L 4 SO 180/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 12 SO 27/21
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 180/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Durch einfache E-Mail wird die nach § 84 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 36a Abs. 2   SGB I erforderliche Form des Widerspruchs nicht gewahrt.
2. Das in § 84 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 36a Abs. 2 SGB I geregelte Formerfordernis verstößt weder gegen das Benachteiligungsverbot noch gegen den Förderauftrag von Art. 3 Abs. 3 GG
 


Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 16. Juli 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Kommunikation des Klägers mit dem Beklagten per E-Mail im Streit.

Der 1962 geborene, alleinstehende Kläger ist Fachjournalist für IT-Technik. Er leidet an einer psychischen Störung mit funktionellen Organbeschwerden, Schwerhörigkeit, Stimmstörung, Asthma bronchiale, Bluthochdruck, Reizmagen, Gangstörung bei Übergewicht mit Stauungserscheinungen beider Beine, Polyneuropathie, Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden. Nach einer Lungenembolie steht er unter Antikoagulanziendauerbehandlung. Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 70, das Merkzeichen „G“ ist festgestellt. Seit 1. April 2014 bezieht er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung sowie Leistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuches – Sozialhilfe (SGB XII), Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Seit 29. Juli 2019 erhält er weiterhin Leistungen des Pflegegrades 1.

Gegen einen ihm erteilten Leistungsbescheid des Beklagten vom 27. Januar 2021 (Bl. 1538 Verwaltungsakte – VA) legte der Kläger am 27. Januar 2021 per einfacher E-Mail Widerspruch (Bl. 1538 VA) ein, worauf ihm der Beklagte mit Schreiben vom 27. Januar 2021 (Bl. 1553 VA) mitteilte, dass der Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen werden müsse, da die Widerspruchseinlegung per einfacher E-Mail erfolgt sei. Gemäß § 84 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden sei, schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen habe. Nach § 92 SGG, der die Anforderungen an den Inhalt einer Klageschrift normiere, werde zwar überwiegend gefordert, dass an den Widerspruch keine höheren Anforderungen gestellt werden könnten als an die Klage. Gemäß § 60a Abs. 1 SGG könnten die Beteiligten einem Gericht auch elektronischer Dokumente übermitteln, soweit dies für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich durch Rechtsverordnung der Bundesregierung oder der Landesregierung zugelassen worden sei. Nach den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Gerichten und Staatsanwaltschaften sei das Einreichen von elektronischen Dokumenten jedoch lediglich bei den entsprechenden Gerichten und Staatsanwaltschaften zulässig. Für Dokumente, die, wie der Widerspruch, einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstünden, sei eine qualifizierte elektronische Signatur nach § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes (SigG) vorgeschrieben. Diesem Erfordernis entspreche die E-Mail des Klägers nicht. Qualifizierte elektronische Signaturen seien elektronische Signaturen, die auf einem zum Zeitpunkt der Erzeugung gültigen qualifizierten Zertifikat beruhten und mit einer sicheren Signaturerstellungseinheit erzeugt würden. Trotz der Verfügbarkeit moderner Kommunikationsmittel und dem sich allgemein durch Bürgerfreundlichkeit und fehlender Formstrenge auszeichnenden sozialrechtlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren müssten für die Wirksamkeit der Widerspruchseinlegung zur Sicherung der Authentizität- und Sicherungsfunktion besondere Anforderungen erfüllt sein. Für den Widerspruchsgegner müsse erkennbar sein, dass der Widerspruch vom Widerspruchsführer herrühre und dieser die Widerspruchsschrift wissentlich und willentlich in den Verkehr gebracht habe. Diese Sicherung der Authentizität sei durch einfache E-Mails nicht gewährleistet. Der Absender sei nicht ausreichend sicher identifizierbar und es bestehe eine größere Gefahr von Missbrauch und Täuschung durch Unbefugte. Mit am 29. Januar 2021 beim Beklagten eingegangenen Faxschreiben vom 28. Januar 2021 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 27. Januar 2021, der mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2021 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die hiergegen erhobene Klage wurde abgewiesen (Sozialgericht Kassel, Gerichtsbescheid vom 16. Juli 2021, Az. S 12 SO 21/21), das Berufungsverfahren ist unter dem Aktenzeichen L 4 SO 178/21 anhängig.

Am 23. März 2021 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht in Kassel mit dem Begehren erhoben, den Beklagten zu verpflichten, mit ihm generell – auch bei formgebundenen Schriftverkehr, wie z.B. bei der Einlegung von Widersprüchen - per einfacher E-Mail zu kommunizieren.

Er hat vorgetragen, er sei nicht in der Lage einen Briefkasten oder eine Postfiliale aufzusuchen und könne auch seine Wohnung nicht mehr verlassen. Sein eigener Briefkasten werde einmal wöchentlich durch seine Pflegekräfte geleert. Er kommuniziere schon viele Jahre mit dem Beklagten per einfacher E-Mail, dabei sei es nie zu Nachweisproblemen gekommen. Das Verlangen, elektronisch nur noch mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu kommunizieren, sei unsinnige Willkür. Gerade auch schwerbehinderten normalen Bürgern, die nicht mobil seien, werde die Kommunikation massiv erschwert statt eine barrierefreie Kommunikation zu ermöglichen. Die technisch notwendige Ausstattung und der Aufwand, die Kosten in Höhe von ca. 300 Euro verursachten, würden bei der Leistungsbemessung nach dem SGB XII nicht berücksichtigt und müssten – bestehe der Beklagte darauf – vom Beklagten für ihn übernommen werden. Die Kommunikation mit einfacher E-Mail und gegenseitiger Eingangsbestätigung sei jedoch völlig ausreichend.

Der Beklagte hat vorgetragen, die gesetzlich normierte Schriftform des Widerspruchs gemäß § 36 a SGB I könne im formgebundenen Schriftverkehr durch eine elektronische Form nur ersetzt werden, wenn die E-Mail eine qualifizierte elektronische Signatur enthalte. Er hat klarstellend darauf hingewiesen, dass dem Kläger nicht generell jede elektronische Kommunikation per einfacher E-Mail mit der Fachabteilung des Beklagten verwehrt sei. Gerade bezogen auf den Kläger habe sich die E-Mail-Kommunikation zwischen ihm und der Fachabteilung bewährt. Besonderheiten seien aber im Falle rechtserheblicher Erklärungen zu beachten, für die gesetzlich ein Schriftformerfordernis vorgesehen sei, wie z.B. die Einlegung eines förmlichen Widerspruchs. Ferner werde dem Schriftformerfordernis des Widerspruchs auch durch ein schlichtes Telefax genügt, wie es vom Kläger in Fällen der Klageerhebung beim Sozialgericht Kassel bereits wiederholt praktiziert worden sei. Ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers sei nicht gegeben.

Mit Gerichtsbescheid vom 16. Juli 2021 hat das Sozialgericht nach Anhörung der Beteiligten die Klage abgewiesen. Die Klage sei aus den Gründen der Ausführungen des Beklagten im Schreiben vom 27. Januar 2021 und den weiteren Ausführungen des Beklagten im Klageverfahren hierzu unbegründet. Die insoweit geltend gemachten Ansprüche stünden dem Kläger nicht zu. Sinn und Zweck qualifizierter elektronischer E-Mails und deren Bedeutung für einen sicheren Rechtsverkehr bedürften, nicht zuletzt im Hinblick auf die sich jüngst häufenden Hackerangriffe auf Institutionen o.ä., für einen ehemaligen Fachjournalisten für IT-Technik keiner weiteren Erläuterung. Zum Erfordernis der Verwendung elektronisch qualifizierter E-Mails im formgebundenen Rechtsverkehr hat das Sozialgericht auf sozialgerichtliche Rechtsprechung und sozialrechtliche Fachliteratur verwiesen. 

Gegen den ihm am 20. Juli 2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12. August 2021 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. 

Der Kläger trägt vor, es sei aufgrund seiner Schwerbehinderung dringend notwendig, mit Behörden, öffentlichen Einrichtungen und Gerichten jedweder Art einfach und unkompliziert per E-Mail zu kommunizieren. Dies sei zum Beispiel in den USA wie auch in vielen anderen Ländern der Welt nach einmaligem Ausweisen und folgender Registrierung problemlos möglich und zwar auch im Falle von Eingaben, Anträgen, Widersprüchen und Klagen. In Deutschland sei dies noch immer nicht möglich, weil verfügbare Technik von deutschen Behörden und der für die Gerichte zuständigen Verwaltungen nicht professionell angewandt werde. Soweit das Sozialgericht auf sog. Hacker-Angriffe hinweise, seien diese nur möglich, weil unsichere und technisch unzureichende (Server-)Betriebssysteme genutzt und unzureichend gewartet würden. Die Kosten für eine hochqualifizierte tägliche Wartung würden gescheut. Soweit angeboten werde, mit sogenannter DE-Mail über das System EGVP mit Behörden und Gerichten zu kommunizieren, sei dies für Sozialleistungsbezieher wie ihm nicht zu bezahlen, zudem für schwerbehinderte Menschen, die nicht in der Lage seien, sich z. B. für die DE-Mail mittels Personalausweis per Postident in einer Postfiliale auszuweisen. Kosten für DE-Mail und EGVP (digitaler Personalausweis mit Lichtbild ca. 50 Euro, Lesegerät zum Anschluss an den PC ca. 80 Euro, Governikus-EGVP-Software ca. 150 Euro) seien auch nicht in der Regelbedarfsbemessung des SGB XII enthalten. Er habe einen Anspruch auf barrierefreie Kommunikation, er werde benachteiligt in seinen Rechten und Ansprüchen als behinderter Mensch im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) und i. S. des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. 

Der Kläger beantragt (sinngemäß), 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 16. Juli 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, mit ihm generell per einfacher E-Mail zu kommunizieren und es ihm gleichzeitig und insbesondere zu erlauben, formgebundenen Schriftverkehr, wie z.B. bei der Einlegung von Widersprüchen, per einfacher E-Mail zu führen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er macht sich die Begründung der Entscheidung des Sozialgerichts, die er für zutreffend hält, zu Eigen und verweist weiterhin auf seine Ausführungen im Schreiben vom 27. Januar 2021 und im erstinstanzlichen Verfahren.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der im Verfahren L 4 SO 178/21 und L 4 SO 182/21 vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte trotz des Ausbleibens der Beteiligten aufgrund des Termins zur mündlichen Verhandlung vom 18. Oktober 2023 entscheiden, weil sie mit der Terminmitteilung vom 18. September 2023 ordnungsgemäße Mitteilung vom Termin erhalten haben und darauf hingewiesen worden sind, dass auch im Falle ihres Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann (§ 110 SGG). Die Terminmitteilungen sind dem Kläger am 5. Oktober 2023 durch Einlegung in den Briefkasten seiner Wohnung und dem Beklagten am 4. Oktober 2023 jeweils zugestellt worden.

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Die Klage ist, soweit der Kläger die Verpflichtung des Beklagten begehrt, mit ihm außerhalb des formgebundenen Schriftverkehrs per einfacher E-Mail zu kommunizieren, bereits unzulässig. 

Dem Begehren fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, da der Beklagte dem Kläger entsprechend dem Grundsatz der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens, vgl. § 9 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (vgl. hierzu Schütze/Roller, 9. Aufl. 2020, SGB X § 9 Rn. 4, 5), die Kommunikation mittels einfacher E-Mail nicht generell verwehrt, sondern vielmehr in der Vergangenheit – das ist aus den in den Verfahren L 4 SO 178/21 und L 4 SO 182/21 vorgelegten Verwaltungsvorgängen deutlich ersichtlich – ermöglicht und auch selbst – im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen – genutzt hat. Der Beklagte hat dementsprechend bereits erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 21. April 2021 (Bl. 12 Gerichtsakte) klargestellt, dass sich diese Art der Kommunikation zwischen den Beteiligten bewährt hat. Eine gerichtliche Entscheidung ist daher nicht geeignet, die Rechtsposition des Klägers zu verbessern.

Die Klage ist jedenfalls unbegründet, soweit der Kläger die Verpflichtung des Beklagten begehrt, formgebundenen Schriftverkehr, insbesondere die Einlegung von Widersprüchen, mittels einfacher E-Mail zuzulassen. 

Nach § 84 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unterliegt der Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt Formerfordernissen. Er ist schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buches (SGB I) – Allgemeiner Teil – oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Durch die Erwähnung der elektronischen Form nach § 36a Abs. 2 SGB I in § 84 SGG (in der seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung) ist deutlich, dass nach dem SGG nicht die einfache E-Mail ausreicht, sondern dass die Erfordernisse einer qualifizierten elektronischen Signatur bzw. die Versendung eines elektronischen Dokuments an die Behörde mit der Versandart nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes oder durch sonstige sichere Verfahren, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, welche den Datenübermittler (Absender der Daten) authentifizieren und die Integrität des elektronisch übermittelten Datensatzes sowie die Barrierefreiheit gewährleisten, erfüllt sein müssen (§ 36a Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 und 4 SGB I). Dies entspricht dem Sinn der Regelung des § 84 Abs. 1 SGG, dass nämlich nur solche an die Behörde gerichtete Schreiben als Widerspruch gewertet werden, aus denen sich klar ergibt, dass sie von dem Betreffenden willentlich in den Verkehr gebracht worden sind. Es ist daher auch allgemeine Meinung, dass durch die einfache E-Mail die Form nicht gewahrt ist (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 84 Rn. 3 m. w. N. der Rechtsprechung; Becker in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK, Stand 1. August 2023, § 84 SGG, Rn 9; Gall in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 84 SGG [Stand: 15. Juni 2022], Rn. 15; H. Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl., § 84 SGG [Stand: 4. Oktober 2023], Rn. 167; Jüttner in: Fichte/Jüttner, SGG, § 84 [Frist und Form], Rn. 4; Binder in Berchtold, HK-SGG, 6. Auflage 2021, SGG § 84 Rn. 4, beck-online; HLSG, Beschluss vom 11. Juli 2007 – L 9 AS 161/07 ER –, Rn. 6, juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 4. November 2021 – L 11 AS 632/20 –, Rn. 20 - 23, juris; zur Einhaltung des Formerfordernisses bei Stellung eines PKH-Antrags bei Gericht vgl. BSG, Beschluss vom 30. Januar 2017 – B 1 KR 14/16 S –, Rn. 5, juris; bzw. bei Berufungseinlegung: BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016 – B 4 AS 1/16 R –, BSGE 122, 71, juris Rn. 11; zur Beschwerdeeinlegung BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2020 – 2 WRB 1/20 –, BVerwGE 169, 112, juris Rn. 15). 

Auch sonstiger formgebundener Schriftverkehr ist nur unter den Bedingungen von § 36a SGB I in elektronischer Form möglich. Die Vorschrift lautet:
(1) Die Übermittlung elektronischer Dokumente ist zulässig, soweit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet.
(2) 1Eine durch Rechtsvorschrift angeordnete Schriftform kann, soweit nicht durch Rechtsvorschrift etwas anderes bestimmt ist, durch die elektronische Form ersetzt werden. 2Der elektronischen Form genügt ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist. 3Die Signierung mit einem Pseudonym, das die Identifizierung der Person des Signaturschlüsselinhabers nicht unmittelbar durch die Behörde ermöglicht, ist nicht zulässig. 4Die Schriftform kann auch ersetzt werden 
1. durch unmittelbare Abgabe der Erklärung in einem elektronischen Formular, das von der Behörde in einem Eingabegerät oder über öffentlich zugängliche Netze zur Verfügung gestellt wird;
2. bei Anträgen und Anzeigen durch Versendung eines elektronischen Dokuments an die Behörde mit der Versandart nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes; 
3. bei elektronischen Verwaltungsakten oder sonstigen elektronischen Dokumenten der Behörden durch Versendung einer De-Mail-Nachricht nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes, bei der die Bestätigung des akkreditierten Diensteanbieters die erlassende Behörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lässt; 
4. durch sonstige sichere Verfahren, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, welche den Datenübermittler (Absender der Daten) authentifizieren und die Integrität des elektronisch übermittelten Datensatzes sowie die Barrierefreiheit gewährleisten; der IT-Planungsrat gibt Empfehlungen zu geeigneten Verfahren ab.
5In den Fällen des Satzes 4 Nummer 1 muss bei einer Eingabe über öffentlich zugängliche Netze ein elektronischer Identitätsnachweis nach § 18 des Personalausweisgesetzes, nach § 12 des eID-Karte-Gesetzes oder nach § 78 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes erfolgen; in der Kommunikation zwischen dem Versicherten und seiner Krankenkasse kann die Identität auch mit der elektronischen Gesundheitskarte nach § 291a des Fünften Buches oder mit der digitalen Identität nach § 291 Absatz 8 des Fünften Buches elektronisch nachgewiesen werden.
(2a) 1Ist durch Rechtsvorschrift die Verwendung eines bestimmten Formulars vorgeschrieben, das ein Unterschriftsfeld vorsieht, wird allein dadurch nicht die Anordnung der Schriftform bewirkt. 2Bei einer für die elektronische Versendung an die Behörde bestimmten Fassung des Formulars entfällt das Unterschriftsfeld.
(3) 1Ist ein der Behörde übermitteltes elektronisches Dokument für sie zur Bearbeitung nicht geeignet, teilt sie dies dem Absender unter Angabe der für sie geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mit. 2Macht ein Empfänger geltend, er könne das von der Behörde übermittelte elektronische Dokument nicht bearbeiten, übermittelt sie es ihm erneut in einem geeigneten elektronischen Format oder als Schriftstück.
(4) 1Die Träger der Sozialversicherung einschließlich der Bundesagentur für Arbeit, ihre Verbände und Arbeitsgemeinschaften verwenden unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit im jeweiligen Sozialleistungsbereich Vertrauensdienste, die eine gemeinsame und bundeseinheitliche Kommunikation und Übermittlung der Daten und die Überprüfbarkeit der qualifizierten elektronischen Signatur auf Dauer sicherstellen. 2Diese Träger sollen über ihren jeweiligen Bereich hinaus Vertrauensdienste im Sinne des Satzes 1 verwenden. 3Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für die Leistungserbringer nach dem Fünften und dem Elften Buch und die von ihnen gebildeten Organisationen.

§ 36a SGB I und § 84 SGG stellen zwingendes Gesetzesrecht dar und sind daher in ihrem Geltungsbereich anzuwenden, auch wenn andere Rechtsordnungen – wie der Kläger ausführt – insoweit weniger strenge Anforderungen an die elektronische Kommunikation stellen sollten.

Auch aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) folgt für das Begehren des Klägers nichts Anderes. 

Aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ergibt sich für den Staat ein Auftrag, Menschen wirksam davor zu schützen, wegen einer Behinderung benachteiligt zu werden. Eine Benachteiligung wegen einer Behinderung liegt vor, wenn einem Menschen wegen einer Behinderung Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten vorenthalten werden, die anderen offenstehen, soweit dies nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahme hinlänglich kompensiert wird (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – 1 BvR 1541/20 –, BVerfGE 160, 79, juris Rn. 91). Als subjektives Abwehrrecht umfasst Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG das Verbot unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung, also von Unterscheidungen mit benachteiligender Wirkung. Diese liegt nicht nur bei Regelungen und Maßnahmen vor, die die Situation von Behinderten verschlechtern, sondern auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt, der nicht hinlänglich kompensiert wird. Eine rechtliche Schlechterstellung von behinderten Menschen ist nur dann zu rechtfertigen, wenn sie unerlässlich ist, um behindertenbezogenen Besonderheiten Rechnung zu tragen (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – 1 BvR 1541/20 –, BVerfGE 160, 79, Rn. 93).

Beim Kläger liegt zwar eine Behinderung vor, wie sich zwanglos aus dem bei ihm festgestellten Grad der Behinderung von 70 und dem Merkzeichen „G“ ergibt. Indessen fehlt es bereits an einer Benachteiligung wegen der bei ihm bestehenden Behinderungen, soweit § 84 SGG auch von ihm die Einhaltung des dort statuierten Formerfordernisses bei der Widerspruchseinlegung auferlegt. Denn er ist hierdurch nicht in seine Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten – hier konkret der Möglichkeit der Erhebung des zur Durchführung des Vorverfahrens nach § 78 SGG erforderlichen Widerspruchs und damit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG – benachteiligt, selbst wenn man die von ihm mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2023 beschriebenen, sich nach seinem Vortrag ergebenden Erschwernisse bei der Einrichtung eines § 84 Satz 1 i. V. m. § 36a Abs. 2 SGB I konformen Übertragungswegs bzw. einer Möglichkeit zur qualifizierten elektronischen Signatur berücksichtigt. Denn dem Kläger steht – weiterhin – die von ihm auch gegenüber dem Gericht genutzte Möglichkeit der Widerspruchseinlegung mittels Faxschreiben zur Verfügung.

Art. 3 Abs. 3 GG beinhaltet außer einem Benachteiligungsverbot auch einen Förderauftrag. Er vermittelt einen Anspruch auf die Ermöglichung gleichberechtigter Teilhabe nach Maßgabe der verfügbaren finanziellen, personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten. Dem Gesetzgeber steht bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten grundsätzlich ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Dessen Umfang hängt von verschiedenen Faktoren ab, im Besonderen von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs und der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter. Aus einer grundrechtlichen Schutzpflicht folgt in der Regel keine bestimmte Handlungsvorgabe. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers kann sich nur unter besonderen Umständen so verengen, dass allein durch eine bestimmte Maßnahme dem Schutzgebot Genüge getan werden kann. Innerhalb seines Spielraums kann sich der Gesetzgeber für Regelungen des materiellen Rechts ebenso entscheiden wie für solche des Verfahrensrechts, soweit dies für einen effektiven Grundrechtsschutz erforderlich ist (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – 1 BvR 1541/20 –, BVerfGE 160, 79, juris Rn. 99 m. w. N.). 

Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Grundsätze besteht für den Senat keine Veranlassung, § 84 SGG bzw. § 36a SGB I über ihren klaren Wortlaut hinaus dahingehend auszulegen, dass dem Kläger formgebundener Schriftverkehr mittels einfacher E-Mail zu ermöglichen ist. Denn jedenfalls vor dem Hintergrund der Möglichkeit, Rechtsbehelfe mit Faxschreiben formgerecht zu erheben, verengt sich die sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ergebende Schutzpflicht insoweit nicht. Vielmehr bleibt es dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit überlassen, den barrierefreien Zugang zu behördlichem und gerichtlichem Rechtsschutz näher auszugestalten. Soweit der Kläger auf sozialgerichtliche Rechtsprechung hinsichtlich des Anspruchs auf barrierefreie Zugänglichkeitsmachung von Dokumenten hinweist (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Oktober 2012, L 18 AS 2413/12 B ER, Sächs. LSG, Urteil vom 16. März 2016, L 8 SO 10/14, SG Hamburg, Urteil vom 30. Juni 2023, S 39 AS 517/23), befassen sich diese Entscheidungen nicht mit den Formerfordernissen von § 84 SGG und § 36a SGB I.

Auch aus Art. 13 Abs. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN- Behindertenrechtskonvention, UN-BRK), nach dem die Vertragsstaaten Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksamen Zugang zur Justiz gewährleisten, unter anderem durch verfahrensbezogene und altersgemäße Vorkehrungen, um ihre wirksame unmittelbare und mittelbare Teilnahme, einschließlich als Zeugen und Zeuginnen, an allen Gerichtsverfahren, auch in der Ermittlungsphase und in anderen Vorverfahrensphasen, zu erleichtern, ergibt sich nichts anderes. Die Norm steht im Rang einfachen Bundesrechts (vgl. Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008, BGBl. II 2008, 1419) und stellt verbindliches Recht dar. Jedenfalls Art. 13 des Abkommens ist allerdings nicht unmittelbar anzuwenden. Dem Abkommen kommt gegenüber dem nationalen Recht kein Anwendungsvorrang zu (vom Stein/Rothe/Schlegel Gesundheitsmanagement, § 23. Arbeitsunfähigkeit und Behinderung infolge Krankheit Rn. 20, beck-online). Die oben genannten Maßstäbe zur Auslegung von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG tragen den in der Auslegung des Grundgesetzes zu beachtenden völkerrechtlichen Verpflichtungen jedoch bereits Rechnung (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – 1 BvR 1541/20 –, BVerfGE 160, 79, juris Rn. 100).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
 

Rechtskraft
Aus
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