L 12 AS 914/23 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 22 AS 993/23 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 914/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 06.06.2023 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller weitere 799,50 Euro monatlich vom 11.04.2023 bis zum 31.12.2023 zu zahlen.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.

 

 

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt mit seiner Beschwerde höhere Leistungen für die Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Der am 00.00.0000 geborene Antragsteller bezieht Leistungen nach dem SGB II von dem Antragsgegner. Er ist Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH, die ursprünglich in der D. Innenstadt eine Gaststätte betrieb, welche ab März 2020 aufgrund der Corona-Schutzverordnung Nordrhein-Westfalen geschlossen war. Nach den Ausführungen des Antragstellers lief während der Schließung der dortige Mietvertrag aus, sodass die GmbH den Sitz verlegen musste und nunmehr der Sitz die Wohnadresse des Antragstellers ist. In diesem Zuge wurde sie von C. GmbH in R. GmbH umbenannt und der Geschäftszweck um unter anderem gastronomische Serviceleistung erweitert.

Der Antragsteller schloss am 03.01.2020 als Geschäftsführer der GmbH und zugleich als Privatperson einen Wohnungsmietvertrag über eine 71 m² große Wohnung in der K.-straße N01 in Q. ab, indem sowohl er als auch die GmbH als Mieter bezeichnet sind. Die monatlich zu zahlende Miete betrug 1.576,50 Euro (Grundmiete 1.242,50 Euro, Betriebskosten sowie Heiz- und Warmwasserkosten 334 Euro). Am selben Tag schloss er mit der GmbH einen Untermietvertrag, indem diese ihm einen Teil der Wohnfläche im Umfang von 35 m² untervermietete. Die laut Untermietvertrag zu zahlende Miete beträgt monatlich 777 Euro (Grundmiete 612,50 Euro, 150 Euro Nebenkosten sowie 14,50 Euro Heizkosten). Die Mietzahlungen sind auf das Konto der GmbH zu überweisen.

Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller erstmals mit Bescheid vom 12.06.2020 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum April 2020 bis September 2020 und berücksichtigte hierbei Bedarfe für Unterkunft und Heizung i.H.v. 777 Euro.

Die Vermieterin des Antragstellers kündigte diesem am 14.08.2020 das Mietverhältnis außerordentlich fristlos, erhob am 17.08.2020 Räumungsklage bei dem Amtsgericht Köln (Az. 206 C 139/20) und erklärte ergänzend die ordentliche Kündigung. Am 22.10.2020 sprach sie erneut eine außerordentliche fristlose, hilfsweise eine ordentliche Kündigung sowohl gegenüber dem Antragsteller als auch gegenüber der GmbH aus. In dem Räumungsklageverfahren vor dem Amtsgericht Köln. schlossen die Beteiligten am 17.03.2021 einen Vergleich, der unter anderem beinhaltete, dass der Antragsteller sowie die GmbH sich als Gesamtschuldner verpflichteten, die Wohnung zu räumen und an die Vermieterin herauszugeben, die Vermieterin jedoch auf die Vollstreckung verzichte, solange der Antragsteller und die GmbH nicht mit weiteren Mietzahlungen i.H.v. zwei Monatsmieten in Rückstand geraten, wobei der Räumungsanspruch der Vermieterin mit Ablauf des 31.03.2024 erlischt.

In einem am 11.11.2020 eingeleiteten Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz verpflichtete das LSG NRW im Rahmen der Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 27.11.2020 den Antragsgegner, dem Antragsteller zu den bereits gewährten 777 Euro für die Unterkunft und Heizung weitere 799,50 Euro für den Zeitraum von Oktober 2020 bis März 2021, längstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, zu zahlen. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Übernahme der vollen Unterkunftskosten. Aufgrund der gemeinsamen Anmietung der Wohnung durch die GmbH und den Antragsteller sei letzterer berechtigt, die gesamte Wohnung zu nutzen, und verpflichtet, die gesamte Miete einschließlich der vertraglich geschuldeten Nebenkosten zu zahlen. Hieran ändere der mit der GmbH abgeschlossene Untermietvertrag nichts. Aufgrund der Corona-bedingten übergangsweise geltenden Regelung in § 67 Abs. 1, 3 SGB II sei die Angemessenheit der Unterkunftskosten nicht zu prüfen. Auch im Folgenden übernahm der Antragsgegner aufgrund des im Anschluss im Verfahren S 40 AS 4098/20 geschlossenen Vergleichs die vollen Bedarfe für die Unterkunft und Heizung i.H.v. 777 EUR zzgl. 799,50 Euro unter Beachtung von § 22 Abs. 1 i.V.m. § 67 Abs. 3 SGB II für die Dauer des Corona-Sonderrechts gemäß § 67 Abs. 1 SGB II. Gleichzeitig trat der Antragsteller seine monatliche Mietzinsforderung i.H.v. 799,50 Euro gegenüber der GmbH für die Dauer der Zahlung durch den Antragsgegner an den Antragsgegner ab.

Mit Weiterbewilligungsantrag vom 02.03.2023 gab der Antragsteller Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 1.576,50 Euro an (Grundmiete 1.242,50 Euro, Nebenkosten 300 Euro, Heizkosten 34 Euro). Der Antragsgegner gewährte dem Antragsteller daraufhin mit Bescheid vom 31.03.2023 vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04.2023 bis zum 30.09.2023 i.H.v. 996,34 Euro. Hierbei berücksichtigte er Bedarfe für die Unterkunft und Heizung i.H.v. 777 Euro sowie ein Einkommen i.H.v. 453,33 Euro abzüglich eines Freibetrags i.H.v. 170,67 Euro. Der Antragsteller erhob hiergegen Widerspruch und wendete sich mit diesem gegen die Punkte Raumkosten, Beratungskosten, Fortbildungskosten und Gewährung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung.

Mit Bescheid vom 13.10.2023 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.10.2023 bis zum 31.03.2024 i.H.v. 696,60 Euro monatlich. Hierbei wurden Bedarfe für Unterkunft und Heizung i.H.v. 777 Euro sowie ein Einkommen i.H.v. 872 Euro abzüglich eines Freibetrages von 289,60 Euro berücksichtigt.

Am 11.04.2023 hat der Antragsteller den hier streitigen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim SG Köln gestellt sowie Klage gegen den Bescheid vom 31.03.2023 erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 22 AS 994/23 beim SG Köln anhängig ist. Er begehre zum einen die Gewährung der bekannten und/oder nachgewiesenen Kosten für Raum, Beratung und Fortbildung als geschätzte Kosten für das kommende Halbjahr. Zum anderen begehre er die weitere Übernahme der tatsächlichen Mietkosten, da mit dem Bürgergeld eine einjährige Karenzzeit festgelegt worden sei, in der die tatsächlichen Mietkosten berücksichtigt werden müssten.

Der Antragsteller hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig zu verpflichten, ihm höhere Leistung nach dem SGB II unter Berücksichtigung seiner vollen Unterkunfts- und Heizkosten sowie weiterer Betriebsausgaben in Form von Raumkosten, Beratungskosten und Fortbildungskosten als Betriebsausgaben ab Eingang des Antrags bei Gericht zu gewähren.

Der Antragsgegner hat schriftsätzlich beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner vertrat die Auffassung, dass die Bedarfe für Unterkunft und Heizung vollständig durch den Antragsgegner in Höhe der durch den Untermietvertrag vom 03.01.2020 nachgewiesenen Kosten von 777 Euro berücksichtigt worden seien. Nunmehr habe der Antragsteller jedoch die Kosten der Unterkunft aus dem Hauptmietvertrag vom 03.01.2020 in Höhe von insgesamt 1.576,50 Euro beantragt. Die Obergrenze der Miethöhe für einen Ein-Personen-Haushalt liege seit Januar 2022 bei einer Bruttokaltmiete i.H.v. 651 Euro, die angemessene Wohnfläche betrage 50 m². Die angegebenen Raumkosten des Antragstellers sein unplausibel. So seien in der vorläufigen Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit für Oktober 2022 bis März 2023 keine Raumkosten angegeben worden. Die bisherige Anerkennung weiterer Unterkunftskosten sei zudem aufgrund des Verfahrens S 41 AS 4098/20 auf die Geltung des Corona-Sonderrechts gemäß § 67 Abs. 1 SGB II beschränkt gewesen.

Das SG hat durch Beschluss vom 06.06.2023, dem Antragsteller zugestellt am 09.06.2023, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgelehnt. Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Bezüglich der Unterkunftskosten führt das SG aus, dass der Antragsteller laut Mietvertrag die gesamte Wohnung nutzen dürfe und im Gegenzug grundsätzlich verpflichtet sei, den gesamten Mietzins zu entrichten. Die Bedarfe für die Unterkunft seien jedoch unangemessen hoch im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. Ein Konzept zur Prüfung der Angemessenheit der Unterkunft und Heizkosten für die Stadt Q. läge nicht vor, sodass auf die Werte nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10% abzustellen sei. Daran gemessen seien die vom Antragsgegner festgelegten Unterkunftskosten i.H.v. 651 Euro für die Bruttokaltmiete nicht zu beanstanden. Bezüglich der Heizkosten orientiere sich die Angemessenheit an dem bundesweiten Heizspiegel. Nach dem Heizspiegel 2022 liege der Grenzwert für eine Wohnfläche von 50 m² für einen Ein-Personen-Haushalt bei 1.020,50 Euro im Jahr, d. h. 85,04 Euro pro Monat. Gründe, die es rechtfertigen würden, diesen Betrag zu überschreiten, seien nicht ersichtlich. Hieraus ergebe sich insgesamt ein Anspruch auf Unterkunftskosten i.H.v. 655 Euro zuzüglich Heizkosten i.H.v. 85,04 Euro, also insgesamt 740,04 Euro. Der Antragsgegner habe dem Antragsteller aber bereits Unterkunftskosten i.H.v. 762,50 Euro zuzüglich Heizkosten i.H.v. 14,50 Euro mithin 777 Euro gewährt, sodass ein darüber hinaus gehender Anspruch nicht mehr bestünde. Hieran ändere auch nichts, dass dem Antragsteller vom 01.10.2020 bis zum 31.03.2023 die vollen Unterkunft- und Heizkosten durch den Antragsgegner auf Grundlage von § 67 Abs. 3 SGB II bewilligt worden seien. Gemäß § 67 Abs. 3 SGB II sollten für sechs Monate die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung berücksichtigt werden und gemäß § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II für weitere sechs Monate eine Angemessenheitsprüfung nicht vorgenommen werden. Nach Ablauf dieser sechs Monate solle jedoch die allgemeine Regelung des § 22 Abs. 1 SGB II wieder gelten. Die Frage des Vorliegens eines Anordnungsgrundes könne insofern offenbleiben.

Am 29.06.2023 hat der Antragsteller dagegen Beschwerde eingelegt. Er wiederholt seinen Vortrag aus der ersten Instanz und weist bezüglich der Eilbedürftigkeit darauf hin, dass die Vermieterin einen bis März 2024 gültigen Räumungstitel habe, den diese vor dem Amtsgericht Q. erwirkt habe und mit dem bei einem Rückstand von zwei Monatsmieten sofort die Räumung beauftragt werden könne. Zudem erklärt er, dass die Mietzahlung und Nutzung des Wohnraums vollumfänglich durch ihn als Privatperson erfolge. Auch wenn die GmbH den vollen Mietbetrag an die Vermieterin überweise, schulde er der GmbH die volle Mietzahlung. Zeitweilig sei die Miete aufgrund von Mängeln um 100 Euro reduziert worden. Zur Vermeidung einer Räumung habe er die Miete allerdings wieder vollumfänglich überwiesen. An seiner Wohnadresse sei keine Betriebsstätte, es handele sich lediglich um den Sitz der GmbH, die in der Wohnung lediglich 10 m² (einen Schreibtisch mit Regalen) nutze. Für die GmbH würde keine Miete als Raumkosten anfallen, sondern lediglich Neben- und Energiekosten. Hintergrund des Untermietvertrages sei gewesen, dass nach dem Mietvertrag GmbH und Antragsteller hälftig zur Zahlung der Miete verpflichtet seien. Durch den Untermietvertrag sei aufgrund der vollumfänglichen Nutzung der Wohnung zu Wohnzwecken die Vermietung des Anteils der GmbH an den Antragsteller erfolgt, um die tatsächliche Nutzung abzubilden. Da der im Bescheid vom 31.03.2023 umfasste Bezugszeitraum beendet sei, bedürfe es keiner Entscheidung zu den geschätzten Kosten und Einnahmen der GmbH seitens des Gerichts mehr, es sei lediglich über die tatsächliche privat anfallende Miete i.H.v. 1576,50 Euro zu entscheiden.

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 06.06.2023 zu ändern und den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig zu verpflichten, ihm höhere Leistung nach dem SGB II unter Berücksichtigung seiner vollen Unterkunfts- und Heizkosten zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner verweist auf sein Vorbringen aus der ersten Gerichtsinstanz und den Beschluss des SG vom 06.06.2023. Die Unterkunftskosten würden bereits in tatsächlicher Höhe gemäß dem Untermietvertrag gezahlt. Ein weitergehender Anspruch sei nicht ersichtlich. Der Untermietvertrag enthalte den eindeutigen Willen der beiden Vertragsparteien, wie die Gesamtmiete im Innenverhältnis zwischen der GmbH und dem Antragsteller aufgeteilt werden solle. Der Anteil der GmbH an den Mietkosten könne keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II auslösen.

Mit Schreiben vom 18.09.2023 teilte die Vermieterin des Antragstellers mit, dass bei einem Rückstand von zwei Monatsmieten eine Vollstreckung entsprechend Ziffer 1 des Vergleiches vom 17.03.2021 des Amtsgerichts Köln beabsichtigt werde. Aus der anliegenden Übersicht des Mietkontos des Antragstellers ergab sich ein aktueller Mietrückstand in Höhe von 3.010,50 Euro, der sich aus einem Mietrückstand i.H.v. 400 Euro aus dem Jahr 2021, einer nicht gezahlten Miete für den Monat August 2022 sowie geringeren Mietzahlungen in den Monaten April bis Juli sowie September 2022 i.H.v. nur 1.476,50 Euro, im November 2022 i.H.v. nur 1.242 Euro sowie in den Monaten Januar und Februar 2023 i.H.v. nur 1.476,50 Euro ergibt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg. Sie ist gem. § 172 Abs. 1 SGG zulässig und begründet. Den Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller mit der Erklärung vom 02.10.2023 auf die Übernahme der tatsächlichen Bedarfe für die Unterkunft und Heizung beschränkt.

Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen, § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO). Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung: BSG Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R und Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, jeweils juris).

Der Antragsteller hat bezüglich der Gewährung weiterer Bedarfe der Unterkunft und Heizung i.H.v. 799,50 Euro monatlich sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch auf die Gewährung weiterer Bedarfe der Unterkunft und Heizung i.H.v. 799,50 Euro monatlich. Gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sind Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anzuerkennen, soweit diese angemessen sind. Nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II werden während der Karenzzeit von einem Jahr die Bedarfe für Unterkunft – unabhängig von ihrer Angemessenheit – in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt. Die Karenzzeit beginnt dabei ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach dem SGB II bezogen werden. Abweichend von dieser Regelung des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB XII bleiben gemäß § 65 Abs. 3 SGB II Zeiten eines Leistungsbezugs bis zum 31.12.2022 bei der Berechnung des Beginns der Karenzzeit unberücksichtigt, so dass die Zeit vom 01.01.2023 bis zum 31.12.2023 für den Antragsteller als Karenzzeit im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB XII zu berücksichtigen ist (s. dazu auch unten).

Die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung des Antragstellers betragen vorliegend 1.576,50 Euro. Aufgrund der gemeinsamen Anmietung der Wohnung in der K.-straße N01 durch den Antragsteller und die GmbH laut Mietvertrag vom 03.01.2020 sind Antragsteller und GmbH im Außenverhältnis gegenüber dem Vermieter Gesamtgläubiger des Anspruchs auf Überlassung der Wohnung und Gesamtschuldner hinsichtlich der vollen Miete (§§ 421, 428 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Dementsprechend ist der Antragsteller berechtigt, die gesamte Wohnung zu nutzen und gleichermaßen verpflichtet, die gesamte Miete einschließlich der vertraglich geschuldeten Nebenkosten zu zahlen. Hieran ändert der von der GmbH mit dem Antragsteller am 03.01.2020 abgeschlossene Untermietvertrag, mit dem sich die GmbH verpflichtet, dem Antragsteller 35 m² der Wohnung zu überlassen, nichts. Auch unter Zugrundelegung dieses Untermietvertrages ist der Antragsteller dem Vermieter gegenüber berechtigt, die gesamte Wohnung für sich zu nutzen, und im Gegenzug verpflichtet, die gesamte Miete zu zahlen (vergleiche zum gleichen Sachverhalt LSG NRW Beschluss vom 13.01.2021, L 7 AS 1874/20 B ER, Rn. 16, juris). Durch den Untermietvertrag werden Verpflichtungen und Berechtigungen im Außenverhältnis nicht berührt. Nach den Ausführungen des Antragstellers sollte der Untermietvertrag zudem die sich im Innenverhältnis ergebende hälftige Pflicht der GmbH zur Zahlung der Miete aufgrund der vollumfänglichen Nutzung der Wohnung durch den Antragsteller zu Wohnzwecken aufheben. Dem Gedanken folgend ergäbe sich auch unter Berücksichtigung des Innenverhältnisses eine vollumfängliche Kostentragungslast durch den Antragsteller. Dies entspricht nach den Ausführungen des Antragstellers der tatsächlichen Nutzung der Wohnung, da er dargelegt hat, dass er die gesamte Wohnung privat nutze und lediglich ein Schreibtisch mit Regalen für die GmbH genutzt werde. Dieser Bereich stellt keinen von der Wohnung des Antragstellers abgrenzbaren Bereich dar, der dazu führen könnte, dass Teile der Wohnung nicht als Unterkunft des Antragstellers im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verstanden werden könnten. Die Qualifizierung der Unterkunft als Wohnung des Antragstellers wird auch nicht durch die gleichzeitige Arbeit in diesen Räumen infrage gestellt, solange es sich um Räume handelt, die im Übrigen den Wohnungsbegriff erfüllen (LSG NRW Beschluss vom 13.01.2021, L 7 AS 1874/20 B ER, Rn. 16, juris). Für die Angemessenheitsgrenzen gilt insofern im Rahmen der gemischten Nutzung einer Wohnung zugleich als Arbeitsraum das gleiche, wie wenn diese nicht zur Arbeit genutzt werden würde (Luik in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 22, Rn. 48).

Aufgrund der Geltung der Karenzzeit des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II i.V.m. § 65 Abs. 3 SGB II ist vorliegend die Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen des Antragstellers für die Unterkunft bis zum 31.12.2023 nicht zu prüfen. Hierdurch soll dem Antragsteller die Möglichkeit gegeben werden, im Rahmen der Karenzzeit den Schwerpunkt darauf zu legen ggf. wieder in die Lage zu kommen, seinen Bedarf selbstständig decken zu können. Nach der Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zum Bürgergeld-Gesetz soll die seit 01.01.2023 geregelte (letztlich auf Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses (BT-Drucks 20/4600) vom 23.11.2022 auf ein Jahr verkürzte) Karenzzeit dem Hilfebedürftigen ermöglichen, sich auf die Arbeitsuche zu konzentrieren, statt zeitgleich mit dem Leistungsbezug eine neue Wohnung suchen zu müssen. Zugleich soll sie als Anreiz dienen, die Hilfebedürftigkeit innerhalb des Karenzzeitraums zu überwinden, und der Rechtssicherheit dienen, weil die Beurteilung der Angemessenheit der Unterkunftskosten „in der Praxis noch immer mit nicht unerheblicher Rechtsunsicherheit behaftet“ sei (vgl. BT-Drucks 20/3873 S. 3, 51, 89; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 19.06.2023, L 18 AS 512/23 B ER, Rn. 7, juris).

Die Anwendung der Karenzzeit ist auch nicht nach § 65 Abs. 6 SGB II ausgeschlossen. Hiernach gilt § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht in den Fällen, in denen in einem der vorangegangenen Bewilligungszeiträume für die aktuell bewohnte Unterkunft die angemessenen und nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anerkannt wurden. Relevant sind in diesem Sinne alle vorangegangenen Bewilligungszeiträume, nicht lediglich der letzte Bewilligungszeitraum. Nach dem Wortlaut reicht es aus, dass in einem Bewilligungszeitraum eine Absenkung erfolgt ist (Formann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 65, 1. Überarbeitung (Stand: 16.02.2023), Rn. 18; Dietrich Hengelhaupt in Hauck/Noftz SGB II, 8. Ergänzungslieferung 2023, § 65 SGB II, Rn. 88). Vorliegend wurde der Antragsteller in der Vergangenheit nicht vom Antragsgegner auf die Unangemessenheit der Wohnung (vergleiche hierzu die Ausführungen des SG im Beschluss vom 06.06.2023) hingewiesen. Der Antragsgegner bewilligte ihm zwar zu Beginn des Leistungszeitraums im Jahr 2020 nicht die vollen tatsächlichen Bedarfe der Unterkunft i.H.v. 1.576,50 Euro, da lediglich 777 Euro übernommen wurden. Diese Kürzung erfolgte allerdings nicht aus Angemessenheitsgesichtspunkten, sondern vielmehr aufgrund der Annahme, dass sich aus dem abgeschlossenen Untermietvertrag die vollen tatsächlichen Unterkunftskosten ergäben und der Antragsteller die restlichen Unterkunftskosten nicht selber schulde.

In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, dass nach Ablauf der Karenzzeit § 22 Abs. 1 S. 7 SGB II zu beachten ist, nach dem die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung, soweit sie den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, nach Ablauf der Karenzzeit als Bedarf so lange anzuerkennen sind, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Auf diesen Zeitraum wiederum ist gemäß § 22 Abs. 1 S. 8 SGB II die Karenzzeit nicht mit anzurechnen. Zur Absenkung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf das Angemessene ist insofern zunächst ein Kostensenkungsverfahren einzuleiten.

Unabhängig davon ist die Angemessenheit der tatsächlichen Kosten für die Heizung gegeben. Diesbezüglich gilt die sich gemäß § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II lediglich auf die Bedarfe der Unterkunft beziehende Karenzzeit nicht (Piepenstock in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 22 (Stand: 06.02.2023), Rn. 91.13 f.). Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Bürgergeld-Gesetz, nach dem zunächst die Karenzzeit auch die Bedarfe für Heizung umfassen sollte (BT-Drucks 20/3873, S. 20), wurde diesbezüglich durch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales geändert (BT-Drucks. 20/4360, S. 13), über den in der Plenarsitzung des Bundestages am 10.11.2022 abgestimmt wurde, bevor über das Gesetz nach Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses (BT-Drucks. 20/4600) am 16.12.2022 endgültig entschieden wurde (BGBl I 2022, 2328). Begründet wurde diese Änderung damit, dass die Intention der Karenzzeit, die bei Leistungsbeginn vorhandene Wohnung zu schützen, sich auch ohne eine Einbeziehung der Aufwendungen für Heizung erreichen lasse, und die Angemessenheitsprüfung die Übernahme von aufgrund verschwenderischen Heizverhaltens anfallenden Kosten verhindern solle (BT-Drucks. 20/4360, S. 34). Gleichzeitig sei jedoch bei der Prüfung der Angemessenheit die tatsächliche Quadratmeterzahl der Wohnung heranzuziehen, so dass die Aufwendungen als angemessen anerkannt werden, die im Verbrauch in der gegebenenfalls unangemessenen großen Wohnung angemessen wären (BT-Drucks. 20/4360, S. 34). Eine Beschränkung eines Ein-Personen-Haushaltes auf 50 m² greift insofern nicht. Zur Bestimmung der angemessenen Heizkosten sind aus Gründen der Praktikabilität die Werte des „Bundesweiten Heizspiegels“ heranzuziehen, die als Indiz für eine unangemessene Heizkostenhöhe dienen und zu einem Anscheinsbeweis zulasten des Leistungsberechtigten führen (BSG Urteil vom 19.05.2021, B 14 AS 57/19 R, Rn. 20 m.w.N, juris). Nach dem Heizspiegel für Deutschland 2023 ergibt sich bei Wohnflächen des Gebäudes über 1000 m², die mit Fernwärme beheizt werden, ein Grenzwert von 21,01 Euro. Für die Wohnung des Antragstellers ergibt dies bei Berücksichtigung der tatsächlichen Größe der Wohnung des Antragstellers einen Grenzwert von 1.197,57 Euro pro Jahr (21,01 Euro multipliziert mit 57 m², da laut Mietvertrag die beheizbare Wohnfläche nur 57 m² beträgt, die restlichen 14 m² entfallen auf Loggien/Terrassen/Balkone). Der sich hieraus ergebende monatlich angemessene Wert von 99,80 Euro an Bedarfen für Heizung wird durch die Heizkosten des Antragstellers, die laut Weiterbewilligungsantrag vom 02.03.2023 lediglich 34 Euro monatlich betragen, nicht überschritten.

Im Übrigen wird noch darauf hingewiesen, dass es aufgrund der Regelung des § 65 Abs. 3 SGB II zum Beginn der Karenzzeit des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II vorliegend unerheblich ist, dass der Geltungszeitraum der Regelung des § 67 Abs. 3 SGB II abgelaufen ist.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Ein Anordnungsgrund ist dann glaubhaft gemacht, wenn Eilbedürftigkeit im Sinne einer dringenden und gegenwärtigen Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht, gegeben (OVG NRW Beschluss vom 28.08.2012, 12 B 925/12, Rn. 3, juris; LSG NRW Beschluss vom 30.05.2011, L 19 AS 431/11 B ER, Rn. 13, juris) und eine einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile geboten ist (Senatsbeschluss vom 14.10.2020, L 12 AS 721/20 B ER, Rn. 36, juris). Dies ist der Fall, wenn dem Antragsteller unter Berücksichtigung auch der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten ist (Berlit, info also 1/2005, S. 3, 7). Hinsichtlich der Bedarfe für die Unterkunft ist im Rahmen eines Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu prüfen, welche negativen Folgen im konkreten Einzelfall drohen. Relevante Nachteile können hierbei nicht nur in einer Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit liegen. § 22 Abs. 1 SGB II gibt vielmehr die Übernahme der „angemessenen“ Kosten vor und dient im Zusammenwirken mit anderen Leistungen dazu, über die Verhinderung der bloßen Obdachlosigkeit hinaus das Existenzminimum sicherzustellen. Dazu gehört es, den gewählten Wohnraum in einem bestehenden sozialen Umfeld nach Möglichkeit zu erhalten. Bei der Prüfung, ob ein Anordnungsgrund für den Eilrechtsschutz vorliegt, ist daher im Rahmen der wertenden Betrachtung zu berücksichtigen, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art ein Verlust gerade der konkreten Wohnung für den Betroffenen hätte (BVerfG Beschluss vom 01.08.2017, 1 BvR 1910/12, Rn. 16, juris).

Eine dringende gegenwärtige Notlage ist vorliegend aufgrund des im Rahmen der Räumungsklage durch die Vermieterin erhaltenen Räumungstitels gegeben, nach der diese bei einem Rückstand i.H.v. zwei Monatsmieten die Räumung verlangen kann. Dieser Räumungsanspruch der Vermieterin besteht auch noch, da er erst mit Ablauf des 31.03.2024 erlischt. Der Rückstand des Antragstellers beträgt aktuell nach Auskunft der Vermieterin 3.010,50 Euro, so dass lediglich 142,50 Euro zu einem Rückstand von zwei Monatsmieten (= 3.153 Euro) fehlen. Würde der Antragsteller lediglich die ihm von dem Antragsgegner gewährten Bedarfe für die Unterkunft und Heizung an die Vermieterin zahlen, wäre der Räumungsanspruch direkt gegeben und die Vermieterin könnte hieraus vollstrecken. Die Eilbedürftigkeit liegt insofern auch vor, obwohl die GmbH die geschuldete Miete in den vergangenen Monaten vollumfänglich gezahlt hat und hierdurch die Durchführung der Räumung bisher verhindert werden konnte. Dies beruht zum einen darauf, dass nach summarischer Prüfung nicht angenommen werden kann, dass die GmbH weiterhin in der Lage ist, die weitere Miete in Höhe von 799,50 Euro verlässlich zu zahlen, da der aktuelle Kontostand der GmbH am 02.10.2023 lediglich 25,15 Euro betrug und nach den vorgelegten Kontoauszügen und der EKS nur unregelmäßige Einnahmen bestehen. So gab der Antragsteller zwar in der vorläufigen EKS für die Zeit von Oktober 2023 bis März 2024 Einnahmen in Höhe von 1.500 Euro monatlich an (bei einem angenommenen Gewinn von 300 bis rund 400 Euro). In der endgültigen EKS für die Monate April bis September 2023 zeigten sich jedoch sehr unregelmäßige Einnahmen (zweimal i.H.v. rund 200 Euro, zweimal i.H.v. rund 700 Euro, einmal 1.812 Euro und einmal 2.305 Euro). Zum anderen ist eine dringende und gegenwärtige Notlage zu bejahen, da die Räumung bei Nichtzahlung unmittelbar bevorsteht und die Vermieterin mitgeteilt hat, dass sie diese auch durchsetzen werde.

Der Zeitraum der Bewilligung bezieht sich auf den Zeitraum ab Antragstellung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bis zum Ablauf der Karenzzeit des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II am 31.12.2023.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.

Rechtskraft
Aus
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