L 4 SO 202/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 18 SO 47/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 202/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Zum Merkmal der sog. Negativevidenz bei der Überprüfung einer Überleitungsanzeige nach § 93 SGB XII.


Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 29. Juni 2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten beider Instanzen haben die Kläger als Gesamtschuldner zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 55.000 € festgesetzt.


I.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Überleitungsanzeige. 

Der Beklagte gewährte der 1923 geborenen D. G. mit Bescheid vom 21. Februar 2017 rückwirkend ab 1. November 2016 Leistungen nach dem Siebten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII); seit 29. Januar 2012 befindet sich Frau G. im Alten- und Pflegeheim „Haus K.“ in C-Stadt. Ausweislich der verfahrensgegenständlichen Widerspruchsbescheide betrugen die Sozialhilfeaufwendungen bis Februar 2019 insgesamt 16.432,72 €, ab März 2019 monatlich durchschnittlich 806,66 €, nach einem internen Vermerk vom 6. Oktober 2021 mit einem Stand von 42.951,33 €. 

Frau G. ist die Großmutter der Kläger. Nachdem u. a. die Kläger mit Frau G. am 15. April 1994 eine Vereinbarung über künftige Nutzungen und Aufwendungen bezüglich des Hofes innerhalb der Familie getroffen hatten (Bl. 147 der Verwaltungsakten - VA), übertrug Frau G. mit notariellem Vertrag vom 13. April 2006 Eigentumsanteile an Grundstücken in der Gemarkung D-Stadt (Hof- und Gebäudefläche D-Straße, Flur X1 Flurstück XX/2, sowie Ackerland in der Gemarkung E-Stadt an die Kläger (Bl. 35 ff. (alt) bzw. Bl. 106 ff. (neu) VA). Die Eintragung des Eigentumswechsels erfolgte am 29. Juni 2006. Der Wert der Grundstücke betrug ausweislich des Erbauseinandersetzungsvertrages 120.000,00 €, davon 110.000 € entfiel auf die Hof- und Gebäudefläche in D-Stadt. Aus einer Übersicht „Rückwirkendes Einzelengagement“ der Volksbank H. eG zum Stichtag 1. Januar 2015 ergibt sich ein Gesamtsaldo zugunsten von Frau G. i.H.v. 2.432,01 € (Bl. 75 VA).

Nach Anhörungen vom 2. März 2017, 28. Juni 2017 und 25. Januar 2019 erklärte der Beklagte mit Bescheiden vom 25. Januar 2019 gegenüber dem Kläger zu 2) und vom 19. Februar 2019 gegenüber der Klägerin zu 1), dass der Sozialhilfeträger die Schenkung aus dem Jahr 2006 bekannt geworden sei; nach § 528 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) könne der Schenker, soweit er nach Vollziehung der Schenkung außer Stande sei, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten und die ihm seine Verwandten, seinem Ehegatten oder seinem früheren Ehegatten gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht zu erfüllen, von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zu fordern. Nach S. 2 könne der Beschenkte die Herausgabe durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags abwenden. Hiermit werde von der Überleitungsbefugnis nach § 93 Abs. 1 SGB XII bezüglich der Schenkung des Grundbesitzes in D-Stadt durch schriftliche Anzeige Gebrauch gemacht. Die Überleitung erfolge jeweils in der Höhe der Hälfte der dem Beklagten bereits entstandenen Aufwendungen von insgesamt 14.819,40 € sowie der Hälfte der ab Januar 2019 entstehenden Aufwendungen von durchschnittlich monatlich 806,66 €. Die Überleitung sei geboten, weil auf andere Weise die Kosten der Betreuung von Frau G. ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe nicht sichergestellt werden könne.

Hiergegen legten die Kläger mit Schriftsatz vom 28. Februar 2019, eingegangen am selben Tage, Widerspruch ein: Das Nichtbestehen des behaupteten Überleitungsanspruches sei offensichtlich. Es liege keine Schenkung vor.

Mit im Wesentlichen gleichlautenden Widerspruchsbescheiden vom 17. April 2019 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Bei der Übertragung des genannten Grundbesitzes handele es sich um eine gemischte Schenkung im Sinne des § 516 BGB. Die Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Herausgabeanspruches nach § 528 Abs. 1 BGB durch Frau D. G. lägen vor, weil diese nicht in der Lage sei, die Kosten ihrer Heimunterbringung selbst zu begleichen und Sozialhilfe in Anspruch nehmen müsse. Insoweit sei sie nicht in der Lage, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Für die Rechtmäßigkeit des Überleitungsbescheides reiche es aus, wenn ein Anspruch auf Herausgabe des verschenkten Vermögens nicht offensichtlich ausgeschlossen sei. Die Überleitungsnorm des § 93 SGB XII beinhalte eine Ermessensentscheidung. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung habe der Beklagte eine Interessenabwägung vorgenommen. Die Interessen der Widerspruchsführer seien mit dem öffentlichen Interesse am Nachrang der Sozialhilfe abzuwägen. Besondere Umstände, die dazu führen würden, von der Überleitung des Herausgabeanspruchs abzusehen, seien nicht konkret belegt worden.

Der Widerspruchsbescheid ist dem Bevollmächtigten am 26. April 2019 zugestellt worden.

Die Kläger haben am Montag, den 27. Mai 2019 Klage erhoben.

Erstinstanzlich haben sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und wiederholt und vertieft, es bestehe bereits kein Rückforderungsanspruch seitens der Frau G. gegenüber den Klägern nach § 528 BGB, der auf den Beklagten übergeleitet werden könne. Es bestehe eine Vereinbarung vom 15. Mai 1994 zwischen dem Ehepaar G. und den beiden Klägern, darin sei unter anderem festgehalten worden, dass die Mutter der beiden Kläger auf ihr Erbrecht bezüglich des Grundstückes verzichte, weil die beiden Kläger sich verpflichtet hätten, die Großeltern zu pflegen, und deswegen unentgeltlich das Eigentum übertragen bekommen sollten. Diese Vereinbarung sei Rechtsgrund für die Übertragung des Grundbesitzes im Jahr 2006 gewesen. Es handele sich mithin nicht um eine Schenkung.

Der Beklagte hat vorgetragen, die Bedürftigkeit der Hilfeempfängerin habe innerhalb der Zehn-Jahres-Frist des § 529 Abs. 1 BGB gelegen. Bedürftigkeit habe bereits vor dem 1. November 2016 vorgelegen. Die Hilfebedürftige sei bereits zuvor nicht in der Lage gewesen, die Heimkosten komplett aus ihrem eigenen Einkommen/Vermögen zu zahlen. Sie habe daher bereits seit August 2012 regelmäßig Zahlungen der Kläger erhalten. Aus dem vorgelegten Einzelengagement der Volksbank H. eG mit Stand 1. Januar 2015 gehe hervor, dass zumindest bereits zu diesem Zeitpunkt Bedürftigkeit vorgelegen habe. Bei der Übertragung des Grundstücks habe es sich zudem um eine Schenkung gehandelt. In der Vertragsurkunde sei keine Gegenleistung erwähnt. Es sei auch keine Bezugnahme auf die Vereinbarung aus dem Jahr 1994 erfolgt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. Juni 2021 abgewiesen. Die zulässige Berufung sei nicht begründet. Die Bescheide vom 25. Januar 2019 und 19. Februar 2019 sowie der Widerspruchsbescheid vom 17. April 2019 erwiesen sich als rechtmäßig und verletzten die Kläger nicht in ihren Rechten. Gemäß § 93 Abs. 2 SGB XII könne der Leistungsträger durch schriftliche Anzeige die Ansprüche des Leistungsberechtigten gegen Dritte auf sich überleiten. Die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige hänge nicht davon ab, ob der behauptete bürgerlich-rechtliche Anspruch überhaupt und in der geltend gemachten Höhe bestehe. Eine Aufhebung der Überleitungsanzeige wegen Fehlern, die den übergeleiteten Anspruch betreffen, komme nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der übergeleitete Anspruch nach dem materiellen Recht offensichtlich ausgeschlossen sei (Fall der sogenannten Negativevidenz). 

Zivilrechtliche Ansprüche schieden hier nicht offensichtlich aus. Die Schlussfolgerung des Beklagten, Rückabwicklungsansprüche könnten vorliegen, sei nicht von der Hand zu weisen. Es können Ansprüche aus Schenkungsrecht (oder ggf. aus Bereicherungsrecht) vorliegen. Dies ergebe sich daraus, dass Frau G. im Jahr 2006 den Klägern im Rahmen eines Erbauseinandersetzungsvertrages die Übertragung des Miteigentumsanteils und Erbanteils an dem Hausgrundstück D-Straße sowie mehrerer unbebauter Grundstücke zugewandt habe. In beiden Fällen könnten Frau G. möglicherweise Rückabwicklungsansprüche erwachsen. Soweit zivilrechtliche Schenkungsrückforderungsansprüche nach § 528 BGB (Rückforderung wegen Verarmung des Schenkers) zu prüfen seien, seien Ausschlussgründe nach § 534 BGB (keine Rückforderung bei Pflicht- und Anstandsschenkungen) oder § 529 BGB (weiterer Ausschluss des Rückforderungsanspruchs) nicht ersichtlich. In diesem Zusammenhang sei zu beachten, dass es nicht darauf ankomme, dass im Zeitpunkt der Antragstellung (1. Januar 2017) der begehrten Sozialleistung zehn Jahre seit der Schenkung verstrichen seien (29. Juni 2006), wenn die Bedürftigkeit des Schenkers nachweislich bereits innerhalb der Zehn-Jahres-Frist tatsächlich eingetreten sei (Hinweis auf Weber in: Beck OK SozR § 93 SGB XII Rn. 83). Denn so könnte der Beschenkte es selbst beeinflussen, den voraussichtlichen Bedarf des Schenkers bis zum Erreichen der Zehn-Jahres-Frist vorauszubezahlen und sich so gewissermaßen „retten“. Dies wiederum würde Sinn und Zweck der Regelung des § 528 BGB, dass der Schenker „durch seine Freigiebigkeit nicht der Gefahr des wirtschaftlichen Ruins ausgesetzt sein soll“ (Hinweis auf MüKoBGB/Koch § 528 BGB Rn. 1) konterkarieren. Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten im Schriftsatz vom 17. Juli 2019 sowie nach Aktenlage ist mithin von einer Bedürftigkeit bereits seit Anfang Januar 2015 auszugehen. Ermessensfehler des Beklagten bei der Entscheidung über die Überleitung seien nicht zu erkennen. Soweit die Kläger vortrügen, dass die mit dem Eigentumsübergang verbundenen Belastungen für sie keinen Wert mehr gehabt hätten, so dass Unentgeltlichkeit ausgeschlossen sei, folge das Gericht dem nicht. Unabhängig vom fehlenden Nachweis dieses Vortrags sei dies nämlich für den tatsächlich eingetretenen Wertzuwachs durch Übernahme der Immobilien unerheblich. Die vorgebrachten Einwendungen beträfen das zivilrechtliche Verfahren, ohne dass daraus erkennbar würde, dass der übergeleitete Anspruch nach materiellem Recht offensichtlich ausgeschlossen sei und [dass] deshalb das Ziel der Überleitung, den Nachrang der Sozialleistung wiederherzustellen, offensichtlich nicht verwirklicht werden könnte.
Das Urteil ist dem Bevollmächtigten der Kläger am 19. August 2021 zugestellt worden.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Kläger ist am 16. September 2021 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen.

Die Kläger tragen vor, die Überleitungsanzeige sei aufzuheben, da der übergeleitete Anspruch nach materiellem Recht offensichtlich ausgeschlossen sei. Bis zum Einzug der Frau G. in das Alten- und Pflegeheim „Haus K.“ im Januar 2012 hätten die Kläger tatsächlich Pflegeleistungen zu Ihren Gunsten sowie zuvor auch für deren bereits 2006 verstorbenen Ehemann erbracht. Angesichts dieser Umstände sei evident, dass es sich bei der Übertragung der Eigentumsanteile nicht um eine unentgeltliche Zuwendung und damit nicht um eine Schenkung gehandelt habe. Ebenso evident sei es, dass selbst bei einer Schenkung der Rückgewähranspruch nach § 529 Abs. 1 BGB ausgeschlossen wäre. Bis zum Oktober 2016 seien die Kosten für ihre Betreuung aus ihren eigenen Mitteln getragen worden, wenn auch die Zahlungen durch die Kläger vorgenommen worden sei. Erst ab November 2016 sei Sozialhilfe notwendig geworden. Erst im November 2016 sei erkennbar Bedürftigkeit eingetreten. Damit seien mehr als 10 Jahre verstrichen gewesen. Dieser auf den ersten Blick erkennbar und mithin evident. 

Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Gießen die Bescheide des Beklagten vom 25. Januar 2019 und 19. Februar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2019 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, die Kläger hätten mit Erbauseinandersetzungsvertrages vom 13. April 2006 und Eintragung ins Grundbuch am 29. Juni 2006 Eigentumsanteile an Grundstücken im Wert von 120.000 € erhalten. In einer Vereinbarung vom 15. April 1994 sei geregelt worden, dass die Kläger die Hilfeempfängerin im Bedarfsfall pflegen würden. Im Erbauseinandersetzungsvertrag finde die Vereinbarung vom 15. April 1994 allerdings keine Erwähnung. Es gebe keine Vereinbarung, dass die Eigentumsübertragung an eine Bedingung wie Pflege oder finanzielle Unterstützung geknüpft gewesen sei. Bis heute sei seitens der Kläger weder dargelegt, ab wann eine Pflege der Hilfeempfängerin erfolgt sei, noch in welchem Umfang. Dem Schenkungsrückforderungsanspruch stehe nicht der Ausschlussgrund aus § 529 Abs. 1 BGB entgegen. Der Erbauseinandersetzungsvertrag sei am 13. April 2006 geschlossen worden, die Grundbucheintragung sei am 29. Juni 2006 erfolgt. Bereits ab August 2012 habe die Hilfeempfängerin ihre Kosten zur Heimpflege nicht mehr selbst decken können. Ausweislich des Schreibens der Kläger vom 7. Februar 2017 und den vorgelegten Kontoauszügen sei die Hilfeempfängerin seit dem 10. August 2012 auf regelmäßige Zahlung der Kläger angewiesen gewesen, um ihre Heimpflegekosten zu decken. Zu diesem Zeitpunkt seien noch keine 10 Jahre verstrichen gewesen; andernfalls könnten die Beschenkten es selbst beeinflussen, den Bedarf des Hilfebedürftigen Voraus zu bezahlen, um einen Schenkungsrückforderungsanspruch zu umgehen.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten mit Hinweisverfügung vom 31. Januar 2022 auf die fehlerhafte kostenrechtliche Behandlung in der ersten Instanz sowie hinsichtlich der Negativevidenz auf die Bedeutung der Indizien für eine frühere Bedürftigkeit der Hilfeempfängerin hinsichtlich der Zehn-Jahres-Frist hingewiesen. Mit Verfügung vom 10. Oktober 2022 hat der Berichterstatter eine Frist nach § 106a Sozialgerichtsgesetz (SGG) gesetzt und zur Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG angehört. Mit Verfügung vom 14. September 2023 hat der Berichterstatter zum Streitwert angehört und eine Rücknahme im Hinblick auf die Verfahrenskosten angeregt.

II.

Der Senat konnte nach Anhörung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG entscheiden.

Die zulässige Berufung ist unbegründet, da die zulässige Klage unbegründet ist.

Die Bescheide vom 25. Januar 2019 und 19. Februar 2019 sowie der Widerspruchsbescheid vom 17. April 2019 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten.

Die Bescheide sind formell rechtmäßig; insbesondere sind sie hinreichend bestimmt. Durch die grundbuchmäßige Bezeichnung der der Schenkung zugrundeliegende Hof- und Gebäudefläche in D-Stadt und die Bezugnahme auf den Schätzwert von 110.000 € wird in hinreichender Weise deutlich, dass jeweils nur der Anspruch aus § 528 BGB bezüglich dieses Grundstücks übergeleitet wird. Hinreichend deutlich wird auch, dass die Überleitung jeweils in Höhe der Hälfte der bisher erbrachten und künftig zu erbringenden Sozialleistungen erfolgt. Eine genauere Bezifferung des Anspruchs und der geleisteten Sozialhilfe ist nicht erforderlich, wenn zum Zeitpunkt der Überleitung die Leistung noch nicht abgeschlossen ist (vgl. Conradis in: Bieritz-Harder u.a., LPK-SGB XII, 12. Aufl. 2020, § 93 Rn. 40f. m.w.N.).

Die Bescheide sind auch materiell rechtmäßig.

Die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige nach § 93 SGB XII setzt nicht voraus, dass der übergeleitete Anspruch tatsächlich besteht. Die Überleitungsanzeige hat lediglich zum Ziel, einen Gläubigerwechsel herbeizuführen. Die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens des übergeleiteten Anspruchs ist dagegen einer Klärung im dafür vorgesehenen Zivilrechtsweg vorbehalten. Etwas Anderes gilt allerdings dann, wenn der übergeleitete Anspruch offensichtlich ausgeschlossen ist (sog. Negativevidenz). Eine in diesem Fall dennoch erlassene, erkennbar sinnlose Überleitungsanzeige ist rechtswidrig (Senatsurteil vom 25. April 2012 – L 4 SO 207/11 –, Rn. 19, juris m.w.N.).

Hiernach ist es nicht fernliegend, aufgrund der Vertragsgestaltung der Erbauseinandersetzung von einem Anspruch nach § 528 Abs. 1 BGB auszugehen. Entgegen der Auffassung der Kläger ist eine schenkungsrechtliche Würdigung des Sachverhalts nicht wegen einer 1994 geregelten Gegenleistung ausgeschlossen.

Es ist vielmehr plausibel, im Erbauseinandersetzungs- und Übergabevertrag vom 13. April 2006 teilweise eine Schenkung zu erblickten. Der vorgelegte Vertrag vom 15. Mai 1994 (Bl. 147 VA) dürfte mitbestimmendes Motiv für diese Schenkung gewesen sein. Eine gewollte synallagmatische Verknüpfung ist für den Senat aber keineswegs offensichtlich. Wie der Beklagte zutreffend festgestellt hat, wird die Vereinbarung aus dem Jahr 1994 im Vertrag vom 2006 nicht erwähnt, obwohl der letztgenannte Vertrag gerade ersichtlich den Zweck hatte, die Erbauseinandersetzung umfassend vorab zu regeln. Wäre eine Einbeziehung der Vereinbarung aus dem Jahr 1994 in der Weise gewollt gewesen, dass dortige Verpflichtungen der Kläger als Gegenleistungen für den Grundstückserwerb gleichsam „angerechnet“ werden würden, hätte sich bei der gewählten Vertragsgestaltung für die Beteiligten das Risiko einer Formnichtigkeit (§ 313 BGB a.F. bzw. § 311b BGB) ergeben. Denn dann wäre eine Regelung, die aufgrund des Vertrages aus dem Jahr 1994 erbrachten Leistungen als Gegenleistung anzusehen, nicht notariell beurkundet worden, obwohl sie nach der Behauptung der Kläger als Gegenleistung für die formbedürftige Grundstücksübertragung anzusehen gewesen wäre. Es ist daher nicht naheliegend, dass der Notar die 2006 gewählte Vertragsgestaltung ohne entsprechende Gegenleistung vorgeschlagen hätte, wenn eine „Aufrechnung“ o.ä. mit den aufgrund des Vertrages von 1994 von den Klägern erbrachten Aufwendungen und der geleisteten Pflege wirklich schuldrechtlich verbindlich gewollt gewesen wäre.

Der Senat sieht auch nicht einen Ablauf der Zehn-Jahres-Frist des § 529 BGB offensichtlich als gegeben an. Insoweit teilt der Senat die Rechtsauffassung des Sozialgerichts. Für den Eintritt der Bedürftigkeit beim Schenker innerhalb der Zehn-Jahres-Frist des § 529 Abs. 1 BGB genügt es nicht, wenn vor Ablauf dieser Frist die Umstände eingetreten sind, aus denen sich (früher oder später) eine Erschöpfung des Vermögens des Schenkers ergeben kann oder voraussichtlich ergeben wird; es ist vielmehr erforderlich, dass die Erschöpfung des Vermögens innerhalb der Frist bereits eingetreten ist (BGH, Urteil vom 26. Oktober 1999 – X ZR 69/97, NJW 2000, 728). Es kommt für die Bedürftigkeit mithin auf die objektive Einkommens- und Vermögenssituation an; d.h. aber auch, dass es nicht darauf ankommt, ob der Schenker tatsächlich Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nimmt. Daher ist die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nur ein Indiz und es ist durchaus möglich, dass trotz fehlenden Leistungsbezuges innerhalb von zehn Jahren gleichwohl die Bedürftigkeit i.S.d. § 529 Abs. 1 2. Var. BGB bereits vor Ablauf von zehn Jahren eingetreten ist. Daher stehen aus Gründen der Bedürftigkeit erfolgte Zahlungen der Kläger an ihre Großmutter der Annahme des Eintritts der Bedürftigkeit nicht von vornherein entgegen. Übernehmen die Beschenkten bis zum Ablauf der Zehn-Jahres-Frist etwa die Pflegeleistungen und stellen erst nach Ablauf der Zehn-Jahres-Frist einen Antrag auf Sozialleistungen, so ist die Frist nicht verstrichen; die Beschenkten sind lediglich in Vorleistung getreten (BeckOK-SozR/Weber, § 93 Rn. 83.1. (Stand 1. Juni 2023). Andernfalls hätte es der Beschenkte in der Hand, den voraussichtlichen Bedarf des Schenkers bis zum Erreichen der Zehn-Jahres-Frist vorauszubezahlen, und dadurch den Restwert zu retten, worauf auch das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat.

Es gibt hinreichende Indizien für eine derartige Situation, die der Negativevidenz entgegenstehen. Die Kläger selbst haben angegeben, ab 10. August 2012 Zahlungen auf die Pflegekosten geleistet zu haben. Entgegen der Auffassung der Kläger geht aus der vorgelegten Aufstellung (Bl. 66 VA) nicht hervor, dass dies Mittel der Großmutter seien, die nur sie gezahlt hätten. Die Kläger verweisen dort vielmehr auf Rücklagen aus einer Schenkung des Großvaters, die als solche dem Vermögen der Kläger zuzurechnen sein dürften. Das „Einzelengagement“ Stand 1. Januar 2015 der Volksbank H. eG weist zudem ein Saldo zweier Konten von insgesamt 2.432 € aus, das unterhalb der sozialhilferechtlichen Vermögensfreigrenze liegt. Eine ergänzende Berufungsbegründung hierzu, aus der sich infolge einer Klarstellung eine Negativevidenz ergeben könnte, ist unterblieben.

Hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen der materiellen Rechtmäßigkeit der Bescheide wird auf die Entscheidungsgründe des sozialgerichtlichen Urteils verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Klagen verpflichteter Dritter gegen eine Überleitungsanzeige unterliegen der Gerichtskostenpflicht nach § 197a SGG (Armbruster in: jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 93 SGB XII (Stand: 05.12.2022) Rn. 188 m.w.N.). Hinsichtlich der fehlerhaften Kostenentscheidung des Sozialgerichts steht der Grundsatz der reformatio in peius einer Korrektur zu Lasten der alleinigen Berufungskläger nicht entgegen (stRspr des Bundessozialgerichts, vgl. für die Revision zuletzt BSG, Urteil vom 21. Oktober 2020 – B 13 R 19/19 R –, juris Rn. 41).

Revisionszulassungsgründe sind nicht ersichtlich.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Im Falle der Bezifferung des übergegangenen Anspruchs ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Abschlag vorzunehmen, da die Überleitung nach § 93 SGB XII lediglich einen Wechsel der Gläubigerstellung bewirkt und nicht feststeht, dass der Anspruch auch tatsächlich überhaupt oder in der konkret angegebenen Höhe besteht. Der Senat bemisst den Streitwert grundsätzlich mit der Hälfte der bezifferten Anspruchshöhe (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 – L 4 SO 175/17 B –, juris) und orientiert sich im vorliegenden Fall an der vom Beklagten in Bezug genommenen Schätzung des Grundstückswertes. Die Streitwerte der Klagen waren zu addieren (§ 39 GKG), die Beklagte hat jeweils die Hälfte des Anspruches gegen die beiden Kläger auf sich übergeleitet. Ein weiterer Abschlag ist nicht vor dem Hintergrund des Lebensalters der Hilfebedürftigen oder der Summe der bislang erbrachten Leistungen vorzunehmen, denn letztere bezifferte der Beklagte im Oktober 2021 bereits mit 42.951,33 € (Bl. 212 VA).
 

Rechtskraft
Aus
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