L 7 SO 1760/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 2192/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1760/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Wird der von dem Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 SGB XII zu deckende Mobilitätsbedarf nicht durch die Einrichtung als Leistungserbringer gedeckt, so verbleibt der Mehrbedarfszuschlag im Rahmen der Grundsicherungsleistungen beim Hilfeempfänger und kann nicht auf die Fachleistungen angerechnet werden.

Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 23. April 2021 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte verurteilt wird, der Klägerin unter Abänderung des Bescheids vom 3. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juli 2020 sowie des Bescheids vom 20. Januar 2021 Leistungen nach Leistungstyp I.2.3 ohne Anrechnung des monatlichen Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 SGB XII vom 6. Juni 2020 bis 31. Dezember 2021 zu gewähren.

Der Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit einer Kürzung der Fachleistung im Rahmen der Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) um den Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) wegen der Feststellung des Merkzeichens G bei voller Erwerbsminderung streitig.

Bei der 1967 geborenen Klägerin bestehen eine schizophrene Psychose, ein Residuum und eine Minderbegabung. Bei ihr sind jedenfalls sei 1992 ein Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen G, H und B festgestellt.
Seit 2006 wird die Klägerin von der Beigeladenen stationär betreut. Seit April 2015 wohnt sie in einer Außenwohngruppe.

Ab dem 1. Januar 2017 wurde bei der Klägerin der Pflegegrad 2 festgestellt und hat die Pflegekasse für die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege und der sozialen Betreuung in der Behinderteneinrichtung der Beigeladenen zehn Prozent des Heimentgelts bzw. höchstens 266 EUR monatlich übernommen.

Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg stellte auf das Ersuchen des Beklagten nach § 45 SGB XII das Bestehen einer vollen Erwerbsminderung (zumindest) seit 27. Juni 1989 fest (Schreiben vom 5. März 2019).

Mit Bescheid vom 13. November 2017 bewilligte der Beklagte für die Zeit ab 1. Januar 2018 bis 31. Dezember 2019 Leistungen für den Bedarf in der stationären Einrichtung der Beigeladenen in Form der Übernahme der vereinbarten Vergütung für vollstationäres Wohnen nach Leistungstyp I.2.3, Hilfebedarfsgruppe 2 in Höhe von täglich 72,94 EUR, der Übernahme der vereinbarten Vergütung für tagesstrukturierende Angebote nach Leistungstyp I.4.5b in Höhe von täglich 29,69 EUR, einen Barbetrag in Höhe von monatlich 110,43 EUR und eine Bekleidungspauschale in Höhe von monatlich 23,00 EUR. In einem Monat mit 31 Kalendertagen betrage die Gesamtleistung monatlich 3.314,96 EUR. In der Gesamtleistung seien Leistungsansprüche enthalten in Form der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 751,59 EUR, des notwendigen Lebensunterhalts in Einrichtungen in Höhe von monatlich 133,43 EUR und Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in einem Monat mit 31 Kalendertagen in Höhe von monatlich 2.429,94 EUR.

Auf den Weiterbewilligungsantrag der Klägerin vom 28. September 2019 auf Leistungen der Grundsicherung in besonderen Wohnformen, mit dem sie um Überweisung des Gesamtbetrages an die Einrichtung bat, bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 18. Dezember 2019 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2020 in Höhe von monatlich 837,88 EUR (Regelbedarf 389,00 EUR, Mehrbedarf gemäß § 42 i.V.m. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII 66,13 EUR, anerkannte Wohn- und Zusatzkosten 382,75 EUR). Die mit diesem Bescheid festgesetzten Leistungen würden als vorläufige Leistung nach § 44a SGB XII erbracht, weil der monatliche Restbetrag in Höhe von 203,61 EUR nicht ausbezahlt werden könne, bis eine aktuelle Bankverbindung der Klägerin vorliege. Die Einrichtung sei nicht empfangsberechtigt hinsichtlich der für die Abdeckung der existenzsichernden Bedarfe notwendigen Mittel. Für die weiteren Beträge in Höhe von 251,52 EUR („bereinigter“ Regelbedarf) und 382,75 EUR (Miete) gab der Beklagte als Zahlungsempfänger die Beigeladene an.

Mit Bescheid vom 26. Oktober 2019 bewilligte der Beklagte der Klägerin auf der Grundlage der Übergangsvereinbarung zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in Baden-Württemberg von Amts wegen für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis längstens 31. Dezember 2021 oder bis zum Tag der Entlassung für den Bedarf in der besonderen Wohnform der Beigeladenen die Übernahme der Vergütung laut § 6 der Übergangsvereinbarung nach Leistungstyp I.2.3, Hilfebedarfsgruppe 2 in Höhe von täglich 57,55 EUR (in einem Monat mit 31 Kalendertagen monatlich 1.784,05 EUR), die an die Einrichtung gezahlt würden. Eine Änderung der Vergütungssätze könne nach den Bestimmungen der Übergangsvereinbarung erfolgen. Ein Beitrag aus Einkommen zu den Aufwendungen und ein Beitrag aus Vermögen zu den Aufwendungen seien nicht aufzubringen.

Durch weiteren Bescheid vom 26. Oktober 2019 gewährte der Beklagte der Klägerin zudem von Amts wegen für die Zeit ab 1. Januar 2020 bis längstens 31. Dezember 2021 als Fachleistung für Tagesstruktur durch die Beigeladene als Leistungserbringer die Übernahme der Vergütung laut § 7 der Übergangsvereinbarung nach Leistungstyp I.4.5b in Höhe von täglich 29,42 EUR (in einem Monat mit 31 Kalendertagen monatlich 924,42 EUR), die ebenfalls an die Einrichtung gezahlt würden. Auch insoweit seien ein Beitrag aus Einkommen und ein Beitrag aus Vermögen zu den Aufwendungen nicht aufzubringen.

Gegen den die Grundsicherungsleistungen betreffenden Bescheid vom 18. Dezember 2019 legte die Klägerin insoweit Widerspruch ein, als die Zahlung von Mehrbedarf und Kleidungspauschale auf die mitgeteilte Bankverbindung der Beigeladenen sowie der Mehrbedarf für die gemeinschaftliche Mittagsverpflegung im Angebot „Tagesstruktur Leistungstyp I.4.5b auf dem Gelände“ abgelehnt worden seien. Unter dem 17. Januar 2020 erklärte die Klägerin, auf Druck des Beklagten ein Girokonto eröffnet zu haben, und nahm den Widerspruch zurück.

Mit Bescheid vom 21. Januar 2020 hob der Beklagte den vorläufigen Bescheid vom 18. Dezember 2019 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2020 auf und bewilligte auf den Antrag vom 28. September 2019 Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020 in Höhe von monatlich 902,48 EUR (anerkannte Wohn- und Zusatzkosten für die besondere Wohnform nach § 42a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII 382,75 EUR, Regelbedarf 389,00 EUR, Mehrbedarf gemäß § 42 i.V.m. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII 66,13 EUR, Mehrbedarf Mittagsverpflegung nach § 42b Abs. 2 SGB XII 64,60 EUR). Der Betrag in Höhe von 203,61 EUR werde auf das Konto der Klägerin überwiesen. Ab dem 1. Januar 2020 werde der monatliche Mehrbedarf für die Mittagsessensverpflegung gemäß § 42b Abs. 2 SGB XII gewährt. Im Weiteren führte der Beklagte in dem Bescheid aus, über die Leistungen für diesen Mehrbedarf nach § 44a Abs. 1 SGB XII werde vorläufig entschieden; die Leistungen für den Mehrbedarf könnten nur als vorläufige Leistung erbracht werden.

Mit Bescheid vom 31. März 2020 erklärte der Beklagte die Aufhebung und Ersetzung des Bescheides vom 26. Oktober 2019 für die Zeit ab 1. April 2020 und bewilligte für die Zeit ab 1. April 2020 bis längstens 31. Dezember 2021 für den Bedarf in der besonderen Wohnform der Beigeladenen die Übernahme der Vergütung laut § 6 der Übergangsvereinbarung nach Leistungstyp I.2.3, Stufe 2 in Höhe von täglich 57,55 EUR abzüglich eines monatlichen Mehrbedarfs gemäß § 30 Abs. 1 SGB XII in Höhe von 64,94 EUR (monatliche Fachleistung bei 31 Kalendertagen 1.719,11 EUR). Der Mehrbedarf in Höhe von 64,94 EUR sei von der Klägerin an den Leistungserbringer zu überweisen. Ein Beitrag aus Einkommen oder Vermögen sei weiterhin nicht aufzubringen. Die Aufhebung des ursprünglichen Bescheides nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) beruhe auf einer Änderung in den Verhältnissen. Mit Inkrafttreten der dritten Reformstufe des BTHG zum 1. Januar 2020 i.V.m. der Übergangsvereinbarung für Baden-Württemberg sei festgelegt worden, dass im Einzelfall bei der Gewährung der Eingliederungshilfeleistungen individuelle Mehrbedarfe im Rahmen der existenzsichernden Leistungen zu berücksichtigen seien. Der Mehrbedarf G sei Bestandteil des Lebensunterhalts in der Einrichtung (§ 27b SGB XII), wobei davon ausgegangen worden sei, dass der Mehrbedarf G durch die Einrichtung gedeckt werde. Dies gelte für alle Leistungserbringer für die gemäß § 6 der Übergangsvereinbarung vereinbarten Leistungsangebote. Der Abzug werde für alle Leistungsberechtigten in den betreffenden Leistungsangeboten, denen das Merkzeichen G oder aG zuerkannt worden sei, vorgenommen. Dies sei unabhängig davon, ob der Lebensunterhalt durch Leistungen nach dem SGB II, SGB XII oder nach § 27a des Bundesversorgungsgesetzes (§ 138 Abs. 1 Nr. 8 SGB IX) oder anderweitig gedeckt werde. Aufgrund dieses grundsätzlichen (vertraglichen) Einverständnisses der Leistungserbringer und der Gleichbehandlung aller Leistungsberechtigten könne davon ausgegangen werden, dass ein mit den Regelfällen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X vergleichbarer Sachverhalt vorliege und die Entscheidung aufgehoben werden könne. Daher sei der Mehrbedarf in Höhe von monatlich 64,94 EUR ab 1. April 2020 von der vereinbarten Vergütung abzuziehen und die Leistung an den Leistungserbringer ab diesem Zeitpunkt um den Betrag zu verringern.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 17. April 2020 Widerspruch ein. Es sei nicht erkennbar, inwieweit der Mehrbedarf G gemäß § 30 Abs. 1 SGB XII Bestandteil des Lebensunterhaltes in der Einrichtung gemäß § 27b SGB XII sei und durch die Einrichtung gedeckt werde. Die in der Übergangsvereinbarung vereinbarten Leistungsangebote stellten lediglich eine Absprache/Handlungsanweisung zwischen Kostenträger und Leistungserbringer dar. Mit der geforderten Zahlung von 64,94 EUR habe der Beklagte einen Einkommenseinsatz angeordnet, wobei er gleichzeitig erklärt habe, dass von der Klägerin kein Beitrag aus dem Einkommen zu den Aufwendungen zu erbringen sei.

Unter dem 24. Mai 2020 teilte die Klägerin mit, dass sie ab 6. Juni 2020 innerhalb der Einrichtung der Beigeladenen in ein neues Heimgebäude umziehen werde, und bat um Übersendung eines aktualisierten Leistungsbescheides.

Bezüglich der neuen Unterkunft bzw. Einrichtung war unter dem 29. April 2020 zwischen der Beigeladenen als Leistungserbringer und dem Beklagten als Leistungsträger eine Vereinbarung nach §§ 123 ff. SGB IX für die Zeit ab dem 1. Juni 2020 geschlossen worden.

Mit Bescheid vom 26. Mai 2020 hob der Beklagte den Bescheid vom 21. Januar 2020 aufgrund einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen der Klägerin gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung vom 6. Juni 2020 bis 31. Dezember 2020 teilweise auf und setzte die Leistungen für den Monat Juni 2020 auf 999,15 EUR und ab Juli 2020 auf monatlich 1.018,48 EUR fest, wobei der Beklagte für den Monat Juni 2020 Wohn- und Zusatzkosten in Höhe von 415,63 EUR und ab Juli 2020 in Höhe von 498,75 EUR bei im Übrigen unveränderten Beträgen berücksichtigte. Auf die Vorlage einer korrigierten Mietbescheinigung für die besondere Wohnform erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 9. Juni 2020, dass es bei dem Bescheid vom 26. Mai 2020, in dem bereits die maximale monatliche Höhe für die angemessenen Wohnkosten gewährt worden sei, bleibe und verwies die Klägerin wegen des Differenzbetrages an das für die Eingliederungshilfe zuständige Referat.

Für die Zeit ab 6. Juni 2020 bis längstens 31. Dezember 2021 gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 3. Juni 2020 für den Bedarf in der besonderen Wohnform der Beigeladenen die Übernahme der Vergütung laut § 6 der Übergangsvereinbarung nach Leistungstyp I.2.3, Stufe 2 in Höhe von täglich 64,93 EUR abzüglich eines monatlichen Mehrbedarfs gemäß § 30 Abs. 1 SGB XII in Höhe von 64,94 EUR und erklärte für die Zeit ab 6. Juni 2020 die Aufhebung des Bescheides vom 31. März 2020. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 9. Juni 2020 wegen des Abzugs des Mehrbedarfs ebenfalls Widerspruch ein.

Des Weiteren bewilligte der Beklagte als Fachleistung für Tagesstruktur die Übernahme der Vergütung laut § 7 der Übergangsvereinbarung nach Leistungstyp I.4.5b in Höhe von täglich 30,40 EUR (Bescheid vom 4. Juni 2020).

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2020 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 31. März 2020 zurück.
Am 18. April 2019 hätten die Leistungsträger, Landkreistag Baden-Württemberg, Städtetag Baden-Württemberg sowie der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg die Übergangsvereinbarung zur Umsetzung des BTHG in Baden-Württemberg unterzeichnet. Da die Verhandlungen des Rahmenvertrages nach § 131 SGB IX, der die Grundlagen für die Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen im Sinne des Zweiten Teils des SGB IX habe schaffen sollen, bis dato noch nicht abgeschlossen seien, sei diese Übergangslösung erforderlich gewesen, um die Fortführung der bisherigen Leistungen zu ermöglichen und einen Leistungsabbruch zu vermeiden. An diese Übergangsvereinbarung sei der Beklagte gebunden. § 6 der Übergangsvereinbarung beschreibe die Übergangsregelungen für alle Leistungsangebote, bei denen die Trennung der Fachleistungen von den existenzsichernden Leistungen erforderlich sei. Darunter falle der Leistungsanspruch der Klägerin, Leistungstyp I.2.3, der dieser durch die Beigeladene erbracht werde. Der Anhörungsmangel bezüglich des Bescheides vom 31. März 2020 sei durch das Widerspruchsverfahren geheilt. Bei der Anrechnung des Mehrbedarfs handele es sich nicht um einen Einkommenseinsatz, weil Sozialhilfe kein Einkommen darstelle. Im Übrigen setze die Anerkennung des Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII nicht nur das Merkzeichen G, sondern grundsätzlich auch die volle Erwerbsminderung voraus. Die von dem Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII erfassten Bedarfe würden unzweifelhaft durch den Leistungserbringer gedeckt. Weil sich die Vertragsparteien der Übergangsvereinbarung auf eine Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 2 mit dem Wert des Jahres 2019 zur Ermittlung des Fachleistungsanteils der Eingliederungshilfe verständigt hätten, betrage der abzusetzende Betrag 64,94 EUR (17 % der Regelbedarfsstufe 2 aus 2019) und sei damit geringer als der seit 2020 gültige Mehrbedarfszuschlag in der Regelbedarfsstufe 2 (66,13 EUR).

Unter dem 27. Oktober 2020 beantragte die Klägerin die Weiterbewilligung der Grundsicherungsleistungen über den 31. Dezember 2020 hinaus.

Mit Bescheid vom 17. Dezember 2020 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021 in Höhe von monatlich 1.033,85 EUR (anerkannte Wohn- und Zusatzkosten 498,75 EUR, Regelbedarf 401,00 EUR, Mehrbedarf gemäß § 42 i.V.m. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII 68,17 EUR, Mehrbedarf Mittagsverpflegung nach § 42b Abs. 2 SGB XII 65,93 EUR). Über die Anerkennung des Mehrbedarfs nach § 42b Abs. 2 SGB XII für die in der Werkstatt für behinderte Menschen und in vergleichbaren tagesstrukturierenden Angeboten eingenommenen Mittagessen ergehe die Entscheidung nach § 44a SGB XII vorläufig.

Mit Bescheid vom 20. Januar 2021 erklärte der Beklagte für den Bedarf in der besonderen Wohnform für die Zeit ab 1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021 die Übernahme der Vergütung laut § 6 der Übergangsvereinbarung nach Leistungstyp I.2.3, Stufe 2 in Höhe von täglich 64,93 EUR abzüglich eines monatlichen Mehrbedarfs gemäß § 30 Abs. 1 SGB XII in Höhe von 64,94 EUR sowie abzüglich eines monatlichen Erhöhungsbetrages der Angemessenheitsgrenzen nach § 42a Abs. 6 SGB XII i.V.m. § 113 Abs. 5 SGB IX ab 1. Januar 2021 in Höhe von 2,10 EUR. Der Bescheid vom 3. Juni 2020 werde für die Zeit vom 1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021 insoweit aufgehoben.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2021 hob der Beklagte den Bescheid vom 17. Dezember 2020 teilweise auf und bewilligte der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021 Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 1.035,85 EUR, wobei er nunmehr Wohn- und Zusatzkosten in Höhe von 500,85 EUR anerkannte.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2020 hat die Klägerin bereits am 1. September 2020 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben.
Der bewilligte Mehrbedarf diene dazu, die zusätzlichen Bedürfnisse der Klägerin abzudecken, die auf ihre Schwerbehinderung und Gehbehinderung zurückzuführen seien. Der Beklagte habe im Bescheid vom 31. März 2020 diesen Mehrbedarf der Klägerin entzogen und auf die Fachleistung angerechnet. Der Beklagte greife belastend in die Rechte der Klägerin ein. Eine gesetzliche Grundlage für diesen Eingriff existiere nicht. Bei der Übergangsvereinbarung zur Umsetzung des BTHG in Baden-Württemberg handele es sich um eine Vereinbarung, quasi einen Vertrag, der zwischen den Trägern der Eingliederungshilfe und der Vereinigung der Leistungserbringer geschlossen worden sei. Diese Vereinbarung stelle keine ausreichende gesetzliche Grundlage in diesem Sinne dar. Sie finde sich nicht wieder in den gesetzlichen Normierungen des BTHG. Die Vereinbarung sei endgültig befristet bis 31. Dezember 2021, könne aber zeitlich schon früher durch den Abschluss eines Rahmenvertrags abgelöst werden. Es handele sich nicht um eine abschließende Vereinbarung auf Dauer, sondern nur um ein Konstrukt, das helfen solle, eine Übergangsphase zu begleiten. Dies sei rechtlich als eine Art Handlungsempfehlung zu qualifizieren. Zudem sei eine erforderliche Anhörung unterblieben. Soweit der Beklagte insbesondere auf § 6 Abs. 11 der Übergangsvereinbarung verweise, werde die in dieser Vorschrift normierte „budgetneutrale Umstellung“ durch einen Rechenweg konkretisiert. Dazu sei konkret formuliert worden: „[…] im Einzelfall sind bei der Gewährung der Eingliederungshilfe Leistungen individueller Mehrbedarfe im Sinne des § 30 SGB XII im Rahmen der existenzsichernden Leistungen zu berücksichtigen. Maßgeblich ist, wer für die Deckung des jeweiligen Mehrbedarfes sorgt“. Der Beklagte habe demgegenüber diesen Passus der Übergangsvereinbarung so ausgelegt, dass der Mehrbedarf nach § 30 SGB XII auf die Leistung der Eingliederungshilfe nach SGB IX anzurechnen sei, und zwar generell und immer. Dies stehe jedoch im Widerspruch zu der Formulierung der Vereinbarung. Bei der Frage, ob und inwieweit der Betroffene Teile seines Regelsatzes oder etwaiger Mehrbedarfszuschläge nach dem SGB XII an die Einrichtung weiterleiten müsse, sei vielmehr eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Leistungsberechtigten, der Klägerin, und dem Leistungserbringer erforderlich. Diese beiden stünden sich durch die grundlegenden Änderungen des BTHG, also die Trennung der Fachleistung und existenzsichernden Leistung, jetzt als Vertragspartner gegenüber und zwar im zivilrechtlichen Sinne. Der Kostenträger sei hier gerade nicht mehr beteiligt.

Mit Beschluss vom 14. Dezember 2020 hat das SG die Leistungserbringerin beigeladen. Die Beigeladene hat geltend gemacht, während des Geltungszeitraums der Übergangsvereinbarung stelle sich für die besonderen Wohnformen die Frage nach dem Inhalt der durch den Mehrbedarf abgegoltenen Leistungen aus Gründen der Budgetneutralität nicht. Die höheren Bedarfe von mobilitätseingeschränkten Bewohnern seien für die Übergangszeit auch weiterhin in der besonderen Wohnform mit Rund-um-die-Uhr-Versorgung im Rahmen der Fachleistungserbringung in den Bereichen Pflege, medizinische Leistungen, Hauswirtschaft und Wohnen – je nach individuellem Bedarf – gedeckt worden. Eine konkrete Bezeichnung der Leistungen für die Mobilität bestehe jedoch in der Tat noch nicht.
Nach dem Ende der Übergangsvereinbarung müsse die Leistungserbringerseite ihre Leistungsangebote umschreiben und überlegen, für welche Leistungen dem Bewohner mit Mehrbedarfsanspruch Mobilität ein Entgelt in Höhe des Mehrbedarfs berechnet werden könne in Abgrenzung zu einem Bewohner ohne diesen Mehrbedarfsanspruch. Dies habe bisher jedoch aufgrund der Übergangsvereinbarung noch nicht erfolgen müssen.

Mit Gerichtsbescheid vom 23. April 2021 hat das SG den Bescheid vom 31. März 2020 in der Fassung des Bescheides vom 3. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2020 für die Zeit vom 1. April 2020 bis zum 5. Juni 2020 vollständig und für die Zeit ab dem 6. Juni 2020 bezüglich der Anrechnung des monatlichen Mehrbedarfs (64,94 EUR) auf die Fachleistung aufgehoben. Zwar sei der Anhörungsmangel im Rahmen des Widerspruchsverfahren geheilt worden. Jedoch lägen die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 26. Oktober 2019 nach § 48 SGB X nicht vor.
Eine rechtserhebliche Änderung der tatsächlichen und/oder rechtlichen Verhältnisse in Bezug auf den Bescheid vom 26. Oktober 2019 sei nicht eingetreten. Der Umstand, dass die im Rahmen der dritten Stufe des BTHG nach § 131 SGB IX erforderlichen Verträge bzw. Vereinbarungen zwischen den zuständigen Leistungsträgern und den Leistungserbringern zum maßgeblichen Stichtag (1. Januar 2020) nicht vorgelegen hätten, sei bereits lange vor Bescheiderteilung absehbar gewesen; immerhin datiere die von dem Beklagten insoweit angeführte Übergangsvereinbarung bereits auf den Monat April 2019. Entgegen der Darstellung des Beklagten ergebe sich eine wesentliche Änderung der tatsächlichen und/oder rechtlichen Verhältnisse auch nicht aus dem Schreiben des KVJS vom 12. März 2020. Denn dieses Rundschreiben habe letztlich lediglich verwaltungsinterne Wirkung und diene aus Sicht des zuständigen Ministeriums bzw. des überörtlichen Trägers der Eingliederungs- bzw. Sozialhilfe als Orientierungshilfe zur Auslegung der Übergangsvereinbarung vom 18. April 2019. Die Übergangsvereinbarung, welche letztlich im sozial- bzw. eingliederungshilferechtlichen Dreieck einzig die Rechtsbeziehungen zwischen dem Beklagten und der Beigeladenen berühre, könne die Sozialleistungsansprüche der Klägerin nicht beschneiden. Auch der Umstand, dass die Beigeladene (wohl in Reaktion auf das Schreiben des KVJS vom 12. März 2020) von dem Beklagten seit dem 1. April 2020 für die der Klägerin erbrachte Eingliederungshilfe nur noch eine um monatlich 64,94 EUR bereinigte Vergütung fordere, stelle keine wesentliche Änderung der tatsächlichen und/oder rechtlichen Verhältnisse im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X dar. Denn der sich aus dem Zweiten Teil des SGB IX ergebende Leistungsanspruch der Klägerin müsse im sozial- bzw. eingliederungshilferechtlichen Dreieck von dem „Vergütungsanspruch“ der Beigeladenen unterschieden werden. Zudem sei die veränderte Rechnungstellung der Beigeladenen letztlich von dem Beklagten bzw. dem KVJS veranlasst worden und falle somit in die Sphäre des Beklagten. Auch erhalte die Klägerin von der Beigeladenen bislang keine besonderen Leistungen zum Ausgleich des auf ihrem behinderungsbedingten Mobilitätsdefizit beruhenden Mehrbedarfs. Der Umstand, dass die Klägerin vom Grundsicherungsträger zur Deckung des in Rede stehenden Mehrbedarfs eine entsprechende Geldzahlung erhalte, sei für das hier streitige Rechtsverhältnis der Klägerin gegenüber dem Träger der Eingliederungshilfe ohne Bedeutung. Denn der Grundsicherungsträger erfülle lediglich den gesetzlichen Anspruch der Klägerin aus § 42 Nr. 2 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 SGB XII. Eine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage läge erst und nur dann vor, wenn die Klägerin von der Beigeladenen tatsächlich gegenüber sonstigen Bewohnern (ohne Merkzeichen G) zusätzliche Dienste bzw. Hilfen zum Ausgleich ihres behinderungsbedingten Mobilitätsdefizits erhielte. Gegebenenfalls käme allenfalls eine Rücknahme der Leistungsbewilligung vom 26. Oktober 2019 nach § 45 SGB X in Frage. Eine Umdeutung des angefochtenen Verwaltungsaktes in einen entsprechenden Rücknahmebescheid scheide jedoch schon aufgrund Vertrauensschutzes der Klägerin und fehlender Ermessensausübung durch den Beklagten aus.

Gegen den ihm am 26. April 2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 20. Mai 2021 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Mit Bescheid vom 26. Oktober 2019 seien der Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe gewährt worden, wobei in der Hilfeleistung von täglich 57,55 EUR ebenfalls ein monatlicher Mehrbedarf i.H.v. 64,94 EUR gemäß § 30 Absatz 1 Nr. 2 SGB XII enthalten sei. Mit dem streitgegenständlichen Änderungsbescheid vom 31. März 2020 habe dieser Mehrbedarf abgezogen werden sollen, weil die Klägerin diesen Mehrbedarf nunmehr über die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erhalte. Dies lasse sich darauf zurückführen, dass Menschen, welche sowohl Leistungen der Eingliederungshilfe als auch Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bezogen hätten, vor der dritten Reformstufe des BTHG ihre Leistungen regelmäßig in einem gebündelten Bescheid erhalten hätten. Mit dem Übergang der Eingliederungshilfe vom SGB XII in das SGB IX sei diese Praxis der Beklagten jedoch dahingehend umgestellt worden, dass Leistungsempfänger nunmehr zwei separate Bescheide erhielten.
Die doppelte Zahlung sei darauf zurückzuführen, dass der individuelle Mehrbedarf bei der Anwendung des landesweit eingesetzten KdU-Berechnungstools anlässlich der budgetneutralen Umstellung zum 1. Januar 2020 nicht pauschal habe berücksichtigt werden können. Selbstverständlich sei, dass der Klägerin der Anspruch auf Mehrbedarf zustehe, jedoch nicht doppelt. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X sei die einschlägige Ermächtigungsgrundlage. Die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse hätten sich in dem Zeitraum zwischen den Bescheiden vom 26. Oktober 2019 und vom 31. März 2020 durch die dritte Reformstufe des BTHG und des Übergangs der Eingliederungshilfe vom SGB XII in das SGB IX auch für die Klägerin dahingehend geändert, dass der Träger der Eingliederungshilfe nicht mehr als Träger der Sozialhilfe nach SGB XII anzusehen sei und demnach der Mehrbedarf nur noch über die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten sei. Die Klägerin habe hingegen keinen Anspruch darauf, den streitgegenständlichen Mehrbedarf zusätzlich über den Beklagten als Träger der Eingliederungshilfe doppelt zu erhalten. Soweit man die Leistungsbewilligung der Eingliederungshilfe als von Anfang an rechtswidrig ansehen würde, wäre § 45 SGB X einschlägig. Die Anrechnung des Mehrbedarfs könne auch in einen Rücknahmebescheid gemäß § 45 SGB X umgedeutet werden, da das Vertrauen der Klägerin auf den Erhalt eines doppelt gezahlten Mehrbedarfs nicht schutzwürdig sei und das Ermessen ohnehin auf Null reduziert sei. Das Vertrauen der Klägerin auf den Bestand des rechtswidrigen Zustands sei verhältnismäßig gering, im Gegensatz zu dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung der rechtmäßigen Zustände. Die Klägerin verliere keine Leistung, auf die sie einen Anspruch habe; vielmehr werde der status quo wiederhergestellt. Durch die doppelte Zahlung des Mehrbedarfs sei eine ungerechtfertigte Bereicherung eingetreten, welche keine anderweitigen Handlungsalternativen zugelassen habe, insbesondere, weil es sich um eine Dauerleistung handele. Demnach liege eine Ermessensreduzierung auf Null vor.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 23. April 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Soweit der Beklagte nunmehr § 45 SGB X als einschlägig ansehe und jetzt vordergründig in der Berufungsbegründung ein Ermessen ausübe, sei dies rechtlich irrelevant, weil die fragliche Ermessensentscheidung im Rahmen des Erlasses des Widerspruchsbescheides hätte ausgeübt werden müssen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Sie hat ausgeführt, für den Mehrbedarf Mobilität bestehe derzeit in Übereinstimmung mit der Übergangsvereinbarung für das Land Baden-Württemberg keine Leistungsbeschreibung.
Während des Geltungszeitraums der Übergangsvereinbarung stelle sich für die besonderen Wohnformen die Frage nach dem Inhalt der durch den Mehrbedarf abgegoltenen Leistungen aus Gründen der Budgetneutralität nicht. Die höheren Bedarfe von Mobilitätseingeschränkten seien für die Übergangszeit auch weiterhin in der besonderen Wohnform mit Rund-um-die-Uhr-Versorgung im Rahmen der Fachleistungserbringung in den Bereichen Pflege, medizinische Leistungen, Hauswirtschaft und Wohnen – je nach individuellem Bedarf – gedeckt worden und würden dies weiterhin. Eine konkrete Leistungsbeschreibung müsse nicht erfolgen. Der Träger sei hierfür weder gesetzlich noch rechtlich verpflichtet. Nach Ablauf der Übergangsvereinbarung werde von dem Träger eine Leistungsbeschreibung für die darauf folgende Zeit vorgenommen werden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), jedoch unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 31. März 2020 in der Fassung des Bescheides vom 3. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2020 und in der Fassung des Bescheides vom 20. Januar 2021, durch den der Beklagte den Bescheid vom 26. Oktober 2019, mit dem er der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2021 Eingliederungshilfeleistungen in Form der Übernahme der Vergütung für die besondere Wohnform ohne Anrechnung eines von der Klägerin zu erbringenden Betrages in Höhe von 64,94 EUR monatlich bewilligt hat, insoweit aufgehoben hat, als er nunmehr ab 1. April 2020 einen monatlichen Mehrbedarf gemäß § 30 Abs. 1 SGB XII in Höhe von 64,94 EUR von der Eingliederungshilfeleistung in Abzug gebracht hat. Dagegen wendet sich die Klägerin statthaft mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG). Für die Zeit ab 6. Juni 2020 hat der Beklagte – zwar weiterhin unter Abzug eines monatlichen Mehrbedarfsbetrages in Höhe von 64,94 EUR – jedoch aufgrund des Umzuges der Klägerin in eine andere Unterkunft und der damit verbundenen höheren Kosten höhere Eingliederungshilfeleistungen als mit Bescheid vom 26. Oktober 2019 bewilligt. Richtige Klageart ist insoweit eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 SGG, § 56 SGG); bei der beantragten Übernahme noch unbezahlter Kosten im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis handelt es sich um einen Schuldbeitritt des in Anspruch genommenen Trägers, verbunden mit einem Anspruch auf Befreiung von der Schuld gegenüber dem Leistungserbringer (dazu grundlegend Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 28. Oktober 2008 – B 8 SO 22/07 R – SozR 4-1500 § 75 Nr. 9, SozR 4-3500 § 53 Nr. 1, SozR 4-3500 § 75 Nr. 1).

Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.

Das SG hat in dem angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, dass nach Erlass des Bescheides vom 26. Oktober 2019 – zunächst – eine Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht eingetreten ist, weshalb die Voraussetzungen für eine teilweise Aufhebung des Bescheides nach § 48 SGB X ab 1. April 2020 nicht vorliegen und es für eine Rücknahme des genannten Bescheides nach § 45 SGB X jedenfalls an der erforderlichen Ermessensausübung fehlt. Ab 6. Juni 2020 ist – entgegen der Auffassung des SG – durch den Umzug der Klägerin zwar eine Änderung in den Verhältnissen eingetreten, durch die der Beklagte zur Neufestsetzung der Eingliederungshilfeleistungen verpflichtet war. Insoweit hat die Klägerin jedoch Anspruch auf Übernahme der vollen Vergütung für die besondere Wohnform ohne Abzug eines monatlichen Betrages in Höhe von 64,94 EUR wegen des ihr im Rahmen der Grundsicherungsleistungen zustehenden Mehrbedarfs wegen der Zuerkennung des Merkzeichens G bei Bestehen einer vollen Erwerbsminderung nach § 30 Abs. 1 SGB XII. Im Übrigen ist aus diesem Grund auch die Gewährung der Eingliederungshilfeleistungen in Form der Übernahme der Vergütung für den Bedarf in der besonderen Wohnform ohne den Abzug des streitgegenständlichen Mehrbedarfsbetrages durch den Bescheid vom 26. Oktober 2019 nicht rechtswidrig gewesen oder ab 1. April 2020 rechtswidrig geworden, sodass auch deswegen weder die Voraussetzungen für eine Aufhebung des genannten Bescheides nach § 48 SGB X noch nach § 45 SGB X vorliegen und der Bescheid vom 31. März 2020 rechtswidrig ist.

Nach § 99 in Verbindung mit § 90 SGB IX in der ab 1. Januar 2020 geltenden Fassung erhalten Eingliederungshilfe Menschen mit Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX, die wesentlich in der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind (wesentliche Behinderung) oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören nach § 102 Abs. 1 SGB IX u.a. Leistungen zur Sozialen Teilhabe nach § 113 SGB IX in Verbindung mit §§ 76 ff. SGB IX, die insbesondere Leistungen für Wohnraum und Assistenzleistungen umfassen. Nach der am 18. April 2019 zwischen den Trägern der Eingliederungshilfe und den Vereinigungen der Leistungserbringer geschlossenen Übergangsvereinbarung zur Umsetzung des BTHG in Baden-Württemberg sind unter § 6 Überleitungsregelungen für alle Leistungsangebote, bei denen die Trennung der Fachleistung von den existenzsichernden Leistungen erforderlich ist (insbesondere Leistungstyp I.2.3), getroffen worden. Nach Absatz 11 der Regelung soll die budgetneutrale Umstellung dergestalt erfolgen, dass der Monatsbetrag der Eingliederungshilfeleistung (inklusive Aufwendungen für Wohnraum oberhalb der Angemessenheitsgrenze nach § 42a Abs. 6 SGB XII im Sinne des § 113 Abs. 5 SGB IX) am 1. Januar 2020 ermittelt wird aus dem Gesamtentgelt (Grundpauschale, Maßnahmepauschale, Investitionsbetrag jeweils multipliziert mit 30,42 Tage) zuzüglich Barbetrag und Bekleidungspauschale (jeweils Stand 31. Dezember 2019) abzüglich angemessener Kosten der Unterkunft und Heizung für Wohnraum nach § 42a SGB XII und abzüglich Regelsatz für Regelbedarfsstufe 2. Im Einzelfall sollen bei der Gewährung der Eingliederungshilfeleistungen individuelle Mehrbedarfe im Sinne des § 30 SGB XII im Rahmen der existenzsichernden Leistungen zu berücksichtigen sein, wobei maßgeblich sein soll, wer für die Deckung des jeweiligen Mehrbedarfs sorgt.
Dass die Beigeladene vorliegend Leistungen erbringt, die von dem Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 SGB XII umfasste Mobilitätsbedarfe (vollständig) decken, ist nicht ersichtlich. Es wurde von den Beteiligten auch nicht vorgetragen, welche konkreten Leistungen von der Beigeladenen insoweit gegebenenfalls erbracht werden. Eine Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Beigeladenen über die Erfüllung des Mobilitätsbedarfs der Klägerin wurde nicht geschlossen. Soweit die Beigeladene vorträgt, höhere Bedarfe von mobilitätseingeschränkten Bewohnern seien in der Vergangenheit (bis zum 31. Dezember 2019) gedeckt worden und würden für die Übergangszeit auch weiterhin in der besonderen Wohnform mit Rund-um-die-Uhr-Versorgung im Rahmen der Fachleistungserbringung in den Bereichen Pflege, medizinische Leistungen, Hauswirtschaft und Wohnen – je nach individuellem Bedarf – gedeckt, räumt sie selbst ein, dass eine konkrete Bezeichnung der Leistungen für die Mobilität (in der Übergangsvereinbarung) nicht bestehe. Nach ihren Ausführungen müsse die Leistungserbringerseite nach Ende der Übergangsvereinbarung ihre Leistungsangebote umschreiben und überlegen, für welche Leistungen dem Bewohner mit Mehrbedarfsanspruch Mobilität ein Entgelt in Höhe des Mehrbedarfs berechnet werden könne in Abgrenzung zu einem Bewohner ohne diesen Mehrbedarfsanspruch. Dies habe bisher jedoch aufgrund der Übergangsvereinbarung noch nicht erfolgen müssen. Aus diesem Vortrag ist jedoch nicht abzuleiten, dass der gesamte individuelle Mobilitätsbedarf der Klägerin bzw. deren Bedarf wegen einer eingeschränkten Gehfähigkeit von der Einrichtung der Beigeladenen tatsächlich abgedeckt wird und wurde. Für die Zeit vor dem Inkrafttreten des BTHG waren nach dem Rahmenvertrag nach § 79 Abs. 1 SGB XII zu den Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII für Baden-Württemberg für stationäre und teilstationäre Einrichtungen und Dienste zum Leistungstyp I.2.3, der sich auf seelisch behinderte Erwachsene bezieht und für den die Klägerin Eingliederungshilfe erhält, weder mobilitätseingeschränkte Personen als Zielgruppe aufgeführt, noch lässt sich den Angaben zu Art und Umfang des Angebots entnehmen, dass besondere Mobilitätsbedarfe umfassend befriedigt werden sollten. Vielmehr ist der Umfang hinsichtlich der tatsächlichen Betreuung bei diesem Leistungstyp auf das Wohnangebot ohne die hinzukommenden tagesstrukturierenden Angebote eingeschränkt. Schon dies lässt Zweifel aufkommen, ob vor Inkrafttreten des BTHG von der Einrichtung vollumfänglich Leistungen zur Deckung jeglichen Mobilitätsbedarfs zu erbringen waren, insbesondere nicht nur eine eingeschränkte Gehfähigkeit innerhalb des Pflegeheims auszugleichen war, sondern auch Angebote außerhalb des Pflegeheims, etwa Hilfen beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Einrichtung oder bei der Erledigung persönlicher Angelegenheiten in- und außerhalb der Einrichtung, abzudecken waren. Selbst, wenn die Einrichtung in der Vergangenheit zu umfassenden Leistungen zum Ausgleich der eingeschränkten Mobilität der Klägerin verpflichtet war, kam es auch für die Frage, ob höhere Leistungen des weiteren notwendigen Lebensunterhalts (über den Barbetrag hinaus) zu gewähren sind oder ob die Bedarfe vom inkludierten Lebensunterhalt in der Einrichtung umfasst sind, darauf an, inwieweit die individuellen Bedarfe des Einzelnen ausgehend von seinen Wünschen von der Einrichtung tatsächlich gedeckt wurden. Soweit der Leistungsberechtigte Bedarfe wegen seiner eingeschränkten Gehfähigkeit hatte, die außerhalb des institutionellen Angebots lagen, insbesondere bezüglich des soziokulturellen Bereichs, oder die er wegen eines fehlenden Angebots der Einrichtung selbst decken musste, waren dafür Leistungen des weiteren notwendigen Lebensunterhalts zu gewähren (BSG, Urteil vom 23. Februar 2023 – B 8 SO 2/22 R – juris Rdnr. 17). Entsprechende Erwägungen sind auch der Orientierungshilfe der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) für die Beratung über den Anteil des Regelsatzes, der Leistungsberechtigten in besonderen Wohnformen als Barmittel verbleibt (Orientierungshilfe Barmittelanteil, Stand Mai 2019), zu entnehmen. Darin ist ausgeführt, dass auch ab 2020 ein Teil der Existenzsicherung in besonderen Wohnformen durch die Leistungserbringer erfolge, insbesondere die Bereitstellung der Unterkunft, weswegen Leistungsberechtigte diesen Teil der bewilligten Existenzsicherungsleistungen an die Leistungserbringer weiterleiten würden. Dazu bedürfe es vertraglicher Regelungen zwischen den Leistungsberechtigten und den Leistungserbringern über Zweck und Höhe der Geldleistungen unter Beachtung der Vorschriften des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes (WBVG). Weder der für die existenzsichernden Leistungen zuständige Träger der Sozialhilfe, noch der für die fachlichen Leistungen zuständige Träger der Eingliederungshilfe sei an den vertraglichen Regelungen zwischen den Leistungsberechtigten und den Leistungserbringern zu beteiligen. Beim Regelsatz und etwaigen Mehrbedarfszuschlägen könne die Frage auftreten, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe eine Weiterleitung in Betracht komme. Grundsätzlich müsse auch darüber eine vertragliche Regelung zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Leistungserbringer erfolgen, damit verbindlich geregelt sei, welche Lebensunterhaltsbedarfe vom Leistungserbringer zu erbringen und in welcher Höhe diese abzurechnen seien und welche Existenzsicherungsbedarfe von den Leistungsberechtigten eigenverantwortlich abgedeckt werden sollen. Zum Schutz der Leistungsberechtigten habe der Gesetzgeber geregelt, dass im Rahmen der Gesamtplanung über den Anteil des Regelsatzes zu beraten sei, der den Leistungsberechtigten als Barmittel zur eigenverantwortlichen Verwendung verbleibe. Das Ergebnis über die Beratung des Barmittelanteils sei verpflichtender Bestandteil des Gesamtplans nach § 121 SGB IX. Da die Leistungserbringer nach § 123 Abs. 4 SGB IX verpflichtet seien, die Leistungen unter Beachtung der Inhalte des Gesamtplanes nach § 121 SGB IX zu erbringen, begründe der im Gesamtplan dokumentierte Barmittelanteil auch eine Verbindlichkeit für die zwischen den Leistungsberechtigten und den Leistungserbringern abzuschließenden vertraglichen Vereinbarungen. Etwaige Mehrbedarfszuschläge nach § 30 bzw. § 42b SGB XII würden nach dem eindeutigen Wortlaut von § 119 Abs. 2 S. 2 bzw. § 121 Abs. 4 Nr. 6 SGB IX nicht in die Beratung über den Barmittelanteil einbezogen. Gleichwohl komme eine Weiterleitung bewilligter Mehrbedarfszuschläge durch die Leistungsberechtigten an die Träger besonderer Wohnformen nur in dem Umfang in Betracht, in dem eine entsprechende Gegenleistung in den Verträgen zwischen den Leistungsberechtigten und den Leistungserbringern vereinbart sei, die nicht der Fachleistung zuzuordnen sei. Ansonsten verblieben die Mehrbedarfszuschläge bei den Leistungsberechtigten und erhöhten deren Barmittelanteil. Speziell hinsichtlich des Mehrbedarfs wegen Alter bzw. Erwerbsminderung und Merkzeichen G ist in der Orientierungshilfe ausgeführt, dass eine Weiterleitung an den Träger der besonderen Wohnform nur in dem Umfang in Betracht komme, in dem Maßnahmen aus Anlass von Mobilitätseinschränkungen regelmäßig durch den Träger erfolgten. Im Fall der Klägerin ist nicht erkennbar, dass und welche Maßnahmen anlässlich deren eingeschränkter Gehfähigkeit von der Einrichtung der Beigeladenen erbracht werden. vielmehr hat die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich eingeräumt, dass von ihr (Zusatz-)Leistungen in Bezug auf die Mobilitätseinschränkung der Klägerin (bislang) nicht erbracht werden. Damit erhält die Klägerin die Leistungen wegen des bei ihr festgestellten Merkzeichens nicht etwa – wie vom Beklagten angenommen – doppelt, sondern muss ihr gerade der im Rahmen der Grundsicherungsleistungen zu berücksichtigende Mehrbedarf zur Deckung ihrer individuellen Mobilitätsbedarfe verbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da sie keinen Antrag gestellt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.





 

Rechtskraft
Aus
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