L 2 SO 1833/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SO 207/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1833/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23. Mai 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Überleitungsbescheid des Beklagten gemäß § 93 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe -(SGB XII) im Streit.

Der 1954 geborene Kläger (nach vorherigem Bezug von Leistungen nach dem Gesetz über die Grundsicherung bzw. Bundessozialhilfegesetzbuch) bezieht seit dem 1. Januar 2005 Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII vom Beklagten und bewohnt eine Einliegerwohnung in seinem Elternhaus. Im Dezember 2014 verstarb seine Mutter; er beerbte sie als Miterbe einer Erbengemeinschaft mit seiner Schwester (der Beigeladenen) zur Hälfte (Erbschein des Amtsgerichts L1 vom 25. Februar 2019). Das Erbe besteht im Wesentlichen aus dem Hausgrundstück.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2019 leitete der Beklagte den Anspruch des Klägers auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft gegenüber der Beigeladenen auf sich über. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2019 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 16. Januar 2020 beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Er hat vorgetragen, er sehe sich nicht in der Lage, aus der von ihm seit 1989 bewohnten Wohnung auszuziehen, da sein Gesundheitszustand schlecht sei. Durch die Überleitung befürchte er, dass die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft ohne Wahrung seiner Interessen durchgeführt werde, auf welche weder die Beigeladene noch der Beklagte bislang eingegangen seien.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er halte seine Entscheidung für rechtmäßig. Die Erbenauseinandersetzung werde von ihm ohnehin nicht aktiv weiterbetrieben; die Überleitung diene nur der Absicherung vorrangiger Ansprüche.

Die Beigeladene ist der Klage ebenfalls entgegengetreten. Sie hat ausgeführt, dass der hälftige Eigentumsanteil an dem Hausgrundstück Gegenstand einer Teilungsversteigerung zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft sei. Der Antrag sei bereits im Oktober 2019 beim Amtsgericht L1 (xxx) eingereicht worden. Zwischenzeitlich sei der Verkehrswert festgesetzt worden und es sei demnächst mit einem Versteigerungstermin zu rechnen.

Mit Gerichtsbescheid vom 23. Mai 2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die zulässige Klage sei unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 18. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2019 sei rechtmäßig. Habe eine leistungsberechtigte Person für die Zeit, für die Leistungen nach dem SGB XII erbracht worden seien, einen Anspruch gegen einen anderen, der kein Leistungsträger im Sinne des § 12 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) sei, könne der Träger der Sozialhilfe nach § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII durch schriftliche Anzeige an den anderen bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergehe. Dabei müsse der überzuleitende Anspruch lediglich mutmaßlich bestehen. Eine Überleitung sei nur dann ausgeschlossen, wenn der übergeleitete Anspruch offensichtlich nicht bestehe. Denn wäre das Bestehen des übergeleiteten Anspruchs eine objektive Rechtmäßigkeitsvoraussetzung, müsse das Gericht auch über die Rechtmäßigkeit rechtswegfremder Forderungen entscheiden. Eine derartige Überprüfung sei mit dem bestehenden gegliederten Rechtsschutzsystem aber nicht zu vereinbaren. Es sollte verhindert werden, dass das SG letztverantwortlich beispielsweise zivilrechtlich umstrittene Fragen entscheide. Die Überleitung sei daher rechtlich nicht zu beanstanden. Das Bestehen eines Anspruchs des Klägers auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft nach § 2042 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gegen die Beigeladene als Miterbin (§ 2032 BGB) sei sogar unzweifelhaft. Der Beklagte habe zudem erkannt, dass die Überleitung in seinem Ermessen stehe. Er habe dazu ausgeführt, dass es dem Gebot der wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Gelder widerspreche, Sozialhilfeleistung ohne Berücksichtigung zivilrechtlicher Ansprüche zu gewähren, obwohl diese - wie hier - geeignet sein könnten, die Hilfebedürftigkeit abzuwenden. Die Überleitung sei daher notwendig, um das gesetzliche Nachrangverhältnis wiederherzustellen. Es seien keine Gründe erkennbar, um hiervon abzuweichen. Ermessensfehler des Beklagten seien danach nicht ersichtlich. Weder seien die gesetzlichen Grenzen des Ermessen überschritten noch davon in einem dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden. Der Beklagte habe seiner Entscheidung den zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt sowie alle ermessenserheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und von ihrer Bedeutung her richtig gewichtet.  Eine Überleitung scheide insbesondere auch nicht deshalb aus, weil der Anspruch auf geschontes Vermögen gerichtet sei. Denn es handele sich bei der Realisierung des Erbanspruchs schon nicht um einen Vermögensgegenstand, sondern um die Erzielung von Einkommen, da der Erbfall während des Sozialhilfebezugs eingetreten sei. Der Ausschluss von Erbschaften aus dem Einkommensbegriff in § 82 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 SGB XII sei erst mit Wirkung zum 1. Januar 2023 eingefügt worden. Da hier mit der Überleitung ein in der Vergangenheit abgeschlossener Vorgang in Streit stehe, der mit der isolierten Anfechtungsklage angegriffen werde, sei als entscheidungserheblicher Zeitpunkt auf den Erlass des Widerspruchsbescheids vom 18. Dezember 2019 abzustellen, als diese Regelung gerade noch nicht gegolten habe.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 25. Mai 2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 23. Juni 2023 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Die Überleitungsanzeige sei rechtswidrig, da es an einem überleitungsfähigen Anspruch fehle. Bei der hier gegebenen Anfechtungsklage sei maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier also des Widerspruchsbescheids. Es sei somit für die rechtliche Beurteilung auf dem 18. Dezember 2019 abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt habe eine Erbengemeinschaft zwischen dem Kläger und seiner Schwester bestanden, es handele sich dabei um eine Gesamthandsgemeinschaft. Die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft sei die Beendigung der nur für eine Übergangszeit vorgesehenen und nicht auf Dauer angelegten Erbengemeinschaft durch Aufteilung der Bestandteile des reinen Nachlasses auf die einzelnen Miterben, also der nach der Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten noch vorhandenem einzelnen Nachlassgegenständen. Vorliegend bestehe das Erbe im Wesentlichen aus einem Hausgrundstück. Eine Erbauseinandersetzung könne daher nur im Wege einer Teilungsversteigerung und anschließender Verteilung des Verkaufserlöses erfolgen. Dieser Erlös sei indessen dem Vermögen bzw. dem Einkommen des Klägers zuzuordnen. Nichts Anderes gelte indessen für den Hausanteil, welcher vor der Teilung dem Kläger zustehe. Bei einer Versteigerung des gemeinschaftlichen Gegenstandes durch Verkauf oder Teilungsversteigerung trete im Wege dinglicher Surrogation an die Stelle des gemeinschaftlichen Gegenstandes der Erlös; an diesem seien die Teilhaber Mitberechtigte nach § 432 BGB. Nach anteiligem Abzug der Kosten und Berichtigung einer Gesamtschuld sei der Reinerlös unter die Teilhaber entsprechend ihren Anteilen zu verteilen. Eine Überleitung von Ansprüchen, die zum Einkommen und Vermögen des Empfängers der Sozialhilfeleistungen gehörten, sei ausgeschlossen. Wenn der Herausgabeanspruch des im Rahmen einer Erbauseinandersetzung hinterlegten Betrages nicht übergeleitet werden könne, sei die Überleitung des die Verwertung des Erbes vorbereitenden Anspruchs ebenfalls nicht möglich, zumindest wirtschaftlich sinnlos. Der Kläger sei zu einem schnellen Auszug gesundheitlich nicht in der Lage. Es sei mit einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes dadurch zu rechnen. Einer Vollstreckungsabwehrklage komme Erfolgsaussicht zu. Dies werde sich auf einen Verkauf der Immobilie ungünstig auswirken. Dies alles hätte vom Beklagten bei der Ermessensausübung berücksichtigt werden müssen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23. Mai 2023 und den Bescheid des Beklagten vom 18. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2019 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger beziehe seit dem 1. Januar 2005 Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Er bewohne eine Einliegerwohnung in seinem Elternhaus. Nach dem Tod der Mutter habe der Kläger diese als Miterbe bei einer Erbengemeinschaft mit seiner Schwester beerbt. Das Erbe bestehe im Wesentlichen aus diesem Hausgrundstück. Das Bestehen des Anspruchs des Klägers auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft gegen seine Schwester als Miterbin sei unzweifelhaft. Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob ein zeitnaher Versteigerungstermin bestehe, sei unerheblich. Das im Rahmen der Entscheidung zur Überleitung des Anspruchs auf Erbauseinandersetzung in § 93 SGB XII eingeräumte Ermessen sei pflichtgemäß ausgeübt worden. Der Anspruch auf Erbauseinandersetzung sei dem Einkommen zuzuordnen, weswegen ein Schonungstatbestand nach § 90 Abs. 2 SGB XII nicht erfüllt sein könne. Es komme für die Rechtsmäßigkeit des Bescheides auch nicht auf den aktuellen Stand der Erbauseinandersetzung oder darauf an, ob in absehbarer Zeit mit einem Versteigerungstermin zu rechnen sei. Ebenso wenig ersichtlich sei, inwieweit der Gesundheitszustand des Klägers der Überleitung habe entgegenstehen sollen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Sie trägt noch vor, sie habe kein Interesse an der Fortführung der Erbengemeinschaft. Die Auseinandersetzung werde von ihr weiter betrieben.

Am 22. August 2023 hat der Berichterstatter mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Das SG hat zutreffend unter Darstellung der maßgeblichen gesetzlichen Norm (§ 93 SGB XII) in nicht zu beanstandender Weise die Rechtmäßigkeit des Überleitungsbescheides vom 18. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2019 bejaht. Hierauf nimmt der Senat Bezug und sieht von der weiteren Darstellung in den Entscheidungsgründen gemäß § 153 Abs. 2 SGG ab.

Ausgehend von der Berufungsbegründung ist jedoch noch zu ergänzen, dass entgegen der Rechtsauffassung des Bevollmächtigten des Klägers der Anspruch auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft gemäß § 2042 BGB ein überleitungsfähiger Rechtsanspruch ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Juli 2010 - L 7 SO 853/09 - juris; Armbruster in jurisPK, § 93 SGB XI, Rn. 91). Im Weiteren ergibt sich aus dem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22. Juli 2010 nichts Anderes. Im Unterschied zum vorliegenden Sachverhalt war in dem vom LSG Baden-Württemberg zu entscheidenden Berufungsverfahren die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft gemäß § 2042 BGB bereits erfolgt; davon ausgehend hat das LSG zutreffend entschieden, dass es an einem überleitungsfähigen Anspruch gemäß § 93 Abs. 1 SGB XII deshalb fehlte, weil ein Erbauseinanderanspruch nicht mehr gegeben war. In der dortigen Sache hatte das LSG Baden-Württemberg zu prüfen, ob der Anspruch des Klägers gegen die Hinterlegungsstelle auf Herausgabe des „restlichen hinterlegten Betrages“ gemäß § 372 ff. BGB, §§ 12 ff. der Hinterlegungsordnung vom 10. März 1937 (ab 1. Juli 2010 §§ 21 ff. des Gesetzes über das Hinterlegungsverfahren im Freistaat Sachsen - Sächsisches Hinterlegungsgesetz - vom 11. Juli 2010) als eigener überleitungsfähiger Anspruch in Betracht kommt. Dies hat das LSG Baden-Württemberg verneint, weil die Hinterlegungsstelle nicht Dritter im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sei. Der durch die Hinterlegung begründete öffentlich - rechtliche Herausgabeanspruch gegen die Hinterlegungsstelle sei vielmehr - dem Charakter der Hinterlegung als Erfüllungsurrogat entsprechend - dem Vermögen des Klägers zuzuordnen. Eine Überleitung von Ansprüchen, die zum Einkommen und Vermögen des Empfängers der Sozialleistung gehörten, sei aber ausgeschlossen. Die vorliegend zu entscheidende Sache liegt tatsächlich anders. Eine Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft bestehend aus dem Kläger und der Beigeladenen ist (noch) nicht erfolgt. Deshalb hat der Kläger nach wie vor einen Anspruch auf Auseinandersetzung dieser Erbengemeinschaft; diesen hat der Beklagte rechtmäßigerweise mit dem angefochtenen Bescheid vom 18. Oktober 2019 übergleitet.

Dass die Beklagte bei der Ausübung ihres Ermessens die vom Klägervertreter aufgezeigten Gesichtspunkte fehlerhaft nicht berücksichtigt habe, teilt der Senat nicht. Zutreffend geht der Klägerbevollmächtigte diesbezüglich vom Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids am 18. Dezember 2019 aus. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch schon - nämlich im Oktober 2019 - seitens der Beigeladenen die Teilungsversteigerung des gemeinsamen Erbes beim Amtsgericht L1 beantragt. Es stellte sich somit aus Sicht des Beklagten die Frage eines „Verzichts“ auf die Überleitung des Erbauseinandersetzungsanspuchs aus den vom Klägerbevollmächtigten genannten Gründen zum fraglichen Zeitpunkt nicht mehr. Offenbleiben kann daher auch, ob die vom Klägerbevollmächtigten angeführten Gesichtspunkte angesichts dessen, dass nur bei gegebener „Negativevidenz“ eine Überleitung ausgeschlossen ist, bei der Ermessensausübung überhaupt einzubeziehen gewesen wären.

Aus diesen Gründen ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG) liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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