L 18 AS 778/23

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 39 AS 2603/22
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 778/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 2023 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Gründe

 

I.

 

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Zustimmung zur Ortsabwesenheit vom 24. Januar 2022 bis 20. April 2022.

 

Der 1959 geborene Kläger stand ab 2013 im Leistungsbezug des Beklagten nach dem Sozialgesetzbuch – Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Für den Bewilligungszeitraum von Dezember 2021 bis Mai 2022 hatte der Beklagten Leistungen ohne Einkommensanrechnung vorläufig bewilligt (Bescheid vom 11. November 2021). Unter dem 5. Januar 2022 teilte der Kläger dem Beklagten mit, er werde sich vom 24. Januar 2022 bis 20. April 2022 auf Einladung einer Kultureinrichtung in São Tomé aufhalten. Der Beklagte wertete dieses Schreiben als Antrag auf Zustimmung zur Ortsabwesenheit und lehnte diese ab (Bescheid vom 11. Januar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2022). Mit endgültigem Bescheid vom 9. August 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2022 lehnte der Beklagte auch eine Leistungsgewährung in dem in Rede stehenden Zeitraum ab (Klageverfahren – S 39 AS 4167/22 –).

 

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Zustimmung zur Ortsabwesenheit gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 6. Juli 2023). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Dem Kläger habe kein wichtiger Grund für seinen fast dreimonatigen Aufenthalt in São Tomé zur Seite gestanden.

 

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er habe zumindest einen Anspruch auf Zustimmung zur Ortsabwesenheit für drei Monate gehabt.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 2023 und den Bescheid des Beklagten vom 11. Januar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2022 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Zustimmung zur Ortsabwesenheit vom 24. Januar 2022 bis 20. April 2022 zu erteilen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

II.

 

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die zulässige Berufung des Klägers durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden (vgl § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

 

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Die Beklagte war und ist nicht verpflichtet, die Zustimmung zur Ortsabwesenheit des Klägers in der Zeit vom 24. Januar 2022 bis 20. April 2022 zu erteilen.

 

Gegenstand des Verfahrens ist neben dem angegriffenen SG-Urteil der Bescheid des Beklagten vom 11. Januar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2022, nicht indes der endgültige Bewilligungsbescheid vom 9. August 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2022 für den Zeitraum von Dezember 2021 bis Mai 2022, der auch den vorliegend betroffenen Zeitraum umfasst. Denn bei der hier (nur) streitgegenständlichen Frage der Zustimmung zur Ortsabwesenheit vom 24. Januar 2022 bis 20. April 2022 handelt es sich insoweit lediglich um eine rechtliche Vorfrage zu der im Verfahren – S 39 AS 4167/22 – streitigen Leistungsberechtigung des Klägers nach dem SGB II.

 

Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl § 54 Abs. 1 SGG). Die Zustimmung zu einer Ortsabwesenheit ist eine Zusicherung iSv § 34 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz –(SGB X). Gemäß der Legaldefinition in § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist die Zusicherung eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen. Die Zustimmung zu einer Ortsabwesenheit enthält die Zusicherung, trotz Ortsabwesenheit in den genehmigten Zeiträumen Leistungen nach dem SGB II zu erbringen. Damit sichert der Grundsicherungsträger zu, von der gesetzlichen Vorgabe des § 7 Abs. 4a SGB II keinen Gebrauch zu machen. Es kann offen bleiben, ob die Klage im Hinblick darauf unzulässig ist, dass Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen gemäß § 56a Satz 1 SGG nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können, mithin eine isolierte Anfechtung einer Zustimmungsverweigerung ausgeschlossen wäre (vgl Scholz, in BeckOGK I, SGG, Stand: 1. August 2023, § 56a, Rn. 8; Axer, jurisPK-SGG, 2. Aufl., (Stand: 15. Juni  2022) § 56a SGG, Rn 21; jeweils unter Hinweis auf den Beschluss des Landessozialgerichts <LSG> Nordrhein-Westfalen vom 22. September 2010 – L 9 B 166/09 AS – juris - Rn 9, mit dem das LSG zwar die § 56a SGG entsprechende Vorschrift in § 44a Verwaltungsgerichtsordnung für einschlägig hält, im Widerspruch hierzu gleichwohl Erfolgsaussichten für eine isolierte Anfechtungsklage bei rechtswidrig verweigerter Zustimmung zur Ortsabwesenheit sieht).

 

Die Klage ist jedenfalls unbegründet. Die Beklagte war und ist nicht verpflichtet, die Zustimmung zur Ortsabwesenheit des Klägers  in der Zeit vom 24. Januar 2022 bis 20. April 2022 zu erteilen

 

Gemäß § 7 Abs. 4a SGB II in der gemäß § 77 Abs. 1 SGB II (in der bis 31. Dezember 2022 geltenden Fassung) hier anwendbaren, bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung des Gesetzes vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706) erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend. Mangelt es an der Zustimmung des Grundsicherungsträgers zur Ortsabwesenheit, bewirkt dies einen Leistungsausschluss. Das Begehren eines Leistungsberechtigten, von der Verpflichtung zur Ortsanwesenheit freigestellt zu werden, dient demnach dazu, dem Eintritt des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 4a SGB II vorzubeugen (vgl Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 166/11 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 31 – Rn 24 mwN).

 

Nach Maßgabe von § 3 Abs. 1 und 2 EAO steht eine auf Grund einer Ortsabwesenheit bedingte fehlende Erreichbarkeit der Verfügbarkeit bis zu drei Wochen im Kalenderjahr nicht entgegen. Nach Maßgabe von § 3 Abs. 3 EAO kann die Drei-Wochenfrist tageweise, höchstens um drei Tage verlängert werden. Wenn sich allerdings der SGB II-Leistungsempfänger – wie hier der Kläger – zusammenhängend länger als sechs Wochen außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufhalten will (wobei es insoweit auf eine ex-ante-Perspektive ankommt, vgl Landessozialgericht <LSG> Baden-Württemberg, Urteil vom 9. April 2021 – L 12 AS 1677/19 – juris – Rn 39), finden gemäß § 3 Abs. 4 EAO die Regelungen in § 3 Abs. 1 und 2 EAO keine Anwendung. Nach dem Wortlaut von § 3 Abs. 4 EAO bedeutet dies für den Kläger, dass er unabhängig vom Grund der Abwesenheit (selbständige Tätigkeit, künstlerische Tätigkeit, Urlaub) für seinen etwa dreimonatigen Aufenthalt in São Tomé von vornherein keine Zustimmung für seine Ortsabwesenheit erhalten konnte bzw dieser  Aufenthalt nur ohne Leistungsgewährung möglich war (vgl G. Becker in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl 2021 - § 7 Rn 178; vgl auch Sächsisches LSG, Beschluss vom 10. März 2022 – L 3 AS 1157/21 B ER – juris – Rn 35), und zwar auch nicht – wie mit der Berufung vorgetragen – für einen nur dreiwöchigen Aufenthalt vom 24. Januar 2022 bis 13. Februar 2022. Denn der Kläger hat diesen dreimonatigen Aufenthalt geplant (vgl auch seine Einlassungen im Schriftsatz vom 28. März 2023) und stand den Eingliederungsbemühungen des Beklagten damit über einen erheblichen Zeitraum nicht zur Verfügung, wie sich auch daran zeigt, dass er den Meldetermin am 10. Februar 2022 zur Zuweisung und Teilnahme an einer Fördermaßnahme versäumte.

 

Zudem hat er ohnehin weder hinreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass einer der Gründe des § 3 Abs. 2 bzw Abs. 3 EAO vorgelegen hätte (vgl auch die entsprechenden Regelungen in § 7 Abs. 4a SGB II in der vom 1. April 2011 bis 30. Juni 2023 geltenden Fassung) oder er während der Ortsabwesenheit durch seine künstlerische Tätigkeit tatsächlich wesentlich zur Sicherung seines Lebensunterhalts beitragen konnte. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des SG in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 153 Abs. 2 SGG analog.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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