L 16 KR 386/21

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Hannover (NSB)
Aktenzeichen
S 2 KR 1673/16
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 16 KR 386/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Zum Anspruch auf häusliche Krankenpflege gemäß § 37 Abs 2 SGB V in Form des Verabreichens von Medikamenten und des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen in einer Einrichtung für alleinstehende wohnungslose Männer in besonderen sozialen Schwierigkeiten. Maßgeblich sind nicht die faktischen Bedingungen, sondern die gesetzlichen Bestimmungen und die vertragliche Ausgestaltung im sozialhilferechtlichen Dreieckverhältnis zwischen dem Versicherten, dem Sozialhilfeträger und dem Einrichtungsträger. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Einrichtung die konkrete behandlungspflegerische Maßnahme nach ihrem Aufgabenprofil, der Ausrichtung auf den zu betreuenden Personenkreis und aufgrund ihrer vorgesehenen sächlichen und personellen Ausstattung selbst zu erbringen hat (BSG, Urteil vom 18. April 2023 B 3 KR 7/22 R).

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. Juli 2021 wird zurückgewiesen.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. Juli 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger zwei Drittel seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Freistellung von Kosten für häusliche Krankenpflege.

Der am L. 1935 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er lebt seit Oktober 1995 im „Haus M.“, einer auf diakonischer Grundlage geführten Einrichtung des Beigeladenen zu 1., die alleinstehenden wohnungslosen Männern in besonderen sozialen Schwierigkeiten persönliche Hilfe und Unterkunft bietet. Der Kläger erhält von der Beigeladenen zu 2. laufend Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Zwischen dem Beigeladenen zu 1. und der Beigeladenen zu 2. besteht eine am 28. Dezember 2004 abgeschlossene Leistungsvereinbarung gemäß § 75 Abs 3 SGB XII über die Hilfe gemäß §§ 19, 35 iVm § 73 SGB XII (im Folgenden: Leistungsvereinbarung). In dieser Vereinbarung ist unter anderem Folgendes geregelt:

            […]

2. Personenkreis und Aufnahme-/Ausschlusskriterien

[…]

2.1.1 Hilfeberechtigte im Anschluss an Hilfe gem. §§ 67 ff. SGB XII

Hilfe zum Lebensunterhalt nebst Hilfe in sonstigen Lebenslagen in der Einrichtung erhalten Personen, die vor der Aufnahme Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gem. §§ 67 ff. SGB XII im Bereich der Region N. erhalten haben, bei denen jedoch weiterhin ein stationärer Betreuungsbedarf vorliegt, obwohl der Hilfeprozess nach §§ 67 ff. SGB XII abgeschlossen ist.

 

2.1.2 Hilfeberechtigte im Anschluss an Hilfe gem. §§ 53 ff. SGB XII

Hilfe zum Lebensunterhalt nebst Hilfe in sonstigen Lebenslagen in der Einrichtung erhalten ferner Personen im Anschluss an Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, wenn die Hilfeziele nach dieser Hilfe nicht erreicht werden konnten bzw. diese nicht angenommen wurden und für diese Hilfe die Zuständigkeit der Region N. in ihrer Eigenschaft als örtlicher Träger der Sozialhilfe oder der Region N. bzw. die Landeshauptstadt Hannover in ihrer Eigenschaft als herangezogene Gebietskörperschaft vorlag.

[…]

2.3 Ausschlusskriterien

Nicht aufgenommen werden Personen mit einer Einstufung als Pflegebedürftige nach dem SGB XI ab Pflegestufe I sowie Personen, die ohne Einstufung dauerhaft pflegebedürftig sind.

[…]

3.3       Inhalt der Leistung

            Grundsätzliches

Der Sozialhilfeträger gewährt Hilfe zum Lebensunterhalt nebst Hilfe in sonstigen Lebenslagen im Heim für den unter Ziffer 2.1 genannten Personenkreis.

Die Aufgabe des Einrichtungsträgers ist darauf gerichtet, Notlagen der Hilfeberechtigten durch Zurverfügungstellen von Unterkunft, Versorgung und persönlicher Unterstützung entgegenzuwirken.

[…]

3.3.1 Direkte Leistungen

3.3.1.1 Beratung und persönliche Unterstützung

Zur Beratung und Unterstützung gehören vor allem eine Stabilisierung der persönlichen Situation und das Angebot einer konstanten sozialen Beziehung sowie alle in Frage kommenden Hilfen zur Bewältigung des Alltags in der Einrichtung und zur Freizeitgestaltung sowie Übernahme von Unterstützungsleistungen wie Wäschepflege und Zimmerreinigung.

Zur Beratung und Unterstützung gehören ferner die Hilfen in Behördenangelegenheiten, Realisierung von finanziellen Ansprüchen, Hilfen bei der hygienischen und gesundheitlichen Grundversorgung, Hilfen beim Umgang mit Suchtproblemen und die Vermittlung weiterführender geeigneter Hilfen, zB Krisenintervention, Begleitung zu Ärzten, Veranlassung von Krankenhauseinweisungen.

Beratungs- und Unterstützungsleistungen können auch als Gruppenangebote gewährt werden.

[…]

5.1.2. Personelle Ausstattung im Sozialdienst/Begleitenden Dienst

Die Beratung und Unterstützung erfolgt durch Mitarbeiter/innen mit einer sozialarbeiterischen/sozialpädagogischen Ausbildung (Dipl Sozialarbeiter/in oder Dipl Sozialpädagoge/in) sowie Mitarbeiter/innen mit einer pflegerischen Ausbildung (Kranken-/Altenpfleger/in und Kranken-/Altenpflegehelfer/in).

[…]

Der Leistungsvereinbarung liegt die „Konzeption Haus O.“ zugrunde, die in seiner Fassung vom März 2005 unter anderem Folgendes festlegt:

            […]

  1. Träger

Das Haus P. Straße ist eine stationäre Einrichtung der Wohnungslosenhilfe. Träger ist der Q. e.V., der es sich seit seiner Gründung 1878 zur Aufgabe macht, alleinstehenden wohnungslosen Männern Hilfen bei der Integration in die Gesellschaft anzubieten. […]

  1. Zielgruppe/Personenkreis

Bei einem Teil der nach §§ 67 ff. SGB XII oder die Eingliederungshilfe gem. §§ 53 ff. betreuten Personen ist, trotz längerer stationärer Maßnahmen, die Fähigkeit zu einer selbstständigen Lebensgestaltung nicht zu erzielen. Durch verschiedene Faktoren, u.a. eingeschränkte lebenspraktische Fähigkeiten oder suchtbedingtem Persönlichkeitsabbau, ist das Ziel der selbstständigen Lebensführung nicht mehr erreichbar. Ein wesentliches Merkmal ist, dass sie dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht oder nicht mehr zur Verfügung stehen. Vielfach sind diese Menschen sehr schwer beeinträchtigt und nicht in der Lage, sich außerhalb der Einrichtung zurechtzufinden. Auch in der Einrichtung sind umfassende persönliche Hilfestellung, Begleitung und Unterstützung erforderlich, vor allem in den Bereichen Wohnen und Alltagsbewältigung.

[…]

  1. Hilfeziele

Das Ziel der stationären Hilfe gem. §§ 19, 35 i.V.m. SGB XII ist, den Männern, die das Hilfeziel gem. §§ 67 ff. bzw. §§ 53 ff. SGB XII nicht erreichen können, eine Hilfeform anzubieten, die ihnen eine abgesicherte und menschenwürdige Lebensführung ermöglicht und ein Abrutschen in unzumutbare Lebensverhältnisse verhindert.

Dieser Hilfebedarf ist in der Regel auf einen längeren Zeitraum vorgesehen und geht davon aus, dass eine umfassende Versorgung für den Hilfeberechtigten notwendig ist. Im Mittelpunkt der Hilfe steht somit nicht mehr die persönliche Hilfe zur Überwindung der sozialen Schwierigkeiten, sondern die Stabilisierung und Verhütung der Verschlimmerung.

Als Hilfeziele lassen sich beschreiben:

  • Bewältigung des Alltags
  • Stabilisierung der Suchtproblematik
  • Förderung der Gemeinschaftsfähigkeit
  • Erhaltung der bisher erzielten Stabilisierung
  • Verhütung von Verschlimmerung
  • Vermittlung in eine bedarfsgerechte Wohnform.

[…]

            5. Hilfeangebot

Die Hilfe wird grundsätzlich als Einzelfallhilfe geleistet. Die Inhalte der persönlichen Hilfen liegen im Wesentlichen in folgenden Aufgabengebieten:

  • Angebot einer konstanten sozialen Beziehung
  • Begleitung und Unterstützung
  • Stabilisierung der persönlichen Situation
  • Unterkunft und Versorgung

- Anleitung zur Zimmerreinigung bzw. Übernahme  der Reinigung

- Unterstützung bei der Wäschepflege bzw. Übernahme der Wäschepflege

- Gemeinschaftsverpflegung

  • Hilfen bei der Integration in die Hausgemeinschaft
  • Realisierung von Ansprüchen (Renten, ALHI, usw.)
  • Sicherstellung der hygienischen und gesundheitlichen Grundversorgung

- Kontaktaufnahme zu den niedergelassenen Ärzten

- Hilfestellung zur Führung einer die Gesundheit fördernden Lebensweise

- Anleitung zur täglichen Körperhygiene

  • Hilfe zur Stabilisierung der Suchtproblematik
  • Beratung und Unterstützung bei der Überleitung in Hilfsangebote anderer Hilfearten nach dem BSHG
  • Geldmittelverwaltung
  • Krisenintervention
  • Förderung der individuellen Fähigkeiten zur Strukturierung des Alltags

[…]

Der zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1. geschlossene „Vertrag über Persönliche Hilfe und Wohnen“ enthält seinerseits folgende Passage:

3.1 Die persönliche Hilfe umfasst insbesondere die Beratung und Betreuung in folgenden Bereichen:

         

            […]

Gesundheitliche Versorgung: Vorbeugende Gesundheitshilfe; Hygieneberatung; Krankenbetreuung und Sicherstellung der medizinischen Versorgung durch ambulante Dienste im Einzelfall; Unterstützung bei der Suchtbehandlung; Hilfe bei Kontakten mit Ärzten, Krankenhäusern, Suchtkliniken, Kureinrichtungen, Sozialpsychiatrischen Diensten, Pflegeheimen u.Ä.

[…]

Der Kläger leidet unter anderem an einer vaskulären Demenz bei Zustand nach Schlaganfall und Alkoholmissbrauch, Herzrhythmusstörungen sowie unter einer Ödemneigung bei Varicosis der unteren Extremitäten beidseits und des Verdachts auf das Vorliegen eines postthrombotischen Syndroms. Bis zum 31. März 2016 gewährte die Beklagte ihm nach Vorlage ärztlicher Verordnungen Behandlungspflege in Form des Verabreichens/Eingebens von Medikamenten und des Anziehens von Kompressionsstrümpfen. Die Leistungen werden durch den Pflegedienst R. GmbH (S.) erbracht.

Am 17. März 2016, der Beklagten zugegangen am 23. März 2016, verordnete der behandelnde Arzt Dr T., Facharzt für Innere Medizin, dem Kläger für den Zeitraum 1. April 2016 bis 30. September 2016 häusliche Krankenpflege in Form des Herrichtens und Verabreichens von Medikamenten, zweimal täglich/siebenmal wöchentlich und des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen der Klasse 2, zweimal täglich/siebenmal wöchentlich.

Mit Bescheid vom 1. April 2016 lehnte die Beklagte die Weiterbewilligung von Leistungen zur häuslichen Krankenpflege ab. Das Bereitstellen von Medikamenten sowie das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe seien nach den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom Februar 2015 als einfachste Maßnahmen medizinischer Behandlungspflege typischerweise von der Einrichtung zu erbringen. Ein Anspruch gegen die Krankenkasse bestehe daher nicht. Hiergegen legte der Kläger am 13. April 2016 Widerspruch ein. Er machte geltend, bei dem Beigeladenen zu 1. handele es sich nicht um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe. Dieser betreue alleinstehende, wohnungslose Männer nach §§ 19 iVm 27b und § 73 SGB XII, bei denen durch die besonderen sozialen Schwierigkeiten die Alltagsbewältigung und Alltagsstrukturierung sowie die Verhütung von Verschlimmerung im Vordergrund stünden.

Am 13. Juli 2016 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei dem Sozialgericht (SG) Hannover, den das SG mit Beschluss vom 21. Juli 2016 ablehnte (Az S 2 KR 1495/16 B ER). Das Landesssozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Beschluss vom 26. September 2016 zurück (Az L 4 KR 397/16 B ER).

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Sie verblieb dabei, dass der Kläger einen Anspruch auf Behandlungspflege durch die Einrichtung habe. Die Leistungsvereinbarung sehe als Adressatenkreis unter anderem Hilfeberechtigte im Anschluss an Eingliederungshilfe für behinderte Menschen vor, wenn die Hilfeziele nicht hätten erreicht werden können bzw Hilfe nicht angenommen worden sei. Die Einrichtung sei daher als eine Form einer intensivierten Anschlussversorgung nach einem Aufenthalt eines Bewohners in einer stationären Einrichtung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 53, 54 SGB XII zu qualifizieren. Nach der Rechtsprechung des BSG sei hier von einer Leistungsverpflichtung der Einrichtung für einfachste Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege auszugehen, und dies unabhängig von der vertragsrechtlichen Ausgestaltung. Als einfachste Maßnahmen würden solche gelten, für die es keiner besonderen Fachkunde bedürfe und die von jedem erwachsenen Haushaltsangehörigen auch ohne medizinische Vorkenntnisse vom Laien erbringbar seien. Diese seien somit regelmäßig von der Einrichtung selbst zu erfüllen, da sie zu den Hilfen bei der Führung eines gesunden Lebens gehörten. Hierzu zählten unter anderem das Verabreichen von Medikamenten und das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen.

Am 19. August 2016 hat der Kläger Klage bei dem SG Hannover erhoben und die Freistellung von den für die häusliche Krankenpflege entstandenen Kosten iHv insgesamt 3.263,50 Euro beantragt. Er hat vorgetragen, es bestehe keine Verpflichtung des Beigeladenen zu 1., Leistungen der häuslichen Krankenpflege durch eigene Mitarbeiter zu erbringen. Die Einrichtung unterstütze ihn lediglich bei Terminvereinbarungen beim Arzt, beim Herstellen von Kontakten zu Pflegediensten sowie bei der Beantragung von Leistungen. Der Beigeladene zu 1. verfüge auch nicht über ausreichend Personal, um die Bewohner entsprechend versorgen zu können. Nach der Entscheidung des BSG vom 22. April 2015 seien die Einrichtungen der Eingliederungshilfe nur soweit zur Erbringung von medizinischer Behandlungspflege verpflichtet, wie diese aufgrund der tatsächlichen und personellen Ausstattung erbracht werden könne. Der Beigeladene zu 1. müsse auch keine Pflegefachkräfte vorhalten. Um solche handele es sich bei Altenpflege- und Krankenpflegehelferinnen nicht. Hilfskräfte seien nicht berechtigt, Medikamente herzurichten oder Kompressionsstrümpfe anzulegen. Darüber hinaus handele es sich bei der Einrichtung des Beigeladenen zu 1. gar nicht um eine Einrichtung nach § 43a Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI), so dass die Entscheidung des BSG vom 25. Februar 2015 keine Anwendung finde. Die Aufnahme Pflegebedürftiger der Pflegegrade 2 bis 5 sei ausgeschlossen.

Mit Beschluss vom 28. August 2020 hat das SG den Träger des Hauses M. beigeladen. Es hat zudem zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes im Dezember 2020 einen Befundbericht von Dr T. eingeholt. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

Der Kläger hat die Leistungsvereinbarung und die Prüfungsvereinbarung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistung zwischen den Beigeladenen zu 1. und zu 2., den Vertrag über Persönliche Hilfe und Wohnen zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1., die Konzeption des Hauses P. Straße aus März 2005, den Leistungsbescheid der Beigeladenen zu 2. zur Hilfe zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 27. Juni 2016, den Vertrag über pflegerische Leistungen zwischen dem Kläger und der S. GmbH sowie diverse Leistungsnachweise und Rechnungen des Pflegedienstes zu den Akten des Gerichts gereicht.

Mit Urteil vom 2. Juli 2021 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide zur Freistellung des Klägers von den für die Behandlungspflege in Form des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen einschließlich Wegegeld entstandenen Kosten iHv insgesamt 2.110,70 Euro verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Gemäß § 37 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erhielten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen, Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Behandlungssicherungspflege). Die vom Kläger bewohnte Einrichtung Haus M. des Beigeladenen zu 1. sei nach der Rechtsprechung des BSG dem Grunde nach ein sonstiger geeigneter Ort im Sinne dieser Vorschrift. Der Anspruch auf grundsätzlich von der Krankenkasse zu erbringende häusliche Krankenpflege sei jedoch insoweit zu beschränken, als nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung medizinischer Behandlungspflege durch die Einrichtung selbst bestehe. Müsse die Einrichtung kein medizinisch ausgebildetes Personal vorhalten, seien regelmäßig nur einfachste Maßnahmen der Krankenpflege von der Einrichtung selbst zu erfüllen. Leistungspflichten, die nur von medizinisch ausgebildetem Personal erfüllt werden könnten, schieden dann regelmäßig aus (mit Verweis auf BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R Rn 28). Das BSG habe im Urteil vom 25. Februar 2015 ausgeführt, dass seine Erwägungen auch für betreute Wohnformen gelten würden, wenn dort nach Inhalt und Umfang vergleichbare Eingliederungsleistungen erbracht würden. Dies sei bei dem Haus M. des Beigeladenen zu 1. der Fall, wie sich aus der Auslegung der Leistungsvereinbarung zwischen den Beigeladenen zu 1. und zu 2. ergebe.

Bei dem Herrichten und Verabreichen von Medikamenten handele es sich um eine einfachste Maßnahme der Behandlungspflege, die von der Einrichtung selbst zu erbringen sei. Dies hätten das LSG Niedersachsen-Bremen und das BSG bereits mehrfach entschieden. Spezielle medizinische Kenntnisse seien für diese Maßnahmen nicht erforderlich. Es sei Aufgabe des jeweiligen Einrichtungsträgers, Organisationsstrukturen durch Einstellung von Fachpersonal oder durch externe Kräfte zu schaffen, mit denen sichergestellt sei, dass die Einrichtung die Verträge gegenüber den jeweiligen Bewohnern und dem Sozialhilfeträger erfüllen könne. Auf die Frage des Anspruchs des jeweiligen Bewohners auf einfachste Behandlungspflegemaßnahmen gegen die Krankenkasse habe die Problematik der möglicherweise ungenügenden personellen Ausstattung der Einrichtung für die Erbringung von Maßnahmen der Behandlungspflege keine Auswirkungen.

Das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II verlange dagegen spezielle Kenntnisse und Erfahrungen, um Schmerzen und Druckschädigungen zu vermeiden, eine gleichmäßige Druckverteilung zu erzeugen und die Abheilung von Krankheitsbildern zu verbessern (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 - B 3 KR 4/19 R). Hier sei daher zu prüfen, ob die Einrichtung die konkrete behandlungspflegerische Maßnahme nach ihrem Aufgabenprofil, der Ausrichtung auf eine bestimmte Bewohnerklientel und insbesondere aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung selbst zu erbringen habe. Dies sei für das Haus M. zu verneinen. Zwar sei in den Vereinbarungen mit der Region N. geregelt, dass die Beratung und Unterstützung durch Mitarbeiterinnen mit einer sozialarbeiterischen/sozialpädagogischen Ausbildung sowie Mitarbeiterinnen mit einer pflegerischen Ausbildung (Kranken-/Altenpflegerin und Kranken-/Altenpflegehelferin) erfolge, aber letztlich stünden der Einrichtung nur zwei Stellen mit einer Wochenarbeitszeit von insgesamt 68,5 Stunden zur Verfügung. Die Behandlungspflege, die über einfachste Maßnahmen hinausgehe, könne daher nicht dauerhaft sichergestellt werden. Zudem sei die Einrichtung nach ihrer Bewohnerklientel nicht auf dauerhaft pflegebedürftige Personen ausgerichtet. Personen ab Pflegegrad II würden nicht aufgenommen.

Gegen das den Beteiligten am 22. Juli 2021 zugestellte Urteil haben der Kläger am 29. Juli 2021, die Beklagte am 16. August 2021 Berufung bei dem LSG Niedersachsen-Bremen eingelegt.

Der Kläger ist der Auffassung, das SG verkenne, dass die Rechtsprechung des BSG nicht auf das Haus M. übertragbar sei, weil es sich bei diesem nicht um eine vergleichbare Einrichtung der Eingliederungshilfe handele. Das BSG stütze seine Auffassung entscheidend darauf, dass es sich bei den einfachsten Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege um verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen handele, die sowohl dem Aufgabenbereich der Krankenversicherung als auch dem der Pflegeversicherung zugeordnet seien und die daher – soweit kein Fachpersonal erforderlich sei – auch bereits von der Pauschale nach § 43a SGB XI mitumfasst seien. Der Beigeladene zu 1. sei jedoch gerade keine Einrichtung nach § 43a SGB XI. Die Aufnahme Pflegebedürftiger der Grade 2 bis 5, auf die § 43a Satz 1 SGB XI entscheidend abstelle, sei nach Ziff 2.3 der Leistungsvereinbarung ausdrücklich ausgeschlossen. Auch aus der zwischenzeitlichen Änderung der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP-Richtlinie) werde deutlich, dass lediglich Einrichtungen im Sinne von § 43a SGB XI die sogenannten einfachsten Maßnahmen der Behandlungspflege mit eigenem Personal erbringen sollten. Die Regelungen zu den vollstationären Einrichtungen für behinderte Menschen befänden sich im sechsten Kapitel des SGB XII (§§ 53-60 SGB XII), während die Rechtsgrundlage für die Leistungen des Beigeladenen zu 1. ggü dem Kläger im 9. Kapitel (§ 73 SGB XII) aufgeführt seien. Ein weiterer entscheidender Unterschied bestehe darin, dass es sich bei vollstationären Einrichtungen für behinderte Menschen ausnahmslos um Einrichtungen handele, die den Heimgesetzen der Länder unterfielen mit der Folge, dass rechtlich bestimmte personelle Anforderungen zu erfüllen seien, während der Beigeladene zu 1. keinerlei behördlicher Überprüfung unterliege.

Darüber hinaus habe das SG den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe nicht ausreichend berücksichtigt. Anders als die Eingliederungshilfe sei die Hilfe nach § 73 SGB XII nicht final ausgerichtet. Die Norm diene nur der Deckung so genannter atypischer Bedarfe, die nicht bereits durch andere Vorschriften erfasst seien. Leistungen, die wie die häusliche Krankenpflege vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse erfasst seien, stellten keine atypische Bedarfslage in diesem Sinne dar. Die Vereinbarung zwischen den Beigeladenen zu 1. und zu 2. berücksichtige dies, indem nur Hilfen bei der hygienischen und gesundheitlichen Grundversorgung geleistet würden. Auch vergleichbare vertragliche Pflichten bestünden nicht. Mitarbeiter des Beigeladenen zu 1. gehörten nicht zu seinem Haushalt, so dass der Anspruch auf häusliche Krankenpflege auch nicht nach § 37 Abs 3 SGB V ausgeschlossen sei. Er sei auch nicht bereit, sich von Mitarbeitern pflegen zu lassen, da eine angemessene qualitative Versorgung nicht sichergestellt werden könne. Unabhängig davon sei auch die Klassifizierung der Erbringung des Herrichtens und Verabreichens von Medikamenten als einfachste Maßnahme der Behandlungspflege falsch. Es sei allgemein anerkannt, dass grundsätzlich behandlungspflegerische Maßnahmen nur von Pflegefachkräften erbracht werden dürften. Bereits die Erbringung durch Hilfskräfte unter Verantwortung einer Pflegedienstleitung in der Rahmenvereinbarung gem §§ 132 und 132a SGB V lehne die Pflegekammer Niedersachsen als problematisch ab. Bei dem Beigeladenen zu 1. fehle es sogar vollständig am Vorhandensein einer Pflegedienstleitung. Anders als Pflegedienste unterlägen sie auch nicht der regelmäßigen Kontrolle durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK).

Schließlich sei das SG seinen Ermittlungspflichten nicht hinreichend nachgekommen. Eine Überprüfung der personellen Ausstattung, die das BSG ausdrücklich fordere, sei nicht erfolgt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. Juli 2021 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihn auch von den Kosten für die seitens des Pflegedienstes S. GmbH erbrachte Behandlungspflege in Form des Herrichtens und Verabreichens von Medikamenten zweimal täglich an sieben Tagen pro Woche in Höhe eines Betrages von 1.152,80 Euro gemäß den Rechnungen des ambulanten Pflegedienstes S. GmbH vom 2. Mai 2016, 1. Juni 2016, 18. Juli 2016, 1. August 2016, 31. August 2016 und 30. September 2016 freizustellen und

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

weiterhin als unbedingte Beweisanträge,

  1. Beweis zu erheben über seine Behauptung, dass die personelle Ausstattung des Beigeladenen zu 1. im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum es nicht ermöglicht habe, das Personal vorzuhalten, das notwendig gewesen sei, um den Bewohnern, die auf einfachste Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege angewiesen seien, die verordneten Leistungen zu gewähren durch Vernehmung des Zeugen U..

 

  1. Beweis zu erheben über seine Behauptung, dass dem Beigeladenen zu 1. gem der vereinbarten Leistungsentgelte für den begleitenden Dienst in der Langzeithilfe gem § 73 SGB XII iVm § 27b SGB XII im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum lediglich ein Zeitanteil von 13,8 min pro Bewohner und Tag zur Verfügung gestanden habe, von dem noch weitere Zeiten, beispielsweise für Fortbildung etc hätten abgezogen werden müssen und es damit keine Möglichkeit gegeben habe, Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege gegenüber den Vertragspartnern zu erbringen durch Vernehmung des Zeugen U..

 

  1. Beweis zu erheben über seine Behauptung, dass zwischen der Beigeladenen zu 2. und dem Beigeladenen zu 1. Einigkeit darüber bestehe, dass die in der Langzeithilfe versorgten Bewohner keinerlei Anspruch auf häusliche Krankenpflege gegenüber dem Beigeladenen zu 1. aufwiesen durch Vernehmung der Zeugen U. und V..

 

  1. Beweis zu erheben über seine Behauptung, dass sich das Angebot des Beigeladenen zu 1. fast ausnahmslos an Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten in Form von Wohnungslosenhilfe richte und das Angebot der Eingliederungshilfe in die Leistungsvereinbarung mit der Beigeladenen zu 2. nur zur Vervollständigung aufgenommen worden sei durch Vernehmung der Zeugen U. und V..

 

  1. Beweis zu erheben über seine Behauptung, dass im vom Beigeladenen zu 1. betriebenen Haus M. nur die grundlegendsten Bedürfnisse der Klienten versorgt werden sollten und insbesondere dafür Sorge getragen werden solle, dass sie sich wüschen, angemessen anzögen, regelmäßig Mahlzeiten und Arzttermine wahrnähmen durch Vernehmung der Zeugen U. und V..

 

  1. Beweis zu erheben über seine Behauptung, dass der Tagessatz der Beigeladenen zu 2. 38,67 Euro betrage und dieser Tagessatz insbesondere Leistungen für Unterkunft, Betreuungsleistungen und Verpflegung umfasse durch Vernehmung der Zeugen U. und V..

 

  1. Beweis zu erheben über seine Behauptung, dass nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien (Beigeladene zu 1. und 2.) aus Ziffer 5.1.2 der Leistungsvereinbarung keine Verpflichtung des Beigeladenen zu 1. habe resultieren sollen, auch Pflegekräfte zu beschäftigen, sondern lediglich eine Beschäftigung von Pflegefach- oder Pflegehilfskräften habe ermöglicht werden sollen durch Vernehmung der Zeugen U. und V..

 

  1. Beweis zu erheben über seine Behauptung, dass eine fachgerechte Erbringung auch einfachster Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege in einer stationären Einrichtung voraussetze, dass die Einrichtung unter Leitung einer verantwortlichen Pflegekraft betrieben werde, 50% der Beschäftigten Pflegefachkräfte seien und sichergestellt sei, dass rund um die Uhr mindestens eine Pflegefachkraft beschäftigt werde und diese Voraussetzungen bei dem Beigeladenen zu 1. im streitgegenständlichen Zeitraum nicht vorgelegen hätten durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.

 

  1. Beweis zu erheben über seine Behauptung, dass im streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund der quantitativen und qualitativen personellen Ausstattung des Beigeladenen zu 1. eine fachgerechte Erbringung auch einfachster Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege durch das Personal des Beigeladenen zu 1. nicht möglich gewesen sei durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.

 

  1. Beweis zu erheben über seine Behauptung, dass die Leistung „Herrichten von Medikamenten“ ausschließlich durch Pflegefachkräfte erbracht werden könne und eine Erbringung dieser Leistung durch Pflegehilfskräfte aus pflegefachlicher Sicht ausgeschlossen sei durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.

 

  1. Beweis zu erheben über seine Behauptung, dass die Leistung „Verabreichen von Medikamenten“ durch Pflegehilfskräfte aus pflegefachlicher Sicht nur möglich sei, wenn deren ständige kontinuierliche Überwachung durch Pflegefachkräfte sichergestellt sei durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.

 

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. Juli 2021 teilweise abzuändern und die Klage im vollen Umfang abzuweisen und

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Beigeladene zu 1. stellt keinen Antrag.

Die Beigeladene zu 2. schließt sich den Anträgen des Klägers an.

Die Beklagte ist der Auffassung, der Beigeladene zu 1. sei gegenüber dem Kläger verpflichtet, auch das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe zu übernehmen. Aus seiner Leistungsvereinbarung gehe hervor, dass Hilfen bei der hygienischen und gesundheitlichen Grundversorgung zu den Leistungen der Einrichtung gehörten (Punkt 3.3.1.1) und die Einrichtung auch geschultes Personal vorhalten müsse (Punkt 5.1.2 … Mitarbeiter/innen mit einer pflegerischen Ausbildung (Kranken-/Altenpfleger/in und Kranken-/Altenpflegehelfer/in)). Dies ergebe sich auch aus der Konzeption des Hauses M.. Hier fänden sich Äußerungen zu der Zielgruppe/dem Personenkreis („Vielfach sind diese Menschen sehr schwer beeinträchtigt und nicht in der Lage, sich außerhalb der Einrichtung zurechtzufinden.“) sowie zur Anwesenheit des Fachpersonals. Das SG habe allein vor dem Hintergrund, dass der Kläger sich die Strümpfe nicht allein korrekt anziehen könne und aufgrund des geringen Zeitanteils, der dem Personal pro Bewohner zur Verfügung stehe, eine Leistungsverpflichtung der Beklagten bejaht. Diese Begründung sei jedoch nicht ausreichend, um eine Leistungsverpflichtung der Einrichtung zu verneinen.

Zur Berufungsbegründung des Klägers erwidert die Beklagte, dass das SG ihrer Auffassung nach zutreffend entschieden habe, dass es sich bei dem Herrichten und Verabreichen von Medikamenten um eine einfachste Maßnahme der Behandlungspflege handele, die von der Einrichtung selbst zu erbringen sei. Das BSG habe in seinem Urteil vom 25. Februar 2015 ausgeführt, dass seine Entscheidung nicht nur für Einrichtungen zur Hilfe für behinderte Menschen gelte, sondern auch für andere Arten von Einrichtungen der Eingliederungshilfe, wenn dort nach Inhalt und Umfang vergleichbare Eingliederungsleistungen erbracht würden (B 3 KR 11/14 R – Rn 27). Bei dem Haus M. handele es sich um solch eine Einrichtung. Dass die Einrichtung nicht den heimrechtlichen Vorgaben unterliege, sei unerheblich, da in Punkt 5.1.2 der Leistungsvereinbarung die Vorhaltung von Personal mit pflegerischer Ausbildung vorgesehen sei. Zu dem Hilfeangebot des Hauses M. gehöre ua auch die Hilfe bei der gesundheitlichen Grundversorgung und die Hilfestellung zur Führung einer die Gesundheit fördernden Lebensweise.

Der Kläger erwidert auf die Berufungsbegründung der Beklagten, das SG sei zutreffend davon ausgegangen, dass er von den Kosten für die erbrachte Behandlungspflege in Form des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen freizustellen sei, da diese Verrichtung spezielle Kenntnisse und Erfahrungen erfordere, um Schmerzen und Rückschädigungen zu vermeiden. Nichts Anderes ergebe sich aus der Verpflichtung zur Vorhaltung von Krankenpflegehelferinnen bzw Altenpflegehelferinnen. Eine Ausbildung hierzu befähige nicht zur Erbringung der entsprechenden Leistungen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 15. August 2023 die Region N. als Trägerin der Leistungen des Klägers nach dem SGB XII zum Verfahren beigeladen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakten, den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und den Inhalt der Prozessakten zu den Verfahren L 4 KR 397/16 B ER und L 16 KR 391/20 B ER Bezug genommen, die der Entscheidung zugrunde gelegen haben.

Entscheidungsgründe

Weder die Berufung des Klägers (hierzu unter 1.) noch die Berufung der Beklagten (hierzu unter 2.) haben Erfolg. Die Entscheidung des SG ist nicht zu beanstanden.

1. Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143 ff SGG form- und fristgemäß eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.

Zu Recht hat das SG entschieden, dass dem Kläger ein Anspruch auf Freistellung von den seitens des Pflegedienstes für den Zeitraum 1. April bis 30. September 2016 geltend gemachten Kosten für das Herrichten und Verabreichen von Medikamenten nicht zusteht.

Ein Anspruch aus § 6 Abs 6 HKP-Richtlinie, wonach die Krankenkasse bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die von der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Absatz 2 SGB V übernimmt, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird, scheidet bereits deshalb aus, weil der Beklagten die Verordnung vom 17. März 2016 (Donnerstag) erst am 23. März 2016 (Mittwoch) vorlag.

Ein Anspruch kommt auch weder aus § 37 Abs 4 SGB V noch aus § 13 Abs 3 SGB V in Betracht. Nach § 37 Abs 4 SGB V sind dem Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft für häusliche Krankenpflege zu erstatten, wenn die Krankenkasse ihrerseits eine Kraft nicht stellen kann oder Grund besteht, davon abzusehen. Ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V setzt voraus, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind.

Der Kostenerstattungsanspruch hängt dabei nicht von einer tatsächlich geleisteten Zahlung ab. Es reicht aus, wenn der Versicherte einer wirksamen Honorarforderung des Leistungserbringers ausgesetzt ist (BSG vom 23. Juli 1998 - B 1 KR 3/97 R - SozR 3-2500 § 13 Nr 17; BSG vom 28. März 2000 - B 1 KR 11/98 R - BSGE 86, 54, 56 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14). In diesem Fall geht der Anspruch auf Freistellung, d.h. Zahlung unmittelbar an den Leistungserbringer (Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl, § 13 SGB V [Stand: 11. April 2023], Rn 73). Dies ist hier der Fall. Die S. hat dem Kläger die im streitgegenständlichen Zeitraum erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Rechnung gestellt (Rechnungen vom 2. Mai 2016, 1. Juni 2016, 18. Juli 2016, 1. August 2016, 31. August 2016 und 30. September 2016). An ihrer Wirksamkeit bestehen keine Zweifel. Solche wurden auch nicht geltend gemacht.

Der Freistellungsanspruch reicht jedoch nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch. Ein solcher besteht im Hinblick auf die verordnete häusliche Krankenpflege für das Herrichten und Verabreichen der Medikamente nicht.

Rechtsgrundlage für den Anspruch auf häusliche Krankenpflege ist § 37 Abs 2 SGB V. Hiernach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist; der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 des Elften Buches zu berücksichtigen ist. Gemäß § 37 Abs 3 SGB V besteht der Anspruch nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. Gemäß § 92 Abs 1 SGB V beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Anderem im Bereich der Verordnung von häuslicher Krankenpflege (§ 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V). Der G-BA ist dem mit der HKP-Richtlinie nachgekommen.

Geeignet im Sinne des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V ist gemäß § 37 Abs 6 SGB V iVm § 1 Abs 2 Satz 2 der HKP-Richtlinie grundsätzlich jeder Ort, an dem sich die oder der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält und an denen die verordnete Maßnahme zuverlässig durchgeführt werden kann und für die Erbringung der einzelnen Maßnahmen geeignete räumliche Verhältnisse vorliegen (zB im Hinblick auf hygienische Voraussetzungen, Wahrung der Intimsphäre, Beleuchtung), wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthaltes an diesem Ort notwendig ist. Daran, dass das Haus M. des Beigeladenen zu 1. diese Voraussetzungen erfüllt, bestehen keine Zweifel. Solche werden von den Beteiligten auch nicht geltend gemacht.

Einschränkungen ergeben sich für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen allerdings dann, wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung selbst besteht (wie zB in Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen, vgl auch § 1 Abs 6 HKP-RL idF vom 17. Dezember 2015). Ob ein solcher Anspruch besteht, muss die Krankenkasse im Einzelfall prüfen (stRspr; vgl zuletzt BSG, Urteil vom 19. April 2023 – B 3 KR 7/22 R; BSG SozR 4-2500 § 37 Nr 15 Rn 35 mwN; BSGE 118, 122 = SozR 4-2500 § 37 Nr 13, Rn 16 ff; Urteile vom 25. Februar 2015 - B 3 KR 10/14 R - juris Rn15 ff und vom 22. April 2015 - B 3 KR 16/14 R - juris Rn 20 ff, NZS 2015, 617; vgl auch Beschluss vom 16. März 2017 - B 3 KR 43/16 B - juris).

Nach der Rechtsprechung des BSG sind Einrichtungen der Eingliederungshilfe nach den gesetzlichen Bestimmungen nur soweit zur Erbringung von medizinischer Behandlungspflege verpflichtet, wie diese aufgrund der sächlichen und personellen Ausstattung von der Einrichtung erbracht werden kann (BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R Rn 22, 30, 31; Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 4/19 Rn 20). Die Leistungspflichten der Eingliederungseinrichtungen ergeben sich für deren Nutzer aus zivilrechtlichen Verträgen mit der Einrichtung und gegenüber dem Träger der Sozialhilfe ausschließlich aus dem SGB XII iVm den auf diesen gesetzlichen Grundlagen basierenden Verträgen. Entscheidend für die Leistungspflichten der Einrichtungen ist danach das in den Vereinbarungen nach den §§ 75 SGB XII festgelegte Ziel und der Zweck der Einrichtung, ihr Aufgabenprofil, die vorgesehene sächliche und personelle Ausstattung sowie der zu betreuende Personenkreis (BSG aaO, Rn 28). Handelt es sich danach zB um eine Einrichtung, deren vorrangige Aufgabe darin besteht, Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten zu leisten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen (vgl § 55 Abs 2 Nr 3 SGB IX), gehören einfachste medizinische Maßnahmen (vgl dazu auch BSG SozR 3-2500 § 53 Nr 10), die für Versicherte im eigenen Haushalt praktisch von jedem erwachsenen Haushaltsangehörigen erbracht werden können und keine medizinische Fachkunde erfordern, wie die Einnahme von Medikamenten und das Blutdruckmessen, regelmäßig der Natur der Sache nach zum Aufgabenkreis der Einrichtung. Sie sind mit der Gewährung von Eingliederungshilfe durch den Sozialhilfeträger in einer stationären Einrichtung untrennbar verbunden und daher objektiv bereits Bestandteil der Eingliederungshilfe (BSG aaO, Rn 28). Denn zum Erwerb lebenspraktischer Kenntnisse und Fähigkeiten gehört auch die Hilfe bei der Führung eines gesunden Lebens einschließlich der Vermittlung von Einsicht für gesundheitsförderliches Verhalten allgemein und speziell für die Notwendigkeit bestimmter medizinischer Maßnahmen (BSG aaO, Rn 28).

Diese Grundsätze gelten auch für betreute Wohnformen, wenn dort nach Inhalt und Umfang vergleichbare Eingliederungsleistungen erbracht werden (BSG aaO, Rn 28).

Um eine solche vergleichbare betreute Wohnform handelt es sich bei dem Haus M. des Beigeladenen zu 1. (so auch bereits LSG Niedersachsen, Beschlüsse vom 18. September 2018 - L 4 KR 209/17 B; L 4 KR 207/17 B; 15. September 2016 - L 4 KR 395/16 B ER; 26. September 2016 – L 4 KR 397/16 B ER; 8. August 2016 – L 4 KR 364/16 B ER; zuletzt Urteil vom 22. September 2020 – L 4 KR 127/18). Zielgruppe des Hauses sind nach der vorgelegten Konzeption Personen, bei denen sich mit Hilfen nach §§ 67 ff SGB XII bzw Eingliederungshilfe gem §§ 53 ff SGB XII trotz längerer stationärer Maßnahmen die Fähigkeit zu einer selbstständigen Lebensgestaltung nicht erzielen ließ (Ziff 2). Durch verschiedene Faktoren, ua eingeschränkte lebenspraktische Fähigkeiten oder suchtbedingten Persönlichkeitsabbau sei das Ziel der selbstständigen Lebensführung bei diesen Menschen nicht mehr erreichbar. Vielfach seien diese Menschen schwer beeinträchtigt und nicht in der Lage, sich außerhalb der Einrichtung zurechtzufinden. Auch in der Einrichtung sei umfassende persönliche Hilfestellung, Begleitung und Unterstützung erforderlich, vor allem in den Bereichen Wohnen und Alltagsbewältigung. Zum Hilfeangebot zählt ausweislich der Konzeption unter anderem auch die Sicherstellung der hygienischen und gesundheitlichen Grundversorgung durch Kontaktaufnahme zu den niedergelassenen Ärzten, einer Hilfestellung zur Führung einer die Gesundheit fördernden Lebensweise sowie die Anleitung zur täglichen Körperhygiene (Ziff 5).

Nach der Leistungsvereinbarung zwischen dem Beigeladenen zu 1. und der Beigeladenen zu 2. ist Ziel der Hilfe, den Hilfeberechtigten ein menschenwürdiges Leben in einer gesicherten Unterkunft zu ermöglichen und einer drohenden Verwahrlosung und Verelendung entgegenzuwirken sowie den Hilfeberechtigten zu aktivieren, alltägliche Verrichtungen soweit wie möglich selbst wahrzunehmen. Unter Punkt 3.3. heißt es: „Die Aufgabe des Einrichtungsträgers ist darauf gerichtet, Notlagen der Hilfeberechtigten durch die Zurverfügungstellung von Unterkunft, Versorgung und persönlicher Unterstützung entgegenzuwirken.“ Unter 3.3.1.1 heißt es „Zur Beratung und Unterstützung gehören ferner Hilfen in Behördenangelegenheiten, Realisierung von finanziellen Ansprüchen, Hilfen bei der hygienischen und gesundheitlichen Grundversorgung […]“:

Nach dem zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1. geschlossenen Vertrag über Persönliche Hilfe und Wohnen vom 18. Juli 2013 ist Ziel der Hilfe, den Aufbau eines eigenständigen Lebens in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Unter Punkt 3.1 ist unter anderem vereinbart, dass die persönliche Hilfe auch die vorbeugende Gesundheitshilfe, Hygieneberatung, Vermittlung an medizinische Fachdienste, Unterstützung bei der Inanspruchnahme häuslicher Krankenpflege, Unterstützung bei der Suchtbehandlung, Unterstützung im Zusammenhang mit Kontakten zu Ärzten, Krankenhäusern, Suchtkliniken, Kureinrichtungen, sozialpsychiatrischen Diensten, Pflegeheimen uÄ umfasst.

Zwar wird bei den Bewohnern der Einrichtung davon ausgegangen, dass eine selbstständige Lebensführung nicht mehr erreicht werden kann und die Hilfen nach §§ 67 ff SGB XII bzw §§ 53 ff SGB XII abgeschlossen sind; nichtsdestotrotz ist Ziel des Aufenthalts die (zumindest teilweise) Integration in die Gesellschaft durch Stabilisierung der persönlichen Situation. Ausdrücklich werden diesbezüglich unter Anderem Hilfen bei der Gesundheitsversorgung durch persönliche Hilfestellung, Begleitung und Unterstützung benannt. Die personelle Ausstattung besteht gemäß Punkt 5.1.2 der Leistungsvereinbarung aus Mitarbeiter/innen mit einer sozialarbeiterischen/sozialpädagogischen Ausbildung (Dipl Sozialarbeiter/in oder Dipl Sozialpädagoge/in) sowie Mitarbeiter/innen mit einer pflegerischen Ausbildung (Kranken-/Altenpfleger/in und Kranken-/Altenpflegehelfer/in). Für das Herrichten und Verabreichen von Medikamenten nach ärztlicher Anweisung ist regelmäßig keine medizinische Fachkunde erforderlich, so dass die in der Einrichtung tätigen Mitarbeiter nach kurzer Einweisung in der Lage sein dürften, dafür zu sorgen, dass jeder Bewohner die ihm verordneten Medikamente entsprechend der ärztlichen Anordnung einnimmt (so auch BSG aaO, Rn 33).

Dass die Mitarbeiter der Einrichtung keine erwachsenen Haushaltsangehörigen des Klägers iS von § 37 Abs 3 SGB V sind, steht dem nicht entgegen. Die Mitarbeiter sollen nicht den pflegebereiten Haushaltsangehörigen iS des § 37 Abs 3 SGB V gleichgestellt werden (explizit BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 4/19 R Rn 20); der Bezug auf im Haushalt lebende Personen dient vielmehr der Abgrenzung und bedeutet, dass es sich um Maßnahmen handelt, die eben keiner  medizinischen Fachkunde oder medizinischer Fertigkeiten bedürfen, die von Laien ohne medizinischen Vorkenntnisse – wie  eben erwachsenen Haushaltsangehörigen – erbracht werden können. Dies gilt auch für Mitarbeiter von Einrichtungen der Eingliederungshilfe (BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 4/19 R Rn 20) und ebenso für Mitarbeiter des Beigeladenen zu 1. Deshalb trägt der Einwand des Klägers nicht, er müsse behandlungspflegerische Maßnahmen durch nicht qualifiziertes Personal nicht akzeptieren, da es sich gerade um einfachste Maßnahmen handelt, die von jedem Laien erbracht werden können. Darüber hinaus sieht Ziffer 5.1.2 der Leistungsvereinbarung bei der personellen Ausstattung sogar ausdrücklich vor, dass die Beratung und Unterstützung in der Einrichtung auch durch Mitarbeiter/innen mit einer pflegerischen Ausbildung (Kranken-/Altenpfleger/in und Kranken-/Altenpflegehelfer/in) erfolgt.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der vom Kläger angeführten Ergänzung zu § 1 Abs 6 der HKP-Richtlinie. Dass eine Einschränkung der Verordnungsfähigkeit von einfachsten Maßnahmen der Behandlungspflege nur noch in Einrichtungen nach § 43a SGB XI bestehen soll, erschließt sich in Ansehung der Rechtsprechung des BSG nicht. Mit der Ergänzung wird lediglich für diese Einrichtungen klarstellt, dass einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege nicht verordnungsfähig sind. Für andere Einrichtungen ist die Rechtsprechung des BSG weiterhin anwendbar. In § 1 Abs 6 HKP-Richtlinie in der vom Fassung vom 20. September 2018 heißt es: „Im Rahmen der häuslichen Krankenpflege sind einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege in Einrichtungen oder Räumlichkeiten im Sinne von § 43a SGB XI regelmäßig nicht verordnungsfähig.“ Nach § 43a SGB XI übernimmt die Pflegekasse für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen, in der die Teilhabe am Arbeitsleben am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung behinderter Menschen im Vordergrund der Einrichtung stehen, zur Abgeltung der in § 43 Abs 2 genannten Aufwendungen 10 vom Hundert des nach § 75 Abs 3 SGB XII vereinbarten Heimentgelts. Die Ergänzung bezieht sich also auf Personen, für die die Pflegekasse 10 vom Hundert des vereinbarten Heimentgelts übernimmt. Bestimmte verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme sind dem Grunde nach sowohl dem Aufgabenbereich der Krankenversicherung als auch der Pflegeversicherung gleichermaßen zugeordnet und waren daher von der Pauschale nach § 43 a SGB XI mitumfasst. Die medizinische Behandlungspflege iS § 37 SGB V konnte durch die an die Pflegeversicherung gerichteten Vorschriften grundsätzlich nicht vom Zuständigkeitsbereich der GKV auf Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen übertragen werden (vgl BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R Rn 26). Durch § 1 Abs 6 (jetzt § 1 Abs 7 Satz 8) ist daher im Verhältnis zwischen Krankenversicherung und Pflegeversicherung klargestellt, dass einfachste Maßnahmen eben nicht zu Lasten der GKV verordnungsfähig sind.   

Auch aus dem Hinweis des Klägers auf den Nachrang der Sozialhilfe ergibt sich nichts Anderes. Zwar ist die medizinische Behandlungspflege Aufgabe der GKV, die diese Leistung daher vorrangig vor dem Träger der Sozialhilfe zu erbringen hat. Der Sozialhilfeträger hat deshalb im Verhältnis zur GKV nicht die Aufgabe, durch entsprechende Verträge mit den Einrichtungen dafür zu sorgen, dass diese regelmäßig auch Leistungen der medizinischen Behandlungspflege erbringen. Die Verpflichtung der Einrichtung geht vielmehr nur so weit, als sie aufgrund ihrer Ausrichtung, des Eingliederungszwecks, dem sie dienen und nach den Vereinbarungen nach §§ 75 ff SGB XII schulden (BSG aaO, Rn 24). Für den Fall, dass – wie hier – eine entsprechende Verpflichtung zu bejahen ist, wird der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe aber nicht betroffen, weil die sächliche und personelle Ausstattung dieser Einrichtungen ohnehin vorzuhalten ist, die Gewährung der entsprechenden Hilfe deutlich im Vordergrund steht und die Leistungen der Behandlungspflege dann untrennbarer Bestandteil dieser Hilfe sind (BSG aaO, Rn 28). Dass der Beigeladene zu 1. nicht dem Heimgesetz unterliegt, ist dabei unerheblich. Denn der Anspruch auf einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege ergibt sich bereits aus den Verträgen selbst (siehe oben).

Weitere Ermittlungen zur tatsächlichen personellen Ausstattung des Hauses M., zur tatsächlichen Ausgestaltung der Hilfe für seine Bewohner, zur Zusammensetzung der Klientel im Haus sowie zur Vergütung des Beigeladenen zu 1. durch die Beigeladene zu 2. waren nicht erforderlich. Denn maßgeblich sind nicht die faktischen Bedingungen, sondern die gesetzlichen Bestimmungen und hieraus resultierend die vertragliche Ausgestaltung im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis zwischen dem Kläger, dem Beigeladenen zu 1. und der Beigeladenen zu 2. Nichts Anderes hat das BSG in seiner neuesten Entscheidung vom 19. April 2023 festgestellt, in dem es nochmals auf die Bedeutung des Aufgabenprofils, der Ausrichtung auf den zu betreuenden Personenkreis und der vorgesehenen sächlichen und personellen Ausstattung („organisatorische Möglichkeiten“) der jeweiligen Einrichtung abgestellt hat (B 3 KR 7/22 R). Der Beigeladene zu 1. ist daher – worauf auch das SG bereits hingewiesen hat – in der Pflicht, die erforderliche sachliche und personelle Ausstattung entsprechend der von ihm abgeschlossenen Verträge vorzuhalten. Tut er dies nicht – wie der Kläger behauptet – mit der Folge, dass trotzdem ein Pflegedienst beauftragt werden muss, würde dies zu entsprechenden zivilrechtlichen Ansprüchen gegenüber dem Beigeladenen führen, nicht zu einer Einstandspflicht der Beklagten. Ebenso hatte der Senat keine weiteren Ermittlungen dazu vorzunehmen, wie die Beigeladenen zu 1. und 2. ihren Vertrag verstanden wissen wollten. Denn welcher Erklärungswert dem Inhalt des Vertrags zukommt, ist nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) anhand des Wortlauts der Vereinbarung und des diesem zu entnehmenden objektiv erklärten Willens der Parteien zu ermitteln (BGHZ 121, 13, 16 = BGH NJW 1993, 721; 2003, 2382, 2383; GRUR 2022, 893 Rn 82).

2. Die gemäß §§ 143 ff SGG form- und fristgemäß eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist ebenfalls unbegründet. Auch soweit das SG entschieden hat, dass dem Kläger ein Anspruch auf Freistellung von den seitens des Pflegedienstes für den Zeitraum 1. April bis 30. September 2016 geltend gemachten Kosten für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen zusteht, ist das Urteil nicht zu beanstanden. Ein Anspruch besteht jedenfalls aus § 13 Abs 3 SGB V, da die Beklagte die (weitere) Kostenübernahme zu Unrecht abgelehnt hat.

Die Grenze der von der Einrichtung geschuldeten Leistungen verläuft genau dort, wo diese vom Personal der Einrichtung erbracht werden können und müssen. Muss die Einrichtung kein medizinisch ausgebildetes Personal vorhalten, sind regelmäßig nur einfachste Maßnahmen der Krankenpflege von der Einrichtung selbst zu erfüllen (BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R –, BSGE 118, 122-137, SozR 4-2500 § 37 Nr 13, SozR 4-3500 § 54 Nr 14, SozR 4-3500 § 75 Nr 7, Rn 28). Leistungspflichten, die nur von medizinisch ausgebildetem Fachpersonal erfüllt werden könnten, scheiden dann regelmäßig aus. Ist die Einrichtung hingegen nach ihrem Aufgabenprofil auf eine besondere Zielgruppe ausgerichtet, bei der ständig bestimmte behandlungspflegerische Maßnahmen erforderlich werden, und ist die Einrichtung deshalb entsprechend sächlich und personell auszustatten, hat sie diese behandlungspflegerischen Maßnahmen auch zu erbringen, weil ohne sie die Eingliederungsaufgabe im Hinblick auf die Zielgruppe der Einrichtung nicht erreicht werden kann (BSG aaO, Rn 28; Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 4/19 R).

Bei dem An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen handelt es sich vorliegend nicht um einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege. Die Hilfe beim An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II ist keine verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme, die ohnehin sowohl dem Aufgabenbereich der Krankenversicherung als auch der Pflegeversicherung gleichermaßen zugeordnet ist und daher – soweit kein Fachpersonal erforderlich ist – auch bereits von der Pauschale nach § 43a SGB XI mitumfasst ist (siehe hierzu BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 4/19 juris Rn 23). Diese Doppelfunktion hatten gemäß der seinerzeit geltenden HKP-Richtlinie vom 17. Dezember 2015 lediglich das An- und Ausziehen von Antithrombosestrümpfen sowie Kompressionsstrümpfe der Klasse I inne (Leistungsbeschreibung Ziff 4). § 2 Abs 6 HKP-Richtlinie nannte als (allein) verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme demgegenüber das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Kompressionsklasse II. Seit der Fassung der HKP-Richtlinie vom 21. Dezember 2017 ist nach der Leistungsbeschreibung Ziff 31 nunmehr sogar bereits die Hilfe beim An- und Ausziehen ärztlich verordneter Kompressionsstrümpfe ab Klasse I als Behandlungspflege verordnungsfähig geworden. Deren Anwendung erfordert auch hinsichtlich der Technik des Anlegens spezielle Kenntnisse und Erfahrungen, um Schmerzen und Druckschädigungen zu vermeiden, eine gleichmäßige Druckverteilung zu erzeugen und um die Abheilung von Krankheitsbildern zu verbessern (BSG aaO, Rn 25).

Der Beigeladene zu 1. hatte entsprechend qualifiziertes Personal zur Erbringung dieser Leistungen im Haus M. nicht vorzuhalten. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass die nach Ziff 5.1.2 der Leistungsvereinbarung zwischen dem Beigeladenen zu 1. und der Beigeladenen zu 2. vorgesehene personelle Ausstattung der Einrichtung nicht nur Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einer sozialarbeiterischen bzw sozialpädagogischen Ausbildung vorsieht, sondern auch solche mit einer pflegerischen Ausbildung. Allerdings ist dem Aufgabenprofil des Hauses M. nicht zu entnehmen, dass die Ausrichtung der Zielgruppe erwarten lässt, dass ständig bestimmte behandlungspflegerische Maßnahmen erforderlich werden, und die Einrichtung deshalb sächlich und personell so auszustatten ist, dass diese regelmäßig vom Pflegepersonal erbracht werden können. Wie oben bereits ausgeführt, ist das Haus M. für Hilfeberechtigte im Anschluss an Hilfe gem §§ 67 ff SGB XII und Hilfeberechtigte im Anschluss an Hilfe gem §§ 53 ff SGB XII vorgesehen. Das Ziel der selbstständigen Lebensführung ist durch verschiedene Faktoren nicht mehr erreichbar. Lediglich als Beispiele werden in der Konzeption eingeschränkte lebenspraktische Fähigkeiten und suchtbedingter Persönlichkeitsabbau genannt. Damit umfasst das Haus M. ein breites Spektrum von möglichen Bewohnern und möglichen Problemlagen und dient gleichsam als „Auffangbecken“ für solche Personen, bei denen andere – speziellere – Hilfen nicht oder nicht mehr in Betracht kommen. Dem entspricht der Umstand, dass für die Bewohner gemäß Ziff 3.2 der Leistungsvereinbarung neben stationärer Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 35 SGB XII Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach Maßgabe der subsidiären Generalklausel des § 73 SGB XII vorgesehen ist. Damit ist die Aufnahme von Männern wie dem Kläger – wohnungslose Personen mit Hilfebedarf nach jahrelangem Alkohol- oder Drogenkonsum und den daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen – nicht ungewöhnlich, wie bereits aus der Vielzahl bereits entschiedener, ähnlich gelagerter Streitigkeiten um häusliche Krankenpflege im Haus M. ersichtlich ist. Da das Spektrum aber wesentlich breiter ist, kann nicht davon gesprochen werden, dass die Einrichtung speziell auf Menschen mit erforderlicher Behandlungspflege ausgerichtet ist und solche nach der Konzeption ständig in diesem Maße anfällt. Dies gilt umso mehr als Pflegebedürftige, auch solche ohne Einstufung, von der Einrichtung ausgeschlossen sind (Ziff 2.3 der Leistungsvereinbarung). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis der Beklagten, dass die Zielgruppe des Hauses M. ausweislich der Konzeption vielfach sehr schwer beeinträchtigt und nicht in der Lage sei, sich außerhalb der Einrichtung zurechtzufinden. Denn diese Unfähigkeit kann sich auf ganz verschiedene Weise äußern, wie auch aus dem vorgesehenen, umfassenden Hilfeangebot deutlich wird. Die Sicherung der hygienischen und gesundheitlichen Grundversorgung ist dabei nur ein möglicher Punkt etwa neben der Unterstützung bei der Zimmerreinigung und Wäschepflege, der Geldmittelverwaltung und der Förderung der individuellen Fähigkeiten zur Strukturierung des Alltags (Ziff 5 der Konzeption).

Auch die sonstigen Voraussetzungen des § 37 Abs 2 SGB V liegen vor, wie das SG zutreffend festgestellt hat. Nach Ziff 31 der Leistungsbeschreibung ist das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen möglich bei Patientinnen und Patienten zur Abheilung von Ulcera, zur Unterstützung des venösen Rückflusses und zur Unterstützung des Lymphabflusses bei Varikose, Thromboembolie, chronischer Veneninsuffizienz (CVI), Ödemen und Narben/Verbrennungen. Es ist nur verordnungsfähig bei Patientinnen und Patienten mit einer so erheblichen Einschränkung der Grob- und Feinmotorik der oberen Extremitäten, dass sie die Kompressionsstrümpfe/Kompressionsstrumpfhosen nicht fachgerecht an- oder ausziehen können bzw den Kompressionsverband nicht fachgerecht abnehmen können oder einer so starken Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit, dass sie zu schwach sind, die Kompressionsstrümpfe/Kompressionsstrumpfhosen fachgerecht an- oder ausziehen bzw den Kompressionsverband fachgerecht abnehmen zu können (zB moribunde Patientinnen oder Patienten) oder einer starken Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit oder Realitätsverlust, sodass die

Compliance bei der Therapie nicht sichergestellt ist oder entwicklungsbedingt noch nicht vorhandener Fähigkeit, die Leistung zu erlernen oder selbstständig durchzuführen. Diese Umstände lagen bei dem Kläger vor. Die Versorgung mit Kompressionsstrümpfen war bei ihm ausweislich der Verordnung vom 17. März 2016 und des Befundberichts des behandelnden Internisten Dr T. aufgrund einer Ödemneigung bei Varicosis der unteren Extremitäten beidseits sowie des Verdachts auf das Vorliegen eines postthrombotischen Syndroms bereits seit Oktober 2009 und damit auch im streitgegenständlichen Zeitraum erforderlich. Der Kläger war aufgrund von kognitiven Defiziten im Rahmen einer Demenz, bei Zustand nach Schlaganfall und vorausgegangenem jahrelangem schweren Alkoholmissbrauch nicht in der Lage das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe selbst vorzunehmen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen. Die Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig. Der Beigeladene zu 1. hat keinen Antrag gestellt (BSG, Urteil vom 14. November 2002 – B 13 RJ 19/01 R –, BSGE 90, 127-136, SozR 3-5795 § 10d Nr 1, SozR 3-2200 § 1303, SozR 3-2600 § 210 Nr 3, Rn 44; B Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG – Kommentar, 14. Aufl 2023, § 193 Rn 11a). Die Beigeladene zu 2. konnte mit ihren Anträgen nicht durchdringen.

4. Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision ist nicht gegeben (§ 160 Abs 2 SGG). Eine grundsätzliche Bedeutung sieht der Senat nicht, da er die Verpflichtung des Beigeladenen zu 1. zur Erbringung der behandlungspflegerischen Maßnahmen nach den Vorgaben des BSG lediglich für den Einzelfall zu prüfen hatte (siehe BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R, juris Rn 28).

 

Rechtskraft
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