L 8 R 1779/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 759/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 1779/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zur fehlenden Versicherungspflicht als Selbständiger eines Handelsvertreters, der in das Vertriebskonzept eines Finanzdienstleisters eingebunden ist und in diesem Rahmen nach außen als selbständiger Makler auftritt.

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 24.05.2022 abgeändert. Die Bescheide der Beklagten vom 04.01.2017 und 23.10.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2020 werden insoweit aufgehoben, als auch für die Zeit ab dem 01.04.2017 Beiträge wegen einer Versicherungspflicht als Selbstständiger festgesetzt worden sind. Es wird festgestellt, dass der Kläger ab dem 01.02.2017 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Gerichtsinstanzen zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Klägers als Selbständiger bei im Wesentlichen nur einem Auftraggeber.

Der Kläger war ab dem 01.01.2014 aufgrund eines Consultant-Vertrages vom 03.12.2013 für die M1 Finanzdienstleistungen AG als Handelsvertreter tätig. Die Beklagte hatte das Bestehen einer Versicherungspflicht als Selbständiger für im Wesentlichen nur einen Auftraggeber festgestellt und den Kläger auf seinen Antrag hin nach § 6 Abs. 1a Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) für die Zeit vom 01.01.2014 bis 01.01.2017 von der Rentenversicherungspflicht befreit. Mit Bescheid vom 04.01.2017 stellte die Beklagte ab dem 02.01.2017 die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI als Selbständiger mit einem Auftraggeber fest. Vom 02.01.2017 bis 31.12.2018 habe der Kläger den halben Regelbeitrag zu zahlen.

Am 14.12.2016 schloss der Kläger, der keine eigenen Mitarbeiter beschäftigt, zum 01.04.2017 eine Vereinbarung zur Vermittlung internationaler Finanzprodukte mit der E1 AG, einem Finanzdienstleistungsunternehmen. Im Vertrag waren folgende Regelungen vereinbart:

1.1      Der Vermittler ist selbständiger Handelsvertreter im Verhältnis zur E1. Im Außenverhältnis tritt er dem Kunden gegenüber als Makler auf. …

1.3      Der Vermittler ist im Wesentlichen frei in der Bestimmung des Ortes und der Zeit seiner Tätigkeit. Gleiches gilt für die Art der Durchführung seiner Tätigkeit.

2.1      Der Vermittler ist verpflichtet, neue Kunden zu werben, bestandsfähige Verträge für die E1 zu vermitteln, bei dem Vertragsabschluss und der Abwicklung von Geschäften sowie deren laufenden Betreuung mitzuwirken und die E1 nach besten Kräften bei ihren geschäftlichen Aktivitäten zu unterstützen.

2.3      Der Vermittler ist nur zur Vermittlung, nicht jedoch zum Abschluss von Geschäften berechtigt. Er darf auch keine Erklärung abgeben, die für die E1 oder eine Vertragsgesellschaft verbindlich sein könnten. Insoweit ist er nicht befugt, die E1 rechtsgeschäftlich zu vertreten oder Verpflichtungen für diese einzugehen. Der Vermittler tritt seinen Kunden gegenüber ausschließlich in eigenem Namen auf. …
2.4      Die laufende Abwicklung aller dieser Verträge betreffenden Geschäfte erfolgt über die E1.

3.2      Gegenüber dem Kunden wird der Vermittler das jeweilige Vertragsprodukt vollständig und richtig … und nur anhand derjenigen Verkaufsunterlagen … und Informationen erläutern, die der Emittent, die Kapitalverwaltungsgesellschaft, E1 oder ein sonstiger Produktgeber zu Verwendung gegenüber dem Kunden veröffentlicht hat.

4.1      Der Vermittler erhält für seine Vermittlungstätigkeiten eine Provision, die durch das jeweils gültige E1 Vergütungssystem bestimmt und festgelegt wird. …
            Voraussetzung für die Provisionszahlung ist, dass der vermittelte Vertragsantrag zum Abschluss eines Vertrages zwischen dem Kunden und der Partnergesellschaft geführt hat. …
            Mit der Provisionszahlung sind sämtliche Ansprüche aus der Tätigkeit des Vermittlers für die E1 abgegolten. Alle persönlichen und sachlichen Kosten eines Geschäftsbetriebes einschließlich der etwaigen Kosten für Personal, Büro, Steuern, Porto, Telefon und Reisekosten etc. hat der Vermittler selbst zu bestreiten. …

4.4.     Soweit die den Provisionszahlungen zugrundeliegenden vermittelten Verträge vor Ablauf der Stornohaftungszeit aufgelöst, verändert oder rückgängig gemacht werden, sind die anteiligen, bereits gezahlten Provisionen durch den Vermittler zurück zu erstatten. …

6.1      Der Vermittler befasst sich ausschließlich mit der Beratung und dem Vertreib von Allfinanzprodukten und ist für die E1 ausschließlich tätig.
Der Vermittler darf während der Dauer des Vertrages nicht für weitere Produktgeber oder einen Wettbewerber bzw. deren Partnergesellschaften der E1 tätig werden oder sich an Konkurrenzunternehmen direkt oder indirekt Beteiligen oder diese sonst unterstützen. … Dieses Verbot bezieht sich auf sämtliche Produkte, die von E1 vertrieben werden, mithin auch die Vermittlung von Immobilien, Krediten und Kapitalanlagen. Dem Vermittler ist jegliche Konkurrenztätigkeit insoweit untersagt. …


Am 27.01.2017 wurde zudem eine Untervermittlungsvereinbarung zwischen dem Maklerpool J1, D1 & C1 (im Folgenden J2), der E1 AG als Hauptvermittler und dem Kläger als Untervermittler geschlossen.

Mit Schreiben vom 30.12.2017 beantragte der Kläger die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Er habe sich zum 01.02.2017 als Makler selbständig gemacht. Beigefügt war ein Schreiben der M1 Finanzdienstleistungen AG vom 25.01.2017, wonach der Consultant-Vertrag zum 31.01.2017 endete. Die Beklagte übersandte dem Kläger daraufhin entsprechende Fragebögen und bat um Übersendung der Gewerbean-/Ummeldung ab 01.02.2017 sowie den Vertrag mit dem neuen Hauptauftraggeber bzw. neuen Auftraggebern. Der Kläger teilte daraufhin mit, der übersandte Erfassungsbogen als Selbständiger mit einem Auftraggeber treffe auf ihn nicht zu. Mit Schreiben vom 10.02.2018 und Erinnerung vom 10.09.2018 führte die Beklagte aus, wenn der Kläger ab dem 01.02.2017 in das Vertriebskonzept der E1 AG eingebunden sei, sei diese Auftraggeber i.S.d. § 2 Nr. 9 SGB VI. Es würden die bereits angeforderten Angaben benötigt um prüfen zu können, ob Versicherungspflicht bestehe.

Mit Bescheid vom 23.10.2018 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 04.01.2017 nach § 44 Sozialgesetzbuch zehntes Buch (SGB X) ab. Der Kläger habe trotz Erinnerung nicht nachgewiesen, dass er nicht mehr zum Personenkreis nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI gehöre.

Am 19.11.2018 legte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Er sei selbständig und unterliege keinen Weisungen durch die E1 AG. Er kümmere sich selbständig um seinen Kundenstamm und trage das damit einhergehende finanzielle und wirtschaftliche Risiko. Die E1 AG stelle nur eine Art „Anbindung“ an die jeweiligen Versicherer dar. Daneben sei er auch über den Maklerpool J2 angebunden, um seinen Kunden weitere Versicherer anbieten zu können. Er sei bei der Vermittlung von Versicherern und Versicherungen völlig frei; es existierten keinerlei Vorgaben zu Anbietern, schon gar nicht über die E1 AG. Er zahle für die bei der E1 AG angemieteten Räume Miete. Die E1 übernehme als reiner Dienstleister die Abrechnungen. Das Stornorisiko, d.h. bei Kündigung der Versicherung vor der sog. Stornohaftzeit trage er allein. Er sei nicht in das Vertriebskonzept eingegliedert. Er sei völlig frei in der Nutzung seiner eigenen unternehmerischen Arbeitskraft und unterliege keinen vertraglichen Beschränkungen. Dazu legte er neben den Verträgen mit der E1 und J2 ein Schreiben der E1 AG vom 19.02.2019 vor. Darin wurde bestätigt, dass der Kläger in seiner Tätigkeit frei sei und keine regelmäßigen Arbeits- und Anwesenheitszeiten einzuhalten habe. Er könne den Ort für seine Tätigkeit frei wählen. Weisungen bezüglich der Ausführung seiner Tätigkeiten würden nicht erteilt. Die Auswahl des im konkreten Fall zu vermittelnden Finanz- und Vorsorgeproduktes obliege dem Kläger. Er erhalte von der E1 AG keinen Lohn, sondern Provisionen bzw. Courtagen, die nur fällig würden, sofern ein Vertrag zwischen dem Kunden des Klägers und einem Produktherausgeber zustande gekommen sei. In diesem Zusammenhang trage der Kläger das Stornorisiko der vermittelten Verträge. Ferner legte der Kläger einen Bürountermietvertrag mit der E1 AG vom 17.12.2018 über einen Büroraum ab dem 01.01.2019 vor. Ergänzend führte er aus, dass er nur als Vermittler für die beiden Maklerpools E2 AG und J2 angemeldet sei. Über diese Pools könne er den gesamten zu vermittelnden Markt (Sachversicherungen, Vorsorge, Wertpapiere etc.) bedienen. Es bestehe keinerlei Abhängigkeit zwischen ihm und den Pools. Die von der Beklagten geforderte Aufstellung seiner Umsätze im Hinblick auf die 5/6-Regelung sei unbeachtlich, da er gerade nicht in eine Vertriebsstruktur eingebunden sei. Er könne völlig eigenständig aus dem ihm zur Verfügung stehenden Pool der Anbieter die jeweils für den Kunden passende Lösung finden. Weder die E1 AG noch die J2 bezahle ihn, sondern die Auftraggeber seien seine jeweiligen Kunden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.02.2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger sei seit 01.04.2017 in das Vertriebskonzept der E1 AG laut vorgelegtem Vertrag eingebunden. Mit § 6 des Vertrages sei er mit der Beratung und dem Vertrieb von Allfinanzprodukten befasst und ausschließlich für die E1 AG tätig. Daher sei die E1 AG Auftraggeber im Sinne von § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI. Ein weiteres Kriterium sei der am 17.12.2018 geschlossene Bürountermietervertrag zwischen dem Kläger und der E1 AG, die wiederum Hauptmieterin sei. Es würden keine Dienstleistungen mit Zahlung einer Vergütung durch den Versicherten in Anspruch genommen. Vielmehr handele es sich um einen Untervertretungsvertrag mit Zahlung von Provision an den Untervertreter. Für die Beurteilung, ob ein Auftragsverhältnis zu einem Auftraggeber im Sinne des § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI bestehe, sei auf die durch die vertraglichen oder tatsächlichen Beziehungen bewirkte Beschränkung in der freien, unternehmerischen Nutzung der eigenen Arbeitskraft des selbständig tätigen Maklers abzustellen. Dies gelte auch bei Maklern, die einem sogenannten Maklerpool angeschlossen seien, jedenfalls dann, wenn ohne die geschäftliche Verbindung des Maklerpools zu den einzelnen Versicherungsgesellschaften, ohne die durch seine Marktmacht bedingten und dem Makler zu Gute kommenden Wettbewerbsvorteile und ohne die Erledigung administrativer Arbeiten durch den Maklerpool der Makler seine Tätigkeit nicht betreiben und keine Einkünfte in nennenswertem Umfang erzielen könne. Der Kläger sei sowohl „auf Dauer" als auch „im Wesentlichen" für einen Auftraggeber tätig. Ein selbständig Tätiger sei dann im Wesentlichen von einem Auftraggeber abhängig, wenn er mindestens fünf Sechstel seiner gesamten Betriebseinnahmen aus den zu beurteilenden Tätigkeiten allein aus der Tätigkeit für einen Auftraggeber beziehe. Daher sei von der Beklagten eine tabellarische Auflistung der Gewinne des Klägers von seinen jeweiligen Auftraggebern aus dem Maklerpool J2 und der E1 AG für die Zeit 01.04.2017 gegenübergestellt, angefordert. Zu der 5/6-Regelung habe der Kläger keine Aussagen getätigt. Der Kläger unterliege daher weiterhin der Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI ab 01.02.2017. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 04.03.2020 zugestellt.

Am 20.03.2020 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Er sei als selbständiger Makler unter dem Dach der E1 AG tätig. Er sei nicht in ein (Vertriebs-)Konzept eingebunden und übe seine Tätigkeit nicht durch regelmäßige, entgeltliche Nutzung der „angebotenen" Dienste aus. Er nutze lediglich die Abrechnungs- und Inkassodienstleistungen, vergleichbar mit einer Art „Abrechnungs-Service", wie es u.a. bei Ärzten, Zahnärzten etc., der Fall sei. Er unterliege keinerlei rechtlichen Beschränkungen in der freien unternehmerischen Arbeitskraft. Es gebe auch, obwohl sehr branchenüblich, keine Gebietsbeschränkung oder Zuteilung einer bestimmten Klientel. Er werde nicht mit einer Tätigkeit betraut und/oder vermittelt, auch nicht mit der Vermarktung und/oder dem Verkauf von Produkten nach einem bestimmten Organisations-, Vertrags- oder Marketingkonzept. Es bestehe keine Lieferbeziehung mit der E1 AG, noch würden dem Kläger „Betriebsmittel" überlassen. Es bestünden lediglich Angebote, die genutzt werden könnten, jedoch nicht genutzt werden müssten. Er sei gerade nicht zur Erbringung von Leistungen verpflichtet, auch und gerade nicht gegenüber einem Vertragspartner. Es gebe weder gewisse Zahlen noch Kontingente, die erfüllt werden müssten, noch Quoten, an die er sich halten müsse. Er habe eigene Auftraggeber, für die er tätig sei. Es bestehe eine eigene, individuelle Beziehung zwischen ihm und seinen Kunden. Es stehe ihm völlig frei, wo er seine Tätigkeiten anbiete und er könne den Büromietvertrag jederzeit kündigen. Es gebe keinerlei wirtschaftliche Abhängigkeit von der E1 AG, da weder Gehalt noch sonstige Vergütungen/Leistungen von der E1 AG an ihn geleistet würden. Es würden nur Provisionen und Honorare von der E1 AG eingeholt und abgerechnet.

Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 24.05.2022 die Bescheide vom 04.01.2017 und 23.10.2018 sowie den Widerspruchsbescheid vom 10.02.2020 insoweit aufgehoben, als für die Zeit vom 01.02.2017 bis zum 31.03.2017 Beiträge wegen einer Versicherungspflicht als Selbständiger festgesetzt worden sind, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Für den Zeitraum 01.02.2017 bis 31.03.2017 habe eine Versicherungspflicht als Selbständiger nicht bestanden, weil der Kläger seine Tätigkeit bei der M1 Finanzdienstleistungen AG ab dem 01.02.2017 aufgegeben habe und es bis zum Beginn des mit der E1 AG ab dem 01.04.2017 geschlossenen Vertrages keinerlei Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Kläger eine auf Dauer angelegte Tätigkeit im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber ausgeübt habe. Die Bescheide seien deshalb für diesen Zeitraum nach § 48 SGB X aufzuheben. Ab dem 01.04.2017 unterliege der Kläger jedoch der Versicherungspflicht als Selbständiger. Der Kläger habe seine Tätigkeit als Vermittler selbstständig ausgeübt, weil er nicht dem Weisungsrecht seines Auftraggebers unterliege, nicht in dessen Arbeitsorganisation eingegliedert sei, seine Tätigkeit und Arbeitszeit frei gestalten sowie über die eigene Arbeitskraft frei verfügen könnte. Er sei jedoch ab dem 01.04.2017 auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI tätig gewesen und habe keinen Arbeitnehmer beschäftigt. Als Auftraggeber komme einzig die E1 AG in Betracht, denn der Kläger sei nach dem mit dieser geschlossenen Vereinbarung lediglich berechtigt, für diese Geschäfte zu vermitteln. Der eigenständige Abschluss sei ausgeschlossen (vgl. § 2.3 des Vertrags). Auch Provisionen entstünden nur gegenüber der E1 (§ 4.1). Der Kläger sei ab dem 1.4.2017 auch im Wesentlichen (mehr als fünf Sechstel) für die E1 AG tätig gewesen. Der zwischen der E1 AG und dem Kläger geschlossene Vertrag enthalte eine so starke Bindung des Klägers, dass dieser in den Anwendungsbereich der Vorschrift des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI falle. Der Vertrag enthalte eine Verpflichtung zum Tätigwerden (§ 2.1 des Vertrags) bei fehlender Abschlussbefugnis (§ 2.3) und Verpflichtung, kein eigenes Informationsmaterial zu verwenden (§ 3.2) sowie die Einbindung in das Vergütungssystem der E1 AG bei Abhängigkeit der Provisionen von dem Vergütungssystem bei Leistungsbestimmungsrecht der E1 (§ 4.1). Dem Kläger sei es verwehrt, für andere Auftraggeber tätig zu werden (§ 6). Jedenfalls schlössen die vertraglichen Regelungen eine Tätigkeit für andere Auftraggeber und die Möglichkeit, Provisionen außerhalb des Vergütungssystems zu erzielen, aus. Die Ausführungen in der Klagebegründung, dass der Kläger die Provisionen von den einzelnen Kunden erhalte, seien mit diesen Regelungen nicht kompatibel. Vielmehr obliege es der E1 AG, über ihr Vergütungssystem zu bestimmen, wieviel der Provisionen aus den vom Kläger vermittelten Geschäften an ihn gezahlt werde. Damit liege eine wirtschaftliche Abhängigkeit vor. Das Tätigwerden für andere Auftraggeber sei vertraglich ausgeschlossen.

Der Kläger hat gegen den seinem Bevollmächtigten am 27.05.2022 zugestellten Gerichtsbescheid am 23.06.2022 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er hat sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und darauf hingewiesen, dass lediglich die Abrechnungen über die E1 AG erfolge. Anfallende Entgelte für die Nutzung der von der E1 AG angebotenen Dienstleistungen (sog. Overhead) seien frei verhandelbar. Als Gegenleistung für die Abrechnungsdienstleistung der E1 treffe den Kläger die Verpflichtung, alle Vermittlungen über die E1 AG „einzureichen", um somit für den Dienstleister (=E1 AG) auch sicherzustellen, dass die von dieser erbrachten Leistungen auch vergütet werden. Die E1 sei schon deshalb kein Auftraggeber, weil keinerlei Vermittlung von Kunden oder Beratungen durch die E1 AG an den Kläger erfolge. Zudem sei die Höhe der Vergütung, die deutlich höher als üblich sei, noch vor Abschluss der Vereinbarung durch den Kläger selbst verhandelt worden. Bezüglich des zu verwendenden Informationsmaterials nutze der Kläger so wie andere Kollegen und Berater eigene Websites ohne E1 AG Bezug und informierten die Kunden individuell und ohne Vorgaben zu Neuerungen und aktuellen Produkten. Die Kunden des Klägers würden mit diesem individuell die Höhe der Vergütung vereinbaren.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 24.05.2022 und den Bescheid der Beklagten vom 23.10.2018, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2020 aufzuheben und festzustellen, dass ab dem 01.02.2017 keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als Selbständiger besteht.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Nach der Rechtsprechung des BSG sei Auftraggeber auch derjenige, der dem selbständig Tätigen die Grundlagen zur Verfügung stelle, ohne die der Selbständige seine Tätigkeit nicht ausüben könne. Unerheblich sei, aus welchen wirtschaftlichen Gründen sich die Partner für die gewählte Gestaltung entschieden hätten. Ein Auftragsverhältnis könne auch dann bestehen, wenn der Selbständige zwar keine vertraglichen Beziehungen zum Auftraggeber unterhalte, dieser aber tatsächlich das Marketingsystem und die Produkte vorgebe, sowie die Voraussetzungen für die Auszahlung einer Provision und deren Höhe festlege. Der Vortrag des Klägers, die Kunden vereinbarten mit ihm die Vergütung individuell widerspreche der vertraglichen Regelung zur Provisionsabrechnung gemäß § 4 des Vertrages.

Der Kläger hat zum Nachweis unterschiedlicher Provisionsvereinbarungen mit seinen Kunden mehrere Zeichnungsunterlagen und Honorarvereinbarungen vorgelegt.

Das Verfahren ist mit den Beteiligten am 19.06.2023 nichtöffentlich erörtert worden. Mit Schriftsätzen jeweils vom 04.10.2023 haben die Beteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig und begründet. Für den Kläger besteht auch ab dem 01.04.2017 keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, weil er nicht im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist.

Rechtsgrundlage für die begehrte Änderung des Bescheides vom 04.01.2017 ist, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, § 48 Abs.1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, dieser Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Aufhebung soll nach S.1 Nr. 1 dieser Vorschrift mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. Der Kläger hat mit Schreiben vom 30.12.2017 eine Änderung seiner beruflichen Tätigkeit ab dem 01.02.2017 und damit eine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 SGB X ab diesem Zeitpunkt geltend gemacht. Eine Auswechselung der Rechtsgrundlage von § 44 SGB X nach § 48 SGB X ist insoweit möglich, da der Prüfungsumfang von 48 SGBX vom Prüfungsumfang des § 44 SGB X umfasst ist.

Nach § 2 S. 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) sind versicherungspflichtig selbständig tätige Personen, die (a) im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und (b) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind; bei Gesellschaften gelten als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft.

§ 2 S 1 Nr. 9 SGB VI erstreckt die Rentenversicherungspflicht auf selbstständig Tätige, die nach Auffassung des Gesetzgebers nicht weniger sozial schutzwürdig sind als die sonstigen von § 2 S. 1 SGB VI erfassten Selbstständigen. Als kennzeichnend für den Personenkreis wurde nicht die Zugehörigkeit zu bestimmten Berufsgruppen, sondern wurden vielmehr typische Tätigkeitsmerkmale angesehen. Wer ohne versicherungspflichtigen Arbeitnehmer selbstständig tätig wird, ist typischerweise nicht in der Lage, so erhebliche Verdienste zu erzielen, dass er sich außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung absichern könnte, und damit nach seiner wirtschaftlichen Lage sozial schutzbedürftig. Die weitere Voraussetzung der Tätigkeit nur für einen Auftraggeber ist in gleichem Maße aussagekräftig. Sie indiziert eine wirtschaftliche Abhängigkeit und damit ebenfalls typisierend soziale Schutzbedürftigkeit
(BSG, Urteil vom 23.04.2015 B 5 RE 21/14 R, juris Rn. 29).

Der Kläger ist als Vermittler selbständig tätig. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis; gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 20.03.2013 – B 12 R 13/10 R –, SozR 4-2400 § 7 Nr. 19) erfordert eine Beschäftigung, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeiten über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20.05.1996 – 1 BvR 21/96 –, SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (vgl. BSG, Urteil vom 24.01.2007 – B 12 KR 31/06 R –, SozR 4-2400 § 7 Nr. 7).

Der Senat stellt in Übereinstimmung mit den Beteiligten fest, dass der Kläger nach diesen Grundsätzen seine Tätigkeit als Makler selbständig ausübt. Er unterliegt keinem Weisungsrecht der Auftraggeber und kann seine Tätigkeit in Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung frei gestalten. Der Kläger beschäftigt im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit auch keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer.

Er ist aber nicht auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig. Auftraggeber ist jede natürliche oder juristische Person oder Personenmehrheit, die im Wege eines Auftrags oder in sonstiger Weise eine andere Person mit einer Tätigkeit betraut, sie ihr vermittelt oder ihr Vermarktung oder Verkauf von Produkten nach einem bestimmten Organisations- und Marketingkonzept überlässt (BSG, Urteil vom 23.04.2015 B 5 RE 21/14 R, juris Rn. 25).

Ausgangspunkt für die Beurteilung ist zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.07.2013 – L 11 R 1083/12 –, juris). Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehungen geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urteil vom 29.08.2012 – B 12 KR 25/10 R –, SozR 4-2400 § 7 Nr. 17).

Nach diesen Grundsätzen ist der Kläger nicht im Wesentlichen für die E1 AG als alleinigem Auftraggeber tätig. Der Kläger betreut eine Vielzahl von Kunden in ganz Deutschland, denen er Finanzprodukte vermittelt. Dabei ist er nicht auf bestimmte Produkte der E1 AG angewiesen, sondern er kann die vermittelten Produkte auch aus dem Maklerpool der J2 frei wählen. Der Kläger unterliegt bei der Vermittlung keinerlei Vorgaben der E1 AG. Diese fungiert, wie der Kläger im Erörterungstermin schlüssig und nachvollziehbar dargelegt hat, für den Kläger als Abrechnungsstelle gegenüber den Versicherungen und Banken und übernimmt die entsprechende Korrespondenz. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit zur E1 entsteht nicht dadurch, dass diese die Abrechnung und Abwicklung der Verträge für den Kläger übernimmt und er eine entsprechende Provision erhält (vgl. SG Lüneburg, Urteil vom 02.11.2022. – S 4 BA 32/19). Der Kläger vereinbart die Provision, die er von seinen Kunden erhält, mit diesen individuell, wie sich aus den vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen ergibt. Diese Provision wird dem Kläger von der E1 AG, die die Abrechnung mit den Versicherungen und Banken übernimmt, abzüglich des mit der E1 für diese Abwicklung vereinbarten Entgelts ausgezahlt. Dies entnimmt der Senat dem Vorbringen des Klägers im Erörterungstermin. Der Senat hat keinen Grund, diesbezüglich an den nachvollziehbar dargelegten Angaben des Klägers zu zweifeln.

Der Kläger ist weiter nicht an bestimmte Vorgaben oder ein Konzept der E1 AG gebunden. Aus § 3.2 des Vertrages mit der E1 AG ergibt sich für den Kläger nur die Pflicht, den Kunden anhand derjenigen Verkaufsunterlagen und Informationen zu erläutern, die der Emittent, die Kapitalverwaltungsgesellschaft, E1 oder ein sonstiger Produktgeber zur Verwendung gegenüber dem Kunden veröffentlicht hat. Damit ist lediglich die Information des Kunden sichergestellt, nicht jedoch eine Ausschließlichkeit der Verwendung von Produkten oder Vorgaben der E1 AG. Aus § 2 des Vertrages folgt, dass der Kläger gerade nicht zum Abschluss von Verträgen gegenüber dem Kunden für die E1 AG berechtigt ist. Vielmehr schließt er die Verträge mit den Kunden sämtlich in eigenem Namen ab, so dass gerade keine klassische Vermittlungstätigkeit dahingehend besteht, dass der Kläger nur eine Vertragsbeziehung zwischen den Kunden und er E1 AG vermittelt (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 28.03.2023 – L 3 R 23/21). Ebenso besteht ein Provisionsanspruch des Klägers direkt gegenüber seinen Kunden, der lediglich über die E1 AG abgerechnet wird.

Aus der Tatsache, dass der Kläger ein Büro von der E1 AG angemietet hat, folgt nichts Gegenteiliges. Er entrichtet für das Büro eine übliche Miete. Ein Abhängigkeitsverhältnis zur E1 AG ergibt sich aus einem bestehenden Mietvertrag, der ebenso mit einem Dritten geschlossen werden könnte, nicht.

Nach alledem ist der Senat überzeugt, dass der Kläger nicht im Wesentlichen für die E1 als alleiniger Auftraggeberin tätig ist, sondern dass diese lediglich als Abrechnungsinstitut und damit nicht als Auftraggeber i.S.d. § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI fungiert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
Saved