L 10 KO 2265/23 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 13 KO 1618/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 KO 2265/23 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Eine Entschädigung für Zeitversäumnis ist nur dann zu gewähren, wenn durch die Teilnahme an dem Gerichtstermin ein Nachteil entstanden ist. Bei Beteiligten des Verfahrens können eventuelle Einschränkungen in der Freizeitgestaltung infolge der Wahrnehmung eines Gerichtstermins i.d.R. nicht als entschädigungspflichtiger Nachteil angesehen werden.

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 29.06.2023 wird, soweit sie sich gegen die Höhe der festgesetzten Fahrtkosten richtet, als unzulässig verworfen; im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.



Gründe

I.


Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Höhe seiner Entschädigung anlässlich der Teilnahme an zwei Erörterungsterminen vor dem Sozialgericht Ulm (SG) am 22.02.2022 und 23.06.2022.

Der Beschwerdeführer, der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bezieht, nahm beim SG in eigener Sache an zwei Erörterungsterminen teil, zu denen sein persönliches Erscheinen angeordnet war (am 22.02.2022 von 10:00 bis 11:43 Uhr und am 23.06.2022 von 10:13 bis 11:31 Uhr).

Für den Termin am 22.02.2022 beantragte er eine Entschädigung i.H.v. 113,40 € (Fahrtkosten für 126 km à 0,90 €). Er sei von seiner Wohnung losgefahren und nach dem Termin zu einer medizinischen Anwendung in die A1 Therme B1 gefahren.

Für diesen Termin setzte die Kostenbeamtin des SG mit Schreiben vom 28.03.2022 eine Entschädigung i.H.v. 38,50 € fest (110 km à 0,35 €).

Für den Termin am 23.06.2022 beantragte der Beschwerdeführer eine Entschädigung i.H.v. 132 € (110 km à 1,20 €).

Die Kostenbeamtin des SG setzte die Entschädigung i.H.v. 35 € fest unter Berücksichtigung einer Fahrstrecke von 100 km (Schreiben vom 30.06.2022).

Gegen beide Festsetzungen hat sich der Beschwerdeführer am 06.07.2022 mit seinem Antrag auf richterliche Festsetzung gewandt und geltend gemacht, er habe ein Nutzfahrzeug und keinen Pkw genutzt, weshalb ein höherer Kilometerbetrag anzusetzen sei. Außerdem müsse ihm nachgewiesen werden, welche Strecke er gefahren sei.

Mit Beschluss vom 29.06.2023 hat das SG die Entschädigung des Beschwerdeführers anlässlich der Wahrnehmung der Gerichtstermine am 22.02.2022 und 23.06.2022 auf jeweils 35 €, insgesamt 70 € festgesetzt. Dabei hat es allein Fahrtkosten nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz, JVEG) berücksichtigt. Für die kürzeste Route vom Wohnort des Klägers zu dem von ihm nach eigenen Angaben angesteuerten kostenlosen Parkplatz in der F1 in U1 betrage die Entfernung gerundet 50 km, weshalb pauschal und unabhängig von der Art des verwendeten Fahrzeugs pro Kilometer 0,35 € zu entschädigen seien, somit 70 € (2 x 100 km à 0,35 €). Die Fahrt nach B1 im Anschluss an den Gerichtstermin am 22.02.2022 sei nicht zu erstatten, da es sich um eine private Angelegenheit handele. Die Voraussetzungen für einen Verdienstausfall nach §§ 19, 22 JVEG (mangels Verdienstausfalls), eine Aufwandsentschädigung nach §§ 19 Abs. 1, 6 Abs. 1 JVEG (Tagegeld - mangels Abwesenheit von mehr als acht Stunden) oder eine Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung nach §§ 19, 21 JVEG (wegen des Bezugs von Erwerbsersatzeinkommens) seien nicht erfüllt. Es sei auch keine Entschädigung für Zeitversäumnis nach §§ 19, 20 JVEG zu gewähren, denn ein Prozessbeteiligter, dessen Verfahrensstellung und eigenes Interesse am Verfahrensausgang sich deutlich von der Situation eines Zeugen unterscheide, erleide durch die Anordnung seines persönlichen Erscheinens zu einem Gerichtstermin oder einer Begutachtung grundsätzlich keinen Nachteil (mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zur Entschädigung für Zeitversäumnis hat das SG die Beschwerde zugelassen.

Mit seiner Beschwerde vom 03.08.2023 macht der Beschwerdeführer geltend, sein Fahrzeug sei kein Pkw, weshalb die Kostenannahme von 0,35 €/km falsch sei. Es solle ihm nachgewiesen werden, dass auch Lkw in diese Kategorie fielen. Bezüglich des Termins am 22.02.2022 könne er nichts dafür, dass er von der Richterin „genötigt“ worden sei, direkt vom Gericht zur zwingend erforderlichen medizinischen Anwendung zu fahren. Zudem sei nicht gerechtfertigt, geschätzte Kilometerangaben anstelle der von ihm angegebenen tatsächlichen Kilometer zu berücksichtigen.


Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Akten S 17 AS 344/22 ER und S 17 AS 9/22 Bezug genommen.

II.

Über die nach § 4 Abs. 3 JVEG dem Grunde nach statthafte Beschwerde entscheidet der nach dem Geschäftsverteilungsplan für Kostensachen zuständige 10. Senat nach § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG durch seine berufsrichterlichen Mitglieder ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter (§ 4 Abs. 7 Satz 3 JVEG), da die Einzelrichterin das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen hat.

Zulässiger Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist allein die Frage, ob dem Antragsteller für die Teilnahme an den Erörterungsterminen eine Entschädigung wegen Zeitversäumnis zu gewähren ist. Nur insoweit hat das SG die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, wie sich zwar nicht aus dem Tenor, jedoch - was ausreicht - eindeutig aus den Gründen der Entscheidung ergibt. Damit ist die Zulassung wirksam auf diesen Teil der Entscheidung beschränkt (vgl.
Weber in Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl., JVEG, § 4 Rn. 49; Bundessozialgericht 21.04.1999, B 5/4 RA 25/97 R, Rn. 17 m.w.N.; Bundesgerichtshof 21.12.1988, IVb ZB 87/88, zitiert - wie sämtliche Rechtsprechung - nach juris).

Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Höhe der festgesetzten Fahrtkosten wendet, ist die Beschwerde schon unzulässig, denn angesichts der geforderten Fahrtkosten von insgesamt 245,40 € (113,40 € für den Termin am 22.02.2022 und 132 € für den Termin am 23.06.2022) und der tatsächlich erstatteten Fahrtkosten von 73,50 € (eine Rückforderung der überzahlten 3,50 € ist nicht erfolgt, vgl. S. 4 Kostenakte S 17 AS 344/22 ER) wird der Beschwerdewert von 200 € (§ 4 Abs. 3 JVEG) mit einer Differenz von 171,90 € nicht überschritten. Dabei bleibt es auch, wenn die streitige Entschädigung für Zeitversäumnis (dazu nachfolgend) hinzugerechnet wird. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Höhe der Fahrtkostenerstattung ist damit für das vorliegende Beschwerdeverfahren irrelevant und geht an der Sache vorbei.

Für die Zeitversäumnis aufgrund der Wahrnehmung der Erörterungstermine am 22.02.2022 und 23.06.2022 ist dem Beschwerdeführer keine Entschädigung zu leisten.

Nach § 191 Sozialgerichtsgesetz (SGG) werden einem Beteiligten, der - wie hier der Beschwerdeführer - zu dem durch Kostenfreiheit privilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört und dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, auf Antrag bare Auslagen und Zeitverlust wie einem Zeugen vergütet. Die Entschädigung ergibt sich aus dem JVEG. Die Entschädigungstatbestände (für einen Zeugen) sind in § 19 JVEG aufgelistet; hierzu gehört auch die Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 20 JVEG. Diese beträgt 4 € je Stunde, soweit weder für einen Verdienstausfall noch für Nachteile bei der Haushaltsführung eine Entschädigung zu gewähren ist, es sei denn, dem Zeugen ist durch seine Heranziehung ersichtlich kein Nachteil entstanden.

Die Voraussetzungen für eine solche Entschädigung sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Fehlt es - wie hier - an entsprechenden Angaben, ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer als Bezieher von Leistungen nach dem SGB II durch die gerichtliche Heranziehung kein Nachteil entstanden ist. Im Entschädigungsantrag für den Termin am 22.02.2022 hat der Beschwerdeführer nicht einmal seine Abwesenheitszeiten an der entsprechenden Stelle des Formulars eingetragen, so dass er schon selbst nicht zu erkennen gegeben hat, dass ihm überhaupt eine Zeitversäumnis entstanden ist. Damit ist ihm „ersichtlich“ kein Nachteil entstanden (so auch Bayerisches Landessozialgericht - LSG - 24.11.2016, L 15 RF 31/18 und 30.07.2012, L 15 SF 439/11).

Aber auch für den Termin am 23.06.2022, für den der Kläger eine Abwesenheitszeit von zuhause von ca. 9:00 bis 12:30 Uhr angegeben hat, ist keine Entschädigung zu leisten. Denn ein Prozessbeteiligter, dessen Verfahrensstellung und eigenes Interesse am Verfahrensausgang sich deutlich von der Situation eines Zeugen unterscheidet, erleidet durch die Anordnung seines persönlichen Erscheinens zu einem Gerichtstermin in eigener Sache keinen Nachteil. Aufgrund seines Interesses am Verfahrensausgang muss ein Prozessbeteiligter bereit sein, mehr hinzunehmen, als einem Zeugen zugemutet werden kann (vgl. Hessisches LSG 23.06.2009, L 2 SF 54/08; Weber in Toussaint, a.a.O., § 20 Rn. 10). Eventuelle Einschränkungen in der Freizeitgestaltung infolge der Durchführung eines Gerichtstermins in eigener Sache können bei einem Prozessbeteiligten daher nicht als entschädigungspflichtiger Nachteil angesehen werden (vgl. Thüringer LSG 30.06.2020, L 1 JVEG 122/20 und 28.11.2019, L 1 JVEG 967/19; SG Karlsruhe 26.10.2017, S 1 KO 3624/17; Bleutge in BeckOK Kostenrecht, Stand 01.10.2023, JVEG, § 20 Rn. 10; Krauß in BeckOGK SGG, Stand 01.11.2023, § 191 Rn. 33; Lange in jurisPK-SGG, Stand 15.06.2022, § 191 Rn. 36; a.A. Bayerisches LSG 24.11.2016, L 15 RF 31/18 und 30.07.2012, L 15 SF 439/11).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).


 

Rechtskraft
Aus
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