L 7 AS 1276/23 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 41 AS 1143/23 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1276/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 24.08.2023 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die 0000 geborene Antragstellerin ist O. Staatsangehörige. Sie beantragte am 13.07.2023 Leistungen nach dem SGB II beim Antragsgegner. In ihrem Leistungsantrag gab sie als Adresse „R.-straße N01 in V.“ und als Kontaktdaten „E-Mail01“ an.

Der Antragsgegner schrieb die Antragstellerin am 17.07.2023 an. Er habe keine weitere Rückmeldung von ihr erhalten. Sie müsse Ihren Leistungsantrag vervollständigen und sich telefonisch oder persönlich durch Vorsprache verifizieren lassen.

Die Antragstellerin gab in der Folge an, im Dezember 2022 eingereist zu sein. Zuvor habe sie 12 Monate lang eine Witwenrente bezogen. Sie sei ein Flüchtling aus der G.. Ihr Ehemann sei verstorben. Sie habe kein Einkommen, kein Vermögen und kein Konto. Die Antragstellerin übersandte einen am „28.12.2023“ unterschrieben Mietvertrag, ausweislich dessen sie ab dem „28.12.2023“ für 350 € Kaltmiete, 80 € Nebenkosten und 20 € Heizkosten bei einem Herrn A. wohne. In dem Mietvertrag waren sodann 350 € Gesamtmiete ausgewiesen.

Ausweisliche eines Telefonvermerks vom 27.07.2023 rief eine unbekannte Person bei dem Antragsgegner an, um sich als die Antragstellerin verifizieren zu lassen. Sie habe keine Post erhalten, da ihre postalische Erreichbarkeit in Q. sei. Eine Gesprächsführung sei nicht möglich gewesen.

Am 28.07.2023 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Der Antragsgegner solle verpflichtet werden, ab Juli 2023 Bürgergeld i.H.v. 505 € sowie Unterkunftskosten i.H.v. 350 € zu zahlen. Als ladungsfähige Anschrift hat sie die I.-straße N02 in Q. angegeben. Herr A. leiste Schreibhilfe. Sie sei am „28.12.2023“ aus W. nach Deutschland eingereist und habe einen Aufenthaltstitel beantragt. Bis Ende März 2023 habe sie eine Witwenrente aus der P. Rentenversicherung bezogen. Ihr Vermieter habe den Antragsgegner telefonisch am 27.07.2023 kontaktiert, ein Gespräch sei aber nicht zustande gekommen. Sie solle zur eine Vorsprache kommen. Sie könne aber kein Deutsch, kein Russisch und auch kein Tschechisch und der Antragsgegner könne kein Ukrainisch. Briefe an ihre Adresse in V. könnten nicht ankommen. Das Geld sei sofort auf das Konto des Vermieters zu überweisen.

Auf Nachfrage des Sozialgerichts hat die Antragstellerin mitgeteilt, dass sie selbstverständlich nicht in Q. wohne und dort auch nie gewohnt habe. Der Gedankengang sei nicht nachvollziehbar. Sie könne keine Briefe lesen. Deshalb würden diese gescannt und zur Verfügung gestellt. Ihr Vermieter unterstütze sie derzeit in geringem Umfang mit Geld.

Mit Schreiben vom 09.08.2023 hat das Sozialgericht die Antragstellerin aufgefordert, eine ladungsfähige Anschrift in V. zu benennen. Die Antragstellerin gab wiederum die Adresse in Q. an; ihre Wohnanschrift sei allerdings in V..

Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses abzulehnen. Der Antragstellerin sei wiederholt die Möglichkeit geboten worden, persönlich zur Klärung der Antragstellung bei ihm vorzusprechen. Dies sei stets abgelehnt worden. Die Antragstellerin sei den von ihm angebotenen Terminen ohne Angabe von Gründen ferngeblieben. Es bestünden Zweifel am gewöhnlichen Aufenthalt der Antragstellerin in V.. Die Daten in dem Mietvertrag lägen in der Zukunft, und es bestünden auch Zweifel daran, dass der Vermieter tatsächliche der Eigentümer der Wohnung sei und nicht lediglich ein Untermietverhältnis vorliege. Herr A. sei außerdem als Bevollmächtigter zurückzuweisen. Dieser nehme unbefugt Telefonate auf und veröffentliche diese auf D..

Der Ermittlungsdienst des Antragsgegners hat am 07.08.2023 festgestellt, dass der Name der Antragstellerin nicht an der Klingel an ihrer angegebenen Anschrift in V. befestigt war. Schriftstücke des Antragsgegners an die Adresse der Antragstellerin sind als unzustellbar zurückgekommen, weil die Empfängeradresse nicht zu ermitteln war.

Mit Postfachnachricht vom 08.08.2023 hat die Antragstellerin den Antragsgegner um einen Vorschuss gebeten. Sie habe kein Geld mehr und müsse für zwei Monate Mieten zahlen.

Mit Beschluss vom 24.08.2023 hat das Sozialgericht V. den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Stadtgebiet des Antragsgegners habe, § 36 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Der angebliche Vermieter der Antragstellerin, Herr A., habe den Eilantrag verfasst und die Leistungen sollten auf sein Konto gezahlt werden. Der Mietvertrag solle erst Ende 2023 beginnen. Die postalische Erreichbarkeit sei in Q.. Auch im Eilverfahren habe die Antragstellerin angegeben, am 23.12.2023 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Der Ermittlungsdienst des Antragsgegners habe zur Aufklärung des Sachverhalts nichts beitragen können. Die Antragstellerin erscheine nicht zu den persönlichen Vorsprachen. Insoweit wirke sie nicht bei einer Aufklärung des Sachverhalts mit. Dies gehe zu ihren Lasten.

Am 30.08.2023, 01.09.2023 und 05.09.2023 und 14.09.2023 hat die Antragstellerin den Antragsgegner nach dem Verbleib ihres Geldes befragt. Sie hat einen korrigierten Mietvertrag übersandt, ausweislich dessen der Mietbeginn der 23.12.2022 war und auch die Unterschriften am 23.12.2022 geleistet worden seien.

Die Antragstellerin teilte dem Sozialgericht mit, dass es im Jahr 2023 absolut üblich sei, keinen Namen an der Klingelleiste zu haben. Sie wolle keinen Besuch empfangen. Wenn an dem Haus herumgeschnüfffelt werde, solle man aufpassen, dass kein Hund zuschnappe. Wo sie ihre Post empfange, gehe den Antragsgegner einen feuchten Schmutz an. Es sei unklar, wie der Antragsgegner auf die Idee komme, Leuten den Befehl zu erteilen, zu ihm zu kommen. Sie müsse gar nichts und sei auch nicht verpflichtet, dem Antragsgegner und dem Geld hinterherzurennen. Bei ihr seien keine Einladungen eingegangen.

Am 30.08.2023 hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt. Es könne sein, dass der Antragsgegner sie eingeladen habe. Einen Nachweis darüber habe der Antragsgegner nicht erbracht. Sie sei nicht verpflichtet, zu springen und zu laufen wie der Antragsgegner es wolle. Die Einladungen seien willkürlich. Die Mitarbeiter des Antragsgegners hätten „den Ehrenamtler“ am Telefon bedroht. Dann sei es nicht weiter verwunderlich, wenn Menschen der Kragen platze und sie sich mit Waffen und Gewalt das Recht erkämpften. Zudem stehe ihr Name an der Klingel. Sie habe die Einladung für den 21.09.2023 am 20.09.2023 erhalten. Derart kurzfristige Termine seien selbstverständlich nicht von ihr wahrzunehmen. Ihre Wohnung sei gekündigt worden.

Der Antragsgegner hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Er habe die Antragstellerin erneut zur Vorsprache zwecks Klärung der Hauptantragstellung am 21.09.2023 eingeladen mit der Bitte, ihre Ausweisdokumente mitzubringen, gerichtet sowohl an die Adresse in V. als auch in Q.. Die Post an die S. Adresse sei zwischenzeitlich zurückgekommen, weil die Adresse nicht zu ermitteln sei.

II.

Die fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II abgelehnt.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs dürfen, gemessen an der drohenden Rechtsverletzung, nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.07.2020 – 1 BvR 932/20 – juris, Rn. 10). Die Entscheidungen dürfen sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern (vgl. BVerfGE 126, 1 ˂27 f.˃). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Indessen dürfen sich die Gerichte, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, nur dann an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren, wenn sie die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen können. Eine solche abschließende Prüfung kommt allerdings nur in Betracht, wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren möglich ist. Andernfalls ist eine Folgenabwägung durchzuführen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.07.2020 – 1 BvR 932/20 – juris, Rn. 11 m.w.N.).

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig. Es fehlt an einem Rechtsschutzbedürfnis, weil die Antragstellerin nicht die ihr zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft hat, ihr Ziel ohne eine Einschaltung des Gerichts zu erreichen (vgl. hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, Vorbem. § 51 Rn. 16, § 86b Rn. 26b; Beschluss des Senats vom 24.03.2020 –L 7 AS 1087/19 B –; Beschluss vom 13.07.2022 – L 7 AS 389/22 B ER –). Die Antragstellerin hat weiterhin die Möglichkeit, ihr Recht außerprozessual durchzusetzen. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin seit Juli 2023 mehrfach aufgefordert, persönlich mit ihren Ausweisdokumenten beim ihm vorzusprechen. Zum Nachweis von Identität und Aufenthalt ist die persönliche Vorsprache mit einem gültigen Ausweisdokument nicht unangemessen. Die Vorlage eines Identitätsnachweises ist auch eine zulässige Mitwirkungsobliegenheit der Antragstellerin i.S.d. § 60 SGB I. Existenzsichernde Leistungen sollen nicht an beliebige, nicht identifizierbare Personen ausgezahlt werden. Dem hat die Antragstellerin sich aus dem Gericht nicht nachvollziehbaren Gründen verweigert. Die von dem Antragsgegner gewählten kurzen Fristen dürften dem Begehren der Antragstellerin, möglichst zeitnah existenzsichernde Leistungen beziehen zu können, geschuldet sein. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner sich einem berechtigten Leistungsbegehren der Antragstellerin verschließen würde (vgl. auch hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 26b), wenn diese zur Klärung ihres Leistungsanspruchs bei dem Antragsgegner vorspricht. Dies dürfte im Hinblick darauf, dass der Antragsgegner seit nunmehr fast drei Monaten erfolglos versucht, die Antragstellerin zur Vorsprache einzuladen, angezeigt sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von§ 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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