S 21 AS 101/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 21 AS 101/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 393/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AS 137/22 B
Datum
Kategorie
Urteil


Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Wesentlichen um die Höhe von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – (SGB II) sowie um Vorverfahrenskosten.

Die in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden, in den Jahren 1984 und 1987 geborenen Kläger zu 3. und 7. stehen gemeinsam mit ihren minderjährigen Kindern seit mehreren Jahren im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beim Beklagten. Die Familie bewohnte ab dem 01.04.2015 eine 4-Zimmer-Wohnung in der C-Straße in A-Stadt. Hierfür fiel eine Gesamtmiete von 725 € an, wobei hierin ein Abschlag für Haushaltsstrom i.H.v. 125 € und eine Garagenmiete i.H.v. 50 € enthalten war. Die Garage wurde von den Klägern allerdings zum 01.07.2016 gekündigt.

Durch Bescheid v. 27.09.2016 bewilligte der Beklagte vorläufige Leistungen für den Zeitraum 10/16 – 03/17. Hierbei berücksichtigte er monatlich Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 550 €.

Hiergegen legten die Kläger mit Schreiben v. 24.10.2016 Widerspruch ein. Die berücksichtigten Kosten der Unterkunft und Heizung seien zu gering. Zudem werde zu Unrecht noch Elterngeld für das Kind C. angerechnet.

Am 05.12.2016 brannte das Wohnhaus der Kläger ab, weshalb sie vorübergehend in eine Obdachlosenunterkunft umziehen mussten. Am 27.12.2016 zogen sie dann in eine neu angemietete Wohnung in der A-Straße in A-Stadt. Sie legten eine Mietbescheinigung vor, wonach die Bruttokaltmiete 650 € und die Heizkosten 150 € monatlich betragen sollten.

Durch Änderungsbescheid v. 30.12.2016 berücksichtigte der Beklagte für den Zeitraum 01-03/17 die neuen Mietaufwendungen. Im Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass die Nutzungsentschädigung für die Notunterkunft direkt an die Stadt A-Stadt gezahlt worden sei.

Durch Änderungsbescheid v. 20.01.2017 für den Zeitraum 02-03/17 berücksichtigte der Beklagte die Erhöhung des Unterhaltsvorschusses. Die Beklagte fügte eine Rechtsbehelfsbelehrung an, wonach gegen den Bescheid der Widerspruch statthaft sein sollte.

Durch weiteren Änderungsbescheid v. 26.01.2017, ebenfalls für den Zeitraum 02-03/17, berücksichtigte der Beklagte zusätzlich einen Mehrbedarf bei Schwangerschaft und eine Änderung des Einkommens. Erneut sollte nach der Rechtsbehelfsbelehrung der Widerspruch statthaft sein.

Am 02.02.2017 teilten die Kläger mit, dass am 27.01.2017 zwei weitere Töchter und die Mutter des Klägers zu 3., Frau J. B., in die Wohnung eingezogen seien. Die Miete habe sich daher ab dem 01.02. auf 900 € erhöht.

Die Kläger legten mit Schreiben v. 17.03.2017 auch Widerspruch gegen die Bescheide v. 20. und 26.01.2017 ein. Die Miete müsse vollständig übernommen werden.

Durch Änderungsbescheid v. 21.02.2017 für den Zeitraum 02-03/17 berücksichtigte der Beklagte dann die neue Miete, zog aber für die nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Mutter einen sog. Kopfteil i.H.v. 1/10 der Miete ab.

Durch Bescheid v. 06.07.2017 setzte der Beklagte die Leistungen für den Zeitraum 10/16 – 03/17 endgültig fest. Es ergab sich eine Nachzahlung zugunsten der Kläger i.H.v. 181,54 €. An der Höhe der berücksichtigten Kosten der Unterkunft und Heizung änderte sich nichts.

Durch Widerspruchsbescheid v. 28.12.2018 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid v. 27.09.2016 zurück und verwarf die Widersprüche gegen die Änderungsbescheide v. 20.01. und 26.01.2017 als unzulässig. Kosten für die Widerspruchsverfahren seien nicht zu erstatten.

Die Kläger erhoben am 01.02.2019 Klage beim Sozialgericht Darmstadt.

Sie führten aus, die berücksichtigten Kosten der Unterkunft und Heizung seien zu niedrig. Die in der Gesamtmiete enthaltenen Stromkosten müssten ebenfalls als Kosten der Unterkunft berücksichtigt werden, da hier eine Pauschalinklusivmiete vereinbart worden sei. Ihre Wohnräume in der C-Straße hätten über keinen Stromzähler verfügt. Zudem habe ab dem Zeitpunkt des Zuzuges der Mutter des Klägers zu 3. kein Kopfteil für diese abgezogen werden dürfen, da sie sich nicht an den Mietkosten beteiligt habe und dazu aufgrund ihrer geringen Witwenrente auch nicht in der Lage gewesen sei. Auch sei die Anrechnung des Elterngeldes fehlerhaft. Zudem hätten die Änderungsbescheide v. 20.01. + 26.01.2017 die falsche Rechtsbehelfsbelehrung enthalten.

Die Prozessbevollmächtigte der Kläger beantragt wörtlich,

           Es folgt eine Auflistung, die aus technischen Gründen nicht dargestellt werden kann (vorhanden unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de).

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er beruft sich auf die in den Bescheiden gegebene Begründung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die Verwaltungsakte ergänzend verwiesen. 


Entscheidungsgründe

Die Klage ist teilweise bereits unzulässig und im Übrigen unbegründet.

Der Antrag, die Bescheide v. 27.09.2016, 30.12.2016, 20.01.2017, 26.01.2017, 21.02.2017 und 06.07.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 28.12.2018 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, ist zulässig, aber unbegründet. 

Der endgültige Festsetzungsbescheid v. 06.07.2017 für den Zeitraum 10/16 – 03/17 in Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 28.12.2018 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben keinen Anspruch auf Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Sie haben insbesondere keinen Anspruch auf Berücksichtigung höherer Kosten der Unterkunft und Heizung als 550 € monatlich im Zeitraum 10 – 12/16, in dem sie noch in der C-Straße wohnten.

Wie der Beklagte zutreffend festgestellt hat, zählen die Kosten für den Haushaltsstrom i.H.v. 125 € monatlich nicht zu den zu berücksichtigenden Kosten der Unterkunft und Heizung, da diese bereits im auf die Haushaltsenergie entfallenden Anteil in den Regelbedarfen enthalten sind (§ 20 Abs. 1 S. 1 SGB II). Auch das von der Klägerseite angeführte Argument, wonach bei einer Pauschalmiete, die auch den Strom umfasst, kein Abzug bei den Kosten der Unterkunft zulässig sei, verfängt nicht. Hier liegt insbesondere keine Konstellation vor, die dem Urteil des Bundessozialgerichts v. 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R – vergleichbar wäre. Denn dort war gerade kein Anteil der Pauschalmiete bekannt, die für den Strom entrichtet wird. So liegt es hier aber gerade nicht. Laut der mit Schreiben v. 07.04.2015 übersandten Mietbescheinigung für die Wohnung entfiel auf den Haushaltsstrom ein monatlicher Anteil der Miete v. 125 €. Dies stellt unabhängig von der Frage, ob diese Aufschlüsselung auch zum Gegenstand des Mietvertrags geworden ist, jedenfalls eine hinreichende Schätzungsgrundlage für die Höhe der in der Miete enthaltenen Kosten für Haushaltsenergie voraus, wie sie das BSG in der o.g. Entscheidung fordert (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2011 – B 14 AS 151/10 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr 54, Rn. 23).

Dass die Kosten für die Garage nach deren wirksamer Kündigung nicht mehr anerkannt werden können, bedarf im Übrigen keiner weiteren Erläuterung.

Auch trifft die Auffassung der Klägerseite, wonach – nach deren Zuzug – ein Abzug eines Kopfteils für die Mutter des Klägers zu 3. nicht zulässig gewesen sein soll, nicht zu.

Bei Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen werden diese Aufwendungen grundsätzlich nach Kopfteilen auf die Nutzer aufgeteilt (sogenanntes Kopfteilprinzip). Das Kopfteilprinzip zielt auf die generalisierende und typisierende Zuweisung individueller Bedarfe für alle wohnungsnutzenden Personen aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität, unabhängig von ihren schuldrechtlichen Verpflichtungen gegenüber Dritten und davon, ob alle Personen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind sowie unabhängig von Alter und Nutzungsintensität.

Es dient zugleich der Abgrenzung der Bedarfe von in einer Wohnung lebenden SGB II-Leistungsbeziehern von den Bedarfen anderer Personen, die dieselbe Wohnung nutzen. Denn es ist nicht Sinn und Zweck des § 22 Abs. 1 SGB II, wirtschaftlich ggf. leistungsfähigen Angehörigen einer Leistungen nach dem SGB II beanspruchenden Person ein kostenfreies Mitwohnen in deren Wohnung zu ermöglichen, auch wenn die Aufwendungen für die Wohnung angemessen oder mangels Kostensenkungsaufforderung als angemessen anzuerkennen sind (BSG, Urteil vom 27. Januar 2021 – B 14 AS 35/19 R -, Juris, Rn. 13 - 14).

Abweichungen vom Kopfteilprinzip hat das BSG allerdings schon mehrfach als möglich und notwendig angesehen, beispielsweise dann, wenn für ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft aufgrund einer bestandskräftigen Sanktion nach §§ 31 ff SGB II Leistungen für Unterkunft und Heizung nicht gezahlt werden. Die übrigen, nach dem SGB II leistungsberechtigten Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft können in diesem Fall nicht darauf verwiesen werden, von dem Dritten dessen Anteil an den Wohnkosten zu verlangen, wenn der Dritte kein Einkommen oder Vermögen hat, aus dem er seinen Anteil an den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bestreiten kann.

Eine Abweichung vom Kopfteilprinzip und die aus ihr folgende Erhöhung der Ansprüche auf Leistungen für Unterkunft und Heizung setzt aber voraus, dass sie aus bedarfsbezogenen Gründen geboten ist, also die Anwendung des Kopfteilprinzips zu einer Bedarfsunterdeckung bei der nach dem SGB II leistungsberechtigten Person führt. Verfügt die weitere Person, für die Leistungen für Unterkunftsaufwendungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht erbracht werden, hingegen über Einkommen oder Vermögen, aus dem sie ihren rechnerischen Anteil - oder ggf. Teile davon - bestreiten kann, ist eine Abweichung vom Kopfteilprinzip nicht geboten, denn es ist nicht Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ggf. wirtschaftlich leistungsfähigen Dritten ein kostenfreies Wohnen zu ermöglichen. Nichts anderes gilt, sollte die dritte Person zwar nicht über Einkommen und Vermögen verfügen, aber Ansprüche auf insoweit bedarfsdeckende Sozialleistungen gegen einen (anderen) Sozialleistungsträger haben (BSG, Urteil vom 27. Januar 2021 – B 14 AS 35/19 R –, Juris, Rn. 20 - 22).

Ebenfalls nichts anderes kann nach Auffassung der Kammer gelten, wenn die dritte Person – hier die Mutter des Klägers zu 3. – keine Anträge auf ihr möglicherweise zustehende Sozialleistungen stellt und daher von Anfang an nicht geprüft wird, ob sie damit den auf sie entfallenden Anteil der Mietaufwendungen selbst tragen kann. Vorliegend wurden die Kläger durch den Beklagten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Mutter Grundsicherung nach dem 4. Kapitel SGB XII beantragen konnte, was sie jedoch offensichtlich nicht getan hat.

Auch bei der Anrechnung des Elterngelds ist kein Fehler erkennbar. Entgegen der Annahme der Klägerseite handelte es sich bei den berücksichtigten Elterngeldzahlungen nicht um Elterngeld für die Tochter C. sondern für den Sohn D.

Da die endgültige Festsetzung der Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum ansonsten keinen erkennbaren Anlass zu Beanstandungen bietet und auch nicht konkret angegriffen worden ist, verweist das Gericht im Übrigen auf die zutreffenden Berechnungen im Bescheid v. 06.07.2017. 

Der weitere, die Kosten der Widerspruchsverfahren betreffende Antrag ist ebenfalls zulässig, aber unbegründet. 

Der Widerspruchsbescheid v. 28.12.2018 ist (auch) hinsichtlich dieser Entscheidungen rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben keinen Anspruch auf die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Vorverfahren entstandenen Kosten.

Nach § 63 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) hat der Rechtsträger, der den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist. Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, hat dieser selbst zu tragen; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen. 

Für die Frage, ob der Widerspruch erfolgreich ist, ist zunächst entscheidend, ob ein Abhilfe- (§ 85 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) oder ein Widerspruchsbescheid (§ 85 Abs. 2 SGG) ergangen ist. Erfolgreich ist der Widerspruch, auf den der Verwaltungsakt vollständig oder teilweise aufgehoben wird (vgl. BSG, Urteil vom 8.12.2001 - wie 12 KR 43/00 R., verfügbar bei Juris). Indes bedarf die Frage des Erfolgreichseins dann einer Einschränkung, wenn nach dem konkreten Sachverhalt ein anderer Umstand als der Widerspruch dem Erfolg rechtlich zurechenbar ist. Dies gilt zum Beispiel dann, wenn der Widerspruchsführer seinen Mitwirkungspflichten erst im Widerspruchsverfahren nachkommt (vgl. BSG a.a.O.).

Bei der Entscheidung über die Kosten des Vorverfahrens gilt demnach – abgesehen von der gesetzlich geregelten Ausnahme - das Erfolgsprinzip. Veranlassungsgesichtspunkte sind damit nicht zu berücksichtigen. Vorliegend waren die Widersprüche aber bereits unzulässig, da die angegriffenen Bescheide nach § 86 SGG Gegenstand des vorher anhängigen Widerspruchsverfahrens geworden waren. Damit waren sie nicht erfolgreich. Im Rahmen der Kostenentscheidung im Widerspruchsverfahren ist nicht berücksichtigungsfähig, dass die Widerspruchseinlegung (zumindest teilweise) auf der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung in den angegriffenen Bescheiden beruhte. Den Widerspruchsführern bleibt in derartigen Fällen nur die Möglichkeit, etwaige Schäden im Rahmen von Amtshaftungsansprüchen zu verfolgen, wobei allerdings ein erhebliches Mitverschulden fachkundig vertretener Widerspruchsführer zu berücksichtigen sein dürfte.

Der auf die Verurteilung zu „transparenten Abhilfebescheiden“ und die „Benennung konkreter Nachzahlungsbeträge“ gerichtete Antrag ist schließlich unzulässig. Es fehlt hier schon an einer diesbezüglichen Klagebefugnis, da eine Abhilfe hier nach den obigen Ausführungen nicht zu erfolgen hatte und dementsprechend auch keine Nachzahlungsbeträge anfallen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG

Das zulässige Rechtsmittel der Berufung folgt aus den § 143 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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