L 4 SO 84/23 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 27 SO 1024/23 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 84/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde eines Sozialhilfeträgers gegen eine einstweilige Anordnung entfällt nicht, wenn der Träger einen vorläufigen Ausführungsbescheid erlässt, mit dem er allein der durch die erstinstanzliche Entscheidung entstandenen vollstreckbaren Leistungspflicht nachgekommen ist.


Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. August 2023 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller auch außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.


Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung der Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII).

Der 1997 geborene Antragsteller leidet nach einem Gutachten von Dr. M. vom 31. Mai 2022 an einem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, Cannabis-Abhängigkeit und einer anamnestisch vorbekannten rezidivierenden depressiven Störung, zudem bestehe der Verdacht auf eine Persönlichkeitsakzentuierung mit reduzierter Impulskontrolle (Bl. 82 Band 2 der Verwaltungsakte – VA). 

Nachdem er am 10. Dezember 2021 nach fünfwöchiger Untersuchungshaft aus der JVA Frankfurt am Main nach „Deutschland ohne festen Wohnsitz“ entlassen worden war, bezog er eine 37 qm große, möblierte Einzimmerwohnung in der A-Straße, A-Stadt. Nach einem vom Antragsteller vorgelegten Untermietvertrag zwischen der Hauptmieterin D. C. und dem Antragsteller vom 29. Oktober 2021 wurde eine Kaltmiete i.H.v. 450,00 € nebst Betriebskostenvorauszahlung i.H.v. 100,00 € und Heizkostenvorauszahlung i.H.v. 50,00 € monatlich vereinbart.

Bereits am 9. November 2021 hatte die seit 2015 bestellte Betreuerin des Antragstellers bei der Antragsgegnerin für den Antragsteller Leistungen nach dem SGB XII inkl. Kosten für Unterkunft und Heizung beantragt, ohne die Kosten mit Antrag näher zu beziffern. Mit E-Mail vom 22. Dezember 2021 übersandte sie eine Mietbescheinigung vom 29. Oktober 2021 und teilte der Antragsgegnerin mit, dass der Antragsteller die Wohnung zum 1. Januar 2022 anmieten könne. Mit weiterer E-Mail vom 12. Januar 2022 übersandte sie die vom Hausmeister der Liegenschaft, Herrn H., unterzeichnete Wohnungsgeberbestätigung 9. Januar 2022 und am 14. Januar 2022 zudem den Hauptmietvertrag zur Wohnung.

Auf ein Ersuchen nach § 45 SGB XII hin teilte die Deutsche Rentenversicherung mit, dass bis voraussichtlich 31. Mai 2025 volle Erwerbsminderung bestehe.

Mit Bescheid vom 21. Januar 2022 lehnte die Antragsgegnerin isoliert die Übernahme der Untermietkosten mit der Begründung ab, dass der Vermieter sowie die Hauptmieter im Hauptmietvertrag nicht mit dem Wohnungsgeber und der Hauptmieterin im Untermietvertrag übereinstimmten und der Mietzins der Untermiete den Mietzins des Hauptmietvertrags übersteige. Zudem übersteige die Kaltmiete die als angemessene anzusehende Grundmiete um 13,01 %. Gegen diesen Bescheid erhob die Betreuerin am 21. Februar 2022 Widerspruch.

Es folgten weitere Anträge, Folgeanträge, Änderungsbescheide sowie Widersprüche und Korrespondenz wegen der Nichtbewilligung von Unterkunftskosten. Mit Bescheid vom 1. August 2022 bewilligte die Antragsgegnerin wiederum nur Regelleistungen und Kranken-/Pflegeversicherungsbeiträge für Juli 2022; hiergegen richtete sich der Widerspruch vom 26. August 2022. 

In der Akte befindet sich ferner ein Bescheid vom 6. März 2023 ohne Absendevermerk (Bl. 133 Band 2 VA) für den Zeitraum vom 1. Januar 2023 bis 31. Juli 2023. Dort wird auf die Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse verwiesen und die „bisherigen Bescheide für den gleichen Zeitraum werden hiermit aufgehoben.“ Eine Leistungsberechnung erfolgt indes lediglich für den Monat Januar 2023. Gewährt wird der Regelbedarf i.H.v. 502 € und die Kosten der Unterkunft werden mit 0,00 € beziffert. Unter den allgemeinen Hinweisen finden sich die Sätze: „Dieser Bescheid ist kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Bei unveränderten wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen besteht jedoch - ohne dass es eines gesonderten Auftrages bedarf - Anspruch auf Weitergewährung der Leistung in der in diesem Bescheid genannten Höhe.“

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2023 wies die Antragsgegnerin die Widersprüche vom 21. Februar 2022 und vom 26. August 2022 mit der Begründung zurück, dass der Antragsteller keiner wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt sei. Der am 29. Oktober 2021 geschlossene Untermietvertrag sei als unwirksam anzusehen. Eine nach § 540 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erforderliche, ausdrückliche Einwilligung des Vermieters liege nicht vor. Zudem könne die Mietzinsforderung nur an die Eheleute C. gemeinschaftlich geleistet werden, da diese als Hauptmieter der Wohnung eine Gemeinschaft im Sinne des § 741 BGB bildeten. Schließlich habe der Antragsteller auch die tatsächliche Zahlung des Mietzinses nicht nachgewiesen. Die Ablehnung der Übernahme der Untermietkosten sei rechtmäßig und verletze den Antragsteller nicht in seinen Rechten.

Bereits mit Antrag vom 17. Mai 2023 beantragte der Antragsteller Leistungen für den Zeitraum ab 1. August 2023 (Bl. 203 Band 2 VA). In den Akten der Antragsgegnerin befindet sich ein an die Betreuerin adressierter Bescheid vom 19. Juni 2023 (Bl. 240 Band 2 der Verwaltungsakte – VA.), mit dem Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII in Höhe von 502,00 € für den Monat August 2023 bewilligt werden und hinsichtlich der Ablehnung von Unterkunftskosten Bezug auf den Widerspruchsbescheid „vom 13. Juni 2023“ genommen wird (ein solcher, mit dem Bescheid vom 7. Juni 2023 identischer Bescheid befindet sich in der Akte der Antragsgegnerin). Ein Absendevermerk oder eine Absendeverfügung findet sich nicht.

Bereits am 26. Mai 2023 erhob die Betreuerin sowohl Klage gegen den Bescheid vom 6. März 2023 als auch gegen den Bescheid vom 1. August 2022 (Az.: S 27 SO 1016/23). Mit Schriftsatz vom 12. Juli 2023 stellte sie den Antrag, „den Bescheid vom 21. Januar 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2023 (…) aufzuheben“.

Am 14. Juni 2023 hat die Betreuerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Sozialgericht Frankfurt gestellt.

Der Antragsteller hat gegenüber dem Sozialgericht vorgetragen, der Mietvertrag sei rechtswirksam und dem Antragsteller drohe täglich die Kündigung, da die Miete seit Januar 2023 nicht mehr gezahlt worden sei. In der Zeit davor habe die Betreuerin die Mietkosten darlehensweise getilgt, was aus den Überweisungsbelegen hervorgehe. Die Genehmigung zur Untervermietung sei bereits im Rahmen der Wohnungsgeberbescheinigung durch den Hausverwalter erteilt worden.

Soweit die Antragsgegnerin der Auffassung sei, der Bescheid vom 6. März 2023 sei relevant, so habe dieser lediglich teilweise den Bescheid vom 1. August 2022 geändert. Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2023 führte die Bevollmächtigte aus: „Aber auch selbst dann, wenn kein Widerspruch eingelegt worden wäre, wäre die Behörde dazu verpflichtet, einen offensichtlich rechtswidrigen Bescheid abzuändern“ (Bl. 41 der Akte des Sozialgerichts). 

Die Antragsgegnerin hat die Auffassung vertreten, eine rechtswirksame Verpflichtung des Antragstellers zur Zahlung von Unterkunftskosten sei nicht glaubhaft gemacht worden. Sie hat zudem die Auffassung vertreten, der Antrag sei unzulässig, da der Bescheid vom 6. März 2023 bestandskräftig geworden sei. Im Übrigen fehle es an einer rechtswirksamen Verpflichtung des Antragstellers zur Zahlung von Unterkunftskosten. Die von der Betreuerin vorgelegten Quittungen belegten Zahlungen nicht per Banküberweisung, zudem verspätete Zahlungen und Zeiten, in denen sich der Antragsteller in Untersuchungshaft befunden habe.

Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 17. August 2023 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 14. Juni 2023 bis 14. November 2023 vorläufig Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 600,00 € monatlich zu gewähren. Der Antragsteller habe hinreichend glaubhaft gemacht, einer Mietzinsforderung i.H.v. insgesamt 600,00 € (Grundmiete i.H.v. 450,00 €, Betriebskostenvorauszahlung i.H.v. 100,00 € + Heizkostenvorauszahlung i.H.v. 50,00 €) ausgesetzt zu sein. Die Hauptmieterin Frau D. C. habe mit dem Antragsteller am 29. Oktober 2021 einen Untermietvertrag geschlossen, der die Gesamtmiete auf 600,00 € festsetze. Trotz der von der Antragsgegnerin vorgebrachten Unstimmigkeiten, insbesondere mit Blick auf den Mietbeginn zu einem Zeitpunkt, als sich der Antragsteller noch in Untersuchungshaft befunden habe, spreche nach summarischer Prüfung viel dafür, dass der Mietvertrag jedenfalls seit geraumer Zeit so wie im Vertrag vereinbart praktiziert werde. Zum einen habe die Betreuerin die regelmäßige darlehensweise Zahlung der Untermiete an die Hauptmieterin D. C. jedenfalls für den Zeitraum ab Januar 2022 bis einschließlich Januar 2023 durch Banküberweisung belegt. Zum anderen spreche für eine entsprechende Praxis der Umstand, dass die persönliche Begutachtung des Antragstellers für das psychiatrische Gutachten des Dr. M. im Betreuungsverfahren am 31. Mai 2022 nachgewiesenermaßen im Rahmen eines Hausbesuches des Antragstellers in dessen Wohnung in der A-Straße in A-Stadt stattgefunden habe. Es seien keine Anhaltspunkte für ein Scheingeschäft ersichtlich. Die amtliche Meldung der Hauptmieterin in der Wohnung des Antragstellers allein begründe noch nicht die Annahme, dass die Parteien einverständlich nur den äußeren Anschein des Abschlusses des Rechtsgeschäfts beabsichtigt hätten und die mit dem Geschäft verbundenen Rechtsfolgen nicht eintreten lassen wollten, was für die Annahme eines Scheingeschäfts jedoch erforderlich wäre. Auch führe die fehlende Zustimmung des Vermieters zur Gebrauchsüberlassung der Mietsache an den Antragsteller nach § 540 BGB nicht zur Unwirksamkeit des Untermietvertrages. Die Überlassung ohne Erlaubnis stelle eine Verletzung der mietvertraglichen Pflichten des Hauptmieters dar und berechtigten den Vermieter allenfalls dazu, nach Abmahnung die Unterlassung der Pflichtverletzung zu verlangen (§ 541 BGB) oder den Hauptmietvertrag außerordentlich zu kündigen (§§ 543 Abs. 2 Nr. 2, 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Schließlich verfange auch das Argument der Antragsgegnerin, eine Erfüllung der Mietzinsforderung hätte nach § 432 BGB zunächst nur gemeinschaftlich an die Hauptmieter Frau und Herr C. erfolgen können, nicht. Es sei zwar zutreffend, dass mehrere Mieter eine Gemeinschaft nach § 741 BGB bildeten, die eigenständige Untervermietung durch Frau C. habe in der Vergangenheit jedoch allenfalls zu einer Ausgleichspflicht der Frau C. nach § 426 BGB oder zu etwaigen Besitzschutzansprüchen des Herrn C. geführt. Ergänzend weise das Gericht darauf hin, dass der Antragsteller, solange er die Wohnung tatsächlich nutze, jedenfalls einer Forderung auf Herausgabe des tatsächlich gezogenen Nutzungswertes ausgesetzt sei. Die Aufwendungen für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung seien vorliegend auch angemessen. Bei einer Wohnungsgröße von 37 qm sei die Grundmiete von 450,00 € für eine Wohnung der Baujahre 1949 bis 1977 als angemessen anzusehen. Warum die Antragsgegnerin trotz positivem Prüfergebnis im Rahmen der eigenen Angemessenheitsprüfung am 18. Januar 2022 davon ausgehe, dass die Miete unangemessen sein solle, erschließe sich dem Gericht nicht. Auf Antrag der leistungsberechtigten Person seien die Bedarfe durch Direktzahlung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu decken, § 35a Abs. 3 Satz 1 SGB XII. Das Gericht sei auch von einem Anordnungsgrund überzeugt (wird ausgeführt).

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers ist am 4. September 2023 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen.

Die Antragsgegnerin trägt vor, der Antragsteller habe keinen wirksamen Eilantrag gestellt; der Antrag sei als Klageantrag gestellt und im Hauptsacheverfahren abgeändert worden. Ein Wechsel vom Hauptantrag in den einstweiligen Rechtsschutz sei aber nicht zulässig.

Es bestehe keine wirksame Mietzinsverpflichtung. Der verstorbene Hauptmieter E. C. habe den Untermietvertrag nicht mitunterzeichnet. Die Vollmacht des Hausverwalters zur Einwilligung in die Untervermietung sei nicht nachgewiesen. Selbst wenn in einem psychiatrischen Gutachten davon gesprochen werde, dass sich der Beschwerdegegner für den Zustand „seiner“ Wohnung entschuldigt habe, könne daraus nicht geschlossen werden, dass der Mietvertrag wie vereinbart praktiziert werde. Der Darlehensvertrag weise Ungereimtheiten auf (wird ausgeführt).

Dass es sich bei der Adresse c/o C., A-Straße um die korrekte Adresse handele, sei schon deshalb nicht glaubhaft, weil sich die Parteien des Hauptmietvertrages gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 darüber einig seien, dass nur eine Person in die Mietsache einziehe.

Nach Baualter-/Sanierungsjahr sei für die tatsächliche Wohnungsgröße nach der Übersichtstabelle eine Grundmiete von bis zu 398,20 € akzeptabel. Die tatsächliche Grundmiete i. H. v. 450,00 € übersteige aber diesen Tabellenwert um 13,01 %; eine Differenz zwischen dem Hauptmietvertrag und dem Untermietvertrag bei der Kaltmiete i. H. v. 45,00 € und bei den Nebenkosten i. H. v. 5,00 € werde als unangemessen angesehen. Zudem fehle es am Anordnungsgrund. Allein das Recht, den Mietvertrag gemäß § 549 Abs. 1 BGB i. V. m. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3a BGB außerordentlich fristlos aus wichtigem Grund kündigen zu können, reiche nicht aus.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. August 2023 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Er vertieft sein Vorbringen zu den Umständen der Anmietung der Wohnung und zum aktuellen Gesundheitszustand des Antragstellers. Aufgrund des Aufenthalts in Heimen bis zu seinem 18. Lebensjahr sei der Antragsteller so schwer traumatisiert, dass die stationären Hilfen und betreutes Wohnen niemals zum gewünschten Erfolg führen würden. Er sei auf Einzelwohnen angewiesen. Im September 2023 sei er wegen eines Suizidversuchs stationär aufgenommen worden.

Der Eigentümer der Wohnung habe mit Schreiben vom 14. August 2023 die Erlaubnis zur Untervermietung bestätigt. Für einen Anordnungsgrund reiche es aus, dass die Kündigung wie hier absehbar sei und ihre Abwendung nur in Kooperation mit der Antragsgegnerin möglich sei, die entsprechend frühzeitig, und sei es erst mit gerichtlicher Hilfe, herbeizuführen sei.

Das Mietverhältnis sei auf Grund der Kündigung durch die Vermieterin zum 31. Oktober 2023 beendet worden.

Die Betreuerin legt eine Eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vom 18. September 2023 (Bl. 127 der Akte des Landessozialgerichts) vor, wonach es richtig sei, dass er die Wohnung in der A-Straße, A-Stadt, seit dem Vertragsbeginn ununterbrochen bewohne. In den letzten Monaten besuche ihn auch seine Freundin 1–2-mal wöchentlich in der Wohnung. Vor kurzer Zeit habe seine Freundin erzählt, dass jemand gekommen sei, um sich zu erkundigen, ob er dort tatsächlich wohne.

Der Vorsitzende des Senats hat einen Antrag der Antragsgegnerin nach § 199 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Beschluss vom 4. Oktober 2023 zurückgewiesen. 


II.

1. Die Beschwerde ist zulässig.
Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragsgegnerin entfällt nicht, weil sie durch einen reinen Ausführungsbescheid (Bescheid vom 18. Oktober 2023, Bl. 247 d.A.) der mit der erstinstanzlichen Entscheidung entstandenen vollstreckbaren Leistungspflicht nachgekommen ist und dabei sowohl auf die Umsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung als auch die Vorläufigkeit hingewiesen hat. Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragsgegnerin liegt darin, dass sie die vorläufig aufgrund des erstinstanzlichen Beschlusses erbrachten Leistungen für den Fall der Aufhebung der Anordnung durch das Beschwerdegericht sofort zurückfordern oder einstellen könnte und nicht mehr den rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens abwarten müsste (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 12. Oktober 2018 – L 9 AS 462/18 B ER –, juris Rn. 19; vgl. auch jurisPK-SGG/Burkiczak (Stand 20.11.2023), § 86b Rn. 634 m.w.N. zum Streitstand; a.A. offenbar Bayerisches LSG, Beschluss vom 14. Juni 2023 – L 8 SO 105/23 B ER –, juris Rn. 29). Dies gilt auch, wenn der Zeitraum, für den die einstweilige Anordnung erlassen worden ist, bereits abgelaufen ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. März 2021 – L 12 SO 385/20 B ER –, juris Rn. 5 ff.). Demgegenüber entfällt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn sich der Sozialleistungsträger durch den Erlass eines endgültigen Bescheides im Sinne einer für den streitgegenständlichen Zeitraum auch die Hauptsache erledigenden Abhilfe in die Rolle des Unterlegenen begibt (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 21. Februar 2022 – L 6 AS 585/21 B ER –, juris).

2. Sie ist indes unbegründet.
a) Der Antrag des Antragstellers war für den gesamten Zeitraum der vom Sozialgericht erlassenen einstweiligen Anordnung zulässig.
Aus den vom Sozialgericht genannten Gründen ist es unerheblich, dass ein ursprünglich als Hauptsacheantrag gegen den offensichtlich zugegangenen Bescheid vom 6. März 2023 gerichtetes Begehren entsprechend ausgelegt wurde und vom Gericht als selbständiger Eilantrag behandelt worden ist. Zudem hat sich die Betreuerin des Antragstellers diese Auslegung ersichtlich zu Eigen gemacht.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin bestand zunächst bis 31. Juli 2023 auch ein der einstweiligen Anordnung zugängliches Rechtsverhältnis, da insoweit die zugrundeliegenden Bescheide noch nicht in Bestandskraft erwachsen waren. Dabei war der Regelungsgehalt der in den Widerspruchsverfahren angegriffenen Bescheide höchst auslegungsbedürftig, dies schlägt auf die Einbeziehung der Bescheide in das seit August 2022 laufende Widerspruchsverfahren durch. Relevant für den Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums sind insoweit jedenfalls die Bescheide vom 1. August 2022 und 6. März 2023.

Der Bescheid vom 1. August 2022 regelt unter Aufhebung vorangegangener Bescheide die Leistungsbewilligung für Juli 2022. Weiterhin findet sich im Bescheid die Formulierung: „Dieser Bescheid ist kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Bei unveränderten wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen besteht jedoch - ohne dass es eines gesonderten Auftrages bedarf - Anspruch auf Weitergewährung der Leistung in der in diesem Bescheid genannten Höhe. Hierüber werden wir schriftlich oder konkludent (z.B. durch Überweisung auf Ihr Konto) gesondert entscheiden.“ Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller fristgemäß Widerspruch.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat folgt, kann der objektive Regelungsgehalt eines Bescheids zeitlich auf einen Monat beschränkt sein, wenn die Bewilligung z.B. „ab dem 1. Juli 2003" bewilligt, die Bewilligung aber auf den Monat beschränkt mit dem folgenden Zusatz versehen ist: „Werden aufgrund gleich gebliebener Verhältnisse Leistungen für künftige Zeiträume durch Überweisung bewilligt, entsprechen die Berechnung und Festsetzung der Einzelansprüche denen des vorliegenden Bescheides“ (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 11; mit der die Rechtsauffassung aus BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 – B 9b AY 1/06 R – teilweise aufgegeben wurde). Die Bewilligung für die Folgemonate erfolgt dann monatsweise nicht schriftlich, sondern nach § 33 Abs. 2 SGB X auf andere Weise jeweils konkludent durch Überweisung (BSG a.a.O.). Der erkennende Senat hat zudem bereits entschieden, dass eine Formulierung wie „Die festgesetzte Hilfe wird grundsätzlich für einen Monat bewilligt. Zahlungen, die dieser Bewilligung folgen, stellen eine Neubewilligung dar“, für eine monatsweise Bewilligung spricht (Beschluss vom 21. September 2018 – L 4 AY 10/18 B ER). Demgegenüber ist die Bezeichnung eines Bescheides als „Änderungsbescheid“ ein Umstand, der für einen Dauerverwaltungsakt sprechen kann (Senatsbeschlüsse vom 18. Juni 2019, – L 4 SO 107/19 B ER –, vom 23. März 2017 – L 4 SO 36/17 B ER und L 4 SO 37/17 B ER –). Die Formulierung „bis auf weiteres“ im Verfügungssatz ohne eine weitere einschränkende Formulierung spricht auch dann für einen Dauerverwaltungsakt, wenn im Übrigen im Verfügungssatz oder den Anlagen lediglich eine Berechnung oder eine Bezifferung für einen bestimmten Leistungsmonat genannt wird.

Gemessen an diesem Maßstab geht der Senat beim Bescheid vom 1. August 2022 nicht von einem Dauerverwaltungsakt aus. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8 AY 11/07 R –, juris, Rn. 10; vgl. auch BSG, Urteil vom 14. April 2011 – B 8 SO 12/09 R –, SozR 4-3500 § 82 Nr. 7; zuletzt BSG, Urteil vom 9. Dezember 2016 – B 8 SO 14/15 R –, juris Rn. 11), der der Senat folgt (Beschluss vom 2. Juni 2020 – L 4 AY 7/20 B ER -, juris Rn. 13; Urteil vom 22. Juli 2020 – L 4 AY 8/17 –, Rn. 36), werden nach § 86 SGG analog im Falle der monatsweisen Bewilligung die Bescheide für die Folgemonate Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens. Die nachfolgenden monatsweisen Bewilligungen stellten insoweit keine Zäsur dar.

Nach Auffassung des Senats gilt dies – mit Bindung nur für dieses Beschwerdeverfahren – am objektiven Empfängerhorizont auch noch für den Bescheid vom 6. März 2023. Dieser Bescheid erweckt allein den Eindruck eines Änderungsbescheides („ihre wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich verändert“), der auch nicht aufgrund eines vorhergehenden Neuantrages (dies könnte eine Zäsur darstellen) ergangen ist. Der Antragsteller musste den Bescheid von seinem Inhalt her nicht als Abhilfebescheid bezüglich seines Widerspruches und auch nicht als Widerspruchsbescheid verstehen, da die maßgebliche Beschwer durch die Nichtbewilligung von Unterkunftskosten aufrechterhalten blieb.

Offenbleiben kann, was aus den widersprüchlichen Formulierungen „Hilfen zum Lebensunterhalt ab 1. Januar 2023 bis 31. Juli 2023“ und dem auch in diesem Bescheid wiederholten, oben zitierten Hinweis, dass kein Dauerverwaltungsakt vorliege, zu folgern ist. Denn der Antragsteller hat am 17. Mai 2023 einen Neuantrag für den Zeitraum ab 1. August 2023 gestellt, der auch separat zu bescheiden war (dazu sogleich). Aufgrund der missverständlichen Bescheidung vom 6. März 2023 ist aber zugunsten des Antragstellers davon auszugehen, dass der Zeitraum 1. Juli 2023 bis 31. Juli 2023 Gegenstand des mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2023 abgeschlossenen Widerspruchsverfahrens war.

Wenn man dieser Auslegung nicht folgen wollte, so wäre die Formulierung im Schriftsatz vom 3. Juli 2023 bezüglich des Bescheides vom 6. März 2023 („Aber auch selbst dann, wenn kein Widerspruch eingelegt worden wäre, wäre die Behörde dazu verpflichtet, einen offensichtlich rechtswidrigen Bescheid abzuändern“) als Antrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) auszulegen. Auch insoweit läge ein regelungsfähiges Rechtsverhältnis vor.

Auch ab 1. August 2023 ist ein regelungsfähiges Rechtsverhältnis gegeben, denn der Senat ist nicht mit hinreichender Gewissheit davon überzeugt, dass ein Bescheid vom 19. Juni 2023 bekannt gegeben wurde und in Bestandskraft erwachsen ist. Mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2023 hat die Bevollmächtigte und Betreuerin des Antragstellers erklärt, den Bescheid nicht erhalten zu haben. In den Akten der Antragsgegnerin ist kein Absendevermerk oder eine sonstige Absendungsverfügung zu finden. Die fehlerhafte Bezugnahme auf einen Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2023 ist ein Indiz dafür, dass der Bescheid zwar unterschrieben, aber dann zur Korrektur zurückgehalten wurde. Auch hat sich die Antragsgegnerin erstinstanzlich nicht auf die Existenz dieses Bescheides berufen. Allein der Vortrag der Antragsgegnerin vom 12. Dezember 2023, der Bescheid sei zur Post gegeben worden, vermag diese Zweifel nicht zu beseitigen. Die Bevollmächtigte des Antragstellers konnte deshalb am 14. Juni 2023 mit Rechtsschutzbedürfnis einen zukunftsoffenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stellen, da am Maßstab des einstweiligen Rechtsschutzes davon ausgehen ist, dass das Verwaltungsverfahren über den Antrag vom 17. Mai 2023 auf Leistungen ab 1. August 2023 noch nicht abgeschlossen ist.

b) Der Antrag ist auch begründet bzw. die Beschwerde unbegründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit, dass der Antragsteller einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch in der Hauptsache hat (Anordnungsanspruch) und es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.

Diese Anforderungen sind im Lichte der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) zu konkretisieren (zum Folgenden: BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 –, juris, Rn. 10 m.w.N.). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich – etwa, weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte –, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dann auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt. Übernimmt das einstweilige Rechtsschutzverfahren allerdings vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens und droht eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung der Beteiligten, müssen die Gerichte bei den Anforderungen an die Glaubhaftmachung zur Begründung von Leistungen zur Existenzsicherung in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG Rechnung tragen. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung haben sich am Rechtsschutzziel zu orientieren, das mit dem jeweiligen Rechtsschutzbegehren verfolgt wird.

Gemessen an diesem Maßstab entscheidet der Senat auf der Grundlage einer Folgenabwägung, da wegen des derzeitigen Gesundheitszustandes des Antragstellers und der Notwendigkeit einer weiteren Beweisaufnahme eine zeitnahe vollständige Sachverhaltsaufklärung am Beweismaßstab des Hauptsacheverfahrens nicht möglich erscheint. Insoweit sind die Erfolgsaussichten als offen zu beurteilen (aa). Die Folgenabwägung rechtfertigt die vom Sozialgericht vorgenommene einstweilige Anordnung (bb).

aa) Die Erfolgsaussichten sind aus den vom Sozialgericht genannten Gründen als offen anzusehen. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Gründe der angegriffenen Entscheidung (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Der Antragsteller hat mit den Erwiderungen auf die Beschwerde weitere Beweismittel vorgelegt, die der Untermauerung der behaupteten Wohnsituation und eines rechtlich tatsächlich geschuldeten Mietzinses dienen sollen (Zeugenbeweis, Bestätigung zur Genehmigung des Untermietverhältnisses). Auch die Frage einer unterschiedlichen Würdigung der konkreten Angemessenheit der Wohnung zwischen Sozialgericht und Antragsgegnerin muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben (Produkttheorie, Anforderungen an ein schlüssiges Konzept), zumal nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass nach dem Vortrag des Antragstellers seine gesundheitliche Situation Einfluss auf die Prüfung der konkreten Angemessenheit der Unterkunft haben kann.

bb) Mit maßgeblichen Gewicht für die Interessen des Antragstellers spricht das grundlegende Interesse am Erhalt seiner Wohnung. Seine geschilderte Wohn- und Lebenssituation unterstellt, würde ihn die Räumung seiner Wohnung besonders hart treffen, insbesondere aufgrund seiner Suizidalität geht bei ihm die Sicherung des Wohnumfeldes in ihrem Gewicht über die bloße Sicherung von „Tisch und Bett“ hinaus. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, dass Art. 19 Abs. 4 GG gebietet, über relevante Nachteile in Gestalt von Wohnungs- beziehungsweise Obdachlosigkeit hinaus negative Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art zu berücksichtigen (Beschluss vom 1. August 2017 – 1 BvR 1910/12). Gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab 1. November 2023 spricht nicht die inzwischen erfolgte Kündigung. Die einstweilige Anordnung zielte ohnehin nur auf den Erhalt der Wohnung für einen Zeitraum bis 14. November 2023. Der Antragsteller dürfte für den Monat November zumindest der Forderung einer Nutzungsentschädigung ausgesetzt sein. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller gegen die Kündigung vorgeht oder auf anderem Wege den Erhalt der Wohnung sichern kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
 

Rechtskraft
Aus
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