L 11 R 1702/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 24 R 1396/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1702/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Für die Einstufung einer Tätigkeit in eine bestimmte Qualifikationsgruppe kommt es nicht nur auf die Erfüllung der für die entsprechende Gruppe in der Anlage 13 zum SGB VI aufgeführten formalen Qualifikationsmerkmale, sondern darüber hinaus auch auf die Ausübung der entsprechenden Tätigkeit an (vgl. hierzu im Einzelnen: BSG 14.05.2003, B 4 RA 26/02 R, juris Rn. 32 bis 36).
2. Nicht die Tätigkeiten an sich, sondern die Fähigkeiten, die Tätigkeiten zu verrichten, führen zu einer Einstufung in eine höhere Qualifikationsgruppe. Dies schließt aus, Tätigkeiten, die zwar artverwandt sind, jedoch nicht das entsprechende Qualifikationsniveau erreichen, bei der Ermittlung der langjährigen Berufserfahrung mit einzubeziehen. Ein automatisches Hineinwachsen in eine höhere Qualifikationsgruppe ist gerade nicht möglich.

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Stuttgart vom 26.04.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht im Wege eines Überprüfungsverfahrens die Einstufung der polnischen Beitragszeiten der Klägerin vom 25.10.1967 bis 10.12.1970 und vom 20.04.1971 bis 27.10.1988 in die Qualifikationsgruppe 2 statt 4 in Streit.

Die 1948 in Polen geborene Klägerin führt bei der Beklagten ein Rentenversicherungskonto und bezieht von dieser seit dem 01.01.2010 eine Altersrente. Sie zog am 16.04.1989 aus Polen in das Bundesgebiet zu und ist als Vertriebene im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) anerkannt.

Die Klägerin absolvierte bis 1967 eine fünfjährige Ausbildung am Technikum der Industrie für Baubindestoffe in O1/Polen und war berechtigt, die Berufsbezeichnung Chemie-Technikerin zu führen (Bl. 12 Bd. I Verwaltungsakte der Beklagten, im Folgenden: VA). Vom 25.10.1967 bis 15.04.1969 war sie im Bezirksverband der Gemeindegenossenschaften „Bäuerliche Selbsthilfe“ in O1 - ehemaliger Betrieb für Fertigteile und Baudienstleistungen - als Laborantin in der Produktionsabteilung und für Technische Überwachung (Bl. 14 Bd. I VA), vom 24.04.1969 bis 10.12.1970 im Stickstoffwerk K1 als Facharbeiterin in der Versuchsproduktion (Bl. 15 Bd. I VA), vom 20.04.1971 bis 30.07.1976 im B1, vom 01.09.1976 bis 28.04.1977 im „1 Abteilung IV in C1 als Fachkraft für Organisation und Innenkontrolle (Bl. 18 Bd. I VA), vom 15.12.1977 bis 27.02.1982 im Kommunalen Straßenbauunternehmen in L1 als Versorgungsinspektorin, Leiterin der Verwaltungsorganisationsabteilung und Leiterin der Verwaltungsabteilung (Bl. 20 Bd. I VA), vom 01.09.1982 bis 14.04.1986 im Elektrifizierungsbetrieb und für Technische Bedienung der Landwirtschaft „E1“ in L1 als Fachkraft für Materialwirtschaft und hierbei als Inspektorin in der Versorgungs- und Materialabteilung, in der Gruppe Realisierung der Lieferungen innerhalb der Versorgungs- und Materialabteilung sowie als Oberinspektorin in der Versorgungs- und Materialabteilung (Bl. 22 Bd. I VA), vom 25.04.1986 bis 31.05.1986 in der Sozialversicherungsanstalt Abteilung L1 als Inspektorin (Bl. 25 Bd. I VA) und vom 02.06.1986 bis 27.10.1988 in der Produktions- und Dienstleistungsabteilung des W1 in L1 als Oberinspektorin (Bl. 27 Bd. I VA) tätig.

Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens führte die Klägerin aus, sie sei vom 20.04.1971 bis 15.12.1977 (Schreiben vom 31.08.2001, Bl. 55 Bd. I VA) in der technischen Abteilung einer Transportfirma als Inspektor und später als sog. „älterer Inspektor“ beschäftigt gewesen und habe die technische Bereitschaft der Firma berechnet, Baudienstleistungen zu leisten, und sei für Waren, Baumaschinen, Baustoffe und Inventur verantwortlich gewesen. Zuletzt habe sie Aufgaben als Spezialistin für Organisation und Firmenkontrolle gehabt. Danach sei sie in ein Staatsunternehmen für den Straßenbau gewechselt und als Inspektor in der Einkaufsabteilung eingesetzt worden, wo sie für die Erstellung von Plänen des Materialbedarfs für Straßenbauarbeiten und nach kurzer Zeit als Leiterin der Verwaltungs- und Organisationsabteilung eingesetzt worden sei. Ab dem 01.09.1982 sei sie in einem Unternehmen für Elektrifizierung und technische Dienstleistungen für die Landwirtschaft in der Abteilung für Beschaffung und Materialwirtschaft als Inspektor, älterer Inspektor und schließlich als Spezialistin für die Materialwirtschaft beschäftigt gewesen. Sie habe Bestellungen von Baumaterialien durchgeführt, deren Qualität überwacht und Bauinvestitionen geprüft. Nach einer kurzen Tätigkeit bei der Firma P2 sei sie ab dem 02.06.1986 als Oberinspektorin in der Organisationsabteilung von Dienstleistungen W1 tätig geworden, bis zur ersten Ausreise im Oktober 1988.

Am 19.02.2004 erhob die Klägerin erstmals Klage gegen die Beklagte beim Sozialgericht Stuttgart (SG, S 5 RJ 1056/04, nach Wiederanrufung S 24 R 304/08), wandte sich hierbei gegen die Kürzung von Entgeltpunkten für Beitragszeiten nach § 22 Abs. 3 Fremdrentengesetz (FRG) und begehrte zudem die Einstufung in höherwertige Qualifikationsgruppen im Sinne der Anlage 13 zum Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Die Beklagte unterbreitete der Klägerin am 21.06.2005 einen Vergleichsvorschlag dahingehend, die Zeit vom 01.07.1971 bis 27.10.1988 der Qualifikationsgruppe 4 zuzuordnen. Hiermit werde dem Umstand Rechnung getragen, dass die Klägerin ab 01.07.1971 auf Grund entsprechender Kenntnisse und Fähigkeiten die formalen Qualifikationsmerkmale erfüllt und in vollem Umfang eine den Qualifikationsmerkmalen der Qualifikationsgruppe 4 entsprechende Tätigkeit ausgeübt habe. Die Beklagte ergänzte ihr Vergleichsangebot unter dem 02.02.2010 dahingehend, die Zeit vom 20.04.1971 bis 15.01.1972 ungekürzt zu berücksichtigen. Der damalige Prozessbevollmächtigte nahm das Vergleichsangebot der Beklagten im Namen der Klägerin am 25.02.2010 an und erklärte den Rechtsstreit zugleich für erledigt.

Aufgrund des Rentenantrags der Klägerin vom 14.01.2010 bewilligte die Beklagte dieser mit Bescheid vom 06.05.2010 zunächst eine Altersrente für Frauen ab dem 01.01.2010 in Höhe von 766,28 € brutto bzw. 688,88 € netto monatlich (Bl. 65 Bd. II VA). Mit Bescheid vom 17.08.2010 stellte die Beklagte die Altersrente für Frauen neu fest (Bl. 109 Bd. II VA). Der Bescheid ergehe aufgrund der „Anerkenntnisse vom 21.05.2005, vom 22.08.2005 und vom 02.02.2010“ im sozialgerichtlichen Verfahren vor dem SG. Die laufende monatliche Rente betrage nunmehr 833,22 € brutto bzw. 749,07 € netto.

Aufgrund eines Überprüfungsantrages der Klägerin vom 21.11.2013 (Bl. 156 Bd. II VA), mit dem die Klägerin mitteilte, sie habe wegen der erfolgreichen Absolvierung des Technikums in Richtung Chemiewesen in Polen Anspruch auf Anerkennung der Qualifikationsgruppe 2, stellte die Beklagte die Rente der Klägerin mit Bescheid vom 16.07.2015 (Bl. 210 Bd. II VA) erneut neu in Höhe von nunmehr 968,64 € brutto bzw. 864,03 € netto monatlich fest und erkannte eine weitere Anrechnungszeit (11.05.1967 bis 05.06.1967) und eine weitere Zeit mit der Qualifikationsgruppe 2 (25.10.1967 bis 10.12.1970) an, nicht aber die Zeit vom 20.04.1971 bis zum 27.10.1988. Die Klägerin habe diesbezüglich das Vergleichsangebot der Beklagten vom 21.06.2005 in der Fassung vom 02.02.2010 bzgl. der Berücksichtigung der Qualifikationsgruppe 4 angenommen, sodass sie an den Vergleich gebunden sei. Den Widerspruch der Klägerin, mit welchem sie ihre Willenserklärung im Hinblick auf ihre Zustimmung zum Vergleich widerrief und anfocht, wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 09.12.2015 zurück (Bl. 244 Bd. III VA). Ihre dagegen gerichtete Klage beim SG (Az. S 25 R 7073/15) nahm die Klägerin am 08.11.2016 zurück.

Eine erneute Klage beim SG unter dem Betreff „Rücktritt vom Vergleich vom 21.06.2005“ und „Rentenbescheid der Beklagten vom 16.07.2015“ wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 04.03.2019 ab (Az. S 21 R 5271/18). Die hiergegen beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung wurde mit Urteil vom 17.10.2019 als unzulässig verworfen (Az. L 7 R 2330/19).

Am 08.04.2019 stellte die Klägerin erneut einen Überprüfungsantrag bei der Beklagten (Bl. 316 Bd. III VA) mit dem Antrag, alle in Polen zurückgelegten Beitragszeiten von Beginn des ersten Legitimationsbuches bis zum 27.10.1988 als nachgewiesen anzuerkennen und dementsprechend mit 6/6 zu belegen. Daneben beantragte sie die Anerkennung der Qualifikationsgruppe 2 für die Zeit vom 20.04.1971 bis zum 27.10.1988, da sie in dieser Zeit Posten in der Betriebsleitung der Betriebe bekleidet habe, sowie für die Zeit vom 25.10.1967 bis zum 10.12.1970 als selbstständige Laborantin.

Mit Bescheid vom 15.05.2019 (Bl. 325 Bd. III VA) lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab und führte zur Begründung aus, die Überprüfung habe ergeben, dass weder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen noch das Recht unrichtig angewandt, sondern die Rente in zutreffender Höhe festgestellt worden sei. Die Klägerin habe weder neue Beweismittel vorgelegt noch neue Tatsachen vorgetragen. Es werde auf den Überprüfungsbescheid vom 16.07.2015 verwiesen.

Dagegen hat die Klägerin die hiesige Klage beim SG erhoben (ursprüngliches Az.: S 24 R 2581/19). Das Verfahren wurde zunächst zur Nachholung des Vorverfahrens mit Beschluss vom 15.08.2019 ausgesetzt. Die Beklagte hat die Klage als Widerspruch gewertet, diesen mit Widerspruchsbescheid vom 06.04.2020 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Bescheid vom 15.05.2019 in der Fassung der Bescheide vom 06.05.2010, 17.08.2010 und 16.07.2015 könne bezüglich der Qualifikationsgruppeneinstufung für die Zeit vom 20.04.1971 bis zum 27.10.1988 nicht zurückgenommen werden, weil weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die Einstufung der polnischen Beitragszeit vom 01.07.1971 bis 27.10.1988 in die Qualifikationsgruppe 4 beruhe auf dem sozialgerichtlichen Vergleich. Für die Zeit vom 25.10.1967 bis 10.12.1970 sei bereits eine Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2 erfolgt. Die Klägerin habe im Rahmen des Widerspruchsverfahrens einen Lehrplan des C2 vorgelegt. Unter Einsatzmöglichkeiten und typischen Beschäftigungsarten der Schulabsolventen werde aufgeführt, dass die Absolventen sowohl in den Herstellungsbetrieben von mineralischen Baubindemitteln als auch im Forschungs- und Entwicklungsbereich oder an Hochschulen, deren Schwerpunkte in Industrie des Bindebaumaterials oder Baumaterials lägen, folgende Funktionen ausüben könnten: Meister der Abteilung für Bindemittelproduktion, Techniker der technischen Kontrolle, Techniker für Produktionsplanung, Normierung und technischen Fortschritt, Labortechniker sowohl im Produktionslabor als auch an einer Hochschule oder einem Forschungs- und Entwicklungsinstitut. Die im Schreiben der Klägerin vom 07.08.2001 (Bl. 47 Bd. I der VA) aufgeführten Tätigkeiten für die Zeit ab dem 20.04.1971 (z.B. Fachkraft für Organisation und Innenkontrolle, Versorgungsinspektorin, Inspektorin, Oberinspektorin, ...) entsprächen nicht den mit der Erlangung des Chemie-Technikums angegebenen Einsatzmöglichkeiten, so dass weiterhin keine Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2 erfolgen könne.

Am 11.04.2019 hat die Klägerin unter dem Aktenzeichen S 24 R 1724/19 eine weitere Klage beim SG erhoben, mit dem Antrag, das Verfahren S 24 R 304/08 wiederanzurufen, „um die Fortführung des dortigen Verfahrens zu aktivieren“. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.06.2019 abgewiesen, die hiergegen beim LSG Baden-Württemberg eingelegte Berufung (Az. L 7 R 2240/19) wurde mit Urteil vom 05.12.2019 zurückgewiesen.

Nach Wiederanrufung des Verfahrens S 24 R 2581/19 unter dem hiesigen Aktenzeichen hat die Klägerin weiter die Anerkennung einer höheren Qualifikationsgruppe als 4 verfolgt, weil sie das fünfjährige Technikum erfolgreich absolviert und den Titel Techniker erworben habe. Der Vorwurf der Beklagten, dass im Technikum nur chemische Fächer gelehrt worden seien, sei verfehlt. Neben den strikt chemischen Fächer habe sie eine Vielfalt technischer und allgemeinbildender Fächer belegt. 1978 habe sie eine fünfmonatige Fortbildungsmaßnahme durchlaufen, Themen seien Vorlesungen über Betriebswirtschaftslehre, Recht und „optimales Funktionieren der Kontrolle in den Industriebetrieben“ gewesen. Sie habe dadurch stufenweise Erfahrung, Bildung und Wissen angesammelt, um nach 1971 ihre neuen Aufgaben als Betriebsangestellte sowohl im technischen Bereich, als auch in der Betriebsverwaltung erfolgreich und zielstrebig zu erfüllen, und habe daher Anspruch auf eine höhere Qualifikationsgruppe.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid verwiesen; das Vorbringen der Klägerin sei bei dessen Erlass bereits bekannt gewesen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.04.2021 abgewiesen. Hinsichtlich der polnischen Beitragszeit vom 25.10.1967 bis 10.12.1971 sei die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnis bereits unzulässig. Denn durch die Beklagte sei bereits eine Einstufung dieser Zeit in die von der Klägerin begehrte Qualifikationsgruppe 2 erfolgt. Im Übrigen sei die Klage zulässig, aber unbegründet. Diese habe keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme der Bescheide vom 06.05.2010, 17.08.2010 und 16.07.2015 im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), da die Beklagte bei Erlass dieser Bescheide weder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei noch das Recht unrichtig angewandt habe. Vielmehr sei bei den streitigen polnischen Beitragszeiten der Klägerin vom 20.04.1971 bis 27.10.1988 bereits die zutreffende Qualifikationsgruppe berücksichtigt worden. Die von der Klägerin in Polen zurückgelegten Beitragszeiten seien gemäß Art. 4 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten und Unfallversicherung (DPRA) vom 09.10.1975 (BGBl. 1976 II. S. 396) in die bundesdeutsche gesetzliche Rentenversicherung zu übernehmen. Dieses sei auf die Klägerin trotz des inzwischen in Kraft getretenen DPSVA vom 08.12.1990 nach dessen Art 27. Abs. 2 weiterhin anwendbar, weil die Klägerin seit 1989 im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ihren Wohnsitz habe und die in Polen vor dem 01.01.1991 erworbenen Ansprüche und Anwartschaften durch das neue Abkommen nicht berührt würden. Nach Art. 4 Abs. 2 DPSVA 1975 berücksichtige der Rentenversicherungsträger des Staates, in dem der Berechtigte wohne, Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und diesen gleichgestellten Zeiten im anderen Staat so, als ob sie in seinem Staatsgebiet zurückgelegt worden wären. Nach Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 12.03.1976 zum DPRA in der Fassung des Gesetzes vom 18.06.1991 zu dem deutsch-polnischen Sozialversicherungs-Abkommen vom 08.12.1990 in der Fassung durch Art. 20 Nr. 2 und 3 des Rentenreformgesetzes 1992 - RRG 1992 - vom 18.12.1989 in der Fassung durch Art. 20 des RRG 1999 vom 16.12.1997 seien dabei die nach dem polnischen Recht der Rentenversicherung zu berücksichtigenden Zeiten bei der Feststellung einer Rente bzw. von rentenrechtlichen Zeiten in der deutschen Rentenversicherung in Anwendung des Fremdrentengesetzes (FRG) und des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) zu berücksichtigen, solange der Berechtigte - wie die Klägerin - im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wohne. Durch das Fremdrentengesetz würden bestimmte außerhalb des alten Bundesgebietes einschließlich Berlin (West) zurückgelegte Beitrags- und Beschäftigungszeiten den nach Bundesrecht zugebilligten Beitragszeiten mit dem Ziel gleichgestellt, die durch Krieg und nach Kriegseinwirkung außerhalb des Bundesgebietes einschließlich Berlin (West) ihrer sozialen Sicherheit betroffenen Personen so zu stellen, als ob sie ihr Arbeitsleben und damit auch ihr Versicherungsleben in der Bundesrepublik Deutschland verbracht hätten. § 15 Abs. 1 FRG bestimme, dass die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten bei dem fremdrentenberechtigten Personenkreis so behandelt würden, als ob es sich um inländische Beitragszeiten handele. Für die Feststellung derartiger Beitragszeiten genüge es gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 FRG, wenn diese glaubhaft gemacht seien. Bei der Übernahme von Fremdrentenzeiten in die bundesdeutsche gesetzliche Rentenversicherung sei die Höhe des erzielten Lohnes oder Gehaltes grundsätzlich unbeachtlich, weil bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage des Versicherten, auf den das FRG anzuwenden sei, nicht auf den wirklichen Arbeitsverdienst im Herkunftsland, sondern auf den Durchschnittsverdienst der gleichen Berufsgruppe im Reichs- oder Bundesgebiet abgestellt werde. Die jeweilige Festlegung der für den einzelnen Versicherten im Rahmen der Rentenberechnung maßgebenden Beitragswerte bzw. Entgeltpunkte erfolge gemäß § 22 FRG im Rahmen von Verdienstgruppen (Leistungsgruppen bzw. Qualifikationsgruppen), deren Gliederung an Durchschnittswerten orientiert aus der amtlichen Verdienststatistik des Statistischen Bundesamts übernommen worden sei. Die Vorschrift des § 22 Abs. 1 FRG weise insoweit auf § 256b SGB VI. Danach erfolge die Ermittlung der maßgeblichen Entgeltpunkte anhand von Tabellen, die sich nach der Einstufung in eine Qualifikationsgruppe der Anlage 13 zum SGB VI und nach Zuordnung zu einem Wirtschaftsbereich der Anlage 14 zum SGB VI ergäben. Nach Anlage 13 zum SGB VI seien Versicherte in eine der darin im Einzelnen beschriebenen insgesamt fünf Qualifikationsgruppen einzuordnen, wenn sie deren Qualifikationsmerkmale erfüllten und eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt hätten (Satz 1). Hätten Versicherte aufgrund langjähriger Berufserfahrung Fähigkeiten erworben, die üblicherweise denen von Versicherten einer höheren Qualifikationsgruppe entsprächen, so seien sie in diese (höhere) Qualifikationsgruppe einzustufen (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei im Rahmen der Bestimmung der maßgeblichen Qualifikationsgruppe von der im Herkunftsgebiet erworbenen beruflichen Ausbildungsqualifikation unter Beachtung des dort geltenden beruflichen, schulischen und universitären Bildungssystems auszugehen. Sodann sei zu fragen, welcher Qualifikationsgruppe - übertragen auf die Verhältnisse der ehemaligen DDR - nach den Kriterien der Lohngruppenstatistik der DDR diese berufliche Ausbildungsqualifikation materiell entspreche. Dabei könne es „dienlich“ sein, die Merkmale der jeweiligen Qualifikationsgruppe in dem Sinn zu lesen, dass anstelle der ehemaligen DDR das jeweilige Herkunftsland eingesetzt werde. Sofern nach dem Ergebnis der Ermittlungen mehrere Qualifikationsgruppen in Betracht kämen oder die Zuordnung zu einer oder mehrerer Qualifikationsgruppen nicht möglich sei, sei nach der Zuordnungsvorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 7 i.V.m. Satz 5 und 6 FRG im Zweifel die Qualifikationsgruppe mit den niedrigen Durchschnittsverdiensten des jeweiligen Jahres maßgeblich. Ausgehend hiervon komme eine Einstufung der Zeit vom 20.04.1971 bis zum 27.10.1988 in die Qualifikationsgruppe 2 der Anlage 13 zu SGB VI bei der Klägerin nicht in Betracht. Zu Recht habe die Beklagte eine Einstufung der Klägerin in der Qualifikationsgruppe 4 vorgenommen. Nach dem von der Klägerin vorgelegtem Lehrplan des fünfjährigen Chemie-Technikums habe sie das Technikum für den Beruf des Chemietechnikers mit dem Spezialbereich „Technologie der Bindemittel/Bindematerials im Bauwesen“ absolviert. Mit dieser Ausbildung hätten die Absolventen nach Angaben des Technikums sowohl in den Herstellungsbetrieben von mineralischen Baubindemitteln als auch im Forschungs- und Entwicklungsbereich oder an Hochschulen, deren Schwerpunkte in Industrie des Bindebaumaterials oder Baumaterials lägen, beschäftigt werden können. Als mögliche Funktionen der Absolventen sei angegeben worden: Meister der Abteilung für Bindemittelproduktion, Techniker der technischen Kontrolle, Techniker für Produktionsplanung, Normierung und technischen Fortschritt, Labortechniker sowohl im Produktionslabor als auch an einer Hochschule oder einem Forschungs- und Entwicklungsinstitut. Entsprechende Funktionen habe die Klägerin in der Zeit vom 20.04.1971 bis zum 27.10.1988 aber nicht innegehabt; ab dem 20.04.1971 bis zum 15.12.1977 sei sie in der technischen Abteilung einer Transportfirma als Inspektor und später als sog. „älterer Inspektor“ beschäftigt gewesen und habe nach ihren Angaben die technische Bereitschaft der Firma, Baudienstleistungen durchzuführen, berechnen müssen. Sie sei für Waren, Baumaschinen, Baustoffe und Inventur verantwortlich gewesen. Zuletzt hätte sie Aufgaben als Spezialistin für Organisation und Firmenkontrolle gehabt. Danach sei sie in einem Staatsunternehmen für den Straßenbau als Inspektor in der Einkaufsabteilung tätig gewesen, wo sie für die Erstellung von Plänen des Materialbedarfs für Straßenbauarbeiten und nach kurzer Zeit auf eine Stelle als Leiterin der Verwaltungs- und Organisationsabteilung eingesetzt worden sei. Seit dem 01.09.1982 sei sie in einem Unternehmen für Elektrifizierung und technische Dienstleistungen für die Landwirtschaft in der Abteilung für Beschaffung und Materialwirtschaft als Inspektor, älterer Inspektor und schließlich als Spezialistin für die Materialwirtschaft beschäftigt gewesen. Die Durchführung von Bestellungen von Baumaterialien, Überwachung von deren Qualität und Bauinvestitionen hätten zu ihren Aufgaben gehört. Nach einer kurzen Tätigkeit bei der Firma P2 sei sie ab dem 02.06.1986 als Oberinspektorin in der Organisationsabteilung von Dienstleistungen WPHW tätig gewesen, bis zur ersten Ausreise im Oktober 1988. Damit seien sämtliche Tätigkeiten der Klägerin nicht als artverwandt mit dem erlernten Beruf des Chemietechnikers zu bezeichnen. Eine einem Fachschulabsolventen der Qualifikationsgruppe 2 vergleichbare Tätigkeit sei nicht nachgewiesen. Insofern seien auch Versicherte in eine höhere Qualifikationsgruppe einzuordnen, wenn sie auf Grund langjähriger Berufserfahrung Fähigkeiten erworben hätten, die üblicherweise denen von Versicherten einer höheren Qualifikationsgruppe entsprächen. Das Kriterium der „langjährigen Berufserfahrung“ erfordere nach der Rechtsprechung des BSG mindestens eine der formalen Ausbildungsdauer für diesen Beruf entsprechend lange Tätigkeit in diesem Beruf, bevor das Qualifikationsmerkmal dieses Berufs erfüllt werden könne. Die Einstufung von Versicherten in die Qualifikationsgruppen der Anlage 13 richte sich dabei nach folgendem Maßstab: Ausgehend von der im Herkunftsgebiet erworbenen beruflichen Ausbildung und Qualifikation sei unter Beachtung des dort geltenden beruflichen, schulischen und universitären Bildungssystems zu ermitteln, welcher Qualifikationsgruppe diese berufliche Ausbildung und Qualifikation - übertragen auf die Verhältnisse der DDR - materiell entspreche. Denn die Tatbestandsmerkmale der Qualifikationsgruppen in der Anlage 13 zum SGB VI seien dem System der beruflichen Bildung der DDR entnommen. Der Gesetzgeber habe insoweit die vor der Wiedervereinigung maßgebende Orientierung an den Erwerbsverhältnissen der alten Bundesländer aufgegeben und stellt auf diejenigen der DDR ab. Dies vermeide Ungleichbehandlungen der Aus- und Übersiedler mit Bewohnern des Beitrittsgebiets. Nach Durchsicht der von der Klägerin gegebenen Tätigkeitsbeschreibungen sei die Kammer der Ansicht, dass die zumeist kaufmännischen und organisatorischen Tätigkeiten der Klägerin von 1971 bis 1982 eher einer Facharbeiterqualifikation im Bereich kaufmännischer Tätigkeiten als einer Tätigkeit, die nur von einem Fachschulabsolventen ausgeübt werden könne, entsprächen. Die Facharbeiterqualifikation der Qualifikationsgruppe 4 umfasse auch Beschäftigungen, die Tätigkeiten mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung gleichzusetzen seien, auch wenn diese der Angestelltenversicherung zuzuordnen seien. Die Klägerin selbst habe zu einem höheren Wert ihrer Berufstätigkeiten auch nicht mehr vorgetragen, sondern sich allein auf den auch allgemeinbildenden Wert ihrer Techniker-Ausbildung berufen. Allein für die Tätigkeit als Leiterin der Verwaltungs- und Organisationsabteilung in einem staatlichen Straßenbauunternehmen in der Zeit vom 15.12.1977 bis zum 27.02.1982 mit wohl größerer Personalverantwortung käme unter Umständen nach Durchlaufen der erforderlichen Einarbeitungszeit eine höhere Zuordnung mit der Qualifikationsgruppe 2 in Betracht. Dies könne hier aber dahinstehen, da die Klägerin jedenfalls nicht die erforderliche Dauer der Berufserfahrung erworben habe. Denn eine Qualifikation auf Grund langjähriger Berufserfahrung könne nur dann erworben worden, wenn der höherwertige Beruf während eines Zeitraumes ausgeübt wurde, der ausreiche, um die theoretischen und praktischen Fähigkeiten für eine vollwertige Berufsausübung auch ohne formelle Ausbildung zu vermitteln. Hierfür komme es jeweils auf den ausgeübten Beruf an. Da der Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten neben der Arbeit üblicherweise wesentlich länger als eine gezielte Unterweisung während einer geordneten mehrjährigen Ausbildung dauere, sei insoweit - entsprechend der Zugangsvoraussetzung zur sog. Externenprüfung nach § 45 Berufsbildungsgesetz - regelmäßig die doppelte Zeit der üblichen Ausbildung anzusetzen, wobei während dieses Zeitraums die qualifizierte Tätigkeit vollwertig ausgeübt worden sein müsse; ein automatisches Hineinwachsen in höhere Qualifikationsgruppen sei nicht möglich. Diese vorgenannten Grundsätze gälten dabei nicht nur bei direkter Anwendung des Satzes 2 der Anlage 13 auf Sachverhalte in der DDR, sondern ebenso wie bei dessen sinngemäßer Anwendung im Rahmen des § 22 FRG. Mit der allenfalls der Qualifikationsgruppe 2 entsprechenden, nicht fünfjährigen Tätigkeit vom 15.12.1977 bis zum 27.02.1982 als Leiterin der Verwaltungs- und Organisationsabteilung habe die Klägerin aber nicht die Dauer einer Fachschulausbildung durchlaufen.

Gegen den ihr am 28.04.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 17.05.2021 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen auf ihre bisherigen Ausführungen vor dem SG verwiesen. Die Posten müssten nicht so lange dauern wie eine Fachbildung, weil diese alle zu den Verwaltungsposten gehört hätten. Sie habe 17 Jahre eine Angestelltentätigkeit im Verwaltungsbereich ausgeübt. Im Technikum habe sie auch allgemeinbildende Fächer gehabt.





Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.04.2021 sowie den Bescheid vom 15.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.04.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Bescheide vom 06.05.2010, 17.08.2010 und 16.07.2015 insoweit abzuändern, dass bei den polnischen Beitragszeiten der Klägerin vom 25.10.1967 bis zum 10.12.1970 und vom 20.04.1971 bis zum 27.10.1988 eine höhere Qualifikationsgruppe als 4 berücksichtigt wird, und die Altersrente entsprechend ab 01.01.2010 neu zu berechnen sowie die sich hieraus ergebende Nachzahlung in gesetzlicher Höhe zu verzinsen.



Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen im Gerichtsbescheid des SG verwiesen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung erklärt (Bl. 54 und 55 der Senatsakten).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die Gerichtsakten S 24 R 2581/19, S 24 R 304/08, S 25 R 7073/15 und S 21 R 5271/18 sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

I. Die
gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedarf insbesondere nicht der Zulassung, da die Klägerin die Gewährung einer höheren Rente für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

II. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten
vom 15.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.04.2020 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, ihren Bescheid vom 06.05.2010 in den Fassungen vom 17.08.2010 und 16.07.2015 abzuändern und der Klägerin eine höhere Rente unter Berücksichtigung der polnischen Beitragszeiten vom 25.10.1967 bis 10.12.1970 und vom 20.04.1971 bis 27.10.1988 mit einer „höheren“ Qualifikationsgruppe als 4 zu gewähren.

III. Die Berufung der Klägerin hat jedoch keinen Erfolg. Das SG hat die Klage, soweit sie zulässig war, zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 15.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.04.2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese hat keinen Anspruch auf Rücknahme bzw. Abänderung der Bescheide vom 06.05.2010, 17.08.2010 und 16.07.2015. Das SG hat in dem angefochtenen Gerichtsbescheid die rechtlichen Voraussetzungen eines Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X sowie der Einstufung der Tätigkeiten der Klägerin im Zeitraum vom 20.04.1971 bis 27.10.1988 in die Qualifikationsgruppe 4 dargelegt und zutreffend und fundiert ausgeführt, aus welchen rechtlichen Gründen eine Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2 nicht in Betracht kommt. Auch hat das SG zutreffend entschieden, dass die Klage hinsichtlich der Beitragszeit vom 25.10.1967 bis 10.12.1971 bereits mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig war, da eine Einstufung dieser Zeit in die Qualifikationsgruppe 2 bereits erfolgt ist. Der Senat sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Lediglich ergänzend wird noch auf Folgendes hingewiesen:

1. Für die Einstufung einer Tätigkeit in eine bestimmte Qualifikationsgruppe kommt es nicht nur auf die Erfüllung der für die entsprechende Gruppe in der Anlage 13 zum SGB VI aufgeführten formalen Qualifikationsmerkmale, sondern darüber hinaus auch auf die Ausübung der entsprechenden Tätigkeit an (vgl. hierzu im Einzelnen: BSG 14.05.2003, B 4 RA 26/02 R, juris Rn. 32 bis 36). Da die Klägerin in dem hier streitigen Zeitraum vom 20.04.1971 bis 27.10.1988 jedoch nicht entsprechend ihrer - sehr branchenspezifischen - Ausbildung zum „Techniker Chemiker-Analytiker“ eine diesbezügliche, sondern vielmehr kaufmännische und organisatorische Tätigkeiten ausübte und in einer solchen Konstellation eine Einstufung in eine höhere Qualifikationsgruppe erst nach langjähriger Berufserfahrung in Betracht kommt (vgl. Satz 2 der Anlage 13 zum SGB VI), scheidet eine Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2 vorliegend aus.

So erfüllte die Klägerin im Zeitraum vom 20.04.1971 bis 27.10.1988 zwar das Formalkriterium für die Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2 - Fachschulabsolventen - der Anlage 13 zum SGB VI, hierbei insbesondere die unter Nr. 3 angeführten Merkmale: „Personen, die an staatlich anerkannten mittleren und höheren Fachschulen außerhalb des Beitrittsgebietes eine Ausbildung abgeschlossen haben, die der Anforderung des Fachschulabschlusses im Beitrittsgebiet entsprach, und ein entsprechendes Zeugnis besitzen.“ Denn im Vergleich zu den sonstigen in Betracht kommenden, unter den Nr. 1, 2 und 4 angeführten Merkmalen handelt es sich um die speziellere, der Zielrichtung des § 22 Abs. 1 FRG entsprechende Regelung. Die Klägerin hatte am 05.06.1967 ihre Ausbildung im Industrietechnikum für bündiges Baumaterial in O1, Fachgebiet „Chemische Analyse“, abgeschlossen und sie war nach dem erteilten Zeugnis berechtigt, den Titel eines „Techniker Chemiker-Analytiker“ zu führen. Auf die Gleichwertigkeit mit einem Fachschulabschluss im Beitrittsgebiet kann aber nicht ohne weiteres geschlossen werden, denn im Technikum, das mit einer Art Abitur („Das vorliegende Zeugnis bestätigt mittlere Ausbildung der Absolventin und Hochschulreife …“) endete, dürfte eine schulische Ausbildung ohne Praxisbezug im Vordergrund gestanden haben, wogegen jedenfalls in den technischen Fächern in der DDR die Fachschulausbildung eine Form der Weiterbildung war, aufbauend auf einer beruflichen Grundausbildung, z.B. als Facharbeiter (Müller, DAngVers 1995, 354, 363f.). Dieses denkbare Ausbildungsdefizit war aber spätestens nach ihrer Tätigkeit als Laborantin in der Produktionsabteilung im Bezirksverband der Gemeindegenossenschaften „Bäuerliche Selbsthilfe“ in O1 in der Zeit vom 25.10.1967 bis 15.04.1969 ausgeglichen, sodass jedenfalls für den hier streitigen Zeitraum von einer völligen Gleichwertigkeit auszugehen sein dürfte (BSG 12.11.2003, B 8 KN 2/03 R, juris Rn. 29).

Versicherte sind jedoch nur dann in die entsprechende Qualifikationsgruppe - hier 2 - einzustufen, wenn sie neben Erfüllung der Qualifikationsmerkmale zeitgleich auch eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt haben. Das gesetzliche Erfordernis der gleichzeitigen Ausübung einer der jeweiligen Qualifikationsgruppe „entsprechenden Tätigkeit“ steht nicht in einem Vorrang-/Nachrangverhältnis zur erworbenen Qualifikation, sondern ist gleichwertig zu lesen und gleichermaßen im Streitfall vom Gericht festzustellen. Das Tatbestandsmerkmal dient nicht nur dazu, Fällen eines „augenscheinlichen Missverhältnisses“ zwischen erworbener Qualifikation und tatsächlicher Beschäftigung zu begegnen und es genügt auch nicht, dass die tatsächliche Beschäftigung mit den Ausbildungsinhalten lediglich „in etwa“ übereinstimmt. Vielmehr muss die Tätigkeit „im Wesentlichen“ mit den Ausbildungsinhalten übereinstimmen. Die Gleichwertigkeit der beiden Eingruppierungsvoraussetzungen ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, denn nach § 22 Abs. 1 FRG i.V.m. § 256b Abs. 1 SGB VI erfolgt die Einstufung der Beschäftigung, für die Durchschnittsverdienste zur Berechnung der EP zu ermitteln sind, in eine der in der Anlage 13 zum SGB VI genannten Qualifikationsgruppen - nicht umgekehrt. Nichts anderes normiert im Kern der vorangestellte Satz 1 der Anlage 13 zum SGB VI. Nur diese Interpretation entspricht dem Sinn und Zweck des § 256b SGB VI, bei nur glaubhaft gemachten Pflichtbeitragszeiten in der DDR fiktiv einen primär nicht ausbildungs-, sondern nach den gesetzlichen Vorgaben - Ost wie West - primär lohn- und beitragsbezogenen Versicherungsverlauf, der dem der Pflichtbeitragszahler in der DDR entspricht, wiederherzustellen. Keinen anderen Inhalt hat die Regelung für die Eingliederung der nach dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen vom 09.10.1975 Berechtigten oder die Eingliederung des in § 1 FRG genannten Personenkreises. Auch sie sollen eine lohn- und beitragsbezogene Rente wie Versicherte der früheren DDR erhalten, wobei die Höhe dieser Rente von der der jeweiligen Beschäftigung entsprechenden fiktiven Lohnsumme und nicht von der einmal erworbenen beruflichen Qualifikation abhängt (vgl. § 63 Abs. 1 SGB VI) (BSG 12.11.2003, B 8 KN 2/03 R, juris Rn. 31).

Ob eine im Herkunftsgebiet verrichtete Tätigkeit den Merkmalen der in Betracht kommenden Qualifikationsgruppe entspricht, lässt sich bei der entsprechenden Anwendung des vorangestellten Satzes 1 der Anlage 13 zum SGB VI im Rahmen des § 22 Abs. 1 FRG nur anhand der Verhältnisse in den Herkunftsländern bzw. hier der im Vertragsstaat Polen herrschenden Verhältnisse feststellen (Müller, DAngVers 1995, 354, 365 mit weiteren Beispielen). Vorliegend hatte die Klägerin mit dem Abschluss der polnischen Fachschule, wie bereits dargelegt, noch keine Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, die mit der Qualifikationsstufe 2 nach DDR-Maßstäben vergleichbar waren, denn erlangt wurde nur eine im späteren Berufsleben vielfältig einsetzbare „chemie-technische Allgemeinbildung“ auf dem Niveau eines Fachabiturs. Erst die anschließende mehrjährige Berufsausübung als Laborantin in der Produktionsabteilung führte dazu, dass auch die erforderlichen praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten, speziell ausgerichtet auf eine Tätigkeit in der Produktion, erworben wurden. In der hier streitgegenständlichen Zeit hat die Klägerin solche Tätigkeiten jedoch nicht mehr ausgeübt. Ab dem 20.04.1971 war sie im L2 Bautransportunternehmen beschäftigt gewesen und hat nach ihren eigenen Angaben die technische Bereitschaft der Firma berechnet, Baudienstleistungen zu leisten, und war für Waren, Baumaschinen, Baustoffe und Inventur verantwortlich gewesen. Zuletzt hat sie Aufgaben als Spezialistin für Organisation und Firmenkontrolle gehabt. Hierbei handelt es sich um artfremde Tätigkeiten, die nicht mehr „im Wesentlichen“ ihrer Ausbildung entsprochen haben. Chemie-analytische oder Chemie-technische Arbeiten hat sie gerade nicht mehr ausgeübt.

2. Wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat, kommt allein für die Tätigkeit als Leiterin der Verwaltungs- und Organisationsabteilung in einem staatlichen Straßenbauunternehmen in der Zeit vom 15.12.1977 bis zum 27.02.1982 mit wohl größerer Personalverantwortung unter Umständen nach Durchlaufen der erforderlichen Einarbeitungszeit eine höhere Zuordnung mit der Qualifikationsgruppe 2 in Betracht. Satz 2 der Anlage 13 zum SGB VI stellt hierbei auf die Fähigkeiten ab, die für die jeweilige höhere Gruppe erforderlich sind. Sie müssen durch „langjährige Berufserfahrung“ in dem höherwertigen Beruf „erworben“ worden sein, setzen also eine Ausübung des höherwertigen Berufs während eines Zeitraums voraus, der ausreicht, um die mangels formeller Ausbildung erforderlichen theoretischen und praktischen Befähigungen für eine vollwertige Berufsausübung zu vermitteln. Hierfür kommt es auf den jeweiligen ausgeübten Beruf an (BSG 14.05.2003, B 4 RA 26/02 R, juris Rn. 45). Diese Grundsätze gelten nicht nur bei der direkten Anwendung des Satzes 2 der Anlage 13 auf Sachverhalte in der DDR, sondern ebenso wie bei dessen sinngemäßer Anwendung im Rahmen des § 22 FRG (BSG 24.07.2003, B 4 RA 61/02 R, juris Rn. 44). Da der Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten neben der Arbeit üblicherweise wesentlich länger als eine gezielte Unterweisung während einer geordneten mehrjährigen Ausbildung dauert, ist insoweit regelmäßig die doppelte Zeit der üblichen Ausbildung anzusetzen (vgl. Hessisches LSG 05.11.2010, L 5 R 395/09), wobei während dieses Zeitraums die qualifizierte Tätigkeit vollwertig ausgeübt worden sein muss. Ein automatisches Hineinwachsen in höhere Qualifikationsgruppen ist nicht möglich. Dabei ist in der Regel von einem sechsjährigen Bewährungszeitraum auszugehen (LSG Nordrhein-Westfalen 05.05.2022, L 14 R 714/15, juris Rn. 83).

Vorliegend hat die Klägerin jedenfalls vor dem 15.12.1977 reine Facharbeitertätigkeiten ausgeübt. Besondere Fähig- oder Fertigkeiten sind den vorliegenden Zeugnissen nicht zu entnehmen. Gegenteiliges hat die Klägerin auch selbst nicht vorgetragen. Insbesondere greift die Argumentation der Klägerin, sie habe 17 Jahre lang Verwaltungstätigkeiten im Angestelltenverhältnis ausgeübt, weshalb all diese Tätigkeiten im Rahmen der erforderlichen langjährigen Berufserfahrung zu berücksichtigen seien, nicht durch. Wie bereits dargestellt, muss die qualifizierte Tätigkeit, die vorliegend allenfalls im Zeitraum vom 15.12.1977 bis zum 27.02.1982 angenommen werden kann, während des gesamten, als langjährige Berufsausübung zu berücksichtigendes Zeitraumes ausgeübt worden sein. Nicht die Tätigkeiten an sich, sondern die Fähigkeiten, die Tätigkeiten zu verrichten, führen zu einer höheren Einstufung in die Qualifikationsgruppe (Hessisches LSG 24.09.2019, L 2 R 366/16, juris Rn. 55). Dies schließt aus, Tätigkeiten, die zwar artverwandt sind, jedoch nicht das entsprechende Qualifikationsniveau erreichen, bei der Ermittlung der langjährigen Berufserfahrung mit einzubeziehen. Ein automatisches Hineinwachsen in eine höhere Qualifikationsgruppe ist - wie bereits ausgeführt - gerade nicht möglich. Wie das SG bereits zutreffend dargestellt hat, reicht die Zeit vom 15.12.1977 bis zum 27.02.1982 nicht aus, um aufgrund langjähriger Berufserfahrung die Qualifikationsgruppe 2 annehmen zu können.

3. Da die Klägerin keinen Anspruch auf Einstufung ihrer Tätigkeiten im Zeitraum vom 20.04.1971 bis 27.10.1988 in die Qualifikationsgruppe 4 hat, kann der Senat es dahinstehen lassen, ob bereits der am 25.02.2010 geschlossene außergerichtliche (da nicht unter den Vorgaben des § 101 SGG zustande gekommene) Vergleich, in welchem sich die Beteiligten auf die Anerkennung der Qualifikationsgruppe 4 im streitigen Zeitraum verständigten, dem Überprüfungsbegehren der Klägerin entgegensteht (dies dürfte wohl nur für den gerichtlichen Vergleich anzunehmen sein, vgl.
LSG Baden-Württemberg 09.06.2011, L 10 R 3494/08, juris; zum außergerichtlichen Vergleich vgl. hierzu Hessisches LSG 07.02.2022, L 5 R 127/17, juris).

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

V. Die Revision wird nicht zugelassen, da ein Grund hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegt.


 

Rechtskraft
Aus
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