S 1 BA 23/23

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 1 BA 23/23
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
 
Leitsätze

Ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, der 50 vH der Anteile am Stammkapital hält, ist ausnahmsweise dann nicht selbstständig, wenn dem anderen Gesellschafter bei Stimmengleichheit (Pattsituation) das Recht zusteht, im Wege eines Stichentscheides eine Entscheidung in der Gesellschafterversammlung herbeizuführen. §§ 7, 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben.
III. Der Streitwert wird auf EUR 77.487,23 festgesetzt.

 

T a t b e s t a n d :


Die Beteiligten streiten im Rahmen einer sozialrechtlichen Betriebsprüfung über die Versicherungs- und Beitragspflicht des Beigeladenen 2), Herrn F., aufgrund seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin in der Zeit vom 01.01.2018 bis 31.05.2022.
Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), mit dem Unternehmenszweck Betrieb eines Baugeschäftes zur Durchführung aller im Baugewerbe anfallenden Lieferungen und Leistungen wurde mit notariellen Gesellschaftsvertrag (GV) vom 14.05.1992 gegründet und am 10.06.1992 in das Handelsregister eingetragen.
Nach § 3 GV beträgt das Stammkapital der Gesellschaft 52.000 €, wobei sich das Stammkapital im Zeitraum 01.01.2018 bis 31.05.2022 in folgende zwei Stammeinlagen gliedert (vgl. Gesellschafterliste der Z. Bau GmbH vom 24.05.2013, URNr. 0000 ):
Gesellschafter    Wohnsitz                             Nennbetrag des Anteils    Anteilsnummer
Z.,
geb. 1960     A-Stadt, A.-Str. 4                                     26.000 €                          1
 F.,
geb. 1982     A-Stadt, C.-Str. 13                                    26.000 €                        2
Summe                                                                             52.000 €    

Bis zum Frühjahr 2013 hielt Herr Z. 100 % der Gesellschaftsanteile. Aufgrund Schenkung vom 18.04.2013 wurde der Beigeladene zu 2) mit 50 % am Gesellschaftsvermögen der Klägerin beteiligt. Bereits mit Wirkung zum 22.12.2011 wurde der Beigeladene zu 2) zusammen mit seinem Vater, Herrn Z., zum vertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt. In § 1 Abs. 1 des - undatierten - Geschäftsführeranstellungsvertrages wurde geregelt, dass der Beigeladene zu 2) Weisungen der Gesellschafterversammlung zu befolgen hat. Im GV vom 16.07.2013 wurde in § 6 "Gesellschafterbeschlüsse" dazu folgende Regelung getroffen:

                                                                               § 6 Gesellschafterbeschlüsse
1. Gesellschafterbeschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Dies gilt nicht, soweit das Gesetz zwingend oder dieser Vertrag ausdrücklich etwas anderes bestimmen.
2. Solange Herr Z. Gesellschafter der Gesellschaft ist, steht ihm als nicht übertragbares nicht vererbliches gesellschaftsrechtliches Sonderrecht bei Beschlussfassungen, die gemäß Satz 1 mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu fassen sind, das Recht zu, bei Stimmengleichheit ("Pattsituation") mit seinem Stimmrecht im Wege eines Stichentscheides eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung herbeizuführen.

Flankierend dazu enthält § 4 GV zur Vertretung und Geschäftsführung der Gesellschaft folgende Regelung:
          
                                                                               § 4 Vertretung, Geschäftsführung
...Nr. 3 mehrere Geschäftsführer fassen ihre Beschlüsse mit einfacher Mehrheit nach Köpfen. Im Fall der Stimmengleichheit steht dem jeweils dienstältesten Geschäftsführer der Stichentscheid zu.
Nach durchgeführter sozialrechtlicher Betriebsprüfung am 09.05.2022 und anschließender Anhörung der Klägerin, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 06.10.2022 fest, dass für den Beigeladenen zu 2) für den Zeitraum 01.01.2018 bis 31.05.2022 ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt. Ferner wurden mit gleichen Bescheid von der Klägerin Sozialversicherungsbeiträge, die Umlage U2 und die Insolvenzgeldumlage in Höhe von insgesamt 77.487,23 € nachgefordert. Begründet wurde dies damit, dass dem Beigeladenen zu 2) eine vollumfängliche, alle Angelegenheiten der Gesellschaft betreffende Sperrminorität bzw. Verhinderungsmacht nicht zugestanden habe. Beschlüsse des weiteren Gesellschafter-Geschäftsführers hätten wegen der Stichentscheids-Klausel nicht verhindert werden können. Somit könne der Beigeladene zu 2) keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ausüben.
Mit Schreiben vom 19.10.2022 legte die Klägerin Widerspruch ein und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Darüber hinaus wurde ein Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 06.09.2022 incl. Satzungsänderung vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass der letzte Satz von § 4 Abs. 3 sowie § 6 Nr. 2 der Satzung (Gesellschafterbeschlüsse) ersatzlos entfallen sei. Vorliegend sei aus Sicht der Klägerin zu berücksichtigen, dass der Beigeladene zu 2) kein Minderheiten-Gesellschafter-Geschäftsführer sei. Er verfüge über eine Beteiligung am Stammkapital von 50 %. Bei einer Beteiligung von 50 % sei stets von der Versicherungsfreiheit in allen Zweigen der Sozialversicherung auszugehen. Auf eine Sperrminorität komme es nicht an. Diese sei nur bei einem Minderheiten-Gesellschafter-Geschäftsführer zu prüfen. Im Übrigen sei die familiäre Verbundenheit zwischen dem Unternehmensgründer Herrn Z. und seinem Sohn F. zu berücksichtigen. Das satzungsrechtliche Sonderrecht sei im Laufe der Zeit schlicht übersehen worden und auch nicht gelebt worden. Nach Hinweis des Prüfers sei die entsprechende Regelung auch sofort abgeschafft worden.
Mit Schreiben vom 06.02.2023 erklärte sich die Beklagte bereit, den Vollzug des Beitragsbescheides in voller Höhe bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens auszusetzen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.09.2023 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Bezüglich der Statusbeurteilung von GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführern seien außerhalb eines Gesellschaftsvertrages geschlossene Stimmbindungsverträge für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht von Bedeutung. Dagegen sei eine Stimmrechtsvereinbarung sozialversicherungsrechtlich zu beachten, wenn sie - wie vorliegend - direkt im Gesellschaftsvertrag getroffen worden sei. Bei der in § 6 Nr. 2 GV getroffenen Vereinbarung handelt es sich auch um eine Stimmrechtsvereinbarung, die zulässig und wirksam geschlossen worden sei. Danach sei der Beigeladene zu 2) unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des BSG abhängig beschäftigt, da er Beschlüsse der Gesellschafterversammlung auf Grund des Stichentscheids des Herrn Z. schlussendlich nicht verhindern könne. Bei Stimmengleichheit habe Herr Z. immer das Letztentscheidungsrecht.
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt (Az.: S 1 BA 22/23 ER). Mit Schriftsatz vom 18.10.2023 hat die Beklagte die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom 06.10.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2023 bis zum Abschluss des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Landshut gewährt. Zur Klagebegründung hat die Klägerin ergänzend zum Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren ausgeführt, dass die Beklagte die Rechtsprechung zur Sperrminorität verkenne. Der Beigeladene zu 2) sei kein Minderheitengesellschafter-Geschäftsführer. Nur bei diesen sei eine Sperrminorität erforderlich. Bei zwei Gesellschafter-Geschäftsführern mit jeweils 50 % Anteil am Stammkapital, komme es nach der Rechtsprechung des BSG nicht auf das Vorliegen einer Sperrminorität an. Im Übrigen sei der Beigeladene zu 2) nur dann an die Weisung der Gesellschafterversammlung gebunden gewesen, wenn die Geschäfte über den gewöhnlichen Betrieb des Unternehmens hinausgegangen wären. Alles was sich im Rahmen des ordentlichen Geschäftsbetriebes abspiele und abgespielt habe, habe der Beigeladene zu 2) selbstständig ohne entsprechende Weisungen entscheiden können.

Die Klägerin beantragt,
        den Bescheid der Beklagten vom 06.10.2022 in der Gestalt des Widerspruchs-
        bescheides der Beklagten vom 19.09.2023 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
        die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält an ihrer Auffassung fest, dass der Beigeladene zu 2) im streitgegenständlichen Zeitraum zur Klägerin in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Eine familiäre Verbundenheit oder Rücksichtnahme sei nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich nicht - mehr - geeignet, die Rechtsmacht, wie sie sich nach dem Gesellschaftsrecht (Gesellschaftsvertrag) ergibt, gänzlich außer Acht zu lassen.
Der Beigeladene zu 2) stellt keinen eigenen Prozessantrag. Er schließt sich jedoch dem Antrag der Klägerin an.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Akte des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens Az.: S 1 BA 22/23 ER Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :


Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 06.10.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2023 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
I. Im Rahmen der Betriebsprüfung hat die Beklagte zu Recht festgestellt, dass der Beigeladene zu 2) in der Zeit vom 01.01.2018 bis zum 31.05.2022 aufgrund abhängiger Beschäftigung versicherungspflichtig war. Der Beigeladene zu 2) unterlag im streitigen Zeitraum in seiner für die Klägerin verrichteten Tätigkeit als im Handelsregister eingetragener GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Die Beklagte hat die erhobene Beitragsnachforderung gegenüber der Klägerin daher zu Recht festgesetzt.
1. Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid ist § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Nach § 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern unter anderem, ob diese ihre Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Insbesondere prüfen sie die Richtigkeit der Beitragszahlungen. Im Rahmen der Prüfung erlassen die Träger der Rentenversicherung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung, § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV.

2. Versicherungspflichtig sind in der Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen.

a) Beschäftigung ist gem. § 7 Abs. 1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (S. 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (S. 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem nach Zeit Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die hierzu für die Statusbeurteilung vom BSG entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe (vgl. BSGE 128, 191 = NZA 2019, 1583 [Honorararzt]) gelten grundsätzlich auch für die Geschäftsführer einer GmbH (stRspr; vgl. BSG 29.6.2021 - B 12 R 8/19 R, BeckRS 2021, 35724; BSG DStR 2021, 2477; BSG DStR 2021, 311; BSGE 130, 123 = NJW 2021, 1980).

Ist ein GmbH-Geschäftsführer - wie vorliegend - zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit (zu den ähnlichen Kriterien des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs EuGH = EuZW 2011, 74 = NZA 2011, 143). Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist damit nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist grundsätzlich bei Gesellschaftern gegeben, die zumindest 50 % der Anteile am Stammkapital halten (BSG 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R, Rn. 21). Dagegen sind Minderheitsgeschäftsführer grundsätzlich abhängig beschäftigt (BSG 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R). Sie sind ausnahmsweise nur dann als Selbstständige anzusehen, wenn ihnen nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist.

Selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer müssen dabei also in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse ausüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit sind (Minderheits-)Gesellschafter-Geschäftsführer nicht im "eigenen" Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener (§ 37 GmbHG), funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als ihre Arbeitgeberin eingegliedert. Deshalb ist eine "unechte", nur auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (stRspr; vgl. zB BSG, Urteil vom 1.2.2022 - B 12 R 19/19 R, NZG 2023, 336; BSGE 130, 282 = NZS 2021, 520 und BSG 8.7.2020 - B 12 R 4/19 R, BeckRS 2020, 37884 jew. mwN). Die Tätigkeit eines Geschäftsführers ist nur dann unternehmerisch, wenn er auf alle wesentlichen Grundlagenentscheidungen Einfluss nehmen kann. Gesellschafter-Geschäftsführer müssen daher Gewinnchancen und Unternehmensrisiken mitbestimmen und damit auf die gesamte Unternehmenstätigkeit einwirken können. Dazu gehört insbesondere die dem Unternehmenszweck Rechnung tragende Bilanz-, Finanz-, Wirtschafts- sowie Personalpolitik (vgl. BSG DStR 2022, 1624 = NZS 2022, 742). Daher reicht es für die erforderliche Rechtsmacht nicht aus, wenn eine Sperrminorität nur für bestimmte, im Einzelnen im Gesellschaftsvertrag aufgeführte Angelegenheiten besteht, auch wenn diese (fast) die gesamte Unternehmenstätigkeit ausmachen sollten. Nur wenn der Geschäftsführer aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung über die Rechtsmacht verfügt, ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern, scheidet abhängige Beschäftigung aus.

b) Über solche, einem Selbstständigen im eigenen Unternehmen vergleichbare Einfluss- und Mitbestimmungsmöglichkeiten verfügt der Beigeladene zu 2) in der klagenden Gesellschaft nach dem Gesellschaftsvertrag bzw. der Satzung im streitgegenständlichen Zeitraum nicht. Grundsätzlich reichen zwar bei zwei GmbH-Gesellschaftern 50 % Anteile am Stammkapital der Gesellschaft aus, um statusrechtlich als selbständiger GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer eingestuft zu werden. Dies gilt jedoch nur solange, als die daraus resultierende Verhinderungsmacht nicht durch andere gesellschaftsrechtlich verankerte Stimmrechtsregelungen in der Gesellschafterversammlung wieder aufgehoben werden. Entscheidend ist, dass für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit der Gesellschafter-Geschäftsführer die notwendige Rechtsmacht durch Gesellschaftsvertrag haben muss, die ihn in die Lage versetzt, die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen oder zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern zu können. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Beschlüsse der Gesellschaft gemäß § 6 Nr. 1 GV mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst werden. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass nach § 6 Nr. 2 GV im Falle der Stimmengleichheit, dem Gesellschafter Z. das gesellschaftsrechtlich unabdingbare Sonderrecht zusteht, eine Entscheidung im seinem Sinne herbeizuführen. Gegen die Wirksamkeit der Stichentscheids-Klausel bestehen keine rechtlichen Bedenken (mwH. MüKoGmbHG/Drescher, 4. Aufl. 2023, GmbHG § 47 Rn. 55). Daraus ergibt sich, dass Beigeladene zu 2) eben nicht die Rechtsmacht besitzt, Beschlüsse der Gesellschaftsversammlung gegen den Willen des Gesellschafters Herrn Z. zu fassen. Oder anders ausgedrückt, dem Beigeladenen zu 2) steht keine Verhinderungsmacht zu, Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Bei Stimmengleichheit hat immer Herr Z. das letzte Entscheidungsrecht und damit Rechtsmacht alle wesentlichen Entscheidungen in der Gesellschaft in seinem Sinne durchzusetzen. Somit war der Beigeladene zu 2) bis zur Änderung des Gesellschaftsvertrages nicht in die Lage, Einzelanweisungen an sich im Bedarfsfall zu verhindern. Er war vielmehr im Rahmen seiner Tätigkeit als Geschäftsführer für die Klägerin rechtlich an die Weisungen der Gesellschafterversammlung gebunden. Damit wurde durch die Stichentscheids-Klausel dem Beigeladenen zu 2) seine zunächst auf Grund seines 50 % Anteils am Gesellschaftsvermögen bestehende Sperrminorität wieder genommen. Nicht entscheidend ist, dass in der betrieblichen Praxis von der Stichentscheids-Klausel tatsächlich kein Gebrauch gemacht wurde bzw. dass aufgrund familiärer Beziehungen faktisch eine gleichberechtigte Geschäftsführung des Unternehmens gelebt wurde. Eine "Schönwetter-Selbstständigkeit" außerhalb gesellschaftsvertragsrechtlicher Bindungen ist mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht zu vereinbaren (stRspr; vgl zB BSG Urteil vom 7.7.2020 - B 12 R 17/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 49 RdNr 25 mwN). Es ist rechtlich daher unbeachtlich, wenn es zwischen den Gesellschaftern nie zu erheblichen Differenzen gekommen ist und dass im streitgegenständlichen Zeitraum alle Entscheidungen einvernehmlich getroffen wurden. Eine gegenseitige Rücksichtnahme mag solange eine gewisse Bedeutung haben, wie das Einvernehmen der Beteiligten gewahrt bleibt. Im Falle eines Zerwürfnisses wäre jedoch allein die dem Gesellschafter Z. zustehende Rechtsmacht zum Tragen gekommen.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze war der Beigeladene zu 2) nicht selbstständig tätig, sondern abhängig beschäftigt.
c) Abgerundet wird dieses Ergebnis durch die Regelungen im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag. Nach § 1 Abs. 3 des Vertrages war der Beigeladene zu 2) verpflichtet, seine volle Arbeitskraft - neben seiner selbständigen Tätigkeit im Rahmen eines Ingenieurbüros - in die Dienste der Gesellschaft zu stellen. Als Vergütung erhielt der Beigeladene zu 2) nach § 3 des Vertrages für seine Tätigkeit ein festes Jahresgehalt i.H.v. zunächst 44.200,00 € brutto, zahlbar in 13 gleichen monatlichen Raten. Zudem hatte der Beigeladene zu 2) nach § 4 Abs. 1 des Vertrages im Falle einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit, die durch Krankheit, Unfall oder aus einem anderen vom Beigeladenen zu 2) nicht zu vertretenden Grund eintrat, Anspruch auf Fortzahlung seines Gehalts für die Dauer von bis zu 6 Monaten, längstens jedoch bis zur Beendigung des Vertrages. Zudem stand dem Beigeladenen zu 2) nach § 5 Abs. 1 des Vertrages ein Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub von 30 Arbeitstagen zu. Nach § 3 Abs. 3 des Vertrages erstattete die Klägerin dem Beigeladenen zu 2) Aufwendungen, die ihm im Rahmen der Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten entstanden. Außerdem wurde ihm ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt, den er dienstlich und privat nutzen konnte (§ 3 Abs. 2 des Vertrages). Hierbei handelt es sich um typische Regelungen einer abhängigen Beschäftigung. Ein unternehmerisches Risiko, die eingesetzte Arbeitskraft nicht vergütet zu bekommen, kann hierin nicht gesehen werden.
Für die Kammer steht daher nach Abwägung sämtlicher Umstände und unter Berücksichtigung der Regelungen im Gesellschaftsvertrag und in dem Geschäftsführeranstellungsvertrag fest, dass der Beigeladene zu 2) in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer für die Klägerin im Zeitraum 01.01.2018 bis 31.05.2022 abhängig beschäftigt ist und daher Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht.
3. Als Arbeitgeberin hat die Klägerin gem. § 28e Abs. 1, 28d SGB IV den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die bei ihr versicherungspflichtig beschäftigten Personen, somit auch für den Beigeladenen zu 2) zu entrichten. Hinsichtlich der Höhe der Beitragsforderung sind Unrichtigkeiten nicht geltend gemacht worden und auch nicht erkennbar.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. 154 Abs. 1 und Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind weder erstattungsfähig noch sind diese mit Kosten zu belasten, da sie von einer förmlichen Antragstellung in der mündlichen Verhandlung abgesehen haben (vgl. § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
III. Gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG werden, wenn in einem Verfahren weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten kostenrechtlich privilegierten Personen gehört, Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben. Da der Rechtsstreit eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, war der Streitwert in Höhe der Geldleistung festzusetzen (52 Abs. 1 und 3 GKG).

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Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Bayer. Landessozialgericht in elektronischer Form einzulegen. Rechtsanwälte, Behörden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse müssen die Berufung als elektronisches Dokument übermitteln (§ 65d Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d Satz 2 SGG).
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 B-Stadt, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Sozialgericht Landshut in elektronischer Form eingelegt wird.
Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder
- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 65a Abs. 4 SGG eingereicht wird.
Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung.
Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden; dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.

 

 

 

 

 

 

 

 

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