höhe von 465,00 € [= 60 m² x 7,75 €/m² (6,13 €/m² Nettokaltmiete zzgl. 1,62 €/m² Betriebskosten)] angemessen. Zusätzlich seien die unstrittig angemessenen Heizkosten in Höhe von 67,00 € zu übernehmen, sodass sich eine maximal angemessene Bruttowarmmiete in Höhe von 532,00 € errechne. Der Beklagte habe indes bereits 548,14 € anerkannt. Ein Anspruch auf Übernahme höherer Kosten folge auch nicht aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Der Beklagte habe die Klägerin zu 1 bereits vor dem Zuzug nach Berlin im Jahre 2009 über die Unangemessenheit der sodann angemieteten Wohnung aufgeklärt. Den Klägerinnen sei seitdem bekannt gewesen, dass die Kosten nach Auffassung des Beklagten für einen Zweipersonenhaushalt unangemessen sind. Die Untervermietung sei dann auch zur Kostensenkung erfolgt. Bei Kündigung des Untermietverhältnisses spätestens Anfang Juni 2016 zum 01. Sep­tember 2016 hätten die Klägerinnen gewusst, dass die Kosten der Unterkunft ab 01. September 2016 wieder unangemessen sein und welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben würden. Dass sie davon ausgegangen seien, der Beklagte erachte die Wohnung nunmehr etwa infolge eines veränderten Mietmarktes oder einer abweichenden rechtlichen Würdigung als angemessen, sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Eine erneute Kostensenkungsaufforderung sei mithin nach Mitteilung des bevorstehenden Auszuges der Untermieterin nicht erforderlich gewesen. Ob die Einschätzung des Beklagten 2009 bzgl. der angemessenen Miete zutreffend gewesen sei, sei für die Wirksamkeit der Kostensenkungsaufforderung unerheblich. Die Klägerinnen hätten die fragliche Wohnung seinerzeit in Kenntnis der nach damaliger Ansicht des Beklagten unangemessenen Kosten angemietet. Dass sie gerade aufgrund unzutreffender Angaben des Beklagten keine günstigere Wohnung hätten anmieten können oder ihnen dadurch eine Senkung der Unterkunftskosten verwehrt gewesen wäre, sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die erfolgte langjährige Untervermietung belege vielmehr die Möglichkeit einer Kostensenkung. Weiter seien keine Gründe gegeben, die eine objektive oder subjektive Unmöglichkeit der Kostensenkung binnen der dreimonatigen Kündigungsfrist des Untermietverhältnisses ab 01. September 2016 begründen könnten. Angesichts der hohen Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum sei es den Klägerinnen jedenfalls objektiv möglich gewesen, nach Kenntnis des bevorstehenden Auszuges der Untermieterin spätestens Anfang Juni 2016 binnen drei Monaten zum 01. September 2016 eine(n) adäquate(n) Untermieter(in) für das zuletzt zu einem Untermietzins von 360,00 € vermietete Zimmer zu finden. Die AV-Wohnen binde die Kammer nicht. Die Klägerinnen hätten nicht systematisch und substantiiert nachgewiesen, sich ernstlich um eine Kostensenkung bemüht zu haben. Vielmehr hätten sie weder Anstrengungen unternommen, angemessenen Wohnraum zu finden noch das dritte Zimmer erneut unterzuvermieten. Dass eine erneute Untervermietung subjektiv unmöglich gewesen sei, sei nicht hinreichend substantiiert dargetan und auch sonst nicht ersichtlich.

 

Gegen dieses ihnen am 22. Januar 2019 zugestellte Urteil richtet sich die am 20. Februar 2019 eingelegte Berufung der Klägerinnen, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgen. Sie meinen weiterhin, dass es einer (erneuten) Kostensenkungsaufforderung bedurft hätte, da eine Mitbewohnerin ausgezogen sei. Auch und gerade nach einer Veränderung der Bewohnerzahl benötige der Leistungsberechtigte Zeit für eine Neuorientierung. Selbst wenn man darauf abstelle, dass ihnen beim Einzug im Jahre 2009 die Kostenunangemessenheit bewusst gewesen sei, hätten sich die Angemessenheitsgrenzen inzwischen diverse Male verändert, sodass sie im September 2016 keine Kenntnis von der abstrakten Angemessenheitsgrenze und einer noch immer bestehenden Kostensenkungsobliegenheit gehabt hätten. Nur aber wenn der Hilfebedürftige die Differenz zwischen den tatsächlichen Kosten der Unterkunft und den Angaben des Grundsicherungsträgers zu dem von ihm als angemessen angesehenen Mietpreis kenne, könne er entscheiden, welche Maßnahmen einer Kostensenkung er ergreifen könne bzw. wolle. Für eine Kenntnis von der Kostenunangemessenheit der Unterkunft im September 2016 treffe den Beklagten die objektive Beweislast. Das Sozialgericht habe daher zu Unrecht darauf abgestellt, dass nicht ersichtlich sei, dass sie davon ausgegangen wären, der Beklagte erachte die Wohnung zwischenzeitlich als angemessen. Ungeachtet dessen, sei ihnen nach dem Auszug der Untermieterin nicht einmal eine Frist zur Neuorientierung eingeräumt worden, etwa um einen "Ersatz-Untermieter" zu finden oder eine kostenangemessene Unterkunft anzumieten. Der Fall sei mit der Konstellation vergleichbar, dass ein Leistungsberechtigter nach einer Unterbrechung des Leistungsbezugs wieder unangemessene Unterkunftskosten habe oder es im Laufe des Leistungsbezuges zu einer Änderung der Verhältnisse komme. Auch dann habe eine erneute Kostensenkungsaufforderung zu ergehen.

 

Die Klägerinnen beantragen,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Dezember 2018 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bewilligungsbescheides vom 12. August 2016 in der Fassung des Änderungsbescheides und des Widerspruchsbescheides jeweils vom 24. November 2016, dieser in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 14. März 2017 sowie des sich auf die Klägerin zu 2 beziehenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 02. März 2018 zu verurteilen, ihnen für den Zeitraum vom 01. September 2016 bis zum 31. August 2017 Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Ansatz der tatsächlich angefallenen Kosten für Unterkunft und Heizung zu gewähren und die gegenüber der Klägerin zu 2 ausgesprochene teilweise Aufhebungsentscheidung sowie die gegen sie geltend gemachte Erstattungsforderung entsprechend zu reduzieren.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Weiter meint er, dass ein Erfordernis zur nochmaligen Information über die Unangemessenheit der Aufwendungen und die Obliegenheit zur Kostensenkung nur ausnahmsweise dann bestehe, wenn ein objektiver Beobachter auf Empfängerseite bei verständiger Würdigung des Sachverhalts aus einem Verhalten des Leistungsträgers hätte schließen dürfen, dass sich der Leistungsträger an eine zuvor erteilte Information nicht mehr gebunden sehe. Seien dem Leistungsberechtigten die maßgeblichen Gesichtspunkte bekannt, bedürfe es nicht einmal der Aufklärung.

 

Auf die Anfrage des Senats, ob der Beklagte sich vor dem Hintergrund des Urteils des Bundessozialgerichts vom 03. September 2020 – B 14 AS 37/19 R - imstande sehe, sein Konzept zur Ermittlung angemessener Unterkunftskosten nachzubessern, hat dieser die Auffassung vertreten, dass die genannte Entscheidung Aussagen nur zur gerichtlichen Bestimmung dieser Kosten enthalte, nicht hingegen zu der des Beklagten. Er habe daher keine Veranlassung, sein Konzept anzupassen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie der Verfahren S 34 AS 14584/17*190 / L 31 AS 1627/18 und S 43 AS 7527/18 sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung der Klägerinnen ist statthaft und im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) eingelegt. Auch ist sie in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet.

 

A.        Streitgegenstand ist allein die Höhe der zu berücksichtigenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl. zur Zulässigkeit einer solchen Beschränkung BSG, Urteil vom 04.06.2014 – B 14 AS 42/13 R – juris, Rn. 10 f.). Die Klägerinnen verfolgen ihr Begehren zulässig mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG), gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG; vgl. zur Zulässigkeit eines Grundurteils beim Streit um die Höhe der anzuerkennenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung BSG, Urteil vom 12.12.2019 – B 14 AS 26/18 R – juris, Rn. 12).

 

Gegenstand des Verfahrens sind dabei neben dem Bewilligungsbescheid vom 12. August 2016 der Änderungsbescheid vom 24. November 2016, mit dem die für die Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigten Aufwendungen von 396,02 € auf 504,40 € erhöht worden sind, der Widerspruchsbescheid vom selben Tag sowie ferner der Änderungsbescheid vom 14. März 2017, mit dem die für die Unterkunft und Heizung berücksichtigten Aufwendungen für den gesamten Zeitraum auf monatlich 548,14 € heraufgesetzt wurden. Gegenständlich ist schließlich weiter der sich auf die Klägerin zu 2 beziehende Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 02. März 2018. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 03.09.2020 – B 14 AS 55/19 R – juris, Rn. 9 ff.), der der Senat sich anschließt, wird ein während eines zunächst auf höhere Leistungen gerichteten Klageverfahrens ergehender Aufhebungs- und Erstattungsbescheid kraft Gesetzes Gegenstand des Klageverfahrens, weil er die ursprünglich streitgegenständlichen Bescheide ersetzt bzw. abändert (§ 96 SGG). Der an die Klägerin zu 2 gerichtete Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, der aufgrund höheren erzielten Einkommens ergangen ist, hat in den Monaten Oktober 2016 sowie März bis Juni 2017 letztlich auch zu einer Reduzierung der für die Kosten der Unterkunft und Heizung gewährten Leistungen geführt. Wären insoweit höhere Aufwendungen zu berücksichtigen, müsste die Aufhebung entsprechend angepasst werden und wäre die Erstattungsforderung abzusenken.

 

B.      Die Berufung ist in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin bewertet die Sach- und Rechtslage nicht zutreffend. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtswidrig.

 

Rechtliche Grundlage des geltend gemachten Anspruchs ist § 19 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 ff. und § 22 Abs. 1 SGB II in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung (Geltungszeitraumprinzip; vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2016 – B 14 AS 53/15 R – juris, Rn. 14). Die Klägerinnen erfüllten die Grundvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, um Leistungen nach dem SGB II zu erhalten. Sie hatten beide das 15. Lebensjahr vollendet, jedoch die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht, waren erwerbsfähig und hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Ferner waren die Klägerin zu 1 und ihre seinerzeit noch nicht 25jährige Tochter, die Klägerin zu 2, unstreitig hilfebedürftig und bildeten nach § 7 Abs. 2, 3 Nr. 4 SGB II eine Bedarfsgemeinschaft. Fraglich ist hier allein, in welchem Umfang bei der Berechnung der ihnen zustehenden Leistungen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung anzusetzen waren. Die Klägerinnen haben insoweit ihr Begehren zulässigerweise begrenzt. Nicht hingegen ist eine weitere Beschränkung allein auf die Unterkunftskosten (ohne die Heizkosten) möglich.

 

Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden im Rahmen der Bewilligung von Arbeitslosengeld II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II).

 

I.          Die im Streit stehenden tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind im Rahmen des § 22 Abs. 1 SGB II den beiden Klägerinnen je hälftig zuzuordnen. Denn nutzen Leistungsberechtigte eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen, insbesondere anderen Familienangehörigen, sind die Kosten für Unterkunft und Heizung nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der Senat anschließt, grundsätzlich anteilig pro Kopf aufzuteilen und dies unabhängig davon, wer schuldrechtlich zur Zahlung der Miete verpflichtet ist (sog. Kopfteilprinzip, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 14.02.2018 – B 14 AS 17/17 R – juris, Rn. 15). Hierdurch soll für alle wohnungsnutzenden Personen die Zuweisung eines individuellen Bedarfs für Unterkunft und Heizung in grundsätzlich gleicher Höhe erreicht werden.

 

II.         Die zu berücksichtigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die von den Klägerinnen im fraglichen Zeitraum in Berlin genutzte Wohnung sind – wovon auch der Beklagte für den hier streitigen Zeitraum ausgegangen ist - nicht gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II auf den Bedarf – so wie er in der zuvor in Limburg genutzten Wohnung bestand – begrenzt. Die Vorschrift findet auf Fallgestaltungen, in denen – so wie hier - ein Umzug über die Grenzen des Vergleichsraums hinaus vorgenommen wird, von vornherein keine Anwendung (BSG, Urteile vom 01.06.2010 – B 4 AS 60/09 R – Rn. 18 ff. und vom 24.11.2011 – B 14 AS 107/10 R – Rn. 13, jeweils zitiert nach juris).

 

III.        Entgegen der Auffassung der Klägerinnen hat der Beklagte nicht die ihnen im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich entstandenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, die sich bis einschließlich Januar 2017 auf 769,68 € (Grundmiete 528,68 €, Untermietzuschlag 6,00 €, Betriebskostenvorauszahlung 168,00 €, Vorauszahlungen für Heizung 67,00 €) und ab 01. Februar 2017 nach einer Erhöhung der Grundmiete auf 539,80 € auf insgesamt 780,80 € beliefen, anzusetzen. Denn weder stellen sich diese Kosten als abstrakt angemessen dar, sodass sie nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Ansatz zu bringen gewesen wären, noch ergibt sich eine entsprechende Pflicht aus der Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II.

 

Die Prüfung der Angemessenheit hat hinsichtlich der Bedarfe für die Unterkunft einerseits und für die Heizung andererseits getrennt voneinander zu erfolgen (BSG, Urteil vom 02.07.2009 – B 14 AS 36/08 R – juris, Rn. 18).

 

1.         Vorliegend steht außer Streit, dass die im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum in Höhe von monatlich 67,00 € angefallenen Heizkosten angemessen sind. Denn zur Bestimmung der abstrakt angemessenen Heizkosten sind, solange der jeweils örtlich zuständige Träger der Grundsicherung – wie hier – keine differenzierte Datenermittlung für den konkreten Vergleichsraum durchgeführt hat, aus Gründen der Praktikabilität die Werte des "Bundesweiten Heizspiegels" heranzuziehen (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19.05.2021 – B 14 AS 57/19 R – juris, Rn. 20 m.w.N.). Der Grenzwert errechnet sich aus der abstrakt angemessenen Wohnfläche und den entsprechenden Werten der Spalte "zu hoch" für Heizöl, Erdgas bzw. Fernwärme des "Bundesweiten Heizspiegels", der zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung veröffentlicht war. Für eine – wie vorliegend – mit Fernwärme beheizte Wohnung ergeben sich – je nach Gebäudefläche – Grenzwerte nach dem im Oktober 2015 veröffentlichten Bundesweiten Heizspiegel 2015 zwischen 20,10 € und 22,30 €, nach dem im November 2016 veröffentlichten bundesweiten Heizspiegel 2016 zwischen 20,10 € und 23,00 € und nach dem erst im November 2017 veröffentlichten – und damit letztlich nicht relevanten – Bundesweiten Heizspiegel 2017 zwischen 19,40 € und 22,50 €. Selbst unter Ansatz des hier geringsten Wertes von 19,40 € und einer als abstrakt angemessen anzusehenden Wohnungsgröße von nur 60 m² (der Beklagte hat zugunsten der Klägerinnen 65 m² angenommen), errechnete sich ein Grenzwert von jährlich 1.164,00 € und monatlich 97,00 €, hinter dem die bei den Klägerinnen tatsächlich angefallenen Kosten deutlich zurückgeblieben sind. Dementsprechend sind sie vom Beklagten auch vollumfänglich angesetzt worden.

 

2.         Als angemessen anzusehen sind hingegen weder die in Höhe von 702,68 € bzw. ab Februar 2017 in Höhe von 713,80 € tatsächlich angefallenen Unterkunftskosten noch die vom Beklagten in Höhe von 548,14 € angesetzten. Angemessen waren vielmehr zur Überzeugung des Senats für den streitgegenständlichen Zeitraum Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 578,60 €.

Die Ermittlung des angemessenen Umfangs der Aufwendungen für die Unterkunft hat in zwei größeren Schritten zu erfolgen: Zunächst sind die abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft, bestehend aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten (= Bruttokaltmiete), zu ermitteln; sodann ist die konkrete (= subjektive) Angemessenheit dieser Aufwendungen zu prüfen (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BSG, Urteil vom 30.01.2019 – B 14 AS 24/18 R – juris, Rn. 19 m.w.N.).

 

a)        Die abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat folgt, unter Anwendung der Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu ermitteln (vgl. zum Ganzen BSG, Urteile vom 30.01.2019 – B 14 AS 24/18 R – Rn. 20, vom 03.09.2020 – B 14 AS 37/19 R – Rn. 18 und vom 17.09.2020 – B 4 AS 11/20 R – Rn. 17, alle zitiert nach juris). Dies erfordert

-           die Bestimmung der (abstrakt) angemessenen Wohnungsgröße für die leis-

tungsberechtigte(n) Person(en),

-           die Bestimmung des angemessenen Wohnungsstandards,

-           die Ermittlung der aufzuwendenden Nettokaltmiete für eine nach Größe und

Wohnungsstandard angemessene Wohnung in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum (hier: gesamtes Stadtgebiet Berlin) nach einem schlüssigen Konzept und

-           die Einbeziehung der angemessenen kalten Betriebskosten.

 

Der Beklagte hat die als angemessen angesehenen Aufwendungen für die Unterkunft vorliegend anhand der AV-Wohnen 2015 festgesetzt. Der Senat hat indes bereits in seinem Urteil vom 24. November 2022 (L 34 AS 2245/18) ausführlich dargelegt, dass diese kein schlüssiges Konzept für die Bestimmung der abstrakten Angemessenheitswerte darstellen (juris, Rn. 60 ff. m.w.N.) und er sich nicht in der Lage sieht, selbst die abstrakt angemessenen Unterkunftsaufwendungen zu bestimmen (juris, Rn. 64 ff.). Auf diese Ausführungen, von denen abzuweichen kein Anlass besteht, wird verwiesen. Auch vorliegend hat der Beklagte sich nicht dazu veranlasst bzw. in der Lage gesehen, Nachbesserungen bzgl. des von ihm angewandten Konzepts bzw. Nachermittlungen vorzunehmen. Der Senat geht daher auch hier davon aus, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft, begrenzt durch die Werte nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % (Senatsurteil vom 24.11.2022, a.a.O., juris, Rn. 69 m.w.N.), zugrunde zu legen sind. Als abstrakt angemessen anzusehen sind damit monatlich 578,60 €. Denn gemäß § 12 Abs. 1 WoGG in der vom 01. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2019 gültigen Fassung vom 02. Oktober 2015 lag der Höchstbetrag für die Bruttokaltmiete (vgl. § 9 WoGG) unter Zugrundelegung der für die Stadt Berlin einschlägigen Mietenstufe IV für einen Zwei-Personen-Haushalt bei 526,00 €. Zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % (= 52,60 €) ergibt sich ein Betrag in Höhe von 578,60 €. Dieser Betrag liegt zwar um 97,46 € über den vom Beklagten angesetzten Unterkunftskosten in Höhe von 481,14 € (= 548,14 € - 67,00 € Heizkosten), jedoch noch immer deutlich unter den bis einschließlich Januar 2017 in Höhe von 702,68 € und sodann in Höhe von 713,80 € anfallenden Unterkunftskosten.

 

b)        Dieser Betrag von 578,60 € ist zur Überzeugung des Senats auch konkret angemessen. Insbesondere hat hier - entgegen der Ansicht der Klägerinnen - nichts anderes vor dem Hintergrund einer fehlenden Kostensenkungsaufforderung zu gelten.

 

Nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II sind auch (abstrakt) unangemessene Aufwendungen als Bedarf so lange – in der Regel jedoch längstens für sechs Monate – zu berücksichtigen, wie es nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen zu senken. Will ein Jobcenter die tatsächlichen Aufwendungen nicht als Bedarf anerkennen, weil es sie für unangemessen hoch hält, muss es grundsätzlich ein Kostensenkungsverfahren durchführen und der leistungsberechtigten Person den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang der Aufwendungen mitteilen (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BSG, Urteil vom 30.01.2019 – B 14 AS 24/18 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr. 101, juris Rn. 15 m.w.N.). Entgegen der Ansicht der Klägerinnen bestand zur Überzeugung des Senats vorliegend jedoch keine Veranlassung für ein entsprechendes Kostensenkungsverfahren.

 

Die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, mit der verhindert werden soll, dass eine leistungsberechtigte Person im Falle des Eintritts von Hilfebedürftigkeit sofort gezwungen ist, ihre bisherige Wohnung aufzugeben (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 10/06 R – juris, Rn. 23), findet zwar nicht nur bei erstmaligem Eintritt in den Leistungsbezug Anwendung, sondern nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch bei Änderungen in der Bewohnerzahl, wie z.B. beim Auszug eines Mitbewohners (vgl. BSG, Urteil vom 16.04.2013 – B 14 AS 28/12 R – juris, Rn. 18). In Anlehnung hieran hat der Senat sie auch als einschlägig und damit ein Kostensenkungsverfahren für nötig erachtet, wenn ein zunächst bestehender erhöhter Wohnraumbedarf wegen Ausübung des Umgangsrechts mit dem Kind später aufgrund dessen Beendigung weggefallen ist (vgl. Senatsurteil vom 24.11.2022 – L 34 AS 2245/18 – juris, Rn. 76). Hiervon ist er weiter in einem Fall ausgegangen, in dem ein Rechtsanwalt, bei dem die Privat- und Kanzleianschrift identisch waren und dessen Unterkunftskosten nur ganz knapp oberhalb der Angemessenheitsgrenze lagen, nach vorübergehendem ergänzendem Leistungsbezug seinen Bedarf für sechs Monate wieder aus eigenen Einnahmen hatte decken können, bevor er erneut einen Antrag auf (ergänzende) Leistungen stellte (vgl. Senatsurteil vom 04.09.2014 – L 34 AS 224/14 – juris, Rn. 27 ff.). Nicht hingegen greift die Regelung zu seiner Überzeugung in einer Fallkonstellation wie der hiesigen (anders: Bayerisches LSG, Urteil vom 26.04.2023 – L 8 SO 214/22 – juris). Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass den Klägerinnen eine Kostensenkung objektiv oder subjektiv unmöglich gewesen sein könnte.

 

Der vorliegende Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, dass die Unterkunftskosten bereits bei Anmietung der Wohnung im Jahre 2009 – und dies seinerzeit sogar für drei Personen – deutlich zu hoch waren, worauf der Beklagte die Klägerin zu 1 noch vor Mietbeginn hingewiesen hatte. Es erfolgte daraufhin von Beginn des Leistungsbezuges durch den Beklagten an eine – wenn auch im Einzelnen nicht korrekte – Deckelung der Leistungen für Unterkunft und Heizung, was letztlich zu Kostensenkungsmaßnahmen durch die Klägerinnen in Form der Untervermietung eines Teils der Wohnung führte.

 

Dass dies nach Kündigung des Untermietverhältnisses durch die Untermieterin nicht mehr länger möglich gewesen wäre, wird weder von den Klägerinnen selbst geltend gemacht noch ist es sonst ersichtlich. Dass eine Untervermietung nicht an der räumlichen Aufteilung der Wohnung oder an Einwänden des Vermieters scheiterte, zeigt schon die vorherige längerfristige Untervermietung. Und dass den Klägerinnen bei einem seinerzeit angespannten Wohnungsmarkt und unter Berücksichtigung der dreimonatigen Kündigungsfrist des Untermietverhältnisses eine erneute Untervermietung unmöglich gewesen sein sollte, behaupten sie nicht einmal selbst. Im Gegenteil lässt sich weder ihrem Vortrag noch den Akten irgendein Hinweis darauf entnehmen, dass sie dies überhaupt versucht hätten.

 

Anderes hat auch nicht vor dem Hintergrund zu gelten, dass der Beklagte sie nicht über die aus seiner Sicht ab September 2016 angemessenen Unterkunftskosten für einen Zwei-Personen-Haushalt aufgeklärt hat. Jedenfalls der Klägerin zu 1 war schon bei Anmietung der Wohnung bekannt, dass die Wohnung für drei Personen zu teuer war. Gleichermaßen wusste sie, dass nach dem Auszug ihres Ehemannes noch im Sommer 2009 die zuvor schon für einen Drei-Personen-Haushalt zu hohen Kosten erst recht für einen Zwei-Personen-Haushalt unangemessen waren. Zweifelsohne wird ihr und ihrer Tochter nach der Beendigung des Untermietverhältnisses zum 31. August 2016 nicht bekannt gewesen sein, von welcher konkreten Angemessenheitsgrenze der Beklagte zu diesem Zeitpunkt für einen Zwei-Personen-Haushalt ausgehen würde. Ebenso wenig hat der Senat jedoch Zweifel, dass ihnen klar sein musste, dass die Wohnung für zwei Personen weiterhin zu groß ist, und es für sie nahe liegen musste, dass die Bruttomiete, die sich in der Zwischenzeit um etwa 100,00 € erhöht hatte, voraussichtlich zu hoch ist. Bei bereits laufenden Kostensenkungsmaßnahmen hätte daher durchaus sie die Obliegenheit getroffen, ihrerseits den Dialog mit dem Beklagten zu suchen und in Erfahrung zu bringen, ob weiterhin Kostensenkungsmaßnahmen geboten sind. Dass insoweit in Abhängigkeit von der Dauer der Untervermietung als Kostensenkungsmaßnahme jeweils Unterschiedliches gelten könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen.

 

Nach Beendigung dieser Kostensenkungsmaßnahme eine Frist von sechs Monaten einzuräumen, um erneute Maßnahmen zu ergreifen, sieht der Senat nicht. Er geht vielmehr davon aus, dass der Fall deutlich von den Konstellationen abweicht, in denen es im Laufe des Leistungsbezugs zu Änderungen kommt, die letztlich dazu führen, dass die Unterkunftskosten unangemessen werden. Wie ausgeführt haben die Klägerin zu 1 und ihr Ehemann die Wohnung in Kenntnis der Unangemessenheit der für diese anfallenden Kosten angemietet. Der Senat vermag keinen Grund zu erkennen, warum Leistungsberechtigte, die dieses Risiko bewusst eingehen, letztlich besser stehen sollen, als diejenigen, die sich von vornherein an die vorgegebenen Angemessenheitswerte halten.

 

IV.       Die gegenüber der Klägerin zu 2 ausgesprochene teilweise Leistungsaufhebung für die Monate Oktober 2016 sowie März bis Juni 2017 ist schließlich mit Blick auf die ihr zustehenden höheren Leistungen für Unterkunft und Heizung ebenso anzupassen wie die Erstattungsforderung zu reduzieren ist.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerinnen mit ihrem Begehren schon im Widerspruchs- und letztlich auch im gerichtlichen Verfahren zumindest teilweise Erfolg hatten.

 

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.

 

 

 

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