S 19 AS 706/20

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Nordhausen (FST)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 19 AS 706/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Der Bescheid des Beklagten vom 15.01.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.04.2020 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.

Tatbestand

Streitig sind Leistungen nach dem SGB II.

Die am 27.05.2020 erhobene Klage richtet sich gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 15.01.2020, mit den Leistungen nach dem SGB II, die mit Bescheiden vom 23.04.2018 in Fassung der Bescheide vom 13.06.2018 und 15.08.2018 bewilligt worden waren, in Höhe von insgesamt 70,50 € aufgehoben und zurückgefordert wurden, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2020 (zugegangen dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 28.04.2020). Strittig ist die Art und Weise der Anrechnung des Einkommens des am 08.01.2003 geborenen Klägers zu 2), der im Juli 2018 in den Schulferien eine Erwerbstätigkeit bei einem Bedachungsunternehmen in E ausgeübt hat und hierbei unter Berücksichtigung einer Auslöse von 370,00 € für den Entgelt von Fahrt- und Unterkunftskosten ein Bruttoeinkommen von 1.453,75 € und netto 1.382,25 € erzielt hat. Dieses Einkommen hat der Beklagte im August 2018 als Einkommen berücksichtigt.

Hinsichtlich der Einzelheiten der Berechnung wird auf die streitgegenständlichen Bescheide, insbesondere auf die ausführliche Darstellung im Widerspruchsbescheid verwiesen.

Die Kläger wenden sich dagegen, dass aus ihrer Sicht die unstreitigen Werbungskosten in Höhe von 345,20 € nicht von dem Erwerbseinkommen abgezogen worden sind und berufen sich dabei auf die Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II. Aus ihrer Sicht hätte dies zur Folge, dass des Weiteren bei der Berechnung nur von einem Einkommen von unterhalb von 1.200,00 Euro auszugehen sei. Unter Berücksichtigung des besonderen Freibetrages des § 1 Abs. 4 ALG-II-Verordnung wäre damit kein anrechenbares Einkommen gegeben.

Die Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 15.01.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.04.2020 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte beruft sich hinsichtlich der Berechnungsweise auf die fachlichen Hinweise zu § 11 SGB II Rn. 11.121. Danach wäre zuerst der besondere Freibetrag abzuziehen und danach die übliche Bereinigung vorzunehmen mit der Folge, dass der Differenzbetrag unter 400,00 € liegt, so dass hier nur der Grundpauschbetrag in Höhe von 100,00 € zu berücksichtigen wäre.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die der Kammer bei der Beratung und Entscheidung vorlagen, verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten dieser Verfahrensweise zugestimmt haben.

Die Klage ist zulässig. Sie ist auch begründet, denn die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Aufgrund des § 1 Abs 4 S 1 AlgIIV 2008 in der vom 01.06. 2010 bis zum 29.02.2020 geltenden Fassung ist in Bezug auf den Ferienjob des Klägers zu 2 kein Einkommen anzurechnen.

Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Norm sind vorliegend erfüllt, da der Kläger zu 2 die Erwerbstätigkeit in den Schulferien im Zeitraum vom 02.07.2018 bis 23.07.2018 ausgeübt hat.

 Die Privilegierung des Einkommens von Schülern aus einer Erwerbstätigkeit gemäß § 11 SGB 2 i.V.m § 1 Abs 4 S 1 AlgIIV 2008 ist durch drei zeitliche Parameter begrenzt. Die Erwerbstätigkeit darf erstens höchstens vier Wochen, zweitens innerhalb eines Kalenderjahres und drittens in den Ferien verrichtet werden. Da die Regelung an § 5 Abs 4 S 1 JArbSchG anknüpft, ist auch im Anwendungsbereich des § 1 Abs 4 S 1 AlgIIV 2008 davon auszugehen, dass Jugendliche an fünf Tagen in der Woche und daher im Vierwochenzeitraum in der Summe an zwanzig Tagen in den Ferienzeiten beschäftigt werden dürfen, wobei die Erwerbstätigkeit nicht in vier aufeinanderfolgenden Wochen ausgeübt werden muss

(BSG, Urteil vom 11. November 2021 – B 14 AS 33/20 R –, juris).

Der gem. § 1 Abs. 4 Satz 1 Alg II-V 2008 von der Einkommensberücksichtigung freigestellte Höchstbetrag für Einnahmen aus Ferienbeschäftigung betrug 1.200,00 € je Kalenderjahr. Unter Berücksichtigung des § 11 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Alg II-V 2008/4-12 dürfte es sich um eine Bruttoangabe gehandelt haben (vgl. Geiger in LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 11a Rz 36; FW der BA 11.121, Stand 7. 2. 2020).

Darüber hinausgehende Bruttoeinnahmen waren nach den allgemeinen Vorschriften wie Erwerbseinkommen zu berücksichtigen (Dietrich Hengelhaupt in: Hauck/Noftz SGB II, 9. Ergänzungslieferung 2023, § 13 SGB 2, Rn. 234).

Im Gegensatz zu der Beklagten ist die Kammer der Auffassung, dass § 11 b  Absatz 2 Satz 2 SGB II der vollständigen Anrechnung der mit der Einkommenserzielung verbundenen Aufwendungen in Höhe von unstreitig 345 € nicht entgegensteht. Gemäß dieser Norm gilt der pauschale Absetzungsbetrag von 100 € monatlich nicht, wenn das Einkommen aus Erwerbstätigkeit mehr als 400 €beträgt und der Leistungsberechtigte nachweist, dass die Summe der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 den Betrag von 100 € übersteigt. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Zwar muss die Einkommensgrenze von 400 €, die erst den Nachweis höherer Aufwendung als 100 € erlaubt, allein durch Einkommen aus Erwerbstätigkeit erreicht werden (Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 11b (Stand: 07.03.2023), Rn. 50). Dies ist hier jedoch der Fall, denn § 11 b Absatz 2 Satz 2 SGB II knüpft am Bruttoeinkommen und nicht, wie der Beklagte meint, an einem schon um Absetzbeträge nach§ 1 Abs. 4 Satz 1 Alg II-V 2008 bereinigten Einkommen an. Dieses betrug 1083,75 € zuzüglich der Auslöse in Höhe von 370 €.

Aus der Gesetzessystematik lässt sich nicht ableiten, dass im Fall des besonderen Freibetrages nach § 1 Nr. 4 ALG-II-Verordnung anders zu verfahren ist als hinsichtlich der Erwerbstätigenfreibeträge gemäß § 11 b Abs.3 SGB II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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