S 21 SO 202/18

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
SG Oldenburg (NSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Oldenburg (NSB)
Aktenzeichen
S 21 SO 202/18
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
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Datum
-
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Mai 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2018 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Dezember 2017 bis zum 30. Juni 2019 Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII in Form der Übernahme ungedeckter Heimkosten für dessen Aufenthalt im Aphasie- und Seniorenzentrum R., S., ohne Anrechnung von Vermögen aus dem Bestattungsvorsorgevertrag vom 8. Juli 2016 (bzw. aus dem Bestattungsvorsorge Treuhandvertrag vom 8. Juli 2016) zu gewähren.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von dem Beklagten Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII in Form der Übernahme ungedeckter Heimkosten für den Zeitraum vom 1. Dezember 2017 bis zum 30. Juni 2019, wobei bei der Berechnung des Vermögens die Berücksichtigung von Einzelheiten eines Bestattungsvorsorgevertrages streitig sind.

Der am 25. Januar 1968 geborene pflegebedürftige Kläger lebt seit dem 16. November 2016 im Aphasie- und Seniorenzentrum R. in T., wo er eine vollstationäre Pflege erhält.

Am 8. Juli 2016 hatten die Betreuer des Klägers für diesen mit dem Beerdigungsinstitut U., einen Bestattungsvorsorgevertrag des Bundesverbandes Deutscher Bestatter über eine Bestattung zu einem Gesamtpreis von 7.152,59 € abgeschlossen. Die Zusammensetzung des Betrages von 7.152, 59 € ergibt sich aus einem detaillierten schriftlichen
Angebot des Beerdigungsinstituts U. vom 16. Juni 2016, welches sich ebenfalls in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten befindet. Das Amtsgericht S. (AzV.) hatte dem Betreuer mit Schreiben vom 22. Juni 2016 mitgeteilt, dass seitens des Betreuungsgerichts keine Bedenken gegen den Abschluss eines Bestattungsvorsorgevertrages bestünden, wenn der vereinbarte Betrag durch Einzahlung auf ein Treuhandkonto bei der Deutsche Bestattungsvorsorge Treuhand AG gesichert werde. Entsprechend der ebenfalls vorliegenden Treuhand-Police vom August 2016 ist der Betrag von 7.152,59 € für den Kläger bei der Deutsche Bestattungsvorsorge Treuhand Aktiengesellschaft eingezahlt worden.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 4. Mai 2018 hat der Beklagte den (erneuten) Antrag des Klägers auf Übernahme ungedeckter Heimkosten mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger über vorrangig einzusetzendes Vermögen in Höhe von 3.197,10 € (Stand: 04.12.2017) verfüge. Ausweislich der beigefügten Anlage „Vermögensprüfung“ berücksichtigte der Beklagte dabei unter Beachtung eines Vermögensfreibetrages von 5.000,00 € neben verschiedenen Kontoguthaben und sonstigen Vermögenswerten auch einen Betrag bei der Deutsche Bestattungsvorsorge Treuhand AG in Höhe von 3.155,93 €.

Den gegen den Bescheid vom 4. Mai 2018 unter dem 7. August 2018 eingelegten Widerspruch hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2018 zurückgewiesen. In der ausführlichen Widerspruchsbegründung, die eine ausführliche Vermögensberechnung enthält, wird festgestellt, dass der abgeschlossene Bestattungsvorsorgevertrag nur in einer Höhe von 4.000,00 € geschützt sei. Der darüberhinausgehende Betrag sei als Vermögen einzusetzen. Für die angemessene Höhe eines Bestattungsvorsorgevertrages sei im Gebiet des Beklagten ein Betrag von 4.000,00 € als Kosten für eine einfache bürgerliche Bestattung
ermittelt worden.

Der Kläger hat daraufhin am 27. Dezember 2018 Klage erhoben. Zur Begründung weist er insbesondere unter Bezugnahme auf mehrere sozialgerichtliche Entscheidungen aus dem
gesamten Bundesgebiet darauf hin, dass der Kostenvoranschlag des Beerdigungsinstitutes U. vom 16. Juni 2016 über einen Betrag von 7.152,59 € dem durchschnittlichen Preisniveau entspreche und damit angemessen sei. Bei der Angemessenheitsgrenze komme es im Ergebnis nicht auf die Bemessung der Kosten nach § 74 SGB XII an. Vielmehr seien auf der Grundlage dieser Kosten unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse die Kosten für eine durchschnittliche bzw. standesgemäße (§ 1968 BGB) Bestattung maßgeblich. Nach der Entscheidung des BSG vom 25. August 2011 müsse der Sozialhilfeträger alle Kostenansätze akzeptieren, die nicht außerhalb der Bandbreite liegen.

 

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Mai 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2018 zu verurteilen, ihm Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII in Form der Übernahme ungedeckter Heimkosten für den Zeitraum ab dem 1. Dezember 2017 bis zum 30. Juni 2019 zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Er vertritt unter Bezugnahme auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid die Auffassung, dass der Kläger in dem streitigen Zeitraum über vorrangig einzusetzendes Vermögen verfügt habe. Der Bestattungsvorsorgevertrag sei gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII nur in Höhe von 4.000,00 € geschützt. Denn maßgeblich für die Beurteilung der Angemessenheit von Bestattungsvorsorgeverträgen seien die individuellen örtlichen Verhältnisse. In seinem Bereich würden entsprechend seiner Richtlinie für eine einfache und menschenwürdige Bestattung im Sinne des § 74 SGB XII für eine Erdbeisetzung maximal 2.300,00 € und für eine Urnenbestattung maximal 2.200,00 € übernommen werden. Die Kosten für eine einfache bürgerliche Bestattung seien für seinen Bereich mit 4.000,00 € ermittelt worden. Einzelheiten hierzu ergäben sich aus seiner Richtlinie „für die Anerkennung von Bestattungsvorsorge sowie Grabpflege als Schonvermögen (§ 90 SGB XII)“ vom 1. April 2018, die er mit Schriftsatz vom
4. Oktober 2021 dem Gericht übersandt hat. Danach müsse auch die Anhebung des Schonbetrages von 2.600,00 € auf 5.000,00 € bei der Beurteilung der Angemessenheit Berücksichtigung finden.

 

Während des Klageverfahrens hat der Beklagte dem Kläger mit weiterem Bescheid vom 30. November 2020 für die Zeit ab dem 1. Juli 2019 Leistung der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII in Form von Übernahme ungedeckter Heimkosten für dessen Aufenthalt im Aphasie- und Seniorenzentrum R., S., bewilligt. Hintergrund war eine Neuberechnung des Einkommens und Vermögens des Klägers für die Zeit ab Juli 2019.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhaltes im Übrigen wird

Bezug genommen auf die Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet gemäß § 124 Abs. 2 SGG im Einverständnis der Beteiligten unter Mitwirkung ehrenamtlicher Richter ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Der Bescheid des Beklagten vom 4. Mai 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die von dem Beklagten in diesen Bescheiden durchgeführte Vermögensberechnung ist rechtsfehlerhaft. Der Beklagte hätte bei seinen Berechnungen statt des Betrages von 4.000,00 € bei dem Bestattungsvorsorgevertrag den Gesamtbetrag über 7.152,59 € als anrechnungsfrei berücksichtigen müssen.

Das Vermögen des Klägers aus dem Bestattungs-Vorsorgevertrag vom 8. Juli 2016 (bzw.
aus dem Bestattungsvorsorge Treuhandvertrag vom 8. Juli 2016) in Höhe von 7.152,59 € ist gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII in vollem Umfang geschützt.

Nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII darf die Sozialhilfe ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Es ist anerkannt, dass neben Sterbegeldversicherungen auch Bestattungsvorsorgeverträge grundsätzlich von der Härtefallregelung in § 90 Abs. 3 SGB XII erfasst sind. Dies hat das Bundessozialgericht in seiner grundlegenden Entscheidung vom 18. März 2008 (B 8/9b SO 9/06 R, zit. nach juris) ausdrücklich festgestellt. Das Vermögen aus einem Bestattungsvorsorgevertrag ist allerdings nur in einem angemessenen Umfang geschützt. Die Angemessenheitsgrenze ist dabei nicht starr, sondern ergibt sich aus den Besonderheiten des Einzelfalles (vergleiche zu der diesbezüglichen umfangreichen Rechtsprechung die Nachweise in LPK, SGB XII, Kommentar, 12. Aufl. 2020, § 90 Rn. 92 Fußnote 293). Zur Ermittlung der Angemessenheit einer Bestattungsvorsorge ist zunächst auf die Kosten abzustellen, die die örtlich
zuständige Behörde als erforderliche Kosten der Bestattung nach § 74 SGB XII zu übernehmen hat (Grundbetrag). Dies dient dazu, den örtlichen Besonderheiten, wie bspw. unterschiedlichen Friedhofskosten, Rechnung zu tragen. In einem nächsten Schritt ist dieser Grundbetrag, der lediglich den einfachsten Standard repräsentiert, unter Berücksichtigung
etwaiger Gestaltungswünsche des Heimbewohners bis zur Grenze der Angemessenheit zu erhöhen (Erhöhungsbetrag). Dabei können die Kosten einer durchschnittlichen Bestattung als Richtschnur dienen (so SG B-Stadt, Urteil vom 18. April 2018, S 17 SO 572/17, zit. nach juris mit Hinweis auf Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16 November 2000 9, 12 A 1363/09; juris PK, § 90 SGB XII Rn. 119). Nach diesen Grundsätzen haben die Instanzgerichte in Deutschland in den letzten Jahren nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles Beträge von 3.200,00 € bis 8.800,00 € als noch angemessen anerkannt.

In Anwendung dieser Grundsätze stuft das erkennende Gericht den hier streitgegenständlichen Betrag von 7.152,59 € für den Bestattungsvorsorgevertrag noch als angemessen im Sinne von § 92 Abs. 3 SGB XII ein.

Hierzu im Einzelnen:

Der Beklagte hat unter Hinweis auf eine „Richtlinie“ (ohne Datum) mit der Überschrift „in angemessenem Umfang zu übernehmende Bestattungskosten“ vorgetragen, dass für seinen
Bereich zur Zeit (Stand 1.9.2016) Kosten im Rahmen einer einfachen und menschenwürdigen Bestattung im Sinne des § 74 SGB XII für eine Erdbeisetzung von maximal 2.300,00 € und für eine Urnenbestattung von maximal 2.200,00 € übernommen werden. Dieser „Grundbetrag“ bei der Ermittlung der Angemessenheit der Bestattungsvorsorgekosten erscheint dem Gericht als sehr gering. Letztlich braucht dies aber nicht weiter vertieft zu werden. Denn der Grundbetrag ist – wie dargelegt – entsprechend zu erhöhen. Vorliegend hat der Kläger insoweit vor Abschluss des Bestattungsvorsorgevertrages ein Angebot bei dem Beerdigungsinstitut U. mit Datum vom 16. Juni 2016 eingeholt. Dieses Angebot hat er dem Beklagten bei
Antragstellung vorgelegt und befindet sich dementsprechend in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten. Die Kammer hat bei eingehender Durchsicht dieses Angebotes an keiner Stelle eine Position gefunden, die von den Kosten einer üblichen Bestattung abweicht. Auch der Beklagte hat weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren dieses
Angebot vom 16. Juni 2016 an einer oder mehreren Stellen beanstandet. Der für den Kläger handelnde Betreuer ist bei Abschluss des Bestattungsvorsorgevertrages offenbar gewissenhaft vorgegangen. Dies zeigt sich auch daran, dass er ein entsprechendes Einverständnis des Betreuungsgerichts (Amtsgericht S., Az.: W. vom 22 Juni 2016) eingeholt hat, das allerdings nicht für den Sozialhilfeträger bindend ist.

Die Einwände des Beklagten hinsichtlich der Angemessenheit des Bestattungsvorsorgevertrages überzeugen nicht. Der Beklagte beruft sich in erster Linie auf seine Richtlinie „für die
Anerkennung von Bestattungsvorsorge sowie Grabpflege als Schonvermögen (§ 90 SGB XII)“ Stand 1.4.2018. In dieser Richtlinie ist pauschal festgelegt, dass für die Anerkennung einer Bestattungsvorsorge maximal ein Betrag von 4.000,00 € möglich ist. Die diesbezügliche
Begründung weist allerdings erhebliche Schwächen auf. So wird auf Seite 5 der Richtlinie schlicht behauptet: „Die Ermittlungen von durchschnittlichen Kosten einer einfachen bürgerlichen Bestattung wurden mit 4.000,00 € im Landkreis X. ermittelt“. Weitere Ausführungen hierzu sind in der Richtlinie nicht enthalten. Auffällig ist insoweit zum einen der „runde“ Betrag von genau 4.000,00 €. Bei einer konkreten Ermittlung von durchschnittlichen Bestattungskosten hätte sich wohl kaum ein „runder“ Betrag ergeben. Zum anderen stellt der
Beklagte dabei ausdrücklich auf die Kosten einer einfachen bürgerlichen Bestattung ab. Wie oben dargelegt, sind für die Ermittlung des Vermögensschonbetrages bei Bestattungsvorsorgeverträgen aber die Kosten einer durchschnittlichen Bestattung relevant. Der Aussagewert der Richtlinie wird weiter dadurch geschmälert, dass in unzulässiger Weise der allgemeine Vermögensfreibetrag gemäß § 90 Abs. 2 Nummer 9 SGB XII mit Hinweis auf dessen Erhöhung zum 1.4.2017 von 2.600,00 € auf 5.000,00 € mit der Festlegung des Vermögensschonbetrages für Bestattungsvorsorgeverträge gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII inhaltlich verknüpft wird. Ausdrücklich steht insoweit auf Seite 5 der Richtlinie: „Der deutlich erhöhte Schonbetrag muss nach hiesiger Betrachtung allerdings mit in die Bewertung der Bestattungsvorsorge- und etwaigen Grabpflegeverträge einbezogen werden“. Diese Sichtweise teilt das Gericht nicht. Der Vermögensschonbetrag gemäß § 90 Abs. 2 Nummer 9 SGB XII für kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte steht unabhängig neben einer schützenswerten Vermögensposition aus § 90 Abs. 3 SGB XII.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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