S 6 KR 74/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 6 KR 74/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 385/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 25/23 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid


Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld, insbesondere über den Fortbestand der Arbeitsunfähigkeit über den 5. Dezember 2018 hinaus. 

Der Kläger, geboren 1959, ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er bezog seit dem 8. Januar 2018 Krankengeld von der Beklagten. Auf den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen war als AU-begründende Diagnose jeweils M54.19 G (Radikulopathie) bzw. M23.39 G B (sonstiger Meniskusschaden) angegeben. Zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit bezog der Kläger Arbeitslosengeld I. Der Anspruch auf diese Leistung war seit dem 14. Januar 2018 erschöpft. 
Die Beklagte veranlasste im November 2018 eine Überprüfung des Fortbestands der Arbeitsunfähigkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), der in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 22. November 2018 feststellte, dass bei dem Kläger eine alte Ruptur des vorderen Kreuzbandes linksseitig mit einem Außenmeniskusschaden und drittgradigem Knorpelschaden retropatellar links bestand. Am rechten Knie bestand eine alte inkomplette Ruptur des vorderen Kreuzbandes mit ebenfalls drittgradigem Knorpelschaden retropatellar rechts sowie ein Innenmeniskushinterhornriss. Für die zusätzlich festgestellte Lumbago sei eine physiotherapeutische Behandlung empfohlen. Es bestehe keine Arbeitsunfähigkeit.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen stellte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld mit Bescheid vom 29. November 2018 zum 5. Dezember 2018 ein. Seinen Widerspruch vom 6. Dezember stützte der Kläger im Wesentlichen auf die medizinische Einschätzung seines Hausarztes, der ihn weiter für arbeitsunfähig halte.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2019 zurück. Beim Kläger bestehe ein vollschichtiges Leistungsbild für körperlich leichte Tätigkeiten. 
Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 19. März 2019 zum Sozialgericht Marburg erhobene Klage, zu deren Begründung der Kläger vorträgt, dass sich zwischenzeitlich die gesicherte Diagnose einer Fibromyalgie ergeben habe. Diese Erkrankung sei nicht „hinzugetreten“, sondern sei bereits auch im Zeitraum des Krankengeldbezuges vorhanden gewesen. Lediglich die Diagnose sei später gestellt worden. 

Der Kläger beantragt, 
den Bescheid der Beklagten vom 29. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, an ihn Krankengeld über den 5. Dezember 2018 hinaus zu zahlen. 

Die Beklagte beantragt, 
die Klage abzuweisen. 

Sie verweist im Wesentlichen auf die Gründe des Widerspruchsbescheides.

Das Gericht hat die Akte zum parallel geführte Rentenverfahren zum Aktenzeichen S 4 R 163/19 zum Verfahren beigezogen und die medizinischen Unterlagen zur Akte genommen. In diesem Verfahren hat der Kläger seine Klage zurückgenommen. 
Die Beklagte hat den MDK erneut um eine Begutachtung gebeten. Dieser hat in seiner Stellungnahme vom 6. Juli 2020 seine bisherige Einschätzung aufrechterhalten. 

Der Kläger hat weitere medizinische Unterlagen zur Akte gereicht. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren. 


Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden. Die Sache hat keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art, und der Sachverhalt ist geklärt. Die Beteiligten wurden hierzu auch angehört.

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 29. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld über den 5. Dezember 2018 hinaus. 

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben gesetzlich Krankenversicherte wie der Kläger Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Arbeitsunfähigkeit liegt nach der Begriffskonkretisierung der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, Urt. v. 14. Februar 2001 - B 1 KR 30/00 R; 4. April 2006 - B 1 KR 21/05 R), die auch in die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien übernommen, dann vor, wenn der Betroffene seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles aus dem Krankengeld-Schutz resultierenden Versicherungsverhältnis konkret ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, verrichten kann. Ist der Versicherte – wie vorliegend der Kläger – bereits bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit arbeitslos, so besteht nicht mehr der Bezugspunkt einer vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit unmittelbar ausgeübten Beschäftigung. Denn ein Krankengeld-Schutz vermittelndes Beschäftigungsverhältnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V besteht nicht mehr, sondern ein Krankenversicherungsverhältnis aus der Krankenversicherung der Arbeitslosen, § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V.

Dann sind Maßstab der Arbeitsunfähigkeit alle Beschäftigungen, für welche sich die Versicherten der Arbeitsverwaltung zwecks Vermittlung zur Verfügung gestellt haben und welche ihnen arbeitslosenversicherungsrechtlich zumutbar sind. Einen darüberhinausgehenden krankenversicherungsrechtlichen „Berufsschutz" gibt es auch insoweit nicht (BSG, Urt. v. 4. April 2006 - B 1 KR 21/05 R).

In Anwendung dieser Grundsätze sind Maßstab für das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit über den 5. Dezember 2018 hinaus vorliegend alle Tätigkeiten, die der allgemeine Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt. 

Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt war der Kläger zur Überzeugung der Kammer zum streitgegenständlichen Zeitpunkt mit gewissen medizinisch bedingten Einschränkungen vermittelbar. In Würdigung der beigezogenen medizinischen Unterlagen, insbesondere des fachorthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. F. vom 4. Juni 2018 aus dem parallel geführten Rentenverfahren zum Aktenzeichen S 4 R 163/19, ist festzustellen, dass der Kläger noch ein positives vollschichtiges Leistungsbild auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hatte für leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, wobei Einschränkungen hinsichtlich des Gehens weiter Gehstrecken und auf unwegsamem Gelände sowie das Klettern auf Leiten bestanden. Alle übrigen medizinischen Unterlagen, die aktenkundig geworden sind, stehen dieser Einschätzung nicht entgegen. Entgegen der Auffassung des Klägers gibt es insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass sich das Beschwerdebild im Laufe des Jahres 2018 wesentlich verändert hatte, so dass nur von vorübergehender Arbeitsunfähigkeit bei grundsächlich bestehender Erwerbsfähigkeit ausgegangen werden könnte. Vielmehr ergibt sich aus den medizinischen Unterlagen insgesamt ein medizinischer Dauerzustand. 
Soweit der in dieser Hinsicht beweisbelastete Kläger im Klageverfahren vorträgt, es sei eine Fibromyalgie aufgetreten, die seine Leistungsfähigkeit auch schon im Jahr 2018 beeinträchtigt habe, so fehlt es hierzu an jeglicher Anknüpfungstatsache. Vielmehr hat der Kläger auf ausdrückliche Anfrage des Gerichts diesbezüglich einen Arztbericht von Dr. S. vom 3. April 2019 – also 4 Monate nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt angefertigt – vorgelegt, der jedoch für die Beurteilung des Gesundheitszustandes im Dezember 2018 keine Aussagekraft hat. 

Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache. 
 

Rechtskraft
Aus
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