L 3 AS 525/21

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 29 AS 3957/18
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 525/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine Studentin, die sich während eines Urlaubssemester wegen Mutterschutz, Schwangerschaft und Elternzeit ausschließlich auf eine Wiederholungsprüfung und dies im Umfang von 2 bis maximal 6 Stunden in der Woche vorbereitet, unterfällt nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II.

      1. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Dresden vom 13. April 2021 aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, die Bescheide vom 27. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2018 abzuändern, soweit für die Zeit vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. Januar 2017 ein Leistungsausschluss für die Klägerin festgestellt wird, sowie der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe und im Umfang der gesetzlichen Bestimmungen für diese Zeit zu bewilligen und den Erstattungsbescheid insofern abzuändern.
      2. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen zu erstatten.
      3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Die Klägerin begehrt die endgültige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) auch für die Zeit vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. Januar 2017 und wendet sich insofern gegen den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II.

 

Die 1988 geborene Klägerin bildete im streitbefangenen Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Partner Y...., einem selbstständig tätigen Künstler, und dem gemeinsamen am 25. Mai 2015 geborenen Sohn X.....

 

Die Klägerin war seit dem 1. Oktober 2007 im Studiengang Mathematik mit dem angestrebten Abschluss Diplom an der Technischen Universität A.... immatrikuliert. Dabei handelte es sich um ein Präsenzstudium in Vollzeit mit einer Regelstudienzeit von 9 Semestern.

 

Im Sommersemester 2010 war die Klägerin erstmals zur Vorbereitung auf eine Prüfung beurlaubt worden. Die Förderungshöchstdauer nach dem Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz – BAföG) lief Ende September 2012 ab. Zu diesem Zeitpunkt waren noch Leistungen bis zum Diplom offen. Aus diesem Grund wurde der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ab Oktober 2012 abgelehnt. Zum Ende des Wintersemesters 2014/2015 fehlten der Klägerin zum Abschluss des Studiums noch zwei Semesterwochenstunden Prüfungsvorleistung Spezialisierung, drei Diplomprüfungen (reine Mathematik, angewandte Mathematik und Spezialisierung) sowie die Diplomarbeit.

 

Die Klägerin war wegen Mutterschutz, Schwangerschaft und Elternzeit ab dem Sommersemester 2015 bis einschließlich Sommersemester 2018 von der Universität beurlaubt worden.

 

Der Beklagte bewilligte der Klägerin und ihren Familienangehörigen mit Bescheid vom 4. August 2016 vorläufig laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 1. August 2016 bis zum 31. Januar 2017. Als Grund für die Vorläufigkeit wurde § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II und das Einkommen des Partners aus selbstständiger Tätigkeit angegeben. Mit Änderungsbescheiden vom 15. August 2016 und vom 26. November 2016 wurden Änderungen bei der Miete und beim Regelsatz berücksichtigt, wobei die Bewilligung auf Grund des Einkommens aus der selbstständigen Tätigkeit des Partners weiterhin vorläufig erfolgte.

 

Die Klägerin legte auf Anforderung dem Beklagten am 29. April 2017 die Immatrikulationsbescheinigungen für das Wintersemester 2015/2016 bis zum Wintersemester 2017/2018 vor. Zudem gab sie an, Vorlesungen nicht zu besuchen, aber zum Beispiel die Bibliothek nutze. Eine "Bestätigung über Studien- und Prüfungsleistungen“ der Technischen Universität A.... vom 11. April 2017 weist aus, dass die Klägerin im Sommersemester 2016 weder Studien- noch Prüfungsleistungen erbracht habe. Im Wintersemester 2015/2016 habe sie eine Fachprüfung nicht bestanden. Nach der Prüfungsordnung müssten nicht bestandene Fachprüfungen innerhalb eines Jahres wiederholt werden. Die Wiederholungsprüfung habe die Klägerin im Wintersemester 2016/2017 erfolglos absolviert hat. Es handele sich um ein offenes Prüfungsverfahren. Bei dem Inhalt der Prüfung handele es sich um keine aktuell angebotenen Lehrveranstaltungen. Die Universität habe der Klägerin zur Absolvierung der Prüfung geraten, um das Studium abzuschließen.

 

Für die Nachprüfung im Wintersemester 2016/2017 lernte die Klägerin allein während der Betreuungszeit ihres Kindes im bezahlten „Campusnest“ für 2 bis maximal 6 Stunden in der Woche in der Bibliothek der Universität. Ein Block für je 2 Stunden die Woche war fest gebucht; für die Zeit vom 1. Oktober 2016 bis zum 17. November 2016 buchte die Klägerin 8 Blöcke zu je 2 Stunden und bis zum 26. Januar 2017 noch 4 Blöcke hinzu. Weitere Studienanstrengungen unternahm sie nicht. Sie nahm an keiner Lehrveranstaltung teil. Der Partner der Klägerin war sehr oft krank und konnte die Klägerin bei der Betreuung des Kindes nicht unterstützen.

 

Am 3. Mai 2017 wurde der zweite gemeinsame Sohn, W...., geboren.

 

Eine erneute Wiederholungsprüfung fand im Wintersemester 2017/2018, am 15. Februar 2018, statt. Mit dem Wintersemester 2018 ist die Klägerin in den Studiengang Mathematik mit einem angestrebten Abschluss Bachelor im Präsenzstudium in Vollzeit bei einer Regelstudienzeit von 6 Semestern an der Technischen Universität A.... gewechselt, wobei sie in das 3. Fachsemester eingestuft wurde.

 

Am 6. September 2017 beantragten die Klägerin und ihre Familienangehörigen die endgültige Festsetzung der Leistungen für die Zeit vom 1. August 2016 bis zum 31. Januar 2017.

 

Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 27. April 2018 die Leistungen endgültig fest. Er legte der Festsetzung zu Grunde, dass für die Klägerin vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. Januar 2017 ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II bestanden und lediglich ein Anspruch auf Mehrbedarf für werdende Mütter bestanden habe.

 

Mit Bescheid vom 27. April 2018 stellte der Beklagte gegenüber der Klägerin die nach der endgültigen Bewilligung zu erstattende Überzahlung nach Verrechnung mit der Nachzahlung in Höhe von 1.525,88 EUR fest.

 

Gegen die Bescheide wandte sich die Klägerin mit Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2018 zurückgewiesen wurde. Die Klägerin habe im Wintersemester 2016/2017 im Zeitraum vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. Januar 2017 Prüfungsleistungen erbracht, so dass sie in dieser Zeit von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Bei der Berechnung des fiktiven Bedarfs sei jedoch ab dem 19. Oktober 2016 ein Mehrbedarf für werdende Mütter zu berücksichtigen. Die sich für die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergebenden höheren Ansprüche seien nachgezahlt worden.

 

Die Klägerin hat am 19. November 2018 Klage erhoben und geltend gemacht, dass die Bewilligung nur hinsichtlich des Einkommens des Partners vorläufig gewesen sei und daher die endgültige Bewilligung nicht auf § 41a SGB II gestützt werden könne. Ein Leistungsausschluss scheide zudem aus, da sie schwanger gewesen sei und lediglich an einer Wiederholungsprüfung teilgenommen habe. Jedenfalls sei ein Härtefall nach § 27 Abs. 3 SGB II gegeben, da das Studium bereits weit fortgeschritten gewesen sei und eine Selbsthilfemöglichkeit auf Grund der Betreuungspflicht für den Sohn nicht bestanden habe.

 

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. April 2021 abgewiesen. Eine Leistungsbewilligung würde eine verdeckte Förderung über die vorgesehene Förderungshöchstdauer bedeuten. Es sei gerade nicht in besonderem Maße unzumutbar und unbillig, wenn die Klägerin von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen bleibe. Bei der Abwägung sei insbesondere zu beachten, dass der Klägerin andere Selbsthilfemöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten. So sei der erste Sohn bereits über ein Jahr alt gewesen und der zweite Sohn erst mehr als 3 Monate nach Ablauf des streitgegenständlichen Zeitraumes geboren worden. Die Klägerin hätte ihren Lebensunterhalt neben dem Studium durch Nebenjobs finanzieren können, da eine anderweitige Betreuung für den ersten Sohn durch den Partner oder eine Betreuungseinrichtung hätte sichergestellt werden können. Ein Härtefall liege nicht vor, da das Studium nicht in absehbarer Zeit abgeschlossen worden wäre. Zudem habe die Klägerin die Regelstudienzeit von 9 Semestern bereits vor Mutterschutz und Elternzeit überschritten.

 

Die Klägerin hat sich gegen den Gerichtsbescheid am 10. Mai 2021 mit der Berufung gewandt. Auf Grund der neuen Weisungslage der Bundesagentur für Arbeit und des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei es dem Beklagten verwehrt, sich auf einen Leistungsausschluss zu berufen. Sie, die Klägerin, sei zu den finanziellen Folgen ihrer Entscheidung nicht beraten worden. Zudem müsse nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes auch von einem Härtefall ausgegangen werden.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 13. April 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Bescheide vom 27. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2018 abzuändern, soweit für die Zeit vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. Januar 2017 ein Leistungsausschluss für die Klägerin nach § 7 Abs. 5 und 6 SGB II festgestellt wird, sowie der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) für diese Zeit zu bewilligen und den Erstattungsbescheid insofern abzuändern.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Änderung der Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit habe keine Auswirkung für die Klägerin. Sie habe eine umfangreiche Wiederholungsprüfung unter Nutzung der Bibliothek der Hochschule absolviert. Auch ein Härtefall komme nicht in Betracht, da das Studium noch nicht weit fortgeschritten gewesen sei. Der Beklagte könne nicht verpflichtet sein, zum Leistungserhalte zum Abbruch des Studiums zu raten.

 

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte beider Instanzen und die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 13. April 2021 der Bescheid des Beklagten vom 27. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2018 und somit die endgültig zu bewilligenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. Januar 2017, soweit darin rückwirkend ein Leistungsausschluss bei der Klägerin festgestellt wird, sowie die festgestellte Erstattungsforderung in Höhe von 1.525,88 EUR. Die vorläufige Leistungsbewilligung hat sich durch die endgültige Bewilligung erledigte (§ 39 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – [SGB X]; BSG, Urteil vom 30. März 2017 – B 14 AS 18/16 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 81 = juris Rndr. 9)

 

Mit der Klage hiergegen und dem Vorbringen, eine Erstattung sei nicht zu leisten, da ihr nicht die endgültig bewilligten, sondern höhere Leistungen zustünden, begehrt die Klägerin eine Korrektur der Entscheidung des Beklagten über die abschließend festzusetzenden und die zu erstattenden Leistungen. Für eine isolierte Anfechtung des endgültigen Leistungsbescheides mit dem Ziel, die vorläufig bewilligten Leistungen weiter behalten zu dürfen, hätte das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt, weil der Beklagte die eingeleitete endgültige Feststellung des Leistungsanspruchs für den streitbefangenen Zeitraum durch Verwaltungsakt abzuschließen hat (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 4 AS 39/17 RBSGE 126, 294 ff. – SozR 4-4200 § 41a Nr. 1 = juris Rdnr. 10 und 32 m. w. N.) und daher die Aufhebung des endgültigen Bescheides oder des Erstattungsbescheids allein den Rechtsstreit nicht dauerhaft beenden könnte. Die Klägerin hat am 6. September 2017 eine endgültige Festsetzung der Leistungen beantragt.

 

Zutreffend verfolgt die Klägerin daher ihr Klagebegehren im Wege der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, § 56 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 – B 14 AS 22/16 RNJW 2017, 2493 = juris Rdnr. 10 f.) gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (vgl. § 130 Abs. 1 SGG).

 

II. Die so verstandene Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist aufzuheben und der Beklagte zu verpflichten, die Bescheide vom 27. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2018 abzuändern, soweit für die Zeit vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. Januar 2017 ein Leistungsausschluss für die Klägerin festgestellt wird, der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe und im Umfang der gesetzlichen Bestimmungen für diese Zeit zu bewilligen sowie den Erstattungsbescheid insofern abzuändern.

 

1. Rechtsgrundlage des Anspruchs der Klägerin auf abschließend höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den streitbefangenen abgeschlossenen Zeitraum ist in materiell-rechtlicher Hinsicht § 19 i. V. m. §§ 7 ff. und §§ 20 ff. SGB II in der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Fassung (Geltungszeitraumprinzip; vgl. letztens BSG, Urteil vom 9. März 2022 – B 7/14 AS 79/20 R – BSGE 133, 297 ff. = SozR 4-4200 § 7 Nr. 62 = juris Rdnr. 12), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3159).

 

a) Die Klägerin erfüllte in dem streitbefangenen Zeitraum die Grundvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Sie hatte das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Sie hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Ferner war sie erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit § 8 Abs. 1 SGB II, das heißt, sie war nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Gegenteiliges ist weder vorgetragen noch ist diesbezüglich etwas ersichtlich.

 

b) Die Klägerin unterfiel nicht den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II.

 

(1) Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderfähig ist, über die Leistungen nach § 27 SGB II hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.

 

Der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II liegt die Erwägung zugrunde, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz oder eine Förderung gemäß §§ 60 bis 62 SGB III (vgl. hierzu § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II) auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und die Grundsicherung nach dem SGB II nicht dazu dienen soll, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung im SGB II soll die nachrangige Grundsicherung (vgl. § 3 Abs. 3 SGB II) mithin davon befreien, eine – versteckte – Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen. Wie beide für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des Bundessozialgerichtes in ständiger Rechtsprechung entschieden haben, zieht allein die Förderungsfähigkeit der Ausbildung dem Grunde nach die Rechtsfolge des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II, also den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, nach sich. Individuelle Versagensgründe, die im Verhältnis zum Träger der Ausbildungsförderleistung eingetreten sind, bleiben demgegenüber außer Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 30. September 2008 – B 4 AS 28/07 RSozR 4-4200 § 7 Nr. 9 = juris Rdnr. 17; BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 67/08 RFEVS 61, 104 ff. = juris Rdnr. 14; BSG, Urteil vom 19. August 2010 – B 14 AS 24/09 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 20 = juris Rdnr. 17; BSG, Urteil vom 27. September 2011 – B 4 AS 145/10 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 26 = juris Rdnr. 12).

 

(2) Bei dem von der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum absolvierten Hochschulstudium handelt es sich um eine dem Grunde nach förderfähige Ausbildung (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BAföG) im Sinne des § 7 Abs. 5 SGB II. Die Klägerin war seit dem Wintersemester 2007/2008 im Studiengang Mathematik mit dem angestrebten Abschluss Diplom an der Technischen Universität A.... immatrikuliert. Dass die Klägerin im maßgebenden Bewilligungszeitraum keine BAföG-Leistungen bezog, hatte seine Ursache in dem wegen Mutterschutz, Schwangerschaft und Elternzeit genommenen Urlaubssemester, das heißt an individuellen, in der Person der Klägerin liegenden Gründen. Zudem hatte die Klägerin die Förderungshöchstdauer (vgl. hierzu § 15a BAföG) überschritten.

 

(3) Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist ein Studierender während eines Urlaubssemesters dann nicht von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen, wenn er in dieser Zeit aus organisationsrechtlichen Gründen der Hochschule nicht mehr angehört oder die organisationsrechtliche Zugehörigkeit zwar weiterhin vorliegt, er sein Studium jedoch tatsächlich nicht betreibt (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012 – B 4 AS 102/11 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 27 = juris Rdnr. 17; BSG, Urteil 22. August 2012 – B 14 AS 197/11 R – juris Rdnr. 18).

 

Im Einzelnen hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 22. März 2012 (a. a. O., Rdnr. 16 und 17) ausgeführt:

„Voraussetzung für die Förderungsfähigkeit einer Ausbildung dem Grunde nach ist zunächst der 'Besuch' einer Ausbildungsstätte (im Sinne der organisatorischen Zugehörigkeit zu dieser Ausbildungsstätte, vgl dazu im Einzelnen Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, 4. Aufl 2005, § 2 RdNr 98 f), die sich den in § 2 Abs 1 BAföG genannten Ausbildungsgattungen zuordnen lässt. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG besucht ein Auszubildender eine Ausbildungsstätte, solange er dieser organisationsrechtlich angehört und die Ausbildung an der Ausbildungsstätte tatsächlich betreibt (vgl BVerwGE 49, 275; 55, 288; 57, 21). Bei einer Hochschulausbildung begründet der Auszubildende seine Zugehörigkeit zu der Universität durch die Immatrikulation, die ihrerseits die Einschreibung in eine bestimmte Fachrichtung notwendig macht (BVerwG Urteil vom 28.11.1985 – BVerwG 5 C 64/82, FamRZ 1986, 397). Es kommt mithin bei einem Urlaubssemester für die Förderfähigkeit dem Grunde nach sowohl auf die organisationsrechtliche Zugehörigkeit des Studierenden zu der Ausbildungsstätte an, die mit einer bestimmten Fachrichtung verknüpft sein muss, als auch auf ein tatsächliches Betreiben des Studiums.

Hieraus folgt: Gehört der Studierende der Hochschule organisationsrechtlich auch im Urlaubssemester an, greift der Ausschluss von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs 5 S 1 SGB II immer dann, wenn er die Ausbildung auch tatsächlich betreibt.“

 

Im Urteil vom 22. August 2012 (a. a. O., Rdnr. 20) hat es ergänzend ausgeführt:

„Ist dies nicht der Fall, entfällt auch der Ausschlussgedanke des § 7 Abs 5 SGB II, mit Leistungen nach dem SGB II das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung nicht zu ermöglichen. Hilfebedürftigkeit hat der Leistungsberechtigte dann ggf durch die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit (vgl § 10 SGB II) abzuwenden.“

 

Entsprechend umschreibt § 15a Abs. 1 Satz 1 BAföG den Leistungsanspruch auf Ausbildungsförderung und individualisiert in dem durch § 2 BAföG abstrakt gezogenen Rahmen den Begriff der "förderfähigen Ausbildung" dem Grunde nach für den gesamten Bereich des Bundesausbildungsförderungsgesetzes einheitlich (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2010 – B 14 AS 24/09 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 20). Gemäß § 2 Abs. 1 BAföG (BGBl I S. 1062) wird Ausbildungsförderung geleistet für den Besuch von Hochschulen, wenn der Ausbildungsabschnitt mindestens ein Schul- oder Studienhalbjahr dauert und die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt (vgl. § 2 Abs. 5 BAföG). Eine Ausbildung wird im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 BAföG tatsächlich betrieben, wenn der Auszubildende unternimmt, was nach Maßgabe der ausbildungs- und prüfungsrechtlichen Bestimmungen in der jeweiligen Phase der Ausbildung erforderlich ist, um diese voranzubringen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Februar 2013 – 5 C 14/12 – juris Rdnr. 36).

 

Im Einzelnen hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 21. Februar 2013 (a. a. O., juris Rdnr. 36) ausgeführt:

„Dies ist auf der Grundlage objektiver Merkmale (vgl. Urteil vom 21. Juni 1979 – BVerwG 5 C 15.78BVerwGE 58, 132 <137> = Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr. 11 S. 30 f.) unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Studiengänge zu ermitteln. Befindet sich ein Auszubildender in der Studienphase, ist grundsätzlich von einem Betreiben der Ausbildung auszugehen, wenn er regelmäßig an den Lehrveranstaltungen beziehungsweise an dem planmäßig vorgesehenen Unterricht teilnimmt (vgl. Beschluss vom 15. April 1987 – BVerwG 5 B 141.86 – Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr. 25 S. 6 f. m.w.N.). Davon kann auch nicht mit Blick darauf abgesehen werden, dass Studierende an einer Hochschule generell nicht verpflichtet sind, an den ausbildungsrelevanten Lehrveranstaltungen teilzunehmen. Auch unter diesem Blickwinkel gilt in der Regel, dass eine förderungsfähige Ausbildung dann nicht mehr fortdauert, wenn Auszubildende überhaupt keine der angebotenen Lehrveranstaltungen besuchen, auch wenn sie sich den dort gebotenen Wissensstoff in anderer Weise anzueignen unternehmen (Urteil vom 21. Juni 1979 a.a.O. S. 135 und S. 28 f.). In einem solchen Fall kann von einem Betreiben der Ausbildung ausnahmsweise dann ausgegangen werden, wenn Studierende den planmäßig vorgesehenen Lehrveranstaltungen ausbildungsbedingt für einen kurzen Zeitraum fernbleiben und sich währenddessen verstärkt dem häuslichen Studium widmen oder ausschließlich die sachlichen Mittel einer Hochschule in Anspruch nehmen (vgl. Urteil vom 30. März 1978 – BVerwG 5 C 20.76BVerwGE 55, 288 <292> = Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr. 4 S. 7; vgl. ferner Urteil vom 18. April 1985 a.a.O. S. 201 und S. 2 f. und Nr. 20.2.1 Buchst. b Satz 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz <BAföGVwV 1991> vom 15. Oktober 1991 <GMBl S. 770>). Ist der Auszubildende beurlaubt, kommt es jedenfalls in der Regel darauf an, ob der Auszubildende nach den hochschulrechtlichen Bestimmungen die Ausbildung auch während der Zeit der Beurlaubung voranbringen kann (vgl. Urteil vom 21. Juni 1979 a.a.O. S. 136 f. und S. 30).“

 

(4) Zwar gehörte die Klägerin organisationsrechtlich im streitbefangenen Zeitraum der Technischen Universität A.... an, denn sie war auch während des Urlaubssemesters immatrikuliert. Im Falle der Klägerin ist das Gesetz über die Freiheit der Hochschulen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Hochschulfreiheitsgesetz – SächsHSFG) in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Sächsischen Hochschulfreiheitsgesetzes vom 15. Januar 2013 (SächsGVBl. S. 3) maßgebend.

 

Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 SächsHSFG wurde der Studienbewerber mit der Immatrikulation Mitglied der Hochschule. Diese Mitgliedschaft endete erst mit der Exmatrikulation (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 2 SächsHSFG).

 

Zur Beurlaubung war in § 20 Abs. 2 und 3 SächsHSFG geregelt:

"(2) 1Auf Antrag können Studenten aus wichtigem Grund vom Studium beurlaubt werden. 2Eine Beurlaubung soll die Zeit von insgesamt 2 Semestern nicht überschreiten; dies gilt nicht für die Beurlaubung zum Zwecke eines Studienaufenthalts im Ausland. 3Für eine Beurlaubung wegen Inanspruchnahme von Mutterschaftsurlaub und Elternzeit gelten die Bestimmungen des Gesetzes zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz – MuSchG) […], in der jeweils geltenden Fassung, und des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz – BEEG) vom 5. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2748), […], in der jeweils geltenden Fassung, entsprechend. 4Die Zeiten der Beurlaubung werden nicht auf die Regelstudienzeit angerechnet. 5Ein Student kann zur Betreuung eigener Kinder bis zu 4 Semester beurlaubt werden, wenn er nicht bereits nach Satz 3 beurlaubt ist. 6Das Nähere können die Hochschulen durch Ordnung regeln.

(3) Beurlaubten Studenten soll ermöglicht werden, an der Hochschule, von der die Beurlaubung ausgesprochen wurde, Studien- und Prüfungsleistungen zu erbringen."

 

Die Erbringung von Studien- und Prüfungsleistungen während der Beurlaubungszeit soll den Studenten dabei unterstützen, sein Studium zügig abzuschließen. Da ein großer Teil der Module eines Studienganges nicht jedes Semester, sondern nur einmal im Jahr angeboten wird, wird auf diese Weise ermöglicht, auch Beurlaubungen von einem Semester Dauer sinnvoll in den Studienablauf zu integrieren. Auf eine Beschränkung der möglichen Studien- und Prüfungsleistungen wurde daher verzichtet. Davon abweichend durften nach der vorhergehenden Rechtslage während der Beurlaubung keine Studien- und Prüfungsleistungen erbracht werden (vgl. § 16 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über die Hochschulen im Freistaat Sachsen [Sächsisches Hochschulgesetz – SächsHG] vom 11. Juni 1999 (SächsGVBl. S. 294). Dies galt nicht für Studenten, die wegen familiärer Verpflichtungen beurlaubt worden waren (vgl. § 16 Abs. 3 Satz 2 SächsHG). Ferner war eine Wiederholung nicht bestandener Prüfungen während des Beurlaubungszeitraumes möglich (vgl. § 16 Abs. 3 Satz 3 SächsHG; vgl. hierzu: Deschauer, in: Sächsisches Hochschulgesetzt 2011 § 20 S. 135 zu Abs. 3).

 

Die Feststellung, ob die Ausbildung im ausgeführten Sinne betrieben wird oder nicht, obliegt den Behörden und gegebenenfalls den Gerichten, die im Einzelfall den Grund und die Ausgestaltung des Urlaubssemesters zu ermitteln haben.

 

(5) Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls betrieb danach die Klägerin nicht das Studium im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialtgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts vor.

 

Die Klägerin hatte in der Zeit vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. Januar 2017 ein Urlaubssemester wegen Mutterschutz, Schwangerschaft und Elternzeit, betreute ihren am 25. Mai 2015 geborenen Sohn und war mit dem zweiten Kind schwanger (Geburt am 3. Mai 2017). Die Universität hat schriftlich bestätigt, dass es sich bei dem Inhalt der Wiederholungsprüfung um keine aktuell angebotene Lehrveranstaltung handelte. Die Klägerin hatte sich allein auf diese Wiederholungsprüfung in der Zeit vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. Januar 2017 in 2 bis maximal 6 Stunden in der Woche vorbereitet und legte die Prüfung sodann – ohne Erfolg – ab. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin über die Zeiten hinaus, in denen sich ihr Kind in der Kinderbetreuungseinrichtung „Campusnest“ aufhielt, weitere Zeiten für die Prüfungsvorbereitung aufgewandt hat – oder auch nur hätte aufwenden können –, sind nicht vorgetragen und nach Aktenlage auch nicht ersichtlich. Die Vorbereitung und Ableistung einer bloßen Wiederholungsprüfung stellt, wenn diese nach ihrer Art und Dauer die Arbeitskraft nur geringfügig in Anspruch nimmt, kein Betreiben der Ausbildung im genannten Sinne dar. Zwar ist auch eine Wiederholungsprüfung eine Prüfungsleistung. Auch wird im Rahmen des SGB II ein Betreiben nicht in Vollzeit gefordert (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 21. Dezember 2017 – L 7 AS 160/15 – juris Rdnr. 44). Die Klägerin nahm jedoch weder an planmäßigen Lehrveranstaltungen noch an entsprechend der Lehrveranstaltungen vorgesehenen Prüfungen teil. Sie förderte ihr Studium insofern nicht maßgebend. Eine bloße Wiederholungsprüfung steht, bei einer – wie vorliegend – zeitlich geringfügigen Vorbereitung auf diese, dem Einsatz der Arbeitskraft und damit dem Vorliegen der Erwerbsfähigkeit im Sinne des dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 8 SGB II nicht entgegen.

 

III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs. 1 SGG.

 

IV. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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