L 10 U 1221/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 3608/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 1221/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Das Begehren auf Gewährung höherer Verletztenrente aufgrund einer Verschlimmerung umfasst die Änderung der früheren Bewilligung nach § 48 SGB X im Wege der Verpflichtungsklage.
2. Bei Bemessung der MdE für einen Unfallschaden im Bereich der Knie stehen die funktionellen Defizite im Vordergrund. Rechtfertigen die aktuellen funktionellen Beeinträchtigungen keine höhere MdE als bereits zuerkannt, liegt keine wesentliche Änderung vor.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 18.02.2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.



Tatbestand


Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung einer höheren Verletztenrente aufgrund einer Verschlimmerung von Unfallfolgen im Streit.

Der 1962 geborene Kläger erlitt im Rahmen einer vormilitärischen Ausbildung am 17.04.1980 in der ehemaligen DDR einen Motorradunfall (s. Bl. 3 ff. und 17 ff. VA), bei dem er sich eine Patellafraktur rechts (Trümmerfraktur), eine tiefe Risswunde im Bereich der linken Halsregion und eine Claviculafraktur zuzog (Bl. 6 VA). Die rechte Patella wurde daraufhin operativ entfernt (Bl. 46 VA). Der Unfall wurde seitens der Verwaltung der Sozialversicherung der DDR mit Bescheid vom 08.12.1980 als Arbeitsunfall anerkannt (Bl. 7 VA) und der Kläger erhielt ab dem 20.10.1980 eine Unfall-Teil-Rente in Höhe von monatlich 80,- (DDR-)Mark (Bl. 14 f. VA).

Nach Übersiedelung in die BRD im Jahr 1989 (Bl. 26 VA) stellte der Kläger am 13.07.1989 einen Antrag auf Unfallrente (Bl. 11 VA). Die Süddeutsche Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft veranlasste daraufhin seine Begutachtung durch O1 (Bl. 26 ff. VA, Untersuchungstag: 24.04.1990, Datum des Gutachtens: 14.05.1990), der als Unfallfolgen Narben im Bereich des linken Schultergelenkes in Höhe der linken Clavicula ohne objektivierbare Funktionseinschränkungen und ohne subjektive Beschwerden, ein Fehlen der rechten Patella bei Zustand nach (Z.n.) Entfernung der Kniescheibe nach Trümmerfraktur, eine Narbe über dem rechten Kniegelenk, eine deutliche Muskelminderung im Ober- und Unterschenkelbereich rechts sowie glaubhafte subjektive Beschwerden von Seiten des rechten Kniegelenkes (lt. Messblatt, Bl. 29 VA: Streckung/Beugung Kniegelenk rechts 0/0/130°, Umfangmaße 20 cm ob. inn. Knie-Gelenkspalt: rechts 51 cm gegenüber links 56 cm, Umfangmaße 10 cm ob. inn. Knie-Gelenkspalt: rechts 41 cm gegenüber links 47 cm, Umfangmaße 15 cm unterh. inn. Gelenkspalt: rechts 36 cm gegenüber links 40,5 cm; Umfangmaße Kniescheibenmitte: rechts 36 cm gegenüber links 37,5 cm) beschrieb und die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 v.H. einschätzte.

Nachdem die Süddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft (Rechtsnachfolgerin der Süddeutschen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft) mit Bescheid vom 26.10.1994 (Bl. 159 f. VA) die Gewährung einer Unfallrente mangels Zuständigkeit abgelehnt hatte, bewilligte die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft dem Kläger mit Bescheid vom 20.12.1994 (Bl. 195 f. VA) wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.04.1980 ab 01.01.1992 eine unbefristete Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. und erkannte als Folgen des Arbeitsunfalls eine Entfernung der rechten Kniescheibe nach Trümmerfraktur, eine Muskelminderung im Ober- und Unterschenkelbereich rechts, eine Narbe über dem rechten Kniegelenk und eine folgenlos verheilte Schlüsselbeinfraktur links an. Anschließend gab sie die weitere Bearbeitung dieses Arbeitsunfalls an die insoweit zuständige Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung ab (Bl. 246 f. VA).

Einen (ersten) Verschlimmerungsantrag des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer höheren MdE lehnte die Unfallkasse des Bundes (Rechtsnachfolgerin der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung und Rechtsvorgängerin der beklagten Unfallversicherung Bund und Bahn - im Folgenden: die Beklagte -) mit Bescheid vom 16.08.2012 ab, da sich die dem Bescheid vom 20.12.1994 zugrundeliegenden Verhältnisse nicht wesentlich geändert hätten. Ihre Entscheidung stützte sie auf ein Gutachten des Chefarztes des S1 M1 W1 (Bl. 288 ff. VA, Untersuchungstag: 13.07.2012), der im Bereich des rechten Kniegelenks des Klägers eine Streckung/Beugung von 0/0/130° und eine deutliche Muskelminderung (Umfangmaße 20 cm ob. inn. Knie-Gelenkspalt: rechts 49 cm gegenüber links 55 cm, Umfangmaße 10 cm ob. inn. Knie-Gelenkspalt: rechts 45 cm gegenüber links 41 cm, Umfangmaße 15 cm unterh. inn. Gelenkspalt: rechts 39 cm gegenüber links 42 cm, Umfangmaße Kniescheibenmitte: rechts 38 cm gegenüber links 39 cm) sowie einen deutlichen Verlust der Streckkraft des rechten Beines dokumentierte und die unfallbedingte MdE weiterhin auf 20 v.H. einschätzte.

Mit Schreiben vom 07.09.2016 (Bl. 320 VA) beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer höheren Verletztenrente nach einer höheren MdE, da er seit Mai mehrmals wegen Kniebeschwerden behandelt worden sei und sich die Beweglichkeit im Bereich seines rechten Kniegelenks verschlechtert habe. Es komme zu einem ständigen Anschwellen und zu Schmerzen im Bereich des rechten Kniegelenks. Er könne seitdem weder Fahrradfahren noch spazieren gehen oder wandern. Bei langen Autofahrten müsse er anhalten, da das Knie schmerze (Bl. 325 f. VA). Die Beklagte zog daraufhin Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers bei - u.a. Bericht des K1 vom 17.10.2016 (Bl. 338 VA, Befund: Kniegelenksbeweglichkeit eingeschränkt auf 0/0/80°, leichte Ergussbildung des Kniegelenks), des B1 vom 28.03.2017 (Bl. 361 VA, Befund u.a.: Funktion mit 0/10/120° verbessert, Patient mit Situation zufrieden) und vom 03.04.2017 (Bl. 362 VA, Befund: Beweglichkeit mit 0/0/95° insbesondere in der Streckung deutlich verbessert) und ein MRT des rechten Kniegelenkes vom 15.06.2016 (u.a. Bl. 340 VA) - und ließ den Kläger von R1 medizinisch begutachten (Bl. 374 ff. VA, Untersuchungstag: 13.03.2017). Als verbliebene Unfallfolgen beschrieb R1 eine reizarme Weichteilnarbe am rechten Kniegelenk medialseitig bei fehlender Kniescheibe auf der rechten Seite, eine Minderung der Beugefähigkeit um 10° im Vergleich zu links (Streckung/Beugung rechts 0/0/130° gegenüber links 0/0/140°), eine erhebliche Umfangsverminderung der Muskulatur am rechten Bein, insbesondere am Oberschenkel, weniger stark auch am Unterschenkel (Umfangmaße 20 cm ob. inn. Knie-Gelenkspalt: rechts 47,5 cm gegenüber links 52,5 cm, Umfangmaße 10 cm ob. inn. Knie-Gelenkspalt: rechts 41,5 cm gegenüber links 42,5 cm, Umfangmaße 15 cm unterh. inn. Gelenkspalt: rechts 38 cm gegenüber links 39,5 cm, Umfangmaße Kniescheibenmitte: rechts 41 cm gegenüber links 39 cm) sowie eine deutliche Kraftminderung bei der Streckung des rechten Unterschenkels gegen einen leichten Widerstand und schätzte die MdE unverändert auf 20 v.H. ein. Des Weiteren führte er aus, dass es erstaunlich sei, dass sich im Zeitraum von 37 Jahren keine wesentliche Arthrose eingestellt habe. Anschließend gelangte noch ein Befundbericht des Facharztes B1 vom 06.06.2017 zur Verwaltungsakte (Bl. 389 VA), aus dem sich ergibt, dass der Kläger nach mehreren Rezepten über physiotherapeutische Anwendungen mit der Situation sehr zufrieden sei und subjektiv nahezu keine Beschwerden habe. Klinisch bestehe eine volle Beweglichkeit des rechten Kniegelenks.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.06.2017 (Bl. 390 ff. VA) die begehrte Erhöhung der Rente mangels wesentlicher Änderung der dem Bescheid vom 16.08.2012 zu Grunde liegenden Verhältnisse ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch (Bl. 395 VA), den der Kläger mit regelmäßig erheblichen Schmerzen und einem Anschwellen des rechten Kniegelenkes begründete (Bl. 398 f. VA), wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.11.2017 (Bl. 413 ff. VA) zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 29.11.2017 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und sein Begehren im Rahmen der mündlichen Verhandlung (s. Sitzungsniederschrift vom 18.02.2020, Bl. 72 f. SG-Akte) auf die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.04.1980 nach einer MdE um 30 v.H. ab Januar 2019 beschränkt.

Das SG hat von Amts wegen ein Sachverständigengutachten bei B2 (Bl. 17 ff. SG-Akte, Untersuchungstag: 07.03.2018) samt - auf die beratungsärztliche Stellungnahme des C1 vom 22.06.2018 hin (Bl. 43 SG-Akte) - ergänzender Stellungnahme (Bl. 45 f. SG-Akte) eingeholt. Der Sachverständige hat als Unfallfolgen eine posttraumatische Gonarthrose rechts bei Z.n. Patellektomie wegen Patellatrümmerfraktur, eine Muskelminderung im Oberschenkelbereich rechts, eine reizlose Narbe über dem rechten Kniegelenk und einen Z.n. osteosynthetischer Versorgung einer Claviculafraktur links diagnostiziert und die MdE wegen einer Bewegungseinschränkung des rechten Beines (Streckung/Beugung 0/5/115°), einer Kraftminderung, rezidivierender Reizzustände und einer relativen Instabilität auf 30 v.H. seit der Stellung des Verschlechterungsantrags im September 2016 eingeschätzt. Entgegen der Ausführungen des R1 läge im Bereich des rechten Kniegelenkes auch eine - im Gegensatz zum linken Kniegelenk - signifikante mittelgradige Arthrose vor. Im Bereich des rechten Kniegelenks des Klägers sei es seit 1994 zu einer wesentlichen Verschlechterung gekommen.

Auf Antrag des Klägers gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG außerdem das Sachverständigengutachten des Facharztes B1 (Bl. 60 f. SG-Akte, Untersuchungstag: 04.06.2019) eingeholt, in dem dieser u.a. eine Bewegungseinschränkung im Bereich des rechten Kniegelenks für die Beugung/Streckung von 0/15/120° dokumentiert und ausgeführt hat, dass es im Bereich des rechten Kniegelenks des Klägers seit 1994 durch die zunehmende Bewegungseinschränkung bei der Beugung/Streckung und der Instabilität in der Streckung medial wie auch in Form der vorderen Schublade zu einer wesentlichen Befundänderung gekommen sei. Zudem sei es seit der ersten MRT im Jahr 2011 - hierzu hat er u.a. einen MRT-Befund des rechten Kniegelenks vom 17.05.2019 vorgelegt (Bl. 64 SG-Akte) - auch zur Dokumentation einer posttraumatischen Arthrose, insbesondere femorotibial medial, gekommen und klinisch habe sich eine Coxarthrose rechts entwickelt, die durch Fehlbelastung und veränderte Gebrauchsfähigkeit der rechten unteren Extremität entstanden sei. Aufgrund des Bewegungsdefizits im Bereich des rechten Kniegelenks, der rezidivierenden Gelenkergüsse, die im Rahmen der laufenden Vorstellungen des Klägers dokumentiert worden seien, der anhaltenden physiotherapeutisch notwendigen Behandlungen zur Linderung des Beschwerdebildes und insbesondere der zu erwartenden Zunahme der bestehenden posttraumatischen Arthrose im Bereich des Kniegelenkes wie auch der zu erwartenden zunehmenden Coxarthrose hat er die MdE ab dem 23.01.2019 auf 30 v.H. eingeschätzt.

Mit Urteil vom 18.02.2020 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2017 verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17.04.1980 eine Rente nach einer MdE um 30 v.H. ab dem 01.01.2019 zu bewilligen und der Beklagten die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2/3 auferlegt.

Gegen das ihr am 20.03.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.04.2020 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zwar habe das SG zu Recht in den Entscheidungsgründen seines Urteils ausgeführt, dass es vorliegend maßgeblich darauf ankomme, ob in den medizinischen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 20.12.1994 zugrunde gelegen hätten, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Allerdings führten auch die von den Sachverständigen B2 und dem Facharzt B1 erhobenen Befunde nicht zu einer wesentlichen Verschlechterung der im Bereich des rechten Kniegelenks vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen. Insbesondere sei eine Arthrose nicht per se „rentenwirksam“, sondern nur die hieraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen. Dies sei von den Sachverständigen verkannt worden. Nach den Ausführungen des Gutachters R1 bestünden außerdem bereits erhebliche Zweifel, ob die beginnenden arthrotischen Veränderungen im Bereich des rechten Kniegelenks überhaupt auf den Arbeitsunfall vom 17.04.1980 zurückzuführen seien. Insoweit sei der beidseitig vorliegende tibiale Varus nicht wegzudiskutieren, der zu einer Verlagerung der mechanischen Beinachse in das mediale Kniegelenkskompartiment führe und damit auch zu einer Druckerhöhung auf den Knorpel, so dass auch unfallunabhängig davon auszugehen sei, dass primär ein Verschleiß auf der Medialseite der Kniegelenke auftrete. Diese Zweifel habe das SG nicht gewürdigt, sondern lediglich ausgeführt, dass im Bereich des linken Kniegelenks keine relevante Arthrose eingetreten sei. Auch habe es nicht berücksichtigt, dass es eine alleinige Schmerz-MdE nicht gebe. Die üblichen Beschwerden und Schmerzen seien bei der MdE-Bewertung bereits eingeschlossen. Überdies habe B2 das Messblatt nur unvollständig ausgefüllt und sich nicht an die Vorgaben der allgemein anerkannten Neutral-Null-Methode gehalten. So habe er - im Gegensatz zu R1 - die Messwerte der Umfangsverminderung 15 cm und nicht diejenigen 20 cm oberhalb des inneren Kniegelenkspaltes mitgeteilt, weshalb die Befunde nicht vergleichbar seien. Im Übrigen habe auch B2 keine Umfangsdifferenz am Kniegelenk beschrieben, so dass eine bedeutsame Schwellneigung bzw. ein Reizzustand im Bereich des rechten Kniegelenks des Klägers schon nicht objektiviert sei. Insgesamt begründeten weder die vom Sachverständigen B2 (Streckung/Beugung 0/5/115°) noch die vom Sachverständigen B1 (Streckung/Beugung 0/15/120°) mitgeteilten Bewegungsdefizite überhaupt eine rentenberechtigende MdE, da nach der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, S. 685) eine MdE von 20 v.H. erst bei einer Bewegungseinschränkung für Streckung/Beugung von 0/10/90° und eine MdE von 30 v.H. erst bei einer entsprechenden Einschränkung auf 0/30/90° vorgesehen sei. Das Gutachten des Facharztes B1 leide ohnehin an erheblichen Mängeln, da es sich u.a. nicht an den in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie vom versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätzen orientiere; es könne allein deswegen schon nicht Entscheidungsgrundlage sein.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 18.02.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er beruft sich auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und die Einschätzungen der Sachverständigen B2 und B1.

Der Senat hat das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers (S. 83 ff. Senatsakte) sowie die von dem Facharzt B1 über ihn geführte Patientenkartei (S. 57 ff. Senatsakte) - in diesem Zusammenhang sind auch (weitere) Behandlungsberichte übersandt worden - beigezogen.

Die Beklagte hat daraufhin eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme des C1 vom 10.03.2023 (S. 94 ff. Senatsakte) vorgelegt, in der dieser auch weiterhin die Auffassung vertreten hat, dass die beim Kläger bestehenden Bewegungseinschränkungen in Verbindung mit einer leichten Instabilität des Kniegelenkes und einem Muskeldefizit eine MdE von lediglich 20 v.H. begründeten. Eine MdE in Höhe von 30 v.H. wie z.B. bei einer Versteifung des Kniegelenkes oder bei Instabilität mit Notwendigkeit zum ständigen Tragen einer Knieführungsschiene sei nicht zu rechtfertigen, da die funktionellen Verhältnisse deutlich besser seien.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündlicher Verhandlung erklärt (S. 98 f. Senatsakte).

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe


Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig und begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 21.06.2017 in der Gestalt (§ 95 SGG)
des Widerspruchsbescheids vom 22.11.2017, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger auf seinen Verschlimmerungsantrag vom 07.09.2016 hin eine Verletztenrente nach einer höheren MdE als 20 v.H. zu gewähren. Dagegen richtet sich die zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG). Dass der Kläger vorinstanzlich nicht ausdrücklich die Verpflichtung der Beklagten zur Abänderung des eine Verletztenrente von lediglich 20 v.H. bewilligenden Bescheides vom 20.12.1994 beantragt hat, steht der Entscheidung über die Verpflichtungsklage nicht entgegen. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt wird, was dem Kläger aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht. Hiernach ergibt sich, dass der Kläger von Anfang an auch die Abänderung des Bescheides vom 20.12.1994 hinsichtlich der Höhe der Verletztenrente begehrt hat, um eine höhere Verletztenrente wegen einer Erhöhung der MdE zu erhalten (vgl. Bundessozialgericht - BSG - 30.03.2023, B 2 U 5/21 R, zitiert - wie alle nachfolgenden höchstrichterlichen Entscheidungen - nach juris). Der Sache nach hat auch das SG dies so verstanden und als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch zutreffend auf § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) abgestellt.

Das SG hat die Beklagte jedoch zu Unrecht unter Aufhebung des Bescheids vom 21.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2017 verurteilt, dem Kläger ab 01.01.2019 eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. zu gewähren. Denn der Kläger hat ab dem 01.01.2019 keinen Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente nach einer höheren MdE als 20 v.H.

Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ergänzt § 73 Abs. 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) diese Regelung dahingehend, dass bei der Feststellung der MdE eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X nur wesentlich ist, wenn sie mehr als 5 v.H. beträgt und - bei Renten auf unbestimmte Zeit - die Veränderung der MdE länger als drei Monate dauert. Die Regelung des § 73 Abs. 3 SGB VII gilt gemäß der Übergangsbestimmung des § 214 Abs. 3 Satz 2 SGB VII auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII am 01.01.1997 eingetreten sind (Senatsurteil vom 15.12.2022, L 10 U 1328/19, in juris; LSG Baden-Württemberg 16.09.2021, L 6 U 1150/21, in BeckRS 2021, 44885 Rn. 68; Ricke in BeckOGK SGB VII, § 214 Rn. 9, Stand 15.08.2023), hier also auch für den Arbeitsunfall des Klägers am 17.04.1980. Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist jede Änderung des für die getroffene Regelung relevanten Sachverhalts. In Betracht kommen für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere Änderungen im Gesundheitszustand des Betroffenen. Ob eine wesentliche Änderung vorliegt, ist durch einen Vergleich zwischen den tatsächlichen Verhältnissen zur Zeit der letzten verbindlichen Rentenfeststellung - hier also dem Bescheid vom 20.12.1994 - und den aktuellen Verhältnissen zu ermitteln (vgl. dazu nur BSG 20.12.2016, B 2 U 11/15 R, Rn. 10 f. m.w.N.,).

Unter Zugrundelegung dessen ist vorliegend maßgeblich, ob beim Kläger bezogen auf den von dem Gutachter O1 anlässlich der Untersuchung am 24.04.1990 dokumentierten Gesundheitszustand bzw. Funktionsbefund (s. dazu die Zusammenfassung oben im Tatbestand), der der Gewährung der Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v.H. bzw. den Feststellungen im Bescheid vom 20.12.1994 zu Grunde gelegen hat, für die Zeit ab dem 01.01.2019 - nur insoweit ist die berufungsführende Beklagte (antragsgemäß) verurteilt worden - derart verschlimmert hat, dass zu einem Zeitpunkt seit diesem Datum für einen länger als drei Monate andauernden Zeitraum von einer MdE von 30 v.H., also von einem Verschlimmerungsgrad der MdE im oben dargelegten Sinne von 10 v.H., auszugehen ist.


Wie die Beklagte verneint auch der Senat den Eintritt einer wesentlichen Verschlimmerung der Unfallfolgen in diesem Sinne und damit um mehr als 5 v.H. Denn in den maßgebenden Verhältnissen, nämlich in Bezug auf die durch die Unfallfolgen verursachten funktionellen Einschränkungen bei der Verrichtung von Tätigkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens, ist keine wesentliche Änderung eingetreten. Der Kläger ist seit der Begutachtung des O1 vom 14.04.1990 in gleichbleibendem Umfang von Arbeitsmöglichkeiten ausgeschlossen.

Die Gewährung von Verletztenrente richtet sich nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente in Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente geleistet, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).


Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG 22.06.2004, B 2 U 14/03 R): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Gesundheitsschaden geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können; sie müssen daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen (vgl. u.a. BSG 20.12.2016, B 2 U 16/15 R). Nur hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung sowie der schädigenden Einwirkung und dem Gesundheitsschaden genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG a.a.O.; vgl. auch BSG 30.04.1985, 2 RU 43/84 mit weiteren Ausführungen zur Begründung); hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG 02.11.1999, B 2 U 47/98 R und 02.05.2001, B 2 U 16/00 R). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG 28.06.1988, 2/9b RU 28/87). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG 27.06.1991, 2 RU 31/90).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe vermag der Senat entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung eine wesentliche überdauernde Verschlechterung der beim Kläger vorliegenden Unfallfolgen ab Januar 2019 in einem Umfang, die eine um mehr als 5 v.H. höhere MdE bedingt, nicht festzustellen.

Zwar hat das SG in den Gründen des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt, dass Vergleichsgrundlage für die Prüfung einer wesentlichen Änderung der Zustand ist, auf dem die letzte verbindliche Leistungsfeststellung der Beklagten beruht, hier also das von O1 erstattete Gutachten aus dem Jahr 1990 und nicht - wie von der Beklagten in dem streitigen Bescheid ausgeführt - das Gutachten des W1 von Juli 2012. Dies hat auch die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung ausdrücklich eingeräumt.

Allerdings hat das SG in seinem Urteil verkannt, dass die vom Kläger (noch) ab Januar 2019 geltend gemachten Verschlimmerungen seinen Gesundheitszustand nicht derart ändern, als dass sie eine um mehr als 5 v.H. höhere MdE bedingen.

Der Senat legt der Bemessung der MdE seiner ständigen Rechtsprechung entsprechend auch in vorliegendem Fall das unfallmedizinische Standardwerk von Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, 2017 zugrunde. Danach stehen bei der Bewertung der MdE für einen Unfallschaden im Bereich der Knie grundsätzlich die funktionellen Defizite im Vordergrund. Dem radiologischen Befund kommt nur eine nachrangige Bedeutung zu (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 685 ff., auch zum Nachfolgenden). Dementsprechend beträgt die MdE für eine Bewegungseinschränkung des Kniegelenks für Streckung/Beugung von 0/0/120° 10 v.H., von 0/0/90° 15 v.H., von 0/0/80° 20 v.H., von 0/10/90° 20 v.H. und von 0/30/90° 30 v.H. Eine Kniebandinstabilität führt bei einer muskulär kompensierten Instabilität lediglich zu einer MdE von 10 v.H., bei einer muskulär nicht kompensierbaren Instabilität zu einer MdE von 20 v.H., bei einer das Tragen einer Knieführungsschiene ständig erforderlich machenden Instabilität zu einer MdE von 30 v.H. und bei einer Instabilität, die zu zusätzlichen wesentlichen Funktionseinschränkungen führt, zu einer MdE von 40 v.H. Hingegen führt eine lediglich geringfügige Kniebandlockerung mit einer Aufklappbarkeit am Seitenband und/oder einer Schublade von jeweils weniger als 3 mm nicht zu einer messbaren MdE. Die Versteifung des Kniegelenks in günstiger Funktionseinstellung wird regelhaft mit einer MdE von 30 v.H. und in ungünstiger Funktion und/oder einer Beinverkürzung von 3 cm und mehr mit einer MdE von 40 v.H. bewertet.

Nach dem (im Wege des Urkundsbeweises verwertbaren) Gutachten des O1 vom 14.05.1990 hat die Beweglichkeit des rechten Kniegelenks zum Untersuchungszeitpunkt am 24.04.1990 für Streckung/Beugung bei 0/0/130° und somit in physiologischem - sogar übernormwertigem - Bereich gelegen (Normalmaß nach der Neutral-Null-Methode: Streckung/Beugung 5/0/120°, s. nur
Streicher/Pretterklieber in Anderhuber/Pera/Streicher, Waldeyer - Anatomie des Menschen, 19. Aufl. 2012, S. 107; Arlt in Pschyrembel online, Stichwort „Kniegelenk“, Stand 01/2019). Das Gangbild des Klägers hat O1 als unauffällig beschrieben. Bereits damals hat sich eine deutliche Muskelminderung im Ober- und Unterschenkelbereich rechts (Umfangmaße 20 cm ob. inn. Knie-Gelenkspalt: rechts 51 cm gegenüber links 56 cm, Umfangmaße 10 cm ob. inn. Knie-Gelenkspalt: rechts 41 cm gegenüber links 47 cm, Umfangmaße 15 cm unterh. inn. Gelenkspalt: rechts 36 cm gegenüber links 40,5 cm, Umfangmaße Kniescheibenmitte: rechts 36 cm gegenüber links 37,5 cm) gezeigt. Eine Instabilität ist seitens des Gutachters nicht beschrieben worden.

Unabhängig von der Frage, welche Bewertungsmaßstäbe und Erfahrungssätze O1 seinerzeit seiner MdE-Bewertung zugrunde gelegt hat und ob diese MdE-Bewertung dereinst überhaupt richtig gewesen ist - nach den im jetzt entscheidungserheblichen Zeitpunkt geltenden Erfahrungssätzen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 685 f.) würden die von O1 erhobenen Befunde jedenfalls keine MdE von 20 v.H. (mehr) bedingen -, rechtfertigen die in Folge des vom Kläger gestellten Verschlimmerungsantrags vom 07.09.2016 eingeholten Gutachten keine MdE von mehr als 20 v.H. im hier streitigen Zeitraum ab 01.01.2019.

R1 hat in seinem (im Wege des Urkundsbeweises verwertbaren) Gutachten vom 29.03.2017 ebenfalls eine Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes für Streckung/Beugung von 0/0/130° und somit gerade keine MdE-relevante Bewegungseinschränkung beschrieben. Zudem hat er ausgeführt, dass der Kläger den rechten Unterschenkel aus der 90°-Beugestellung heraus komplett hat strecken können und ein wesentlicher intraartikulärer Erguss im rechten Kniegelenk nicht bestanden hat. Er hat eine 1+-Aufklappbarkeit im Valgusstress und allenfalls eine 1+-Instabilität (entspricht einer Aufklappbarkeit von 3 bis 5 mm, s. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 686) in sagittaler Richtung beschrieben. Auch er hat eine Umfangsminderung der Muskulatur am rechten Bein, insbesondere am Oberschenkel, weniger stark auch am Unterschenkel (Umfangmaße 20 cm ob. inn. Knie-Gelenkspalt: rechts 47,5 cm gegenüber links 52,5 cm, Umfangmaße 10 cm ob. inn. Knie-Gelenkspalt: rechts 41,5 cm gegenüber links 42,5 cm, Umfangmaße 15 cm unterh. inn. Gelenkspalt: rechts 38 cm gegenüber links 39,5 cm, Umfangmaße Kniescheibenmitte: rechts 41 cm gegenüber links 39 cm) und auch eine deutliche Kraftminderung bei der Streckung des rechten Unterschenkels gegen einen leichten Widerstand dokumentiert, wobei er darauf hingewiesen hat, dass eine wesentliche Zunahme der Verminderung des Umfanges am rechten Ober- bzw. Unterschenkel in der Tendenz nicht eingetreten ist. Verglichen mit den dargestellten Erfahrungswerten führen diese im Rahmen der Begutachtung am 13.03.2017 zu Tage getretenen lediglich geringen Funktionsbeeinträchtigungen in der Gesamtschau jedenfalls nicht zu einer höheren MdE als 20 v.H. und somit auch nicht zu einer Verschlechterung der MdE um mindestens 5 v.H.

Auch aus dem im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens eingeholten Sachverständigengutachten des B2 sind keine Funktionseinschränkungen zu entnehmen, die zu der vom Kläger begehrten Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. führen könnten. Zwar hat B2 im Rahmen seiner am 07.03.2018 stattgehabten Untersuchung eine Beweglichkeit des rechten Kniegelenks für Streckung/Beugung von 0/5/115° und somit ein Streck- und Beugedefizit dokumentiert. Nach der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 685) führt dieses Streck- und Beugedefizit jedoch noch nicht zu einer MdE von mindestens 20 v.H. Erst unter Berücksichtigung der auch von B2 beschriebenen Kniebandinstabilität und der mit der Muskelminderung im Bereich von Ober- und Unterschenkel einhergehenden Kraftminderung ergibt sich - worauf der Beratungsarzt der Beklagten C1 in seiner (als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertbaren) Stellungnahme vom 22.06.2018 zutreffend hingewiesen hat - in der Gesamtschau überhaupt eine MdE von rentenberechtigendem Ausmaß. Der Senat sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kniebandinstabilität und die Muskelminderung zu erheblichen funktionellen Einschränkungen führen. So hat der Sachverständige in Bezug auf die Kniebandstabilität lediglich ausgeführt, dass die Überprüfung der Bandstabilität nur eine leicht vermehrte vordere Schublade des rechten Kniegelenkes gezeigt hat. Für den Senat ist somit nicht ersichtlich, dass sich die Kniebandinstabilität im Vergleich zu der von R1 anlässlich seiner Begutachtung im März 2017 vorgenommenen Graduierung (1+) verschlechtert hat; dies hat B2 nicht einmal auch nur behauptet. Auch vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die Muskelminderung im Bereich des rechten Ober- und Unterschenkels erheblich fortgeschritten ist. Zum einen sind die von B2 mitgeteilten Umfangmaße nur eingeschränkt mit den seitens der Gutachter O1 und R1 vergleichbar, da er nicht - was der Beratungsarzt C1 zu Recht beanstandet hat - die im Messblatt für untere Gliedmaßen nach der Neutral-Null-Methode vorgegebenen Umfangmaße mitgeteilt hat, sondern neben den Umfangmaßen 15 cm unterhalb des inneren Gelenkspalts (rechts 34 cm gegenüber links 36 cm) und der Kniescheibenmitte (beidseits 35 cm) die Umfangmaße im Bereich der Oberschenkel 15 cm oberhalb des inneren Knie-Gelenkspalts (rechts 41,5 cm gegenüber links 48 cm) und nicht 10 cm und 20 cm wie im Messblatt vorgesehen. Doch lässt sich auch aus diesen Befunden schon keine wesentliche Zunahme der Muskelminderung in der Tendenz - worauf bereits R1 hingewiesen hat - erkennen. Insbesondere hat B2 keine Umfangsdifferenz in Höhe der Kniescheibenmitte dokumentiert, so dass der Kläger jedenfalls im Untersuchungszeitpunkt auch keine Schwellung im Bereich des rechten Kniegelenks gehabt haben kann und sich auf Grund dieses Befundes - worauf ebenfalls C1 hingewiesen hat - eine bedeutsame überdauernde Schwellneigung bzw. ein überdauernder Reizzustand im Kniegelenk nicht begründen lässt. Eine Veränderung des Gesundheitszustandes kann jedoch entsprechend § 73 Abs. 3 SGB VII nur dann wesentlich sein, wenn sie länger als drei Monate andauert. Die von B2 beschriebenen funktionellen Beeinträchtigungen rechtfertigen somit in der Gesamtschau jedoch gerade (allenfalls) die seitens der Beklagten bereits zugrunde gelegte MdE von 20 v.H. und keinesfalls eine - wie vom Kläger begehrt - höhere MdE, weshalb in dem Gesundheitszustand des Klägers im Vergleich zu dem, der dem Bescheid vom 20.12.1994 zugrunde lag auch keine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen nach einer MdE von mehr als 5 v.H. eingetreten ist. Soweit B2 nach Auswertung der bildgebenden Befunde außerdem eine auf den Unfall vom 17.04.1980 zurückzuführende posttraumatische Gonarthrose im Bereich des rechten Kniegelenks diagnostiziert hat, führt auch diese zu keiner Höherbewertung der MdE. Wie bereits ausgeführt, kommt es bei der Bewertung der MdE maßgeblich auf die funktionellen Defizite und gerade nicht auf die radiologische Diagnostik an.

Eine andere Einschätzung lässt auch das auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten des Sachverständigen B1 vom 18.06.2019 nicht zu. Zwar hat auch er ein Streck- und Beugedefizit (0/15/120°) im Bereich des rechten Kniegelenkes dokumentiert. Doch führt auch dieses für sich genommen nach der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 685) noch nicht zu einer rentenrelevanten MdE von mindestens 20 v.H. Weiterhin hat der Wahlsachverständige zwar eine kräftige vordere Schublade, jedoch lediglich eine leichte medialseitige Instabilität sowie eine verminderte Kraft im Bereich des rechten Beines bei entsprechender Muskelminderung (Umfangmaße 20 cm ob. inn. Knie-Gelenkspalt: rechts 50 cm gegenüber links 54 cm, Umfangmaße 10 cm ob. inn. Knie-Gelenkspalt: rechts 41 cm gegenüber links 44 cm, Umfangmaße 15 cm unterh. inn. Gelenkspalt: rechts 34 cm gegenüber links 37 cm, Umfangmaße Kniescheibenmitte: rechts 34 cm gegenüber links 37 cm) beschrieben. Auch der Sachverständige B1 hat die von ihm beschriebene Instabilität nicht näher konkretisiert, so dass der Senat auch insoweit keinen Anhaltspunkt dafür hat, dass sich die Instabilität gegenüber der Begutachtung durch R1, der die Instabilität dem Schweregrad 1+ zugeordnet hat, darüberhinausgehend verschlechtert hat. Vielmehr lässt sich dem seitens des Wahlsachverständigen vorgelegten MRT-Befund des rechten Kniegelenks vom 17.05.2019 entnehmen, dass sowohl das vordere als auch das hintere Kreuzband ebenso wie die Kollateralbänder intakt sind, so dass jedenfalls nicht von einer höhergradigen Instabilität ausgegangen werden kann. Soweit der Sachverständige darauf abgestellt hat, dass auch die rezidivierenden Gelenkergüsse zu einer Verschlechterung der Funktionsfähigkeit des rechten Kniegelenkes des Klägers führten, mag diese Einschätzung zwar grundsätzlich zutreffend sein. Allerdings ergibt sich aus dem von ihm selbst vorgelegten MRT-Befund vom 17.05.2019 gerade kein Gelenkerguss und auch keine gefüllte Baker-Zyste. Außerdem lässt sich auch den von ihm erhobenen Umfangmaßen in Höhe der Kniescheibenmitte (rechts 34 cm gegenüber links 37 cm) nicht entnehmen, dass beim Kläger zum Untersuchungszeitpunkt am 04.06.2019 eine (erhebliche) Schwellung im Bereich des rechten Kniegelenkes bestanden hat. Darüber hinaus ergibt sich aus der vom Senat beigezogenen Patientenkartei und den vorgelegten Befundberichten, dass es zwar seit Stellung des Verschlimmerungsantrags durch den Kläger zu Schwellungen und Reizzuständen, die auch Auswirkungen auf die Beweglichkeit des rechten Kniegelenks haben, gekommen ist, diese jedoch lediglich zeitlich befristet aufgetreten sind und die Beweglichkeit nach Abschwellung wieder deutlich zugenommen hat (Befund 07.09.2016 u.a.: „kräftige Schwellung, 0-30-110, stabil“, Befund 10.10.2016 u.a.: „Beweglichkeit: 0-45-100, unter KG besser“, Befund 31.10.2016 u.a.: „unter KG weitgehend beschwerdefrei, im Sitzen Extensionsdefizit 45°“, Befund 04.01.2017 u.a.: „geht besser, noch Schwellung, Beweglichkeit: 0-20-110°“, Befund 28.03.2017 laut Zwischenbericht u.a.: „sukzessive Verbesserung des Beschwerdebildes“, „Funktion mit 0-10-120 verbessert. Patient mit der Situation zufrieden“, Befund 08.05.2017 u.a.: „derzeit keine Beschwerden, außer Weichteile li. Hüfte“, Befund 06.06.2017 u.a.: „re Knie zwischenzeitlich frei beweglich, noch leicht ausladende Weichteilkontur med. und lat.“, Befund vom 25.07.2017 u.a.: „0-10-100° re. Knie etwas Schwellung“, Befund 23.04.2019 u.a.: „etwas Erguß, med. etwas instabil, Beweglichkeit 0-20-90°“, Befund 02.07.2020 u.a.: „0/10/110, volle Streckung gegen R nicht möglich, keine weitere Instabilität; kein Schmerz auslösbar“, Befund 11.10.2021 u.a.: „0/10/110, geringe ventrale Instabilität“). Im Übrigen lässt sich der Patientenkartei entnehmen, dass diese Schwellungen und Reizzustände lediglich gelegentlich aufgetreten sind und lange beschwerde- und behandlungsfreie Intervalle dazwischengelegen haben (u.a. von Oktober 2017 bis zum 23.04.2019, anschließend bis zum 03.12.2019 und vom 03.07.2020 bis 11.10.2021). Auch aus dem beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis der AOK ergeben sich jedenfalls seit Januar 2016 keine häufigen auf Kniegelenksbeschwerden zurückzuführende Arbeitsunfähigkeitszeiten (lediglich vom 06.06.2016 bis 08.07.2016, vom 25.07.2017 bis 03.08.2017, vom 05.02.2020 bis 11.02.2020, vom 11.10.2021 bis 22.10.2021), so dass auch diese keinen Rückschluss auf länger anhaltende, überdauernde Schwell- und Reizzustände - weder seit Stellung des Verschlechterungsantrags noch seit Januar 2019 - mit entsprechenden funktionellen Einschränkungen zulassen. Folglich ist zur Überzeugung des Senats nicht belegt, dass diese Schwell- und Reizzustände zu überdauernden länger als drei Monate anhaltenden Funktionsbeeinträchtigungen entsprechend § 73 Abs. 3 SGB VII geführt haben und führen. In der Gesamtschau bedingen somit auch die vom Sachverständigen B1 objektivierbaren Funktionsbeeinträchtigungen keine höhere MdE als 20 v.H. Insbesondere und auch unabhängig davon ist der Kläger auch mit den gelegentlich auftretenden Schwell- und Reizzuständen funktionell immer noch erheblich bessergestellt als im Falle einer eine MdE von 30 v.H. bedingenden (dauerhaften) Versteifung des Kniegelenkes oder einer (überdauernden) Beweglichkeitseinschränkung von Streckung/Beugung auf 0/30/90°.

Soweit auch der Wahlsachverständige die beim Kläger bildgebend sichtbare Gonarthrose und auch deren zu erwartende Zunahme in der Zukunft in die MdE-Bewertung miteinfließen hat lassen, weist der Senat abermals darauf hin, dass sich die MdE nach den (aktuellen) Funktionseinbußen anhand objektiv-klinischer Befunde bemisst und nicht nach radiologischen Befunden (s.o.). Soweit der Wahlsachverständige bei der MdE-Bewertung außerdem auf die beim Kläger von ihm diagnostizierte Coxarthrose und deren - wiederum aus seiner Sicht - zu erwartenden Zunahme abgestellt hat, gilt das eben Ausgeführte. Ungeachtet der Frage, ob diese Coxarthrose überhaupt in ursächlichem Zusammenhang mit dem stattgehabten Arbeitsunfall steht, ist die Beweglichkeit in beiden Hüftgelenken im Rahmen der Begutachtung übernormwertig gewesen (20/0/150°; Normalwerte nach der Neural-Null-Methode: Streckung/Beugung 10/0/120-140°, s. nur Streicher/Pretterklieber in Anderhuber/Pera/Streicher, Waldeyer, a.a.O. S. 319; MdE 0, vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 621), so dass schon mangels Funktionsbeeinträchtigung ein Einfluss der Coxarthrose auf die MdE-Bewertung ausscheidet.

Da sich die beim Kläger bestehenden Funktionsdefizite weder ab Stellung des Verschlimmerungsantrags am 07.09.2016 noch ab Januar 2019 derart verschlechtert haben, dass sie eine MdE von mehr als 20 v.H. bedingen, liegt keine wesentliche Änderung in dem dem Bescheid vom 20.12.1994 zugrunde liegenden Gesundheitszustand des Klägers vor. Eine höhere Verletztenrente als nach einer MdE um 20 v.H. kommt daher nicht in Betracht, weshalb das Urteil des SG im Rahmen des Berufungsantrags der Beklagten aufzuheben und die Klage abzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

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