L 2 AS 1423/23 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 38 AS 1381/23 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 1423/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.10.2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

 

Gründe:

 

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat dem Antrag, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) zu gewähren, jedenfalls im Ergebnis zu Recht nicht entsprochen.

 

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt somit voraus, dass ein materieller Anspruch besteht, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird (Anordnungsanspruch), und dass der Erlass einer gerichtlichen Entscheidung besonders eilbedürftig ist (Anordnungsgrund). Eilbedürftigkeit besteht, wenn dem Betroffenen ohne eine schnelle Entscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Rechte unmittelbar droht, die durch eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG, Beschl. vom 12.05.2005 zum Az. 1 BvR 569/05, Rn. 23 bei juris). Der gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) von den Gerichten zu gewährende effektive Rechtsschutz erfordert auch Rechtsschutzerlangung innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung von vollendeten Tatsachen entgegenzuwirken hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (BVerfG, Beschl. vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91, Rn. 28 bei juris).

 

Der geltend gemachte (Anordnungs-) Anspruch und die Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung -ZPO-). Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund zur Überzeugung des erkennenden Gerichts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. BSG, Beschl. vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01, Rn. 5 bei juris).

 

Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschl. vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05, Rn. 24 f. bei juris). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Kann bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vielfach nur möglichen summarischen Prüfung die Erfolgsaussicht nicht abschließend beurteilt werden, muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung unter umfassender Berücksichtigung grundrechtlicher Belange entscheiden. (BVerfG, Beschl. vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05, Rn. 26 bei juris; vgl. auch Keller in Meyer-Lade­wig/Kel­ler/Leitherer, SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b Rn 29a). Je schwerwiegender ein durch ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens endgültig eintretender Schaden ausfiele, desto geringere Anforderungen sind im Rahmen der Folgenabwägung an die Überzeugung des Gerichts vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs zu richten. Damit verbunden ist jedoch nicht eine Reduzierung der Bemühungen, die nach Lage des konkreten Einzelfalles vom Rechtsschutzsuchenden zur Glaubhaftmachung des von ihm geltend gemachten Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu verlangen sind. Macht ein Rechtsschutzsuchender geltend, ohne eine schnelle gerichtliche Entscheidung von schweren und unzumutbaren Nachteilen unmittelbar bedroht zu sein, muss von ihm erwartet werden, dass er alles ihm Mögliche sowie nach den konkreten Umständen des Einzelfalls Zumutbare unternimmt, die ihm drohenden Nachteile nicht eintreten zu lassen oder bereits eingetretene Nachteile umgehend zu beseitigen. Fehlt es ersichtlich an derartigen Bemühungen, können im Einzelfall erhebliche Zweifel insbesondere am Vorliegen des Anordnungsgrundes, aber auch des Anordnungsanspruchs gerechtfertigt sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II im Streit ist. Denn wer geltend macht, auf die Gewährung existenzsichernder Leistungen angewiesen zu sein, von dem ist zu erwarten, dass er alles in seiner Macht Stehende unternimmt, diese Mittel möglichst schnell zu erhalten, um damit die geltend gemachte finanzielle Notlage unverzüglich überwinden zu können.

 

Unter Berücksichtigung der vorstehend aufgeführten Rechtsgrundsätze ist jedenfalls das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht glaubhaft, so dass eine Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung von Grundsicherungsleistungen nicht auszusprechen war und aus dem gleichen Grunde auch keine sonstigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von den Beigeladenen zu 1) und zu 2) vorläufig zu erbringen sind.

 

In der Rechtsprechung ist zwar noch nicht abschließend geklärt, ob bei der hier durch die Ausländerbehörde erfolgten Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts damit eine sogenannte Tatbestandswirkung der Gestalt verbunden ist, dass der Verlust des Freizügigkeitsrechts für sozialrechtliche Entscheidungen und damit auch für Entscheidungen der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit so lange bindend ist, bis von der Ausländerbehörde eine gegenteilige Entscheidung getroffen wird. Umstritten ist insbesondere, wie sich die Aufhebung der Anordnung des Sofortvollzugs der Verlustfeststellung und der damit verbundenen Pflicht zur Ausreise auswirkt und ob sich durch eine erneute Erfüllung der Voraussetzungen eines Freizügigkeitsrechts (beispielsweise so wie hier durch Arbeitsaufnahme) nach Erlass der Verlustfeststellung sich diese auf sonstige Weise damit erledigt (siehe dazu unter anderem Beschluss des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16.03.2020 zum Aktenzeichen L 19 AS 2035/19 B ER). Sicher aber ist, dass bei Fortbestand der sonstigen dafür maßgeblichen Voraussetzungen ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II dann (wieder) besteht, wenn die Verlustfeststellung von der zuständigen Behörde aufgehoben wird. Folgerichtig haben sich die Antragsteller deshalb auch mit einem Antrag auf Aufhebung der Verlustfeststellungen vom 07.09.2023 an die Ausländerbehörde gewandt, wobei hier offenbleiben kann, ob dieser Antrag dort eingegangen ist, oder ob die Behörde erst im Laufe des Gerichtsverfahrens nach ihrer Beiladung davon Kenntnis erlangt hat.

 

Für den Senat nicht nachvollziehbar ist allerdings das weitere Verhalten der Antragsteller gegenüber der Ausländerbehörde. Von dieser wurden mit dem sich ebenfalls in den Gerichtsakten befindlichen Schreiben vom 17.10.2023 diverse Unterlagen von den Antragstellern angefordert. Die Behörde hat dazu mit Schriftsatz vom 23.11.2023 mitgeteilt, die angeforderten Unterlagen lägen ebenso wie ein mit dem Anschreiben vom 17.10.2023 verbundenes Empfangsbekenntnis bisher nicht vor. Die Antragsteller haben dazu lediglich erklärt, es sei ihnen nicht möglich die angeforderten sechs Lohnabrechnungen zu überreichen, weil das Arbeitsverhältnis erst im August 2023 begonnen habe. Dieser durchaus berechtigte Einwand ändert nichts daran, dass keine Gründe dafür ersichtlich sind, warum nicht spätestens im November die bis dahin aller Wahrscheinlichkeit nach erteilten Lohnabrechnungen für die drei vorangegangenen Monate eingereicht wurden. Gleiches gilt für die sonstigen erbetenen Unterlagen, zu denen beispielsweise die letzten beiden Schulzeugnisse von schulpflichtigen Kindern, hier mithin der Antragsteller zu 3) und 4), gehören.

 

Aufgrund dieser fehlenden Mitwirkung der Antragsteller in einem für die Beseitigung der von ihnen geltend gemachten finanziellen Notlage wichtigen Bereich sieht der Senat keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Antragsteller dringend auf die Bewilligung von staatlichen Fürsorgeleistungen angewiesen sind. Diese Zweifel werden dadurch bestärkt, dass auch nicht ersichtlich ist, wovon die Antragsteller nach Auslaufen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld I am 09.06.2023 bis zur Arbeitsaufnahme des Antragstellers zu 1) im August 2023, wobei davon auszugehen ist, dass eine Zahlung von Arbeitsentgelt erst nach Abschluss des Monats erfolgt ist, gelebt und ihre finanziellen Verpflichtungen bestritten haben.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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